War of the Worlds: Fixes after reading
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8 \raggedbottom
10 \author{Ricarda Huch}
11 \title{Der neue Heilige}
12 \date{}
13 \lowertitleback{Diese Ausgabe basiert auf dem
14 \href{http://www.gutenberg.net/}{Project Gutenberg}
15 EBook \#27446.}
17 \maketitle
19 \pagenum{[95]}Im Küchengarten des Kapuzinerklosters in München gingen zwei der
20 vornehmsten Väter, Pater Gumppenberg und Pater Wildgruber, in
21 ernstlichem Gespräch über die schweren Zeitläufe zwischen den an
22 Stangen hochgezogenen Bohnen auf und nieder. »Es tut nicht gut,«
23 sagte Pater Gumppenberg, »wenn die Frau stärker ist als der Mann,
24 im Bürgerhause so wenig wie auf dem Fürstenthrone, das habe ich
25 immer gesagt und darum die savoyische Heirat widerraten. War es
26 nicht vorauszusehen, daß sie mit ihren welschen Dienern und ihrer
27 welschen Pracht einwirken und mit ihrem welschen Gespreiz alles und
28 jedes bei unserem guten Herrn durchsetzen würde?« Es hatte nämlich
29 vor einigen Jahren der Kurfürst Ferdinand Maria die schöne, stolze
30 und kluge Henriette von Savoyen geheiratet, die zwar in kirchlicher
31 Gesinnung niemandem nachstand, aber den Bedarf dazu von jenseits
32 der Alpen in Gestalt verschiedener Geistlicher italienischer und
33 französischer Herkunft mitgebracht hatte, unter denen ihr
34 Beichtvater Filiberto aus dem Orden der Theatiner der
35 hervorragendste war. »Der Anstand würde erfordern,« fuhr Pater
36 Gumppenberg fort, »daß diese Fremden sich in die Gebräuche unseres
37 Landes zu schicken suchten; anstatt dessen fahren sie naserümpfend
38 daher wie Eroberer und möchten das wohlerprobte einheimische Wesen
39 mit ihrem scheckigen Tändelkram austapezieren. Es sind bald hundert
40 Jahre her, daß unsere Stadt und unser Fürstenhaus unter dem Schutze
41 des heiligen\pagenum{[96]} Benno nicht nur in gutem Zustande
42 verharren, sondern erst recht zu florieren angefangen haben, wie
43 denn auch unser seliger Herr, der verstorbene Kurfürst, ihm
44 allezeit die Ehre gegeben und es an Dank und Verherrlichung nicht
45 hat fehlen lassen. Auch wir haben uns den Dienst des uralten
46 deutschen Heiligen angelegen sein lassen, obwohl wir absonderlich
47 auf den heiligen Franziskus Seraphikus, diesen hochberühmten,
48 eigentlich aus Gottes Geiste geborenen Himmelsmann, verpflichtet
49 sind, und haben also doppelte Ursache, von den Welschen, die über
50 uns gekommen sind, ohne daß wir ihrer bedürfen, die gleiche
51 Unterordnung zu verlangen. Mögen sie in der Stille verehren, wen
52 sie wollen; unerträglich aber müßte es jedem gläubigen Bayernherzen
53 sein, wenn wir in der altheiligen Frauenkirche einen neumodischen
54 Altar für einen gewissen Cajetan sich spreizen sähen, der uns so
55 wenig angeht wie ein Derwisch oder Mufti der Heiden im Orient.«
57 Pater Wildgruber nickte nachdrücklich und fügte hinzu: »Meine
58 sorgfältigen Erkundigungen haben bestätigt, was ich dir schon
59 sagte, daß dieser Cajetan erst kürzlich vom Heiligen Vater selig
60 gesprochen ist, auf das beschwerliche Drangsalieren der adeligen
61 Familie, die ihn zu ihren Verwandten zählt und ihre schäbige
62 Herrlichkeit mit seinem Namen ausputzen möchte. Dergleichen Adel
63 ist, wie du weißt, über den Bergen billig wie der Kies im Bache zu
64 haben. Es mag sein, daß der gute Mann aus Vicenza sich ein
65 Verdienst um jenes Völkchen erworben hat, als er den Theatinerorden
66 stiftete, in den nur Leute seinesgleichen aufgenommen wurden, die
67 dort eine ansehnliche Versorgung finden. Wenn sie es dabei bewenden
68 lassen und sich ruhig verhalten, wohl und gut, so mag man es ihnen
69 gönnen;\pagenum{[97]} ein anderes ist es, wenn sie ihren Familien-
70 und Standespatron uns hierorts als Heiligen aufdrängen und das Volk
71 zu dieser fremdartigen, übelberufenen Verehrung anlocken wollen.
72 Dergleichen Seltsamkeit dürfen diejenigen, die Gott zu Hütern
73 seiner Schafe bestellt hat, nicht einschleichen lassen.«
75 Die herzhafte Zustimmung seines Freundes erheiterte Pater
76 Gumppenberg, so daß er stehenblieb, eine Ranke der kletternden
77 Bohnen zu sich bog und den Ansatz der angenehmen Frucht, die sich
78 zeigte, auf ihr Wachstum untersuchte. »In acht bis vierzehn Tagen,
79 denke ich, können wir ein erstes Bohnengericht auf unserer Tafel
80 sehen,« sagte er behaglich. »Unser Himmel reift die Gottesgabe
81 langsam, ist es aber so weit, dann hat sie eine gediegene Würze,
82 die sich nach meinem Urteil über alle die gepriesenen Erzeugnisse
83 der Fremde erhebt.«
85 Auch hierin war Pater Wildgruber derselben Meinung. »Ich bin nicht
86 von denjenigen,« sagte er, »die ohne einen Tropfen französischen
87 oder welschen Weines die Mahlzeit fade finden; unser braunes Bier
88 mag es mit dem vielbeliebten Traubenstoff wohl aufnehmen, ja, indem
89 es das Blut nicht erhitzt, sondern kühlt, und den erwünschten
90 Schlaf herbeiführt, anstatt die Sinne zu kitzeln, ist es aus
91 erheblichen und auch gottgefälligen Gründen dem kostbaren
92 Nebenbuhler wohl noch vorzuziehen.«
94 Weiterschreitend gingen die frommen Männer zu der Erwägung über,
95 wie der von seiten der welschen Geistlichen drohenden Gefahr
96 füglich entgegenzuarbeiten sei. »Ich schrecke«, sagte Pater
97 Gumppenberg, »keineswegs davor zurück, unserem Herrn, dem
98 Kurfürsten, eine dringliche Vorstellung zu machen; habe ich doch
99 auch das Antlitz seines gestrengen Vaters nicht\pagenum{[98]}
100 gefürchtet, da ich mich im Schutze Gottes und seiner Heiligen
101 sicher fühle.«
103 »Du hattest es damals nicht mit einem Weibe zu tun,« gab Pater
104 Wildgruber zu bedenken, »einem Weibe, das ich ganz und gar der
105 Dalila vergleichen möchte, wenn auch unser hochgeliebter Herr, der
106 Kurfürst, nichts mit dem Helden Simson gemein hat als die
107 Bezauberung durch seine Gemahlin.«
109 »Es ist meine Pflicht, mich durch nichts von dem abhalten zu
110 lassen, was zum Heil unserer Kirche notwendig ist, am wenigsten
111 durch ein Weib,« sagte Pater Gumppenberg gefaßt, indem er seinen
112 schwärzlichen, mit vielen grauen Haaren durchschossenen Vollbart
113 über der breiten Brust auseinanderstrich; »es wird verhoffentlich
114 nicht ohne Eindruck bleiben, wenn ich den Geist seines hochseligen
115 Vaters berufe, um meine Vorstellungen zu unterstützen.«
117 Für den jungen Kurfürsten, der in seinem Vater das Abbild Gottes
118 auf Erden verehrt hatte, war die Anrufung desselben überwältigend,
119 und er wagte nicht leicht etwas durchzusetzen, wenn man ihn glauben
120 machte, daß es seiner Gesinnung zuwider sei. Freilich bekämpfte den
121 erhabenen Schatten seit seiner Vermählung das lebendige Auge der
122 geliebten Frau, allein er getraute sich in wichtigen Dingen noch
123 nicht immer dieser neuen, allzu reizenden Kraft nachzugeben, weil
124 es ihm unglaubhaft schien, daß irgend jemand, und nun sogar ein
125 junges Weib, seinem gewaltigen Erzeuger in etwas sollte überlegen
126 sein können. Demgemäß erwiderte er dem Pater Gumppenberg auf dessen
127 eindringlichen Vortrag, es sei ihm unbekannt gewesen, daß das Volk
128 der Einführung des neuen Heiligen so sehr entgegen sei; ein
129 vortrefflicher Künstler habe zwar den Entwurf zu einem Altare ihm
130 bereits vorgelegt, die Genehmigung habe er aber noch\pagenum{[99]}
131 nicht erteilt und werde die Sache einstweilen ruhen lassen, bis die
132 Vortrefflichkeit des vicentinischen Cajetan in Bayern besser
133 bekannt und bezeugt sein werde.
135 Ein wenig betreten begab er sich in das nach dem neuesten
136 italienischen Kunstgeschmack erst kürzlich fertiggestellte
137 Wohnzimmer seiner Gemahlin, bei der er zu seinem Troste Pater
138 Filiberto anwesend fand; denn obgleich dieser der Kurfürstin selbst
139 einflüsterte, was sie in bezug auf die Religion und die Geistlichen
140 ihrer Heimat verlangen solle, suchte er doch immer zu begütigen,
141 wenn der Kurfürst in seiner Gegenwart darüber verdrießlich wurde,
142 im Vertrauen darauf, daß der Streit sich hernach weiterspänne und
143 zu dem erforderten Zwecke führe. Henriette Adelaide nahm die
144 Botschaft ihres Mannes, die er unter mancherlei Scherzen
145 vorbrachte, unwillig entgegen und sagte: »Das kann ich am wenigsten
146 leiden, daß du deine eigene Einsicht geringer anschlägst als die
147 des Pater Gumppenberg, des ungeschlachten Dickschädels. Glichen
148 alle Menschen dir, so würde die Stadt München in Ewigkeit nichts
149 anderes werden als ein Häuflein bäurischer Hütten um die
150 barbarische Ausgeburt der Frauenkirche herum. Soll etwa jeder
151 Christ zwischen Spanien und Rußland zu jenem Benno beten, dessen
152 Knochen man in nordischen Urwäldern zwischen den Knochen von Bären
153 und Auerochsen zusammengelesen haben wird?«
155 »Er hat doch«, sagte Ferdinand Maria, »vor deinem Cajetan das
156 voraus, daß er ein regelrechter Heiliger ist, während jener, wie
157 ich höre, nur der Seligsprechung wert befunden wurde, ihm also doch
158 wohl etliche schätzenswerte Qualitäten abgehen müssen.«
160 »Das haben dir die Schelme weisgemacht!« rief Henriette Adelaide
161 heftig. »Die Heiligsprechung wird seinerzeit schon\pagenum{[100]}
162 erfolgen, und wenn Cajetan nur eine gute Tat getan hätte, die
163 beglaubigt ist, so gälte das mehr als hundert Wundertaten eines
164 Benno, die niemand mit angesehen hat, und von dem niemand beweisen
165 kann, ob er überhaupt gelebt habe.«
167 Hier legte sich Filiberto ins Mittel, indem er mit liebenswürdigem
168 Lächeln einschaltete, daß daran wohl kein Zweifel obwalten dürfe,
169 da Papst Hadrian im Jahre 1523 den würdigen Bischof und
170 Heidenbekehrer unter die Heiligen gestellt habe; indessen müsse er
171 auch bestätigen, was die Kurfürstin mit ihrem hohen Geiste bereits
172 festgestellt habe, daß die Heiligsprechung des Cajetan der
173 Seligsprechung sicher nachfolgen werde, so daß man sie schon für
174 geschehen annehmen könne. Er für seine Person müsse jedoch sagen,
175 wenn ihm eine Meinung gestattet sei, daß der Kurfürst
176 tiefdurchdachte Regierungsweisheit an den Tag lege, wenn er es
177 vermeiden wolle, durch stürmisches Vorgehen Ärgernis in seinem
178 treuen Volke zu erregen; die Kraft, die dem heiligen Cajetan
179 innewohne, sei so groß, daß sie sich selbst durchwirken und ihn bei
180 jedermann beliebt machen würde.
182 Es werde nie zu befürchten sein, sagte Henriette Adelaide, indem
183 sie den stolzen Mund ein wenig spöttisch verzog, daß ihr Gemahl
184 stürmisch vorgehen werde. Sie würde also darauf verzichten, die
185 vandalische Halle der Frauenkirche durch ein geläutertes Kunstwerk
186 verschönt zu sehen. Ihr könne es im Grunde gleich sein, da sie
187 diese Kirche, deren grobe nordische Bauart ihr nun einmal zuwider
188 sei, sowieso nicht besuche, und für die Theatiner und den heiligen
189 Cajetan könne anderweitig gesorgt werden, indem man ihnen eine
190 besondere Kirche baue, was denn besser und gründlicher sei als ein
191 bloßer, unwillig im fremden Raume geduldeter Altar. Sie warf diesen
192 überraschenden Plan nicht ohne\pagenum{[101]} Schelmerei hin, ließ
193 aber nur ein wenig davon aus den beredten Augen und von dem ernsten
194 Munde lächeln und trat voll Unbefangenheit an das Fenster, indem
195 sie sagte: »Es ist hier gegenüber Platz genug, um einen großen
196 Entwurf ins Werk zu richten. Eine weite Kuppel und ein paar
197 schmuckreiche Türme nach römischer Art wären mehr geeignet, unser
198 Auge zu erfreuen, als die Wüstenei, aus der wie die Buckel
199 erschöpfter Kamele hie und da ein paar steile Dächer steigen.«
200 Ferdinand Maria blickte zunächst nicht aus dem Fenster, sondern auf
201 die aufrechte Gestalt seiner Frau und sagte zwischen Erstaunen und
202 Bewunderung schwankend: »Meine Teure, du bist eine neue Semiramis,
203 und ich fürchte nur, daß mein armes München und vielleicht auch
204 dein armer Gatte dir zu klein seien. Wie soll ich eine Kirche
205 ausrichten, da ich schon mit dem Altar angestoßen habe?«
207 »Für den, der will,« entgegnete sie, »gibt es keine Hindernisse;
208 aber nicht ein jeder kann wollen.«
210 Der Beichtvater, dem es an der Zeit schien, die Gatten sich selbst
211 zu überlassen, pries sowohl die fürstliche Gesinnung seiner Herrin
212 wie die landesväterliche Bedächtigkeit des Kurfürsten, worauf er um
213 die Erlaubnis bat, sich zurückziehen zu dürfen.
215 »Möchtest du nicht auch lieber Beherrscher einer prächtigen Stadt
216 als eines veralteten Dorfes sein?« fragte Henriette Adelaide ihren
217 Gatten, als sie allein waren. »Wir genießen des Friedens, wir
218 können das Geld nach unserem Herzen ausgeben. Richten wir uns denn
219 eine schöne Wohnstätte her, wie sie uns behagt, nicht jenen
220 Mönchen, die keine Nasenlänge über ihren Rosenkranz hinausblicken
221 können.«
223 \pagenum{[102]}»Ach,« sagte der Kurfürst, indem er einen komischen
224 Seufzer ausstieß, »wenn ich bedenke, wie kurze Zeit wir in dieser
225 Wohnstätte bleiben werden, so scheint es mir, daß wir ein wenig zu
226 viel Lärm darüber vollführen, ob sie so oder so gestaltet ist.«
228 Die Kurfürstin maß sein feines junges Gesicht mit dem äußersten
229 Erstaunen und erst nach einer Minute mit aufgehendem Verständnis
230 seiner Rede. »Wenn du so willst,« sagte sie, »sollte man freilich
231 in Blockhäusern leben und nichts als Pyramiden zu dauerhafter
232 Versorgung seiner Leiche bauen.« Sie setzte sich bei diesen Worten
233 neben ihn auf die steife Lehne eines Damastsessels und küßte ihn
234 mit zärtlicher Behutsamkeit auf die wohlgebildeten roten Lippen.
235 »Du hast eine seltsame Art, das Leben anzusehen,« sagte sie, »mit
236 welcher man nicht viel ausrichten kann. Wer möchte denn Kinder
237 erzeugen, wenn man beständig vor Augen hätte, daß er sie vielleicht
238 morgen verlassen muß?«
240 Aus seinen dunklen Augen fiel ein warmer Strahl auf ihr lachend ihm
241 zugeneigtes, schönes Antlitz, und er sagte: »Du hast recht, weil du
242 stark und gesund bist und Gott und dir vertraust. Darum mag ich
243 auch entschuldigt sein, wenn ich dir schon mehr nachgegeben habe,
244 als deinem Fürsten und Eheherrn geziemt.« Unter mancherlei
245 Neckereien und Scherzen zog sie ihn an das Fenster, um ihm die
246 dürftige Umgebung zu weisen und den Einfall, den der Augenblick ihr
247 gebracht hatte, zu einem verlockenden Plane auszumalen. Obwohl das
248 Herz des Kurfürsten gestimmt war, sich durch die Unternehmungslust
249 seiner Gemahlin hinreißen zu lassen, so hielt er doch mit der
250 endgültigen Zustimmung vorsichtig zurück. Bei sich bedachte er, daß
251 sie beide vor seinem Volke anders dastehen würden, wenn er ihm erst
252 einmal einen\pagenum{[103]} Erben vorzustellen hätte, sprach dies
253 aber nicht aus, da er wohl wußte, wie übel sie es aufnahm, wenn man
254 sie daran wie an eine versäumte Schuldigkeit mahnte. Auch ging es
255 ihm zuweilen durch den Sinn, daß er vielleicht von Gott nicht
256 bestimmt sei, sich fortzupflanzen; denn er hatte sich von jeher im
257 Vergleich mit seinem bewunderten Vater als einen schwachen,
258 unwerten Sproß gefühlt; oder er dachte, daß es der Kurfürstin an
259 der rechten Liebe zu ihm fehle, und daß diese Ungeneigtheit der
260 Seele auch ihren Leib gegen ihn verschließe, so daß sie kein Kind
261 von ihm empfangen könne. Diese traurige Einbildung hatte er einmal,
262 einer wehmütigen Stimmung nachgebend, ihr gegenüber laut werden
263 lassen, da sie ihn aber ausgelacht und ihn einen Phantasten genannt
264 hatte, kam er nie wieder darauf zurück; im stillen hatte er
265 gehofft, sie werde ihm eine liebevollere Antwort daraus geben.
267 Die Zurückhaltung ihres Gemahls veranlaßte Henriette Adelaide
268 nicht, auf ihren Einfall zu verzichten; vielmehr schrieb sie ihrer
269 Mutter, der Herzogin von Savoyen, sie möge ihr ohne Säumen einen
270 erfahrenen Baumeister schicken, der die jüngsten Meisterwerke der
271 Kirchenbaukunst namentlich in Rom durch und durch studiert habe und
272 willens und fähig sei, seinen Geist auf eine außerordentliche
273 Erfindung dieser Art zu richten. Kaum war derselbe eingetroffen, so
274 mußte er den Platz, den sie ausgewählt hatte, besichtigen und die
275 Zeichnungen und Risse vorlegen, mit deren Besichtigung sie manche
276 Stunde in ihren Gemächern verbrachte, was alles den Personen, die
277 einige Wachsamkeit auf das öffentliche Leben richteten, nicht
278 verborgen blieb. Es währte nicht lange, so stellte sich Pater
279 Gumppenberg von neuem ein mit kummervoller Anfrage, ob es denn
280 \pagenum{[104]}an dem sei, daß dem seligen Cajetan nunmehr nicht
281 nur ein Altar, sondern ein ganzer Kirchenbau errichtet werden
282 solle, und zwar dem Schlosse preislich gegenüber, gerade als ob ein
283 sonderbares Einvernehmen zwischen dem Kurfürsten und dem
284 landsfremden Neuling bestehe? Was für Ursache denn der Kurfürst
285 habe, mit den bewährten Schutzheiligen des Bayerlandes, die bisher
286 alles so wohl geführt hätten, unzufrieden zu sein oder ihnen einen
287 hohlen Namen von jenseits der Berge vorzuziehen?
289 In dem Bestreben, die Verlegenheit, die ihn überkam, nicht merken
290 zu lassen, winkte Ferdinand Maria beruhigend mit der Hand und sagte
291 mit nachdrücklicher Unbefangenheit, da sei kein Anlaß zu Mißtrauen
292 und Empfindlichkeit! Die Sache sei so: Er habe dem heiligen Cajetan
293 gelobt, wenn ihm durch seine Fürbitte ein Erbe geschenkt werde, so
294 wolle er ihm unweit seiner Residenz eine Kirche aufrichten, so
295 schön er irgend vermöge, und damit er, wenn es so weit sei, sein
296 Wort lösen könne, habe er einstweilen die Örtlichkeit besichtigen
297 und einen Voranschlag machen lassen, so daß der Bau ohne
298 Zeitverlust könne in Angriff genommen werden, wenn der Erbe da
299 sei.
301 Bei sich selbst lachte der Kurfürst über die stattliche Antwort,
302 die ihm in der Not eingefallen war, und die den strengen Pater
303 augenscheinlich verblüffte und verstummen machte; allein er erholte
304 sich geschwind und ließ nun eine verdoppelte Mißbilligung und
305 strafenden Eifer ohne Hehl merken. Es habe zwar, sagte er, gewiß
306 dem Kurfürsten Gott eingegeben, daß er durch ein frommes,
307 christkatholisches Gelübde sich den Segen der Nachkommenschaft
308 erflehen wolle; wie er es aber verantworten wolle, von den Übungen
309 seiner löblichen Vorfahren eigenmütig\pagenum{[105]} abzuweichen?
310 Auch seine hochselige Mutter, die gottergebene Kurfürstin Maria
311 Anna, habe bei dem ehrwürdigen Alter ihres Gemahls um die
312 Fruchtbarkeit ihrer Ehe besorgt sein müssen; sie habe aber ihre
313 Zuflucht nicht zu ausländischen Meerwundern genommen, sondern sei
314 in Demut und Sitte nach Alt-Ötting gepilgert und habe der hölzernen
315 Maria in der alten Kapelle viele auserlesene Kostbarkeiten
316 gestiftet, worauf sie denn zum Troste des ganzen Bayerlandes
317 schwanger geworden sei und ihn selbst, Ferdinand Maria, geboren
318 habe. Wenn seine Gemahlin dem Beispiel seiner erlauchten Mutter
319 folgen wollte, so würden die erprobten Heiligen und Fürbitter an
320 ihr gewiß kein geringeres Wunder als an jener vollziehen, und die
321 bekümmerten Untertanen würden, der Sorge entledigt, wieder ruhig in
322 ihren Betten schlafen können. Wenn dann die erwartete Gnade nicht
323 einträfe, möchte die Kurfürstin es immerhin mit ihren einheimischen
324 Patronen versuchen, er würde der erste sein, seine Gebete zum
325 Gedeihen des Werkes mit denen der geliebten Herrschaft zu
326 vereinigen.
328 Das Heranziehen seiner in Gott ruhenden Eltern bewegte das Gemüt
329 des Kurfürsten so sehr, daß er für den Vorschlag des Pater
330 Gumppenberg völlig gewonnen wurde und erst, als dieser fortgegangen
331 war, mit leisem Bangen den Widerstand seiner Frau in Betracht zog.
332 Freilich zog sie die feinen schwarzen Brauen ärgerlich zusammen,
333 aber mehr deswegen, weil das Unternehmen nicht von ihr oder ihrem
334 Beichtvater ausgegangen war, als weil sie ihre Pflicht verkannt
335 hätte, dem Lande einen Kurprinzen zu geben und alles Erdenkliche zu
336 tun, um das hohe Ziel zu erreichen. Auch hätte ihr eine schöne
337 Wallfahrt, etwa nach Loreto, als das rechte Mittel voll
338 eingeleuchtet; aber daß ein\pagenum{[106]} armseliger bäurischer
339 Ort wie Alt-Ötting für eine Person ihrer Art das Angemessene sei,
340 hielt sie nicht für wahrscheinlich und lehnte dies mit
341 Entschiedenheit ab, ohne jedoch die Sache selbst von der Hand zu
342 weisen. Schließlich erklärte sie sich bereit, nach Andechs zu
343 pilgern, welches zwar bei weitem wilder und wüster gelegen war als
344 Alt-Ötting, für sie aber den Vorzug hatte, daß es ihr nicht von den
345 Kapuzinern aufgedrängt, sondern aus freien Stücken von ihr erwählt
346 war. Ebenso widersetzte sie sich allen anderen Anordnungen, die
347 Pater Gumppenberg zu vorschriftsmäßiger Veranstaltung der Reise für
348 nötig hielt. Er sagte nämlich, den letzten, beschwerlichen Aufstieg
349 zum heiligen Berg, welcher etwa eine Stunde dauerte, müsse die
350 Beterin allein, ohne ihr Frauenzimmer oder sonstige Begleiter
351 ausführen, damit aber keine Besorgnis über ihr Wohlergehen in
352 dieser Wildnis aufkommen könne, wolle er ihr als Wegweiser und
353 Beschützer einen Bruder seines Ordens mitgeben; denn einen
354 geistlichen Gesellschafter bei sich zu haben, sei ihr nicht nur
355 nicht verboten, sondern empfohlen.
357 Entrüstet sagte Henriette Maria, das Umherfahren in dem öden
358 Gebirgslande verspreche ohnehin keine Kurzweil, durch einen
359 Begleiter aus dem Orden, der ihr nun einmal widerwärtig sei, werde
360 es ihr vollends unerträglich gemacht, sie wolle ihren Beichtvater,
361 Pater Filiberto, mitnehmen, an den sie gewöhnt sei, und zu dem sie
362 Vertrauen habe. Gegen diesen wendete der Kurfürst ein, daß er Land
363 und Leute nicht kenne und nicht einmal der deutschen Sprache
364 mächtig sei; sie solle sich doch den Bruder, den Pater Gumppenberg
365 für sie ausgelesen habe, wenigstens einmal ansehen, es werde gewiß
366 ein bescheidener, verständiger Mann sein, der ihr nicht lästig
367 fallen werde.
369 \pagenum{[107]}Die Kurfürstin erstaunte nicht wenig, als sich ihr
370 bald darauf ein schöner Jüngling vorstellte mit einem Kranz
371 bläulich-schwarzer Haare um die breite, kindliche Stirn, mit Augen,
372 deren dunkelbraune Farbe eine starke Flamme zu verhüllen schien,
373 mit gerader Nase und schönem, großem Munde, der selten lächelte,
374 dann aber unversehens eine volle Perlenreihe gelblich-weißer Zähne
375 sehen ließ. Auf ihre Fragen teilte er mit, daß er aus dem südlichen
376 Tirol stamme und der jüngste Sohn adeliger Eltern sei, die ihn für
377 das Klosterleben bestimmt hätten. Sein Benehmen war, wenn auch
378 nicht höfisch, so doch voll sicherer Würde, die auf gutem Blute und
379 unantastbarer Unschuld zu beruhen schien. Er war in Blicken und
380 Worten bei aller Ehrerbietung so zurückhaltend, daß Henriette
381 Adelaide kaum wußte, wie sie ihn ermuntern sollte; denn sie fühlte,
382 daß sein kindlich strenger Sinn weder ihrem weiblichen Reiz noch
383 ihrer fürstlichen Hoheit zugänglich war, und fürchtete ebensosehr
384 seine Reinheit zu verwirren, wie sie wünschte, in seiner Seele
385 irgendeinen Widerhall zu erregen. Ihrem Gemahl sagte sie in guter
386 Laune, daß sie nicht geglaubt hätte, in einer Kapuzinerkutte könne
387 sich ein so hübscher, wohlerzogener Jüngling verstecken; sie habe
388 nichts an ihm auszusetzen, als daß er allzu schweigsam sei,
389 vielleicht indessen sei das Fräulein La Perouse, ihr erstes
390 Kammerfräulein, das sie nebst mehreren anderen mitzunehmen
391 beabsichtige, fromm genug, um von ihm eines Gespräches wert
392 gehalten zu werden. Der Kurfürst war hocherfreut, daß sich das
393 Unternehmen so friedlich und aussichtsvoll ordnete; doch ließ er
394 die Gesellschaft nicht abreisen, ohne ihr einen Teil seiner
395 Leibgarde zum Schutze beigeordnet zu haben unter der Führung ihres
396 Kapitäns, des Chevaliers La Perouse, der der genannten Hofdame
397 Bruder war.
399 \pagenum{[108]}Das Geschwisterpaar entstammte einer uralten,
400 französischen, in Savoyen ansässigen Familie, beide waren um
401 mehrere Jahre älter als Henriette Maria und seit sie denken konnten
402 am Turiner Hofe beschäftigt und beliebt. Beide waren in großer
403 Frömmigkeit erzogen, was bei dem Fräulein so gewirkt hatte, daß sie
404 trotz angeborener Lebhaftigkeit sich jede Lustbarkeit versagte und
405 auch die schuldloseste Ausgelassenheit, zu der Jugend und
406 Gelegenheit sie einmal fortrissen, durch anhaltende Bußübungen
407 wieder einzubringen suchte, bis sie zuletzt ein gedrücktes, leicht
408 geängstetes Wesen erhielt, aus dem die Wärme ihrer Natur zuweilen
409 rührend hervorbrach. Ihr Bruder hatte im militärischen Dienst und
410 bei den Gepflogenheiten des männlichen Lebens die klösterliche
411 Strenge aus dem Kinderdasein beiseitegesetzt und vergessen, nur daß
412 er die erlernten Formen getreulich beobachtete und das ganze
413 Glaubenswesen bei den Frauen seiner Familie und denen des achtbaren
414 Umgangs überhaupt als vornehmstes Erfordernis voraussetzte. Die
415 Kurfürstin war nach seinem Gefühl unter allen Frauen die in jedem
416 Betracht vollendetste, und seine Verehrung für sie war so
417 unbedingt, daß selbst der Kurfürst vor seinem rächenden Schwert
418 nicht sicher gewesen wäre, wenn er sie durch ihn verletzt gewußt
419 hätte.
421 Der Weisung gemäß, die er vom Kurfürsten empfangen hatte, hielt
422 sich der Chevalier mit seinen Leuten immer ein Stück von dem Wagen
423 entfernt, der seine Herrin einschloß, doch so, daß er das
424 umfangreiche Gefährt nie ganz aus den Augen verlor. Zuweilen sah
425 er, wie der Sommerwind, der über die Hochebene spielte, einen
426 lichten, aus dem Wagenfenster hängenden Schleier hob und gegen den
427 braunen Umhang des Kapuziners trieb, der zu Pferde neben der
428 \pagenum{[109]}Kutsche einherritt, oder ein helles Lachen der
429 Fürstin überzeugte ihn, daß sie einstweilen mit dem Verlauf ihrer
430 Wallfahrt nicht unzufrieden war. In Herrsching, wo im größten
431 Bauernhofe übernachtet wurde, lud Henriette sowohl den Chevalier
432 wie den Mönch ein, die Abendmahlzeit in ihrer und ihrer Fräulein
433 Gesellschaft einzunehmen; es wurde dazu eine Tafel vor dem Hause
434 gedeckt, von wo man das allgemach untertauchende Sonnenfeuer
435 rötliche Farben über den dämmernden See ergießen und das Leuchten
436 der fernen Alpen langsam in den Abend versinken sah. Der ländliche
437 Tisch war mit dem in einem Wagen mitgeführten fürstlichen
438 Silbergeschirr und Leckereien beladen, feingebackenem Brot, Obst,
439 Wein und Süßigkeiten; einzig die gebackenen Fische, den edeln
440 Amaul, den Kilch und die geschätzte Bodenrenke, lieferte der Wirt
441 als Erzeugnisse seines Landes. Das appetitliche Essen würzte die
442 Kurfürstin durch die fröhliche Laune, mit der sie ihrem alten
443 Freund und Diener La Perouse wiedererzählte, was der Mönch ihr
444 unterwegs von den Wundern des Heiligen Berges erzählt hatte: wie,
445 während zwischen den Andechsern und den Wittelsbachern eine Fehde
446 wütete, die Mönche alle Reliquien so gut und tief verscharrten, daß
447 sie in der Folge nicht wiedergefunden werden konnten, bis nach
448 vielen Jahren, als gerade ein Franziskaner die Messe feierte, eine
449 Maus über den Altar sprang, zwischen den Zähnen einen
450 Pergamentstreifen tragend, auf welchem nicht nur sämtliche
451 Reliquien, die diesen Wallfahrtsort einst berühmt gemacht hatten,
452 sondern auch der Ort ihres Verstecks verzeichnet waren.
454 Jetzt erst bemerkte der Chevalier, was für ein schöner Jüngling der
455 Mönch war, den er bisher nur flüchtig in Augenschein genommen
456 hatte, und auch mit wieviel zarter\pagenum{[110]} und bescheidener
457 Fürsorge die Kurfürstin ihn behandelte. Dies war nun freilich nicht
458 merkwürdig, insofern der junge Mann eine geistliche Person war,
459 allein bei seiner Schönheit fiel es schwer, sich dessen bewußt zu
460 bleiben, und der Chevalier ertappte sich immer wieder darauf, daß
461 er sich hinter dem unbekannten und unberühmten Jüngling
462 zurückgesetzt fühlte. An ihm war indessen kein Fehler irgendwelcher
463 Art zu entdecken: er aß mäßig, trank nichts als Wasser und blickte
464 mit unbefangenem Ernst auf seinen Teller, wenn er nicht der
465 Kurfürstin auf eine Anrede Auskunft zu geben hatte.
467 Den letzten Teil des Weges, der sich zwischen Tannen an einem
468 wildabrauschenden Bache steil hinaufwand, wollte die Kurfürstin mit
469 ihrem geistlichen Begleiter zu Fuß zurücklegen; da jedoch die
470 Frauenzimmer dringend baten, den Heiligen Berg gleichfalls
471 besteigen zu dürfen, und der Chevalier sich in ritterlicher
472 Ehrerbietung weigerte, die ihm Anvertraute ganz ohne Schutz der
473 Waffen zu lassen, gab sie allen die Erlaubnis, ihr in einiger
474 Entfernung nachzugehen, und schritt tapfer voraus, ohne sich um ihr
475 Gefolge zu bekümmern. Der Chevalier bekam sie erst am späten
476 Nachmittage wieder zu Gesicht, als sie alle die vorgeschriebenen
477 Gebete und die Verehrung der berühmtesten Reliquien vollendet hatte
478 und sich zum Abstieg anschickte. Sie war von der herben Luft und
479 der Anstrengung des Steigens gerötet, und es schien ihm, als blicke
480 sie zerstreut an ihm vorüber, wie es sonst nicht ihre Art war.
481 Obwohl an dem Kapuziner im Gegensatz zu ihr keine Spur von Erregung
482 wahrzunehmen, die bräunlichblasse Farbe seines edlen Gesichtes
483 unverändert, seine Miene ebenso kindlich strenge wie zuvor war, so
484 konnte der Chevalier doch eines\pagenum{[111]} feindseligen
485 Verdachtes nicht Herr werden, als habe er ihren Stolz und ihre
486 Überlegenheit durch irgendeine unerlaubte Einwirkung ins Wanken
487 gebracht. Während des Abendessens, das im selben Bauernhofe von
488 Herrsching verzehrt wurde, neckte die Fürstin ihn mehrmals, er habe
489 solchen Ernst auf die Wallfahrt gestellt, daß ihm das Lachen
490 abhanden gekommen sei und er künftig nur noch zu einem Führer auf
491 Pilgerfahrten taugen werde, und wenn er auch die Scherze sich
492 höflich und untertänig gefallen ließ, schnellte er doch unversehens
493 einen scharfen, zürnenden Blick auf sie, der sie befremdete und
494 leise in sich erschauern machte. Sie erhob sich zeitiger als am
495 vergangenen Tage von der Tafel, indem sie sagte, in dieser
496 unwirtlichen Gegend sei der Abend feucht und frostig, sie wolle mit
497 ihren Frauen das Lager aufsuchen, die Männer möchten es halten, wie
498 sie wollten.
500 So kam es, daß der Chevalier mit dem Kapuziner alleinblieb, der
501 sein Brevier aus einer Tasche seiner Kutte zog und, die
502 langbewimperten Lider über die umflorte Flamme seiner Augen
503 senkend, still für sich zu lesen anhub. Bei diesem Anblick schwoll
504 der schlecht bemeisterte Unwille des La Perouse so an, als sollte
505 er ihm die Brust zersprengen; wider sein Gewissen, das ihn
506 zurückhalten wollte, machte er seine Stimme stark und sagte
507 unvermittelt zu dem Lesenden: »Ihr habt da einen kurzweiligen
508 Auftrag von Euerem Kloster empfangen! Es muß eine Wonne für einen
509 jungen Mann sein, mit einer schönen Dame wie die Kurfürstin durch
510 die Wildnis zu lustwandeln.« Der Angeredete hob seine Augen ruhig
511 von dem Brevier auf und sagte: »Die Kurfürstin würde schöner sein,
512 wenn sie glücklicher, und glücklicher, wenn sie gehorsamer wäre.«
514 \pagenum{[112]}Die unerwartete Antwort versetzte den Chevalier in
515 ein so großes Erstaunen, daß er eine Weile still und steif auf
516 seinem Sitze blieb und erst, als der Kapuziner sich schon wieder
517 zum Lesen anschickte, gedämpfter als zuvor fragte, wie diese Worte
518 zu verstehen seien: Was einer so hochgestellten Dame zum Glück
519 fehle, und wer von ihr Gehorsam verlangen könne?
521 Der junge Mönch richtete die Augen seinerseits verwundert auf den
522 Kapitän und sagte: »Wäre sie glücklich, hätte sie die Wallfahrt
523 nicht zu machen brauchen, und wenn sie Gott widerstrebt, dem auch
524 die Kaiser und Könige unterworfen sind, wird ihr auch dieser
525 Bittgang nicht anschlagen; denn Gott vollbringt zwar Wunder, aber
526 nicht wider die Natur, und wird sie kein Kind gebären lassen, ohne
527 daß sie es zuvor empfangen habe. Wenn nun Gottes Ratschluß nicht
528 ihren Gemahl, sondern einen anderen dazu auserwählt hat, so sollte
529 sie nach dem Vorbild der allerseligsten Jungfrau Maria sich dem
530 Herrn unterwerfen, wohingegen sie sich störrisch erweist und durch
531 keinen als den Kurfürsten Mutter werden will.« Dunkelrot vor Zorn
532 sprang der Chevalier auf und rief drohend: »Ihr hingegen würdet
533 gehorsam sein und Euch nicht weigern, wenn Gott Euch zu diesem Werk
534 auserwählt haben sollte?«
536 Jetzt errötete auch das Marmorgesicht des Jünglings ein wenig, und
537 er sagte mit stolzer Gebärde abweisend: »Mich, einen Gottgelobten,
538 kann Gott dazu nicht befehlen. Ich habe der Fürstin die Meinung der
539 Kirche erklärt; eine andere Pflicht hat die Welt nicht von mir zu
540 fordern. Diene ich auch, soweit ich frei bin, Reichen und Armen mit
541 meinem Leben, so seid ihr alle doch, soweit ich Gottes bin, meiner
542 nicht mächtig.«
544 \pagenum{[113]}Dem Kapitän war so zumute, als wenn die Ordnung der
545 Dinge, so wie sie bis jetzt in seinem Kopfe gewesen war, sich
546 durcheinanderzudrehen begänne. Er hätte glauben mögen, daß der
547 Kapuziner ein Einfältiger sei, aber wenn auch aus seinem schönen
548 Gesichte nicht gerade überflüssiger Verstand sprach, so glänzte
549 doch in diesem Augenblick eine edle Entrüstung darauf, der
550 gegenüber er sich seines unsittlichen Argwohns schämte. »Verzeiht
551 mir,« sagte er, ihm gutmütig die Hand reichend; »Ihr habt mit
552 unserem Treiben nichts zu schaffen und seid wohl deshalb um so
553 glücklicher. Erlaubt mir aber, daß ich Euch um eine Erklärung
554 bitte: Wenn die Ehe ein Sakrament ist, wie kann die Kirche den
555 Ehebruch anraten oder billigen? Wir sind Katholiken, nicht aber
556 Ketzer oder Heiden!«
558 Den inständigen Blick des Chevalier freimütig erwidernd, sagte der
559 Bruder, hier handle es sich eben um keinen Ehebruch, insofern als
560 Gott, um dem kurfürstlichen Hause Erben zu schenken, was sonst
561 Sünde sei, in Recht umwandle. Wie dies möglich sei, das sei für
562 Menschen unfaßbar und könne auch von der Kirche nur ausgelegt,
563 nicht in seinem Wesen erklärt werden.
565 Woran man denn aber erkennen könne, fragte der Chevalier lebhaft,
566 wer der Gottgesandte sei? Könne sich nicht ein jeder für den
567 Auserwählten halten und der Kurfürstin mit strafbaren Gelüsten
568 nachstellen? »Wo strafbares Gelüsten ist,« sagte der Mönch ernst,
569 »da ist die Hand Gottes nicht. Wen der Geist treibt, den verwirren
570 keine Zweifel.« Nachdem er das gesagt hatte, beugte er sich mit
571 einer nachdrücklichen Wendung über sein Brevier, als wolle er zu
572 verstehen geben, daß er die Auseinandersetzung hiermit für beendet
573 halte.
575 \pagenum{[114]}Die Nacht brachte der Chevalier ohne Schlaf zu und
576 sah am folgenden Morgen bleich und hohlwangig aus, was an dem
577 blühenden Manne etwas so Auffälliges war, daß die Kurfürstin wieder
578 Gelegenheit nahm, ihn zu necken, während die Frühsuppe eingenommen
579 wurde. Wieder empfing sie neben der in angemessener Untertänigkeit
580 gegebenen Erwiderung den stolzen Blick, der sie seltsam
581 durchschauerte, obwohl sie sich anstellte, als habe sie ihn gar
582 nicht aufgefangen. Bei der Rückfahrt führte er seine Leibwache in
583 einiger Entfernung der Kutsche nach und sah den Kapuziner zu
584 Pferde, wie er den Kopf in sein Brevier neigte und ihn nur zuweilen
585 wendete, um einer Anrede der Kurfürstin zu entsprechen; ihr Lachen
586 indessen hörte er nicht so hell und häufig wie auf dem Hinwege, was
587 der Ermüdung zuzuschreiben sein mochte.
589 Als man wieder in der Residenz angelangt war, wurde der Kapuziner
590 von dem kurfürstlichen Paare liebreich und ehrerbietig entlassen,
591 war aber nicht zur Annahme eines anderen Geschenkes zu bewegen als
592 einer dem Kloster zu überweisenden Stiftung, die den Armen
593 zugutekommen sollte. Er sprach zugleich mit seinem Dank den Wunsch
594 aus, Gott möge die Wallfahrt der hohen Frau an ihrem Leibe segnen,
595 wobei sie ein wenig errötete, während der anmutige Ernst seiner
596 Miene sich nicht um einen Hauch veränderte.
598 Auch Pater Gumppenberg und Pater Wildgruber forschten vergeblich,
599 während sie den Bericht ihres jungen Abgesandten entgegennahmen,
600 nach der Spur eines Eindrucks, den die merkwürdige Reise ihm
601 hinterlassen habe. »Ich fürchte, wir haben kein Glück mit dem
602 jesuitischen Systema,« sagte Pater Gumppenberg nachdenklich: »ein
603 biderbes, altdeutsches Gemüt tut nicht wohl, sich mit den
604 spanischen Kniffen abzugeben.«
606 \pagenum{[115]}»Eben darum«, sagte Pater Wildgruber, »hatten wir
607 doch den Tiroler Buben ausgelesen! Mit diesem muß es einen Haken
608 haben, und wenn mich nicht alles trügt, sitzt derselbe in seinem
609 Verstande, sei es nun, daß er zu dumm oder nicht dumm genug für
610 eine so heikelige Konstellation ist.«
612 Während die Väter sorgenvoll den Erfolg der Wallfahrt erwarteten,
613 hatte der Chevalier La Perouse scharfe Schlachten in seiner Brust
614 geschlagen; denn die Leidenschaft für die Kurfürstin, die ihn
615 ergriffen hatte, nahm täglich zu und war um so schwieriger zu
616 bekämpfen, als sein Amt ihn in ihrer Nähe hielt. Es entging ihm
617 nicht, daß das Feuer, das in ihm wütete, auch sie erfaßte und ihre
618 Würde und ihren Hochmut schmolz, so daß sie auf Augenblicke wie
619 erweichtes Wachs erschien, das durch seine Hand geformt werden
620 sollte. Freilich war sie wiederum herb und launisch, wie sie es nie
621 zuvor gegen ihn gewesen war, und legte es darauf ab, ihn durch
622 nichtachtende Behandlung zu reizen. Eines Abends, als sie ihn, der
623 bestellt war, eine Partie Tricktrack mit ihr zu spielen,
624 ungebührlich lange im Vorzimmer hatte warten lassen, weil sie mit
625 ihrem Musikmeister den Entwurf zu einer Oper durchgenommen habe,
626 und er, ohnehin von Leidenschaft erregt und glühend, sich über die
627 Vernachlässigung beklagte, sagte sie: »Bei der Arbeit vergaß ich,
628 daß ich mit Euch spielen wollte,« und betonte die Worte so, daß er
629 den herabsetzenden Sinn wohl verstand, den sie hineinlegen wollte.
630 Seine Stirn färbte sich dunkelrot, und indem er rasch auf sie
631 zutrat, herrschte er sie drohend an: »Aber ich vergaß nicht, daß
632 ich Euch besiegen wollte!«, riß sie an sich und küßte sie so
633 gewaltsam, als ob er sie zermalmen wollte. Mit erlöschendem und
634 todesseligem Herzen ertrug sie die liebkosende Mißhandlung und war
635 ihrer sich kaum noch\pagenum{[116]} bewußt geworden, als er sie
636 freigab, vor ihr niederkniete und sagte: »Nun lege ich mein Haupt
637 vor Eure Füße.« Die Brust noch ungestüm wogend, das Antlitz bleich,
638 erschien er ihr herrlicher als je zuvor; Tränen brachen aus ihren
639 Augen, und mit bebender Stimme sagte sie: »Ich bin die Schuldige!«,
640 worauf sie schnellen Schrittes das Zimmer verließ.
642 Unter bitteren Schmerzen erkämpfte Henriette Adelaide am nächsten
643 Tage den Entschluß, den unseligen Mann zu sich zu befehlen und ihn
644 mit angemessenen Worten in die Stellung zurückzuweisen, die ihrer
645 und seiner Würde und Ehre entsprächen; jedoch, sowie sie ihn
646 eintreten sah, mit dem sieghaften Blick in den großen Augen, mit
647 den Händen, die, fein und gepflegt, sie doch grausam angefaßt und
648 ihr Schmerz zugefügt hatten, erlahmte ihre mühsam gesammelte Kraft
649 sogleich, und anstatt einer Herrin stand sie ihm, einer Sklavin
650 nicht ungleich, gegenüber. Ein solches Gefühl hatte sie noch
651 niemals vorher empfunden, und es war ein Rausch für sie, sich ihm
652 hinzugeben, in welchem Zustande es ihr erschien, als sei sie jetzt
653 in den Mittelpunkt des Lebens gerissen worden. War er nicht bei
654 ihr, so fühlte sie sich zwar geängstigt und gequält; allein sie
655 brauchte sich nur die Empfindung zu vergegenwärtigen, mit der sie
656 die Wange an seine Schulter schmiegte, um über jeden Zwiespalt hoch
657 emporgehoben zu werden.
659 Voll Sorge und Schrecken bemerkte das Fräulein La Perouse, was
660 vorging; ihr Bruder, an den sie sich mit flehenden und drohenden
661 Vorstellungen wendete, verwies ihr die Einmischung, und der
662 Kurfürstin gegenüber wagte sie keine Andeutung zu machen. Sie wußte
663 in ihrer Not kein anderes Hilfsmittel, als in der Kirche oder in
664 ihrem\pagenum{[117]} Schlafgemach vor dem Betpult zu weinen und zu
665 beten, und durch ihre Anwesenheit, zu der ihr Amt als
666 Kammerfräulein ihr Anlaß gab, den beiden Frevlern das Alleinsein zu
667 erschweren. Das verweinte Gesicht ihrer Gesellschafterin trug dazu
668 bei, die Kurfürstin trübe zu stimmen, wenn sie von dem Gegenstand
669 ihrer Leidenschaft entfernt war. Vor allem aber ergriff sie der
670 Anblick ihres Gemahls, so daß ihr zuweilen, wenn sie bei den
671 Mahlzeiten ihm gegenübersaß, Tränen in die Augen traten, ohne daß
672 sie einen Grund dafür angeben konnte. Eine solche Reizbarkeit war
673 ihr früher nicht eigen gewesen, da im Gegenteil der Strahlenglanz
674 ihres Blickes noch selten durch Weinen verwischt worden war, und
675 der Kurfürst besorgte ernstlich, ihre Gesundheit könne etwa bei der
676 Wallfahrt Schaden gelitten haben. Überhaupt, dachte er, hätte er
677 sie nicht dazu veranlassen sollen, weil vielleicht der Gedanke für
678 sie belastend sei, daß sie ihn im Hinblick auf den mangelnden Erben
679 enttäusche.
681 Eines Tages begab es sich, daß der Kurfürst, um seine Gemahlin zu
682 zerstreuen, sie einlud, ihn in den Grottenhof zu begleiten, wo die
683 beschädigte Figur einer Nymphe durch italienische Arbeiter
684 wiederhergestellt wurde. Ein etwa dreijähriges Kind, das zu diesen
685 gehören mochte, spielte am Rande des Beckens, aus dem die Schale
686 mit der Statue des Perseus aufsteigt, und bückte sich eben mit
687 ganzem Leibe so tief über das Wasser, daß der Kurfürst, im Gefühl,
688 es sei in Gefahr hineinzufallen, es rasch ergriff und auf seinen
689 Arm hob. Sogleich eilte einer von den Arbeitern erschrocken hinzu,
690 entschuldigte die Anwesenheit des Kindes und wollte es dem
691 Kurfürsten abnehmen; der jedoch machte eine beschwichtigende
692 Bewegung mit der Hand, als bedürfe es der\pagenum{[118]}
693 Entschuldigung nicht, und nickte dem Kinde zu, das über den
694 plötzlichen Eingriff des fremden Mannes zunächst ein wenig
695 entrüstet zu sein schien. Seine Versuche, mit ihm zu spielen, ließ
696 es sich gefallen, ohne sie gerade zu billigen, und betrachtete ihn
697 trotzig und aufmerksam untersuchend, wobei es einen mit Rubinen und
698 Diamanten besetzten Knopf entdeckte, der nebst anderen ähnlichen
699 sein Gewand schmückte. Nachdem es ihn eine Weile mißfälligen
700 Blickes angesehen hatte, ergriff es ihn plötzlich mit einer seiner
701 kleinen schmutzigen Hände und riß ihn, sich kräftig gegen die Brust
702 des Kurfürsten stemmend, mit entschlossenem Ruck los. Der Kurfürst
703 lachte, drückte einen Kuß auf den kleinen trotzigen Mund des Kindes
704 und sagte: »Behalte diesen, aber die anderen lasse mir!« worauf er
705 es niedersetzte und dem Vater empfahl, es besser zu beaufsichtigen,
706 damit es nicht in das Wasser falle.
708 Im Weitergehen schob Henriette Adelaide leise ihren Arm in den
709 ihres Mannes, und als sie im Münzhof angekommen waren, der kalt und
710 stillag, ergriff sie seine Hand, zog sie zärtlich und demütig an
711 ihre Lippen und sagte: »Nur dich habe ich lieb! nur dich, nur
712 dich!« mit anschmiegender Stimme. Nach einem Augenblick der
713 Überraschung zog er sie rasch an sich, küßte sie und sah ihr ins
714 Gesicht, wobei er wahrnahm, daß ihre Augen feucht waren, und
715 fühlte, daß ihr Herz unruhig klopfte. Wie sie so standen, kam ihr
716 der Gedanke, daß sie dem schmählichen Zustande, in dem sie lebte,
717 jetzt ein Ende machen müsse, bevor ihr die Kraft dazu wieder
718 entfiele, und sie sagte, den Arm ihres Mannes fest umfassend: »Ich
719 möchte dir, lieber Freund, den Vorschlag zu einer Veränderung in
720 meinem Hofstaate machen. Du weißt, daß mein Vater mir den
721 \pagenum{[119]}Chevalier La Perouse als Oberhofmeister mitgab, da
722 ich ihn seit meinen Kinderjahren kenne und an seinen Umgang gewöhnt
723 bin. Nun scheint es mir aber, daß für einen Mann seiner Art dies
724 Amt zu höfisch und weichlich ist, und daß er sich nach der
725 rühmlicheren Laufbahn des Soldaten sehnt, und ich möchte ihn in so
726 berechtigten Wünschen nicht hindern, vielmehr fördern.«
728 Der Kurfürst sah sie groß an und sagte mit fester Stimme: »Es ist
729 mir vor einiger Zeit einmal aufgefallen, daß La Perouse einen Blick
730 auf dich warf, der einem Funken glich. Hängt dein Gesuch mit der
731 Gefahr zusammen, die das Umherfliegen zündenden Stoffes mit sich
732 bringt?«
734 Sie erwiderte tapfer, indem sie sich ein wenig aufrichtete und den
735 Kopf hob: »Ja, so ist es,« und wollte die Bitte hinzufügen, er möge
736 den Chevalier nicht ein Gefühl entgelten lassen, das sie sich
737 anklagen müsse, nicht im Keim unterdrückt zu haben. Er jedoch
738 unterbrach sie, indem er sagte: »Was ich nicht gesehen habe, ist
739 nicht. Der Chevalier hat keine andere Schuld als jenen Blick, den
740 ich zufällig aufgefangen habe, und diese vergebe ich ihm.« In
741 seinem Wesen und seiner Haltung lag, wie er das sagte, etwas
742 Königliches, das Henriette Adelaide schweigen machte; sie lehnte
743 sich still an ihn, worauf er mit herzlicher Sicherheit einen Kuß
744 auf ihre Stirn drückte und ihr, durch das Antiquarium schreitend,
745 die Herkunft und den Wert verschiedener Kunstmerkwürdigkeiten
746 erklärte, die dort aufgestellt waren, ohne daß eines von ihnen die
747 schaurige Kälte empfunden hätte, die bei der herbstlichen
748 Jahreszeit in dem breiten Gewölbe herrschte.
750 Seit diesem Tage war der Kurfürst von zuversichtlichem Frohsinn
751 beseelt, und wenn er ohnehin stets bedacht war,\pagenum{[120]}
752 seine Gemahlin zu erfreuen, so legte er es jetzt vollends darauf
753 ab, den leichten Schleier von Niedergeschlagenheit von ihr
754 abzulösen, der die stolze Heiterkeit ihres Wesens seit einiger Zeit
755 verhüllte. Zu dem Zweck ermunterte er ihre frühere Baulust und
756 begann von der Kirche des heiligen Cajetan zu sprechen, die sie
757 hatte begründen wollen, was denn auch nicht verfehlte, ihre
758 Teilnahme zu erregen und ihre Unternehmungslust anzuschwellen. Bald
759 lag ihr künstlich eingelegter Tisch aus Lapislazuli und Korallen,
760 dessen Fläche ein dunkelblaues, von scharlachroten Segeln
761 durchflammtes Meer darstellte, voll von den Plänen römischer
762 Kirchen und den neuen Entwürfen des italienischen Baumeisters, die
763 den Sommer über in Vergessenheit geraten waren, und es wurde
764 beschlossen, sowie die günstige Frühlingszeit einträte, mit der
765 Arbeit zu beginnen.
767 Als im Scheine der kräftigen Maisonne auf dem der Residenz
768 gegenüberliegenden freien Platze ein frohgemächliches Hantieren von
769 Arbeitern sich zu entfalten begann und das Volk von der
770 jesuitischen Kirche munkelte, die dort errichtet werden sollte,
771 schürzte sich Pater Gumppenberg noch einmal und erschien mit
772 ernstem Vorwurf vor dem Kurfürsten. Dieser hörte die Klage ohne
773 Verlegenheit, vielmehr fragte er erstaunt, ob der ehrwürdige Vater
774 sich nicht erinnere, daß er selbst ihm, dem Kurfürsten, geraten
775 habe, es mit dem heiligen Cajetan zu versuchen, wenn die Wallfahrt
776 nicht fruchten werde? Er habe den ganzen Sommer und Winter hindurch
777 gehofft und geharrt, nun habe er betrübt auf den erflehten Segen
778 verzichtet und beschlossen, das Anliegen seines Hauses dem heiligen
779 Cajetan anheimzustellen, obwohl derselbe dem Bayerlande fremd und
780 in keiner Weise verbunden sei. In der Hoffnung, daß er sich
781 \pagenum{[121]}wundertätig erweise, errichte er ihm einen würdigen
782 Altar, damit er und seine Untertanen ihm Dank und Preis darbringen
783 könnten für die Hilfe, die er ihnen in der Bedrängnis erwiesen.
785 Diese Erklärung schlug zwar den Kampfesmut des Pater Gumppenberg
786 beträchtlich nieder, doch gab er seine Sache noch nicht völlig auf,
787 sondern rückte dem Kurfürsten einige Gegengründe vor: Ob man denn
788 in Bayern schon so rat- und mittellos sei, daß man gleich zum
789 Entlegensten greifen müßte? Wenn die Frau Kurfürstin, wie er
790 empfohlen hätte, nach dem Herkommen zu der hölzernen Maria in
791 Alt-Ötting gepilgert wäre, möchte alles andere gekommen sein. Ob da
792 nicht der heilige Franz Xaver, der heilige Michael und vor allen
793 Dingen der schon vielerwähnte heilige Benno wären? Hätte nicht der
794 heilige Benno sogar den blutdürstigen Schwedenkönig im Zaune
795 gehalten, daß er, ohne der Kirche und der Stadt einigen Schaden zu
796 tun, vorübergezogen wäre? Hätte nicht die heilige Mutter Gottes
797 mancher Pest Einhalt geboten, die sonst Land und Leute verzehrt
798 haben würde? Was aber würde in dieser Art von dem sogenannten
799 heiligen Cajetan berichtet? Und wenn er auch einmal ein Wunder
800 täte, so müßte man noch zweifeln, ob es zum Guten ausschlüge.
802 So weit wolle er sich nicht einlassen, entgegnete der Kurfürst,
803 wisse auch nicht, wie es zu verstehen sei, daß seine
804 Nachkommenschaft, die Enkel so hochberühmter Ahnen, übel
805 ausschlagen sollten.
807 Pater Gumppenberg entschuldigte sich, daß er so etwas, als des
808 kurfürstlichen Hauses treuester Knecht und Berater, niemals habe
809 andeuten wollen. Auch würde er der erste sein, dem heiligen Cajetan
810 zu danken, wenn durch seine Fürbitte\pagenum{[122]} die Kurfürstin
811 gesegnet werden sollte; nur gebe er zu bedenken, ob der Kurfürst
812 nicht erst die Gnade erwarten wolle, bevor er den Dank darbringe,
813 wie das jederzeit mit einem Gelübde gehalten worden sei. Nein,
814 erwiderte der Kurfürst freundlich, er gedenke nun einmal, den
815 Heiligen durch sein Vertrauen und seine Dienstwilligkeit zuvor zu
816 ermuntern. Suche doch ein Volk die Huld eines fremden Monarchen
817 durch Geschenke sich zu verdienen, anstatt daß es die empfangene
818 belohne; und nicht weniger ehrerbietig wolle er sich Gott und
819 seinen Heiligen gegenüber verhalten.
821 Es war erst ein kleines Kränzlein von Steinen an dem neuen Bau
822 ablegt worden, als die glorreiche Kunde sich verbreitete, die
823 Kurfürstin sei guter Hoffnung, und wenn Gott sich ferner gnädig
824 erweise, werde die Not des Landes binnen Jahresfrist ein Ende
825 nehmen. Nun wurde lustig gebaut, und als zu rechter Zeit ein
826 fürstlicher Knabe das heitere Licht der Stadt München erblickte,
827 stiegen die Mauern vollends hurtig empor, ohne daß fernerhin jemand
828 ein Mißfallen daran laut werden zu lassen hätte wagen dürfen.
829 Freilich erst wenige Jahre vor ihrem Tode konnte Henriette Adelaide
830 die im fröhlichen Triumphe thronende Kuppel vollendet sehen, von
831 der unermeßlich schwebenden Himmelsrotunde lächelnd umwölbt.
833 Nach der Geburt des Kronprinzen blieb die Gesundheit der Fürstin
834 gebrechlich, wiewohl sie in ungetrübtem Eheglück bis an ihr Ende
835 lebte und noch manches herrliche Lustgebäude errichtete und
836 auszierte. Indes sie glanzvolle Feste voll Musik und schöner
837 Symbole anordnete und in bedeutungsvollen Tänzen selbst ausführte,
838 übte das Fräulein La Perouse die Reue und Buße, die nach ihrem
839 Dafürhalten durch die strafbare Leidenschaft ihres Bruders zu
840 seiner\pagenum{[123]} Herrin verpfändet war. Abend für Abend las
841 sie stundenlang in Gebetbüchern und rollte, auf dem Betschemel
842 kniend, unermüdlich Rosenkränze ab, wodurch ihr Gesicht länger,
843 ihre Wangen hohler, ihre Augen tiefer wurden. Dieser Gewohnheit
844 frönend, verursachte sie in einer Nacht den Brand des Schlosses,
845 der nicht wenig Kunst und Pracht zerstörte und dazu noch das zarte
846 Leben Henriette Adelaides antastete; denn sie vermochte die Folgen
847 des Schrecks und der Flucht vor den nachjagenden Flammen nicht zu
848 überwinden und starb nach kurzem Kränkeln, ihren Gemahl nach sich
849 ziehend, der nur noch auf Erden zu verweilen schien, um ein Denkmal
850 unsterblicher Trauer über dem verschwindenden Leibe zu errichten
851 und sich dann für die Dauer der Grabesruhe ihm beizugesellen.
852 \end{document}