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6 <title>DigBib.Org - Kurd La
ßwitz: Auf zwei Planeten
</title>
9 <h1>Kurd La
ßwitz: Auf zwei Planeten
</h1>
10 <p>Roman in zwei B
üchern
</p>
11 <p>Die Erstausgabe erschien
1897</p>
13 <h2>1 - Am Nordpol
</h2>
14 <p>Eine Schlange jagt
über das Eis. In riesiger L
änge
15 ausgestreckt schleppt sie ihren d
ünnen Leib wie rasend dahin.
16 Mit Schnellzugsgeschwindigkeit springt sie von Scholle zu Scholle,
17 die g
ähnende Spalte h
ält sie nicht auf, jetzt schwimmt
18 sie
über das offene Wasser eines Meeresarms und schl
üpft
19 gewandt
über die hier und da sich schaukelnden Eisberge. Sie
20 gleitet auf das Ufer, unaufhaltsam in gerader Richtung, direkt nach
21 Norden, dem Gebirge entgegen, das am Horizont sich hebt. Es geht
22 über die Gletscher hin nach dem dunklen Felsgestein, das mit
23 weiten Flecken br
äunlicher Flechten bedeckt mitten unter den
24 Eismassen sich emporb
äumt. Wieder schie
ßt die Schlange
25 in ein Tal hinab. Zwischen den Felsbrocken spro
ßt es
26 gr
ün und gelblich, Sauerampfer und Saxifragen schm
ücken
27 den Boden, die sp
ärlichen Bl
ätter eines Weidenbuschs
28 zerstieben unter dem Schlag des mit rasender Geschwindigkeit
29 hindurchfahrenden Schlangenleibes. Eilend entflieht eine einsame
30 Schneeammer, erschrocken und brummend erhebt sich aus seinem
31 Schlummer der Eisb
är, dem soeben die Schlange das zottige Fell
33 <p>Die Schlange k
ümmert sich nicht darum; w
ährend ihr
34 Schweif
über die nordische Sommerlandschaft hinjagt, hebt sie
35 ihr Haupt hoch empor in die Luft, der Sonne entgegen. Es ist kurz
36 nach Mitternacht, eben hat der neunzehnte August begonnen.
</p>
37 <p>Schr
äg fallen die Strahlen des Sonnenballs auf die
38 Abh
änge des Gebirges, das unter der Einwirkung des schon
39 monatelang dauernden Tages sich mit reichlichem Pflanzenwuchs
40 bedeckt hat. Hinter jenen H
öhen liegt der Nordpol des
41 Erdballs. Ihm entgegen st
ürmt die Schlange. Wo aber ist der
42 Kopf des eilenden Unget
üms? Man sieht ihn nicht. Ihr
43 d
ünner Leib verflie
ßt in der Luft, die klar und
44 durchsichtig
über der Polarlandschaft liegt. Doch welch
45 seltsame Erscheinung? Der Schlange stets voran schwebt, von der
46 Sonne vergoldet, ein rundlicher K
örper. Es ist ein
47 gro
ßer Ballon. Straff schwillt die feine Seide unter dem
48 Druck des Wasserstoffgases, das sie erf
üllt. In der H
öhe
49 von dreihundert Meter
über dem Boden treibt ein starker,
50 gleichm
äßig wehender S
üdwind den Ballon dem Norden
51 zu. Die Schlange aber ist das Schlepptau dieses Luftballons, der in
52 g
ünstiger Fahrt dem langersehnten Ziel menschlicher
53 Wi
ßbegier sich n
ähert, dem Nordpol der Erde. Auf dem
54 Boden nachschleppend reguliert es den Flug des Ballons. Wenn er
55 h
öher steigt, hemmt es ihn durch sein Gewicht, das er mit
56 aufheben mu
ß; wenn er sinkt, erleichtert es ihn, indem es in
57 gr
ößerer L
änge auf der Erde sich ausstreckt. Seine
58 Reibung auf dem Boden bietet einen Widerstand und erm
öglicht
59 es damit den Luftschiffern, durch Stellung eines Segels bis zu
60 einem gewissen Grade von der Windrichtung abzuweichen.
</p>
61 <p>Aber das Segel ist jetzt eingezogen. Der Wind weht so
62 g
ünstig unmittelbar von S
üden her, wie es die k
ühnen
63 Nordpolfahrer nur w
ünschen k
önnen. Lange hatten sie an
64 der Nordk
üste von Spitzbergen auf das Eintreten des
65 S
üdwinds gewartet. Schon neigte sich der Polarsommer seinem
66 Ende zu, und sie f
ürchteten unverrichteter Sache umkehren zu
67 m
üssen, wie der k
ühne Schwede Andr
ée bei seinem
68 ersten Versuche. Da endlich, am
17. August, setzte der S
üdwind
69 ein. Der gef
üllte Ballon erhob sich in die L
üfte; binnen
70 zwei Tagen hatten sie tausend Kilometer in direkt n
ördlicher
71 Richtung zur
ückgelegt. Der von Nansen entdeckte nordische
72 Ozean war
überflogen und neues Land erreicht, das sich ganz
73 gegen Erwartung der Geographen hier vorfand. Schon entschwand das
74 Supan- Kap auf Andr
ée-Land im S
üden ihren Blicken. Bald
75 mu
ßte es sich entscheiden, ob die beiden Expeditionen, die
76 eine im Ballon, die andere mit Schlitten unternommen, wirklich, wie
77 ihre F
ührer meinten, den Pol selbst erreicht h
ätten. Bei
78 der Unsicherheit der Ortsbestimmung in diesen Breiten waren Zweifel
79 dar
über entstanden, die Aussicht vom Ballon war durch Nebel
80 getr
übt gewesen, der Schlittenexpedition fehlte ein weiterer
81 Überblick. Jetzt war durch die Mittel eines reichen
82 Privatmanns, des Astronomen Friedrich Ell, eine deutsche Expedition
83 ausger
üstet worden, die noch einmal mittels des Ballons den
84 Pol untersuchen sollte.
</p>
85 <p>Nat
ürlich hatte man sich die Erfahrungen der fr
üheren
86 Expeditionen zunutze gemacht. Durch die internationale Vereinigung
87 f
ür Polarforschung war eine eigene Abteilung f
ür
88 wissenschaftliche Luftschiffahrt ins Leben gerufen worden.
89 Namentlich hatte man die Benutzung des Schleppseils ausgebildet und
90 damit f
ür die Leitung des Ballons wenigstens ann
ähernd
91 ein Mittel zur Lenkung gefunden, wie es das Segelschiff im
92 Widerstand des Wassers besitzt. Man hatte Metallzylinder
93 konstruiert, in denen man bis auf
250 Atmosph
ären Druck
94 zusammengepre
ßten Wasserstoff mit sich f
ührte, um bei
95 Dauerfahrten einen eingetretenen Gasverlust zu ersetzen. Man hatte
96 dem Korb eine Form gegeben, die es gestattete, ihn nach Bedarf
97 gegen die
äu
ßere Luft abzuschlie
ßen. Der neue
98 Ballon
›Pol
‹ war mit allen diesen fortgeschrittenen
99 Einrichtungen ausger
üstet. Au
ßerdem hing unterhalb des
100 Korbes zur Rettung im
äu
ßersten Notfall ein gro
ßer
101 Fallschirm. Unter einer Art Sattel, der einen sicheren Sitz
102 gew
ährte, war an demselben f
ür alle F
älle ein
103 Proviantkorb befestigt.
</p>
104 <p>Der Direktor der Abteilung f
ür wissenschaftliche
105 Luftschiffahrt, Hugo Torm, hatte selbst die Leitung der Expedition
106 unternommen. Ihn begleiteten der Astronom Grunthe und der
107 Naturforscher Josef Saltner. Saltner warf einen Blick auf Uhr und
108 Barometer, dr
ückte auf den Momentverschlu
ß des
109 photographischen Apparats und notierte die Zeit und den
111 <p>»Diese Gegend h
ätten wir gl
ücklich in der
112 Tasche
«, murmelte er. Dann streckte er die in hohen
113 Filzstiefeln steckenden F
üße so weit aus, als es der
114 beschr
änkte Raum des Korbes zulie
ß, zwinkerte mit den
115 lustigen Augen und sagte:
»Meine Herren, ich bin schauderhaft
116 m
üde. K
önnte man nicht jetzt ein kleines Schl
äfchen
117 machen? Was meinen Sie, Kapit
än?
«</p>
118 <p>»Tun Sie das
«, antwortete Torm,
»Sie sind an
119 der Reihe. Aber beeilen Sie sich. Wenn wir diesen Wind noch drei
120 Stunden behalten
–«</p>
121 <p>Er unterbrach sich, um die n
ötigen Ablesungen zu
123 <p>»Wecken Sie mich gef
älligst, sobald wir
– am
124 Pol sind
–«</p>
125 <p>Saltner sprach mit geschlossenen Augen, und beim letzten Wort
126 war er schon sanft entschlummert.
</p>
127 <p>»Es ist ein unheimliches Gl
ück, das wir haben
«,
128 begann Torm.
»Wir fliegen im wahren Sinn des Worts auf das
129 Ziel zu. Ich habe f
ür die letzten f
ünf Minuten wieder
3,
9
130 Kilometer notiert. K
önnten Sie eine genauere Bestimmung
131 versuchen, wo wir sind?
«</p>
132 <p>»Es wird sich machen lassen
«, antwortete Grunthe,
133 indem er nach dem Sextanten griff.
»Der Ballon geht sehr
134 ruhig, und wir haben die Ortszeit ziemlich sicher. Wir hatten den
135 tiefsten Sonnenstand vor einer Stunde und
26 Minuten.
« Er
136 nahm die Sonnenh
öhe mit gr
ößter Sorgfalt. Dann
137 rechnete er einige Zeit lang.
</p>
138 <p>In vollkommener Stille lag die Landschaft,
über welche die
139 Luftschiffer eilten. Ein weites Hochplateau, mit Moos und Flechten
140 bedeckt, hier und da von Wasserlachen durchsetzt, bildete den
141 Fu
ß des Gebirges, dem sich der Ballon schnell n
äherte.
142 Man h
örte nichts als das Ticken der Uhrwerke, von Zeit zu Zeit
143 das regelm
äßige Abschnurren des Aspirationsthermometers,
144 dazwischen die behaglichen Atemz
üge des schlummernden Saltner.
145 Es war freilich eine angenehmere Polarfahrt, als mit
146 halbverhungerten Hunden die langsamen Schlitten
über die
147 Eistr
ümmer zu schleppen. Grunthe sah von seiner Rechnung
149 <p>»Welche Breite haben Sie aus der Berechnung des
150 zur
ückgelegten Weges?
« fragte er Torm.
</p>
151 <p>»Achtundachtzig Grad f
ünfzig
–
152 einundf
ünfzig Minuten
«, erwiderte dieser.
</p>
153 <p>»Wir sind weiter.
«</p>
154 <p>Grunthe machte eine Pause, indem er noch einmal kurz die
155 Rechnung pr
üfte. Dann sagte er bedachtsam, aber mit derselben
156 Gleichm
äßigkeit der Stimme:
</p>
157 <p>»Neunundachtzig Grad
12 Minuten.
«</p>
158 <p>»Nicht m
öglich!
«</p>
159 <p>»Ganz sicher
«, erwiderte Grunthe ruhig und zog die
160 Lippen ein, so da
ß sein Mund unter dem d
ünnen
161 Schnurrbart wie ein Gedankenstrich erschien. Das war das Zeichen,
162 da
ß keine Gewalt mehr imstande sei, an Grunthes
163 unersch
ütterlichem Ausspruch etwas zu
ändern.
</p>
164 <p>»Dann haben wir keine
90 Kilometer mehr bis zum
165 Pol
«, rief Torm lebhaft.
</p>
166 <p>»Neunundachtzigeinhalb
«, sprach Grunthe.
</p>
167 <p>»Dann sind wir in zwei Stunden dort.
«</p>
168 <p>»In einer Stunde und
52 Minuten
«, verbesserte
169 Grunthe unersch
ütterlich,
»wenn n
ämlich der Wind
170 mit derselben Geschwindigkeit anh
ält.
«</p>
171 <p>»Ja
– wenn
«, so rief Torm lebhaft.
»Nur
172 noch zwei Stunden, Gott gebe es!
«</p>
173 <p>»Sobald wir
über jenen Bergr
ücken sind, werden
174 wir den Pol sehen.
«</p>
175 <p>»Sie haben recht, Doktor! Sehen werden wir den Pol
–
176 ob auch erreichen?
«</p>
177 <p>»Warum nicht?
« fragte Grunthe.
</p>
178 <p>»Hinter den Bergen, der Himmel gef
ällt mir nicht
179 – auf der Nordseite liegt jetzt seit Stunden die Sonne, es
180 ist dort ein aufsteigender Luftstrom vorhanden
–«</p>
181 <p>»Wir m
üssen abwarten.
«</p>
182 <p>»Da
– da
– sehen Sie
– den herrlichen
183 Absturz des Gletschers
«, rief Torm.
</p>
184 <p>»Wir fliegen gerade auf ihn zu; m
üssen wir nicht
185 steigen?
« fragte Grunthe.
</p>
186 <p>»Gewi
ß, dort m
üssen wir hin
über.
187 Aufgepa
ßt! Schneiden Sie ab!
«</p>
188 <p>Zwei S
äcke Ballast klappten herab. Der Ballon scho
ß
189 in die H
öhe.
</p>
190 <p>»Wie die Entfernung t
äuscht
«, sagte Torm.
191 »Ich h
ätte die Wand f
ür entfernter gehalten
–
192 es reicht noch nicht. Wir m
üssen noch mehr opfern.
«</p>
193 <p>Er schnitt noch einen Sack ab.
</p>
194 <p>»Wir d
ürfen nicht in die Schlucht geraten
«,
195 erkl
ärte er,
»kein Mensch wei
ß, in was f
ür
196 Wirbel wir da kommen. Aber was ist das? Der Ballon steigt nicht? Es
197 hilft nichts
– noch mehr hinaus!
«</p>
198 <p>Eine schwarze Felswand, welche den Gletscher in zwei Teile
199 spaltete, erhob sich unmittelbar vor ihnen. Der Ballon schwebte in
200 unheimlicher N
ähe. Mit
ängstlicher Erwartung verfolgten
201 die beiden M
änner den Flug ihres A
ërostaten. Der
202 S
üdwind war jetzt, zu ihrem Gl
ück, hier in der
203 unmittelbaren N
ähe der Berge schw
ächer, sonst w
ären
204 sie schon an die Felsen geschleudert worden. Der Ballon befand sich
205 nunmehr im Schatten der Berge; das Gas k
ühlte sich ab. Die
206 Temperatur sank schnell tief unter den Gefrierpunkt. Torm
207 überlegte, ob er noch mehr Ballast auswerfen d
ürfe. Was
208 er jetzt an Ballast verlor, das mu
ßte er dann an Gas
209 aufopfern, um den Ballon wieder zum Sinken zu bringen, und das Gas
210 war sein gr
ößter Schatz, das Mittel, das ihn wieder aus
211 dem Bereich des furchtbaren Nordens bringen sollte. Er wu
ßte
212 ja nicht, was ihn hinter den Bergen erwarte. Aber der Ballon stieg
213 zu langsam. Da
– eine seitliche Str
ömung bewegt ihn
214 – die Strahlen der Sonne, welche
über den Sattel des
215 Gletschers her
überlugt, treffen ihn wieder
– das Gas
216 dehnt sich aus, der Ballon steigt
– tiefer und tiefer sinken
217 die Eismassen unter ihm.
–</p>
218 <p>»Hurrah!
« rufen die beiden Luftschiffer wie aus
220 <p>»Was gibt
’s?
« f
ährt Saltner aus seinem
221 Schlummer empor.
»Sind wir da?
«</p>
222 <p>»Wollen Sie den Nordpol sehen?
«</p>
223 <p>»Wo? Wo?
« Im Augenblick war Saltner in die H
öhe
225 <p>»Sakri, das ist kalt
«, rief er.
</p>
226 <p>»Wir sind
über
500 Meter gestiegen
«, antwortete
228 <p>Saltner h
üllte sich in seinen Pelz, was die andern schon
229 vorher getan hatten.
</p>
230 <p>»Wir sind jetzt fast in gleicher H
öhe mit dem Kamm
231 des Gebirges. Sobald wir dar
über hinwegsehen k
önnen,
232 mu
ß vor uns, etwa
50 Kilometer nach Norden, die Stelle liegen
234 <p>»Wo die Erdachse geschmiert wird!
« rief Saltner.
235 »Ich bin verteufelt neugierig. Na, den Champagner brauchen
236 wir nicht erst kalt zu stellen.
«</p>
237 <p>Die drei M
änner standen, am Tauwerk sich haltend, in der
238 Gondel. Mit gespannten Blicken schauten sie jeden Augenblick, den
239 ihnen die Bedienung des Ballons und die Beobachtung der Instrumente
240 freilie
ß, durch ihre Feldstecher nach Norden, der Sonne
241 entgegen, die erst wenig nach Osten hin beiseite getreten war.
242 Allm
ählich versanken die Berggipfel unter ihnen
– noch
243 ein breiterer R
ücken hemmte ihnen die Aussicht
– der
244 Ballon glitt jetzt wieder in der H
öhe des Kammes dahin, das
245 Schlepptau schleifte
–, noch eine breite Mulde war zu
246 überfliegen, dann mu
ßte das ersehnte Ziel vor ihnen
247 liegen. Der Ballon befand sich etwa in der Mitte der Mulde,
248 h
öchstens
100 Meter
über ihrem Boden, und die
249 gegen
überliegende Talwand verdeckte noch die Aussicht. Der
250 Wind war etwas weniger lebhaft, aber immer noch s
üdlich, und
251 der Ballon stieg an der flachen Erhebung des Eisfeldes hinan.
</p>
252 <p>Jetzt wurden einzelne wei
ße Bergkuppen in gro
ßer
253 Entfernung hinter dem nahen Horizont der gegen
überliegenden
254 Eiswand sichtbar, die Luftschiffer befanden sich in gleicher
255 H
öhe mit dem letzten Hindernis, das ihren Blick
256 beschr
änkte. Die Gipfel mehrten sich, sie bildeten eine
258 <p>»Diese Berge liegen schon hinter dem Pol
«, sagte
259 Grunthe, und diesmal bebte seine Stimme doch ein wenig vor
260 Aufregung. Fest pre
ßte er seine Lippen zur geraden Linie
262 <p>Weiter stieg der Ballon
– dunkel gef
ärbte
263 Bergz
üge erschienen unter den Schneegipfeln, r
ötlich und
264 br
äunlich schimmernd
– jetzt erreichte der Ballon die
265 H
öhe und schwebte
über einem tiefen Abgrund
– das
266 Schleppseil schnellte hinab, und der Ballon sank sofort einige
267 hundert Meter tief
– dann pendelte er noch einmal auf und ab
268 – diese pl
ötzliche Schwankung des Ballons hatte die
269 Aufmerksamkeit der Luftschiffer voll in Anspruch genommen
–
270 sie sahen unter sich, tief unten ein wildes Gewirr von Klippen,
271 Felstr
ümmern und Eisbl
öcken, hinter sich die steil
272 abgebrochene Wand, an welcher der verzerrte Schatten des Ballons
273 auf- und niederschwankte
– die Instrumente mu
ßten
274 beobachtet werden, und erst jetzt konnten sie den Blick nach
275 vorw
ärts lenken, vorw
ärts und nordw
ärts
– oder
276 war es vielleicht schon s
üdw
ärts?
</p>
277 <p>Saltner war der erste, der nach vorn blickte. Aber er sprach
278 nichts, in einem langgedehnten Pfiff blies er den Atem aus seinen
279 gespitzten Lippen.
</p>
280 <p>»Das Meer!
« rief Torm.
</p>
281 <p>»Gr
üß Gott!
« sagte jetzt Saltner.
282 »Da hat halt der alte Petermann doch recht behalten, aber
283 blo
ß ein bissel. Ein offenes Polarmeer ist es schon, man
284 mu
ß sich nur nicht zuviel drauf einbilden.
«</p>
285 <p>»Ein Binnenmeer, ein Bassin, immerhin, gegen tausend
286 Quadratkilometer sch
ätze ich
«, sagte Grunthe.
287 »Etwa so gro
ß wie der Bodensee. Aber wer kann wissen,
288 was sich dort hinten noch an Fjords und Kan
älen abzweigt. Und
289 auch das Bassin selbst ist durch verschiedene Inseln in Arme
291 <p>»Wer da unten zu Fu
ß oder zu Schiff ankommt,
292 mu
ß M
ühe haben zu entscheiden, ob das Meer im Land liegt
293 oder das Land im Meer
«, sagte Saltner.
»Gut, da
ß
294 wir
’s bequemer haben.
«</p>
295 <p>»Gewi
ß«, meinte Torm,
»es ist
296 m
öglich, da
ß wir ein St
ück des offenen Meeres vor
297 uns haben, obwohl es von hier den Anschein hat, als schl
össen
298 die Berge das Wasser von allen Seiten ein. Wir werden ja sehen.
299 Aber vor allen Dingen, was sollen wir tun? Wir haben wider Erwarten
300 so hoch steigen m
üssen, da
ß wir jetzt sehr viel Gas
301 verlieren w
ürden, wenn wir hinabwollten, und andrerseits
302 werden wir wieder dr
üben
über die Berge
303 hinaufm
üssen. Es ist eine schwierige Frage. Aber wir haben
304 noch Zeit, dar
über nachzudenken, denn der Ballon bewegt sich
305 jetzt nur langsam.
«</p>
306 <p>»Und diese Gelegenheit wollen wir benutzen, um dem Nordpol
307 unsern wohlverdienten Gru
ß zu bringen
«, rief Saltner.
308 Mit diesen Worten zog er ein Futteral hervor, aus welchem drei
309 Flaschen Champagner ihre silbernen H
älse einladend
311 <p>»Davon wei
ß ich ja gar nichts
«, sagte Torm
313 <p>»Das ist eine Stiftung von Frau Isma. Sehen Sie, es steht
314 darauf:
›Am Pol zu
öffnen. Gewicht vier
315 Kilogramm.
‹«</p>
316 <p>Torm lachte.
»Dachte ich mir doch
«, sagte er,
317 »da
ß meine Frau irgend etwas einschmuggeln w
ürde,
318 was das Expeditionsreglement durchbricht.
«</p>
319 <p>»Es ist doch aber auch ein herrlicher Gedanke von Ihrer
320 Frau, sich am Nordpol in Champagner hochleben zu lassen
«,
321 erwiderte Saltner.
»Erstens f
ür sich selbst, denn das
322 ist etwas, was noch nicht dagewesen ist; das m
üssen Sie
323 zugeben, Damen sind hier noch niemals leben gelassen worden. Und
324 zweitens f
ür uns, das m
üssen Sie auch zugeben; es ist
325 sehr wonnig, in dieser K
älte den Schaumwein zu trinken auf das
326 Wohl unserer Kommandeuse. Und drittens, ist es nicht einfach
327 bejauchzbar, das tragische Antlitz unseres Astronomen zu sehen?
328 Denn Champagner trinkt er prinzipiell nicht, und auf weibliche
329 Wesen st
ößt er prinzipiell nicht an; da er aber auf dem
330 Nordpol prinzipiell in ein Hoch einstimmen mu
ß und will, so
331 findet er sich in einem Widerstreit der Prinzipien, aus dem
332 herauszukommen ihm verteufelt schwerfallen wird.
«</p>
333 <p>»Darauf k
önnte ich sehr viel erwidern
«, sagte
334 Grunthe.
»Zum Beispiel, da
ß wir noch gar nicht wissen,
335 wo der Nordpol eigentlich liegt.
«</p>
336 <p>»Schon wahr
«, unterbrach ihn Torm,
»aber eben
337 darum m
üssen wir den Moment feiern, in welchem wir sicher
338 sind, ihn zum erstenmal in unserm Gesichtsfeld zu haben. Das werden
339 Sie zugeben?
«</p>
340 <p>»Hm, ja
«, sagte Grunthe, und ein leichtes Schmunzeln
341 glitt
über seine Z
üge.
»Ich nehme an, wir
342 w
ären am Pol. So kann ich mit Ihnen ansto
ßen, oder auch
343 nicht, ganz wie ich will, ohne mit irgendwelchen Prinzipien in
344 Widerspruch zu geraten.
«</p>
345 <p>»Wieso?
« fragte Saltner.
</p>
346 <p>»Der Pol ist ein Unstetigkeitspunkt. Prinzipien sind
347 Grunds
ätze, die unter der Voraussetzung gelten, da
ß die
348 Bedingungen bestehen, f
ür welche sie aufgestellt sind, vor
349 allem die Stetigkeit der Raum- und Zeitbestimmungen. Am Pol sind
350 alle Bedingungen aufgehoben. Hier gibt es keine Himmelsrichtungen
351 mehr, jede Richtung kann als Nord, S
üd, Ost oder West
352 bezeichnet werden. Hier gibt es auch keine Tageszeit; alle Zeiten,
353 Nacht, Morgen, Mittag und Abend, sind gleichzeitig vorhanden. Hier
354 gelten also auch alle Grunds
ätze zusammen oder gar keine. Es
355 ist der vollst
ändige Indifferenzpunkt aller Bestimmungen
356 erreicht, das Ideal der Parteilosigkeit.
«</p>
357 <p>»Bravo
«, rief Saltner, der inzwischen die
358 Trinkbecher von Aluminium mit dem perlenden Wein gef
üllt
359 hatte.
»Es lebe Frau Isma Torm, unsere gn
ädige
360 Spenderin!
«</p>
361 <p>Saltner und Torm erhoben ihre Becher. Grunthe kniff die Lippen
362 zusammen und hielt, geradeaus starrend, sein Trinkgef
äß
363 unbeweglich vor sich hin, indem er es passiv geschehen lie
ß,
364 da
ß die andern mit ihren Bechern daran stie
ßen. Nun
366 <p>»Es lebe der Nordpol!
«</p>
367 <p>Da stie
ß auch Grunthe seinen Becher lebhaft mit den andern
368 zusammen und setzte hinzu:
</p>
369 <p>»Es lebe die Menschheit!
«</p>
370 <p>Sie tranken und Saltner rief:
</p>
371 <p>»Grunthes Toast ist so allgemein, da
ß ein Becher
372 nicht reichen kann.
« Und er schenkte noch einmal ein.
</p>
373 <p>Inzwischen war der Ballon langsam dem Binnenmeer
374 entgegengetrieben, das sich nun immer deutlicher den staunenden
375 Blicken der Reisenden enth
üllte. Vom Fu
ß der steil
376 abfallenden Felsenwand des Gebirges ab senkte sich das Gel
ände
377 allm
ählich, wohl noch eine Strecke von einigen zwanzig
378 Kilometern weit, nach dem Ufer hin. Aber die Landschaft zeigte
379 jetzt ein vollst
ändig anderes Gepr
äge. Die wilde
380 Gletschernatur war verschwunden, gr
üne Matten zogen sich, nur
381 noch mit einzelnen Gesteinstr
ümmern hier und da bedeckt, in
382 sanfter Senkung dem Wasser zu. Man glaubte in ein herrliches
383 Alpental zu schauen, in dessen Mitte ein blauer Bergsee sich
384 ausbreitete. An dem jenseitigen, entfernten Ufer, das freilich in
385 undeutlichem D
ämmer verschwamm, schien dagegen wieder ein
386 Steilabfall von Fels und Eis zu herrschen, doch zog sich
über
387 den Bergen dort eine Wolkenwand empor. Das Auffallendste in der
388 ganzen Szenerie aber bot der Anblick einer der Inseln, die
389 zahlreich und in unregelm
äßiger Gestaltung in dem Bassin
390 lagen, bis an dessen Ufer der Ballon jetzt herangeschwebt war. Sie
391 war kleiner als die Mehrzahl der
übrigen Inseln. Aber ihre
392 Formen waren so vollkommen regelm
äßig, da
ß es
393 zweifelhaft schien, ob man eine Gestaltung der Natur vor sich habe.
394 Die mit Flechten bekleideten Felstr
ümmer, welche die andern
395 Inseln bedeckten, fehlten hier vollst
ändig.
</p>
396 <p>Die Forscher mochten sich etwa noch zw
ölf Kilometer von der
397 r
ätselhaften Insel entfernt befinden, die sie mit ihren
398 Ferngl
äsern musterten, als Torm sich an Grunthe wandte.
</p>
399 <p>»Sagen Sie uns, bitte, Ihre Meinung. K
önnen wir
400 eigentlich bestimmen, wo wir uns befinden? Ich mu
ß gestehen,
401 da
ß ich beim
Überschreiten des Gebirges und dem raschen
402 H
öhenwechsel nicht mehr imstande war, die einzelnen Landmarken
403 zu verfolgen.
«</p>
404 <p>»Ich habe
«, erwiderte Grunthe,
»einige
405 Peilungen gemacht, aber zu einer sicheren Bestimmung reichen sie
406 nicht mehr aus. Auch die Methode aus der Messung der
407 Sonnenh
öhe ist jetzt nicht anwendbar, da wir nicht mehr
408 imstande sind, die Tageszeit auch nur mit einiger Sicherheit
409 anzugeben. Wir haben die Himmelsrichtung vollst
ändig verloren.
410 Der Kompa
ß ist ja hier im Norden sehr unzuverl
ässig. Auf
411 alle F
älle sind wir ganz nahe am Pol, wo alle Meridiane so nah
412 zusammenlaufen, da
ß eine Abweichung von einem Kilometer nach
413 rechts oder links einen Zeitunterschied von einer Stunde oder mehr
414 ausmacht. Wenn unser Ballon aus der Nord-S
üd-Richtung
415 vielleicht seit der
Überschreitung des Gebirges um f
ünf
416 oder sechs Kilometer abgewichen ist, was sehr leicht sein kann, so
417 haben wir jetzt nicht, wie wir vermuten, drei Uhr morgens am
19.
418 August, sondern vielleicht schon Mittag, oder, wenn wir nach Westen
419 abgewichen sind, so sind wir sogar in den gestrigen Tag
420 zur
ückgeraten und haben vielleicht erst den
18. August
422 <p>»Das w
äre der Teufel
«, rief Saltner.
»Das
423 kommt von diesem ewigen Sonnenschein am Pol! Nun kann ich an meinem
424 Abrei
ßkalender das Blatt von gestern wieder
426 <p>»Schon m
öglich!
« l
ächelte Grunthe.
427 »Nehmen Sie an, Sie machen einen Spaziergang um den Nordpol
428 in der Entfernung von hundert Metern vom Pol, so sind Sie in
429 f
ünf Minuten bequem um den Pol herumgegangen und haben
430 s
ämtliche
360 Meridiane
überschritten; Sie haben also in
431 f
ünf Minuten alle Tageszeiten abgelaufen. Gehen Sie nach
432 Westen herum, und wollen Sie die richtige Zeit jedes Meridians
433 haben, so m
üßten Sie auf jedem Meridian Ihre Uhr um
4
434 Minuten zur
ückstellen, so da
ß Sie nach besagten
435 f
ünf Minuten um einen vollen Tag zur
ück sind, und wenn
436 Sie in dieser Art eine Stunde lang um den Pol herumgegangen sind,
437 so mu
ß Ihre Uhr, wenn sie einen Datumzeiger besitzt, den
7.
438 August anzeigen.
«</p>
439 <p>»Da mu
ß ich mir halt einen Anklebekalender
440 anschaffen
«, meinte Saltner.
</p>
441 <p>»Ja, aber wenn Sie nach Osten herumgehen, kommen Sie um
442 ebensoviel in der Zeit voran, Sie h
ätten dann nach
443 zw
ölfmaligem Spaziergang um den Pol den
31. August erreicht,
444 wenn Sie bei jedem Umgehen des Pols ein Blatt in ihrem Kalender
445 abrissen. In beiden F
ällen w
ürden sie sich indessen
446 tats
ächlich noch am
19. August befinden. Sie m
üßten
447 also, wie die Seefahrer beim
Überschreiten des
180. Meridians,
448 ihren Datumzeiger entsprechend regulieren.
«</p>
449 <p>»Und wenn wir nun gerade
über den Pol
450 wegfliegen?
«</p>
451 <p>»Dann springen wir in einem Moment um zw
ölf Stunden
452 in der Zeit. Der Pol ist eben ein Unstetigkeitspunkt.
«</p>
453 <p>»Sackerment, da wei
ß man ja gar nicht, wo man
455 <p>»Ja
«, sagte Torm,
»das ist eben das Fatale.
456 Wir haben uns von Anfang an darauf verlassen m
üssen, da
ß
457 wir unsere Lage aus dem zur
ückgelegten Wege bestimmen.
458 L
äßt sich denn gar nichts tun?
«</p>
459 <p>»Nur wenn wir landen und unsere Instrumente so fest
460 aufstellen, da
ß wir einige Sterne anvisieren
461 k
önnen.
«</p>
462 <p>»Daran k
önnen wir auf keinen Fall eher denken, bis
463 wir den See
überflogen haben und das jenseitige Gebirge
464 überschauen. Hier zwischen den Inseln d
ürfen wir uns
465 nicht hinabwagen. Wir sind also wirklich nicht besser daran als
466 unsere Vorg
änger, und der wahre Pol bleibt wieder
467 unbestimmt.
«</p>
468 <p>»Zu verflixt
«, brummte Saltner,
»da sind wir
469 vielleicht gerade am Nordpol und wissen es nicht.
«</p>
470 <h2>2 - Das Geheimnis des Pols
</h2>
471 <p>Langsam zog der Ballon weiter, doch bewegte er sich nicht direkt
472 auf die auffallende kleine Insel zu, sondern sie blieb rechts von
473 seiner Fahrtrichtung liegen.
</p>
474 <p>W
ährend Grunthe die Landmarken aufnahm und Torm die
475 Instrumente ablas, suchte Saltner, dem die photographische
476 Festhaltung des Terrains oblag, die Gegend mit seinem
477 vorz
üglichen Abb
éschen Relieffernrohr ab. Dasselbe gab
478 eine sechzehnfache Vergr
ößerung und lie
ß, da es
479 die Augendistanz verzehnfachte, die Gegenst
ände in
480 stereoskopischer K
örperlichkeit erscheinen. Sie hatten sich
481 jetzt der Insel soweit gen
ähert, da
ß es m
öglich
482 gewesen w
äre, Menschen, falls sich solche dort h
ätten
483 befinden k
önnen, mit Hilfe des Fernrohrs wahrzunehmen.
</p>
484 <p>Saltner sch
üttelte den Kopf, sah wieder durch das Fernrohr,
485 setzte es ab und sch
üttelte wieder den Kopf.
</p>
486 <p>»Meine Herren
«, sagte er jetzt,
»entweder ist
487 mir der Champagner in den Kopf gestiegen
–«</p>
488 <p>»Die zwei Glas, Ihnen?
« fragte Torm
490 <p>»Ich glaub es auch nicht, also
– oder
492 <p>»Oder? Was sehen Sie denn?
«</p>
493 <p>»Es sind schon andere vor uns hier gewesen.
«</p>
494 <p>»Unm
öglich!
« riefen Torm und Grunthe wie aus
496 <p>»Die bisherigen Berichte wissen nichts von einer
497 derartigen Insel
– unsere Vorg
änger sind offenbar gar
498 nicht
über das Gebirge gekommen
«, f
ügte Torm
500 <p>»Sehen Sie selbst
«, sagte Saltner und gab das
501 Fernrohr an Torm. Er selbst und Grunthe benutzten ihre kleineren
502 Feldstecher. Torm blickte gespannt nach der Insel, dann wollte er
503 etwas sagen, zuckte aber nur mit den Lippen und blieb v
öllig
505 <p>Saltner begann wieder:
»Die Insel ist genau
506 kreisf
örmig
– das haben wir schon bemerkt. Aber jetzt
507 sehen Sie, da
ß gerade im Zentrum sich wieder ein dunkler
508 Kreis von
– sagen wir
– vielleicht hundert Metern
509 Durchmesser befindet.
«</p>
510 <p>»Allerdings
«, sagte Grunthe,
»aber es ist
511 nicht nur ein Kreis, sondern eine zylindrische
Öffnung, wie
512 man jetzt deutlich sehen kann. Und um den Rand derselben f
ührt
513 eine Art Br
üstung.
«</p>
514 <p>»Und nun suchen Sie einmal den Rand der Insel ab. Was
515 sehen Sie?
«</p>
516 <p>»Mein Glas ist zu schwach, um Einzelheiten zu
518 <p>»Ich habe gesehen, was Sie wahrscheinlich meinen
«,
520 <p>»Aber was ist das
«, unterbrach er sich,
»der
521 Ballon
ändert seine Richtung?
«</p>
522 <p>Er gab das Glas an Grunthe und wandte seine Aufmerksamkeit dem
523 Ballon zu. Dieser wich nach rechts von seinem bisherigen Kurse ab.
524 Er bewegte sich parallel mit dem Ufer der Insel, diese in sich
525 gleichbleibender Entfernung umkreisend.
</p>
526 <p>»Wir wollen uns
überzeugen, da
ß wir dasselbe
527 meinen
«, sagte Grunthe.
»Rings um die Insel zieht sich
528 ein Kreis von pfeiler- oder s
äulenartigen Erh
öhungen in
529 gleichen Abst
änden.
«</p>
530 <p>»Es stimmt
«, sagten die andern.
</p>
531 <p>»Ich habe sie gez
ählt
«, bemerkte Torm,
532 »es sind zw
ölf gro
ße, dazwischen je elf kleinere,
533 im ganzen hundertvierundvierzig.
«</p>
534 <p>»Und der seltsame Reflex
über der ganzen
536 <p>»Wissen Sie, es sieht aus, als w
äre die ganze Insel
537 mit einem Netz von spiegelnden metallischen Dr
ähten oder
538 Schienen
überzogen, die wie die Speichen eines Rades vom
539 Zentrum nach der Peripherie laufen.
«</p>
540 <p>»Ja
«, sagte Torm, indem er sich einen Augenblick
541 ersch
öpft niedersetzte,
»und Sie werden gleich noch mehr
542 sehen, wenn Sie l
änger hinschauen. Ich will es Ihnen
543 sagen.
« Seine Stimme klang rauh und heiser.
»Was Sie
544 dort sehen, ist der Nordpol der Erde
– aber, wir haben ihn
545 nicht entdeckt.
«</p>
546 <p>»Das fehlte gerade
«, fuhr Saltner auf.
547 »Daf
ür sollten wir uns in diesen pendelnden Frierkasten
548 gesetzt haben? Nein, Kapit
än, entdeckt haben wir ihn, und was
549 wir da sehen, ist kein Menschenwerk. So verr
ückt w
äre
550 doch kein Mensch, hier Dr
ähte zu spannen! Eher will ich
551 glauben, da
ß die Erdachse in ein gro
ßes Velozipedrad
552 ausl
äuft, und da
ß wir wahrhaftig berufen sind, sie zu
553 schmieren! Nur nicht den Mut verlieren!
«</p>
554 <p>»Wenn es nicht Menschen sind
«, sagte Torm tonlos,
555 »und ich wei
ß auch nicht, wie Menschen dergleichen
556 machen sollten, und warum, und wo sie herk
ämen
– das
557 h
ätte man doch erfahren
– so
– eine T
äuschung
558 ist es doch nicht
– so steht mir der Verstand
560 <p>»Na
«, sagte Saltner,
»Eisb
ären
561 werden
’s nicht gemacht haben, obgleich ich mich jetzt
562 über nichts mehr wundern w
ürde, und wenn gleich ein
563 gefl
ügelter Seehund k
äme und
›Station
564 Nordpol
‹ ausriefe. Aber es k
önnte doch vielleicht eine
565 Naturerscheinung sein, ein merkw
ürdiger
566 Kristallisationsproze
ß – – Sakri! Jetzt hab
567 ich
’s. Das ist ein Geysir! Ein riesiger Geysir!
«</p>
568 <p>»Nein, Saltner
«, erwiderte Torm,
»das habe ich
569 auch schon gedacht
– ein Schlammvulkan k
önnte etwa eine
570 ähnliche Bildung zeigen. Aber
– Sie haben wohl das
571 Eigentliche, die Hauptsache, das
– Unerkl
ärliche noch
572 nicht gesehen
–«</p>
573 <p>»Was meinen Sie?
«</p>
574 <p>»Ich hab
’ es gesehen
«, sagte jetzt Grunthe. Er
575 setzte das Fernrohr ab. Dann lehnte er sich zur
ück und
576 runzelte die Stirn. Auch um die fest zusammengezogenen Lippen
577 bildeten sich Falten, da
ß sein Mund aussah wie ein in
578 Klammern gesetztes Minuszeichen. Er versank in tiefes, sorgenvolles
580 <p>Saltner ergriff das Glas.
</p>
581 <p>»Achten Sie auf die F
ärbungen am Boden der ganzen
582 Insel!
« sagte Torm zu ihm.
</p>
583 <p>»Es sind Figuren!
« rief Saltner.
</p>
584 <p>»Ja
«, sagte Torm.
»Und diese Figuren stellen
585 nichts anderes dar als ein genaues Kartenbild eines gro
ßen
586 Teils der n
örd- lichen Halbkugel der Erde in perspektivischer
587 Polarprojektion. Sie sehen deutlich den Verlauf der
588 gr
önl
ändischen K
üste, Nordamerika, die
589 Beringstra
ße, Sibirien, ganz Europa
– mit seinen
590 unverkennbaren Inseln und Halbinseln, das Mittelmeer bis zum
591 Nordrand von Afrika, wenn auch stark verk
ürzt.
«</p>
592 <p>»Es ist kein Zweifel
«, sagte Saltner.
»Die
593 ganze Umgebung des Pols ist in einem deutlichen Kartenbild in
594 kolossalem Ma
ßstab hier abgezeichnet, und zwar bis gegen den
595 30. Breitengrad.
«</p>
596 <p>»Und wie ist das m
öglich?
«</p>
597 <p>Die Frage fand keine Antwort. Alle schwiegen.
</p>
598 <p>Inzwischen hatte der Ballon eine fast vollst
ändige
599 Umkreisung der Insel vollzogen. Aber er hatte sich derselben auch
600 noch um ein St
ück gen
ähert. Es war klar, da
ß er
601 durch eine unbekannte Kraft, wohl durch eine wirbelf
örmige
602 Bewegung der Luft, um die Insel herumgef
ührt und zugleich nach
603 der Achse des Wirbels, die von der Mitte der Insel ausgehen mochte,
604 zu ihr hingezogen wurde.
</p>
605 <p>Torm unterbrach das Schweigen.
»Wir m
üssen einen
606 Entschlu
ß fassen
«, sagte er.
»Wollen die Herren
607 sich
äu
ßern.
«</p>
608 <p>»Ich will zun
ächst einmal
«, begann Saltner,
609 »diese merkw
ürdige Erdkarte photographieren. Sie scheint
610 ziemlich richtig selbst in Details zu sein. Da
ß sie nicht von
611 Menschenhand herr
ühren kann, sehen wir daraus da
ß auch
612 die noch unbekannten Gegenden des Polargebietes dargestellt sind.
613 Die innere
Öffnung, bei welcher die Karte abbricht, entspricht
614 in ihrem Umfange etwa dem
86. Breitengrade; es fehlen also
–
615 f
ür uns leider
– die n
ächsten vier Grade um den Pol
617 <p>»Selbstverst
ändlich
«, sagte Torm,
618 »m
üssen Sie die Karte photographieren. Wir d
ürfen
619 nicht mehr zweifeln, ein Werk intelligenter Wesen vor uns zu haben,
620 wenn ich mir auch nicht erkl
ären kann, wer diese sein
621 m
ögen. Aber wenn das richtig ist, was wir kontrollieren
622 k
önnen, so m
üssen wir schlie
ßen, da
ß auch die
623 Teile des Polargebietes nach den Nordk
üsten von Amerika und
624 Sibirien hin zuverl
ässig dargestellt sind. Und dann
625 h
ätten wir mit einem Schlage eine vollst
ändige Karte
626 dieses bisher unerforschten Polargebietes.
«</p>
627 <p>»Nun, ich denke, wir k
önnen mit diesem Erfolg schon
628 zufrieden sein. Und bedenken Sie, wie n
ützlich die Karte
629 f
ür unsere R
ückkehr werden kann. So
–«, damit
630 brachte Saltner die photographische Kammer wieder an ihren Platz,
631 »ich habe drei sichere Aufnahmen. Aber der Ballon bewegt sich
632 ja schneller?
«</p>
633 <p>»Ich glaube auch
«, sagte Torm.
»Ich bitte nun
634 um die Meinung der Herren, sollen wir eine Landung auf der Insel
635 wagen, um dieses Geheimnis zu erforschen?
«</p>
636 <p>»Ich meine
«,
äu
ßerte sich Saltner,
637 »wir m
üssen es versuchen. Wir m
üssen zusehen, mit
638 wem wir es hier zu tun haben.
«</p>
639 <p>»Gewi
ß«, sagte Torm,
»die Aufgabe ist
640 verlockend. Aber es ist zu bef
ürchten, da
ß wir zuviel
641 Gas verlieren, da
ß wir vielleicht die M
öglichkeit
642 aufgeben, den Ballon weiter zu benutzen. Was meinen Sie, Dr.
644 <p>Grunthe richtete sich aus seinem Nachsinnen auf. Er sprach sehr
645 ernst:
»Unter keinen Umst
änden d
ürfen wir landen.
646 Ich bin sogar der Ansicht, da
ß wir alle Anstrengungen machen
647 m
üssen, um uns so schnell wie m
öglich von diesem
648 gef
ähr- lichen Punkt zu entfernen.
«</p>
649 <p>»Worin sehen Sie die Gefahr?
«</p>
650 <p>»Nachdem wir die eigent
ümliche Ausr
üstung des
651 Pols und die Abbildung der Erdoberfl
äche gesehen haben, ist
652 doch kein Zweifel, da
ß wir einer g
änzlich unbekannten
653 Macht gegen-
überstehen. Wir m
üssen annehmen, da
ß
654 wir es mit Wesen zu tun bekommen, deren F
ähigkeiten und
655 Kr
äften wir nicht gewachsen sind. Wer diesen Riesenapparat
656 hier in der unzug
änglichen Eisw
üste des Polargebiets
657 aufstellen konnte, der w
ürde ohne Zweifel
über uns nach
658 Gutd
ünken verf
ügen k
önnen.
«</p>
659 <p>»Nun, nun
«, sagte Torm,
»wir wollen uns darum
660 nicht f
ürchten.
«</p>
661 <p>»Das nicht
«, erwiderte Grunthe,
»aber wir
662 d
ürfen den Erfolg unserer Expedition nicht aufs Spiel setzen.
663 Vielleicht liegt es im Interesse dieser Polbewohner, den
664 Kulturl
ändern keine Nachricht von ihrer Existenz zukommen zu
665 lassen. Wir w
ürden dann ohne Zweifel unsere Freiheit
666 verlieren. Ich meine, wir m
üssen alles daransetzen, das, was
667 wir beobachtet haben, der Wissenschaft zu
übermitteln und es
668 dann sp
äteren Erw
ägungen
überlassen, ob es geraten
669 scheint und mit welchen Mitteln es m
öglich sei, das
670 unerwartete Geheimnis des Pols aufzul
ösen. Wir d
ürfen uns
671 nicht als Eroberer betrachten, sondern nur als
672 Kundschafter.
«</p>
673 <p>Die andern schwiegen nachdenklich. Dann sagte Torm:
</p>
674 <p>»Ich mu
ß Ihnen recht geben. Unsere Instruktion
675 lautet allerdings dahin, eine Landung nach M
öglichkeit zu
676 vermeiden. Wir sollen mit m
öglichstes Eile in bewohnte
677 Gegenden zu gelangen suchen, nachdem wir uns dem Pol soweit wie
678 ang
änglich gen
ähert und seine Lage festgestellt haben,
679 und wir sollen versuchen, einen
Überblick
über die
680 Verteilung von Land und Wasser vom Ballon aus zu gewinnen. Dieser
681 Gesichtspunkt mu
ß entscheidend sein. Wir wollen also
682 versuchen, von hier fortzukommen.
«</p>
683 <p>»Aber nach welcher Richtung?
« fragte Saltner.
684 »Dar
über k
önnte uns die Polarkarte der Insel
685 Auskunft geben.
«</p>
686 <p>»Ich f
ürchte
«, entgegnete Torm,
»von
687 unserm guten Willen wird dabei sehr wenig abh
ängen. Wir
688 m
üssen abwarten, was der Wind
über uns beschlie
ßen
689 wird. Zun
ächst lassen Sie uns versuchen, diesem Wirbel zu
690 entfliehen.
«</p>
691 <p>Inzwischen hatte sich der Ballon noch mehr der Insel
692 gen
ähert, und seine Geschwindigkeit begann zu wachsen.
693 Zugleich aber erhob er sich weiter
über den Erdboden.
</p>
694 <p>Die Luftschiffer spannten nun das Segel auf und gaben ihm eine
695 solche Stellung, da
ß der Widerstand der Luft sie nach der
696 Peripherie des Wirbels treiben mu
ßte. Da aber der Ballon viel
697 zu hoch schwebte, als da
ß das Schleppseil seine hemmende
698 Wirkung h
ätte aus
üben k
önnen, so mu
ßte das
699 Man
över zuerst versagen. In immer engeren Spirallinien
700 aufsteigend n
äherte sich der Ballon dem Zentrum des Wirbels
701 und vermehrte seine Geschwindigkeit. In gro
ßer Besorgnis
702 verfolgten die Luftschiffer den Vorgang. Sie beeilten sich, die
703 L
änge des Schlepptaus zu vergr
ößern. Ihre
704 vorz
ügliche Ausr
üstung gestattete ihnen, ein Schlepptau
705 von tausend Metern L
änge zu verwenden, an welches noch ein
706 hundertundf
ünfzig Meter langer Schleppgurt mit Schwimmern kam.
707 Aber auch diese stattliche Ausdehnung des Seiles reichte nicht bis
708 auf die Oberfl
äche des Wassers.
</p>
709 <p>»Es bleibt nichts
übrig
«, rief Torm endlich,
710 »wir m
üssen weiter niedersteigen.
«</p>
711 <p>Er
öffnete das Man
överventil. Das Gas str
ömte
712 aus. Der Ballon begann zu sinken.
</p>
713 <p>»Wir wollen aber
«, sagte Torm,
»da wir nicht
714 wissen, wie wir hier davonkommen, doch versuchen, eine Nachricht
715 nach Hause zu geben. Lassen Sie uns einige unserer Brieftauben
716 absenden. Jetzt ist der geeignete Moment. Was wir gesehen haben,
717 mu
ß man in Europa erfahren.
«</p>
718 <p>Eilends schrieb er die n
ötigen Notizen auf den schmalen
719 Streifen Papier, den er zusammenrollte und in der Federpose
720 versiegelte, welche den Brieftauben angeheftet wurde.
</p>
721 <p>Saltner gab den Tierchen die Freiheit. Sie umkreisten wiederholt
722 den Ballon und entfernten sich dann in einer Richtung, die von der
723 Insel fortf
ührte.
</p>
724 <p>Torm schlo
ß das Ventil wieder. Sie mu
ßten jetzt
725 jeden Augenblick erwarten, da
ß das Ende des Schlepptaus die
726 Oberfl
äche des Wassers ber
ühre. Der Ballon n
äherte
727 sich seiner Gleichgewichtslage.
</p>
728 <p>Grunthe blickte durch das Relieffernrohr direkt nach unten, da
729 es durch dieses Instrument m
öglich war, den breiten Sackanker
730 am Ende des Schleppgurts zu sehen und den Abstand desselben vom
731 Boden zu sch
ätzen. Pl
ötzlich griff er mit
732 gr
ößter Hast zur Seite, erfa
ßte den n
ächsten
733 Gegenstand, der ihm zur Hand war
– es war das Futteral mit
734 den beiden noch gef
üllten Champagnerflaschen
– und
735 schleuderte es in gro
ßem Bogen zum Korbe hinaus.
</p>
736 <p>»Sakri, was f
ällt ihnen ein
«, rief Saltner
737 entr
üstet,
»werfen da unsern saubern Wein ins
739 <p>»Entschuldigen Sie
«, sagte Grunthe, indem er sich
740 aus seiner geb
ückten Stellung aufrichtete, da er an der
741 Bewegung der Wimpel bemerkte, da
ß der Ballon wieder im
742 Steigen begriffen war.
»Entschuldigen Sie, aber das Fernrohr
743 konnte ich doch nicht hinauswerfen, und es war keine halbe Sekunde
744 zu verlieren
– wir w
ären wahrscheinlich verloren
746 <p>»Was gab es denn?
« fragte Torm besorgt.
</p>
747 <p>»Wir sind nicht mehr
über dem Wasser, sondern bereits
748 am Rande der Insel. Das Ende des Seils war wohl kaum weiter als
749 zehn Meter von der Oberfl
äche der Insel entfernt. Wir
750 h
ätten sie ber
ührt, wenn nicht das Sinken des Ballons
751 momentan aufgeh
ört h
ätte. Gl
ücklicherweise
752 gen
ügten die Flaschen, unsern Fall aufzuhalten.
«</p>
753 <p>»Und glauben Sie denn, da
ß wir die Insel nicht
754 ber
ühren d
ürfen?
«</p>
755 <p>»Ich glaube es nicht, ich wei
ß es.
«</p>
756 <p>»Wieso?
«</p>
757 <p>»Wir w
ären hinabgezogen worden.
«</p>
758 <p>»Ich kann noch nicht einsehen, woraus Sie das
759 schlie
ßen.
«</p>
760 <p>»Sie haben mir doch beigestimmt
«, sagte Grunthe,
761 »da
ß wir es nicht darauf ankommen lassen d
ürfen,
762 in die Macht der unbekannten Wesen
– sie m
ögen nun sein,
763 wer sie wollen
– zu geraten, welche diesen
764 unerkl
ärlichen Apparat und diese Kolossalkarte am Nordpol
765 hergestellt haben. Es ist aber wohl keine Frage, da
ß dieser
766 Apparat, an den wir mehr und mehr herangezogen werden, nicht sich
767 selbst
überlassen hier stehen wird. Sicherlich ist die Insel
768 bewohnt, es befinden sich die geheimnisvollen Erbauer
769 wahrscheinlich in oder unter jenen D
ächern und Pfeilern, die
770 wir mit unsern Fernrohren nicht durchdringen k
önnen. Es ist
771 anzunehmen, da
ß sie unsern Ballon l
ängst bemerkt haben,
772 und so schlie
ße ich denn, da
ß sie denselben sofort zu
773 sich hinabziehen w
ürden, sobald unser Schleppseil in das
774 Bereich ihrer Arme gelangt.
«</p>
775 <p>»Gott sei Dank
«, rief Saltner,
»da
ß Sie
776 den dunkeln Polg
ästen wenigstens Arme zusprechen; es ist doch
777 schon ein menschlicher Gedanke, da
ß man ihnen zur Not in die
778 Arme fallen kann.
«</p>
779 <p>Torm unterbrach ihn.
»Ich kann mich immer noch nicht recht
780 dazu verstehen
«, sagte er,
»an eine solche
781 überlegene Macht zu glauben. Das widerspr
äche ja doch
782 allem, was bisher in der Geschichte der Polarforschung, ja der
783 Entdeckungsreisen
überhaupt vorgekommen ist. Freilich die
784 Karte
–, aber was denken Sie
überhaupt
über diese
785 Insel? Sie sprachen von einem Apparat, so ein Apparat
786 m
üßte doch einen Zweck haben
–«</p>
787 <p>»Den wird er ohne Zweifel haben, wir sind nur nicht in der
788 Lage, ihn zu kennen oder zu begreifen. Denken Sie, da
ß Sie
789 einen Eskimo vor die Dynamomaschine eines Elektrizit
ätswerks
790 stellen; da
ß das Ding einen Zweck hat, wird er sich sagen,
791 aber was f
ür einen, das wird er nie erraten. Wie soll er
792 begreifen, da
ß die Dr
ähte, die von hier ausgehen,
793 ungeheure Energiemengen auf weite Strecken verteilen, da
ß sie
794 dort Tageshelle erzeugen, dort schwere Wagen mit Hunderten von
795 Menschen mit Leichtigkeit hingleiten lassen? Wenn der Eskimo sich
796 über die Dynamomaschine
äu
ßert, so wird es
797 jedenfalls eine so kindische Ansicht sein, da
ß wir sie
798 bel
ächeln. Und um nicht diesem unbekannten Apparat
799 gegen
über die Rolle des Eskimo zu spielen, will ich mich
800 lieber gar nicht
äu
ßern.
«</p>
801 <p>Torm schwieg nachdenklich. Dann sagte er:
</p>
802 <p>»Was mich am meisten beunruhigt, ist diese
803 unerkl
ärliche Anziehungskraft, die die Achse der Insel auf
804 unsern Ballon aus
übt. Und sehen Sie, seitdem wir kein Gas mehr
805 ausstr
ömen lassen, beginnt der Ballon wieder rapid zu steigen.
806 Dabei wird er fortw
ährend um das Zentrum der Insel
807 herumgetrieben.
«</p>
808 <p>»Und wer sagt Ihnen, was geschieht, wenn wir in die Achse
809 selbst geraten? Ich halte unsere Situation f
ür geradezu
810 verzweifelt, aus dem Wirbel k
önnen wir nur heraus, wenn wir
811 uns sinken lassen. Dann aber geraten wir in die Macht der
812 unbekannten Insulaner.
«</p>
813 <p>»Und dennoch
«, sagte Torm,
»werden wir uns
814 entschlie
ßen m
üssen.
«</p>
815 <p>Alle drei schwiegen. Mit d
üsteren Blicken beobachteten Torm
816 und Grunthe die Bewegungen des Ballons, w
ährend Saltner die
817 Insel mit dem Fernrohr untersuchte. Mehr und mehr verschwanden die
818 Details, die vorher deutlich sichtbar waren, ein Zeichen, da
ß
819 der Ballon mit gro
ßer Geschwindigkeit stieg, auch wenn die
820 Instrumente, ja selbst die zunehmende K
älte, dies nicht
821 angezeigt h
ätten.
</p>
822 <p>Da
– was war das?
– auf der Insel zeigte sich eine
823 Bewegung, ein eigent
ümliches Leuchten. Saltner rief die
824 Gef
ährten an. Sie blickten hinab, konnten aber mit ihren
825 schw
ächeren Instrumenten nur bemerken, da
ß sich helle
826 Punkte vom Zentrum nach der Peripherie hin bewegten. Saltner schien
827 es durch sein starkes Glas, als wenn eine Reihe von Gestalten mit
828 wei
ßen T
üchern winkende Bewegungen ausf
ührte, die
829 alle vom Innern der Insel nach au
ßen hin wiesen.
</p>
830 <p>»Man gibt uns Zeichen
«, sagte er.
»Sehen Sie
831 hier durch das starke Glas!
«</p>
832 <p>»Das kann nichts anderes bedeuten
«, rief Torm,
833 »als da
ß wir uns von der Achse entfernen sollen. Aber
834 so klug sind wir selbst
– wir wissen nur nicht
836 <p>»Wir m
üssen das Entleerungs-Ventil
837 öffnen
«, sagte Saltner.
</p>
838 <p>»Dann ergeben wir uns auf Gnade und Ungnade
«, rief
840 <p>»Und doch wird uns nichts
übrig bleiben
«,
842 <p>»Und was schadet es?
« fragte Saltner.
843 »Vielleicht wollen jene Wesen nur unser Bestes. W
ürden
844 sie uns sonst warnen?
«</p>
845 <p>»Wie dem auch sei
– wir d
ürfen nicht h
öher
846 steigen
«, sagte Torm.
»Wir werden ja geradezu in die
847 H
öhe gerissen.
«</p>
848 <p>Schon hatten sich alle dicht in ihre Pelze gewickelt.
</p>
849 <p>»Warten wir noch
«, sagte Grunthe,
»wir sind
850 immer noch gegen hundert Meter von der Achse der Insel entfernt.
851 Die Tr
übung hat sich gen
ähert, wir kommen in eine
852 Wolkenschicht. Vielleicht gelangt doch der Ballon endlich ins
853 Gleichgewicht.
«</p>
854 <p>»Unm
öglich
«, entgegnete Torm.
»Wir haben
855 bereits gegen
4.000 Meter erreicht. Der Ballon war im
856 Gleichgewicht, als das Gewicht des Futterals mit den
857 Champagnerflaschen seine Bewegung zu
ändern vermochte. Wenn er
858 jetzt mit solcher Geschwindigkeit steigt, so ist das ein Zeichen,
859 da
ß uns eine
äu
ßere Kraft in die H
öhe
860 f
ührt, die um so st
ärker wird, je mehr wir uns dem
861 Zentrum n
ähern.
«</p>
862 <p>»Ich mu
ß es zugeben
«, sagte Grunthe.
»Es
863 ist gerade, als wenn wir uns in einem Kraftfeld bef
änden, das
864 uns direkt von der Erde abst
ößt. Sollen wir einen
865 Versuchsballon ablassen?
«</p>
866 <p>»Kann uns nichts Neues mehr sagen
– es ist zu
867 sp
ät. Da
– wir sind in den Wolken.
«</p>
868 <p>»Also hinunter!
« rief Saltner.
</p>
869 <p>Torm ri
ß das Landungsventil auf.
</p>
870 <p>Der Ballon m
äßigte seine aufsteigende Bewegung, aber
871 zu sinken begann er nicht.
</p>
872 <p>Die Blicke der Luftschiffer hingen an den Instrumenten. Wenige
873 Minuten mu
ßten ihr Schicksal entscheiden. Das Gas
874 str
ömte in die verd
ünnte Luft mit gro
ßer Gewalt
875 aus. Brachte dies den Ballon nicht bald zum Sinken, so war es klar,
876 da
ß sie die Herrschaft
über das Luftmeer verloren
877 hatten. Sie befanden sich dann einer Gewalt gegen
über, die
878 sie, unabh
ängig von dem Gleichgewicht ihres Ballons in der
879 Atmosph
äre, von der Erde forttrieb.
</p>
880 <p>Und der Ballon sank nicht. Eine Zeitlang schien es, als wollte
881 er sich auf gleicher H
öhe halten, aber die wirbelnde Bewegung
882 h
örte nicht auf, die ihn der Achse der Insel entgegentrieb.
883 Diese Achse, daran war ja kein Zweifel, war nichts anderes als die
884 Erdachse selbst, jene mathematische Linie, um welche die Rotation
885 der Erde erfolgt. Immer st
ärker wurden sie zu ihr hingezogen.
886 Aber je n
äher sie ihr kamen, um so heftiger wurde der Ballon
887 noch oben gedr
ängt. Schon begannen sich die k
örperlichen
888 Beschwerden einzustellen, welche die Erhebung in die
889 verd
ünnten Luftschichten begleiten. Alle klagten
über
890 Herzklopfen. Saltner mu
ßte das Fernrohr hinlegen, vor seinen
891 Augen verschwammen die Gegenst
ände. Atemnot stellte sich
893 <p>»Es bleibt nichts andres
übrig
«, rief Torm.
894 »Die Rei
ßleine!
«</p>
895 <p>Grunthe ergriff die Rei
ßleine. Die
896 Zerrei
ßvorrichtung dient dazu, einen Streifen der
897 Ballonh
ülle in der L
änge des sechsten Teils des
898 Ballonumfangs aufzurei
ßen, um den Ballon im Notfall binnen
899 wenigen Minuten des Gases zu entleeren. Aber
– die
900 Vorrichtung versagte! Er zerrte an der Leine
– sie gab nicht
901 nach. Sie mu
ßte sich am Netzwerk des Ballons verfangen haben.
902 Es war jetzt unm
öglich, den Schaden zu reparieren. Der Ballon
903 stieg weiter. Von der Erde war nichts mehr zu sehen, man blickte
905 <p>»Die Sauerstoffapparate!
« kommandierte Torm.
</p>
906 <p>Obwohl man die Absicht hatte, sich stets in geringer H
öhe
907 zu halten, konnte man doch nicht wissen, ob nicht die Umst
ände
908 ein Aufsteigen in die h
öchsten Regionen mit sich bringen
909 wurden. F
ür diesen Fall hatte man sich mit komprimiertem
910 Sauerstoff zur Atmung versehen. Es war jetzt notwendig, die
911 k
ünstliche Atmung anzuwenden.
</p>
912 <p>Die Forscher f
ühlten sich neu gest
ärkt; aber immer
913 furchtbarer wurde die K
älte. Sie merkten, wie ihre
914 Gliedma
ßen zu erstarren drohten. Die Nase, die Finger wurden
915 gef
ühllos, sie versuchten ihnen durch Reiben den
916 Blutzuflu
ß wieder zuzuf
ühren. Der Ballon stieg
917 rettungslos weiter, und zwar immer schneller, je mehr er sich dem
918 Zentrum n
äherte. Siebentausend
– achttausend
–
919 neuntausend Meter zeigte das Barometer im Verlauf einer
920 Viertelstunde an. Die gr
ößte H
öhe, welche je von
921 Menschen erreicht worden war, wurde nun
überschritten.
</p>
922 <p>Unt
ätig sa
ßen die M
änner zusammengedr
ängt
923 – sie hatten den k
ünstlichen Verschlu
ß der Gondel
924 hergestellt, da sie nichts mehr am Ballon
ändern konnten. Sie
925 vermochten nichts zu tun, als sich gegen die K
älte zu
926 sch
ützen. Kein Mittel der Rettung zeigte sich
– ihre
927 Tatkraft begann unter dem Einflu
ß der vernichtenden
928 K
älte zu erlahmen. Der Flug in die H
öhe war unhemmbar
929 – nichts mehr konnte sie retten vor dem Erfrieren
–
930 oder vor dem Ersticken.
– Was w
ürde geschehen? Es war ja
931 gleichg
ültig.
</p>
932 <p>Und doch, immer wieder raffte sich der eine oder andere mit
933 Anstrengung aller Willenskr
äfte auf
– noch ein Blick auf
934 die Instrumente
– die Thermometer waren l
ängst
935 eingefroren
– und
– kaum glaublich
– das
936 Barometer zeigte einen Druck von nur noch
50 Millimeter, das
937 hei
ßt, sie befanden sich zwanzig Kilometer
über der
938 Erdoberfl
äche. Und jetzt
– schien es nicht, als
939 k
äme der Ballon zu ihnen herab? Die entleerte Seidenh
ülle
940 senkte sich
über die Gondel
– die Gondel flog schneller
941 als der Ballon
– wie aus einer Kanone geschossen fuhr sie in
942 die Seide des Ballons hinein, die Insassen der Gondel waren
943 verstrickt in das Gewirr von Stoff und Seilen
– halb schon
944 bewu
ßtlos bemerkten sie kaum noch den Sto
ß der sie traf
945 – sie waren in die Achse des von der Insel ausgehenden
946 Wirbels geraten.
– –</p>
947 <p>Sie befanden sich senkrecht
über dem Pol der Erde
–
948 das Ziel war erreicht, dem sie so hoffnungsfroh entgegengestrebt
949 hatten. Weit unter ihnen im hellen Sonnenscheine lagen die
950 gl
änzenden Wolkenstreifen und fern im S
üden das
951 gr
ünlich schimmernde Land ausgebreitet, die k
ühnen
952 Forscher aber sahen nichts mehr davon. Ohnm
ächtig, erstickt
953 – erdr
ückt von der Last des Ballons, flogen sie, eine
954 formlose Masse bildend, in der Richtung der Erdachse den Grenzen
955 der Atmosph
äre entgegen.
</p>
956 <h2>3 - Die Bewohner des Mars
</h2>
957 <p>Unter dem Einflu
ß der geheimnisvollen Kraft, welche die
958 Tr
ümmer der verungl
ückten Expedition in der Richtung der
959 Erdachse vom Nordpol forttrieb, hatten sie eine ungeheure
960 Beschleunigung erlangt. Der in die Falten des Ballons
961 hineingetriebene Korb bewegte sich jetzt mit rasender
962 Geschwindigkeit nach oben. Wenige Minuten mu
ßten
963 gen
ügen, den Tod der Insassen zu bewirken, da der
964 Verschlu
ß der Gondel sie nicht hinreichend zu sch
ützen
966 <p>Nicht mehr von der Erde aus erkennbar schien das seltsame
967 Gescho
ß einsam und verlassen den Weltraum zu durcheilen,
968 jeder menschlichen Macht entr
ückt, ein Spielball kosmischer
969 Kr
äfte
– –</p>
970 <p>Und dennoch war der Ballon der Gegenstand gespanntester
972 <p>Die Beobachter desselben befanden sich auf einer Stelle, wo kein
973 Mensch lebende Wesen vermutet, ja nur eine solche M
öglichkeit
974 h
ätte verstehen k
önnen. Da
ß der Nordpol von
975 unbekannten Bewohnern besetzt sei, war ja
äu
ßerst
976 seltsam und
überraschend; aber er war doch ein Punkt der Erde,
977 auf welchem lebende Wesen sich aufzuhalten und zu atmen vermochten.
978 Der Ort dagegen, von welchem aus man jetzt auf den
979 verungl
ückten Ballon aufmerksam wurde, befand sich bereits
980 au
ßerhalb der Erdatmosph
äre. Genau in der Richtung der
981 Erdachse und auf dieser genau so weit von der Oberfl
äche der
982 Erde entfernt wie der Mittelpunkt der Erde unterhalb, also in einer
983 H
öhe von
6.356 Kilometer, befand sich frei im Raume schwebend
984 ein merkw
ürdiges Kunstwerk, ein ringf
örmiger K
örper,
985 etwa von der Gestalt eines riesigen Rades, dessen Ebene parallel
986 dem Horizont des Poles lag.
</p>
987 <p>Dieser Ring besa
ß eine Breite von etwa f
ünfzig Metern
988 und einen inneren Durchmesser von zwanzig, im ganzen also einen
989 Durchmesser von
120 Metern. Rings um denselben erstreckten sich
990 au
ßerdem,
ähnlich wie die Ringe um den Saturn,
991 d
ünne, aber sehr breite Scheiben, deren Durchmesser bis auf
992 weitere zweihundert Meter anstieg. Sie bildeten ein System von
993 Schwungr
ädern, das ohne Reibung mit gro
ßer
994 Geschwindigkeit um den inneren Ring herumlief und denselben in
995 seiner Ebene stets senkrecht zur Erdachse hielt. Der innere Ring
996 glich einer gro
ßen kreisf
örmigen Halle, die sich in drei
997 Stockwerken von zusammen etwa f
ünfzehn Metern H
öhe
998 aufbaute. Das gesamte Material dieses Geb
äudes wie das der
999 Schwungr
äder bestand aus einem v
öllig durchsichtigen
1000 Stoffe. Dieser war jedoch von au
ßerordentlicher Festigkeit
1001 und schlo
ß das Innere der Halle vollst
ändig luft- und
1002 w
ärmedicht gegen den leeren Weltraum ab. Obwohl die Temperatur
1003 im Weltraum rings um den Ring fast zweihundert Grad unter dem
1004 Gefrierpunkt des Wassers lag, herrschte innerhalb der
1005 ringf
örmigen Halle eine angenehme W
ärme und eine zwar
1006 etwas stark verd
ünnte, aber doch atembare Luft. In dem
1007 mittleren Stockwerk, durch welches sich ein Gewirr von
1008 Dr
ähten, Gittern und vibrierenden Spiegeln zog, hielten sich
1009 auf der inneren Seite des Rings zwei Personen auf, die sich damit
1010 besch
äftigten, eine Reihe von Apparaten zu beobachten und zu
1012 <p>Wie aber war es m
öglich, da
ß dieser Ring in der
1013 H
öhe von
6.356 Kilometern sich freischwebend
über der
1015 <p>Eine tiefreichende Erkenntnis der Natur und eine
1016 äu
ßerst scharfsinnige Ausbildung der Technik hatten es
1017 verstanden, dieses Wunderwerk herzustellen.
</p>
1018 <p>Der Ring unterlag nat
ürlich der Anziehungskraft der Erde
1019 und w
äre, sich selbst
überlassen, auf die Insel am Pol
1020 gest
ürzt. Gerade von dieser Insel aus aber wirkte auf ihn eine
1021 absto
ßende Kraft, welche ihn in der Entfernung im
1022 Gleichgewicht hielt, die genau dem Halbmesser der Erde gleichkam.
1023 Diese Kraft hatte ihre Quelle in nichts anderem als in der Sonne
1024 selbst, und die Kraft der Sonnenstrahlung so umzuformen, da
ß
1025 sie jenen Ring der Erde gegen
über in Gleichgewichtslage hielt,
1026 das eben hatte die Kunst einer gl
änzend vorgeschrittenen
1027 Wissenschaft und Technik zustande gebracht.
</p>
1028 <p>In jener H
öhe, einen Erdhalbmesser
über dem Pol, war
1029 der Ring ohne Unterbrechung der Sonnenstrahlung ausgesetzt. Die von
1030 der Sonne ausgestrahlte Energie wurde nun von einer ungeheuren
1031 Anzahl von Fl
ächenelementen, die sich in dem Ringe und auf der
1032 Oberfl
äche der Schwungr
äder befanden, aufgenommen und
1033 gesammelt. Die Menschen verwenden auf der Erdoberfl
äche von
1034 der Sonnenenergie haupts
ächlich nur W
ärme und Licht. Hier
1035 im leeren Weltraum aber zeigte sich, da
ß die Sonne noch
1036 ungleich gr
ößere Energiemengen aussendet, insbesondere
1037 Strahlen von sehr gro
ßer Wellenl
änge, wie die
1038 elektrischen, als auch solche von noch viel kleinerer als die der
1039 Lichtwellen. Wir merken nichts davon, weil sie zum
1040 gr
ößten Teile schon von den
äu
ßersten
1041 Schichten der Atmosph
äre absorbiert oder wieder in den
1042 Weltraum ausgestrahlt werden. Hier aber wurden alle diese sonst
1043 verlorenen Energiemengen gesammelt, transformiert und in geeigneter
1044 Gestalt nach der Insel am Nordpol reflektiert. Auf der Insel wurden
1045 sie, in Verbindung mit der von der Insel direkt aufgenommenen
1046 Strahlung, zu einer Reihe gro
ßartiger Leistungen verwendet;
1047 denn man hatte auf diese Weise eine ganz enorme Energiemenge zur
1049 <p>Ein Teil dieser Arbeitskraft wurde nun zun
ächst dazu
1050 gebraucht, ein elektromagnetisches Feld von gewaltigster
1051 St
ärke und Ausdehnung zu erzeugen. Die ganze Insel mit ihren
1052 hundertvierundvierzig Rundbastionen stellte gewisserma
ßen
1053 einen riesigen Elektromagneten vor, der von der Sonnenenergie
1054 selbst gespeist wurde. Die Konstruktion war so angelegt, da
ß
1055 die Kraftlinien sich um den Ring konzentrierten und dieser, der
1056 Schwerkraft entgegen schwebend gehalten wurde. Da
ß dies genau
1057 in der Entfernung des Erdhalbmessers vom Pole geschah, hing mit
1058 einer Beziehung zwischen Elektromagnetismus und Schwere zusammen,
1059 infolge deren sich gerade an dieser Stelle eine Art Knotenpunkt
1060 f
ür die Wellenbewegung beider Kr
äfte zu bilden vermochte
1061 und das Gleichgewicht erm
öglichte.
</p>
1062 <p>Allerdings wurde durch eine Reihe komplizierter und h
öchst
1063 scharfsinnig ausgedachter Kontrollapparate daf
ür gesorgt,
1064 da
ß alle Schwankungen der Energiemengen zur rechten Zeit
1065 ausgeglichen wurden. Einen solchen Apparat aufzustellen w
äre
1066 indessen an keinem anderen Punkte der Erde m
öglich gewesen als
1067 in der Verl
ängerung ihrer Rotationsachse, also
über dem
1068 Nordpol oder
über dem S
üdpol. Denn an jeder andern Stelle
1069 h
ätte, abgesehen von tieferliegenden Schwierigkeiten, die
1070 Verschiebung der Erdoberfl
äche infolge der t
äglichen
1071 Umdrehung der Erde un
überwindbare Hindernisse f
ür die
1072 Herstellung des Gleichgewichts zwischen der Schwerkraft und dem
1073 Elektromagneten geboten; auch h
ätte die
1074 gleichm
äßige Sonnenstrahlung gefehlt. Der Pol bietet
1075 aber in jeder Hinsicht die einfachsten Verh
ältnisse wenn es
1076 gelingt, bis zu ihm zu gelangen.
</p>
1077 <p>Nun, die un
übertroffenen Ingenieure der Insel und des
1078 Ringes waren einmal da. Aber wo kamen sie her? Wie waren sie
1079 dorthin gelangt, ohne da
ß die internationale Kommission
1080 f
ür Polarforschung die geringste Ahnung davon hatte? Und vor
1081 allem
– wenn sie einmal da waren
–, was hatte es
1082 f
ür einen Zweck, jenen freischwebenden Ring
über dem Pol
1083 zu balancieren? Und wenn einmal jener Ring da war, wie konnte man
1084 hinauf- und hinabkommen?
</p>
1085 <p>Jener Ring war
überhaupt nur ein Mittel, um einen ganz
1086 andern Zweck zu erreichen. Er diente dazu, einen Standpunkt
1087 au
ßerhalb der Atmosph
äre der Erde zu gewinnen, eine
1088 Station, um zwischen dieser und der Erde nichts Geringeres
1089 auszuf
ühren, als
– eine zeitweilige Aufhebung der
1090 Schwerkraft. Der Raum zwischen der inneren
Öffnung des Ringes
1091 von zwanzig Metern Durchmesser und der auf der Insel sich
1092 befindenden Vertiefung, also ein Zylinder, dessen Achse genau mit
1093 der Erdachse zusammenfiel, war ein
›abarisches Feld
‹.
1094 Dies bedeutet, ein Gebiet ohne Schwere. K
örper, welche in
1095 diesen zylindrischen Raum gerieten, wurden von der Erde nicht mehr
1096 angezogen. Dieses abarische Feld bewirkte, da
ß in der ganzen
1097 Umgebung des Feldes Spannungen im Raum vorhanden waren, wodurch
1098 etwa sich n
ähernde K
örper in das Feld getrieben wurden.
1099 Daher war es gekommen, da
ß der Ballon der Luftschiffer
1100 allm
ählich der Insel und damit dem abarischen Felde
1101 unentrinnbar zugef
ührt worden war.
</p>
1102 <p>Die Erzeugung jenes Feldes, in welchem die Schwerkraft
1103 aufgehoben war f
ür den inneren Raum zwischen Insel und Ring,
1104 war dadurch m
öglich gemacht worden, da
ß man eine der
1105 Erdschwere entgegengesetzt gerichtete Gravitationskraft herstellte.
1106 Es war jenen Polbewohnern bekannt, wie man diejenigen Strahlen,
1107 welche haupts
ächlich chemische Wirkung, W
ärme und Licht
1108 liefern, in Gravitation
überf
ühren kann. Sie wurden zu
1109 diesem Zweck bis in den inneren Teil des Ringes geleitet und traten
1110 hier in den
›Gravitationsgenerator
‹. Dies war ein
1111 Apparat, durch welchen man W
ärme in Gravitation umwandelte.
1112 Ein zweiter, ebenso eingerichteter Gravitationserzeuger befand sich
1113 in der zentralen Vertiefung im Inneren der Insel. Beide Apparate
1114 wirkten derartig zusammen, da
ß die Beschleunigung der
1115 Schwerkraft im Inneren zwischen Insel und Ring beliebig reguliert
1116 werden konnte. Man konnte sie entweder nur verringern, oder ganz
1117 aufheben
– dann war das abarische Feld im eigentlichen Sinne
1118 hergestellt
–, oder man konnte die Gegenschwerkraft so
1119 verst
ärken, da
ß die K
örper innerhalb des abarischen
1120 Feldes
›nach oben fielen
‹, das hei
ßt, eine
1121 beliebig starke Beschleunigung entgegengesetzt der Erdschwere, also
1122 von der Erde fort, erhielten. Auf diese Weise war es m
öglich,
1123 mit jeder gew
ünschten Geschwindigkeit K
örper zwischen der
1124 Insel und dem Ringe sowohl von unten nach oben als von oben nach
1125 unten in Bewegung zu setzen, indem man sie in einen zu diesem Zweck
1126 konstruierten Flugwagen einschlo
ß.
</p>
1127 <p>Es war nun die schwierige Aufgabe der Ingenieure an den beiden
1128 Endstationen, den Betrieb so zu regulieren, da
ß jedesmal das
1129 abarische Feld die n
ötige St
ärke besa
ß, um den
1130 Wagen nach oben zu treiben oder in seiner Bewegung aufzuhalten.
</p>
1131 <p>Als der Ballon der Polarforscher in das abarische Feld geriet,
1132 war dasselbe gerade auf
›Gegenschwere
‹ gestellt, weil
1133 sich ein Flugwagen auf dem Wege von der Insel nach dem Ringe
1134 befand. Infolgedessen wurde der nach dem abarischen Felde
1135 hingedr
ängte Ballon, sobald er in die Achse desselben geraten
1136 war, mit gro
ßer Geschwindigkeit in die H
öhe
1138 <p>Äu
ßerlich unterschied sich das Feld von der
1139 umgebenden Luft in gar nichts. Nur ein starker aufsteigender
1140 Luftstrom und infolgedessen ein seitliches Zustr
ömen der Luft
1141 war nat
ürlich vorhanden. Aber bei dem geringen Durchmesser des
1142 Feldes von zwanzig Metern war die in die H
öhe getriebene
1143 Luftmasse so gering, da
ß es dadurch nicht zu einer merklichen
1144 Nebel- oder Wolkenbildung kam, zumal vom Ringe wie von der Insel
1145 aus eine so starke Bestrahlung stattfand, da
ß der sich etwa
1146 kondensierende Wasserdampf sofort wieder in Gasform aufgel
öst
1148 <p>Solange der Ballon sich noch in den Luftschichten bis ein oder
1149 zwei Kilometer befand, konnte das Ausstr
ömen des Gases sein
1150 Aufsteigen einigerma
ßen verz
ögern. Dann aber wurde die
1151 Beschleunigung zu gro
ß. Die Gondel, welche sich im Zentrum
1152 des Feldes befand, erfuhr dabei eine gr
ößere
1153 Beschleunigung nach oben als der an Masse zwar geringere, an
1154 Ausdehnung aber soviel gr
ößere Ballon. Denn da der
1155 Durchmesser des Ballons zwanzig Meter
übertraf, so ragte er
1156 zum Teil
über das abarische Feld hinaus. Erst als er durch den
1157 Verlust an Gas zusammengesunken war, geriet er ganz in das
1158 abarische Feld, und nun begann jener kolossal beschleunigte
1159 ›Fall nach oben
‹, der den Ballon binnen einer
1160 Viertelstunde auf tausend Kilometer emporgerissen h
ätte, wenn
1161 er nicht zum Gl
ück nach kaum einer Minute aufgehalten worden
1163 <p>Als die Ingenieure der Insel den Ballon bemerkten, hatten sie
1164 zun
ächst versucht, ihn durch Ergreifung des Schleppgurts
1165 festzuhalten. Dies hatte Grunthe durch das Hinauswerfen der
1166 Champagnerflaschen verhindert, da er jede Ber
ührung der Insel
1167 vermeiden wollte. So war der Ballon so weit gestiegen, da
ß er
1168 nicht mehr ergriffen werden konnte, aber er war dadurch dem
1169 abarischen Felde unrettbar
überliefert. Hier h
ätten ihn
1170 nun die Bewohner der Insel freilich sogleich aufhalten und
1171 zur
ückf
ühren k
önnen, wenn sie die
1172 ›Gegenschwere
‹ im Felde abgestellt h
ätten. Dies
1173 war ihnen jedoch darum nicht m
öglich, weil sich oberhalb des
1174 Ballons, l
ängst nicht mehr sichtbar, ihr eigener Flugwagen
1175 befand. Sie konnten also nicht eher eine Ver
änderung am Feld
1176 vornehmen, als bis ihr Wagen an der Station des Ringes angekommen
1177 war. Zum Gl
ück f
ür die Insassen des Ballons mu
ßte
1178 dies in k
ürzester Zeit geschehen.
</p>
1179 <p>Inzwischen hatten aber auch die Ingenieure auf dem Ring, obwohl
1180 sie den Ballon nicht sehen konnten, doch an ihren
1181 Gravitationsmessern eine St
örung im abarischen Felde
1182 wahrgenommen. Sie sandten daher vom Ring eine Depesche nach der
1184 <p>Diese
Übermittlung bot keine Schwierigkeit, denn sie
1185 verstanden es, die Lichtstrahlen selbst als Tr
äger f
ür
1186 ihre Depeschen zu benutzen. Der Raum zwischen Ring und Insel
1187 gestattete dies infolge der intensiven Bestrahlung auch beim
1188 feuchtesten Wetter.
</p>
1189 <p>Sie telegraphierten nicht nur, sie telefonierten verm
öge
1190 des Lichtstrahls. Die elektromagnetischen Schwingungen des
1191 Telephons setzten sich in photochemische um und wurden auf der
1192 andern Station sofort am Apparat abgelesen. W
ährend die
1193 ungl
ücklichen Luftschiffer, von der Seide des Ballons
1194 eingeh
üllt, ihre blitzschnelle Fahrt auf der Erdachse
1195 vollf
ührten, ging an ihnen eine Depesche vom Ring nach der
1196 Insel vor
über, welche lautete:
</p>
1197 <p>»E najoh. Ke.
«</p>
1198 <p>Und von der Insel wurde zur
ückdepeschiert:
</p>
1199 <p>»Bate li war. Tak a fil.
«</p>
1200 <p>Man h
ätte freilich alle bekannten Sprachen der Erde
1201 durchgehen k
önnen, ohne in irgendeiner diese S
ätze zu
1202 finden. Sie bedeuten:
</p>
1203 <p>»Achtung! St
örung! Was ist vorgefallen?
«</p>
1204 <p>Und die Antwort lautete:
</p>
1205 <p>»Menschen im abarischen Feld. Abstellen sobald als
1206 m
öglich.
«</p>
1207 <p>Der Empf
änger dieser Depesche stand in der
1208 Beobachtungsabteilung des schwebenden Ringes und kontrollierte die
1209 Apparate, welche daselbst an einem gro
ßen Schaltbrett
1210 angebracht waren. Der Zeiger am Differenzialbaroskop wies ihm genau
1211 die Stelle, wo sich der Flugwagen im Augenblick befand. Schon war
1212 dieser nahe herangekommen. Einige Handgriffe des Beamten
1213 regulierten die Geschwindigkeit des Wagens, der nach wenigen
1214 Minuten auf der Endstation erschien. Das vorspringende Fangnetz
1215 hielt ihn auf, er ruhte an seinem Ziel.
</p>
1216 <p>Der Beamte
– es war der Vorsteher der Au
ßenstation
1217 selbst
– namens Fru, hatte bis jetzt keinen Blick von den
1218 Apparaten verwandt. Man h
ätte ihn f
ür einen alten Mann
1219 halten m
ögen, denn langes, fast wei
ßes Haar flatterte um
1220 seine Schl
äfe. Eine ungew
öhnlich hohe Stirn w
ölbte
1221 sich
über den gro
ßen Augen, deren Pupillen einen tiefen
1222 Glanz zeigten. Die Haltung des K
örpers aber war frei und
1223 leicht. Gewandt bewegte er sich an dem langen Schaltbrett entlang
1224 von einem Apparat zum andern, seine Schritte glichen fast einem
1225 Gleiten
über den Boden. Er war offenbar daran gew
öhnt,
1226 da
ß die Schwerkraft eine viel geringere war als auf der Erde.
1227 Denn hier, in der doppelten Entfernung vom Mittelpunkt der Erde als
1228 deren Oberfl
äche, betrug die Schwere nur ein Viertel von der
1230 <p>Die T
ür des Flugwagens wurde jetzt ge
öffnet. Der
1231 Vorsteher der Ringstation warf nur einen fl
üchtigen Blick
1232 dorthin und wandte sich dann wieder den Apparaten zu, um nach dem
1233 Pol zu telegraphieren, da
ß das abarische Feld frei sei.
</p>
1234 <p>Die Fahrg
äste verlie
ßen den Wagen und betraten die
1235 Galerie. Es mochten achtzehn Personen sein, in seltsamer Tracht,
1236 mit eng anliegenden Kleidern. Ihre bedeutenden K
öpfe
1237 zeichneten sich meist durch sehr helles, fast wei
ßes Haar und
1238 gl
änzende, durchdringende Augen aus, die aber jetzt durch
1239 dunkle Brillen gesch
ützt waren. Sie durchschritten die
1240 Galerie, deren
Überschrift in jener fremden Sprache besagte,
1241 da
ß man sich auf der
›Au
ßenstation der
1242 Erde
‹ befinde, und wandten sich
über eine Treppe der
1243 Ausgangst
ür nach der oberen Galerie zu.
Über der T
ür
1244 stand in gro
ßen Buchstaben:
›Vel lo nu
‹, das
1245 bedeutet:
›Zum Raumschiff nach dem Mars.
‹</p>
1246 <p>Jener schwebende Ring war nichts anderes als der Marsbahnhof der
1247 Erde. Er war eine Station in der N
ähe der Erde, durch deren
1248 Erbauung es den Bewohnern des Planeten Mars m
öglich geworden
1249 war, zwischen ihrem Planeten und der Erde eine
1250 regelm
äßige Verbindung herzustellen. Die Fahrg
äste
1251 des Flugwagens waren Martier, die nach ihrer Heimat
1252 zur
ückkehren wollten.
</p>
1253 <h2>4 - Der Sturz des Ballons
</h2>
1254 <p>Die Regulierung des abarischen Feldes hatte von der Ringstation
1255 aus stattgefunden, um den emporsteigenden Flugwagen mit der
1256 n
ötigen Geschwindigkeit zu leiten. Der Wechsel von
1257 Gegenschwere und Erdschwere erstreckte sich aber auf das ganze Feld
1258 und hatte nat
ürlich zur Folge, da
ß auch der
1259 verungl
ückte Ballon den Schwankungen der Schwere unterlag. So
1260 wurde er zuerst in seinem Fluge nach oben gem
äßigt,
1261 durchlief dann eine kurze Strecke mit unver
änderter
1262 Geschwindigkeit, und von dem Augenblicke an, in welchem der
1263 Flugwagen den Ring erreicht hatte, begann der Ballon wieder mit
1264 immer zunehmender Geschwindigkeit zu fallen. Da in diesen
1265 H
öhen von einem Widerstand der Luft nicht die Rede war, so
1266 fielen auch jetzt Ballon und Gondel mit gleicher Geschwindigkeit.
1267 Der stark zusammengesunkene Ballon, der einen gro
ßen Teil
1268 seiner Gasmenge verloren hatte, bedeckte in dichten Falten den
1270 <p>Dieser Umstand hatte die Luftschiffer vor einem sofortigen Tod
1271 bewahrt. Zun
ächst sch
ützte sie die Einh
üllung in den
1272 Ballon vor dem Erfrieren; ja merkw
ürdigerweise stieg die
1273 Temperatur im Inneren des Korbes wieder, als die Atmosph
äre
1274 der Erde durchflogen war. Dies r
ührte von der Sonnenstrahlung
1275 her, welche jetzt in voller St
ärke, durch die Luft nicht mehr
1276 aufgehalten, den Ballon traf. Sie wurde durch die H
ülle des
1277 Ballons absorbiert und erw
ärmte alles, was sich in derselben
1279 <p>Ein gl
ücklicher Zufall hatte es aber auch so gef
ügt,
1280 da
ß sich noch ein Teil des Gases im Ballon hielt, dessen
1281 Stoff von so vorz
üglicher Beschaffenheit war, da
ß er die
1282 Diffusion des Wasserstoffs selbst gegen
über dem leeren Raume
1283 fast v
öllig aufhob. Das Gas konnte nur durch das
1284 Landungsventil entstr
ömen. Das Versagen der
1285 Zerrei
ßvorrichtung, das ihr Verderben schien, wurde jetzt die
1286 Rettung der Luftschiffer.
</p>
1287 <p>Durch die Einst
ülpung, welche der Ballon im abarischen
1288 Felde erfahren hatte, war der untere Teil des Ballons so in den
1289 oberen hineingetrieben worden, da
ß das Ventil zwischen den
1290 Falten zusammengepre
ßt lag und ein weiteres Ausstr
ömen
1291 des Gases verhindert wurde. Freilich h
ätte auch dies nicht
1292 lange vorgehalten, aber der ganze Vorgang, von dem Augenblick, in
1293 welchem Grunthe die Rei
ßleine ergriff, bis zum
1294 Zusammenklappen des Ballons und dann zum Abstellen des abarischen
1295 Feldes durch die Martier hatte nur wenige Minuten betragen.
</p>
1296 <p>Da es sich bei dem Niedergang des Ballons im abarischen Feld um
1297 einen herabsteigenden K
örper handelte, hatten die Ingenieure
1298 der Insel die Regulierung der Bewegung zu besorgen. Sie konnten
1299 denselben zwar der eingetretenen Bew
ölkung wegen nicht sehen,
1300 aber ihre Instrumente zeigten ihnen genau die Stelle, an welcher er
1301 sich befand, und die Geschwindigkeit, mit welcher er fiel. Sie
1302 gaben nun im geeigneten Moment dem Feld eine so starke
1303 Gegenbeschleunigung, da
ß der Ballon in der H
öhe von etwa
1304 dreitausend Meter
über der Erde zur Ruhe kam, gerade in dem
1305 Augenblick, in welchem er die Wolkendecke durchbrochen hatte und
1306 der Beobachtung durch das Fernrohr zug
änglich geworden war.
1307 Der Ballon war jetzt den gew
öhnlichen Verh
ältnissen der
1308 Atmosph
äre
überlassen. Das abarische Feld wurde nun
1309 g
änzlich abgestellt, so da
ß es sich in nichts von den
1310 übrigen Teilen der Atmosph
äre unterschied. Allerdings
1311 hatte der Ballon so viel Gas verloren, da
ß er sich nicht in
1312 der H
öhe halten konnte. Aber wenn die Luftschiffer noch am
1313 Leben waren, durften die Martier annehmen, da
ß sie durch
1314 Auswerfen von Ballast ihren Abstieg nunmehr verlangsamen und
1315 selbst
ändig regulieren konnten.
</p>
1316 <p>Doch was sahen die Martier der Insel durch ihre Fernrohre? Der
1317 Ballon hatte sich allerdings
über dem Korb wieder erhoben.
1318 Dieser selbst aber war gegen den Ring gepre
ßt und in das
1319 Gewirr der ihn tragenden Seile geraten und lag nun vollst
ändig
1320 schief zur Seite. Das Schleppseil hing nicht herab, sondern hatte
1321 sich um den Ballon herumgeschlungen. Der Verschlu
ß des Korbes
1322 war ge
öffnet. Ein gro
ßer Teil des Inhalts der Gondel
1323 schien dabei herausgest
ürzt. Die Last des Ballons war dadurch
1324 so stark erleichtert worden, da
ß die
übriggebliebene
1325 Gasmenge, so gering sie auch war, sie doch noch zu tragen
1326 vermochte. Der Ballon sank nur ganz allm
ählich und wurde, da
1327 das abarische Feld au
ßer T
ätigkeit gesetzt war, vom Wind
1328 ergriffen. So trieb der Ballon von der Insel fort
über das
1329 Binnenmeer hin, nahezu in der entgegengesetzten Richtung als in
1330 derjenigen, aus welcher die Luftfahrer gekommen waren.
</p>
1331 <p>Die Martier erkannten nun wohl, da
ß die Insassen des
1332 Ballons die Kontrolle
über ihn verloren hatten. Was konnten
1333 sie aber zu ihrer Rettung tun? Sie h
ätten zwar durch
1334 Herstellung des abarischen Feldes bewirken k
önnen, da
ß
1335 sich der Ballon dem Zentrum wieder n
ähern mu
ßte, doch
1336 sie wollten ihn ja gerade von der Insel entfernen. Denn sie durften
1337 durch diesen fremden K
örper nicht l
änger ihren Verkehr
1338 mit der Ringstation st
ören lassen.
</p>
1339 <p>W
ährend die Martier sich berieten, hatte der Ballon bereits
1340 die Insel
überflogen und befand sich
über dem Meer.
1341 Zugleich war er auf etwa zweitausend Meter gesunken. W
ürde er
1342 das gegen
überliegende Ufer erreichen? W
ürde er in das
1343 Meer st
ürzen? Oder w
ürde er an der Felswand des steil
1344 abfallenden Ufers zerschellen? Das letzte schien das
1345 Wahrscheinlichste, wenn es nicht gelang, den Ballon entweder zu
1346 heben oder zu schnellem Sinken zu bringen.
</p>
1347 <p>In der halb umgest
ürzten Gondel des Ballons sah es
1348 w
üst aus. Die Instrumente zum Teil zertr
ümmert, die
1349 K
örbe und Kisten zerbrochen, Vorr
äte und Menschen in
1350 einem wirren Kn
äuel, nur durch das Netz der vielfach
1351 verschlungenen Stricke am Herausst
ürzen verhindert.
</p>
1352 <p>Von einem stechenden Schmerz im rechten Fu
ß erweckt,
1353 öffnete Grunthe die Augen. Er sah sich zu seinem Erstaunen am
1354 Rande des Korbes, der sich auf der einen Seite mit dem Ringe
1355 verfangen hatte, zwischen dem Geflecht desselben und einem der
1356 Anker des Ballons eingeklemmt. Dieser hatte ihn am Fu
ß
1357 verletzt. Schnell kam Grunthe wieder zu vollem Bewu
ßtsein. Er
1358 konnte nur seinen Oberk
örper und die Arme bewegen. Ein Blick
1359 auf den Zustand des Ballons lie
ß ihn bef
ürchten,
1360 da
ß es unm
öglich sein w
ürde, die H
öhe des
1361 Gebirges jenseits des Sees zu gewinnen. Unter ihm aber lag die
1362 Fl
äche des Meeres. Besorgt blickte er sich nach seinen
1363 Gef
ährten um. Torm vermochte er nirgends zu entdecken. Aber
1364 nun sah er, wie unter einem zerbrochenen Korb und einem Haufen von
1365 Decken sich etwas bewegte und ein Kopf mit dunkelbraunem, lockigem
1366 Haar zum Vorschein kam. Es war Saltner, der eben falls aus seiner
1367 Ohnmacht erwachte. Saltner, der keine Ahnung von dem Zustand des
1368 Ballons hatte, suchte sich aus seiner unbequemen Lage zu befreien.
1369 Grunthe aber erkannte, in welcher Gefahr der Reisegenosse schwebte.
1370 Jede weitere Bewegung konnte ihn aus dem Korbe herausschleudern und
1371 hinabst
ürzen lassen.
</p>
1372 <p>»Liegen Sie still
«, rief er ihm zu,
»verhalten
1373 Sie sich ganz ruhig
– der Korb ist gekentert
– halten
1374 Sie sich fest!
«</p>
1375 <p>»Sackerment
«, brummte Saltner unter der Decke,
1376 »liegen Sie doch einmal still, wenn Sie auf einer
1377 zerbrochenen Champagnerflasche sitzen! H
ätten wir nur das
1378 ganze Zeug gleich ausgetrunken und die leere Flasche
1379 hinausgeworfen!
«</p>
1380 <p>Dabei warf er sich mit einem Gewaltruck zur Seite, zugleich aber
1381 geriet er ins Rollen
–</p>
1382 <p>Grunthe stie
ß einen Schrei des Schreckens aus. Er sah den
1383 Gef
ährten am
äu
ßersten Rande der Gondel schweben
1384 – Saltner fuhr mit den Armen in die Luft, jedoch er fand
1385 keinen Halt
– der K
örper st
ürzte hinaus
–
1386 seine Knie hingen in der Schlinge eines Seiles
– in dieser
1387 furchtbaren Lage, den Kopf nach unten, schwebte Saltner mehr als
1388 tausend Meter
über dem Spiegel des Polarmeeres.
</p>
1389 <p>In der Aufregung des Augenblicks wandte Grunthe, mit beiden
1390 H
änden sich festhaltend, seinen K
örper so gewaltsam,
1391 da
ß es ihm gelang, den Fu
ß unter dem Anker
1392 herauszurei
ßen. Er achtete den Schmerz nicht; so schnell wie
1393 m
öglich, obwohl mit gro
ßer Vorsicht, kletterte er an den
1394 Tauen des Korbes nach Saltner hin. Er suchte nach einem Seil, das
1395 er ihm zuwerfen konnte, um ihn wieder in die Gondel zu ziehen. Aber
1396 wo war in diesem Gewirr von Stricken sogleich ein passendes Tau zu
1397 finden? Hier hing eine weite Schlinge herab. Er versetzte sie in
1398 Schwingungen, er zerrte daran, und jetzt gelang es ihm, das Tau bis
1399 in Saltners N
ähe zu bringen.
</p>
1400 <p>Zum Gl
ück hatte dieser keinen Augenblick seine
1401 Geistesgegenwart verloren. Als er das Tau im Bereich seiner
1402 H
ände sah, griff er danach. Es gelang ihm sich festzuhalten,
1403 und nun versuchte er an dem Tau sich wieder zur Gondel
1404 emporzuarbeiten. Schon befand er sich wieder in aufrechter
1405 Stellung. Mit den H
änden am Seil h
öher greifend, zog er
1406 seine F
üße aus der Schlinge, in welcher er
1407 h
ängengeblieben war, und setzte sie auf den Rand des Korbes.
1408 Pl
ötzlich entstand
über ihm ein Rauschen und Krachen. Das
1409 Seil, an welchem er sich hielt, war ein Teil des
über den
1410 Ballon gefallenen Schlepptaus. Es l
öste sich jetzt mit seinem
1411 freien Ende vom Ballon und glitt abw
ärts. Kaum hatte Saltner
1412 noch Zeit, sich an der Gondel festzuklammern, als das Seil in
1413 seiner ganzen L
änge hinabsauste. Aber indem es
über den
1414 Ballon hinwegglitt, verfing es sich mit der Rei
ßleine und zog
1415 dieselbe mit voller Gewalt mit sich. Jetzt trat die
1416 Zerrei
ßvorrichtung in Funktion. Die Ballonh
ülle klaffte
1417 auseinander. Das Gas str
ömte mit Zischen aus. Der Ballon
1418 drehte sich um seine Achse und begann mit rasender Geschwindigkeit
1420 <p>»Hinauf in den Ring
«, rief Grunthe.
»Wir
1421 m
üssen sehen, die Gondel abzuschneiden.
«</p>
1422 <p>»Aber wo ist Torm?
« rief Saltner.
</p>
1423 <p>Sie riefen, sie schrieen, sie suchten
– Torm war nicht zu
1424 finden. Dennoch war es m
öglich, da
ß er sich noch im Korb
1425 befand
– sie durften diesen also nicht vom Ballon trennen,
1426 sie konnten ihn auch nicht l
änger durchsuchen
–</p>
1427 <p>»Den Fallschirm, den Fallschirm!
« rief Grunthe
1429 <p>»Er ist fort!
«</p>
1430 <p>Der Ballon wirbelte abw
ärts
–</p>
1431 <p>Ein Schlag, ein Sch
äumen und Aufspritzen
– das Meer
1432 schlug
über der Gondel und ihren Insassen zusammen
–
1434 <p>Wie eine riesige Schildkr
öte schwamm die H
ülle des
1435 Ballons, sich aufbl
ähend, auf dem Wasser, die Expedition unter
1437 <h2>5 - Auf der k
ünstlichen Insel
</h2>
1438 <p>Das milde Licht des Polartages schien durch die breiten Fenster
1439 eines hohen Gemaches, das im Stile der Marsbewohner ausgestattet
1440 war. An der Decke zogen sich eine gro
ße Anzahl metallischer
1441 Streifen entlang, die in ihrer Gesamtheit ein geschmackvolles
1442 Muster darstellten. In der Mitte schlossen sie sich zu einer
1443 Rosette zusammen, von welcher zahlreiche Dr
ähte
1444 herabf
ührten und in einem schrankartigen Aufsatz endigten.
1445 Dieser Aufsatz befand sich auf einem gro
ßen runden Tisch und
1446 trug an seiner Au
ßenseite ringsum eine Reihe von Wirbeln oder
1447 Handgriffen; Aufschriften
über ihnen bezeichneten ihre
1448 Bestimmung. Die den Fenstern gegen
überliegende Wand war zu
1449 beiden Seiten der breiten Mittelt
ür von geschnitzten Regalen
1450 bedeckt, die zur Aufbewahrung einer reichhaltigen Bibliothek
1451 dienten. Den dar
über freibleibenden Raum schm
ückten
1452 Gem
älde; sie stellten Ansichten vom Mars dar. Doch h
ätte
1453 man glauben m
ögen, durch eine Reihe von
Öffnungen
1454 plastische Darstellungen, oder vielmehr die Natur selbst zu sehen.
1455 Denn die Abstufungen der Farben waren so intensiv, da
ß sie
1456 den Eindruck vollst
ändiger Wirklichkeit machten. Da sah man in
1457 einer Landschaft die Reflexe der Sonnenstrahlen auf dem sumpfigen
1458 Boden wie leuchtende Sterne, und dennoch vermochte man in dem
1459 tiefen Schatten der riesigen B
äume die feinsten Nuancen
1460 deutlich zu unterscheiden.
Über der T
ür leuchtete die
1461 lebensgro
ße B
üste Imms, des unsterblichen Philosophen
1462 der Martier, der ihnen die Lehre von der Numenheit enth
üllt
1464 <p>Auf der Fensterseite bl
ühten in N
äpfen seltsame
1465 Gew
ächse. Am merkw
ürdigsten war darunter die tanzende
1466 Bl
üte
›Ro-Wa
‹, eine lilienartige Pflanze, deren
1467 lange Bl
ütenstengel sich schlangengleich hin- und herbewegten
1468 und mit ihren zier- lichen Knospen fortw
ährend anmutige
1469 Bewegungen ausf
ührten, indem sie zugleich ein leises
1470 Zwitschern wie von Vogelstimmen h
ören lie
ßen. Zwischen
1471 den Blumentischen stand auf der einen Seite eine Schreibmaschine,
1472 auf der andern ein Apparat, der nichts anderes vorstellte als eine
1473 Maschine zur Ausf
ührung schwieriger mathematischer
1475 <p>Die Fenster reichten bis zum Boden des Zimmers. Dennoch schien
1476 es, als liefe an denselben etwa bis zur H
öhe von einem Meter
1477 eine Bekleidung entlang. Aber seltsam, diese Bekleidung schimmerte
1478 in einem dunkeln Gr
ün und wogte leise auf und ab; und mitunter
1479 leuchteten kleinere und gr
ößere Fische darin auf und
1480 stie
ßen ihre K
öpfe an die Scheiben. Es war das Meer, das
1481 bis zu Meterh
öhe
über den Boden des Zimmers
1482 hereinblickte. Denn jenes Zimmer befand sich auf der
1483 Au
ßenseite der Insel, welche Torms verungl
ückte
1484 Expedition am Nordpol der Erde gesehen hatte.
</p>
1485 <p>Eine nat
ürliche Insel war jedoch diese Anlage der Martier
1486 nicht. Sie hatten vielmehr in den Binnensee, der am Nordpol sich
1487 vorfand, eine k
ünstliche Insel, richtiger ein schwimmendes
1488 Flo
ß von gro
ßer Ausdehnung, hineingebaut, das ihr Feld
1489 von riesigen Elektromagneten zu tragen hatte. Denn diese
1490 Elektromagnete brauchten sie zur Balancierung ihrer
1491 Au
ßenstation und dadurch zur Errichtung des abarischen
1492 Feldes. Auf der inneren Seite des ringf
örmig erbauten
1493 Riesenflo
ßes befanden sich die Arbeitsmaschinen und Apparate,
1494 w
ährend die Au
ßenseite zu Wohnr
äumen diente sowie
1495 zum Stapelplatz aller der Vorr
äte und Werkzeuge, welche die
1496 Martier hier allm
ählich ansammelten, um die Eroberung der Erde
1497 vom Nordpol aus vorzubereiten.
</p>
1498 <p>Über die Treppe, die von dem Dach der Insel nach dem
1499 Korridor und den angrenzenden Wohnzimmern f
ührte, stieg eine
1500 weibliche Gestalt herab. Auf das Gel
änder gest
ützt
1501 bewegte sie sich m
ühsam, wie durch eine schwere Last
1502 niedergebeugt. Sie zuckte schmerzlich zusammen, sooft ihr Fu
ß
1503 mit einem krampfhaften Aufschlag die n
ächst niedere Stufe
1504 ber
ührte. Darauf durchschritt sie ebenso schwer und
1505 m
ühevoll den Korridor, indem sie sich gleichfalls mit den
1506 H
änden an einem der Gel
änder unterst
ützte, die sich
1507 den Korridor entlangzogen. Jetzt ber
ührte sie die T
ür des
1508 Zimmers, die sich ger
äuschlos in sich selbst zusammenrollte,
1509 und trat ein. Die T
ür schlo
ß sich hinter ihr von
1511 <p>Mit einem Schlag war die Haltung der Gestalt ver
ändert.
1512 Leicht und kr
äftig richtete sie sich empor. In einer anmutigen
1513 Bewegung warf sie den Kopf zur
ück und atmete einige Male tief
1514 auf. Sie glitt einige Schritte durch das Zimmer; nicht mehr gebeugt
1515 und m
ühsam, sondern wie schwebend durchma
ß sie in
1516 grazi
öser Haltung den Raum und blickte auf dem Tisch nach dem
1517 Zifferblatt, das den Stand des Schweredrucks im Zimmer angab. Ein
1518 helles Aufleuchten ihrer gro
ßen, gl
änzenden Augen mochte
1519 ihre Zufriedenheit andeuten, denn sie korrigierte kaum merklich die
1520 Stellung des Handgriffs, durch den sie die im Zimmer herrschende
1521 Schwerkraft regulieren konnte. Eine Abzweigung des abarischen
1522 Feldes gestattete den Bewohnern der Insel, ihre Wohnr
äume den
1523 Schwereverh
ältnissen anzupassen, welche ihre Konstitution
1524 erforderte. Denn die Schwerkraft auf dem Mars betr
ägt nur ein
1525 Drittel von derjenigen auf der Erde.
</p>
1526 <p>Jetzt streifte sie mit einer leichten Bewegung die warme
1527 H
ülle ab, die ihre Schultern bedeckte, und ohne sich
1528 umzublicken warf sie dieselbe, wo sie gerade stand, achtlos in die
1529 H
öhe. Von ihrem Kopf l
öste sie die Kapotte, die sie
1530 drau
ßen getragen hatte, und stie
ß sie ebenfalls ziellos
1531 in die Luft. An ihren Handschuhen dr
ückte sie auf ein
1532 Kn
öpfchen und streckte dann ihre H
ände mit gespreizten
1533 Fingern leicht in die H
öhe, worauf sich die Handschuhe von
1534 selbst abstreiften und emporstiegen. Alle die nach oben geworfenen
1535 Gegenst
ände flogen von selbst einer Ecke des Zimmers zu,
1536 schlugen eine dort befindliche Klappe zur
ück und glitten
1537 hinter der Wand auf die ihnen bestimmten Pl
ätze, w
ährend
1538 die Klappe sich wieder schlo
ß. Sie waren s
ämtlich mit
1539 einem von den Martiern entdeckten Stoff gef
üttert, der sich
1540 nach Art der Pflanzenfaser behandeln lie
ß, aber in
1541 äu
ßerst kr
äftiger Weise, so wie das Eisen vom
1542 Magnet, von einem dazu eingerichteten Apparat angezogen wurde. Die
1543 anziehende Kraft trat in T
ätigkeit, sobald der Schlu
ß
1544 gel
öst wurde, der die Gegenst
ände am K
örper
1545 befestigte. Bei der im Zimmer herrschenden geringen Schwere
1546 gen
ügte es, die Sachen einfach mit einem leichten Ruck nach
1547 oben zu werfen; die selbstt
ätige Garderobe besorgte das
1548 übrige. So war es den Martiern sehr leicht gemacht, ihre
1549 Sachen in Ordnung zu halten. Denn durch die Konstruktion der
1550 verschiedenen
Öffnungen, welche die Garderobenst
ücke zu
1551 passieren hatten, w
ährend sie im Inneren des
1552 Garderobenschranks wieder herabfielen, wurden sie automatisch
1553 sortiert, gereinigt und in die ihnen bestimmten F
ächer
1554 eingef
ügt, so da
ß sie sofort wieder zu bequemem Gebrauch
1555 bei der Hand waren.
</p>
1556 <p>Ohne sich um die abgelegten Kleidungsst
ücke weiter zu
1557 k
ümmern, n
äherte sich die Dame dem B
ücherregal und
1558 zog eines der dort stehenden B
ücher hervor, indem sie es an
1559 einem daran befindlichen Handgriff erfa
ßte. Sie begab sich
1560 damit nach dem Sofa und streckte sich in bequemer Lage hin.
</p>
1561 <p>La war die Tochter des Ingenieurs Fru, des Vorstehers der
1562 Au
ßenstation. H
ätte sie auf der Erde gelebt, so
1563 w
äre ihre Lebenszeit auf mehr als vierzig Jahre zu berechnen
1564 gewesen. Als Bewohnerin des Mars aber, dessen Jahre doppelt so lang
1565 sind wie die der Erde, z
ählte sie erst einige zwanzig Sommer
1566 und stand in der Bl
üte ihrer Jugend. Ihr volles Haar, das sie
1567 in einen Knoten geschlungen trug, hatte eine auf Erden wohl nicht
1568 leicht zu findende Farbe, ein helles, etwas ins R
ötliche
1569 schimmerndes Blond, einigerma
ßen der Teerose vergleichbar; in
1570 bezaubernder Zartheit erhob es sich wie eine Krone
über dem
1571 wei
ßen, reinen Teint ihres feingebildeten Antlitzes. Die
1572 gro
ßen Augen, die allen Martiern eigent
ümlich sind,
1573 wechselten je nach der Beleuchtung von einem lichten Braun bis zum
1574 tiefsten Schwarz. Denn entsprechend den starken
1575 Helligkeitsunterschieden, welche auf dem Mars herrschen, besitzen
1576 die Bewohner desselben ein sehr weitreichendes
1577 Akkomodationsverm
ögen, und bei schwachem Licht erweitern sich
1578 ihre dunklen Pupillen bis an den Rand der Augenlider. Das
1579 Mienenspiel gewinnt dadurch eine
überraschende Lebhaftigkeit,
1580 und nichts pflegte die Menschen mehr an den Marsbewohnern, nachdem
1581 sie sie kennengelernt hatten, zu fesseln als der ausdrucksvolle
1582 Blick ihrer m
ächtigen Augen. In ihnen zeigte sich die
1583 gewaltige
Überlegenheit des Geistes dieser einer h
öheren
1584 Kultur sich erfreuenden Wesen.
</p>
1585 <p>Wie eine leichte Wolke umh
üllte ein faltenreicher
1586 wei
ßer Schleier die ganze Gestalt und lie
ß nur den edel
1587 geformten Hals und den unteren Teil der Arme unbedeckt. Darunter
1588 aber schimmerten die Formen des K
örpers wie in einen
1589 gl
änzenden Harnisch gekleidet; denn in der Tat bestand das eng
1590 anschlie
ßende Kleid aus einem metallischen Gewebe, das,
1591 obgleich es sich jeder Bewegung auf das bequemste anpa
ßte und
1592 dem leichtesten Drucke nachgab, doch einen Panzer von
1593 gr
ößter Widerstandsf
ähigkeit bildete.
</p>
1594 <p>Das Buch, welches La der Bibliothek entnommen hatte, besa
ß
1595 wie alle B
ücher der Martier die Form einer gro
ßen
1596 Schiefertafel und wurde an einem Handgriff
ähnlich wie ein
1597 F
ächer gehalten, so da
ß die l
ängere Seite der Tafel
1598 nach unten lag. Ein Druck mit dem Finger auf diesen Griff bewirkte,
1599 da
ß das Buch nach oben aufklappte, und auf jeden weiteren
1600 Druck legte sich Seite auf Seite von unten nach oben um. Man
1601 bedurfte auf diese Weise nur einer Hand, um das Buch zu halten,
1602 umzubl
ättern und jede beliebige Seite festzulegen.
</p>
1603 <p>La schien es mit ihrem Studium nicht eilig zu haben. Sie hielt
1604 das Buch geschlossen in der nachl
ässig herabh
ängenden
1605 Hand und gab sich ihren Gedanken hin. Nach einiger Zeit begann sie
1606 die Lippen zu bewegen und Laute vor sich hin zu sagen, die ihr
1607 offenbar nicht geringe M
ühe machten. Mitunter lachte sie leise
1608 vor sich hin, wenn ihr eines der ungewohnten Worte nicht
über
1609 die Lippen wollte, oder es lief momentan ein Ausdruck der Ungeduld
1610 über ihre Z
üge. Sie repetierte ein Pensum, das sie
1611 f
ür sich erlernt hatte. Aber nun blieb sie ganz stecken und
1612 sann eine Weile nach. Dann sagte sie f
ür sich:
</p>
1613 <p>»Es ist doch ein n
ärrisches Kauderwelsch, das diese
1614 Kalaleks sprechen!
«</p>
1615 <p>Jetzt erst erhob sie das Buch und lie
ß die Bl
ätter
1616 mit gro
ßer Geschwindigkeit sich herumschlagen, bis sie die
1617 gew
ünschte Stelle gefunden hatte.
</p>
1618 <p>Das Buch enthielt eine Zusammenstellung alles dessen, was die
1619 Martier bisher
über die Lebensweise und Sprache der Eskimos
1620 hatten in Erfahrung bringen k
önnen. Durch die Eskimofamilie,
1621 welche sie aufgefunden hatten und auf ihrer Station ern
ährten,
1622 war es ihnen gelungen, die Sprache der Eskimos zu erforschen. Ja
1623 sie kannten sogar von einer Anzahl Worte ihre Darstellung in
1624 lateinischer Druckschrift; denn der j
üngere der beiden Eskimos
1625 hatte sich eine Zeitlang auf einer Missionsstation in Gr
önland
1626 aufgehalten und war im Besitz einer gr
önl
ändischen
1627 Übersetzung des Neuen Testaments, in welcher er zu
1628 buchstabieren vermochte. La studierte Grammatik und W
örterbuch
1629 der Eskimos oder
›Kalalek
‹.
</p>
1630 <p>Nachdem sie wieder eine Reihe von Worten und Redensarten vor
1631 sich hingesagt hatte, fiel ihr ein, ob sie wohl auch die richtige
1632 Aussprache getroffen habe. Die Pr
üfung war leicht; sie
1633 brauchte nur die Empfangsplatte des Grammophons auf die betreffende
1634 Stelle des Buches zu legen, um den Laut selbst zu h
ören; denn
1635 das Buch enthielt auch die Phonogramme der direkt vom Mund der
1636 Eskimos aufgenommenen Worte. Aber das Grammophon, welches die
1637 Phonogramme h
örbar machte, befand sich in dem Schrankaufsatz
1638 des Tisches, und sie h
ätte sich zu diesem Zweck vom Sofa
1639 erheben m
üssen; das war ihr zu unbequem.
</p>
1640 <p>Ach, dachte sie, es ist doch eine zu ungeschickt eingerichtete
1641 Welt! Da
ß man noch nicht einmal so weit ist, da
ß der
1642 Selbstsprecher zu einem hergelaufen kommt!
</p>
1643 <p>Das Grammophon kam aber nicht. La blieb also liegen und
1644 begn
ügte sich, das Buch neben sich auf einem Tischchen zu
1646 <p>Es ist wirklich recht
überfl
üssig, spann sie ihren
1647 Gedankengang weiter, sich mit der Eskimosprache soviel M
ühe zu
1648 geben. Diese Eskimos sind doch eine traurige Gesellschaft, und der
1649 Trangeruch ist unertr
äglich. Sicher ist die gro
ße Erde
1650 auch von Wesen feinerer Art bewohnt, die vermutlich eine ganz
1651 andere Sprache reden. Wei
ß doch sogar unser junger Kalalek
1652 mit Erstaunen von der Weisheit seiner frommen V
äter zu
1653 erz
ählen, die ihm das Buch in der seltsamen Schrift gegeben
1654 haben. Wenn wir erst einmal Gelegenheit f
änden, mit solchen
1655 Leuten zu verkehren, das m
öchte sich vielleicht eher lohnen.
1656 Was mag das f
ür ein Luftballon gewesen sein, der heute
1657 über die Insel hinzog und dann in der H
öhe verschwand? Da
1658 waren doch gewi
ß keine Eskimos darin. Was mag aus den
1659 Luftschiffern geworden sein?
</p>
1660 <p>La blickte empor. An der Wand war die Klappe des Fernsprechers
1661 mit leichtem Schlag niedergefallen.
</p>
1662 <p>»La, bist du da?
« fragte eine weibliche Stimme in
1663 dem halblauten Ton der Martier.
</p>
1664 <p>»Hier bin ich
«, antwortete La in ihrer tiefen,
1665 langsamen Sprechweise.
»Bist du es, Se?
«</p>
1666 <p>»Ja, ich bin es. Hil l
äßt dich bitten, sogleich
1667 hin
über in das Gastzimmer Nummer
20 zu kommen.
«</p>
1668 <p>»Schon wieder hinaus in die Schwere. Was gibt es
1670 <p>»Etwas ganz Besonderes, du wirst es gleich
1672 <p>»M
üssen wir ins Freie?
«</p>
1673 <p>»Nein, du brauchst keinen Pelz. Aber komm
1675 <p>»Nun gut denn, ich komme.
«</p>
1676 <p>Die Klappe des Fernsprechers schlo
ß sich.
</p>
1677 <p>La erhob sich und glitt in ihrem schwebenden Gang der T
ür
1678 zu. Sie
öffnete sie mit einem leisen Seufzer, denn sie ging
1679 nicht gern
über die Korridore, auf denen die Erdschwere
1680 herrschte, so da
ß sie nur geb
ückt einherschleichen
1682 <p>Aber sie war doch neugierig, was auf der Insel Besonderes
1683 passiert sein sollte. Waren neue G
äste vom Mars gekommen? Oder
1684 hatte sich der Ballon wieder gezeigt?
</p>
1686 <p>Als der zertr
ümmerte Ballon ins Meer st
ürzte, hatten
1687 die Martier der Insel bereits ihr Jagdboot bemannt, auf welchem sie
1688 das Polarbinnenmeer zu durchforschen pflegten. Eine von
1689 Akkumulatoren getriebene Schraube erteilte ihm eine
1690 au
ßerordentliche Geschwindigkeit. Sechs Martier unter
1691 F
ührung des Ingenieurs Jo hatten in demselben Platz genommen;
1692 auch der Arzt der Station, Hil, befand sich dabei. Alle trugen die
1693 K
öpfe in einer helmartigen Bedeckung, die ihnen sowohl ihre
1694 Bewegungen in der Luft erleichterte, als auch zugleich als
1695 Taucherhelm im Wasser diente. Die Helme waren n
ämlich aus
1696 einem diabarischen, das ist schwerelosen Stoff und hatten daher
1697 f
ür ihre Tr
äger kein Gewicht. Zugleich enthielten sie in
1698 ihrer Kuppel einen ziemlich bedeutenden luftleeren Raum, so
1699 da
ß sie eine, freilich nur geringe Zugkraft nach oben hin
1700 aus
übten. Dennoch gen
ügte dieselbe, wenigstens das
1701 Gewicht des Kopfes soweit zu mindern, da
ß die Muskeln des
1702 Nackens entlastet wurden und die Martier ihren Kopf fast ebenso
1703 frei wie auf dem Mars zu bewegen vermochten, wenn sie auch sonst
1704 von dem ihnen ungewohnten K
örpergewicht bedr
ückt wurden.
1705 Eben deshalb trugen sie Taucheranz
üge, um schwere Arbeiten
1706 m
öglichst in das Wasser zu verlegen. Denn hier nahm ihnen
1707 nat
ürlich der Auftrieb des Wassers die Last ihres
1708 K
örpergewichts ab.
</p>
1709 <p>Schnell n
äherte sich das Jagdboot dem Ballon, der von den
1710 Spuren des in ihm noch enthaltenen Wasserstoffes und der Luft, die
1711 sich unter ihm verfangen hatte, auf dem Wasser schwimmend erhalten
1712 wurde. Um zu dem von der Seide des Ballons bedeckten Korb zu
1713 gelangen, tauchten die Martier unter und drangen vom Wasser aus
1714 unter den Ballon. Sie fanden sogleich die beiden verungl
ückten
1715 Menschen und schafften sie eiligst in ihr Boot. Sodann l
östen
1716 sie die Gondel von ihren Verbindungen und bargen ihren gesamten
1717 Inhalt ebenfalls an Bord. Alles
übrige lie
ßen sie
1718 vorl
äufig treiben, da es ihnen zun
ächst darauf ankam, die
1719 aufgefundenen Menschen in ihre Behausung zu bringen.
</p>
1720 <p>Saltner und Grunthe hatten au
ßer der Verletzung, die sich
1721 letzterer bereits vor dem Absturz am Fu
ß zugezogen hatte,
1722 weiter keine Besch
ädigungen durch den Fall erlitten. Aber sie
1723 hatten sich nicht aus dem Wasser herausarbeiten k
önnen. Keiner
1724 gab ein Lebenszeichen von sich. Indessen begannen die Martier unter
1725 Leitung des Arztes sofort die eifrigsten Wiederbelebungsversuche,
1726 wie es schien ohne Erfolg.
</p>
1727 <p>»Da h
ätten wir nun
«, sagte Jo,
»endlich
1728 einmal ein paar wirkliche Bate, die keine Kalalek sind, ein paar
1729 zivilisierte Erdbewohner, und nun m
üssen die armen Kerle tot
1731 <p>»Wir wollen noch hoffen
«, erwiderte einer der
1732 Martier.
»Der K
örper ist noch warm. Vielleicht haben die
1733 Bate ein z
ähes Leben.
«</p>
1734 <p>»Es w
äre ein gro
ßes Gl
ück
«, begann
1735 Jo wieder,
»wenn wir sie retten k
önnten. Es sind nicht
1736 blo
ß k
ühne Leute, es sind offenbar besonders
1737 hervorragende M
änner ihres Volkes, sonst w
ürden sie nicht
1738 zu diesem wunderbaren Unternehmen ausgew
ählt sein.
«</p>
1739 <p>»Ich wu
ßte gar nicht
«, sagte ein andrer,
1740 »da
ß die Bate Luftschiffe haben.
«</p>
1741 <p>»Derartige Ballons sind schon mehrfach beobachtet
1742 worden
«, erwiderte Jo,
»aber man wu
ßte nicht
1743 sicher, wozu sie dienen, wenigstens nicht, da
ß sich die Bate
1744 damit selbst in die Luft erheben. Ich habe immer geglaubt, sie
1745 lie
ßen dadurch nur irgendwelche Lasten
über die Erde
1746 heben oder ziehen. Gleichviel, f
ür uns kommt alles darauf an,
1747 da
ß wir durch die Leute n
ähere Nachrichten von den
1748 kultivierten Gegenden der Erde erhalten. Alle unsere Pl
äne
1749 w
ürden alsdann wesentlich gef
ördert werden. Hil,
1750 versuchen Sie Ihre ganze Kunst.
«</p>
1751 <p>Der Arzt antwortete nicht. Seine Aufmerksamkeit konzentrierte
1752 sich auf die Bem
ühungen, die Atmung der Ertrunkenen wieder in
1753 T
ätigkeit zu setzen.
</p>
1754 <p>Endlich richtete er sich auf.
</p>
1755 <p>»Geben Sie vollen Strom!
« rief er Jo zu.
»Es
1756 ist eine leise Hoffnung da, aber hier im Freien bringen wir sie
1757 nicht durch. Wir m
üssen in einer Minute im Laboratorium
1759 <p>Das Boot sauste durch die Flut. In zehn Sekunden war die Insel
1760 erreicht. Es scho
ß durch die Einfahrt bis in den inneren
1761 Hafen. Im Augenblick darauf waren die Verungl
ückten aufgehoben
1762 und in die Krankenabteilung gebracht. Es war keine leichte Arbeit,
1763 denn jeder der beiden M
änner hatte f
ür die Martier, in
1764 R
ücksicht auf ihre F
ähigkeit, Lasten zu heben, ein
1765 Gewicht, das f
ür uns einem solchen von f
ünf Zentnern
1766 entspricht. Sie h
ätten zwar ihre Kr
äne benutzen
1767 k
önnen, aber dies h
ätte zu lange gedauert. Und es kam
1768 auch nur darauf an, die Verungl
ückten bis
über die
1769 Schwelle der T
ür zu heben. Dann trat die Wirkung des
1770 abarischen Feldes in Kraft, und der Transport hatte keine
1771 Schwierigkeiten mehr.
</p>
1772 <p>Hil begann sofort die Behandlung mit allen Hilfsmitteln der
1773 martischen Heilkunst. Er hatte bereits einige Erfahrung aus dem
1774 Studium der Eskimos gewonnen und daraus die Unterschiede in der
1775 Funktion der Organe bei Menschen und bei Marsbewohnern
1776 kennengelernt, die
übrigens keineswegs so bedeutend sind, wie
1777 man meinen mochte. Dem durchdringenden Scharfblick des Martiers
1778 gen
ügten die Schl
üsse, die er aus der gewonnenen
1779 Erfahrung ziehen konnte, um das Richtige zu treffen.
</p>
1780 <p>Die Bewohner der Insel, soweit sie nicht gerade mit einer
1781 dringenden Arbeit besch
äftigt waren, hatten sich inzwischen
1782 aufs Lebhafteste f
ür die aufgefundenen Menschen interessiert.
1783 Im Vorraum des Krankenzimmers war ein fortw
ährendes Kommen,
1784 Gehen und Fragen, die Klappen der Fernsprechverbindungen hoben und
1785 senkten sich, aber noch immer konnte man nichts Bestimmtes
1787 <p>Endlich, nach einer halben Stunde angestrengter T
ätigkeit,
1788 brach Hil sein Schweigen. Er wandte sich zu dem Direktor der
1789 Station, Ra, der neben ihm stehend aufmerksam die
1790 merkw
ürdigen, wie tot daliegenden Wesen betrachtete, und
1792 <p>»Sie werden leben.
«</p>
1793 <p>»Ah!
«</p>
1794 <p>»Aber es ist fraglich, ob wir sie hier zum
1795 Bewu
ßtsein bringen. Wir m
üssen sie in Verh
ältnisse
1796 schaffen, die ihren Lebensgewohnheiten entsprechen. Vor allem
1797 d
ürfen wir ihnen die Schwere nicht entziehen, und ich glaube,
1798 auch die Temperatur des Zimmers mu
ß h
öher
1800 <p>»Gut
«, antwortete Ra,
»wir haben ja Gastzimmer
1801 genug, wir k
önnen sie an der Au
ßenseite, bei unseren
1802 Wohnungen unterbringen. Ich werde sofort das N
ötige
1803 anordnen.
«</p>
1804 <p>Sobald Ra in den Vorraum trat und den hoffnungsvollen Ausspruch
1805 des Arztes mitteilte, pflanzte sich die Nachricht durch die ganze
1806 Insel hin fort. Die Bate, die keine Eskimos sind, waren der
1807 Mittelpunkt aller Gespr
äche, obgleich erst die wenigsten
1808 Martier sie
überhaupt gesehen hatten. Da
ß übrigens
1809 jemand, der bei der Pflege nichts zu tun hatte, neugierig
1810 h
ätte eindringen wollen, konnte bei dem feinen Taktgef
ühl
1811 der Martier selbstverst
ändlich nicht vorkommen.
</p>
1812 <p>Die beiden Geretteten wurden getrennt in geeigneten R
äumen
1813 untergebracht und vollst
ändiger Ruhe
überlassen.
</p>
1814 <p>Stundenlang lagen sie in tiefem Schlaf.
</p>
1815 <h2>6 - In der Pflege der Fee
</h2>
1816 <p>Saltner schlug die Augen auf.
</p>
1817 <p>Was er da
über sich sah, war es das Netzwerk des Ballons?
1818 Diese regelm
äßigen, goldgl
änzenden Arabesken auf
1819 dem lichtblauen Grund? Nein, der Ballon war es nicht
– der
1820 Himmel sieht auch nicht so aus
– doch
– was war denn
1821 geschehen? Er war ja ins Wasser gest
ürzt. Sieht es unten auf
1822 dem Meer so aus? Aber im Wasser ist man tot oder
– er wendete
1823 den Kopf, doch die Augen fielen ihm wieder zu. Er wollte
1824 nachdenken, doch die Fragen waren ihm zu schwer, er f
ühlte
1825 sich so matt
– – jetzt bemerkte er, da
ß er einen
1826 Gegenstand zwischen den Lippen hielt, ein R
öhrchen.
–
1827 War es noch immer das Mundst
ück des Sauerstoffapparats? Nein.
1828 – Ein seltsamer Duft umwehte ihn
– instinktiv sog er an
1829 dem Rohr, denn er empfand einen brennenden Durst. Ach, wie das
1830 wohltat! Ein k
ühler erquickender Trank! Wein war es nicht
1831 – Milch auch nicht
–, gleichviel, es mundete
–
1832 war es vielleicht Nektar? Seine Sinne verwirrten sich wieder. Aber
1833 der Trank wirkte wunderbar. Neues Leben rann durch seine Adern. Er
1834 konnte die Augen wieder
öffnen. Aber was erblickte er? Also
1835 war er doch im Wasser?
</p>
1836 <p>Über ihm, h
öher als sein Kopf, rauschten die Wogen des
1837 Meeres. Aber sie drangen nicht bis zu ihm heran. Eine durchsichtige
1838 Wand trennte sie von ihm, hielt sie zur
ück. Der Schaum
1839 spritzte an ihr empor, das Licht brach sich in den Wellen. Dennoch
1840 konnte er den Himmel nicht sehen, ein Sonnendach mochte ihn
1841 abblenden. Hin und wieder stie
ß ein Fisch dumpf gegen die
1842 Scheiben. Vergeblich versuchte sich Saltner seine Lage zu
1843 erkl
ären. Er glaubte zun
ächst, sich auf einem Schiff zu
1844 befinden, obwohl es ihn wunderte, da
ß sich im Zimmer nicht
1845 die geringste Bewegung sp
üren lie
ß. Aber nun blickte er
1846 etwas mehr zur Seite. War es denn nicht mehr Tag? Das Zimmer war
1847 doch von Tageslicht erhellt, aber dort links sah er direkt in
1848 dunkle Nacht. Ein ihm unbekanntes Bauwerk in einem nie gesehenen
1849 Stil lag im Mondschein vor ihm. Er blickte auf das Dach desselben,
1850 das von den Wipfeln seltsamer B
äume begrenzt wurde. Und wie
1851 merkw
ürdig die Schatten waren
–! Saltner versuchte sich
1852 vorzubeugen, den Kopf zu heben. Da standen wirklich zwei Monde am
1853 Himmel, deren Strahlen sich kreuzten. Auf der Erde gab es etwas
1854 Derartiges nicht. Ein Gem
älde konnte doch aber nicht so starke
1855 Lichtunterschiede zeigen
– es m
üßte denn ein
1856 transparentes Bild sein
–</p>
1857 <p>Auf das leise Ger
äusch, welches seine Bewegung verursachte,
1858 schob sich auf einmal die Landschaft zur Seite. Eine Gestalt lehnte
1859 in einem Sessel und sah Saltner mit gro
ßen, leuchtenden Augen
1860 an. Einen Augenblick starrte er verwirrt auf diese neue
1861 Erscheinung. Noch nie glaubte er ein so herrliches Frauenantlitz
1862 gesehen zu haben. Schnell wollte er sich erheben, und nun erst warf
1863 er einen Blick auf seinen eignen K
örper. Man hatte ihn
1864 w
ährend seiner Bewu
ßtlosigkeit offenbar gebadet und mit
1865 frischer Leibw
äsche versehen. Er fand sich in einen weiten
1866 Schlafrock von einem ihm unbekannten Stoff geh
üllt.
</p>
1867 <p>Jetzt streckte die Gestalt eine Hand aus und drehte an einem der
1868 Kn
öpfe, die sich neben ihr auf einem Tisch befanden. in
1869 demselben Augenblick durchlief Saltner ein Gef
ühl, als wollte
1870 man ihn pl
ötzlich in die H
öhe heben. Die Hand, deren
1871 Stellung er ver
ändern wollte, fuhr ein ganzes St
ück
1872 h
öher, als er sie zu heben beabsichtigte. Mit Leichtigkeit
1873 richtete er seinen Oberk
örper empor, aber bei dem Ruck flogen
1874 auch seine Beine in die Luft, und mit einer
überraschenden
1875 Geschwindigkeit f
ührte er einige unbeabsichtigte turnerische
1876 Übungen aus, bis es ihm gelang, sich in sitzender Stellung auf
1877 seinem Lager zu balancieren.
</p>
1878 <p>Zugleich hatte sich auch die weibliche Gestalt erhoben und
1879 schwebte auf ihn zu. Ein herzgewinnendes L
ächeln lag auf ihren
1880 Z
ügen, und aus den wunderbaren Augen sprach die innigste
1882 <p>Saltner wollte aufstehen, bemerkte aber schon beim ersten
1883 Anziehen seines Fu
ßes, da
ß er Gefahr lief, in eine
1884 unbestimmte H
öhe zu schnellen. Eine leichte Handbewegung der
1885 vor ihm stehenden Gestalt bedeutete ihm, seinen Sitz wieder
1886 einzunehmen. Nun endlich fand er die Sprache wieder in gewohnter
1888 <p>»Wie Sie befehlen
«, sagte er.
»Es w
äre
1889 mir eine gro
ße Ehre, wenn Sie ebenfalls Platz nehmen wollten
1890 und mir g
ütigst andeuten, wo ich mich eigentlich
1892 <p>Bei seinen Worten lie
ß die Gestalt ein leises, silbernes
1893 Lachen vernehmen.
</p>
1894 <p>»Er spricht, er spricht!
« rief sie in der Sprache
1895 der Martier.
»Es ist zu lustig!
«</p>
1896 <p>»Fafagolik?
« versuchte Saltner die fremden Laute
1897 wiederzugeben.
»Was ist das f
ür eine Sprache oder was
1898 f
ür eine Gegend?
«</p>
1899 <p>Die Martierin lachte wieder und betrachtete ihn dabei
1900 vergn
üglich, wie man ein merkw
ürdiges Tier abwartend
1902 <p>Saltner wiederholte seine Frage franz
ösisch, englisch,
1903 italienisch und sogar lateinisch. Damit war sein Sprachschatz
1904 ersch
öpft. Da ihn die Fremde offenbar nicht verstand und er
1905 noch immer keine Antwort erhielt, sagte er wieder auf deutsch:
</p>
1906 <p>»Die Gn
ädige scheint mich nicht zu verstehen, aber
1907 ich will mich doch wenigstens vorstellen. Mein Name ist Saltner,
1908 Josef Saltner, Naturforscher, Maler, Photograph und Mitglied der
1909 Tormschen Polarexpedition, augenblicklich verungl
ückt und, wie
1910 mir scheint, mehr oder weniger gerettet. Eigentlich ist dabei gar
1911 nichts zu lachen, meine Gn
ädige, oder was Sie sonst
1913 <p>Darauf zeigte er mehrere Male mit dem Finger auf sich selbst und
1914 sagte deutlich:
»Saltner! Saltner!
« Sodann zeigte er
1915 mit der Hand rings auf seine Umgebung und zuletzt auf die
1916 sch
öne Martierin.
</p>
1917 <p>Diese ging sogleich auf seine Geb
ärdensprache ein. Sie
1918 bewegte die Hand langsam auf sich zu und sagte ihren Namen:
1919 »Se.
«</p>
1920 <p>Darauf deutete sie auf Saltner und wiederholte deutlich seinen
1921 Namen. Und noch einmal wiederholte sie mit den entsprechenden
1923 <p>»Se! Saltner!
«</p>
1924 <p>»Se, Se?
« sagte Saltner fragend.
»Das ist also
1925 Ihr werter Name. Oder meinen Sie vielleicht, da drau
ßen sei
1926 die See? Verstehen Sie vielleicht doch ein wenig Deutsch? Wo
1927 befinden wir uns denn hier?
«</p>
1928 <p>Auf seine fragende Handbewegung zeigte Se nach dem Meer, das vor
1929 den bis zum Fu
ßboden reichenden Fenstern wogte, und nannte
1930 das Wort, das in der Sprache der Martier Meer bedeutet. Darauf zog
1931 sie an einem Handgriff, und anstelle des Meeres erschien die
1932 Landschaft, welche Saltner bewundert hatte. Er sah jetzt, da
ß
1933 dieselbe auf einen Wandschirm gemalt war, den Se soeben vor das
1934 Fenster geschoben hatte. Sie zeigte auf die Landschaft und sagte
1935 »Nu.
« Das bedeutet
›Mars
‹, aber Saltner
1936 war freilich mit diesem Wort nicht gedient.
</p>
1937 <p>Se ging nun weiter in das Zimmer zur
ück, das der Wandschirm
1938 bisher seinen Blicken verh
üllt hatte, und suchte nach einem
1939 Gegenstand, den sie nicht sogleich zu finden schien. Saltner folgte
1940 ihr mit den Augen. Er glaubte noch nie etwas Anmutigeres gesehen zu
1941 haben, etwas Wunderbareres jedenfalls noch nicht.
</p>
1942 <p>Ein rosiger Schleier umh
üllte den gr
ößten Teil
1943 der Gestalt, lie
ß jedoch hier und da den metallischen
1944 Schimmer des Unterkleides durchblicken. Die Haare kr
äuselten
1945 sich
über dem Nacken in beweglichen L
öckchen, die als
1946 Grundfarbe ein lichtes Braun zeigten, aber bei jeder Bewegung
1947 irisierten wie das Farbenspiel auf einer Seifenblase. Alle
1948 Bewegungen ihres K
örpers glichen dem leichten Schweben eines
1949 Engels, der von der Schwere des Stoffes unabh
ängig ist. Und
1950 sobald der Kopf an eine dunklere Stelle des Zimmers geriet,
1951 leuchtete das Haar phosphoreszierend und umgab das Gesicht wie ein
1953 <p>Pl
ötzlich unterbrach sie ihr Suchen und rief:
</p>
1954 <p>»Wie bin ich doch zerstreut! Das hat ja alles noch Zeit.
1955 Der arme Bat hat gewi
ß Hunger, daran h
ätte ich
1956 zun
ächst denken sollen. Wart, mein armer Bat, ich will dir
1957 gleich etwas braten.
«</p>
1958 <p>Sie trat an den Tisch im Hintergrund des Zimmers und machte sich
1959 an dem Schrankaufsatz und verschiedenen Handgriffen zu schaffen.
1960 Dann war sie wieder neben ihm und sagte mit einem unnachahmlichen
1961 Ton, der ihn entz
ückte:
»Saltner
«, indem sie die
1962 nicht mi
ßzuverstehenden Pantomimen des Essens machte.
</p>
1963 <p>»Gl
änzender Gedanke, holdselige Se
«, rief
1964 Saltner, indem er die Pantomime wiederholte.
</p>
1965 <p>Auf einen Handgriff Ses, Saltner wu
ßte nicht wie, stand
1966 auf einmal ein Tischchen vor seinem Lager, und Se setzte ihm eine
1967 Speise vor, die sie soeben bereitet hatte. Er untersuchte nicht
1968 lange, was es sei, zerbrach sich nicht den Kopf
über die
1969 merkw
ürdigen Formen der ihm gereichten Instrumente, sondern
1970 gebrauchte sie, unbek
ümmert um Ses L
ächeln, als
1971 L
öffel, und tat dann einen langen Zug aus dem Mundst
ück
1972 eines mit Fl
üssigkeit gef
ällten Gef
äßes. Sein
1973 Hunger war, wie er jetzt erst merkte, so gro
ß, da
ß er
1974 selbst Ses Anwesenheit und seine ganze Umgebung momentan vergessen
1975 hatte. Erst nachdem der erste Reiz gestillt war, h
örte er
1976 wieder aufmerksam auf Ses Erkl
ärungen, die ihm die einzelnen
1977 Gegenst
ände in ihrer Sprache benannte, und es gelang ihm bald,
1978 einige Worte zu behalten.
</p>
1979 <p>Als er sein Mahl beendet hatte, betrachtete ihn Se wieder mit
1980 zufriedener Miene. Wie man ein Scho
ßh
ündchen streichelt,
1981 glitt sie mit der Hand
über sein Haar und sagte:
</p>
1982 <p>»Der arme Bat war hungrig, nun wird er wieder gesund
1983 werden. War es gut, Saltner?
«</p>
1984 <p>Saltner verstand freilich ihre Worte nicht, aber den Sinn
1985 f
ühlte er deutlich heraus. Er kam sich auch etwas
1986 gedem
ütigt vor, denn er merkte wohl, da
ß ihn Se nicht
1987 als ein gleichberechtigtes Wesen behandelte. Aber wie sie seinen
1988 Namen aussprach, wie sie ihn mit den Augen ansah, die bis ins
1989 Innerste der Seele hineinzuleuchten schienen, konnte er nicht
1990 anders, als ihr mit den herzlichsten Worten danken. Und auch Se
1991 verstand den Dank, ohne die Worte zu kennen, die er sprach.
1992 L
ächelnd sagte sie in ihrer Sprache:
</p>
1993 <p>»Saltner gef
ällt mir, er ist nicht wie ein
1995 <p>Saltner hatte das Wort Kalalek verstanden, das die Eskimos den
1996 Martiern als die Bezeichnung ihres Stammes genannt hatten.
</p>
1997 <p>»Nein
«, rief er entschieden,
»meine
1998 sch
öne Se, ein Eskimo bin ich nicht, ich bin ein Deutscher,
1999 kein Eskimo
– Deutscher!
«</p>
2000 <p>Und er begleitete die Worte mit so entschiedenen Gesten,
2001 da
ß Se ihren Sinn sofort verstand.
</p>
2002 <p>Sie eilte zu dem B
ücherregal an der Zimmerwand
– denn
2003 B
ücher geh
ören bei den Martiern zur unentbehrlichen Aus
2004 stattung jedes Zimmers, eher w
ürde man die Fenster entbehren
2005 als die Bibliothek
– und holte einen Atlas herbei.
</p>
2006 <p>Inzwischen best
ürmte Saltner seine Pflegerin mit Fragen
2007 nach dem Schicksal seiner Gef
ährten, ohne sich gen
ügend
2008 verst
ändlich machen zu k
önnen. Se k
ümmerte sich
2009 zun
ächst nicht um seine Worte und Geb
ärden, sondern hielt
2010 den Atlas an seinem Griff Saltner vor die Augen und lie
ß die
2011 Bl
ätter desselben sich rasch umschlagen. Sein Erstaunen
2012 über diese Mechanik wurde aber
übertroffen, als sie in
2013 ihrem Umbl
ättern stillhielt und den Griff des Buches in einem
2014 Gestell auf dem Tischchen vor ihm befestigte. Er erkannte sofort
2015 die Karte der Gegenden um den Nordpol der Erde wieder, die er in
2016 dem Riesenma
ßstab der Insel vom Ballon aus bewundert
2018 <p>Se zeigte mit ihrem schlanken, zierlichen Finger, an dem ihm die
2019 gro
ße Beweglichkeit der einzelnen Glieder auffiel, auf
2020 Gr
önland und die n
ächsten Landmassen um den Pol; dazu
2021 sagte sie wiederholt:
»Kalalek, Bat Kalalek.
« Dann
2022 zeigte sie auf Saltner, ergriff seine Hand und f
ührte sie
2023 über die andern Teile des Kartenbildes, indem sie dabei
2024 fragte:
»Bat Saltner?
«</p>
2025 <p>Saltner suchte auf der Karte die Gegend von Deutschland, die
2026 allerdings perspektivisch schon stark verk
ürzt erschien, und
2027 machte ihr durch Zeichen begreiflich, da
ß hier seine Heimat
2028 sei. Da er aus dem
öfter geh
örten Wort
2029 ›Bat
‹ schlo
ß, da
ß dies wohl soviel wie
2030 Mensch oder Volksstamm bedeute, so zeigte er auf den Pol und fragte
2032 <p>»Bat Se?
«</p>
2033 <p>Se antwortete mit einer lebhaft abwehrenden Bewegung. Sie legte
2034 die ganze Hand auf die Karte und sagte:
»Bat.
« Dann
2035 zeigte sie auf sich selbst und sprach mit Selbstbewu
ßtsein:
2036 »Se, Nume.
«</p>
2037 <p>Und als Saltner sie fragend anblickte, wies sie mit
2038 ausgestrecktem Arm nach einer bestimmten Stelle des Bodens und
2039 wiederholte noch einmal:
»Nume.
« Wie sie so dastand,
2040 leuchteten ihre Augen in verkl
ärtem Glanz, und Saltner konnte
2041 nicht zweifeln, da
ß er ein h
öheres Wesen vor sich habe.
2042 Aber sogleich neigte sie sich wieder mit liebensw
ürdigem
2043 L
ächeln zu ihm und lie
ß einige Bl
ätter des Atlas
2044 zur
ückschlagen. Es zeigte sich eine Gruppe geometrischer
2045 Figuren, in denen Saltner ohne Schwierigkeit einen Aufri
ß der
2046 Planetenbahnen im Sonnensystem erkannte. Se wies auf den
2047 Mittelpunkt und sagte:
»O.
«</p>
2048 <p>»Sonne
«, antwortete Saltner, indem er zugleich nach
2049 der Richtung hinzeigte, in welcher die Sonnenstrahlen auf der
2050 Oberfl
äche des Meeres spielten.
</p>
2051 <p>Se nickte befriedigt, beschrieb dann mit ihrem Finger auf der
2052 Karte die Erdbahn und wiederholte den Namen der Erde:
2053 »Ba
«, und, auf Saltner weisend:
»Bat!
« Dann
2054 aber wieder mit dem ganzen Stolz der Martier den Namen
2055 ›Nume
‹ aussprechend, bezeichnete sie auf der Karte
2056 die Bahn des Mars und sagte mit einem hoheitsvollen Blick auf
2057 Saltner:
»Nu.
«</p>
2058 <p>»Der Mars!
« Es kam fast tonlos von Saltners Lippen.
2059 Er merkte, wie sich alle seine Begriffe zu verwirren drohten.
2060 Hilflos sah er zu Se empor, die kaum seine Aufregung bemerkt hatte,
2061 als sie ihm schon bedeutete, sich niederzulegen. Zwar wollte er
2062 trotz der Mattigkeit, die er jetzt an sich sp
ürte,
2063 aufspringen, um seine Wi
ßbegierde weiter zu befriedigen, aber
2064 ein Blick, der keinen Widerstand zulie
ß, bannte ihn auf sein
2066 <p>In diesem Augenblick
öffnete sich die T
ür des Zimmers,
2067 und in derselben erschien zusammengebeugt und schleppend, auf zwei
2068 St
äbe gest
ützt, die Gestalt des Arztes Hil. Kaum aber
2069 hatte Hil das Zimmer betreten, als er sich in voller H
öhe
2070 aufrichtete, die St
äbe fortwarf und schnell auf das Lager
2071 zuschritt. Er ergriff sofort Saltners Hand, und w
ährend er den
2072 Puls beobachtete, sagte er mit leichtem Vorwurf:
</p>
2073 <p>»Aber Se Se, was machen Sie mir f
ür Geschichten.
2074 Stellen Sie nur gleich die Abarie ab. Unser Bat mu
ß seine
2075 richtige Erdschwere haben, sonst geht er uns ein, ehe wir ihn
2076 wieder kr
äftig sehn.
«</p>
2077 <p>»Seien Sie nur nicht b
öse, Hil Hil
«, lachte Se,
2078 »ich habe ihn ja so sch
ön gepflegt und gef
üttert
2079 – sehen Sie die Sch
üssel
– 150 Gramm Eiwei
ß,
2080 240 Gramm Fett und
–«</p>
2081 <p>Hil sah nach der Federwaage, die sich unter jedem
2082 Speiseger
ät der Martier befand und sofort konstatierte,
2083 wieviel Nahrungsstoffe man auf dieselbe gelegt oder dem K
örper
2084 zugef
ührt hatte.
</p>
2085 <p>»Aber Sie haben die Schwere abgestellt, davon stand nichts
2086 in Ihrer Instruktion.
«</p>
2087 <p>»Ja, Hil Hil, Sie k
önnen doch nicht verlangen,
2088 da
ß ich im Zimmer herumkriechen soll, wenn er wach
2090 <p>»Ach so, die liebe Eitelkeit!
«</p>
2091 <p>»Oh, vor dem Bat! Aber als er aufwachte, mu
ßte ich
2092 doch schnell hin, und dann mu
ßte ich die Pastete backen, und
2093 – ja, wenn Sie w
üßten: Er hei
ßt Saltner und
2094 ist kein Kalalek, sondern ein
– ja, das Wort habe ich
2095 vergessen, doch ich zeige Ihnen auf der Karte die
2097 <p>»Erst lassen Sie es schwer werden
– aber halt, noch
2098 einen Augenblick, ich will mir zuvor einen Stuhl holen
– so
2100 <p>»Und ich will mich auch erst setzen
«, sagte Se.
</p>
2101 <p>Als beide Platz genommen hatten, griff Se an einen Wirbel, und
2102 Saltner sah, wie Se und Hil sichtlich in ihren Sesseln
2103 zusammensanken und ihre gelegentlichen Bewegungen m
ühsam und
2104 schwerf
ällig wurden. Er aber merkte, wie das
2105 eigent
ümliche Gef
ühl des Schwindels, das ihn beherrscht
2106 hatte, verschwand, seine Gliedma
ßen konnte er wieder normal
2107 dirigieren, und er legte sich behaglich auf sein Lager
2109 <p>Der Arzt sah ihn mit seinen gro
ßen, sprechenden Augen
2111 <p>»Also man ist wieder lebendig?
« sagte er, was
2112 Saltner freilich nicht verstand. Dann f
ügte er in der Sprache
2113 der Eskimos hinzu:
»Versteht ihr vielleicht diese
2115 <p>Saltner erriet die Frage und sch
üttelte den Kopf. Dagegen
2116 sagte er nunmehr selbst in der Sprache der Martier, was er von Se
2118 <p>»Trinken
– Wein
– Bat gut Wein trinken
2120 <p>Se brach in ihr feines, silbernes Lachen aus, und Hil sagte
2121 belustigt:
»Sie haben ja ausgezeichnete Fortschritte gemacht
2122 – nun werden wir uns wohl bald unterhalten
2123 k
önnen.
«</p>
2124 <p>Dabei wies er auf das neben Saltner stehende
2125 Trinkgef
äß hin, und dieser bediente sich desselben mit
2126 Erfolg zu neuer St
ärkung.
</p>
2127 <p>Das Schicksal seiner Gef
ährten lag ihm am schwersten auf
2128 der Seele. Er versuchte noch einmal, dar
über Erkundigungen
2129 einzuziehen, indem er einen Finger aufhob und dazu sagte:
2130 »Bat Saltner.
« Dann erhob er drei Finger und suchte
2131 durch weitere Zeichen verst
ändlich zu machen, da
ß drei
2132 ›Bate
‹ mit dem Ballon angekommen und
2133 herabgest
ürzt seien.
</p>
2134 <p>Hil, der zum ersten Mal einen Europ
äer sah, hatte seine
2135 Aufmerksamkeit mehr auf den ganzen Menschen als auf sein Anliegen
2136 gerichtet, und blickte jetzt fragend zu Se hin
über, als sich
2137 Saltner mit der von Se geh
örten Anrede
›Hil Hil
‹
2138 direkt an ihn wendete.
</p>
2139 <p>Se erkl
ärte:
</p>
2140 <p>»Er meint, da
ß drei Bate angekommen und in das Meer
2141 gest
ürzt sind. Wir haben aber doch nur zwei
2142 gefunden?
«</p>
2143 <p>»Allerdings
«, sagte Hil,
»und dem andern geht
2144 es auch besser. Der Fu
ß ist nicht schlimm verletzt und wird
2145 in einigen Tagen geheilt sein. Ich habe mich durch La abl
ösen
2146 lassen, um einmal hier nach dem Rechten zu sehen. Ich glaube
2147 übrigens, da
ß er bei Bewu
ßtsein ist, er hat
2148 wiederholt die Augen ge
öffnet, doch ohne zu sprechen.
2149 Hoffentlich hat er keine schwere Ersch
ütterung davongetragen.
2150 Wir wollen ihn nicht anreden, um ihn nicht vorzeitig aufzuregen.
2151 Wollen Sie nicht einmal hin
übergehen?
«</p>
2152 <p>»Recht gern, aber wer bleibt bei Saltner?
«</p>
2153 <p>»Der mu
ß jetzt schlafen. Und dann m
üssen wir
2154 überhaupt eine andere Einrichtung treffen. Wir bringen sie
2155 beide zusammen in ein Zimmer, und zwar in das gro
ße. Aus der
2156 einen Seite lasse ich die abarische Verbindung entfernen,
2157 desgleichen in den beiden Nebenr
äumen. Dort werden ihre Betten
2158 und alle ihre Ger
äte hingebracht, so da
ß sie in ihren
2159 gewohnten Verh
ältnissen leben k
önnen. Und wir k
önnen
2160 uns dann bei ihnen aufhalten und sie studieren, ohne
2161 fortw
ährend unter diesem Druck umherkriechen zu m
üssen,
2162 indem wir uns in dem andern Teil des Zimmers die Schwere
2163 erleichtern.
«</p>
2164 <p>»Sch
ön
«, sagte Se,
»aber ehe Sie meinen
2165 armen Bat einschl
äfern, will ich noch einmal mit ihm
2166 verhandeln.
«</p>
2167 <p>Sie wandte sich zu Saltner und machte ihm so gut wie
2168 m
öglich begreiflich, da
ß noch einer seiner
2169 Gef
ährten gerettet sei und da
ß er ihn bald sehen solle.
2170 Dann brachte sie auf geschickte Weise in Erfahrung, wie jener
2171 hei
ße, und lie
ß sich einige deutsche Worte so lange
2172 vorsagen, bis sie sich dieselben eingepr
ägt hatte.
2173 W
ährend sie Saltner aus ihren gro
ßen Augen l
ächelnd
2174 ansah, streckte Hil die Hand gegen sein Gesicht aus und bewegte sie
2175 einige Male hin und her. Saltner fielen die Augen zu. Noch war es
2176 ihm, als wenn zwei strahlende Sonnen vor ihm leuchteten, dann
2177 wu
ßte er nicht mehr, ob dies zwei Augen seien oder die Monde
2178 des Mars, und bald lag er in traumlosem Schlaf.
</p>
2179 <h2>7 - Neue R
ätsel
</h2>
2180 <p>Grunthe erwachte aus seiner Bewu
ßtlosigkeit in einem
2181 Zimmer, das ganz
ähnlich eingerichtet war wie dasjenige, in
2182 welches man Saltner gebracht hatte. Denn es geh
örte zu
2183 derselben Reihe von Gastzimmern, die f
ür den
2184 vor
übergehenden Aufenthalt von Martiern auf der Erdstation
2185 bestimmt waren. Auch er konnte von seinem Lager aus nichts
2186 erblicken als die gro
ßen Fensterscheiben, hinter denen das
2187 Meer wogte, und den Wandschirm, der den
übrigen Teil des
2188 Zimmers verbarg. Dieser Schirm war ebenfalls mit einer
2189 Nachtlandschaft des Mars verziert, welche beide Monde des Mars
2190 zeigte
– ein bei den Malern des Mars sehr beliebter
2191 Lichteffekt. Hier aber befanden sich au
ßerdem im Vordergrund
2192 zwei Figuren, von denen die eine nach einem besonders hell
2193 leuchtenden Stern hinwies, w
ährend eine zweite das stark
2194 vergr
ößerte Bild jenes Sternes beobachtete, wie es von
2195 einem Projektionsapparat auf einer Tafel entworfen erschien.
</p>
2196 <p>Grunthe suchte seine Gedanken zu sammeln. Er lag sorgf
ältig
2197 gebettet und in einem Schlafgewand, das nicht das seinige war, in
2198 einem erw
ärmten Zimmer. Seinen Fu
ß, der ihn
2199 übrigens nicht schmerzte, konnte er nicht bewegen; dieser
2200 befand sich in einem festen Verband. Er f
ühlte sich matt, aber
2201 vollst
ändig bei Sinnen und ohne merkliche Beschwerden. Kopf
2202 und Arme, bis zu einem gewissen Grad auch den Oberk
örper,
2203 konnte er willk
ürlich bewegen. Er war also nach seinem Sturz
2204 ins Wasser gerettet worden. Wo aber befand er sich, und wer waren
2206 <p>Die anf
ängliche T
äuschung, da
ß er an der Stelle,
2207 wo der Schirm stand, in eine wirkliche Nachtlandschaft sehe, konnte
2208 bei ihm nicht lange anhalten, da diese Figuren enthielt, welche
2209 sich nicht bewegten. Er hatte also ein Bild vor sich. Demnach war
2210 das Meer, wie er auch aus der Farbe und Art der Beleuchtung
2211 schlo
ß, wohl nichts anderes als das Polarmeer, in welches der
2212 Ballon gest
ürzt war, er befand sich auf der Insel, und seine
2213 Retter waren die Bewohner dieser Insel. Wer waren sie, und was
2214 hatte er von ihnen zu erwarten? Darauf konzentrierten sich alle
2216 <p>Er bewegte seine Arme, er beobachtete seine Atmung, seinen Puls,
2217 er h
örte das Rauschen des Meeres
– alle Erscheinungen
2218 der Natur waren unver
ändert, er war auf der Erde, und doch
2219 konnten die Wesen, die hier wohnten, keine Menschen sein. Der Stoff
2220 seines Gewandes, seiner Decke, seines Lagers war ihm
2221 vollst
ändig unbekannt, daraus konnte er keinen Schlu
ß
2222 ziehen. Aber das Bild! Was stellte das Bild vor? War es nicht
2223 m
öglich, daraus zu erkennen, in wessen Gewalt er sich
2225 <p>Die beiden Gestalten auf dem Bild waren, wie es schien,
2226 menschlicher Art. Die stehende Figur, welche nach dem Stern
2227 hinwies, sah nicht anders aus als eine ideale Frauengestalt mit
2228 auffallend gro
ßen Augen; um ihren Kopf spielte ein seltsamer
2229 Lichtschimmer
– sollte dies eine symbolische Figur mit einem
2230 Heiligenschein sein? Die Gewandung
– soweit
überhaupt
2231 von solcher die Rede war
– lie
ß keine Schl
üsse zu,
2232 sie konnte ja einer Laune des K
ünstlers entsprungen sein. Die
2233 sitzende Gestalt, welche das Bild des Sternes beobachtete und dem
2234 Beschauer den R
ücken zuwandte, schien einen enganliegenden
2235 metallenen Panzer zu tragen; in der Hand hielt sie einen Grunthe
2236 unbekannten Gegenstand. Sollten diese beiden Figuren Vertreter der
2237 Bewohner der Polinsel sein? Aber die Landschaft selbst war keine
2238 Landschaft der Erde. Also wohl eine Erinnerung an die Heimat, aus
2239 welcher die Polbewohner stammten? Und wenn es so war
– diese
2240 beiden Monde
–, sie konnten keiner andern Welt angeh
ören
2242 <p>Bewohner des Mars haben den Pol besiedelt! Der Gedanke war
2243 Grunthe schon einmal aufgestiegen, als er zuerst vom Ballon aus die
2244 Insel mit ihren Vorrichtungen und dem merkw
ürdigen Kartenbild
2245 der Erde betrachtet hatte. Er hatte ihn als zu phantastisch
2246 zur
ückgedr
ängt, er wollte nichts mit so
2247 unwahrscheinlichen Hypothesen zu tun haben, so lange er noch auf
2248 eine andere Erkl
ärung hoffen konnte. Doch als der Ballon von
2249 jener unerkl
ärlichen Kraft in die H
öhe gerissen wurde,
2250 mu
ßte er wieder an diese Hypothese denken. Und jetzt, die
2251 merkw
ürdige Rettung, die seltsamen Stoffe, das Bild! Was war
2252 das f
ür ein Stern, der auf diesem Bild beobachtet wurde? Er
2253 strengte seine scharfen Augen an, um die Abbildung auf der Tafel zu
2254 erkennen. Eine hell beleuchtete schmale Sichel, der
übrige
2255 Teil der Scheibe in einem matten Schimmer
– und diese dunklen
2256 Flecke, die wei
ßen Kappen an den Polen
– kein Zweifel,
2257 das war die Erde, wie sie vom Mars aus bei starker
2258 Vergr
ößerung erschien, die schmale Sichel im
2259 Sonnenschein, das
übrige schwach vom Mondlicht erhellt.
2260 – Grunthe konnte sich nicht l
änger der Ansicht
2261 verschlie
ßen, da
ß er bei den Marsbewohnern sich befinde
2262 – ein Gast, ein Gefangener
– wer konnte es wissen?
</p>
2263 <p>Wie konnten Marsbewohner auf die Erde kommen? Grunthe
2264 wu
ßte die Frage nicht zu beantworten. Nahm man aber die
2265 Tatsache einmal als gegeben, so erkl
ärten sich die andern
2266 Erscheinungen sehr leicht, der Wunderbau der Insel, die
2267 Beeinflussung des Ballons, die Rettung, die Einrichtung des Zimmers
2268 – die Hypothese der Marsbewohner war doch wohl die einfachste
2270 <p>Und auf einmal zuckte Grunthe zusammen
– eine Erinnerung
2271 wurde ihm pl
ötzlich lebendig
–, seine Lippen schlossen
2272 sich fest aufeinander, und zwischen seinen Augenbrauen bildete sich
2273 eine tiefe senkrechte Falte
– Er spannte sein Ged
ächtnis
2274 aufs
äu
ßerste an
–</p>
2275 <p>Ell, Ell!, sagte er bei sich.
– Was war es doch, was ihm
2276 Ell gesagt hatte, ehe er die Reise antrat? Friedrich Ell, der
2277 Freund Torms, lebte als Privatgelehrter in Friedau seinen Studien,
2278 aber er war der eigentliche geistige und der pekuni
äre Urheber
2279 der Expedition, die Seele der internationalen Vereinigung f
ür
2280 Polarforschung. Mit ihm hatte er oft
über die M
öglichkeit
2281 disputiert, wie die Bewohner des Mars mit der Erde in Verbindung
2282 treten k
önnten. Und Ell hatte immer gesagt: Wenn sie kommen,
2283 so haben wir sie am Nordpol oder am S
üdpol zu erwarten. Man
2284 springt auf einen Eisenbahnzug nicht, wo er in Fahrt ist, sondern
2285 wo er steht. Wer wei
ß, was Sie am Pol finden!
2286 Gr
üßen Sie mir die
– – ja, das Wort hatte er
2287 vergessen. Er hatte kein Gewicht darauf gelegt. Man wu
ßte
2288 nicht immer bei Ell, ob er scherze oder im Ernst spr
äche.
2289 »Gr
üßen Sie mir die
–« Es fiel ihm
2290 nicht ein. Aber wohl erinnerte er sich, wie Ell eines Abends sehr
2291 erregt geworden war, als man von den Bewohnern des Mars wie von
2292 Fabelwesen gesprochen hatte. Er hatte dann das Gespr
äch
2293 pl
ötzlich abgebrochen.
</p>
2294 <p>Grunthe wurde aus seinem Nachsinnen gerissen. Hinter dem Bild
2295 der Marslandschaft wurden Stimmen laut. Was war das f
ür eine
2296 Sprache? Grunthe kannte sie nicht, er verstand kein Wort.
</p>
2297 <p>Hinter dem Schirm hatte, von Grunthe unbemerkt, La gesessen. Es
2298 war ihr sehr unbequem, unter dem Druck der irdischen Schwerkraft
2299 auszuhalten, und sie hatte sich deshalb unbeweglich auf ihr Sofa
2300 gestreckt. Jetzt kam Se schwerf
ällig herbei und lie
ß
2301 sich ebenfalls nieder.
</p>
2302 <p>»Wie geht
’s dem Bat?
« fragte sie.
</p>
2303 <p>»Ich wei
ß es wirklich nicht
«, sagte La,
2304 »ich habe noch nicht geh
ört, da
ß er sich
2305 bemerklich gemacht h
ätte, und unter diesem Druck kannst du
2306 nicht verlangen, da
ß ich zu ihm hingehe.
«</p>
2307 <p>»So machen wir es leicht!
« rief Se und streckte die
2308 Hand nach dem Griff des abarischen Apparates aus.
</p>
2309 <p>»Aber Hil hat es verboten
«, erwiderte La.
»Es
2310 k
önnte sch
ädlich wirken.
«</p>
2311 <p>»Ach, ich habe es dr
üben auch so gemacht, auf kurze
2312 Zeit tut es dem Bat nichts. Hast du ihn denn schon
2313 gef
üttert?
«</p>
2314 <p>»Nein, wie konnte ich?
«</p>
2315 <p>»Und doch ist es n
ötig, meint auch Hil. Und so lange
2316 m
üssen wir mindestens uns frei bewegen k
önnen. Also, auf
2317 meine Verantwortung.
«</p>
2318 <p>Se stellte den Apparat auf die normale Marsschwere ein. Die
2319 beiden Damen erhoben sich und atmeten erleichtert auf.
</p>
2320 <p>In demselben Augenblick wollte Grunthe eine Bewegung
2321 ausf
ühren, aber sein Arm fuhr pl
ötzlich viel h
öher,
2322 als er beabsichtigt hatte. Sogleich probierte er die Bewegung noch
2323 einmal und konstatierte, da
ß alle seine Gliedma
ßen
2324 sowie die Decke seines Bettes viel leichter geworden waren. Er
2325 suchte nach einem Gegenstand, den er in die H
öhe werfen
2326 wollte, um das wunderbare Ph
änomen zu studieren. Da er jetzt
2327 trotz des Verbandes an seinem Fu
ß den Oberk
örper leicht
2328 aufrichten konnte, erblickte er auf einem Wandbrett
über
2329 seinem Lager einige Gegenst
ände, die ihm geh
örten; man
2330 hatte sie offenbar in seinen Taschen gefunden. Er ergriff sein
2331 Taschenmesser, hielt es so hoch wie m
öglich
über den
2332 Boden und lie
ß es fallen. Er konnte den Fall bequem mit den
2333 Augen verfolgen; es dauerte eine Sekunde, ehe das Messer den Boden
2334 erreichte. Grunthe sch
ätzte die H
öhe und sagte sich: Die
2335 Schwerkraft ist geringer geworden, und zwar betr
ägt sie nur
2336 etwa ein Drittel soviel wie gew
öhnlich. Das ist die Schwere
2337 auf dem Mars. Und wieder mu
ßte er an Ell denken, der so oft
2338 gesagt hatte:
»Von der Schwere frei werden, hei
ßt das
2339 Weltall beherrschen.
«</p>
2340 <p>Auf das leichte Ger
äusch, welches das Auffallen des Messers
2341 erzeugte, hatte Se den Wandschirm beiseite geschoben und war mit La
2342 auf Grunthe zugetreten. Dieser hatte seine Aufmerksamkeit nicht
2343 mehr auf den Schirm gerichtet und schrak daher mit einer Bewegung
2344 der
Überraschung zusammen, als er pl
ötzlich die beiden
2345 sch
önen Martierinnen vor sich sah. Kaum hatte er erkannt,
2346 da
ß sich zwei lebendige weibliche Gestalten ihm
2347 n
äherten, so legte er sich mit eisiger Miene zur
ück und
2348 heftete die Augen starr an die Decke. Da er La und Se nicht
2349 anzusehen wagte, konnte er nicht bemerken, mit welch freundlichen
2350 und teilnahmsvollen Blicken sie ihn betrachteten. Nur an dem Ton
2351 der Stimmen, mit welchem sie in ihrer Sprache einige Worte an ihn
2352 richteten, erkannte er die gute Gesinnung. La zupfte ihm die Decke
2353 zurecht, Se aber beugte sich
über ihn und sah mit ihrem
2354 leuchtenden Blick tief in seine Augen. Diese Damengesellschaft war
2355 ihm schrecklich; lieber h
ätte er sich von feindlichen Wilden
2356 umgeben gesehen. Ach, und nun f
ühlte er eine weiche Hand auf
2357 seinem Kopf, Se streichelte sein Haar
– unwillig stie
ß
2358 er die Hand zur
ück.
</p>
2359 <p>»Armer Mensch
«, sagte Se,
»er scheint noch
2360 ganz verwirrt. Wir m
üssen ihm vor allen Dingen zu trinken
2361 geben.
« Sie legte die Hand wieder auf seine Stirn und sagte:
2362 »F
ürchte dich nicht, wir tun dir nichts, armer
2364 <p>»Ko bat
«, so lautete das letzte Wort Ses in ihrer
2365 Sprache,
»Ko bat
« – es wirkte
überraschend
2366 auf Grunthe
–, das war einer der seltsamen Ausdr
ücke
2367 Friedrich Ells. So pflegte Ell zu sagen, wenn er mit einer seiner
2368 wunderlichen Ansichten nicht durchdringen konnte, wenn er sein
2369 Mitleid mit dem Mangel an Verst
ändnis bei den Menschen
2370 bezeichnen wollte. Oft hatte ihn Grunthe gefragt, wo diese
2371 Redensart herstammen wie er dazu k
äme. Dann hatte Ell immer
2372 nur still gel
ächelt und wiederholt:
»Ko bate, das
2373 versteht ihr nicht, arme Menschen!
« Diese Erinnerungen waren
2374 mit dem Wort in Grunthe wieder aufgetaucht. Er verhielt sich jetzt
2376 <p>Inzwischen hatte La ein Trinkgef
äß herbeigeholt, mit
2377 dem wunderbaren Nektar der Martier gef
üllt. Die Martier
2378 tranken stets durch einen mit Mundst
ück versehenen Schlauch,
2379 der in dem Gef
äß befestigt war, und dieses
2380 Mundst
ück versuchte La jetzt Grunthe zwischen die Lippen zu
2381 schieben. Aber das war vergebliches Bem
ühen, Grunthe hielt sie
2382 fest geschlossen und wandte sein Gesicht zur Seite.
</p>
2383 <p>»Die Bate sind aber unliebensw
ürdige
2384 Gesch
öpfe
«, sagte La lachend.
</p>
2385 <p>»Oh
«, entgegnete Se,
»Saltner war ganz anders,
2386 der redete gleich!
« Grunthe hatte den Namen erfa
ßt,
2387 jetzt
öffnete er zum ersten Mal die Lippen.
</p>
2388 <p>»Saltner?
« fragte er, ohne jedoch Se
2390 <p>»Ach
«, sagte Se,
»siehst du, er kann
2391 h
ören und sprechen. Nun pa
ß auf, nun werde ich einmal
2392 mit ihm reden.
«</p>
2393 <p>Sie schlug den Arm freundschaftlich um Las Schulter und stellte
2394 sich nahe an das Lager. Dann sagte sie mit gro
ßer Anstrengung
2395 ihres Sprachorgans die von Saltner gelernten deutschen Worte:
2396 »Saltner deutsch Freund trinken Wein, Grunthe trinken Wein,
2397 deutsch Freund.
«</p>
2398 <p>Grunthe warf jetzt einen erstaunten Blick auf die deutsch
2399 redende Martierin, w
ährend La
über die Worte, die ihr
2400 furchtbar komisch vorkamen, kaum ihr Lachen verbergen konnte. Auch
2401 Grunthe war im Begriff zu l
ächeln, als er aber die beiden
2402 verf
ührerischen Gestalten so nahe vor sich erblickte, starrte
2403 er sofort wieder an die Decke, antwortete jedoch in h
öflichem
2405 <p>»Wenn ich recht verstehe, so ist auch mein Freund Saltner
2406 gerettet. Sagen Sie, bitte, wo ich hier bin.
«</p>
2407 <p>»Trinken Wein, Grunthe
«, wiederholte Se dringend,
2408 und La hielt ihm das Mundst
ück vor das Gesicht.
</p>
2409 <p>Grunthe nahm jetzt die dargebotene Erfrischung. Und bald
2410 f
ühlte er sich durch das Getr
änk aufs angenehmste
2411 erquickt und belebt. Er bedankte sich und richtete noch einige
2412 Fragen an Se, aber ihre Sprachkenntnisse waren nunmehr
2413 ersch
öpft. Grunthe sah ein, da
ß er die
2414 Geb
ärdensprache zu Hilfe nehmen m
üsse, und so mu
ßte
2415 er sich wohl oder
übel entschlie
ßen, die beiden
2416 Martierinnen anzusehen. Er deutete auf sie hin, dann auf das Bild,
2417 und sagte auf gut Gl
ück:
»Mars? Mars?
«</p>
2418 <p>Das Wort hatte Se behalten. Sie wiederholte es bejahend:
2419 »Mars, Nu!
« Und auf La und sich hinweisend sagte sie,
2420 hochaufgerichtet:
»La, Se, Nume!
«</p>
2421 <p>Nume! Das war
’s! Das war das Wort, das Ell ihm gesagt
2422 hatte: Gr
üßen Sie die Nume!
</p>
2423 <p>Nume also nannten sich die Martier, und Ell hatte das
2424 gewu
ßt
– – das gab Grunthe soviel zu denken,
2425 da
ß er momentan seine Umgebung verga
ß. Um in seinem
2426 Nachdenken nicht gest
ört zu werden, schlo
ß er die Augen,
2427 und sein Gesicht nahm wieder den starren Ausdruck an.
</p>
2428 <p>Se wollte ihn fragen, ob er essen wolle, aber das deutsche Wort,
2429 das sie sich von Saltner hatte sagen lassen, war ihr entfallen. Da
2430 Grunthe hartn
äckig die Augen geschlossen hielt, begab sie sich
2431 in den Hintergrund des Zimmers, um eine Mahlzeit zu bereiten. Denn
2432 dies geschah in jedem Zimmer sehr einfach und schnell durch die
2433 elektrische K
üche. La zog es indessen vor, sich einen Sessel
2434 herbeizuziehen und neben dem Lager Platz zu nehmen. Sie musterte
2435 aufmerksam die Gegenst
ände, welche man bei Grunthe gefunden
2436 hatte, und spielte mit einem kleinen Buch, das sich unter denselben
2437 befand. Es war eine Anweisung zum Verkehr in der Eskimosprache und
2438 zeigte als Titelvignette einen fein ausgef
ührten Holzschnitt,
2439 einen Eskimo in seinem Kajak auf wildbewegtem Meer dem Fischfang
2441 <p>»Oh, sieh!
« rief sie Se zu,
»hier ist ein
2442 Kalalek in seinem Kajak.
« Die beiden Eskimoworte schlugen
2443 verst
ändlich an Grunthes Ohr und weckten ihn aus seinem
2444 verworrenen Hinbr
üten. Sollten die Martier vielleicht das
2445 Gr
önl
ändische erlernt haben? Er sagte sich, da
ß
2446 dies ja leicht m
öglich sei. Er selbst hatte sich zum Zweck der
2447 Reise das Notwendigste f
ür den Verkehr angeeignet und fragte
2449 <p>»Ich spreche einige Worte der Eskimos. Verstehen Sie
2451 <p>Se wu
ßte nicht, was er meinte. La aber hatte schon seit
2452 einiger Zeit ihre Studien auf die Sprache der einzigen Menschen
2453 gerichtet, die den Martiern bisher begegnet waren. Sie verstand ihn
2455 <p>»Ich verstehe ein wenig.
«</p>
2456 <p>»Wo sind meine Freunde?
« fragte Grunthe.
</p>
2457 <p>»Es ist nur einer da. Er ist in einem andern
2459 <p>»Kann ich zu ihm?
«</p>
2460 <p>»Er schl
äft, aber man wird Sie dann
2461 zusammenbringen.
«</p>
2462 <p>»Wie kommen Sie vom Nu auf die Erde?
«</p>
2463 <p>La wu
ßte die Antwort nicht auszudr
ücken. Sie fragte
2465 <p>»Was wollt ihr hier?
«</p>
2466 <p>Grunthe wu
ßte nun seinerseits nicht, wie er den Begriff
2467 ›Nordpol
‹ im Gr
önl
ändischen wiedergeben
2468 sollte. Er wollte sich in dem B
üchlein Rats erholen und
2470 <p>»Geben Sie mir das Buch.
«</p>
2471 <p>»Was?
« fragte La.
</p>
2472 <p>Grunthe richtete sich auf, um das Buch, das sie in der Hand
2473 hielt, zu erfassen. Aber er hatte im Augenblick nicht an die
2474 ver
änderten Schwereverh
ältnisse gedacht, und so kam es,
2475 da
ß sein ganzer Oberk
örper bis zu Las Platz
2476 hin
überschnellte. Er w
äre aus dem Bett gest
ürzt,
2477 wenn nicht La ihn rasch am Arm gefa
ßt und gehalten
2478 h
ätte. Diese Ber
ührung war nun f
ür Grunthe
2479 h
öchst peinlich, er wollte sich ihr entziehen, aber da er noch
2480 gar nicht verstand, seine Glieder unter den ver
änderten
2481 Umst
änden zu gebrauchen, und au
ßerdem durch seinen
2482 Fu
ß behindert war, geschah es, da
ß er nach der andern
2483 Seite zu fallen drohte und ihn La ganz mit ihren Armen umfassen
2484 mu
ßte. Sie legte ihn sanft auf das Lager zur
ück,
2485 w
ährend er ihr teerosenfarbiges Haar dicht vor seinen Augen
2486 flimmern sah. Ein Schwindel drohte ihn zu erfassen.
</p>
2487 <p>Se kam mit dem Speiseger
ät herangeschwebt.
</p>
2488 <p>»Was macht ihr denn?
« rief sie lachend.
»Ich
2489 h
öre, da
ß ihr euch so eifrig unterhaltet, ohne da
ß
2490 ich verstehen kann, was ihr redet, und auf einmal
2492 <p>»Ja
«, lachte La ebenfalls,
»es war zu komisch,
2493 was der arme Bat f
ür Spr
ünge machte!
«</p>
2494 <p>»Ach
«, sagte Se,
»das scheint mir eine
2495 gef
ährliche Geschichte! Erst wagt er dich nicht anzusehen, und
2496 wie ich den R
ücken wende, macht er dir auf
2497 gr
önl
ändisch eine Liebeserkl
ärung.
«</p>
2498 <p>»Daran bist du schuld, du hast die Schwere abgestellt.
2499 Wenn ihm der Schreck nur nicht schlecht bekommt
– was wird
2500 Hil sagen!
«</p>
2501 <p>Grunthe lag wieder regungslos. Sein allerdings ganz
2502 unverschuldetes Ungeschick
ärgerte ihn schwer, die
2503 Ber
ührung mit der sch
önen La war ihm entsetzlich, zudem
2504 bewirkte die Abnahme der Schwere jetzt ein k
örperliches
2505 Übelbefinden.
</p>
2506 <p>Aber La bat ihn so freundlich in der Eskimosprache, doch zu
2507 essen, und Se bot ihm die einen verlockenden Duft entwickelnden
2508 Speisen mit einem so gebietenden Blick, da
ß er seinen Hunger
2509 zu stillen wagte.
</p>
2510 <p>Mit gr
ößter Vorsicht richtete er sich auf und
2511 geno
ß einiges von den Speisen, von denen er keine Ahnung
2512 hatte, was sie vorstellten. Sobald er sich dankend
2513 zur
ücklehnte, schob Se das Speisetischchen zur Seite, und La
2515 <p>»Leben Sie wohl, Grunthe, schlafen Sie.
«</p>
2516 <p>Sie schwebte zum Zimmer hinaus, und Se zog den Wandschirm vor,
2517 so da
ß Grunthe wieder sich selbst
überlassen blieb. Der
2518 Kopf schwirrte ihm von allem, was um ihn herum vorgegangen war,
2519 neue Fragen dr
ängten sich auf, und er wollte sich eben noch
2520 einmal aufrichten; da ergriff ihn pl
ötzlich ein Gef
ühl,
2521 als w
ürde er mit Gewalt gegen sein Lager gedr
ückt. Se
2522 hatte die Erdschwere wieder hergestellt. Jetzt schoben sich dichte
2523 Vorh
änge vor die Fenster, und Grunthe lag im Dunkeln. Eine
2524 leise Musik wie aus weiter Ferne lie
ß sich h
ören und
2525 mischte sich melodisch mit dem Rauschen des Meeres.
</p>
2526 <p>Grunthe versuchte vergebens, seine Gedanken zu konzentrieren.
2527 Sie bewegten sich um die Frage, wie es lebenden Wesen m
öglich
2528 sein k
önne, den luftleeren Weltraum zu durchfliegen. Wie
2529 hatten Martier auf die Erde kommen k
önnen? Aber nur in
2530 unbestimmten Vermutungen irrten seine Vorstellungen umher, und ehe
2531 er zu irgendeiner Klarheit in dieser Frage gelangte, l
östen
2532 sich seine Gedanken in undeutliche Traumbilder auf. Grunthe
2534 <h2>8 - Die Herren des Weltraums
</h2>
2535 <p>»Dreifach panzerten Mut und Kraft
</p>
2536 <p>Dem das eiserne Herz, der sich zuerst gewagt
</p>
2537 <p>Im gebrechlichen Boot hinaus
</p>
2538 <p>Auf das t
ückische Meer. ...
«</p>
2539 <p>So pries einst Horaz die K
ühnheit des Seefahrers, der dem
2540 fremden Element sein unsicheres Fahrzeug anvertraute. ... Aber
2541 unbedenklich besteigt der Tourist den luxuri
ösen Bau des
2542 Riesendampfers, um in wenigen Tagen die wohlbekannte
2543 Ozeanstra
ße zu durchmessen.
</p>
2544 <p>Ähnlich r
ühmte ein Dichter des Mars den Mut und den
2545 Scharfsinn jenes Martiers Ar, der es einst gewagt, auf den Wegen
2546 des Lichts und der kosmischen Schwere in die Leere des Raumes
2547 seinen unvollkommenen Apparat zu werfen, um zum ersten Male den
2548 Flug zu versuchen durch den Welt
äther nach dem leuchtenden
2549 Nachbarstern, der strahlenden
›Ba
‹, dem Schmuck der
2550 Marsn
ächte, der jahrtausendlangen Sehnsucht aller
2551 ›Nume
‹. Jetzt aber kannte man auf dem Mars genau die
2552 Mittel, welche die Marsbewohner, die sich selbst
2553 ›Nume
‹ nannten, anwenden mu
ßten, die einzelnen
2554 Umst
ände, auf die sie zu achten hatten, um je nach der
2555 Stellung der Planeten die strahlende Ba, das ist die Erde, zu
2556 erreichen. Wohl war eine Reise zwischen Mars und Erde noch immer
2557 ein zeitraubendes und kostspieliges Unternehmen, aber es hatte
2558 seinen ebenso sicheren und bequemen Gang wie etwa heutzutage
2559 f
ür einen Menschen eine Reise um die Erde.
</p>
2560 <p>Die Erforschung der Erde, die Entdeckung des intraplanetaren
2561 Weges nach derselben und die endliche Besitzergreifung vom Nordpol
2562 bildet ein umfangreiches und wichtiges Kapitel in der
2563 Kulturgeschichte der Martier.
</p>
2564 <p>Die Durchsichtigkeit der Atmosph
äre auf dem Mars hatte
2565 seine Bewohner fr
ühzeitig zu vorz
üglichen Astronomen
2566 gemacht. Mathematik und Naturwissenschaft waren zu einer H
öhe
2567 der Entwicklung gelangt, die uns Menschen als ein fernes Ideal
2568 vorschwebt. Je mehr der alternde Mars durch seinen
2569 verh
ältnism
äßig geringen Wasservorrat die
2570 Existenzbedingungen der Martier erschwerte, um so gro
ßartiger
2571 waren die Anstrengungen gewesen, durch welche die Martier die
2572 Technik der Naturbeherrschung ausbildeten. Immer neue Kr
äfte
2573 und Hilfsmittel wu
ßten sie ihrem Planeten zu entlocken, der
2574 sich freilich durch die Eigent
ümlichkeit seines Baues in noch
2575 viel h
öherem Ma
ß zur Erziehung eines Kulturvolkes
2576 eignete als die Erde.
</p>
2577 <p>Der Tag auf dem Mars hat fast dieselbe Dauer wie auf der Erde,
2578 er ist nur vierzig Minuten l
änger. Das Jahr des Mars dagegen
2579 umfa
ßt
670 Mars-, das sind
687 Erdentage, ist also fast
2580 doppelt so lang als ein Erdenjahr. Die gesamte Oberfl
äche des
2581 Mars betr
ägt etwa nur ein Viertel von derjenigen der Erde. Die
2582 s
üdliche Halbkugel des Mars ist die wasserreichere und daher
2583 am st
ärksten bev
ölkert; sie enth
ält auch die beiden
2584 einzigen Meere, welche der Mars besitzt, wenn man darunter
2585 diejenigen Becken versteht, welche das ganze Jahr hindurch mit
2586 Wasser erf
üllt sind. Die n
ördliche Halbkugel besteht zum
2587 gr
ößten Teil aus unfruchtbaren W
üsten. Aber die
2588 Bev
ölkerung des Mars, der die von der Natur gen
ügend
2589 bew
ässerte Region ihres Planeten l
ängst zu klein
2590 geworden, wu
ßte der kargen Natur neue Gebiete des Anbaus
2591 abzugewinnen. Sie durchzog das gesamte W
üstengebiet mit einem
2592 vielverzweigten Netz geradliniger breiter Kan
äle und verteilte
2593 auf diese Weise zur Zeit der Schneeschmelze, im Beginn des Sommers
2594 einer je hatten. Die einzelnen V
ölkerschaften bildeten einen
2595 gro
ßen Staatenbund. Wie auf der Erde der Weltverkehr sich
2596 durch der einzelnen politischen Verb
ände darunter litt, so
2597 hatte die vorgeschrittenere Zivilisation der Martier in ihrer
2598 internationalen Vereinigung ein Zentralorgan, das unbeschadet der
2599 Freiheit der Einzelgemeinden alle Angelegenheiten regulierte,
2600 welche f
ür die Bewohner des ganzen Planeten ein gemeinsames
2601 den Halbkugel, das Wasser, welches sich in Gestalt von Schnee an
2602 den Polen angeh
äuft hatte,
über den ganzen Planeten. Wie
2603 die
Ägypter das Anwachsen des Nils benutzten, um der
2604 W
üste den fruchtbaren Boden des Niltals abzugewinnen, so
2605 tr
änkten die Marsbewohner durch ihre Kan
äle beide Ufer
2606 derselben. Schnell scho
ß hier eine
üppige Vegetation
2607 auf, und so wurde durch das Kanalnetz das ganze W
üstengebiet
2608 mit fruchtbaren, an hundert Kilometer breiten Vegetationsstreifen
2609 durchzogen, die eine ununterbrochene Kette bl
ühender
2610 Ansiedlungen der Martier enthielten. Wenn hier die
2611 dunkelgr
ünen Bl
ätter der Pflanzen mit einem Schlag
2612 hervorspro
ßten, dann hoben sich diese Streifen dunkel von dem
2613 r
ötlichen W
üstenboden ab, und die Astronomen der Erde
2614 wunderten sich, woher dieses regelm
äßige Netz von
2615 Streifen auf dem Mars wohl stammen m
öchte. Die Riesenarbeit
2616 der Bew
ässerung des Planeten war eine Notwendigkeit f
ür
2617 die Martier geworden, nachdem die in der Kultur vorgeschritteneren
2618 Bewohner der S
üdhalbkugel allm
ählich den ganzen Planeten
2619 ihrer Herrschaft unterworfen internationale Vertr
äge regelte,
2620 ohne da
ß die Selbst
ändigkeit Interesse
2622 <p>Nachdem die Oberfl
äche des Planeten vollst
ändig
2623 erforscht und besiedelt war, richtete sich die Aufmerksamkeit der
2624 Martier naturgem
äß st
ärker wie je
über die
2625 Grenzen ihres Wohnplatzes hinaus auf ihre Nachbarn im Sonnensystem.
2626 Und was konnte sie hier m
ächtiger fesseln als die strahlende
2627 Ba, die sagenumwobene Erde, die bald als Morgen-, bald als
2628 Abendstern alle andern Sterne ihres dunklen Himmels
2629 überstrahlt?
</p>
2630 <p>Die Ruhe und Durchsichtigkeit der Atmosph
äre gestattete
2631 ihnen, bei ihren Fernrohren Vergr
ößerungen zu benutzen,
2632 wie sie auf der Erde unm
öglich waren. Denn auf der Erde
2633 vereitelt die stets ungleichm
äßig bewegte Luft,
2634 da
ß wir Instrumente von so starken Vergr
ößerungen
2635 praktisch anzuwenden verm
öchten, als wir sie wohl theoretisch
2636 und technisch konstruieren k
önnten. Der Druck der
2637 Atmosph
äre auf dem Mars ist aber so gering, wie wir ihn nur
2638 auf den allerh
öchsten Berggipfeln der Erde besitzen, und die
2639 über der Marsoberfl
äche lastende Luftschicht ist
2640 dementsprechend d
ünner und durchsichtiger. Die Astronomen des
2641 Mars konnten daher, bei g
ünstiger Stellung der Planeten
2642 gegeneinander, die Erde ihrem Auge so nahe bringen, als w
äre
2643 sie nur gegen zehntausend Kilometer weit entfernt, und vermochten
2644 somit noch Gegenst
ände von zwei bis drei Kilometer Ausdehnung
2645 zu erkennen. Unter diesen Umst
änden hatten sie nat
ürlich
2646 bemerkt, da
ß sich auf der Erde Einrichtungen finden, die nur
2647 als das Werk intelligenter Wesen zu erkl
ären seien. Auch
2648 durchschauten sie viel zu klar den Bau und die Natur der Erde sowie
2649 die Analogien im gesamten Sonnensystem, als da
ß sie nicht die
2650 Überzeugung von der Bewohnbarkeit der Erde und einer gewissen
2651 Kultur der Erdbewohner gehabt h
ätten. Die Karte der Erde
2652 selbst war ihnen in umfassenderer Weise bekannt als uns Menschen;
2653 denn von ihrem Standpunkt aus konnten sie nach und nach alle jene
2654 Gebiete der Erdkugel, insbesondere die Polargegenden, durchmustern,
2655 die bisher unseren irdischen Forschungen verschlossen geblieben
2657 <p>Es hatte nicht an Versuchen der Martier gefehlt, sich mit den
2658 von ihnen vermuteten Erdbewohnern in Verbindung zu setzen. Aber die
2659 gegebenen Zeichen waren wohl nicht bemerkt oder nicht verstanden
2660 worden. Jedenfalls mochten die Erdbewohner nicht in der Lage sein,
2661 darauf zu antworten. Die Erde war ein sehr viel j
üngerer
2662 Planet und in ihrer ganzen Entwicklung auf einer Stufe, wie sie der
2663 Mars schon vor Millionen Jahren durchlaufen hatte. Da sagten sich
2664 die Marsbewohner selbstverst
ändlich, da
ß die Bate, wie
2665 sie die hypothetischen Bewohner der Erde nannten, jedenfalls auf
2666 einem viel niedrigeren Standpunkt der Kultur st
änden als sie,
2667 die Nume; ja wer wei
ß, ob sie sich
überhaupt schon bis
2668 zur H
öhe der
›Numenheit
‹, zur Vernunftidee der
2669 Martier, erhoben haben!
</p>
2670 <p>Um jene Zeit, als man auf der Erde von einem Jahrhundert der
2671 Naturwissenschaft zu sprechen anfing, blickten die Martier
2672 l
ängst nicht nur auf das Zeitalter des Dampfes, sondern auch
2673 auf das Zeitalter der Elektrizit
ät wie auf ein altes
2674 Kulturerbe zur
ück. Damals vollendete sich bei ihnen eine
2675 wissenschaftliche Entdeckung, die eine Umgestaltung aller
2676 Verh
ältnisse nach sich zu ziehen geeignet war. Die
2677 Enth
üllung des Geheimnisses der Gravitation war es, die einen
2678 ungeahnten Umschwung der Technik herbeif
ührte und die Martier
2679 zu Herren des Sonnensystems machte.
</p>
2680 <p>Die Gravitation ist jene Kraft, welche die Bewegungen der
2681 Gestirne im Weltraum beherrscht. Sie verbindet die Sonne mit den
2682 Planeten, die Planeten mit ihren Monden, sie h
ält die
2683 Gegenst
ände an der Oberfl
äche der Weltk
örper fest
2684 und bewirkt, da
ß diese als dauernde einheitliche Gruppen im
2685 Universum bestehen; sie l
äßt den geworfenen Stein wieder
2686 zur Erde fallen und die Gew
ässer nach dem Meer hin sich
2687 sammeln. Sie ist eine allgemeine Eigenschaft der K
örper,
2688 welche von ihrer gegenseitigen Lage im Raum abh
ängt; die
2689 Arbeit, welche ein K
örper infolge der Gravitation zu leisten
2690 vermag, nennt man daher Raumenergie.
</p>
2691 <p>Wenn es gel
änge, einem K
örper diese eigent
ümliche
2692 Form der Energie zu entziehen, die er infolge seiner Lage zu den
2693 übrigen K
örpern, insbesondere zu den Planeten und der
2694 Sonne besitzt, wenn es gel
änge, seine Gravitation in eine
2695 andere Energieform
überzuf
ühren, so w
ürde man diesen
2696 K
örper dadurch unabh
ängig von der Schwerkraft machen; die
2697 Schwerkraft w
ürde durch ihn hindurch oder um ihn herumgehen,
2698 ohne ihn zu beeinflussen; er w
ürde
›diabarisch
‹
2699 werden. Er w
ürde ebensowenig von der Sonne angezogen werden
2700 wie ein St
ück Holz vom Magneten. Dann aber m
üßte es
2701 ja auch gelingen, den K
örper dem Einflu
ß der Planeten
2702 und der Sonne soweit zu entziehen, da
ß man ihn im Weltraum
2703 frei bewegen k
önnte; dann also m
üßte es gelingen,
2704 den Weg von einem Planeten zum andern, von dem Mars zur Erde zu
2706 <p>Dies war den Martiern gelungen. Sie vermochten K
örper von
2707 gewisser Zusammensetzung herzustellen, so da
ß jede auf sie
2708 treffende Schwerewirkung spurlos an ihnen und an den von ihnen
2709 umschlossenen K
örpern vor
überging
– das hei
ßt
2710 spurlos als Schwere. Die Gravitationsenergie wurde in andere Ener-
2711 gieformen umgewandelt. Solche K
örper k
önnen wir
2712 ›diabarisch
‹ nennen.
</p>
2713 <p>Zwei Umst
ände hatten es den Martiern erleichtert, dem
2714 Geheimnis der Gravitation auf die Spur zu kommen. Der eine lag
2715 darin, da
ß die Schwerkraft auf ihrem Planeten nur ein Drittel
2716 von demjenigen Werte betr
ägt, den sie auf der Erde besitzt.
2717 Eine Last, die auf der Erde tausend Kilogramm wiegt, hat, auf den
2718 Mars gebracht, nur ein Gewicht von
376 Kilogramm; ein freifallender
2719 K
örper, der bei uns in der ersten Sekunde
5 Meter
2720 herabf
ällt, f
ällt auf dem Mars in dieser Zeit nur um
1,
8
2721 Meter und kommt mit der sanften Geschwindigkeit von
3,
6, statt bei
2722 uns mit fast
10 Meter, an. Infolgedessen war es den Martiern
2723 erleichtert, alle Eigent
ümlichkeiten der Schwere bequemer und
2724 genauer zu studieren.
</p>
2725 <p>Der zweite Umstand war ein geographischer, oder, wie wir beim
2726 Mars sagen m
üßten, ein areographischer, n
ämlich die
2727 Zug
änglichkeit der Pole des Mars. W
ährend auf der Erde
2728 die Pole mit ihrer ewigen Eisdecke des Besuches sich erwehren, sind
2729 die Marspole nicht vergletschert. Zwar bedecken sie sich im Winter
2730 mit einer dichten Schneeh
ülle, die aber doch viel geringer ist
2731 als auf der Erde, weil die Atmosph
äre des Mars viel weniger
2732 Feuchtigkeit enth
ält. Au
ßerdem dauert der Sommer fast
2733 ein volles Erdenjahr, w
ährenddessen der Pol in
2734 fortw
ährendem Sonnenschein liegt, so da
ß der Schnee zum
2735 gr
ößten Teil fortschmilzt. Die Pole des Mars sind daher
2736 den Marsbewohnern nicht nur bekannt, sondern sie haben gerade auf
2737 ihnen ihre bedeutendsten wissenschaftlichen Stationen angelegt.
2738 Denn die Pole eines Planeten sind ausgezeichnete Punkte, sie
2739 unterliegen nicht der Umdrehung um die Achse im Verlauf eines
2740 Tages, und sie bieten dadurch Gelegenheit zu Beobachtungen, die
2741 sich an keiner anderen Stelle so einfach anstellen lassen.
</p>
2742 <p>Gerade nun f
ür die Untersuchung der Schwerkraft zeigte sich
2743 dies von gr
ößter Wichtigkeit. Ihre Wirkungen im Kosmos
2744 zu studieren, das hei
ßt ihre Wechselwirkung mit andern
2745 kosmischen Kr
äften, mu
ßte man sich von der Rotation des
2746 Planeten um seine Achse und allen dadurch entstehenden
2747 Komplikationen unabh
ängig machen. Dies konnte nur am Pol
2748 geschehen. Vom Pol gingen denn auch die Untersuchungen der Martier
2750 <p>Die Martier hatten entdeckt, da
ß die Gravitation, ebenso
2751 wie das Licht, die W
ärme, die Elektrizit
ät, sich in Form
2752 einer Wellenbewegung durch den Weltraum und die K
örper
2753 fortpflanzt. W
ährend aber die Geschwindigkeit der strahlenden
2754 Energie, die wir als Licht, W
ärme und Elektrizit
ät
2755 beobachten,
300.000 Kilometer in der Sekunde betr
ägt, ist
2756 diejenige der Gravitation eine millionenmal gr
ößere.
2757 Nach den Berechnungen der Martier durchl
äuft die Gravitation
2758 den Raum mit einer Geschwindigkeit von
300.000 Millionen Kilometern
2759 pro Sekunde, sie verh
ält sich also zu derjenigen des Lichts
2760 etwa so wie die des Lichts zur Geschwindigkeit des Schalls. Den Weg
2761 von der Sonne bis zur Erde legt somit die Wirkung der Schwere in
2762 einem halben Tausendteil einer Sekunde zur
ück; kein Wunder,
2763 da
ß es den Astronomen der Erde nicht gelungen war, die von
2764 ihnen allerdings vermutete endliche Geschwindigkeit der Gravitation
2765 zu konstatieren.
</p>
2766 <p>Einen K
örper, der die Lichtwellen nicht durch sich
2767 hindurchgehen l
äßt, nennen wir undurchsichtig;
2768 lie
ße er sie vollst
ändig hindurchgehen, so w
ürde er
2769 absolut durchsichtig sein, wir w
ürden ihn so wenig sehen wie
2770 die Luft. Ein K
örper, der die W
ärmewellen durch sich
2771 hindurchgehen l
äßt, bleibt kalt; er mu
ß sie in
2772 sich aufnehmen, sie absorbieren, um sich zu erw
ärmen. So ist
2773 es nun, wie die Martier entdeckten, auch mit der Gravitation. Die
2774 K
örper sind darum schwer, weil sie die Gravitationswellen
2775 absorbieren. K
örper ziehen sich nur dann gegenseitig an, wenn
2776 sie die von ihnen wechselseitig ausgehenden Gravitationswellen
2777 nicht durch sich hindurchtreten lassen. Sobald aber ein K
örper
2778 so beschaffen ist, da
ß er die Gravitationswellen eines
2779 Planeten oder der Sonne nicht aufnimmt, sondern frei
2780 durchl
äßt, so wird er nicht angezogen, er hat keine
2781 Schwere, er ist diabar, schweredurchl
ässig, und dadurch
2783 <p>Die Martier hatte gefunden, da
ß das Stellit, ein auf ihrem
2784 Planeten vorkommender K
örper, sich so ver
ändern
2785 l
äßt, da
ß die Schwerewellen hindurchtreten
2786 k
önnen. Und mit diesem Augenblick wurde dieser K
örper vom
2787 Mars wie von der Sonne nicht mehr angezogen. Allerdings lie
ß
2788 es sich nicht erreichen, absolut schwerelose K
örper
2789 herzustellen, wie es ja auch keine absolut durchsichtigen
2790 K
örper gibt; wohl aber lie
ß sich die Schwere so
2791 vermindern, da
ß sie nur kaum merklich auf den diabaren
2792 K
örper wirkt. Indem man die Schwerelosigkeit verst
ärkte
2793 oder verminderte, konnte man nun, wenn einmal der K
örper eine
2794 bestimmte Geschwindigkeit besa
ß, durch passende Benutzung der
2795 Anziehung der Planeten und der Sonne die Bahn des K
örpers im
2796 Weltraum regulieren
– vorausgesetzt, da
ß man sich in
2797 einem solchen diabaren K
örper befand, in einer Kugel aus
2799 <p>Dieses Wagest
ück, einen Apparat herzustellen, in welchem
2800 ein Mensch sich in den Weltraum schleudern lassen konnte, um dann
2801 durch Regelung der Anziehung, welche die Weltk
örper auf ihn
2802 aus
übten, seinen Weg zu lenken, das hatte zuerst der Martier
2803 Ar unternommen. Aber man hatte ihn nie wiedergesehen. War er in die
2804 Fixsternwelt jenseits des Sonnensystems hinausgeflogen? War er in
2805 die Sonne gest
ürzt? Umkreiste sein Raumschiff die Sonne oder
2806 irgendeinen Planeten als ein neuer Trabant? Niemand wu
ßte
2808 <p>Aber andere k
ühne Forscher lie
ßen sich nicht
2809 zur
ückschrecken. Sie hatten jetzt die theoretische
2810 M
öglichkeit des interplanetaren Verkehrs eingesehen, es war
2811 jetzt keine Tollk
ühnheit mehr, sich dem Raum anzuvertrauen,
2812 sondern eine dringende Aufgabe der Kultur und somit eine sittliche
2813 Forderung, eine Pflicht der
›Numenheit
‹. Die
2814 gr
ößte Schwierigkeit lag nur darin, die Geschwindigkeit
2815 unsch
ädlich zu machen, welche der Planet in seiner eigenen
2816 Bahn besa
ß und die sich nat
ürlich auf das schwerelose
2817 Raumschiff
übertrug, sobald es den Mars verlie
ß. Man
2818 reiste von einem der Pole ab, um von der Rotation des Planeten
2819 unabh
ängig zu sein, aber die Geschwindigkeit des Mars in
2820 seiner Bahn betr
ägt
24 Kilometer in der Sekunde, und mit
2821 dieser flog man hinaus in den Raum, fort von der Sonne in der
2822 Richtung der Tangente der Marsbahn. Es kam dann darauf an, sich der
2823 Sonnenanziehung in dem richtigen Augenblick zu
überlassen, um
2824 durch die Flugbahn des Raumschiffs in den Anziehungsbereich der
2825 Erde zu gelangen. Man war somit ganz auf die vorhandenen
2826 Gravitationskr
äfte angewiesen, wie ein Schiff auf dem Meer auf
2827 die Richtung der Wasser- und Luftstr
ömungen; und auf einen
2828 weiteren Erfolg konnte man erst hoffen, wenn es auch noch gelang,
2829 Mittel zu finden, die Richtung der erhaltenen Geschwindigkeit
2830 willk
ürlich abzulenken.
</p>
2831 <p>Aber auch dieses Problem war allm
ählich gel
öst worden.
2832 Die Geschichte der menschlichen Entdeckungen auf der
2833 Erdoberfl
äche war nicht weniger reich an Opfern als diejenige
2834 der Versuche der Martier, den Weltenraum zu durchsegeln. Endlich
2835 aber war einmal nach jahrelangem Ausbleiben ein Raumschiff
2836 zur
ückgekehrt, das die Erde dreimal in gro
ßer N
ähe
2837 umflogen hatte. Ein anderes war auf dem Mond der Erde gelandet.
2838 Zuletzt war es dem rastlosen Erdforscher Col auf seiner dritten
2839 Raumreise gelungen, den Nordpol der Erde zu erreichen. Der
2840 S
üdpol wurde zuerst vom Kapit
än All betreten. Von jetzt
2841 ab verk
ürzte sich immer mehr die Reisezeit nach der Erde durch
2842 die vervollkommnete Technik der Raumfahrt, anstelle der
2843 vereinzelten Entdeckungsreisen trat eine planm
äßige
2844 Besetzung des Nordpols. Und nachdem durch Konstruktion der
2845 Au
ßenstation und die Errichtung des abarischen Feldes die
2846 Landung auf der Erde ebenso gesichert war wie die eines
2847 Dampfschiffes im Schutz eines trefflichen Hafens, waren die Martier
2848 an dem ersehnten Ziel angelangt, die Erde nach Belieben besuchen zu
2850 <p>Nur freilich, die beiden Pole waren bis jetzt die einzigen
2851 Punkte, welche sie zu erreichen vermochten. Am S
üdpol hatten
2852 sie eine
ähnliche, wenn auch kleinere und weniger benutzte
2853 Station angelegt wie am Nordpol. Denn nur w
ährend des Sommers
2854 der Nordhalbkugel konnten sie die Nordstation unterhalten. Im
2855 Winter verlegten sie das abarische Feld auf
</p>
2856 <p>den S
üdpol, der zu dieser Zeit Sommer hatte. Dagegen war es
2857 ihnen noch nicht gelungen, zu den bewohnten Teilen der Erde
2858 vorzudringen. Noch niemals hatten sie einen zivilisierten Menschen
2859 kennengelernt. Einige Eskimos waren die einzigen Vertreter, nach
2860 denen sie die Eigent
ümlichkeiten der Erdbewohner zu beurteilen
2861 vermochten. Aber bei ihren Umkreisungen der Erde in der Entfernung
2862 von einigen tausend Kilometern zeigten ihnen ihre vorz
üglichen
2863 Instrumente nat
ürlich die Einrichtungen der Kultur in solcher
2864 Deutlichkeit, da
ß sie sehr wohl wu
ßten, die
2865 Hervorbringer dieser Werke seien keine Eskimos. Doch an andern
2866 Stellen als an den Polen zu landen, war ihnen bisher nicht
2867 gelungen. Durch die Rotation der Erde wurden die Verh
ältnisse
2868 dort so kompliziert, da
ß die technischen Schwierigkeiten
2869 nicht
überwunden werden konnten. Diese ergaben sich aus der
2870 besonderen Natur der Gravitation und dem dadurch bedingten Bau der
2871 Raumschiffe, welche dem Druck der Luft und ihren St
ürmen nicht
2872 widerstehen konnten. Auch am Pol war ja die Landung erst mit
2873 Sicherheit durchzuf
ühren, seitdem es nach vielen Opfern und
2874 Verlusten gelungen war, die Au
ßenstation zu errichten und so
2875 die Raumschiffe au
ßerhalb der Atmosph
äre zu halten. Wie
2876 die Brandung einer Insel gegen die
Überrumpelung durch
2877 landende Feinde sch
ützt, so deckte die Umdrehung um ihre Achse
2878 und die Dichtheit ihrer Atmosph
äre die Erde gegen einen
2879 pl
ötzlichen Einfall der Marsbewohner von der Luftseite her.
2880 Nur am Pol konnten sie sich festsetzen. Und wenn sie nun auf der
2881 Erde vordringen wollten, so mu
ßte dies
über die
2882 Gletscher und Eisschollen der Polargegenden geschehen.
</p>
2883 <p>Mit diesem Plan trugen sich nun freilich die Marsbewohner. Aber
2884 die
Überwindung dieser Eiszonen bot ihnen ebensoviel
2885 Schwierigkeiten, als wenn Europ
äer in das vernichtende
2886 Sumpfklima eines tropischen Urwaldes oder
über die wasserlose
2887 W
üste vordringen wollten. Unsere Schiffe tragen uns wohl ans
2888 Ufer unbekannter L
änder, aber in das Innere verm
ögen wir
2889 erst sp
äter und unter den gr
ößten Schwierigkeiten
2890 einen Einblick zu gewinnen. Die Martier hatten auf der Erde vor
2891 allem mit zwei gewaltigen Hindernissen zu k
ämpfen: Luft und
2892 Schwere. Die Dichtigkeit der Luft, ihre Feuchtigkeit und die
2893 Gr
öße des Luftdrucks waren f
ür die Konstitution
2894 ihres K
örpers verderblich; sie konnten das Klima der Erde nur
2895 kurze Zeit ertragen. Und die St
ärke der Schwerkraft, dreimal
2896 so gro
ß wie auf dem Mars, hinderte ihre Bewegungen und
2897 dr
ückte jeder ihrer mechanischen Arbeiten eine dreifache Last
2898 auf. Sie h
ätten dieselbe
überhaupt nicht tragen
2899 k
önnen, wenn sie nicht f
ür die Verh
ältnisse ihres
2900 Planeten eine sehr bedeutende Muskelkraft besessen h
ätten.
2901 Gerade jetzt, als die Nordpolexpedition Torms in ihrem abarischen
2902 Feld scheiterte, waren sie mit den ernstesten Vorbereitungen
2903 besch
äftigt, einen Vorsto
ß nach S
üden zu
2904 unternehmen. Denn auf dem Mars waren die Versuche gelungen, einen
2905 Stoff herzustellen, der sich wie das Stellit schwerelos machen
2906 lie
ß, aber dabei gen
ügende Festigkeit besa
ß, der
2907 W
ärme und Feuchtigkeit der Luft zu widerstehen. Von ihm
2908 erhofften die Martier, da
ß er ihnen die Wege durch die
2909 Erdenluft bahnen werde.
</p>
2910 <h2>9 - Die G
äste der Marsbewohner
</h2>
2911 <p>Als Saltner zum zweiten Mal auf der Insel erwachte, war er nicht
2912 wenig erstaunt, sich wieder in einer v
öllig ver
änderten
2913 Situation zu finden. Das Zimmer war verdunkelt, doch schimmerte die
2914 Decke desselben in einem matten Grau, so da
ß er
2915 einigerma
ßen seine Umgebung erkennen konnte. Er sah sofort,
2916 da
ß er in einen anderen Raum gebracht worden war. Fenster
2917 waren nicht vorhanden, und das Rauschen des Meeres vermochte er
2918 nicht zu h
ören. Dagegen sah er in der N
ähe seines Bettes
2919 mehrere K
örbe und Pakete aufgestapelt, in denen er einen Teil
2920 aus dem Inhalt der Gondel des untergegangenen Ballons zu erkennen
2921 glaubte. Wenn es nur etwas heller gewesen w
äre! Aber wie
2922 konnte man Licht erhalten?
</p>
2923 <p>Er erhob erst vorsichtig seinen Arm, um nicht etwa wieder einen
2924 unfreiwilligen Luftsprung zu machen, und als er merkte, da
ß
2925 er sich unter den gew
öhnlichen Umst
änden der Erdschwere
2926 befand, setzte er sich mit einem lebhaften Schwung auf den Rand
2927 seines Lagers. Und siehe da, in dem Augenblick, in welchem seine
2928 F
üße den Boden ber
ührten, wurde es hell im Zimmer.
2929 An der Decke hatte sich eine weite Oberlicht
öffnung gebildet,
2930 und die Sonne, nur durch einen leichten Schirm ged
ämpft,
2931 schien fr
öhlich herein. Er erkannte nun, da
ß er in der
2932 Tat das Eigentum der Expedition vor sich hatte, auch seine
2933 sorgf
ältig gereinigte und getrocknete Kleidung fand er dabei.
2934 Und am Boden lag sogar sein Eispickel, den er zu etwaigen
2935 Gletscherbesteigungen am Nordpol mitgenommen hatte. Schnell erhob
2936 er sich, und schon bei den ersten Schritten, die er auf dem weichen
2937 Teppich des Zimmers probierte, f
ühlte er, da
ß er sich
2938 wieder v
öllig wohl und bei Kr
äften befand. Er schob einen
2939 Vorhang zu seiner Linken beiseite und sah dahinter verschiedene
2940 Ger
äte, die ihm h
öchst fremdartig vorkamen, aber doch
2941 soviel erraten lie
ßen, da
ß sie einen Bade-Apparat
2942 vorstellten und was sonst zur Toilette eines Martiers geh
ören
2943 mochte. Ehe er sich jedoch getraute, von diesen ihm unbekannten
2944 Gegenst
änden Gebrauch zu machen, untersuchte er erst die
2945 übrigen Teile des ger
äumigen Schlafgemachs. In der Mitte
2946 der dem Bett gegen
überliegenden Wand befand sich eine
2947 gro
ße T
ür, die er indessen vorl
äufig nicht zu
2948 öffnen wagte. Er wandte sich Freude
– Grunthe, der in
2949 ruhigem Schlummer lag. nun nach rechts und bemerkte, da
ß die
2950 T
äfelung dieser Seitenwand ebenfalls eine T
ür enthielt,
2951 die aber nicht ganz geschlossen war. Sie f
ührte in ein
2952 verdunkeltes Gemach. Als Saltner an dem ihm unbekannten Mechanismus
2953 herumtastete, rollte sich die T
ür auf und lie
ß dadurch
2954 mehr Licht in das Zimmer. Da erblickte er an der
2955 gegen
überliegenden Wand ein Bett genau wie das seinige und
2956 erkannte zu seiner unaussprechlichen
</p>
2957 <p>»Guten Morgen, Doktor
«, rief Saltner ohne weiteres.
2958 »Wie geht
’s?
«</p>
2959 <p>Grunthe schlug verwundert die Augen auf.
</p>
2960 <p>»Saltner?
« sagte er.
</p>
2961 <p>»Hier sind wir, munter und gesund, wer h
ätte das
2962 gedacht! Aber der arme Torm
– niemand wei
ß etwas von
2964 <p>»Und wissen Sie denn
«, fragte Grunthe, sogleich
2965 ermuntert,
»wo wir uns befinden?
«</p>
2966 <p>»Ich wei
ß es, aber Sie werden
’s freilich nicht
2967 glauben wollen. Oder haben Sie etwa schon mit dem biedern Hil oder
2968 der sch
önen Se gesprochen?
«</p>
2969 <p>»Wir sind in der Gewalt der Nume
«, antwortete
2970 Grunthe finster.
»Sind wir allein?
«</p>
2971 <p>»Soviel ich wei
ß, aber der Teufel traue diesen
2972 Maschinerien
– wer kann wissen, ob man nicht von irgendwo
2973 alles h
ört und sieht, was hier vorgeht, oder ob nicht
2974 irgendein geheimer Phonograph jedes Wort protokolliert. Na, deutsch
2975 verstehen sie vorl
äufig noch nicht.
«</p>
2976 <p>»Welche Zeit haben wir? Wie lange war ich
2977 bewu
ßtlos?
«</p>
2978 <p>»Ja, wenn Sie das nicht wissen! Ich denke, hier gibt es
2979 überhaupt keine Zeit.
«</p>
2980 <p>»Nun, das wird sich alles bestimmen lassen, wenn wir erst
2981 einmal den freien Himmel wiedersehen
«, sagte Grunthe.
2982 »Aber wie kann man hier Licht machen?
«</p>
2983 <p>»Treten Sie gef
älligst mit Ihren F
üßen auf
2984 den Boden vor Ihrem Bett, dann wird es Tag. Wir sind hier im Lande
2985 der automatischen Bedienung.
«</p>
2986 <p>»Das kann ich nicht, bester Saltner, mein Fu
ß ist
2987 verwundet
–«</p>
2988 <p>»I
– das w
äre
– lassen Sie sehen
2990 <p>»Es ist nichts, ich bin schon verbunden, aber ich
2991 mu
ß vorl
äufig noch liegen bleiben.
«</p>
2992 <p>Saltner war inzwischen an Grunthes Bett geeilt, und in dem
2993 Moment, in welchem er den Teppich vor demselben betrat,
2994 öffnete sich das Oberlicht.
</p>
2995 <p>»Sehen Sie
«, rief Saltner,
»allm
ählich
2996 lernt man diese Marskniffe. Ich kann
übrigens schon etwas
2997 martisch und werde Ihnen gleich ein Fr
ühst
ück bestellen.
2998 Erlauben Sie nur, da
ß ich vorher ein wenig Toilette
3000 <p>Er eilte nach dem Alkoven, der offenbar als Toilettenzimmer
3001 dienen sollte, und stellte sich
überlegend vor die
3003 <p>»Das da scheint mir eine Badewanne
«, sagte er,
3004 w
ährend Grunthe durch die T
ür sein halblautes
3005 Selbstgespr
äch vernahm,
»aber Wasser ist nicht darin.
3006 Und dies d
ürfte wohl einen Waschtisch vorstellen. Aber hier
3007 sind drei verschiedene Griffe, und jeder hat eine Aufschrift
3008 – nur da
ß ich sie nicht lesen kann. Ich kenn mich halt
3009 nicht aus. Na, ich werde mal ein bissel drehen. Vielleicht kommt
3010 ein Wasser heraus.
«</p>
3011 <p>Er drehte vorsichtig an dem einen Wirbel, in der Meinung, das
3012 darunter befindliche flache Becken werde sich auf irgendeine Weise
3013 mit Wasser f
üllen. Aber ehe er sich
’s versah, sprang das
3014 Becken, sich f
ächerf
örmig zu einem Tisch ausbreitend,
3015 hervor und versetzte ihm einen unh
öflichen Schlag gegen den
3016 Magen. Mit Hallo sprang er zur
ück, fand sich aber sofort
3017 wieder stolpernd nach vorn geschnellt, denn gleichzeitig hatte sich
3018 in seinem R
ücken ein Sessel aus dem Fu
ßboden erhoben.
3019 Nachdem er sich von seinem ersten Schreck erholt, betrachtete er
3020 sich die Sache eingehend, probierte an dem Tisch und Sessel, und da
3021 er sie standfest fand, lie
ß er sich gem
ütlich auf dem
3023 <p>»Was gibt
’s denn?
« fragte Grunthe von seinem
3025 <p>»Ein Wasser war
’s nicht
«, sagte Saltner,
3026 »aber es sitzt sich ganz gut hier. Nun wollen wir einmal den
3027 zweiten Wirbel probieren.
« Doch schnell sprang er wieder auf,
3028 er dachte, der zweite Handgriff k
önne vielleicht dazu dienen
3029 Tisch und Sessel wieder verschwinden zu lassen, und bei dieser
3030 Gelegenheit wollte er sich erst in Sicherheit bringen. Aber es kam
3031 anders. Er erhielt nur von einer aufspringenden Schublade einen
3032 Sto
ß an die Hand. Die Schublade enthielt eine Anzahl jener
3033 Mundst
ücke, deren sich die Martier, wie Saltner wu
ßte,
3034 zum Trinken bedienten, und nun bemerkte er auch, da
ß oberhalb
3035 des Tisches drei
Öffnungen freigeworden waren, in welche die
3036 Mundst
ücke hineinpa
ßten.
</p>
3037 <p>»Halt
«, sagte Saltner,
»hier gibt
’s was
3038 zu trinken. Aber damit wollen wir doch noch warten.
«</p>
3039 <p>Er drehte an dem dritten Griff. Eine muldenf
örmige Schale
3040 wurde sichtbar, und in dieselbe fielen aus einer dar
über
3041 befindlichen
Öffnung fingerdicke, hellbraune Gegenst
ände,
3042 welche etwa die Gestalt von kleinen W
ürsten hatten.
</p>
3043 <p>»Das ist also ein Fr
ühst
ück und keine
3044 Toilette
«, rief Saltner lachend und probierte die sehr
3045 einladend aussehenden und w
ürzig duftenden Stangen. Sie
3046 schmeckten vorz
üglich und erwiesen sich als ein knuspriges
3047 Geb
äck, das mit einer kr
äftigen Fleischfarce gef
üllt
3048 war. Wenigstens hielt Saltner sie daf
ür. Aber w
ährend er
3049 die erste Stange verzehrte, setzte der Apparat seine T
ätigkeit
3050 fort, und Geb
äck auf Geb
äck fiel in die Schale, die bald
3051 bis zum Rand gef
üllt war. Das ist zuviel des Segens, dachte
3052 Saltner und suchte umher, wie sich wohl der geheimnisvolle
3053 Speisequell abstellen lie
ße. Doch vergebens, der Wirbel
3054 selbst lie
ß sich nicht zur
ückdrehen
– Saltner
3055 wu
ßte nicht, da
ß man zu diesem Zweck erst durch Drehen
3056 der Schale den automatischen Spender des Geb
äcks abstellen
3057 mu
ßte. Einen weiteren Handgriff aber verstand er nicht zu
3058 finden, und so quoll ein unstillbarer Strom von Fleischrollen auf
3059 die Schale, fiel von dort auf Tisch und Fu
ßboden und begann
3060 sich zu einem stattlichen Haufen aufzut
ürmen. Saltner lief in
3061 Verzweiflung hin und her, aber er fand kein Mittel
– er
3062 wollte die
Öffnung nicht mit Gewalt verstopfen.
–
3063 Schlie
ßlich dachte er, der Vorrat mu
ß ja doch einmal
3064 ein Ende nehmen, und wollte der Sache ihren Lauf lassen. Er wollte
3065 nun die auf der Schale liegenden St
ücke fortnehmen, um Grunthe
3066 eine Portion zu bringen, dabei merkte er, da
ß die Schale sich
3067 drehen lie
ß, und auf einmal h
örte die weitere Spedition
3068 des Geb
äcks auf.
</p>
3069 <p>Er sammelte die umherliegenden Massen der Delikatesse bis auf
3070 einen kleinen Rest und trug sie in Grunthes Zimmer, der bei diesem
3071 Anblick und Saltners tragikomischer Miene sich eines L
ächelns
3072 nicht erwehren konnte. Dort verbarg er sie in einem der leeren
3073 K
örbe der Expedition, denn auch in Grunthes Gemach hatte man
3074 einen Teil der aus der Gondel geretteten Gegenst
ände
3076 <p>»Warum lassen Sie das Zeug nicht einfach liegen?
«
3078 <p>»Das geht nicht, ich bin ja sonst unsterblich vor den
3079 Damen als dummer Bat blamiert.
Übrigens sehne ich mich nach
3080 dem Fr
ühst
ück; aber erst mu
ß ich doch sehen, wo ich
3081 ein Waschwasser finde.
«</p>
3082 <p>Er drehte der Reihe nach an verschiedenen Griffen, ohne
3083 da
ß er das Gew
ünschte antraf. Bald sprang ein Schrank
3084 auf, der ihm unverst
ändliche Ger
äte enthielt, bald
3085 entz
ündeten sich Lampen an verschiedenen Stellen des Zimmers.
3086 Dann zeigte sich eine Sch
üssel, und schon hoffte er am Ziel zu
3087 sein, aber erschrocken fuhr er zur
ück, denn die Sch
üssel
3088 begann sich zu erhitzen. Endlich erweiterte sich in der Ecke des
3089 Zimmers der Fu
ßboden zu einem flachen Bassin, und ein
3090 Springbrunnen spr
ühte einen Strahl hervor. Vorsichtig
3091 überzeugte sich Saltner, ob er es auch wirklich mit Wasser zu
3092 tun habe, und war sehr erfreut, als sich seine Vermutung
3093 best
ätigte. Nun vervollst
ändigte er mit Hilfe seiner
3094 wiedergefundenen Reiseeffekten seine Toilette und setzte sich mit
3095 Behagen an den Fr
ühst
ückstisch.
</p>
3096 <p>Es war ihm ungewohnt und seltsam, da
ß das Tischchen so
3097 leer war und weder Gl
äser noch Tassen oder L
öffel und
3098 Messer enthielt. Das Geb
äck wenigstens wollte er auf einen
3099 Teller legen und sah sich deshalb nochmals im Zimmer um. Er
3100 bemerkte jetzt, da
ß sich auch ein gro
ßer Spiegel im
3101 Zimmer befand, neben welchem ein Gestell mit mehreren
3102 gl
änzenden runden Scheiben stand, die er f
ür silberne
3103 Teller hielt. Er holte sich einen solchen Teller und legte sein
3104 Fr
ühst
ücksgeb
äck darauf. Dann lie
ß er sich das
3105 Getr
änk munden, das die
Öffnungen
über dem Tischchen
3106 bereitwillig spendeten, nachdem er die Mundst
ücke daran
3107 befestigt hatte. Es war eine warme und zwei kalte
3108 Fl
üssigkeiten, die er erhielt und als Schokolade, Wein und
3109 Selterswasser bezeichnete, da sie mit diesen Getr
änken am
3110 meisten
Ähnlichkeit hatten, obwohl er sich sagte, da
ß
3111 sie sich doch in vieler Hinsicht von den auf der Erde
üblichen
3112 Gen
üssen dieser Art unterschieden. Insbesondere die Schokolade
3113 war sehr fettreich.
</p>
3114 <p>Neu gest
ärkt trat er in seinem kleidsamen Reiseanzug zu
3115 Grunthe ins Zimmer und sagte:
</p>
3116 <p>»Ich bin nun bereit, unsere Polarforschung fortzusetzen.
3117 Hoffentlich k
önnen Sie auch bald mitkommen. Aber ehe wir uns
3118 beraten, was wir zu tun haben, will ich doch sehen, ob ich Ihnen
3119 nicht ein Getr
änk verschaffen kann. Sie m
üssen ja einen
3120 grausigen Durst haben.
«</p>
3121 <p>»Danke sch
ön
«, erwiderte Grunthe lachend,
3122 »sehen Sie, was ich habe.
« Und er wies auf das
3123 Mundst
ück eines Schlauches hin, das neben seinem Kopf
3124 über dem Bett herabhing.
»Und hier
«, fuhr er fort,
3125 »kosten Sie einmal diese Pastete oder was es sonst ist. Ich
3126 habe zwar keine Ahnung, wie es eigentlich schmeckt, aber ich
3127 f
ühle mich dadurch wunderbar gest
ärkt. Wenn mich mein
3128 Fu
ß nicht hinderte, st
ünde ich sogleich auf.
«</p>
3129 <p>»Sakra auch, das lasse ich mir gefallen! Wie haben Sie das
3130 entdeckt? Ich habe mich inzwischen abgeschunden, verschiedene
3131 St
öße bekommen und das Zimmer in ziemliche Unordnung
3132 gebracht. Wie fanden Sie das, es war doch vorhin nicht
3134 <p>»Einfach durch Nachdenken. Ich sagte mir, die Martier sind
3135 viel kl
üger als wir und jedenfalls viel umsichtiger. Wenn wir
3136 nun einen Patienten haben, der nicht gehen kann, so werden wir ihm
3137 doch ein Fr
ühst
ück ans Bett bringen, und wenn wir selbst
3138 aus irgendeinem Grund nicht kommen wollen, so werden wir es ihm
3139 hinstellen. Ich sah mich also um. Nun betrachten Sie einmal diese
3140 beiden kleinen Zettel an diesen Ringen.
«</p>
3141 <p>»Das sind ja lateinische Buchstaben!
«</p>
3142 <p>»Allerdings. Es sind zwei W
örter der Eskimosprache.
3143 ›Misalukpok
‹ und
›Imerpok
‹. Das eine
3144 bezeichnet
›Essen
‹ und das andere
3145 ›Trinken
‹.
«</p>
3146 <p>»Warum hat man mir aber nicht auch solche Aufschrift
3147 angeklebt? Bei mir sind alle Schilder in einer Zeichenschrift, die
3148 jedenfalls martisch ist.
«</p>
3149 <p>»Sie verstehen ja nicht Gr
önl
ändisch.
«</p>
3150 <p>»Woher wissen aber die Nume, da
ß Sie es
3151 verstehen?
«</p>
3152 <p>»Weil ich mich gestern mit einer
– mit jemand darin
3153 unterhalten habe.
«</p>
3154 <p>»Potztausend, Grunthe, Sie sind mir
über! Aber eins
3155 begreif ich nicht, wie k
önnen die Leute, die Herren Martier,
3156 wissen, wie man diese Worte in unsern Buchstaben
3157 schreibt?
«</p>
3158 <p>»Dar
über bin ich mir auch noch nicht klar. Sie sehen,
3159 es ist Antiqua, der lateinischen Druckschrift genau nachgemalt. Und
3160 mein kleines W
örterbuch ist nicht mehr da, daraus haben sie
3161 die Zeichen entnommen. Aber wie sie die richtigen Worte in dem Buch
3162 aufgefunden haben, das ist mir ein v
ölliges R
ätsel. Denn
3163 sie kennen doch nur den Laut der Eskimoworte, aber nicht die
3164 gedruckten Zeichen.
«</p>
3165 <p>»Es ist eine unheimliche Geschichte
«, sagte Saltner.
3166 »Aber ein gutes Weiberl ist sie doch, die Se, ich bin halt
3167 ganz hin! Wenn ich nur w
üßt, warum sich kein Mensch bei
3168 uns sehen l
äßt, kein Nume, wollt ich sagen, denn darauf
3169 scheinen sie sich was Gro
ßes einzubilden, da
ß sie keine
3170 Menschen sind.
«</p>
3171 <p>»Das kann ich Ihnen auch sagen, Saltner. W
ürden Sie
3172 ihren G
ästen nachts zwischen drei und vier Uhr einen Besuch
3174 <p>»Ist das die Uhr? Aber vorhin wu
ßten Sie
’s ja
3175 nicht, und ich denke, am Pol gibt
’s
überhaupt keine
3177 <p>»Eine konventionelle Zeit mu
ß es doch geben. Die
3178 Leute m
üssen doch festsetzen, wann sie schlafen und wann sie
3179 zu Mittag essen sollen. Wir also haben zum Beispiel unsere
3180 mitteleurop
äische Einheitszeit auf unseren Taschenuhren
3181 mitgebracht, und danach h
ätten wir jetzt neun Uhr
55 Minuten
3182 vormittags. Als der Ballon scheiterte, war es nach
3183 mitteleurop
äischer Zeit gegen sechs Uhr abends. Nun wei
ß
3184 ich blo
ß nicht, ob seitdem ein oder zwei N
ächte
3185 vergangen sind, denn das h
ängt von der L
änge unserer
3186 Ohnmacht und unseres Schlafes ab.
«</p>
3187 <p>»Das wei
ß ich allerdings auch nicht. Ich wei
ß
3188 auch nicht, wann unser erstes Erwachen stattgefunden hat; das
3189 Ihrige vermutlich bald nach dem meinigen.
«</p>
3190 <p>»Nun, das l
äßt sich nachher aus der Deklination
3191 der Sonne feststellen, welches Datum wir haben. Ich habe meine Uhr
3192 auch jetzt erst wieder entdeckt
– beide Uhren, und da sie
3193 übereinstimmen, sind sie auch nicht stehengeblieben
3195 <p>»Nein, ich habe dieselbe Zeit
–«</p>
3196 <p>»Ja, aber welche Zeit rechnen die Martier hier? Sehen Sie,
3197 das haben sie mir auch mitgeteilt, und daher wei
ß ich,
3198 da
ß es f
ür sie jetzt Schlafenszeit ist und da
ß sie
3199 erst in vielleicht zwei Stunden aufstehen werden. Deswegen sagte
3200 ich, es sei zwischen drei und vier bei unsern Wirten; wie sie die
3201 Stunden z
ählen und benennen, wei
ß ich allerdings auch
3203 <p>»Aber Doktor, woher wissen Sie denn, was bei den Martiern
3204 f
ür eine Tageseinteilung Mode ist und was die Glocke bei ihnen
3205 geschlagen hat?
«</p>
3206 <p>»Glauben Sie wohl, Saltner, in einem Schlafzimmer, das mit
3207 allem Komfort der Martier ausgestattet ist, werde eine Uhr
3209 <p>»Ich habe keine gesehen und Sie vorhin auch
3211 <p>»Seitdem aber habe ich sie entdeckt. Sehen Sie die
3212 Malerei, welche die kreisf
örmige
Öffnung des Oberlichts
3213 einschlie
ßt? Sie ist in zw
ölf mal zw
ölf gleiche
3214 Abschnitte geteilt. Und jene schmalen hellen Streifen, die Sie
3215 dazwischen sehen, liegen nicht fest, sondern bewegen sich auf dem
3216 Ring. Das ist mir erst allm
ählich klar geworden, als ich
3217 w
ährend ihrer Toilette hier ruhig lag und in die H
öhe
3218 starrte. Hier haben Sie die Uhr der Martier.
«</p>
3219 <p>»Ich schau sie wohl an, aber klug werd ich nimmer
3221 <p>»Entziffern kann ich sie auch nicht. Aber sehen Sie, es
3222 sind zwei Zettel angesteckt, die offenbar nicht zur Uhr
3223 geh
ören, sondern nur f
ür heute, f
ür uns, eine
3224 Nachricht geben. Der eine zeigt ein geschlossenes, der andere ein
3225 offenes Auge. Die Deutung ist klar: Schlafen und Wachen.
«</p>
3226 <p>»Es ist richtig, und dieser helle Strich
3228 <p>»Das ist der Stundenzeiger
–«</p>
3229 <p>»Dachte ich mir. Er steht noch ungef
ähr um ein
3230 Zw
ölftel des ganzen Kreises von dem ge
öffneten Auge
3232 <p>»Daher eben schlie
ße ich, da
ß noch zwei
3233 Stunden zirka bis zum Beginn des Erwachens der Martier
3235 <p>»Aber finden Sie es nicht seltsam, da
ß die Martier
3236 den Tag ebenfalls in zw
ölf Stunden teilen?
«</p>
3237 <p>»Ebenfalls? Wir teilen ihn ja in vierundzwanzig
3239 <p>»Nun, das sind zweimal zw
ölf.
«</p>
3240 <p>»Da
ß die Zw
ölf wiederkehrt, wundere ich mich
3241 gar nicht
– ich w
ürde mich wundern, wenn es anders
3242 w
äre. Es liegt das im Wesen der Zahl, das hei
ßt im Wesen
3243 des Bewu
ßtseins
überhaupt. Die Gesetze der Mathematik
3244 sind die Gesetze der Welt.
12 ist
3 mal
4, die kleinste aller
3245 Zahlen, welche die drei ersten Zahlen
2,
3 und
4 zu Teilern
3246 besitzt. Alle intelligenten Wesen, welche Mathematik treiben,
3247 werden die
12, n
ächstdem die
60 zur Grundlage ihrer
3248 Einteilungen machen.
«</p>
3249 <p>»Aber wir haben ja doch die Zehn
–«</p>
3250 <p>»Die alte Astronomie w
ählte die Zw
ölf
–
3251 zw
ölf Zeichen bilden den Tierkreis
– die Zehn ist nur
3252 ein unwissenschaft- licher R
ückfall in die sinnliche
3253 Anschauung der zehn Finger
– Kr
ämerpolitik
–, doch
3254 lassen wir das.
«</p>
3255 <p>»Meinetwegen
«, sagte Saltner.
»Aber was tun
3256 wir nun? Erst m
üssen Sie nat
ürlich Ihren Fu
ß
3257 auskurieren.
«</p>
3258 <p>»Ich f
ürchte
«, erwiderte Grunthe,
»wir
3259 werden auch dann nichts anderes tun k
önnen, als was die
3260 Martier
über uns beschlie
ßen. Mit der Expedition wird es
3261 wohl so ziemlich aus sein. Suchen wir uns inzwischen m
öglichst
3262 mit den Verh
ältnissen vertraut zu machen. Rekognoszieren Sie
3263 ein wenig!
«</p>
3264 <p>»Im Zimmer habe ich mich schon umgesehen, und ich
3265 m
öchte nicht noch mehr von den r
ätselhaften Instrumenten
3266 probieren
– man kann sich zu leicht blamieren. Ich komme mir
3267 vor wie ein Wilder in einem physikalischen Institut, blo
ß
3268 da
ß unsereiner nicht die n
ötige Naivit
ät
3270 <p>»Was haben wir denn f
ür Ausg
änge?
«</p>
3271 <p>»Nur einen aus jedem unserer Zimmer. Ich wei
ß die
3272 T
ür nicht zu
öffnen. ich glaube, es ist auch
3273 schicklicher, wir warten hier, bis man uns aufsucht, als da
ß
3274 ich aufs Ungewisse herumst
öbere.
«</p>
3275 <p>»Sie haben recht! Vielleicht haben Sie die G
üte,
3276 unsere Sachen ein wenig zu ordnen, und wenn Sie mein Tagebuch
3277 finden, so bitte ich Sie darum. Zun
ächst m
üssen wir
3278 sehen, da
ß wir sowohl Torms Eigentum als die offiziellen
3279 Aktenst
ücke der Expedition in Sicherheit bringen.
«</p>
3280 <p>»Ich habe schon einiges hier beiseite gelegt
«, sagte
3281 Saltner, indem er unter den Gegenst
änden aufr
äumte,
3282 welche die Martier aus der Gondel gerettet hatten. Sie waren zum
3283 Teil durch den Sturz und das Meerwasser besch
ädigt.
</p>
3284 <p>»Es w
äre mir
übrigens gar nicht
3285 unangenehm
«, fuhr Saltner fort,
»wenn noch einiges von
3286 unserm Proviant brauchbar w
äre. Denn ich traue nicht recht,
3287 wie einem dieser W
ürstchen- Automat hier bekommen wird. Sehen
3288 Sie einmal, was die Herrn Nume alles aufgehoben haben! Da haben sie
3289 uns ja das Futteral mit den beiden Flaschen Champagner hergelegt,
3290 das Sie in der Not als Ballast auf die Insel warfen. ich hab halt
3291 gedacht, das w
ürde ihnen die K
öpfe zerschlagen und dabei
3292 in tausend Tr
ümmer gehen. Aber es scheint ganz unversehrt.
3293 Nun, ich will die beiden Monopol nur aus dem Kasten nehmen. Die
3294 k
önnen wir doch nimmer mit Freude ansehn. Arme Frau
3295 Isma!
« Er nahm die Flaschen heraus.
</p>
3296 <p>»Halt
«, sagte er,
»da in dem Futter steckt
3297 noch ein Paketchen.
– Was haben wir denn da?
«</p>
3298 <p>Der Verschlu
ß hatte sich gel
öst. Ein Buch in der
3299 Gr
öße eines Notizkalenders kam zum Vorschein.
</p>
3300 <p>»Na
«, sagte Saltner,
»Frau Isma wird uns doch
3301 nicht noch ein Album mitgegeben haben. Sehen Sie doch einmal,
3302 Grunthe, was das ist.
«</p>
3303 <p>»Was geht das mich an?
« sagte Grunthe unwirsch.
</p>
3304 <p>Saltner schlug das Buch auf. Er stutzte sichtlich,
3305 bl
ätterte darin und sah lange hinein.
</p>
3306 <p>»Das ist
–«, sagte er dann
3307 kopfsch
üttelnd,
»das ist ja
– Aber wie ist das
3308 m
öglich?
«</p>
3309 <p>Das kleine Buch enthielt ein W
örterverzeichnis der Sprache
3310 der Martier; die Worte waren mit Hilfe der Lautzeichen des
3311 lateinischen Alphabets transkribiert, daneben befand sich eine
3312 deutsche
Übersetzung und zugleich das Zeichen des Wortes in
3313 der stenographischen Schrift der Martier. Saltner hatte an den
3314 wenigen ihm bekannten Worten die Bedeutung des Inhalts erkannt.
</p>
3315 <p>»Sagen Sie mir das eine
«, fuhr er fort,
»mir
3316 steht der Verstand still
– wie kann ein deutsch-martisches
3317 W
örterbuch hierherkommen
– wie kann es
überhaupt
3318 existieren?
«</p>
3319 <p>Grunthe streckte sprachlos die Hand aus und ergriff das
3321 <p>Er warf nur einen Blick hinein. Dann sagte er leise:
»Das
3322 ist die Handschrift von Ell.
«</p>
3323 <p>Gr
übelnd schlo
ß er die Augen. Das unl
ösbare
3324 R
ätsel trat ihm wieder entgegen
– wie kam Ell zur
3325 Kenntnis der Sprache der Marsbewohner? Und wenn er sie kannte,
3326 warum hatte er sich nicht offen ausgesprochen? Warum hatte er nicht
3327 ihm oder Torm die Sprachanleitung mitgegeben? Wie kam sie versteckt
3328 in das Futteral, unter die Flaschen?
</p>
3329 <p>Er wu
ßte keine Antwort.
</p>
3330 <p>Saltner hatte inzwischen das Buch ergriffen und suchte sich
3331 daraus einige Worte zusammen.
</p>
3332 <p>Da h
örte er im Nebenzimmer leises Lachen und Stimmen der
3333 Martier. Der Arzt Hil war in Saltners Zimmer eingetreten. Se hatte
3334 ihn bis an die T
ür begleitet und am
üsierte sich
3335 k
östlich
über die Unordnung, welche Saltner angestiftet
3336 hatte, am meisten aber dar
über, da
ß er bei seinem
3337 Fr
ühst
ück als Teller die
– K
ämme benutzt
3338 hatte. Die flachen Scheiben, welche Saltner f
ür Teller
3339 gehalten hatten, dienten den Martiern dazu, das Haar zu ordnen; sie
3340 wurden elektrisch geladen und streckten dann die Haare geradlinig
3341 vom Kopf ab.
»Es ist zu lustig
«, lachte Se.
»Aber
3342 wir wollen ihm jetzt nichts sagen, dem armen
›deutsch
3343 Saltner
‹.
« Darauf zog sie sich wieder zur
ück.
3344 Denn es war ihr zu
›schwer
‹ in den Zimmern der
3346 <p>Hil trat bei Grunthe und Saltner ein.
</p>
3347 <h2>10 - La und Saltner
</h2>
3348 <p>Hil war mit dem Zustand seiner Patienten sehr zufrieden. Mit
3349 gro
ßem Interesse betrachtete er ihre Effekten. Sichtliches
3350 Erstaunen aber malte sich auf seinen Z
ügen, als ihm Grunthe
3351 den kleinen deutsch-martischen Sprachf
ührer
überreichte.
3352 Er bl
ätterte eifrig darin, und indem er auf einzelne Zeichen
3353 der martischen Schrift zeigte und sich das danebenstehende deutsche
3354 Wort nennen lie
ß, gelang es ihm bald, einige Fragen zu
3355 stellen, die Grunthe durch das umgekehrte Verfahren beantwortete.
3356 Da es ihm selbst an Zeit gebrach, den gegenseitigem
3357 Sprachunterricht sofort eingehend aufzunehmen, fragte er Grunthe
3358 mit Hilfe des Gr
önl
ändischen, ob er nicht mit La, die
3359 sich gern mit Sprachstudien besch
äftigte, martisch sprechen
3360 wolle, um recht bald zu einem gegenseitigen Verst
ändnis zu
3361 kommen. Grunthe war dies sehr unangenehm. Er war recht froh,
3362 da
ß sich keine von seinen Pflegerinnen hier bei ihm sehen
3363 lie
ß, und er wandte sich daher an Saltner mit dem Vorschlag,
3364 ihn in dieser Hinsicht zu vertreten. Obgleich dieser die Sprache
3365 der Eskimos nicht als verbindendes Hilfsmittel benutzen konnte,
3366 glaubte er doch, mit Hilfe des Ellschen Sprachf
ührers
3367 auszukommen und erkl
ärte sich gern zu allen Diensten
3369 <p>Hil nahm den Sprachf
ührer mit sich und geleitete Saltner in
3370 den ansto
ßenden gro
ßen Salon der Martier. Hier stellte
3371 er ihn einer Anzahl der dort versammelten Martier vor, unter denen
3372 sich der Leiter der Station Ra mit seiner Frau sowie neben einigen
3373 andern Martierinnen auch Se und La befanden.
</p>
3374 <p>Saltner wu
ßte nicht, wo er seine Augen zuerst hinwenden
3375 sollte. Fast alles, was er sah, war ihm fremd, am meisten aber
3376 überraschten ihn die Gestalten der Martier selbst. Es war ihm
3377 nur lieb, da
ß er sich aus Mangel an Sprachkenntnissen in
3378 Schweigen h
üllen und sich mit dem Sehen begn
ügen konnte.
3379 Hil nannte ihm die Namen der einzelnen, die ihn mit ihren
3380 martischen Handbewegungen begr
üßten, was Saltner mit
3381 europ
äischen Verbeugungen erwiderte. Nur fielen dieselben
3382 leider etwas steif aus, da er infolge der verminderten Schwere sehr
3383 vorsichtig sein mu
ßte. Er sah wohl an den Gesichtern
3384 derjenigen Martier, welche in ihm zum ersten Mal einen
3385 Europ
äer erblickten, wie sie sich M
ühe gaben, ihre
3386 Belustigung
über seine Ungeschicklichkeit zu verbergen. Es war
3387 ihm daher sehr angenehm, als sich die Mehrzahl der Anwesenden
3389 <p>Gleich bei seinem Eintritt war ihm neben der reizenden Se die
3390 Gestalt Las aufgefallen, und als er bei der Nennung der Namen
3391 erkannte, da
ß dieses wunderbare Wesen seine Sprachlehrerin
3392 sein sollte, heftete er seine Blicke erwartungsvoll auf ihre
3393 Z
üge. Aber in ihren gro
ßen Augen war keine Spur von
3394 Spott zu bemerken, sie begr
üßte ihn mit ruhiger
3395 Liebensw
ürdigkeit, und ein L
ächeln, das sie mit Se
3396 tauschte, sagte dieser, da
ß ihr dieser Bat besser gefiel als
3397 der andere. Saltner war
überzeugt, da
ß er riesenschnelle
3398 Fortschritte im Martischen machen w
ürde, wenn ihm die
3399 Anerkennung aus solchen Augen als Lohn winke. Er wu
ßte nur
3400 nicht recht, wie die Sache zu beginnen sei, da keines der beiden
3401 die Sprache des andern kannte. La holte einige B
ücher aus der
3402 Bibliothek, darunter den ihm schon bekannten Atlas, der ihm zur
3403 ersten Verst
ändigung mit Se gedient hatte. Sie streckte sich
3404 dann in ihrer Lieblingsstellung auf den Diwan und winkte Saltner,
3405 sich dicht an ihrer Seite niederzulassen. Sie begann zun
ächst
3406 einige Gegenst
ände zu bezeichnen, die sich unmittelbar der
3407 Anschauung darboten, und sich die Benennung martisch und deutsch
3408 wiederholen zu lassen; dann verfuhr sie ebenso mit verschiedenen
3409 Abbildungen in den B
üchern. Aber so ging die Sache zu langsam.
3410 Sie griff zu dem Sprachf
ührer, den Se in der Hand hielt. Se
3411 hatte bis jetzt in dem B
üchlein gebl
ättert und eine
3412 Anzahl von deutschen Worten auf einem Streifen durchsichtigen
3413 Papiers einfach dadurch nachgebildet, da
ß sie das Papier
3414 einen Augenblick auf das betreffende gedruckte Wort legte und
3415 andr
ückte. Das Papier war lichtempfindlich und geh
örte zu
3416 einem kleinen Taschenschnellphotograph, den man als Notizbuch bei
3417 sich zu f
ühren pflegte. Saltner las:
»Sch
üler
3418 flei
ßig. Lehrer streng. Fernh
örer. Alles
3419 h
ören.
«</p>
3420 <p>Als er wieder aufblickte, sah er, da
ß Se schelmisch
3421 lachte. Sie machte sich dann noch an dem Apparatentisch zu schaffen
3422 und entfernte sich mit freundlichen Winken:
»Das ist
3423 recht
«, sagte La,
»sie hat den Phonograph aufgezogen.
3424 Danach k
önnen wir dann unser Pensum gut repetieren.
«</p>
3425 <p>Darauf nahm La den Sprachf
ührer vor und ging mit Saltner
3426 die Redensarten und kleinen Gespr
äche durch, welche dort in
3427 beiden Sprachen angegeben waren. Er las sie deutsch, sie martisch,
3428 und beide lachten dazwischen herzlich, wenn sie ihre Aussprache zu
3429 verbessern suchten oder komische Mi
ßverst
ändnisse zutage
3430 kamen. Saltner mu
ßte La dicht
über die Schulter blicken,
3431 um im Buch zu lesen. Es lie
ß sich nicht vermeiden, da
ß
3432 sein Blick nach der wunderbaren Farbe ihres Haares und den weichen
3433 Formen des Nackens abirrte und die Worte manchmal zerstreut
3434 herauskamen. Ein seltsamer W
ärmestrom ging von ihrem
3435 K
örper aus, und dies war nicht blo
ß ein Spiel seiner
3436 Phantasie; er erfuhr sp
äter, da
ß die Martier in der Tat
3437 eine h
öhere Blutw
ärme besitzen als die Menschen. Er
3438 merkte, da
ß sich seine Sinne verwirrten. Und auch dies hatte
3439 seinen Grund nicht nur in seinen Gef
ühlen, sondern war eine
3440 Wirkung der geringen Schwere, an die seine Konstitution noch nicht
3441 gew
öhnt war. Das Blut wurde ihm st
ärker zu Kopfe
3443 <p>La erkannte dies bald. Sie gab ihm das Buch zu halten, lehnte
3444 sich zur
ück und stellte das abarische Feld ab. Alsbald
3445 f
ühlte sich Saltner wieder wohler, und die Studien nahmen mit
3446 erneuter Kraft ihren Fortgang. So vergingen schnell einige Stunden.
3447 Und auf einmal stellte sich heraus, da
ß die Lehrerin viel
3448 mehr deutsch gelernt hatte als der Sch
üler martisch. Nicht
3449 weniger als Saltner hatte Grunthe dabei gelernt, der den
3450 Sprech
übungen durch den Fernh
örer zugeh
ört hatte. Er
3451 fragte an, ob er jetzt vielleicht das Buch auf einige Zeit erhalten
3453 <p>La stellte die Schwere ab, um sich wieder frei bewegen zu
3455 <p>»Oh, wie zerstreut bin ich doch!
« rief sie aus.
3456 »Wir brauchten uns doch nicht mit dem einen Exemplare zu
3457 qu
älen! Wenn Sie mir das Buch noch eine halbe Stunde
3458 erlauben
« – wandte sie sich durch den Fernsprecher an
3459 Grunthe
–,
»so werde ich es sofort vervielf
ältigen
3461 <p>Sie schrieb einige Worte auf ein St
ückchen Papier, legte
3462 dies in das Buch und packte das Ganze in einen Umschlag. Dann warf
3463 sie das kleine Paket in einen an der Wand befindlichen Kasten.
</p>
3464 <p>Saltner sah ihr verwundert zu.
</p>
3465 <p>»Das ist die pneumatische Post nach der Werkstatt
«,
3466 sagte La erkl
ärend.
»Es wird nicht lange dauern, so
3467 bekommen wir die Kopien des Buches, aber nicht in Ihrem
3468 ungeschickten Format, sondern in unserer h
übschen
3469 Tafelform.
« Sie erl
äuterte das Gesagte durch
3470 verschiedene Handbewegungen.
</p>
3471 <p>»Und wer besorgt denn dies?
« fragte Saltner.
</p>
3472 <p>»Wer von den Technikern gerade an der Reihe f
ür den
3473 Tag ist. Die Arbeitszeit wechselt in geregelter Abl
ösung.
3474 Jeder hat seinen besonderen T
ätigkeitskreis. Ich zum Beispiel
3475 mu
ß mich mit der Erlernung der schrecklichen Menschensprachen
3476 qu
älen. Haben Sie mich verstanden?
«</p>
3477 <p>Da Saltner noch ein ziemlich fragendes Gesicht machte,
3478 wiederholte sie die Antwort noch einmal, zu seiner Verwunderung in
3479 zwar etwas seltsamem, aber doch verstehbarem Deutsch.
</p>
3480 <p>»Sie sprechen ja deutsch, La La!
« rief er aus.
</p>
3481 <p>»Sie haben nicht aufgepa
ßt
«, sagte sie
3482 lachend.
»Die Worte sind ja alle heute in unserm Pensum
3483 vorgekommen. Wir wollen es repetieren.
« Sie ging an den Tisch
3484 und dr
ückte auf den Knopf des Grammophons.
</p>
3485 <p>Man h
örte sogleich die Worte wieder, die La zu Se bei ihrer
3486 Verabschiedung gesprochen hatte. La zog sich nun auf ihren Diwan
3487 zur
ück, stellte die Abarie ab und winkte Saltner, sich zu
3489 <p>Es war ihm ganz seltsam zumute, als er so seine eigene Stimme,
3490 jedes Wort mit der eigenen Betonung, jeden Sprachfehler
–
3491 dazwischen das tiefe, halblaute Organ Las und ihr leises Lachen
3492 – wieder vernahm. Die schr
äg einfallenden Sonnenstrahlen
3493 r
ückten bis an Las Ruhest
ätte und entz
ündeten ein
3494 seltsames Farbenspiel zwischen den losen Wellen ihres Haares, sie
3495 spielten als ein Meer von Funken auf den glitzernden F
äden
3496 ihres Schleiers, die sich bei ihren Atemz
ügen leise hoben und
3497 senkten. War er noch er selbst, oder war er in ein fernes
3498 Geisterreich entr
ückt und mu
ßte er nun sein eigenes
3499 Leben an sich vor
überziehen lassen?
</p>
3500 <p>»Nicht tr
äumen
«, sagte La halblaut,
3501 »aufpassen.
«</p>
3502 <p>Nun h
örte er wieder auf die Worte ihrem Sprachsinn nach, er
3504 <p>Da klapperte es an dem Postkasten.
</p>
3505 <p>»Da sind unsere B
ücher
«, sagte La.
3506 »Stellen Sie, bitte, das Grammophon ab, und
öffnen Sie
3507 den Kasten.
«</p>
3508 <p>Saltner vollzog den Auftrag. Er enthob dem Kasten ein Paket, das
3509 die Kopien des Sprachf
ührers enthielt. La nahm das Original
3510 heraus und gab es Saltner.
</p>
3511 <p>»Hier
«, sagte sie,
»bringen Sie dies Ihrem
3512 Freund zur
ück, mit bestem Dank. Und wenn es Ihnen recht ist,
3513 arbeiten wir am Nachmittag noch einmal.
«</p>
3514 <p>»Verf
ügen Sie vollst
ändig
über mich
«,
3515 sagte Saltner mit einem bewundernden Blick. Eine vornehme
3516 Handbewegung verabschiedete ihn.
</p>
3518 <p>Die Sprachstudien fanden am Nachmittag eine unerwartete
3520 <p>Eben wollte Saltner, der mit Grunthe zusammen gespeist hatte,
3521 sich wieder in den Salon begeben, als Ra bei ihnen eintrat, um
3522 ihnen eine Mitteilung zu machen, die beide Forscher aufs
3523 Lebhafteste erregte.
</p>
3524 <p>Die Martier hatten auf ihren Jagdbooten das Binnenmeer und seine
3525 Ufer noch weiter nach Spuren der Expedition abgesucht. In einem der
3526 Fjorde, welche sich ungef
ähr in der Richtung des
70. Meridians
3527 westlicher L
änge von Greenwich verzweigten, am Fu
ß eines
3528 unmittelbar in das Wasser abfallenden Gletschers, hatte man den
3529 bisher vermi
ßten Fallschirm der Expedition gefunden, zwischen
3530 losgebrochenen Eisschollen treibend. Derselbe mu
ßte so nahe
3531 am Ufer niedergefallen sein, da
ß es wohl denkbar war, ein an
3532 demselben h
ängender Mensch h
ätte sich auf den Gletscher
3533 retten k
önnen. Die Martier hatten das Land selbst nicht
3534 betreten k
önnen; ohne besondere maschinelle Vorrichtungen war
3535 ihnen dies
überhaupt nicht m
öglich.
</p>
3536 <p>Saltner sprang auf und bat dringend, ihn sofort an Ort und
3537 Stelle zu bringen. Hier war eine M
öglichkeit gegeben,
3538 da
ß Torm doch noch am Leben und zu retten sei. Da
ß der
3539 Fallschirm in so weiter Entfernung vom Ballon gefunden war, und
3540 zwar an einer Stelle,
über die der Ballon nicht geflogen sein
3541 konnte, lie
ß sich nur dadurch erkl
ären, da
ß Torm
3542 den Schirm vom Ballon getrennt hatte. Dann konnte die in den
3543 unteren Luftschichten herrschende Windstr
ömung den langsam
3544 fallenden Schirm sehr wohl bis dorthin getrieben haben. Aber ob
3545 sich Torm an dem Schirm befunden hatte? Vermutlich hatte er sich
3546 mit demselben niedergelassen; aus welchen Gr
ünden lie
ß
3547 sich nur unsicher vermuten. Vielleicht hatte er den Ballon dadurch
3548 zu retten gedacht, da
ß er ihn um sich selbst erleichterte;
3549 vielleicht auch hatte er die Gef
ährten f
ür erstickt
3550 gehalten und f
ür sich selbst ein letztes Rettungsmittel
3551 versucht, ehe der Ballon wieder
über das Meer hinaustrieb.
3552 Jedenfalls mu
ßte man alles daransetzen, etwaige Spuren von
3553 Torm aufzufinden.
</p>
3554 <p>Ra stellte Saltner bereitwillig ein Boot und Mannschaft zur
3555 Verf
ügung, sagte aber sogleich, da
ß die Martier zu einer
3556 Untersuchung des Gletschers selbst sehr wenig geeignet seien. Sie
3557 w
ürden jedoch f
ür einige Apparate sorgen, die zum
3558 Transport etwaiger Lasten oder auch von Personen mit Vorteil
3559 benutzt werden k
önnten. Insbesondere aber schl
üge er ihm
3560 vor, die beiden Eskimos, welche sich auf der Station aufhielten,
3561 Vater und Sohn, mitzunehmen. Sie leisteten den Martiern gute
3562 Dienste bei Arbeiten und Transporten im Freien, bei denen es
3563 menschlicher Muskelkraft bed
ürfe, und k
önnten ihn
3564 gewi
ß bei einer etwaigen Besteigung des Gletschers
3565 unterst
ützen.
</p>
3566 <p>Nach einer halben Stunde war das Boot bereit. Da Saltner sich
3567 nicht auf die ihm unbekannten Apparate der Martier verlassen
3568 wollte, hatte er sich mit seinem eigenen Seil und seinem getreuen,
3569 gl
ücklich geretteten Eispickel versehen, die ihn schon bei so
3570 mancher schwierigen Klettertour in den Gebirgen seiner Heimat
3571 begleitet hatten.
</p>
3572 <p>Saltner war nicht wenig erstaunt, als er in dem langen, elegant
3573 gebauten Boot neun riesige Kugeln von etwa einem Meter Durchmesser
3574 erblickte, die Kopfh
üllen der Martier, die ihnen direkt auf
3575 den Schultern sa
ßen. Sie sahen dadurch wie seltsame
3576 Karikaturen aus. Der F
ührer des Bootes stand am Land und
3577 begr
üßte Saltner, worauf er sich m
ühsam an Bord
3578 begab und nun ebenfalls seinen Kugelhelm aufsetzte. Die beiden
3579 Eskimos befanden sich schon im Boot und l
östen das Seil,
3580 sobald der F
ührer eingestiegen war. Sie verstanden nicht recht
3581 seine Handbewegung, und das Boot begann von der Landestelle
3582 abzutreiben, gerade als Saltner seinen Fu
ß auf den Rand
3583 desselben setzte. Die Martier, welche glaubten, er m
üsse
3584 unfehlbar ins Wasser st
ürzen, winkten lebhaft mit ihren Armen,
3585 w
ährend er selbst sich mit einem leichten Schwunge vom Ufer
3586 abstie
ß und gewandt in das Boot sprang. F
ür einen
3587 geschickten Turner war dies eine Kleinigkeit, erregte aber bei den
3588 Martiern offenbare Anerkennung. Unter dem Einflu
ß der
3589 Erdschwere w
äre diese Leistung keinem von ihnen m
öglich
3591 <p>Kaum hatte Saltner einige Schritte getan, indem er sich nach
3592 einem passenden Platz umsah, als einer der Martier seine
3593 gro
ße Kugel von der Schulter nahm und an ihrer Stelle der
3594 anmutige Kopf Las zum Vorschein kam. Sie sah ihn mit ihren
3595 gro
ßen Augen heiter an und nickte ihm freundlich zu.
</p>
3596 <p>»Wie kommt es, da
ß Sie hier sind, La La?
«
3597 sagte Saltner, in seiner
Überraschung deutsch sprechend.
3598 »Sie scheuen doch die Schwere drau
ßen. Diese Fahrt ist
3599 gewi
ß sehr anstrengend f
ür Sie?
«</p>
3600 <p>»Ganz richtig
«, antwortete La ebenfalls deutsch,
3601 »ich tue es nicht zum Vergn
ügen. Ich bin im Dienst. Wie
3602 wollen Sie verstehen diese Nume? Wie wollen Sie verstehen diese
3603 Kalalek? Ich bin als Dolmetscher hier
«, f
ügte sie auf
3605 <p>»Das ist wahr, an diese Schwierigkeit habe ich gar nicht
3606 gedacht. Aber wie leid tut es mir, da
ß Sie sich so
3607 bem
ühen m
üssen. Freilich, was k
önnte ich mir
3608 Besseres w
ünschen
– doch wollen Sie nicht Ihren Helm
3609 wieder aufsetzen?
« La sch
üttelte den Kopf. Aber sie
3610 schlug hinter ihrem Platz eine Lehne mit weichem Polster in die
3611 H
öhe und st
ützte dort ihr Haupt auf. So lehnte sie sich
3612 zur
ück und lie
ß ihre Augen pr
üfend
über das
3613 Boot und die ganze Umgebung wandern.
</p>
3614 <p>Mit gro
ßer Geschwindigkeit durchschnitt das Boot die leise
3615 bewegten Wellen der Bucht und hatte in etwa zehn Minuten die Stelle
3616 erreicht, an welcher sich mehrere Kan
äle von verschiedener
3617 Breite verzweigten. Jetzt mu
ßte langsam und vorsichtig
3618 gefahren werden, denn ein Gewirr von Felsbl
öcken und Eisbergen
3619 oder Schollen erstreckte sich am Stirnende des Gletschers entlang
3620 und verengte das Fahrwasser. Die Martier hatten den Platz
3621 bezeichnet, an welchem sie den Fallschirm gefunden hatten, und
3622 Saltner sp
ähte nach einer geeigneten Stelle aus, wo man den
3623 Gletscher erklimmen k
önnte. Er schlug seinen Eispickel in eine
3624 Scholle und sprang auf dieselbe hin
über, kam wieder
3625 zur
ück und lie
ß das Boot weiterfahren. Es schien sich
3626 von selbst zu verstehen, da
ß er hier kommandierte.
</p>
3627 <p>La lie
ß ihre Augen mit Wohlgefallen auf seinen
3628 entschiedenen Bewegungen ruhen. Dieser Bat,
über den sie als
3629 Martierin sich so weit erhaben f
ühlte, war ihr bisher nur
3630 seltsam vorgekommen. Aber hier, in seinem Element als gewandter
3631 Kletterer, machte er ihr doch einen viel vorteilhafteren Eindruck.
3632 Gegen
über den unbeweglichen Kugeln, die ihre Landsleute auf
3633 den Schultern trugen, gegen
über den grauen, stumpfen
3634 Gesichtern der Eskimos mit ihren vorstehenden Backenknochen bot
3635 sein ausdrucksvoller Kopf, seine freie Haltung und kr
äftige
3636 K
ühnheit ein Bild, das sie gern betrachtete.
</p>
3637 <p>Der Gletscher fiel an den meisten Stellen mit einem senkrechten
3638 Abbruch von zehn bis f
ünfzehn Metern H
öhe in die See ab.
3639 Endlich hatte Saltner eine Stelle gefunden, an welcher ihm der
3640 Aufstieg m
öglich schien. Gewandt schlug er Stufe auf Stufe in
3641 das ziemlich weiche Eis und kletterte, von den Augen der Martier
3642 unter Spannung verfolgt, die Eiswand hinauf. Dann warf er das Seil
3643 hinab, und die beiden Eskimos folgten ihm an demselben. Bald waren
3644 die drei f
ür die Insassen des Bootes hinter dem Rand des Eises
3646 <p>L
ängere Zeit war nichts von den Kletterern zu vernehmen,
3647 und La begann schon ungeduldig nach der H
öhe zu blicken. Da
3648 erschien Saltner etwa hundert Meter weiter am Rand des Absturzes
3649 und winkte dem Boot, sich dorthin zu begeben. Als dies geschehen
3650 war, rief er hinunter:
</p>
3651 <p>»Ich habe Spuren gefunden. Wird es m
öglich sein,
3652 einige Leute hier heraufzubringen?
«</p>
3653 <p>La
übersetzte, und der F
ührer des Bootes lie
ß
3654 antworten, da
ß dies sehr leicht sei, wenn es Saltner
3655 gel
änge, mit seinem Seil die Rolle des Aufzuges, den die
3656 Martier mit sich f
ührten, hinaufzuziehen und oben zu
3658 <p>Dies geschah nach Wunsch. Alsbald hatten die Martier einen
3659 bequemen Aufzug eingerichtet, den sie mit den Akkumulatoren ihres
3660 Bootes betrieben.
</p>
3661 <p>Nicht weit von der Stelle, an welcher die Martier ihren Aufzug
3662 angebracht hatten, stie
ß eine Seitenschlucht in das Haupttal,
3663 und hier zog sich ein Streifen von Felstr
ümmern und
3664 Mor
änenschutt, von Flechten
überkleidet, auf dem ganz
3665 allm
ählich ansteigenden Gletscher in die H
öhe. Auf diesem
3666 Streifen konnte man, ohne sich der unsicheren Oberfl
äche des
3667 Gletschers anzuvertrauen, gut ins Innere des festen Landes
3668 gelangen. Saltner hatte nun in dieser Richtung einen Gegenstand
3669 zwischen dem Ger
öll bemerkt, der zwar der weiten Entfernung
3670 wegen nicht deutlich erkennbar war, aber jedenfalls untersucht
3671 werden mu
ßte, da er von Menschen herzur
ühren schien,
3672 wenn es nicht gar der nur zum Teil sichtbare K
örper eines
3673 Menschen war. Um jedoch das Gestein zu erreichen, mu
ßte man
3674 zun
ächst eine tiefe und breite Spalte passieren; diese Spalte
3675 war an einer Stelle durch eine Schneebr
ücke
überspannt
3676 gewesen, die offenbar erst vor kurzem zusammengebrochen war.
3677 Gegenw
ärtig war es unm
öglich, dieselbe ohne
3678 k
ünstliche Hilfsmittel zu
überschreiten, und deshalb
3679 hatte Saltner die Martier heraufgerufen. Er sagte sich, es sei sehr
3680 wohl denkbar, da
ß Torm mit Hilfe des vom Fallschirm
3681 abgel
östen Seiles auf den Gletscher und von dort auf den
3682 Mor
änenstreifen gelangt sei. Mit gro
ßer Aufregung hatte
3683 er daher jenen dunklen Gegenstand in der Ferne betrachtet.
</p>
3684 <p>Die Martier wanden nun aus ihrem Boot gen
ügend lange
3685 Stangen empor, um die Spalten
überbr
ücken zu k
önnen,
3686 und Saltner verrichtete mit den Eskimos die
übrige Arbeit.
3687 Alsdann wanderte er
über die Felstr
ümmer weiter, eine
3688 Kletterpartie, die
übrigens schwieriger war und langsamer vor
3689 sich ging, als er urspr
ünglich erwartet hatte.
</p>
3690 <p>La hatte sich ebenfalls emporziehen lassen. Auf ausgebreiteten
3691 Fellen ruhend sah sie den Arbeiten der Menschen zu. Sie hatte noch
3692 niemals einen Gletscher in der N
ähe gesehen, geschweige denn
3693 betreten. Auf dem Mars gab es solche Gebilde nicht; die
3694 Atmosph
äre war viel zu trocken, um dieselben zu unterhalten.
3695 Mit Bewunderung blickte sie in das Gewirr von Spalten,
3696 Tr
ümmern und Zacken, die mit ihren gr
ünlichen Schatten
3697 sich von den r
ötlich im Sonnenschein schimmernden
3698 Schneefl
ächen abhoben. Gar zu gern h
ätte sie einen Blick
3699 in die unergr
ündliche Eisschlucht hineingetan, welche die
3700 Menschen
überbr
ückten, aber sie scheute sich, den
3701 m
ühsamen Gang zu zeigen, mit dem sie sich h
ätte
3702 hinschleppen m
üssen.
</p>
3703 <p>Jetzt waren die Menschen fortgegangen; sie konnten die seltsame
3704 Figur nicht mehr beobachten, die sich langsam von den Fellen erhob,
3705 ihren Kugelhelm aufsetzte und auf zwei St
öcke gest
ützt
3706 der Spalte zuschlich. Der Weg war gar nicht so anstrengend, wie La
3707 glaubte; sie hatte sich doch schon einigerma
ßen ge
übt,
3708 ihre Glieder unter dem Einflu
ß der Erdschwere zu bewegen. So
3709 gelangte sie an den angebrachten Steg und lie
ß sich am Rand
3710 der Gletscherspalte nieder.
</p>
3711 <p>An die eine der hin
übergelegten Stangen sich haltend,
3712 beugte sie vorsichtig den Kopf
über den Abgrund.
3713 Dunkelgr
ün d
ämmerte die Tiefe, aus der das Rauschen des
3714 Schmelzwassers dumpf herauft
önte. Genau unter ihr streckte
3715 sich ein zackiger Grat ihr entgegen, der die Schlucht der
3716 L
änge nach durchzog. Ein gro
ßer Felsblock war
3717 hinabgest
ürzt und auf dem Grat festgehalten worden. Er bildete
3718 eine Art Br
ücke da unten in der Tiefe. Daneben zeigte ein
3719 frischer Spalt seine kristallklaren Eisw
ände. La konnte sich
3720 an dem ungewohnten Schauspiel nicht sattsehen. Schwindel kannte sie
3721 nicht. Sie war gewohnt, den Weltraum in seiner Unendlichkeit unter
3722 ihren F
üßen zu erblicken, wenn das Raumschiff die Leere
3723 des Sternenhimmels durcheilte. Aber sie kannte auch nicht die
3724 Gefahren dieses m
ürben, abbr
öckelnden Elements, auf
3725 dessen
überh
ängender Kante sie ruhte. Um besser
3726 hinabzublicken, zog sie sich an der Stange weiter und stemmte ihre
3727 F
üße gegen einen Vorsprung des Randes. Der Vorsprung
3728 brach. Zerstiebend st
ürzte er in die Tiefe. Ihr Fu
ß
3729 verlor die St
ütze. Sie wollte sich wieder hinaufschwingen,
3730 aber die Last war zu schwer f
ür ihre Kr
äfte. Der
3731 unf
örmliche Helm hinderte sie, ihren Oberk
örper frei an
3732 dem Steg zu bewegen, an welchen sie sich geklammert hielt. Sie rief
3733 um Hilfe, doch die Stimme drang nur schwach unter dem Helm hervor.
3734 Eine erneute Anstrengung brachte ihren K
örper h
öher, aber
3735 nun glitt die Stange aus ihrer Lage, ihre H
ände verloren den
3736 Halt
– – La st
ürzte in den Abgrund.
</p>
3737 <p>Ihr Angstschrei verhallte zwischen den Eisw
änden der
3738 Spalte. Aber der Helm, der ihren Absturz verschuldete, wurde
3739 vorl
äufig zu ihrem Retter. Sie fiel auf die Stelle, welche der
3740 auf dem Grat ruhende Felsblock verengte, und der elastische Helm
3741 hemmte den Sturz. Er war zertr
ümmert, aber sie selbst
3742 f
ühlte sich unverletzt, sie hatte das Bewu
ßtsein nicht
3743 verloren. Mit den Armen sich festklammernd, lag sie auf dem Felsen,
3744 unter sich die finstere Tiefe,
über sich den schmalen
3745 Lichtstreifen des Himmels, unf
ähig, sich zu bewegen. Sie
3746 vermochte nichts zu ihrer Rettung zu tun, Minute auf Minute
3747 verrann. Wann w
ürde man sie bemerken? Konnte sie gerettet
3748 werden? Sie war vollkommen ruhig. Das Bild der fernen Heimat stieg
3749 vor ihr auf.
»Noch einmal m
öcht ich ihn sehen, meinen
3750 sch
önen Nu
«, so klang es in ihr,
»aber wenn es
3751 nicht sein soll, so f
üg ich mich Deinem Willen im
3752 Weltenplan.
«</p>
3753 <p>Da vernahm sie Rufe
über sich. Ein Kugelhelm wurde
3754 sichtbar. Die Martier hatten ihr Verschwinden bemerkt, sie ward
3755 gesehen. Man rief ihr zu, sie m
öge Mut fassen, man werde den
3756 Aufzug herbeischaffen. Sie wu
ßte, da
ß dar
über
3757 lange Zeit vergehen m
üsse; die Martier konnten nur langsam
3758 arbeiten. Und sie f
ühlte, wie die K
älte der Schlucht ihre
3759 Glieder erstarren lie
ß.
</p>
3760 <p>Pl
ötzlich h
örte sie oben erneute Rufe und schnelle
3761 Schritte. Eilende Gestalten schwangen sich
über den Steg. La
3762 wu
ßte, wer es war. Saltner war mit den beiden Eskimos
3763 zur
ückgekehrt. Kaum hatte er erkannt, was geschehen war, als
3764 er sich auch sofort anseilte und von seinen beiden Begleitern in
3765 den Spalt hinabsenken lie
ß. La sah, wie seine Gestalt
3766 n
äher und n
äher kam. Mit der einen Hand hielt er sich von
3767 der Wand der Spalte ab. Und nun kniete er neben ihr auf dem
3768 Felsblock. Er l
öste den Rest ihres Helmes geschickt von ihren
3769 Schultern; dumpf donnerte er in den Abgrund. Dann hob er sie empor
3770 und sagte besorgte Worte, die sie nur halb verstand. Jetzt erst
3771 erfa
ßte sie der Schwindel, und das Bewu
ßtsein drohte
3772 sie zu verlassen. Aber sie f
ühlte, da
ß Saltner sie fest
3773 umschlang, und in diesem Augenblick wu
ßte sie sich geborgen.
3774 Jetzt rief er mit lauter Stimme in seiner Muttersprache nach oben:
3775 »Ein zweites Seil!
«</p>
3776 <p>La l
ächelte, ihn dankbar ansehend, und sagte leise:
3777 »Kalalek nicht verstehen.
«</p>
3778 <p>»Doch, doch!
« erwiderte Saltner. Und wirklich, der
3779 j
üngere der beiden Eskimos rief die deutschen Worte hinab:
</p>
3780 <p>»Nicht hier. Warten. Nume kommen.
«</p>
3781 <p>La blickte ihn fragend an. Aber er antwortete nicht, er sah,
3782 da
ß sie fror.
</p>
3783 <p>»Werft die Decke herab!
« rief er.
</p>
3784 <p>Man schien ihn jetzt nicht zu verstehen.
»Was hei
ßt
3785 auf gr
önl
ändisch Decke?
« fragte er.
</p>
3786 <p>»Kepik.
«</p>
3787 <p>»Kepik!
« rief er hinauf.
</p>
3788 <p>Eine wollene Decke wurde hinabgeworfen. Saltner schlug den
3789 Pickel fest in die Wand und beugte sich weit vor, um sie
3790 aufzufangen. Es gelang. Er h
üllte La hinein. Er zog seine
3791 Feldflasche heraus, die er vorsorglich aus den geretteten
3792 Reisevorr
äten mit Kognak gef
üllt hatte. La wu
ßte
3793 zwar damit nicht Bescheid, aber er fl
ößte ihr etwas von
3794 dem feurigen Getr
änk ein, das ihr sehr wohltat.
</p>
3795 <p>Er berichtete kurz. Sein Ausflug war ohne entscheidenden Erfolg
3796 geblieben. Der fragliche Gegenstand war eine der im Ballon
3797 befindlichen Decken gewesen, dieselbe, die La jetzt einh
üllte.
3798 Aber ob sie von Torm mitgenommen und dort zur
ückgelassen war
3799 oder ob sie aus dem Ballon bei seinem Flug verloren und vom Wind
3800 hingetrieben worden war, lie
ß sich nicht feststellen; das
3801 letztere war sogar das wahrscheinlichere. Dabei hatte sich
3802 überraschenderweise herausgestellt, da
ß der Sohn des
3803 Eskimos einige Worte deutsch verstand. Er war ein Jahr in Diensten
3804 deutscher Missionare auf Gr
önland gewesen und hatte einzelne
3805 Worte aufgefa
ßt, als Saltner mit La deutsch sprach. Nur hatte
3806 er in Gegenwart der Martier nicht gewagt, dies zu erkennen zu
3808 <p>Endlich erschienen die Martier wieder am Rand der Spalte. Ein
3809 zweites Seil wurde herabgelassen. Saltner machte einen
3810 ertr
äglichen Sitz zurecht, und indem er La st
ützte und
3811 mit dem Eispickel beide von der Wand fernhielt, wurden sie
3812 gl
ücklich an die Oberfl
äche bef
ördert.
</p>
3813 <p>»Ich wei
ß, was ich Ihnen verdanke
«, sagte
3815 <p>Eine tiefe Ersch
öpfung ergriff sie, und sie mu
ßte bis
3816 an das Boot getragen werden.
</p>
3817 <p>Man trat sofort die Heimfahrt an.
</p>
3818 <h2>11 - Martier und Menschen
</h2>
3819 <p>Der September hatte begonnen. Noch immer beschrieb die Sonne
3820 ohne unterzugehen den vollen Kreis des Himmels, aber sie stand nur
3821 noch wenige Grad
über dem Horizont. Schon streifte sie nahe an
3822 die h
öchsten Gipfel der Berge, welche an einzelnen Stellen die
3823 Steilufer des Polarbassins
überragten. Der lange Polartag
3824 neigte sich seinem Ende zu. Wie in einem ewigen Untergang wanderte
3825 der riesige Glutball der Sonne rings um die Insel, meist drang sie
3826 nur strahlenlos wie eine rote Scheibe durch die Nebel, und ein
3827 breites, rosig gl
ühendes Band zog sich durch die leise
3828 wogenden Fluten ihr entgegen und folgte ihrem Lauf als ein
3829 nat
ürlicher Stundenzeiger um den Pol.
</p>
3830 <p>Die beiden deutschen Nordpolfahrer verbrachten ihre Tage wie in
3831 einem k
östlichen M
ärchen. H
ätte nicht der Gedanke an
3832 den verlorenen Gef
ährten auf ihre Stimmung niederdr
ückend
3833 gewirkt und den Genu
ß der Gegenwart ged
ämpft, nichts
3834 Freudigeres und Erhebenderes w
äre denkbar gewesen als der
3835 begl
ückende Verkehr mit den Bewohnern der Polinsel, die, wie
3836 sie jetzt erfuhren, den Namen Ara f
ührte, zu Ehren des ersten
3837 Weltraumschiffers Ar.
</p>
3838 <p>Die Martier behandelten die beiden Erdbewohner als ihre
3839 G
äste, denen jede Freiheit gestattet war. Gegen
über den
3840 kleinen, unansehnlichen, schmutzigen und tranduftenden Eskimos
3841 erschienen ihnen die stattlichen Figuren der Europ
äer in ihrer
3842 reinlichen Tracht schon
äu
ßerlich als Wesen verwandter
3843 Art. Nicht wenig trug dazu die k
örperliche
Überlegenheit
3844 bei, welche die Martier, sobald sie sich nicht im Schutz des
3845 abarischen Feldes befanden, an den Menschen anerkennen
3846 mu
ßten. Aufrecht und leicht schritten diese einher und
3847 verrichteten spielend Arbeiten, denen die unter dem Druck der
3848 Erdschwere gebeugt einherschleichenden Martier nicht gewachsen
3849 waren. Denn auch Grunthe war nach wenigen Tagen wieder in seiner
3850 Gesundheit v
öllig hergestellt und sp
ürte keinerlei
3851 üble Folgen seiner Fu
ßverletzung. Saltner aber hatte
3852 sich durch die entschlossene und geschickte Rettung Las die Achtung
3853 der Martier erworben.
</p>
3854 <p>Überraschend schnell hatte sich das gegenseitige
3855 Verst
ändnis durch die Sprache angebahnt. Dies war
3856 nat
ürlich haupts
ächlich durch die gl
ückliche
3857 Auffindung der kleinen deutsch- martischen Sprachanweisung
3858 gelungen. Es zeigte sich, da
ß diese von ihrem Verfasser Ell
3859 ganz speziell f
ür diejenigen Bed
ürfnisse ausgearbeitet
3860 war, die sich bei einem ersten Zusammentreffen der Menschen mit den
3861 Martiern f
ür beide Teile herausstellen w
ürden. Denn es
3862 waren darin weniger die allt
äglichen Gebrauchsgegenst
ände
3863 und Beobachtungen ber
ücksichtigt,
über welche man sich ja
3864 leicht durch die Anschauung direkt verst
ändigen kann, wie
3865 Speise und Trank, Wohnung, Kleidung, Ger
ätschaften, die
3866 sichtbaren Naturerscheinungen und so weiter; vielmehr fanden sich
3867 gerade die Ausdr
ücke f
ür abstraktere Begriffe, f
ür
3868 kulturgeschichtliche und technische Dinge darin verzeichnet, so
3869 da
ß es Grunthe und Saltner m
öglich wurde, sich
über
3870 diese Gedankenkreise mit den Martiern zu besprechen. Ell hatte
3871 offenbar vorausgesehen, da
ß, wenn wissenschaftlich gebildete
3872 Europ
äer mit den in der Kultur ihnen
überlegenen Martiern
3873 zusammenk
ämen, das Hauptinteresse darin bestehen
3874 m
üßte, sich gegenseitig
über die allgemeinen
3875 Bedingungen ihres Lebens zu unterrichten.
</p>
3876 <p>Es erregte
übrigens bei den Martiern keine geringere
3877 Verwunderung wie bei den beiden Forschern, da
ß auf Erden ein
3878 Mensch existiere, der sowohl die Sprache und Schrift der Martier
3879 beherrschte als auch eine ziemlich zutreffende Kenntnis der
3880 Verh
ältnisse auf dem Mars besa
ß. Aus gewissen
3881 Einzelheiten schlossen sie allerdings, da
ß diese Kenntnis
3882 sich nur auf weiter zur
ückliegende Ereignisse bezog, da
ß
3883 insbesondere die Tatsache der Marskolonie am Pol der Erde dem
3884 Verfasser des Sprachf
ührers nicht bekannt war, wohl aber das
3885 Projekt der Martier, die Erde an einem ihrer Pole zu erreichen. Der
3886 Name Ell war in einigen Landschaften des Mars nicht selten. Die
3887 gegenw
ärtigen Polbewohner erinnerten sich der Berichte,
3888 da
ß bei den ersten Entdeckungsfahrten nach der Erde mehrfach
3889 Fahrzeuge verschollen waren, ohne da
ß man jemals etwas
3890 über das Schicksal der k
ühnen Pioniere des Weltraums
3891 hatte erfahren k
önnen. Von einem ber
ühmten Raumfahrer,
3892 dem Kapit
än All, wu
ßte man sogar gewi
ß, da
ß
3893 er mit mehreren Gef
ährten infolge eines ungl
ücklichen
3894 Zufalls auf der Erde zur
ückgelassen worden war, allerdings
3895 unter Umst
änden, welche allgemein an seinen baldigen Untergang
3896 glauben lie
ßen. Immerhin war es wohl denkbar, da
ß einer
3897 oder der andere dieser Martier zu Menschen sich gerettet und die
3898 Kunde vom Mars dahin gebracht h
ätte. Diese Ereignisse aber
3899 lagen drei
ßig bis vierzig Erdenjahre zur
ück, und jene
3900 M
änner selbst waren alle in vorgeschrittenerem Alter gewesen,
3901 da eine Beteiligung j
üngerer Leute an jenen ersten, unsicheren
3902 Fahrten nicht bekannt war. Ell selbst, der etwa mit Grunthe
3903 gleichaltrig oder nur ein wenig
älter war, konnte also nicht
3904 zu ihnen geh
ören. Und Grunthe wie Saltner konnten versichern,
3905 da
ß von einem Auftauchen eines Marsbewohners, ja
3906 überhaupt von der Existenz solcher Wesen, auf der Erde nichts
3907 bekannt sei. Ell war der einzige, der ein solches Wissen
3908 besa
ß, dies aber bis auf jene beil
äufigen Redensarten,
3909 die Grunthe nicht ernsthaft genommen, durchaus verborgen gehalten
3910 hatte. Wie er selbst dazu gekommen war, blieb ebenso
3911 unaufgekl
ärt wie die Umst
ände, durch welche jene
3912 Sprachanweisung in das Flaschenfutteral gelangt sein konnte, das
3913 Frau Isma Torm der Expedition als eine scherzhafte
3914 Überraschung am Nordpol mitgegeben hatte.
</p>
3915 <p>Den Bem
ühungen der Deutschen, sich die Sprache der
3916 Marsbewohner anzueignen, kamen diese bereitwillig entgegen, so
3917 da
ß Saltner und insbesondere Grunthe sehr bald ein
3918 Gespr
äch auf martisch f
ühren konnten; gleichzeitig fand
3919 es sich, da
ß auch die Martier, welche den t
äglichen
3920 Umgang der beiden bildeten, das Deutsche beherrschten. Ersteres
3921 wurde dadurch m
öglich, da
ß die Verkehrssprache der
3922 Martier au
ßerordentlich leicht zu erlernen und
3923 gl
ücklicherweise f
ür eine deutsche Zunge auch leicht
3924 auszusprechen war. Sie war urspr
ünglich die Sprache derjenigen
3925 Marsbewohner gewesen, die auf der S
üdhalbkugel des Planeten in
3926 der Gegend jener Niederungen wohnten, welche von den Astronomen der
3927 Erde als Lockyer- Land bezeichnet werden. Von hier war die
3928 Vereinigung der verschiedenen St
ämme und Rassen der Martier zu
3929 einem gro
ßen Staatenbund ausgegangen, und die Sprache jener
3930 Zivilisatoren des Mars war die allgemeine Weltverkehrssprache
3931 geworden. Durch einen Hunderttausende von Jahren dauernden Gebrauch
3932 hatte sie sich so abgeschliffen und vereinfacht, da
ß sie der
3933 denkbar gl
ücklichste und geeignetste Ausdruck der Gedanken
3934 geworden war; alles Entbehrliche, alles, was Schwierigkeiten
3935 verursachte, war abgeworfen worden. Deswegen konnte man sie sich
3936 sehr schnell soweit aneignen, da
ß man sich gegenseitig zu
3937 verstehen vermochte, wenn es auch au
ßerordentlich schwierig
3938 war, in die Feinheiten einzudringen, die mit der
ästhetischen
3939 Anwendung der Sprache verbunden waren.
</p>
3940 <p>Übrigens war dies nur die Sprache, die jeder Martier
3941 beherrschte. Neben derselben aber gab es zahllose, sehr
3942 verschiedene und in steter Umwandlung begriffene Dialekte, die
3943 blo
ß in verh
ältnism
äßig kleinen Gebieten
3944 gesprochen wurden, endlich sogar Idiome, die allein im Kreis
3945 einzelner Familiengruppen verstanden wurden. Denn es zeigte sich
3946 als eine Eigent
ümlichkeit der Kultur der Martier, da
ß
3947 der allgemeinen Gleichheit und Nivellierung in allem, was ihre
3948 soziale Zusammengeh
örigkeit als Bewohner desselben Planeten
3949 anbetraf, eine ebenso gro
ße Mannigfaltigkeit und Freiheit des
3950 individuellen Lebens entsprach. Wenn so die schnelle
3951 Erfa
ßbarkeit des Martischen den Deutschen zugute kam, so
3952 brachte die erstaunliche Begabung der Martier andererseits zuwege,
3953 da
ß sie sich wie spielend das Deutsche aneigneten.
3954 Gegen
über dem verwirrenden Formenreichtum des
3955 Gr
önl
ändischen erschien ihnen das Deutsche wesentlich
3956 leichter. Was aber die schnellere Erlernung desselben
3957 haupts
ächlich bewirkte, war der Umstand, da
ß das
3958 Deutsche als Sprache eines hochentwickelten Kulturvolkes dem
3959 geistigen Niveau der Martier soviel n
äherstand. Was der
3960 Gr
önl
änder in seiner Sprache auszudr
ücken
3961 wu
ßte, die konkrete Art, wie er es nur ausdr
ücken
3962 konnte, der enge Interessenkreis, auf den sich das Leben des Eskimo
3963 beschr
änkte, das alles war dem Martier sehr gleichg
ültig,
3964 und er besch
äftigte sich damit nur, weil er bisher kein
3965 anderes Mittel besa
ß, mit Bewohnern der Erde in Verkehr zu
3966 treten. Ganz anders aber wurde das Interesse der Martier erregt,
3967 als sie mit Grunthe und Saltner Gespr
ächsthemata ber
ühren
3968 konnten, die ihrem eigenen gewohnten Gedankenkreis n
äherlagen.
3969 Im Deutschen fanden sie eine Sprache, reich an Ausdr
ücken
3970 f
ür abstrakte Begriffe, und dadurch verwandt und angemessen
3971 ihrer eigenen Art zu denken. Die
Überlegenheit, mit welcher
3972 die Martier die kompliziertesten Gedankeng
änge behandelten und
3973 in einem allgemeinen Begriff jede einzelne seiner Anwendungen mit
3974 einemmal
überblickten, diese bewundernswerte Feinheit der
3975 Organisation des Martiergehirns kam den Deutschen zum erstenmal zum
3976 vollen Bewu
ßtsein, als sie die Gewandtheit bemerkten, mit
3977 welcher die Martier das Deutsche nicht nur erfa
ßten und
3978 gebrauchten, sondern gewisserma
ßen aus dem einmal begriffenen
3979 Grundcharakter die Sprache mit genialer Kraft nachschufen.
</p>
3980 <p>Grunthe und Saltner wurde es sehr bald klar, da
ß die
3981 Martier geistig in ganz unvergleichlicher Weise h
öher standen
3982 als das zivilisierteste Volk der Erde, wenn sie auch noch nicht zu
3983 übersehen vermochten, wie weit diese h
öhere Kultur reiche
3984 und was sie bedeute. Ein Gef
ühl der Dem
ütigung, das ja
3985 nur zu nat
ürlich war, wenn der Stolz des deutschen Gelehrten
3986 einer h
öheren Intelligenz sich beugen mu
ßte, wollte im
3987 Anfang die Gem
üter verstockt machen. Aber es konnte nicht
3988 lange vor der
überm
ächtigen Natur der Martier bestehen.
3989 Es wich widerstandslos der ungeteilten Bewunderung dieser
3990 h
öheren Wesen. Neid oder Ehrgeiz, es ihnen gleichzutun,
3991 konnten bei den Menschen gar nicht aufkommen, weil sie sich nicht
3992 einfallen lassen durften, sich mit den Martiern auf dieselbe Stufe
3993 der Einsicht stellen zu wollen.
</p>
3994 <p>Freilich wurden sie von den Martiern wie Kinder behandelt, denen
3995 man ihre Torheit liebevoll nachsieht, w
ährend man sie zu
3996 besserem Verst
ändnis erzieht. Aber davon merkten Grunthe und
3997 Saltner nichts. Denn die Martier, wenigstens diejenigen der Insel,
3998 waren viel zu klug und taktvoll, als da
ß sie je ihre
3999 Überlegenheit in direkter Weise geltend gemacht h
ätten.
4000 Sie wu
ßten es so einzurichten, da
ß den Menschen die
4001 Berichtigung ihrer Irrt
ümer als Resultat der eigenen Arbeit
4002 erschien, und ihre unvermeidlichen Mi
ßgriffe korrigierten sie
4003 mit entschuldigender Liebensw
ürdigkeit.
</p>
4004 <p>Die Wunder der Technik, welche die Forscher bei jedem Schritt
4005 auf der Insel umgaben, versetzten sie in eine neue Welt. Sie
4006 f
ühlten sich in der beneidenswerten Lage von Menschen, die ein
4007 m
ächtiger Zauberer der Gegenwart entr
ückt und in eine
4008 ferne Zukunft gef
ührt hat, in welcher die Menschheit eine
4009 h
öhere Kulturstufe erklommen hat. Die k
ühnsten
4010 Tr
äume, die ihre Phantasie von der Wissenschaft und Technik
4011 der Zukunft ihnen je vorgespiegelt hatte, sahen sie
4012 übertroffen. Von den tausend kleinen automatischen
4013 Bequemlichkeiten des t
äglichen Lebens, die den Martiern jede
4014 pers
önliche Dienerschaft ersetzten, bis zu den
4015 Riesenmaschinen, die, von der Sonnenenergie getrieben, den
4016 Marsbahnhof in sechstausend Kilometer H
öhe schwebend
4017 erhielten, gab es eine unersch
öpfliche F
ülle neuer
4018 Tatsachen, die zu immer neuen Fragen dr
ängten. Bereitwillig
4019 gaben die Wirte ihren G
ästen Auskunft, aber in den meisten
4020 F
ällen war es gar nicht m
öglich, ihnen den Zusammenhang
4021 zu erkl
ären, weil ihnen die Vorkenntnisse fehlten. Grunthe war
4022 in dieser Hinsicht so vorsichtig, nicht viel zu fragen; er suchte
4023 sich auf seine eigne Weise zurechtzufinden, sobald er sah,
4024 da
ß die Erkl
ärung der Martier
über seinen Horizont
4025 ging. Saltner machte sich weniger Skrupel dar
über.
»Das
4026 hilft nun nichts
«, pflegte er zu sagen,
»wir spielen
4027 einmal hier die wilden Indianer, und was wir nicht begreifen, ist
4029 <p>Als ihnen Hil zum erstenmal die Einrichtung erkl
ärt hatte,
4030 wodurch sich die Martier in ihren Zimmern den Druck der Erdschwere
4031 erleichterten, und Grunthe mit zusammengekniffenen Lippen in tiefes
4032 Nachdenken verfiel, sagte Saltner einfach:
»Medizin
«
4033 und hob Grunthe samt dem Stuhl, auf welchem er sa
ß, mit
4034 ausgestreckten Armen
über seinen Kopf. Diese Kraftleistung war
4035 zwar f
ür ihn bei der auf ein Drittel verringerten Erdschwere
4036 durchaus nichts Besonderes, lie
ß ihn aber doch den Martiern
4037 als einen Riesen an St
ärke erscheinen.
</p>
4038 <p>Das Zimmer, welches an die beiden Schlafzimmer von Grunthe und
4039 Saltner stie
ß, war f
ür den bequemen Verkehr der Martier
4040 mit den Menschen in eigent
ümlicher Weise eingerichtet worden.
4041 Da n
ämlich die Verringerung der Erdschwere, deren die Martier
4042 f
ür die Leichtigkeit ihrer Bewegungen bedurften, von Grunthe
4043 und Saltner nicht gut vertragen wurde, so hatte man es durch eine
4044 am Boden markierte Linie
– Saltner nannte sie den
4045 ›Strich
‹ – in zwei Teile zerlegt. Der abarische
4046 Apparat konnte f
ür die H
älfte des Zimmers, welche an die
4047 Wohnr
äume der Menschen grenzte, ausgeschaltet werden,
4048 w
ährend in dem
übrigen Teil die Gegenschwere auf das den
4049 Martiern gewohnte Ma
ß eingestellt wurde. Hier hielten sich
4050 die Martier auf, wenn sie bei den Deutschen ihre Besuche machten,
4051 w
ährend diese sich nach ihren W
ünschen eingerichtet
4052 hatten, soweit es mit den von den Martiern bereitwillig
4053 hergegebenen M
öbeln und den wenigen von ihnen selbst
4054 mitgebrachten Gegenst
änden geschehen konnte. Freilich
4055 beschr
änkte sich diese Einrichtung nur auf die Aufstellung
4056 eines Arbeitstisches, einiger B
ücher, Schreibmaterialien und
4057 Instrumente; denn in dieser Hinsicht wu
ßten die Forscher nur
4058 in der ihnen gewohnten Weise auszukommen. Was im
übrigen die
4059 Bequemlichkeiten des t
äglichen Lebens anbetraf, so waren sie
4060 nicht nur auf die Apparate und Gewohnheiten der Martier angewiesen,
4061 sondern fanden dieselben auch bald um so viel vorteilhafter und
4062 angenehmer, da
ß sie gern dar
über nachdachten, wie sie
4063 dergleichen in ihre Heimat verpflanzen k
önnten.
</p>
4064 <p>Saltner, der seinen photographischen Apparat unter den
4065 geretteten Gegenst
änden wiedergefunden hatte, konnte kaum Zeit
4066 genug gewinnen, alle die Ausstattungsst
ücke der Martier
4067 aufzunehmen und die g
änzlich neuen Formen der Verzierungen,
4068 die Gem
älde, Kunstwerke und Zimmerpflanzen abzubilden. Ein
4069 besonderes Studium machte er aus den Automaten, deren Mechanismus
4070 er zu ergr
ünden suchte und sich immer wieder aufs neue
4071 erkl
ären lie
ß.
</p>
4072 <p>Seine Beraterin in diesen Dingen war in der Regel die immer
4073 heitere Se, seine liebensw
ürdige Pflegerin beim ersten
4074 Erwachen. Sie hielt sich t
äglich einen gro
ßen Teil ihrer
4075 Zeit
über in dem gemeinschaftlichen Gesellschaftszimmer auf
4076 und machte den G
ästen gewisserma
ßen die Honneurs des
4077 Hauses. Dagegen bekam Saltner La nur selten zu sehen,
4078 gew
öhnlich nur des Abends, wenn sich die Martier in
4079 gr
ößerer Anzahl einzustellen pflegten. Und dann hielt
4080 sie sich gern zur
ück, obwohl er oft f
ühlte, da
ß
4081 ihre gro
ßen Augen mit einem sinnenden Ausdruck auf ihm
4082 ruhten. Sein lebhaftes Gespr
äch mit Se aber unterbrach sie
4083 h
äufig durch eine Neckerei. Da man sich meist bei
4084 ge
öffneten Fernh
örklappen unterhielt, so konnte man,
4085 sobald man wollte, einem Gespr
äch in einem andern Zimmer
4086 zuh
ören und sich hineinmischen; so war es nichts
4087 Ungew
öhnliches, da
ß man von einem Zwischenruf eines
4088 ungeahnten Zuh
örers unterbrochen wurde. Ebensowenig aber nahm
4089 es jemand
übel, wenn man einfach seine Klappe
4091 <p>Die Sprachstudien waren speziell zwischen La und Saltner nicht
4092 wieder aufgenommen worden. Denn La hatte noch mehrere Tage nach
4093 ihrem Unfall sich vollkommener Ruhe hingeben m
üssen, und als
4094 sie wieder gesundet war, fand sie das gegenseitige Verst
ändnis
4095 zwischen Menschen und Martiern schon ziemlich weit vorgeschritten.
4096 Aber auch sie hatte ihre unfreiwillige Mu
ße benutzt und nicht
4097 nur den Ellschen Sprachf
ührer, sondern auch die wenigen
4098 Nachschlagwerke, welche die Luftschiffer mit sich hatten,
4100 <p>Trotz des Eindrucks, den die reizende Se auf Saltners
4101 empf
ängliches Gem
üt machte, flogen seine Gedanken immer
4102 zu der stilleren, milden La zur
ück, und es war ihm stets wie
4103 eine leichte Entt
äuschung, wenn er sie im Zimmer nicht
4104 vorfand. Gerade da
ß er
öfter ihre tiefe Stimme vernahm,
4105 lie
ß ihn ihren Anblick um so mehr vermissen.
</p>
4106 <p>Las Zur
ückhaltung war nicht absichtslos. Da
ß sowohl
4107 sie wie Se eine unentrinnbare Gefahr f
ür Saltners Herz waren,
4108 lag ja f
ür beide auf der Hand, nachdem sie sich
überhaupt
4109 erst an den Gedanken gew
öhnt hatten, da
ß ein Mensch sich
4110 verlieben k
önne. Was aber Se h
öchst komisch vorkam und
4111 als
äu
ßerst spa
ßhaft erschien, das vermochte La so
4112 harmlos nicht anzusehen. Der
›arme Mensch
‹, mit dem
4113 Se sich so lustig unterhielt, war ihr doch in einem andern Licht
4114 erschienen, damals, als er, in seinem eignen Element t
ätig,
4115 Leistungen verrichtete, die
über das Verm
ögen der Nume
4117 <p>Sie konnte den Moment nicht vergessen, in welchem sie sich in
4118 seinen starken Armen vom vernichtenden Abgrund zur
ückgerissen
4119 f
ühlte. Und so blieb es ihr immer gegenw
ärtig, da
ß
4120 dieses Spielzeug der erhabenen Nume, wenn auch nur ein Mensch, doch
4121 ein freies Lebewesen sei, kein ebenb
ürtiger Geist, aber
4122 vielleicht ein ebenb
ürtiges Herz. Ein doppeltes Mitleid stritt
4123 mit sich selbst in ihrer Seele, sie vermochte ihn nicht zu
4124 kr
änken durch K
älte und Zur
ückweisung, und sie
4125 wollte nicht Gef
ühle erwecken, die ihm doch nur zu
4126 gr
ößerem Leid werden konnten. Wer kann wissen, wie
4127 Menschenherzen f
ühlen m
ögen? Vielleicht waren die
4128 Menschen viel st
ärker in ihren Gef
ühlen als in ihrem
4129 Verstand. Und sie war Saltner zu dankbar, um nicht f
ür ihn zu
4130 denken, was er wohl nicht verstand.
– Aber was tun?
</p>
4131 <p>W
äre Saltner ein Martier gewesen, so h
ätte es keiner
4132 Vorsicht f
ür La bedurft. Er h
ätte dann gewu
ßt,
4133 da
ß ihre Freundlichkeit und selbst ihre Z
ärtlichkeit
4134 nichts bedeuteten als das
ästhetische Spiel bewegter
4135 Gem
üter, das die Freiheit der Person nicht beschr
änken
4136 kann. Wie jedoch mochten Menschen in diesem Fall denken? Durfte sie
4137 hierin ohne weiteres gleiche Sitten voraussetzen? Und w
ürde er
4138 wohl verstehen, was von vornherein und immer den Menschen, den
4139 wilden Erdbewohner, von der heiteren Freiheit des erhabenen Numen
4140 trennte? Und lief er nicht Gefahr, bei Se demselben Schicksal zu
4141 verfallen, vor dem sie ihn selbst zu beh
üten suchte?
</p>
4142 <p>Wenn sie Se ihre Bedenken andeutete, so lachte diese nur.
</p>
4143 <p>»Aber La
«, sagte sie,
»du bist auch gar zu
4144 bed
ächtig! Ich bitte dich, er ist ja blo
ß ein Mensch! Es
4145 ist doch furchtbar komisch, wenn der sich M
ühe gibt, so recht
4146 liebensw
ürdig zu sein.
«</p>
4147 <p>»Du kannst aber nicht wissen
«, antwortete La,
4148 »ob ihm auch so furchtbar komisch zumute ist. Ein Tier, das
4149 wir necken, scheint uns oft
äu
ßerst l
ächerlich, und
4150 ich mu
ß dann doch immer denken, da
ß es vielleicht
4151 bitter dabei leidet. Und ein Mensch ist doch nicht blo
ß
4152 komisch
–«</p>
4153 <p>»Ich habe freilich noch keinen in einer Eisgrube
4154 gesehen
«, sagte Se,
»doch ich glaube, du brauchst dir
4155 um den keine Sorge zu machen. Wenn es dich aber beruhigt, so kann
4156 man ihn ja leicht merken lassen, wie
’s gemeint ist
4158 <p>»Ich will ihn aber nicht kr
änken.
«</p>
4159 <p>»Im Gegenteil, wir machen gemeinsame Sache. Wir binden ihn
4161 <p>»Meinst du, da
ß ein Mensch das Spiel
4162 versteht?
«</p>
4163 <p>»Na, wenn er so dumm ist
–«</p>
4164 <p>»Wir wissen doch gar nichts von den Anschauungen
4166 <p>»So werden wir uns eben alle drei belehren. Schade,
4167 da
ß der steife Grunthe nicht mitspielen kann. Willst
4169 <p>»Ich werde mir
’s
überlegen.
«</p>
4170 <p>La zog sich zu ihren Studien zur
ück. Se begab sich in das
4171 Gesellschaftszimmer, wo sie Saltner wieder mit Zeichnen
4172 besch
äftigt fand.
</p>
4173 <p>»Wenn ich mit meinen Mustern gl
ücklich nach
4174 Deutschland zur
ückkomme
«, rief er vergn
ügt,
4175 »so bin ich ein gemachter Mann.
›Martisch
‹
4176 mu
ß Mode werden. Ich gr
ünde einen Bazar f
ür
4177 Marswaren. Schade nur, da
ß wir die Rohstoffe nicht haben
4178 werden. Was ist das zum Beispiel f
ür ein wunderbares Gewebe,
4179 aus dem Ihr Schleier besteht? Die Stickerei darin bildet lauter
4180 funkelnde Sterne, die sich nirgends untereinander ber
ühren;
4181 nirgends ist ein Grund sichtbar, der sie zusammenh
ält. Es
4182 scheint, als schwebe eine Wolke von Funken um Sie her.
«</p>
4183 <p>»Das tut sie auch
«, sagte Se lachend,
»aber
4184 sie brennt nicht, f
ühlen Sie getrost! Kommen Sie
4185 gef
älligst hierher, denn
über den Strich gehe ich
4187 <p>Se hatte sich, mit einer chemischen Handarbeit besch
äftigt,
4188 auf einem der niedrigen Diwane, wie die Martier sie lieben,
4189 niedergelassen, w
ährend Saltner an seinem eigenh
ändig
4190 hergerichteten Pult sich befand. Er legte den Zeichenstift fort und
4191 trat an Se heran, die sich mit ihrem Diwan bis dicht an die
4192 Schwerkraftgrenze ger
ückt hatte.
</p>
4193 <p>»Geben Sie Ihre H
ände her
«, sagte Se.
</p>
4194 <p>Sie nahm ein Ende des langen Schleiers und band damit Saltners
4195 H
ände zusammen. Man konnte keinerlei Stoff erkennen. Es sah
4196 auch jetzt aus, als wenn ein Strom vom lichten Funken um seine
4197 H
ände st
öbe.
</p>
4198 <p>»F
ühlen Sie etwas?
« fragte Se.
</p>
4199 <p>»Jetzt, nachdem Sie Ihre Finger fortgenommen haben,
4200 nichts. Kann man denn den Stoff
überhaupt nicht
4201 f
ühlen?
«</p>
4202 <p>»Wenigstens nicht mit der groben Haut von euch
4203 Menschen.
«</p>
4204 <p>Saltner f
ührte die zusammengebundenen H
ände mit dem
4205 Schleier an seine Lippen.
</p>
4206 <p>»Doch
«, sagte er,
»mit den Lippen f
ühle
4207 ich, da
ß etwas zwischen meiner Hand und meinem Mund
4209 <p>»Nun strengen Sie einmal Ihre Riesenkr
äfte an, und
4210 rei
ßen Sie die H
ände voneinander.
«</p>
4211 <p>»Oh, das w
äre schade um den
4212 Funkenschleier.
«</p>
4213 <p>»Versuchen Sie es nur.
«</p>
4214 <p>Saltner zerrte seine H
ände auseinander, aber je heftiger er
4215 zog, um so enger schlo
ß sich der Knoten, und er merkte jetzt,
4216 wie sich die kleinen Sternchen in seine Haut eingruben.
</p>
4217 <p>»Ja
«, sagte Se,
»der Stoff ist
4218 unzerrei
ßbar, wenigstens kann er kolossale Lasten halten.
4219 Diese unsichtbar feinen F
äden, von denen jeder wohl einen
4220 Zentner tragen kann, sind f
ür viele unserer Apparate ein
4221 unentbehrlicher Bestandteil. Jetzt sind Sie also gefesselt und
4222 k
önnen ohne meine Erlaubnis nicht mehr fort.
«</p>
4223 <p>»Um die bitte ich auch gar nicht, ich finde es reizend
4224 hier
«, sagte Saltner und beugte sich
über die Lehne des
4225 Diwans, auf welche er die gebundenen H
ände st
ützte.
</p>
4226 <p>Se fa
ßte seinen Kopf zwischen ihre H
ände und bog ihn
4227 zu sich nieder, w
ährend sie ihm in die Augen sah, als wollte
4228 sie seine Gedanken ergr
ünden.
</p>
4229 <p>»Seid ihr eigentlich dumm, ihr Menschen?
« fragte sie
4231 <p>»Nicht so ganz
«, sagte Saltner, indem er sich noch
4232 tiefer herabbeugte.
</p>
4233 <p>»Der Strich!
« rief Se lachend und schob seinen Kopf
4234 leicht zur
ück.
»Geben Sie die H
ände her.
«</p>
4235 <p>Sie l
öste im Augenblick den Knoten und ergriff wieder die
4236 gl
äsernen St
äbchen, mit denen sie in einem
4237 Gef
äß auf besondere Weise hantierte.
</p>
4238 <p>»Sie haben mir noch immer nicht gesagt
«, sprach
4239 Saltner, nach seinem Pult zur
ückgehend,
»was f
ür
4240 ein Stoff das ist, auf dem die Stickerei sitzt.
«</p>
4241 <p>»Eine Stickerei ist es
überhaupt nicht, sondern es
4242 sind Dela
– wie hei
ßt das? Aus Muscheln, kleine
4243 Kristalle, die sich darin bilden.
«</p>
4244 <p>»Also etwas
Ähnliches wie unsere Perlen
4246 <p>»Aber sie leuchten von selbst. Und der Stoff ist
4248 <p>»Lis? Da bin ich ebenso klug.
«</p>
4249 <p>»Lis ist eine Spinne, sie webt ein fast unsichtbares
4251 <p>»Und wie findet man das auf? Wie webt man die
4252 F
äden?
«</p>
4253 <p>»Im polarisierten Licht, sehr einfach, und mit besonderen
4254 Maschinen. Und die Dela sind nicht daraufgesetzt, sondern sie
4255 liegen in Schlingen zwischen d
ünnen Schichten des
4257 <p>»Sie nannten die Dela Kristalle
– wie ist es denn
4258 m
öglich, da
ß sie dieses Eigenlicht dauernd aussenden,
4259 ähnlich wie unsre Gl
ühw
ürmchen?
«</p>
4260 <p>»Sie m
üssen nat
ürlich von Zeit zu Zeit ins
4261 Strahlbad, dann leuchten sie wieder ein paar Tage.
«</p>
4262 <p>»Ins Strahlbad?
«</p>
4263 <p>»Nun ja, sie werden einer starken, k
ünstlichen
4264 Bestrahlung ausgesetzt. Das Licht trennt einen Teil der chemischen
4265 Stoffe der Kristalle voneinander, und indem diese sich nachher
4266 langsam wieder vereinigen, entsteht das Selbstleuchten.
«</p>
4267 <p>»Also was wir Phosphoreszenz nennen. Und was haben Sie
4268 dort f
ür eine Handarbeit?
«</p>
4269 <p>Se antwortete nicht sogleich. Sie stellte gerade eine
4270 Kopfrechnung an, die sich auf ihre Arbeit bezog, und betrachtete
4271 dabei den Sekundenzeiger der Zimmeruhr.
</p>
4272 <p>Da klang die Klappe des Fernsprechers, und gleich darauf vernahm
4273 man die Stimme von La. Sie fragte an, ob die
4274 ›Menschen
‹ f
ür einige Herren der Insel zu
4276 <p>»Es wird mir sehr angenehm sein, die Herren zu
4277 sehen
«, sagte Saltner.
»Mein Freund ist augenblicklich
4278 nicht anwesend, aber ich werde ihn sogleich rufen.
«
4280 <h2>12 - Die Raumschiffer
</h2>
4281 <p>Grunthe besch
äftigte sich auf der Oberfl
äche der Insel
4282 mit Messungen. Was ihn sowohl wie Saltner besonders wunderte, war
4283 der Umstand, da
ß die vom Ballon aus beobachtete Erdkarte auf
4284 dem Dach der Insel selbst durchaus nicht sichtbar war. Wie kamen
4285 die Martier
überhaupt auf die Idee, eine solche Riesenkarte
4286 anzubringen, und auf welche erstaunliche Weise war sie hergestellt?
4287 Aber gerade dar
über konnten die Forscher auf ihre Fragen keine
4288 Auskunft erhalten.
</p>
4289 <p>Grunthe liebte es, sich soviel als m
öglich im Freien
4290 aufzuhalten, um sowohl die technischen Einrichtungen der Insel als
4291 auch die Erscheinungen der Natur am Nordpol zu studieren, ja er
4292 hatte schon mit Unterst
ützung einiger Martier Bootfahrten auf
4293 dem Binnenmeer und ebenfalls bis zum gegen
überliegenden Ufer
4294 vorgenommen, ohne jedoch auf weitere Spuren von Torm zu treffen. Er
4295 hatte dabei bemerkt, da
ß die Polinsel infolge ihrer
4296 versteckten Lage zwischen den
übrigen h
öheren Inseln von
4297 den Ufern des Bassins aus
überhaupt nicht wahrnehmbar und
4298 somit gegen zuf
ällige Entdeckung gesch
ützt war. So
4299 ernsthaft ihn diese Studien besch
äftigten, war es ihm doch
4300 nebenbei sehr angenehm, mit einem triftigen Vorwand sich von dem
4301 Konversationszimmer fernzuhalten. Denn hier waren einen
4302 gro
ßen Teil des Tages
über Se oder La, manchmal auch
4303 eine oder die andre der
übrigen auf der Insel wohnenden Frauen
4304 anwesend, und die Aufgabe der H
öflichkeit, sich mit diesen zu
4305 unterhalten,
überlie
ß er gern Saltner, der sich
4306 derselben mit Vorliebe unterzog. Im Freien dagegen war er ziemlich
4307 sicher, keiner von den Damen zu begegnen. Au
ßerhalb der
4308 Schutzvorrichtungen, die sie von einem Teil der Erdschwere
4309 befreiten, war ihnen der Aufenthalt zu l
ästig; und sie
4310 wu
ßten wohl, da
ß der schwerf
ällige Schritt und die
4311 gebeugte Haltung, die ihnen dort die eigene K
örperlast
4312 auferlegte, ihre Anmut keineswegs erh
öhten. Insbesondere den
4313 Menschen gegen
über, die sich hier ungezwungen in ihrem Element
4314 f
ühlten, zeigten sie sich nicht gern in dem Zustand physischer
4316 <p>Da Saltner wu
ßte, da
ß sich Grunthe in der N
ähe
4317 aufhielt, konnte er ihn leicht benachrichtigen.
</p>
4318 <p>Die Zahl der auf der Insel befindlichen Martier war nicht
4319 unbedeutend, sie mochte gegen dreihundert Personen betragen,
4320 worunter sich ungef
ähr f
ünfundzwanzig Frauen, aber keine
4321 Kinder befanden. Die Lebensweise dieser Kolonie entsprach nicht den
4322 Gewohnheiten der Martier auf ihrem eigenen Planeten; es waren nicht
4323 Familien, die sich hier angesiedelt hatten, sondern die Kolonisten
4324 bildeten eine ausgew
ählte Truppe mit milit
ärischer
4325 Organisation, wie sie von den Martiern zur Vornahme wichtiger
4326 öffentlicher Arbeiten ausger
üstet wurde. Aber auch hier
4327 war dem Bed
ürfnis der Nume nach m
öglichst gro
ßer
4328 individueller Unabh
ängigkeit Rechnung getragen. Die einzelnen
4329 hatten sich je nach ihrer pers
önlichen Neigung zu Gruppen
4330 zusammengefunden und danach ihre Wohnung auf der Insel
4331 gew
ählt. Jede dieser Gruppen wurde durch einen der
4332 älteren Beamten geleitet, der die Ordnung der Arbeiten
4333 verteilte. Ihm stand eine der Damen zur Seite, welche
4334 gewisserma
ßen die h
äusliche Wirtschaft der Gruppe
4335 f
ührte, die Verteilung der Nahrungsmittel beaufsichtigte und
4336 die regelm
äßige Funktion der Automaten kontrollierte,
4337 w
ährend jedes Mitglied einer Gruppe eine bestimmte Zeit der
4338 Bedienung dieser Automaten widmete.
</p>
4339 <p>Die Pflege der beiden G
äste hatten die Gruppen des
4340 Ingenieurs Fru und des Arztes Hil
übernommen, denen als
4341 weibliche Assistenten La und Se angeh
örten. Es war
4342 nat
ürlich, da
ß Saltner und Grunthe haupts
ächlich
4343 mit den Mitgliedern dieser Gruppe verkehrten, wozu sich noch als
4344 t
äglicher Gast der Direktor der Kolonie, Ra, gesellte. Mit den
4345 übrigen Gruppen waren sie bisher nur gelegentlich in
4346 Ber
ührung gekommen.
</p>
4347 <p>Die Martier, welche im Begriff standen, ihren Besuch bei den
4348 G
ästen zu machen, geh
örten der Gruppe des Ingenieurs Jo
4349 an, dessen T
ätigkeit Grunthe und Saltner haupts
ächlich
4350 ihre Rettung verdankten. Selbstverst
ändlich hatten sie nicht
4351 vers
äumt, ihm alsbald nach ihrer Wiederherstellung ihren
4352 herzlichsten Dank abzustatten.
</p>
4353 <p>Mit ihnen zusammen erschien La. Sie trat zuerst Saltner entgegen
4354 und bot ihm mit einem reizenden L
ächeln
über den
4355 ›Strich
‹ hin
über ihre Hand. Aber ehe noch
4356 Saltner in ein Gespr
äch mit ihr kam, wu
ßte Se sie
4357 beiseite zu ziehen. W
ährend Jo mit Saltner sprach,
4358 unterhielten sich die beiden Damen eifrig und leise, worauf Se das
4359 Zimmer verlie
ß. Jo begr
üßte Saltner in seiner
4360 offenen, nach martischen Begriffen etwas derben Weise und nannte
4361 die Namen seiner Begleiter. Jeder von ihnen gr
üßte nach
4362 martischer Sitte, indem er die linke Hand ein wenig erhob und die
4363 Finger derselben leicht
öffnete und schlo
ß. Saltner
4364 bewies die Fortschritte in seiner Bildung dadurch, da
ß er den
4365 Gru
ß in derselben Weise erwiderte. Die Martier wollten ihm
4366 jedoch an H
öflichkeit nicht nachstehen und sch
üttelten
4367 ihm der Reihe nach auf deutsche Weise die rechte Hand, ohne sich
4368 merken zu lassen, wie sehr diese barbarische Zeremonie sie
4369 innerlich belustigte. Sie h
üteten sich dabei sorglich, den
4370 Strich zu
überschreiten, jenseits dessen die Erdschwere
4372 <p>Auf Saltners Einladung nahmen sie an der breiten Tafel in der
4373 Mitte des Zimmers Platz. Man hatte dieses Zimmer in R
ücksicht
4374 auf zahlreiche Versammlungen so eingerichtet, da
ß ein
4375 gro
ßer Tisch die L
änge desselben erf
üllte und mit
4376 dem einen Ende
über den
›Strich
‹
4377 hin
überragte. Hier befanden sich die Pl
ätze f
ür die
4378 beiden Deutschen. In den Besuchsstunden, besonders aber am Abend,
4379 wenn die Arbeiten des Tages beendet waren, pflegte sich hier stets
4380 eine gr
ößere Gesellschaft zusammenzufinden. Dann wurde
4381 auch bei gemeinschaftlichen Gespr
ächen eine leichte
4382 Erfrischung in Form von Getr
änken eingenommen. Die Einhaltung
4383 dieser Plauderstunden war eine feststehende Sitte der Martier. Die
4384 Mahlzeiten dagegen, welche wirklich zur S
ättigung dienten,
4385 fanden niemals gemeinschaftlich statt; dies galt bei den Martiern
4386 als unpassend. Beim Essen schlo
ß sich ein jeder ab, und schon
4387 da
ß Saltner und Grunthe gemeinschaftlich zu speisen pflegten,
4388 erschien den Martiern als ein Zeichen der stark tierischen Natur
4389 der Menschen. Nach ihrer Ansicht war die S
ättigung eine
4390 physische Verrichtung, welche nicht in die Gesellschaft
4391 geh
örte; in dieser wurden nur
ästhetische Gen
üsse
4392 gestattet. Zu solchen
ästhetischen Gen
üssen geh
örten
4393 Essen und Trinken allerdings auch, insofern sie dem reinen
4394 Wohlgefallen am Geschmack entsprachen und sich der Empfindungen der
4395 Zunge und des Gaumens nur zum freien Spiel bedienten, nicht aber
4396 insofern sie den Zweck der Ern
ährung und die Stillung des
4397 k
örperlichen Bed
ürfnisses zu erf
üllen bestimmt
4399 <p>Auf Las Aufforderung, welche jetzt die Stelle der Wirtin
4400 vertrat,
öffneten die Martier die auf dem Tisch stehenden
4401 K
ästchen und bedienten sich der darin befindlichen Piks.
</p>
4402 <p>Der Gebrauch dieser Piks ersetzte den Martiern in vollkommener
4403 Weise den Genu
ß, welchen die Menschen durch das Rauchen
4404 erreichen, ein leichtes, die Sinne m
äßig
4405 besch
äftigendes und die Nerven beruhigendes, damit den ganzen
4406 Gem
ütszustand behaglich hebendes Spiel, das aber dem Rauchen
4407 gegen
über den Vorteil hatte, da
ß es die Luft nicht
4408 verdarb und die
übrigen Anwesenden nicht bel
ästigte. Die
4409 Piks bestanden in Kapseln, etwa in der Gr
öße und Gestalt
4410 einer kleinen Taschenuhr, die an leichte Aluminiumst
äbe
4411 gesteckt und dadurch bequem hin und her bewegt wurden. Brachte man
4412 diese Kapsel, w
ährend man den Stiel in der Hand hielt, an die
4413 Stirn, so ging ein schwacher, angenehm erregender Wechselstrom
4414 durch den K
örper, wodurch man sich wohltuend erfrischt
4415 f
ühlte. Die Bewegung der Hand und das Streichen der Stirn und
4416 Schl
äfen war ein sehr anmutiger Zeitvertreib. Dabei zeigte
4417 sich auf der Kapsel ein zartes Farbenspiel je nach der
4418 Gr
öße des Widerstandes, den der Strom fand, und die Art
4419 der Ber
ührung, die Wendungen des Piks boten eine reiche
4420 Abwechslung der Besch
äftigung. Der Kenner wu
ßte diese
4421 leichten Reize des Gef
ühls aufs feinste zu variieren. Wegen
4422 der Grazie und Zierlichkeit der Bewegungen, mit denen Se und La die
4423 Piks zu handhaben pflegten, hatte Saltner diesen Instrumenten den
4424 Namen Nervenf
ächer beigelegt.
</p>
4425 <p>»Freut mich sehr
«, sagte Jo, mit seinem Pik an die
4426 Stirn klopfend,
»den Herrn Bat wieder wohlzusehen.
4427 H
ätt
’s nicht gedacht, als wir Sie unter dem Ballon
4428 hervorholten. Habe leider wenig Zeit gehabt, mit Ihnen zu plaudern,
4429 h
ätte gern etwas
über Ihre Luftfahrt
4430 geh
ört.
«</p>
4431 <p>»Dazu ist hoffentlich noch Gelegenheit
«, sagte
4433 <p>»F
ürchte nein
«, erwiderte Jo.
»Kommen
4434 n
ämlich, uns zu verabschieden. Morgen geht
’s
4436 <p>»Wie?
« fragte Saltner erstaunt.
</p>
4437 <p>Jo deutete mit dem Pik nach einer Stelle des Fu
ßbodens und
4438 sagte:
»Nu.
«</p>
4439 <p>Saltner mu
ßte sich erst besinnen, da
ß Jo mit seiner
4440 Bewegung die Richtung nach dem Mars bezeichne, denn
4441 unwillk
ürlich stellte er sich die Fahrt nach dem Mars immer
4442 als einen Aufstieg gegen den Himmel vor. Aber der Mars befand sich
4443 gegenw
ärtig unter dem Horizont, und dahin deutete Jo.
</p>
4444 <p>»Sie sollten mit uns kommen
«, sagte Jo
4445 l
ächelnd.
»Das ist doch noch ganz etwas anderes bei uns
4446 auf dem Mars wie hier auf der schweren Erde, wo man sich genieren
4447 mu
ß, vor die T
ür zu gehen.
«</p>
4448 <p>»Ich danke
«, erwiderte Saltner,
»ich
4449 f
ürchte, auf dem Mars Spr
ünge zu machen, die mir nicht
4450 gut bekommen w
ürden. Interessant w
äre es ja freilich,
4451 Ihre wunderbare Heimat kennenzulernen, aber glauben Sie denn,
4452 da
ß ein Mensch bei Ihnen existieren kann?
«</p>
4453 <p>»Gewi
ß k
önnte er das
«, sagte einer der
4454 anwesenden Martier,
»und zwar viel besser, als wir auf der
4455 Erde fortkommen. Ich bin
überzeugt, da
ß Sie sich an die
4456 geringere Schwere bald gew
öhnen w
ürden und ebenso an die
4457 d
ünnere Luft. Beide Umst
ände kompensieren sich
4458 einigerma
ßen in der Wirkung auf den Organismus, und Sie
4459 m
üssen wissen, da
ß die Luft bei uns relativ reicher an
4460 Sauerstoff ist als hier. Wie w
äre es auch sonst m
öglich,
4461 da
ß die Bewohner beider Planeten eine so gro
ße
4462 Ähnlichkeit besitzen?
«</p>
4463 <p>»Ich bin Ihnen sehr verbunden f
ür dieses
4464 Kompliment
«, antwortete Saltner,
»indessen ist unsere
4465 Expedition doch nicht auf einen so weiten Ausflug eingerichtet, und
4466 wir m
üssen zun
ächst daran denken, wieder nach Hause zu
4468 <p>»Es wird Ihnen wohl etwas einsam hier werden
«
4469 mischte sich La in das Gespr
äch.
</p>
4470 <p>»Wie
«, fragte Saltner
überrascht,
»gehen
4471 Sie auch fort?
«</p>
4472 <p>»Morgen noch nicht, aber im Verlauf der n
ächsten
4473 – – ja, ich will es Ihnen lieber in Ihre Zeitrechnung
4474 nach Erdtagen
übersetzen
–, also in den n
ächsten
4475 vierzehn Tagen ungef
ähr werden wir fast alle die Erde
4476 verlassen haben.
«</p>
4477 <p>»Aber davon h
öre ich das erste Wort.
«</p>
4478 <p>»Weil wir
überhaupt noch nicht von der Zukunft
4479 gesprochen haben
–«</p>
4480 <p>»Es ist wahr, die Gegenwart war zu sch
ön und zu reich
4482 <p>»Nun, werden Sie nicht melancholisch! Und dann versteht es
4483 sich ja doch von selbst, da
ß wir im Winter nicht hierbleiben,
4484 ausgenommen die W
ächter.
«</p>
4485 <p>»Was f
ür W
ächter?
«</p>
4486 <p>»Wir erwarten sie mit dem n
ächsten Fahrzeug vom
4487 Nu
«, sagte Jo.
»Sie sind unsre Abl
ösung
–
4488 nur zw
ölf Mann, die hier
überwintern und die Insel
4489 bewachen. Im Winter k
önnen wir unsre Arbeiten nicht
4490 fortsetzen, und die ganze Insel zu heizen, das w
äre denn doch
4491 zu kostspielig.
«</p>
4492 <p>»Und kommen Sie im Sommer zur
ück?
«</p>
4493 <p>»Wir oder andere.
«</p>
4494 <p>»Und ich denke, Sie bringen die Polarnacht nicht hier auf
4495 der Insel zu, sondern bei uns. Dort, wo wir auf dem Mars wohnen,
4496 haben wir dann gerade unsern herrlichen Sp
ätsommer. Und wenn
4497 die Sonne hier am Nordpol wieder aufgeht, reisen Sie vom Mars ab
4498 und kommen dann im Lauf Ihres Mai hier an. Das ist gerade die
4499 rechte Zeit f
ür den Pol
– und dann werden Sie, denke
4500 ich, Ihre Freunde vom Mars zu Ihren Landsleuten zu f
ühren
4501 wissen. Sie brauchen aber nicht jetzt schon mit Jo zu reisen, wir
4502 verlassen die Erde erst mit dem letzten Schiff.
«</p>
4503 <p>La hatte dies zu Saltner gesagt. Und als sie ihn dabei so
4504 freundlich ansah, schien es ihm, als k
önne es gar nicht anders
4505 sein, er m
üsse mit nach dem Mars gehen. Aber was w
ürde
4506 Grunthe dazu sagen?
</p>
4507 <p>Allerdings hatten weder Saltner noch Grunthe bisher mit den
4508 Martiern
über ihre n
ächste Zukunft gesprochen. Das hatte
4509 verschiedene Ursachen in zuf
älligen Umst
änden. Der
4510 Hauptgrund war jedoch, wohl ohne da
ß die beiden Deutschen
4511 sich dar
über klar wurden, da
ß die Martier bisher es
4512 absichtlich vermieden hatten, sich
über diese Frage zu
4513 äu
ßern. Sie hatten selbst noch keinen Entschlu
ß
4514 gefa
ßt. Auf die erste Lichtdepesche nach dem Mars
über
4515 die Auffindung der Menschen hatte die Zentralregierung der
4516 Marsstaaten geantwortet, da
ß man zun
ächst die Fremdlinge
4517 beobachten und ausforschen und dann
über sie Bericht erstatten
4518 solle. Dieser Bericht war vor kurzem abgegangen, die Antwort jedoch
4519 noch nicht eingetroffen. Deshalb hatten die Martier jede Hindeutung
4520 auf das weitere Schicksal ihrer G
äste vermieden, und sobald
4521 Grunthe und Saltner eine Frage in dieser Hinsicht zu stellen oder
4522 einen Wunsch zu
äu
ßern versuchten, waren sie
4523 dar
über mit einer ausweichenden Antwort hinweggegangen. Wenn
4524 aber die Martier auf irgendeine Frage nicht eingehen wollten, so
4525 war es f
ür die Menschen ganz unm
öglich, sie dahin zu
4526 bringen. Die Leichtigkeit, mit welcher sie die Gedanken lenkten,
4527 und die
Überlegenheit ihres Willens waren so gro
ß,
4528 da
ß die Menschen ihnen folgen mu
ßten und dabei kaum
4529 merkten, da
ß sie geleitet wurden. Aber Grunthe wie Saltner
4530 waren in der Tat noch so erf
üllt von den Aufgaben, die ihnen
4531 auf der Insel gestellt waren, da
ß sie die Pl
äne
4532 über die Fortsetzung ihrer Reise selbst in ihren
4533 Gespr
ächen untereinander nur vor
übergehend ber
ührt
4534 hatten. Sie hatten sich zwar vorgenommen, in den n
ächsten
4535 Tagen einen definitiven Entschlu
ß zu fassen und zu gelegener
4536 Zeit mit den Martiern dar
über zu reden, bis jetzt war es aber
4537 noch nicht dazu gekommen. Grunthe glaubte n
ämlich, da
ß
4538 sie, falls nur die Erlaubnis der Martier erlangt war, jederzeit die
4539 Insel ohne Schwierigkeit w
ürden verlassen k
önnen, weil er
4540 nach einer allerdings nur vorl
äufigen Untersuchung sich
4541 f
ür
überzeugt hielt, da
ß der Ballon mit
4542 verh
ältnism
äßig geringer M
ühe sich wieder
4543 herstellen lie
ße. Mit dem gr
ößten Teil ihrer
4544 Ausr
üstung waren auch einige Reservebeh
älter gerettet
4545 worden, die komprimierten Wasserstoff enthielten. Allerdings konnte
4546 derselbe zu einer vollst
ändigen F
üllung des Ballons nicht
4547 ausreichen. Doch hoffte Grunthe, von den Martiern die Mittel zur
4548 gen
ügenden Entwicklung des Gases zu erhalten. Er hatte bei
4549 seinen Studien auf der Insel gesehen, da
ß die Martier
4550 über so gewaltige Mengen elektrischen Stromes verf
ügten,
4551 da
ß er dadurch den Wasserstoff leicht aus dem Wasser des
4552 Meeres erhalten konnte. Sollte ihm aber hierzu die Beihilfe
4553 verweigert werden, so war er entschlossen, den Ballon entsprechend
4554 zu verkleinern und mit dem Reservevorrat an Gas und nur dem
4555 notwendigsten Gep
äck die Heimreise anzutreten. Er hatte in der
4556 Bibliothek der Martier die Witterungsbeobachtungen gefunden, welche
4557 Jahre hindurch von ihnen am Nordpol ausgef
ührt waren. Daraus
4558 hatte er entnommen, da
ß w
ährend des Novembers
4559 regelm
äßig andauernd nach Europa hinwehende Winde
4560 einzutreten pflegten, da
ß er aber fr
üher keine Aussicht
4561 hatte, g
ünstige Windverh
ältnisse zu erwarten. Demnach
4562 mu
ßte er sich entscheiden, ob er sich jetzt, kurz vor Beginn
4563 der Polarnacht, unbestimmten atmosph
ärischen
4564 Verh
ältnissen anvertrauen wollte, oder ob er mitten in der
4565 Polarnacht es wagen wollte, bei g
ünstigem Wind aufzusteigen.
4566 Das letztere schien ihm das Empfehlenswertere zu sein, da er bei
4567 gutem Wind hoffen durfte, in wenigen Tagen bewohnte Gegenden zu
4569 <p>Diese
Überlegungen, welche Grunthe f
ür sich angestellt
4570 hatte, waren von ihm zwar Saltner gegen
über beil
äufig
4571 erw
ähnt worden, doch hatte sie dieser, eben weil sie die Zeit
4572 zur Ausf
ührung noch nicht f
ür gekommen hielten,
4573 zun
ächst nicht weiter erwogen. Ihm war vorl
äufig die
4574 Gegenwart alles, und jetzt erst stellten ihn Las Worte unmittelbar
4575 vor die Frage, was zu tun sei, wenn die Martier fast s
ämtlich
4576 die Insel verlie
ßen. Zugleich aber schien ihm im Augenblick
4577 eine so schnelle Trennung von seinen innig verehrten Gastfreunden
4578 und von La und Se insbesondere als etwas kaum M
ögliches. Indem
4579 ihm Grunthes Pl
äne momentan durch den Kopf schossen,
4580 f
ühlte er doch, da
ß er nicht sofort eine Zusage geben
4581 d
ürfe, und in seiner Verwirrung z
ögerte er mit der
4582 Antwort, w
ährend die Martier mit allerlei verlockenden
4583 Schilderungen Las Einladung unterst
ützten.
</p>
4584 <p>Zum Gl
ück trat Grunthe jetzt ein, und die Zeremonie der
4585 Begr
üßung mit den Martiern wiederholte sich. Nur La, an
4586 welcher Grunthe nach M
öglichkeit vorbeisah, mu
ßte sich
4587 mit einem steif ausfallenden martischen Fingergru
ß
4588 begn
ügen. Sie l
ächelte zu Saltner hin
über, und ihr
4589 Blick schien sagen zu wollen:
»Wir werden ihn doch
4590 mitnehmen.
«</p>
4591 <p>Grunthe hatte bereits auf dem Weg von Hil geh
ört, da
ß
4592 morgen ein Fahrzeug nach dem Mars abgehe.
</p>
4593 <p>»Wie viele Nume verlassen uns denn?
« fragte er.
</p>
4594 <p>»Dreiundf
ünfzig, darunter f
ünf Damen
«,
4596 <p>»Dann ist es wohl ein bedeutendes Fahrzeug? Wenn ich recht
4597 geh
ört habe, sind selbst Ihre gr
ößten Raumschiffe
4598 nicht auf viel mehr berechnet.
«</p>
4599 <p>»Das ist richtig. Auf mehr wie sechzig k
önnen wir
4600 unsere Schiffe nicht gut einrichten, das Verh
ältnis zu den
4601 Richt-Bomben wird sonst zu ung
ünstig. Aber der
4602 ›Komet
‹ ist ein vorz
ügliches Fahrzeug und
4603 tr
ägt gut seine sechzig Personen
– Sie haben also noch
4604 bequem Platz, und ich w
ürde mich sehr freuen, Sie
4605 mitzunehmen.
«</p>
4606 <p>»Sie sind selbst der Kommandant?
« fragte
4608 <p>»Ich habe die Ehre, das Raumschiff
›Komet
‹
4609 zu f
ühren, bestimmt nach der S
üdstation des Mars. Sie
4610 fahren darin sicherer durch den Weltraum als in Ihrem Ballon durch
4611 die Luft der Erde. Also abgemacht, kommen Sie mit?
«</p>
4612 <p>»Daran ist nicht zu denken
«, sagte Grunthe
4613 l
ächelnd.
»Aber es w
ürde mich sehr interessieren,
4614 der Abfahrt beizuwohnen. Wann findet sie statt?
«</p>
4615 <p>»64,
63«, erwiderte Jo.
</p>
4616 <p>Grunthe sah ihn fragend an.
</p>
4617 <p>»Mittlere Marsl
änge
«, f
ügte Jo hinzu.
</p>
4618 <p>»Sie m
üssen schon
«, begann La,
»den
4619 Herren alle Ma
ßangaben in ihre irdische Rechnungsweise
4620 umrechnen. In unsre Messungsmethode k
önnen sie sich nicht so
4621 schnell hineinfinden. Morgen um
1,
6 ist die Abfahrt, das
4622 hei
ßt nach Ihrer Stundenrechnung um drei Uhr. Sehen Sie sich
4623 nur die Sache einmal an, Grunthe, Sie werden Lust bekommen, bald
4624 selbst eine Fahrt mitzumachen. In der n
ächsten Zeit geht jeden
4625 dritten Tag ein Schiff ab!
«</p>
4626 <p>»Der Mars
«, fiel Jo ein,
»ging sechs Tage vor
4627 Ihrer Ankunft durch sein Perihel
– ich meine den Punkt, wo er
4628 der Sonne am n
ächsten steht
–, und da er sich gerade
4629 jetzt auch in der Erdn
ähe befindet
– Sie wissen,
4630 da
ß die Opposition vor wenigen Tagen stattfand
–, so
4631 gibt es keine g
ünstigere Reisezeit. Aber
›piken
‹
4632 Sie denn nicht?
«</p>
4633 <p>»Ich danke, niemals
«, sagte Grunthe, die angebotenen
4634 Piks zur
ückweisend. Dabei starrte er geradeaus und zog seine
4635 Lippen zusammen. Er rechnete in der Eile die augenblickliche
4636 Entfernung von Mars und Erde aus.
</p>
4637 <p>»Wie lange Zeit pflegen Sie denn zur Fahrt zu
4638 brauchen?
« fragte Saltner.
</p>
4639 <p>»Das kommt ganz auf die Umst
ände an. Bei
4640 g
ünstiger Stellung der Planeten l
äßt sich die Reise
4641 auf drei
ßig Ihrer Tage und weniger reduzieren, ja wenn wir
4642 t
üchtige Bombenhilfe geben, was freilich sehr teuer wird, so
4643 k
önnte man bei so gro
ßer Planetenn
ähe wie jetzt
4644 sogar auf acht oder neun Tage herabkommen. Aber ich mu
ß
4645 freilich bemerken, da
ß man eine solche Geschwindigkeit von
90
4646 bis
100 Kilometern in der Sekunde nur unter ganz besonderen
4647 Umst
änden benutzen w
ürde.
«</p>
4648 <p>»Ich begreife
überhaupt noch nicht
«, sagte
4649 Grunthe, sich wieder am Gespr
äch beteiligend,
»wie sie
4650 Ihre Geschwindigkeit und Richtung in
4651 verh
ältnism
äßig so kurzer Zeit ver
ändern
4652 k
önnen. Ich wei
ß, da
ß Sie Ihr Fahrzeug mehr oder
4653 weniger diabarisch machen, da
ß Sie also die Anziehung der
4654 Sonne schw
ächer oder auch gar nicht auf dasselbe einwirken
4655 lassen k
önnen. Bei der Abfahrt heben Sie die Gravitation ganz
4656 auf, um zun
ächst gen
ügend weit aus dem Anziehungsbereich
4657 der Erde zu kommen, nicht wahr?
«</p>
4658 <p>»Ganz richtig. Aber sprechen Sie, bitte, weiter, damit ich
4659 sehe, wie weit Sie mit den Prinzipien unserer Raumreisen vertraut
4661 <p>»Wenn Sie abreisen, verlassen Sie also die Erde und die
4662 Erdbahn in der Richtung ihrer Tangente mit einer Geschwindigkeit
4663 von etwa
30 Kilometern in der Sekunde, denn das ist die
4664 Geschwindigkeit der Erde in ihrer Bahn, die Sie nach dem
4665 Beharrungsgesetz beibehalten. Sie kommen dadurch in immer
4666 gr
ößere Entfernung von der Sonne. Wenn Sie nun die
4667 Gravitation wieder wirken lassen, vielleicht nur schwach, so wird
4668 das denselben Erfolg haben, als wenn Sie sich mit der
4669 Geschwindigkeit der Erde in sehr gro
ßer Entfernung von der
4670 Sonne, zum Beispiel in der Entfernung des Uranus bef
änden, und
4671 die Bahn m
üßte dann eine hyperbolische werden, Sie
4672 w
ürden sich auf einer Hyperbel von der Sonne
4673 entfernen.
«</p>
4674 <p>Jo machte ein Zeichen der Zustimmung.
</p>
4675 <p>»Nun kann ich mir wohl denken
«, fuhr Grunthe fort,
4676 »da
ß Sie durch geschickte Kombinierung solcher Bahnen,
4677 indem Sie die Gravitation schw
ächen oder verst
ärken, in
4678 das Anziehungsgebiet des Mars gelangen k
önnen. Aber ich
4679 verstehe nicht, wie dies in so kurzer Zeit m
öglich ist. Sie
4680 m
üssen jedenfalls einen sehr weiten Weg durchlaufen, und wenn
4681 Sie sich von der Sonne entfernen wollen, so wird doch unter dem
4682 Einflu
ß der Gravitation Ihre Geschwindigkeit immer kleiner,
4683 niemals aber gr
ößer.
«</p>
4684 <p>»Sie haben darin vollkommen recht
«, erwiderte Jo.
4685 »Dies war der einzige Weg, der unsern Raumschiffern in der
4686 ersten Zeit unserer Weltraumfahrten zu Gebote stand. Sie hatten
4687 damals nur das Mittel der Gravitations
änderung, infolgedessen
4688 waren die Fahrten sehr zeitraubend, m
ühsam und
4689 gef
ährlich. Man konnte unter Umst
änden Jahre brauchen, um
4690 von der Erde bis in die N
ähe des Mars zur
ückzugelangen,
4691 und ein kleiner Fehler in der Berechnung oder eine unvorhergesehene
4692 St
örung konnte weitere Jahre kosten. Ja, wir haben damals noch
4693 manches Schiff verloren, von dem man nie wieder etwas geh
ört
4695 <p>»Und wieso ist das jetzt besser geworden?
« fragte
4697 <p>»Sie scheinen noch nichts von der Speschen Erfindung der
4698 Richtsch
üsse zu wissen
«, bemerkte Jo.
</p>
4699 <p>»Was ist das?
«</p>
4700 <p>»Das ist alles zugleich, was bei Ihren Schiffen Schraube,
4701 Steuer und Anker sind. Wir k
önnen dadurch unsere
4702 Geschwindigkeit vergr
ößern, verringern, vernichten und
4703 umkehren sowie in jede beliebige Richtung lenken. Da es sich dabei
4704 aber um kolossalen Energieaufwand handelt, wie Sie sich denken
4705 k
önnen
– wir haben es ja mit Geschwindigkeiten von
4706 durchschnittlich
30 Kilometer zu tun, deren Quadrate hier in Ansatz
4707 kommen
–, so benutzen wir sie nur mit Ma
ß. Die
4708 Gravitation arbeitet billiger.
«</p>
4709 <p>Grunthe schwieg. Es war ihm unheimlich, sich dieser Macht
4710 gegen
über zu f
ühlen, welche selbst die Herrschaft der
4711 Sonne im Weltraum zu b
ändigen wu
ßte.
</p>
4712 <p>»Wie in aller Welt ist das m
öglich?
« fragte
4713 Saltner.
»Sie haben ja im Raum keinerlei Widerstand, wie
4714 unsre Schiffe im Wasser. K
önnen wir doch nicht einmal unsern
4715 Luftballon ohne Schleppseile lenken.
«</p>
4716 <p>»Es fehlen Ihnen nur die n
ötigen Energiequellen und
4717 allerdings auch der n
ötige Platz zum Losschie
ßen, wie
4718 wir ihn im Weltraum zur Verf
ügung haben. Sehen Sie, ein
4719 solcher Schu
ß, man nennt ihn einen
›Spe
‹,
4720 entwickelt eine Energiemenge von ungef
ähr
500 Billionen
4721 Meterkilogramm, wenn ich richtig umgerechnet habe
4723 <p>»Es trifft ziemlich zu
«, sagte La, da Jo sie fragend
4725 <p>»Dadurch k
önnen wir also
«, fuhr Jo fort,
4726 »einem Raumschiff, das eine Masse von etwa einer Million
4727 Kilogramm besitzt, eine Geschwindigkeit von einem Kilometer in der
4728 Sekunde erteilen
– wenn wir somit drei
ßig Spes
4729 anwenden, so ist es m
öglich, die Geschwindigkeit, die unser
4730 Fahrzeug von der Erde mitnimmt, auf Null herunterzubringen. So ein
4731 Schu
ß wird ganz allm
ählich entladen, sonst k
önnte
4732 ja niemand den Ruck aushalten
– immerhin bringen wir das
4733 Schiff binnen drei Stunden zum Stehen. Sie sehen also, da
ß
4734 wir auf diese Weise an jeder beliebigen Stelle des Weltraums
4735 einfach haltmachen k
önnen. Wir heben die Anziehung der Sonne
4736 auf und heben die planetarische Tangentialgeschwindigkeit auf, und
4737 damit stehen wir still, unver
ändert in unsrer Lage zu allen
4738 K
örpern unsres Sonnensystems. Hier k
önnen wir warten, so
4739 lange wir Lust haben; wir stellen uns zum Beispiel auf die Marsbahn
4740 und lassen den Planeten einfach herankommen. Aber das w
ürde
4741 immer noch viel zu lange dauern. Wenn wir noch etwas mehr Bomben in
4742 passender Richtung anwenden, so k
önnen wir uns sofort direkt
4743 auf den Planeten oder vielmehr auf den Punkt seiner Bahn
4744 hinbewegen, an welchem wir ihn am schnellsten antreffen.
4745 Nat
ürlich nehmen wir dabei, so gut es sich machen
4746 l
äßt, die Gravitation mit in Anspruch,
4747 selbstverst
ändlich immer, wenn wir uns der Sonne zu
4748 n
ähern haben, also wenn wir vom Mars hierherfahren.
«</p>
4749 <p>Grunthe verharrte noch immer in seinem Schweigen. Er rechnete
4750 jetzt aus, welche Geschwindigkeit wohl das Gescho
ß bekommen
4751 m
üsse, wenn durch den R
ückschlag beim Abfeuern das ganze
4752 Raumschiff mit einer Geschwindigkeit von einem Kilometer pro
4753 Sekunde zur
ückgeschleudert werden solle. Schon begann das
4754 Gespr
äch der Martier sich anderen Gegenst
änden
4755 zuzuwenden, als er sagte:
</p>
4756 <p>»Ich kann nat
ürlich in Ihre Worte keinen Zweifel
4757 setzen. Aber wenn Sie der Masse des Schiffs von einer Million
4758 Kilogramm eine Geschwindigkeit von
1.000 Metern erteilen, so
4759 w
ürde dies ja voraussetzen, da
ß das Gescho
ß selbst
4760 eine so ungeheure Geschwindigkeit erhielte, wie sie auf keine Weise
4761 sich erzeugen l
äßt.
«</p>
4762 <p>»Warum nicht?
« fragte Jo.
</p>
4763 <p>»Und wenn auch
«, unterbrach Saltner,
»was
4764 n
ützt Ihnen denn das Abschie
ßen? Dadurch kann doch Ihr
4765 Schiff nicht bewegt werden?
«</p>
4766 <p>»Das schon
«, berichtigte ihn Grunthe,
»nur der
4767 Schwerpunkt des ganzen Systems kann nicht verr
ückt werden. Der
4768 Schwerpunkt von Gescho
ß und Schiff beh
ält seine
4769 Geschwindigkeit, aber dort befindet sich ja niemand, das Raumschiff
4770 entfernt sich von diesem Schwerpunkt infolge des R
ückschlags,
4771 wie wir h
ören, um einen Kilometer in der Sekunde, das
4772 hei
ßt, es bewegt sich dann nur noch mit einer Geschwindigkeit
4773 von
29 Kilometern vorw
ärts. Gleichzeitig aber mu
ß das
4774 Gescho
ß nach der entgegengesetzten Seite mit einer solchen
4775 Geschwindigkeit fliegen, da
ß das Produkt aus dieser und der
4776 Masse des Geschosses gleich ist dem Produkt aus Masse und
4777 Geschwindigkeit des Schiffs (in bezug auf den Schwerpunkt), das
4778 gibt in unserm Fall die Zahl von tausend Millionen. Es fragt sich
4779 nun, welche Masse Ihre Geschosse besitzen
–«</p>
4780 <p>»Hundert Kilogramm
«, sagte Jo.
</p>
4781 <p>»Dann w
ürde ja
«, sagte Grunthe
4782 kopfsch
üttelnd,
»das Gescho
ß eine Geschwindigkeit
4783 von zehn Millionen Meter, das sind zehntausend Kilometer in der
4784 Sekunde bekommen
– das ist mir undenkbar!
«</p>
4785 <p>»Und dennoch ist es so
«, versicherte Jo.
»Ja,
4786 es ist dies noch gar nicht die Grenze des Erreichbaren. Wir haben
4787 berechnet, da
ß sich die Geschwindigkeit bis
über die
4788 Lichtgeschwindigkeit hinaus mu
ß steigern lassen
4790 <p>»Sie wollen mich zum besten haben
–«</p>
4791 <p>»Nicht im geringsten.
«</p>
4792 <p>»Durch die Entwicklung von Explosionsgasen?
«</p>
4793 <p>»Wer behauptet das? Das ist nat
ürlich nicht
4794 m
öglich. Aber durch die Explosion des Welt
äthers
4796 <p>Grunthe sch
üttelte nur den Kopf.
</p>
4797 <p>»Ich las in Ihren B
üchern
«, fuhr Jo fort,
4798 »da
ß Sie Ihre Geschosse durch die Entwicklung der
4799 Pulvergase mit Geschwindigkeiten schleudern, welche
4800 gr
ößer sind als die Geschwindigkeit, mit der sich der
4801 Schall in der Luft fortpflanzt. Nun
– der Vergleich trifft
4802 zwar nicht vollst
ändig zu, aber in der Hauptsache
–
4803 warum sollen wir nicht durch Entwicklung gro
ßer
4804 Äthervolumina Geschwindigkeiten erzeugen, die
4805 gr
ößer sind als diejenige, mit welcher sich das Licht im
4806 Äther fortpflanzt? Es kommt nur darauf an, Apparate zu haben,
4807 die das leisten.
«</p>
4808 <p>»Und diese haben Sie?
«</p>
4809 <p>»Allerdings. Wir k
önnen
Ätherspannungen
4810 erzeugen, die wir pl
ötzlich entlasten. Der kondensierte
4811 Äther hei
ßt
›Repulsit
‹. Unsere
4812 Gesch
ütze und Geschosse bestehen aus
– ja, wie soll ich
4813 Ihnen das
übersetzen?
Übrigens kommt die Sache im Grunde
4814 darauf hinaus, gro
ße Elektrizit
ätsmengen unter
4815 kolossalen Spannungen zu halten
– und die Entdeckung
4816 h
ängt wieder mit derjenigen der Diabarie zusammen.
«</p>
4817 <p>»Das ist uns freilich jetzt nicht m
öglich, so schnell
4818 zu fassen
«, sagte Grunthe.
»Und Sie wollen die
4819 Geschwindigkeiten noch steigern?
«</p>
4820 <p>»Wir hoffen bis auf f
ünf mal hunderttausend Kilometer
4821 zu kommen. Wir
überholen dann das Licht. Und wer auf einem
4822 solchen Gescho
ß in den Weltraum reiste, der w
ürde
4823 zur
ückblickend die Zeiten der Vergangenheit auftauchen sehen,
4824 denn er k
äme zu jenen Lichtwellen, die vor seiner Abreise den
4825 Planeten verlassen haben.
«</p>
4826 <p>»Ich danke Ihnen
«, sagte Grunthe verstummend.
</p>
4827 <p>Ȇbrigens
«, setzte Jo noch hinzu,
»ist es
4828 f
ür die Richtsch
üsse nat
ürlich kein Vorteil, so
4829 gro
ße Geschwindigkeiten zu w
ählen, denn der
4830 Energieverbrauch w
ächst ja mit der Geschwindigkeit im Quadrat.
4831 Wir w
ürden viel besser fortkommen, wenn wir kleinere
4832 Geschwindigkeiten anwendeten, aber dann w
ürden die Massen der
4833 Geschosse so gro
ß werden m
üssen, da
ß wir sie nicht
4834 mitnehmen k
önnen. Tausend Richtgeschosse zu je hundert Kilo
4835 Masse machen ohnehin schon zehn Prozent unsrer gesamten
4836 Schiffsmasse aus.
«</p>
4837 <p>Es traten jetzt neue G
äste ein, um sich ebenfalls die
4838 Menschen noch einmal anzusehen, ehe sie nach dem Mars abreisten.
4839 Denn sie wollten doch bei der Heimkehr auch etwas von den
4840 Eingeborenen der Erde zu erz
ählen haben. Ein Teil der
4841 Anwesenden erhob sich und verabschiedete sich. Auch Jo stand
4843 <p>»Nun
«, sagte er,
»schade, da
ß Sie nicht
4844 mit mir kommen wollen, doch wir sehen uns morgen vor der
4846 <p>»Und auf dem Nu treffen wir uns alle bald wieder
«,
4847 f
ügte La hinzu.
»Wer wei
ß«, sprach sie
4848 neckend zu Jo,
»ob wir Sie im
›Meteor
‹ nicht
4849 noch
überholen und eher zu Hause sind als Sie. O
ß wird
4850 wahrscheinlich den
›Meteor
‹ f
ühren.
«</p>
4851 <p>»Da kennen Sie den alten Jo schlecht
«, erwiderte Jo
4852 lachend.
»Man f
ährt nicht f
ünfundzwanzig Jahre
4853 zwischen Mars und Erde, um sich von solch jungem Springinsfeld
4854 überholen zu lassen.
«</p>
4855 <p>»Sie sind eben ein zu guter Lehrer f
ür O
ß
4856 gewesen, da ist
’s kein Wunder, da
ß er jetzt auch seine
4857 Sache versteht.
«</p>
4858 <p>»Das tut er, gewi
ß, das tut er
«, sagte Jo,
4859 indem er La freundschaftlich das Haar streichelte.
»Aber was
4860 will das jetzt sagen
– das hei
ßt, O
ß ist ein
4861 t
üchtiger Techniker, brillanter Abariker, wei
ß es
4862 – doch um die
Überfahrt zu machen, dazu geh
ört
4863 heute nicht mehr viel, das kann man lernen. Ja, liebe La, vor
4864 – nun, Sie lebten wohl noch nicht, als ich meine erste Fahrt
4865 als Lehrling machte, da war
’s etwas anderes; da gab
’s
4866 noch keine Au
ßenstation auf der Erde, von der aus man den
4867 Mars jederzeit sehen und nach ihm telegraphieren konnte. Und wenn
4868 so ein Schiff zehn oder zwanzig Richtsch
üsse zum Anlegen
4869 mithatte, da galt es schon als besonders fein ausger
üstet. Da
4870 haben wir Dinge erlebt, wovon Ihr junges Volk keine Ahnung
4872 <p>»Erz
ählen Sie
«, bat La,
»bleiben Sie
4873 noch, Jo, Sie m
üssen uns etwas erz
ählen. Sie haben es
4874 eigentlich l
ängst versprochen. Setzen Sie sich, die Bate
4875 m
üssen es auch h
ören.
«</p>
4876 <h2>13 - Das Abenteuer am S
üdpol
</h2>
4877 <p>Grunthe und Saltner hatten sich inzwischen mit den
übrigen
4878 Martiern unterhalten. Diesmal waren sie recht gr
ündlich nach
4879 allerlei Einrichtungen der Menschen ausgefragt worden. Grunthe
4880 beschrieb ihnen auf der Karte die Wohnpl
ätze der verschiedenen
4881 Rassen und die Abgrenzungen der bedeutendsten Staaten. Sie waren
4882 sehr erstaunt zu h
ören, da
ß es gro
ße Gebiete der
4883 Erde g
äbe, die man noch gar nicht oder sehr wenig kenne, und
4884 da
ß ihre Einwohner keinerlei Einflu
ß auf die Geschicke
4885 der ganzen Menschheit aus
übten. Bei den Martiern bestehe zwar
4886 auch ein sehr gro
ßer Unterschied zwischen der Bildung der
4887 einzelnen Bewohner und Volksst
ämme, aber g
änzlich
4888 unzivilisierte Landschaften g
äbe es
überhaupt nicht.
4889 Grunthe fragte nach der Anzahl der Marsbewohner und erfuhr zu
4890 seiner
Überraschung, da
ß sie nicht weniger als
4891 dreitausendeinhundert Millionen betr
üge, also das doppelte der
4892 Zahl der Menschen, auf einer viermal so kleinen Oberfl
äche
4893 zusammengedr
ängt wie die der Erde.
</p>
4894 <p>»Da k
önnen wir Ihnen einen Teil von uns
4895 überlassen
«, sagte einer der Martier scherzend.
</p>
4896 <p>»Es w
ürde Ihnen auf der Erde zu schwer werden
«,
4897 erwiderte Saltner, dem der Gedanke eines Einfalls der Martier auf
4898 die Erde recht bedenklich erschien.
»Lieber kommen wir ein
4899 wenig zu Ihnen.
«</p>
4900 <p>»Aber erst lernen Sie ordentlich balancieren
«,
4901 ert
önte eine Stimme aus der Luft.
»Ich werde gleich
4902 einmal nachsehen.
«</p>
4903 <p>Es war Ses Stimme. Sie hatte die Klappe des Fernsprechers
4904 ge
öffnet und gerade Saltners Worte verstanden.
</p>
4905 <p>Gleich darauf erschien sie an der T
ür. Um seine
4906 Geschicklichkeit zu erweisen,
überschritt Saltner den
4907 ›Strich
‹ und ging ihr vorsichtig entgegen. Sie lachte
4908 herzlich und rief, ihm die Hand entgegenstreckend:
»Es geht
4909 schon ganz gut, Sie haben Fortschritte gemacht.
«</p>
4910 <p>Saltner ergriff die Hand und b
ückte sich, um sie an seine
4911 Lippen zu f
ühren. Diese Verbeugung ging auch ganz gut
4912 vonstatten, aber als er sich aufrichten wollte, geschah es zu
4913 pl
ötzlich, und er lief Gefahr, nach hinten zu st
ürzen. Da
4914 er sich
über sich selbst lustig machte, so zeigten auch die
4915 Martier ihre Heiterkeit
über seine vorsichtigen Bewegungen und
4916 baten ihn dann, ihnen doch einige seiner Kraftproben zu zeigen, von
4917 denen sie geh
ört hatten.
</p>
4918 <p>Eben hatte er zwei der Martier mit Leichtigkeit in die Luft
4919 gehoben, als sich La nach ihm umdrehte.
</p>
4920 <p>»Was wollen Sie
über dem
4921 ›Strich
‹?
« sagte sie scherzhaft drohend.
</p>
4922 <p>Saltner sprang schleunigst einen Schritt zur
ück, hatte aber
4923 die beiden Herren vom Mars noch nicht niedergesetzt, und in dem
4924 Augenblick, als er den
›Strich
‹ passierte, wurden sie
4925 ihm zu schwer, so da
ß sie ziemlich unsanft zur Erde
4927 <p>W
ährend er sich entschuldigte, rief La:
»Alle an den
4928 Tisch! Jo erz
ählt von seiner ersten Erdfahrt, bitte,
4930 <p>Dem allgemeinen Dr
ängen konnte Jo nicht widerstehen. Auch
4931 auf dem Mars spinnt ein alter Seemann gern ein Garn. Er setzte sich
4932 oben an den Tisch. Se und La sa
ßen dicht am
4933 ›Strich
‹ neben den beiden Deutschen.
</p>
4934 <p>Jo nahm bed
ächtig ein Pik, legte es an die Stirn, an das
4935 rechte und an das linke Auge, und sah sich dann noch einmal im
4937 <p>Se verstand ihn.
</p>
4938 <p>»Unter dem Tischrand
«, sagte sie.
»Greifen die
4939 Herren nur zu.
«</p>
4940 <p>Schmunzelnd zog Jo ein Mundst
ück hervor und probierte das
4942 <p>»Ein feiner Tropfen
«, sagte er.
</p>
4943 <p>Ein Teil der Martier und auch Saltner folgten seinem Beispiel.
4944 La lehnte sich bequem zur
ück, Se nahm ihre chemische
4945 Handarbeit auf, und Grunthe zog sein Notizbuch hervor, um sich
4946 einige stenographische Aufzeichnungen zu machen.
</p>
4947 <p>»War damals siebzehn Jahr alt
«, begann Jo seine
4949 <p>»Marsjahre
«, sagte La leise zur Erkl
ärung.
</p>
4950 <p>»– hatte eben meinen technischen Kursus absolviert,
4951 als ich mich beim Kapit
än All meldete, der mit der
4952 ›Ba
‹, vierundzwanzig Personen, nach der Erde abgehen
4953 sollte. Wollte mich eigentlich nicht mitnehmen, weil ich noch zu
4954 jung sei, aber da im letzten Augenblick einer von der Mannschaft
4955 verhindert wurde und kein andrer sich gemeldet hatte, so kam ich
4956 mit. F
ünf Monate waren wir unterwegs und hatten gl
ücklich
4957 so man
övriert, da
ß wir der Erde parallel flogen, genau
4958 in der Achse
über dem S
üdpol. Sie hatten Sommer dort
4959 unten, aber um den Pol herum war alles von dichten Wolken bedeckt.
4960 Wir sahen auf der Erde nur ihre wei
ße, von der Sonne
4961 begl
änzte Wolkenoberfl
äche, und wo sie im Schatten
4962 verschwand, spielten die S
üdlichter in r
ötlichen
4963 Streifen. Wir lie
ßen uns sinken und machten uns, als wir tief
4964 genug gekommen waren, so leicht, da
ß wir als Luftballon in
4965 der Atmosph
äre schwammen. Dann ging es durch die Wolken hinab,
4966 und wir kamen auch gl
ücklich, leider aber mit einer Abweichung
4967 von ein paar Kilometern, auf den Pol. Nun, Sie wissen, auf dem
4968 S
üdpol ist
’s nicht so sch
ön wie hier,
’s ist
4969 ringsum Festland-Eis, eine Hochfl
äche von ein paar tausend
4970 Metern, wie Sie
’s hier nebenan haben
– in
– wie
4971 hei
ßt das Ding?
«</p>
4972 <p>»Gr
önland.
«</p>
4973 <p>»Gut. Nun mu
ßten wir aber das Schiff nach dem Pol
4974 schaffen, denn wir hatten das schwere Schwungrad f
ür die
4975 Station, die wir vorbereiten sollten, auszuladen. Deshalb war All
4976 sehr ungehalten, da
ß er von der Erdachse abgekommen war. Aber
4977 dieselbe Ursache, die uns abgetrieben hatte, verhinderte uns, auch
4978 jetzt ans Ziel zu gelangen. Das war der herrschende Wind. Ich sagte
4979 schon, da
ß wir uns in der Atmosph
äre nicht anders wie
4980 einer ihrer Luftballons verhalten k
önnen. Wir k
önnen uns
4981 leichter machen als die Luft, aber ihren Str
ömungen
4982 unterliegen wir dabei ebenso wie ihrem Widerstand.
«</p>
4983 <p>»Verzeihen Sie
«, begann Grunthe,
»ich habe
4984 mich schon immer gewundert, gerade weil sich Ihr Raumschiff in der
4985 Atmosph
äre wie ein Luftballon handhaben l
äßt, und
4986 zwar mit dem wunderbaren Vorteil, weder Ballast noch Gas opfern zu
4987 m
üssen, da Sie sich nach Belieben leicht oder schwer machen
4988 k
önnen, ich habe mich gewundert, da
ß Sie nicht, nachdem
4989 Sie einmal am Pol die Erdgeschwindigkeit gewonnen haben, einfach
4990 mit Ihren Raumschiffen nach Europa oder den Vereinigten Staaten von
4991 Nordamerika gekommen sind
– kurzum, warum Sie so
4992 ängstlich in der Befahrung unsres Luftmeers sind.
«</p>
4993 <p>»Und ich
«, erwiderte Jo,
»habe mich allerdings
4994 auch gewundert, wie Sie sich diesen gebrechlichen Dingern in einer
4995 Atmosph
äre anvertrauen k
önnen, die so dicht und schwer
4996 ist wie die Ihrige, und in welcher nach allen Richtungen die
4997 tollsten St
ürme einherrasen.
«</p>
4998 <p>»Ich habe
«, bemerkte La,
»in einem der
4999 B
ücher gelesen, die Sie mitgebracht haben, von den
5000 Entdeckungsreisen der Menschen auf der Erde. Da spricht ein
5001 Seefahrer seine Verwunderung dar
über aus, da
ß die
5002 Eingeborenen in irgendeiner Inselgruppe in ihren gebrechlichen
5003 K
ähnen weite Fahrten unternehmen, an die er sich in seinem
5004 gro
ßen Dampfschiff nicht wagen w
ürde, weil er die
5005 Gefahren der Tiefe nicht zu vermeiden wei
ß.
Ähnlich mag
5006 es sich wohl mit unsern Raumschiffen und Ihren Luftballons
5007 verhalten. Bedenken Sie, da
ß wir Ihre Atmosph
äre noch
5008 sehr wenig kennen
–«</p>
5009 <p>»Und vor allen Dingen
«, fuhr Jo fort,
5010 »da
ß unsre Raumschiffe, die aus Stellit bestehen, nicht
5011 darauf eingerichtet sind, den gro
ßen Druck Ihrer Luft und den
5012 Widerstand, wenn wir nicht mit dem Wind fliegen, zu ertragen. Das
5013 Stellit ist sehr fest in der K
älte des Weltraums, aber in der
5014 W
ärme und Feuchtigkeit der Luft wird es schnell angegriffen.
5015 Au
ßerdem sind wir luftdicht durch unsre Kugel von au
ßen
5016 abgeschlossen und k
önnen uns darum au
ßerhalb derselben
5017 an nichts wagen. Die Technik unserer Luftschiffahrt auf dem Mars
5018 l
äßt sich auf der Erde aus verschiedenen Gr
ünden
5019 nicht anwenden. Sie d
ürfen sich also nicht wundern, da
ß
5020 es uns bis jetzt noch nicht eingefallen ist, unsre Raumschiffe an
5021 unbekannte Gefahren zu wagen, durch die uns m
öglicherweise die
5022 R
ückkehr abgeschnitten worden w
äre. Doch sind bereits
5023 Versuche gegl
ückt, diabarische Fahrzeuge mit
Öffnungen
5024 herzustellen, und das, was uns noch fehlt, ist eigentlich nur ein
5025 gen
ügend widerstandsf
ähiger Stoff f
ür dieselben.
5026 Aber auch hier steht die Abhilfe bevor, und dann fahren wir zu
5028 <p>»Wenn Sie zu uns kommen
«, sagte La l
ächelnd zu
5029 Grunthe,
»werde ich Ihnen mit Se eine Privatvorlesung
5030 über Raum- und Lufttechnik halten.
«</p>
5031 <p>»Dann f
ürchte ich leider, darauf verzichten zu
5032 m
üssen, denn ich gedenke vorl
äufig
5033 hierzubleiben.
«</p>
5034 <p>»So werde ich Ihnen einen ausf
ührlichen,
5035 sch
önen, gelehrten Brief schreiben, verlassen Sie sich
5037 <p>Grunthe verbeugte sich mit zusammengepre
ßten Lippen, und
5039 <p>»Nun kurzum, wir hatten keine Wahl, wir mu
ßten jetzt
5040 mit dem Raumschiff nach dem Pol. Da nun aber das Wetter nicht
5041 besser wurde
– das hei
ßt, der Himmel war klar, aber die
5042 Luft blies vom Pol her
–, so beschlo
ß All, den Versuch
5043 zu wagen, uns nach dem Pol hinzuwinden. Wir hatten gro
ße
5044 Mengen von mit Lis durchzogenen Tauen mit. Dieses Tau legten wir
5045 vom Schiff bis zum Pol aus, verankerten es dort gr
ündlich und
5046 setzten mit der Winde an. Das Schiff wurde nur soweit leicht
5047 gemacht, da
ß es sich gerade hob, ohne Gefahr, auf dem Eis
5048 aufzulaufen. Denn es zu schleifen durften wir nicht wagen, darauf
5049 ist unsere Stellitkugel nicht eingerichtet.
</p>
5050 <p>Die Arbeit ging nat
ürlich langsam vorw
ärts, aber wir
5051 waren in vierundzwanzig Stunden doch einen Kilometer
5052 vorger
ückt. Leider frischte der Wind immer st
ärker auf
5053 und wurde b
öig. Bei den St
ößen bog sich die Kugel
5054 bedenklich an der Haftstelle des Seiles, und All hielt es f
ür
5055 n
ötig, die ganze Kugel in ein Netz zu fassen. Es war eine
5056 furchtbare Arbeit, in dieser Luft und Schwere die Seile
über
5057 die f
ünfzehn Meter hohe Kugel zu spannen, und da
ß keiner
5058 von uns dabei verungl
ückt ist, bleibt mir heute noch ein
5059 R
ätsel. Todm
üde ging es am dritten Tag wieder an die
5060 Winde. Eine Maschine hatten wir leider nicht mit, wir mu
ßten
5061 mit unsern eignen Kr
äften arbeiten. Am f
ünften Tag waren
5062 wir bis auf einen Kilometer heran. Wir arbeiteten immer vier Mann
5063 und wurden alle Stunden abgel
öst. Lieber machten wir den Weg
5064 hin und her zum Schiff, als da
ß wir uns ohne Erholung dem
5065 Druck der Schwere l
änger ausgesetzt h
ätten. Zur
5066 R
ückfahrt benutzten wir
übrigens einen Segelschlitten;
5067 das war unsre gr
ößte Freude, so der Ruhe mit
5068 Bequemlichkeit entgegenzufahren. Eben hatte ich mich mit meinen
5069 Kameraden aufgesetzt, und in zwei Minuten waren wir bis auf die
5070 H
älfte des Weges zum Schiff herangekommen, das nicht
5071 h
öher als etwa zehn Meter
über dem Eis schwebte. Die
5072 Strickleiter hing aus der Luke bis zum Boden herab, und in weiteren
5073 zwei Minuten hofften wir in unsren H
ängematten zu liegen.
</p>
5074 <p>Pl
ötzlich sehen wir von der Seite und halb nach vorn hin
5075 etwas Gelblich-Wei
ßes herantrotten, zwei gro
ße
5076 vierf
üßige Tiere, wie wir sie noch nie gesehen hatten.
5077 Es waren, was Sie Eisb
ären nennen, aber damals wu
ßten
5078 wir noch nicht, was das hei
ßen will, wenn man ihnen waffenlos
5079 begegnet. Waffen hatten wir
überhaupt nicht mit, nur die
5080 langen, mit Eisenspitzen versehenen Stangen, mit denen wir unsern
5081 Schlitten dirigierten und ihm nachhalfen. Noch niemals war uns auf
5082 dieser
öden Erdfl
äche, au
ßer einigen V
ögeln,
5083 irgendein Tier begegnet. Von Raubtieren, die dem Numen
5084 gef
ährlich sind, wu
ßten wir
überhaupt nichts als
5085 aus den alten
Überlieferungen der Vorzeit, da es solche auf
5086 dem Mars noch gegeben haben soll. Aber als diese Bestien, sobald
5087 sie uns erblickten, mit gierigen Augen auf unsern Schlitten
5088 zutrabten, dachten wir uns doch, da
ß die Sache nicht geheuer
5089 sei. Wir konnten freilich nichts tun, als mit unsern Picken die
5090 Fahrt unsres Schlittens beschleunigen, wobei wir dem Wind das Beste
5091 überlassen mu
ßten. Lie
ß der Wind einen Augenblick
5092 nach, so mu
ßten uns die B
ären den Weg abschneiden. Es
5093 war eine fatale Situation, doch sahen wir dieselbe nicht als
5094 besonders bedenklich an, da wir glaubten, ihnen mit unsern
5095 St
öcken gewachsen zu sein. Wir waren jetzt nur noch hundert
5096 Meter von der Strickleiter entfernt, und man war bereits vom Schiff
5097 aus auf uns aufmerksam geworden. All selbst und zwei Mann, mehr
5098 hatten an der Luke nicht Platz, standen mit Gewehren bereit, denn
5099 damit war die Expedition f
ür alle F
älle versehen. Sie
5100 wagten aber nicht zu schie
ßen, weil das Schiff an dem langen
5101 Tau stark hin- und herschwankte und die B
ären jetzt so dicht
5102 an dem Schlitten waren, da
ß wir selbst h
ätten getroffen
5103 werden k
önnen; ein sicheres Zielen war ja nicht m
öglich.
5104 Zudem hatten wir auch noch keine Erfahrung, wie Luftwiderstand und
5105 Schwere auf der Erde unsere Geschosse ablenken. Das Telelyt war
5106 damals noch nicht f
ür Handwaffen im Gebrauch.
</p>
5107 <p>Ich stand vorn am Schlitten. Die Gef
ährten riefen mir zu,
5108 direkt auf die Strickleiter zu halten und sie sofort zu erfassen.
5109 Wir durften ja die Geschwindigkeit des Schlittens nicht
5110 m
äßigen. Es handelte sich noch um Sekunden. Da
5111 st
ößt der Schlitten an irgendein kleines Hindernis und
5112 wird von seinem Weg abgelenkt. Ich f
ürchte, da
ß ich die
5113 Strickleiter verfehle, und renne den Stock so stark in das Eis,
5114 da
ß er mir aus der Hand gerissen wird. Wir sausen an der
5115 Leiter vorbei. Da pfeift es
über uns, und der eine B
är
5116 w
älzt sich in seinem Blut. Durch die Wendung des Schlittens
5117 hatte All zum Schu
ß kommen k
önnen. Der andere aber ist
5118 unmittelbar am Schlitten. Ungl
ücklicherweise stechen die
5119 beiden zuletzt Stehenden mit ihren Picken nach ihm. Der B
är
5120 ist verwundet, aber mit einem Tatzenschlag hat er den armen Tam vom
5121 Schlitten gerissen. Er erfa
ßt ihn an seinen Kleidern und
5122 trabt mit ihm davon.
</p>
5123 <p>Inzwischen war All mit einer Anzahl bewaffneter Leute die Leiter
5124 herabgestiegen, und wir hatten den Schlitten zum Stehen gebracht.
5125 Der B
är aber lief mit seiner Beute so schnell, da
ß All
5126 ihm nicht folgen konnte; Sie wissen ja, da
ß wir schwer an uns
5127 zu tragen haben, wenn wir uns auf der Erde bewegen sollen. Zu
5128 schie
ßen wagte All nicht um Tams willen; wenn auch dieser
5129 nicht selbst getroffen wurde, so w
äre er doch verloren
5130 gewesen, sobald der B
är nicht sofort auf der Stelle tot
5132 <p>Unsre Best
ürzung war gro
ß. Wir suchten den B
ären
5133 durch Schreien einzusch
üchtern, aber er k
ümmerte sich um
5134 nichts. Die Entfernung zwischen ihm und uns vergr
ößerte
5136 <p>›Wir k
önnen ihn nicht stellen
‹, rief All,
5137 ›doch folgen m
üssen wir ihm. Ich gehe selbst, zwei
5138 Leute gen
ügen zur Begleitung. Die andern zur
ück aufs
5140 <p>Jetzt sahen wir, da
ß der B
är die Richtung auf unsern
5141 Arbeitsplatz am Pol einschlug. Unsre Gef
ährten an der Winde
5142 hatten ebenfalls den Vorgang bemerkt. Sie stellten die Arbeit ein
5143 und beratschlagten offenbar, ob sie sich dem Schlitten anvertrauen
5144 oder auf das Ger
üst fl
üchten sollten, das
über der
5145 Winde erbaut war. Da der B
är sich schnell n
äherte, so
5146 w
ählten sie das letztere. Auch sie suchten den B
är durch
5147 L
ärm zu verscheuchen, aber vergebens.
</p>
5148 <p>Als All erkannte, da
ß der B
är auf die Arbeiter an der
5149 Winde zulief, hie
ß er jeden seiner Begleiter noch ein Gewehr
5150 mitnehmen, um sie wom
öglich ihnen zuzustellen. All hatte noch
5151 nicht die H
älfte des Weges zur
ückgelegt, als der B
är
5152 bereits bei der Winde ankam. Wir waren inzwischen, mit Ausnahme
5153 Alls und seiner Begleitung, in das Schiff zur
ückgekehrt und
5154 beobachteten von dort den Vorgang. Die Leute auf dem Ger
üst
5155 ärgerten offenbar den B
ären. Er lie
ß Tam am
5156 Fu
ß des Ger
üstes liegen, setzte sich auf die Hinterbeine
5157 und schlug seine Tatzen in die Winde ein, als wolle er sie
5158 umrei
ßen. Kaum hatte All bemerkt, da
ß Tam nicht mehr
5159 geschleppt wurde, als er auf etwa f
ünfhundert Meter auf den
5160 B
ären anlegte. Einen Augenblick z
ögerte er noch, um eine
5161 g
ünstigere Stellung abzuwarten. Da schien es, als wolle der
5162 B
är von der Winde ablassen und sich wieder seiner Beute
5164 <p>All dr
ückte los.
</p>
5165 <p>Eine Sekunde sp
äter sahen wir den B
ären
5166 zusammenst
ürzen. Mehr sahen wir nicht. im Moment darauf
5167 erhielten wir einen Sto
ß, da
ß wir alle
5168 übereinander fielen. Als wir uns aufrafften, fanden wir das
5169 Raumschiff um wenigstens f
ünfzig Meter gehoben und vom Wind
5170 mit gro
ßer Geschwindigkeit davongetrieben. Es war nicht
5171 anders denkbar, als da
ß Alls Kugel das d
ünne Tau
5172 zerschnitten, der Druck des Windes es vollends zerrissen hatte.
</p>
5173 <p>Der erste Steuermann
übernahm das Kommando. Aber es war
5174 sehr schwierig, etwas zu tun.
</p>
5175 <p>Die Anker heraus und tiefer!
</p>
5176 <p>Das Schiff streifte in drohender N
ähe des Eises hin. Wenn
5177 die Anker nicht bald fa
ßten, so war keine Aussicht, die
5178 Gef
ährten wiederzusehen.
</p>
5179 <p>Aber die Anker tanzten
über die v
öllig glatte, hart
5180 gefrorene Fl
äche des Eises hin, ohne zu fassen.
5181 Gl
ücklicherweise leistete uns das lange Seil ausgezeichnete
5182 Dienste, an welchem wir das Schiff nach dem Pol hinbugsiert hatten.
5183 Es diente uns jetzt als Schleppseil, indem wir es in einer
5184 L
änge von fast tausend Meter nachzogen. Von Minute zu Minute
5185 hofften wir
über Spalten zu kommen, in denen es sich
5186 vielleicht verfangen k
önne. Leider wurde der Wind immer
5187 st
ärker und steigerte sich zum Sturm. Wir wu
ßten aus der
5188 Karte, da
ß es nicht mehr lange dauern konnte, bis wir zu der
5189 Stelle gelangten, an der das Eisfeld in steilem Abfall nach dem
5190 Meer hin abst
ürzt. Vorher freilich mu
ßten gro
ße
5191 Bruchspalten kommen, und darauf setzten wir unsre Hoffnung.
</p>
5192 <p>Fast eine Stunde mochten wir so dahingerast sein, schon sahen
5193 wir in der Ferne das Meer auftauchen
– da kamen auch die
5194 Spalten. W
ürde das Tau sich verfangen? Die Anker nutzten uns
5195 nichts mehr, denn die Oberfl
äche des Eises wurde jetzt so
5196 unregelm
äßig, da
ß wir uns h
öher erheben
5197 mu
ßten, um nicht gegen einen Vorsprung geschleudert zu
5198 werden, und die Ankerseile waren nur kurz. Da, endlich gibt es
5199 einen Ruck, da
ß wir taumeln
– doch die Fahrt geht
5200 wieder weiter
– aber jetzt, jetzt halten wir an, das Seil hat
5201 sich gespannt! Doch was ist das? Ein furchtbarer Windsto
ß von
5202 oben dr
ückt unser Schiff nach dem Boden zu; da wir dem Sturm
5203 nicht mehr folgen, dr
ängt er uns hinab, das Schiff prallt
5204 gegen den Boden und erhebt sich aufs neue
– noch ein solcher
5205 Sto
ß, und wir sind verloren. Wir m
üssen steigen, wir
5206 machen uns schwerelos und heben uns in die H
öhe. Aber war die
5207 Hebung zu stark oder hat die ver
änderte Richtung das Seil aus
5208 der Spalte gel
öst
– kurzum, es gibt nach, wir schnellen
5209 in die H
öhe, das Seil h
ängt frei herab, und wir folgen
5210 wieder dem Sturm
– wir schweben
über dem Absturz des
5211 Gletschers, vor uns das w
ütende, mit Eisschollen erf
üllte
5212 Meer.
– Jetzt blieb nichts
übrig, als nach oben zu
5213 entfliehen, in h
öhere Schichten der Atmosph
äre. Wir
5214 wu
ßten aus der Karte, da
ß wir eine breite Meeresbucht
5215 zu
überfliegen hatten, jenseits deren sich hohe feuerspeiende
5216 Berge erheben. Schon sahen wir von unsrer H
öhe ihre
5217 Rauchwolken am Horizont. Wir fliegen immer direkt nach Norden auf
5218 einem Meridian, der in der Richtung nach der gro
ßen Insel
5219 hinl
äuft, die Sie, wie ich aus Ihrer Karte gesehen habe,
5220 Neuseeland nennen. An Landung konnten wir nicht mehr denken, wir
5221 mu
ßten hinauf. Aber dazu mu
ßten wir noch eine schwere
5222 Arbeit vollbringen, an die ich nicht gern denke. Das Netz um unser
5223 Schiff mit dem langen Seil mu
ßte fort. Denn was
5224 au
ßerhalb unsrer Kugel ist, k
önnen wir nicht diabarisch
5225 machen, es h
ätte unsre Bewegung im Raum gehindert. Ich war der
5226 J
üngste, ich mu
ßte in der untern Luke h
ängend das
5227 Seil kappen; dann wurden von oben die Verbindungen des Netzes
5228 gel
öst, und ich hatte die Aufgabe, die Seile nach unten zu
5229 ziehen. Dabei herrschte hier oben eine K
älte, da
ß das
5230 Quecksilber gefror. Gl
ücklicherweise behalten die Lisseile
5231 ihre Geschmeidigkeit, sonst w
äre die Arbeit unm
öglich
5232 gewesen. Ich wundere mich noch heute, da
ß ich nicht
5233 abgest
ürzt bin, denn ich mu
ßte in der Erdschwere
5235 <p>Endlich war auch das geschehen. Die Luken wurden geschlossen,
5236 und wir lie
ßen die Erde hinter uns.
«</p>
5237 <h2>14 - Zwischen Erde und Mars
</h2>
5238 <p>Jo tat einen Zug aus seinem Mundst
ück und fuhr dann in
5239 seiner Erz
ählung fort.
</p>
5240 <p>»Was war nun zu tun? Nach kurzer Ruhepause versammelte uns
5241 der erste Steuermann, Mitt hie
ß er, der sp
äter die
5242 ber
ühmte Umschiffung des Jupiter ausf
ührte, zu einer
5243 Beratung. Sollten wir versuchen, noch einmal die Erdachse zu
5244 gewinnen und nach dem Pol zur
ückzukehren? Sollten wir die
5245 Unseren ihrem Schicksal
überlassen und die Heimreise nach dem
5246 Mars antreten? Wir hatten den vierten Teil unserer Mannschaft und
5247 den Kapit
än verloren. Es war nat
ürlich, da
ß wir zu
5248 ihnen zur
ückwollten. Aber es war auch nicht leicht. Eine
5249 nochmalige Landung und eine zweite Abfahrt von der Erde verlangten
5250 einen solchen Aufwand von Energie und vor allem von
5251 Richtsch
üssen, da
ß die Gefahr vorlag, dadurch unsre
5252 R
ückkehr nach dem Mars
überhaupt in Frage zu stellen.
5253 Trotzdem wurde beschlossen umzukehren, nachdem Mitt eine Berechnung
5254 gemacht und gefunden hatte, da
ß wir unter g
ünstigen
5255 Umst
änden gerade auskommen k
önnten. W
ären wir
5256 n
ämlich nach dem Mars gegangen und w
äre von dort sofort
5257 ein neu ausger
üstetes Schiff nach der Erde geschickt worden,
5258 so h
ätte doch erst im n
ächsten Fr
ühjahr den
5259 Zur
ückgebliebenen Hilfe gebracht werden k
önnen. Da
ß
5260 sie aber den Polarwinter auf der Erde nicht
überstehen
5261 konnten, war gewi
ß.
</p>
5262 <p>Alle diese
Überlegungen, insbesondere die genauere
5263 Berechnung und ihre wiederholte Pr
üfung, hatten l
ängere
5264 Zeit in Anspruch genommen.
</p>
5265 <p>Seitdem wir die Atmosph
äre der Erde verlassen und in der
5266 Richtung der Tangente der Erdbahn uns bewegten, mochten etwa sechs
5267 Stunden vergangen sein. Obwohl wir in dieser Zeit einen Weg von
5268 über
600.000 Kilometern zur
ückgelegt hatten, waren wir
5269 doch von der Erde selbst, die ja in gleicher Richtung auf ihrer
5270 Bahn hinlief, noch kaum
1.500 Kilometer entfernt. Wenn wir uns
5271 jetzt volle Schwere gaben, konnten wir sie in kurzer Zeit wieder
5272 erreichen, und es kam darauf an, uns durch einen m
äßigen
5273 Korrekturschu
ß eine solche seitliche Geschwindigkeit zu
5274 erteilen, da
ß wir nach dem Pol gelangten.
</p>
5275 <p>Die
äu
ßere Kugelh
ülle unseres Schiffes, in
5276 welcher sich die innere Kugel fast ohne Reibung nach jeder Richtung
5277 drehen kann, hatte nat
ürlich durch die Abenteuer, die wir bei
5278 der Abfahrt und in der Atmosph
äre erlebten, eine starke
5279 Rotation erhalten. Wir hatten bereits zu unserm gro
ßen
5280 Mi
ßbehagen bemerkt, da
ß der Apparat nicht richtig
5281 funktionierte, welcher die innere Kugel in ihrer Gleichgewichtslage
5282 zu halten hatte, indem wir fortw
ährend Schwankungen durch die
5283 äu
ßere Kugel erlitten. Bis jetzt war jedoch noch keine
5284 Zeit gewesen, dem
Übelstand abzuhelfen. Nun aber kam es darauf
5285 an, die Rotation der
äu
ßeren Kugel sowohl wie die
5286 Schwankungen der inneren vollst
ändig zu hemmen. Es war dies
5287 einerseits w
ünschenswert, um eine genaue Aufnahme unserer Lage
5288 zu machen, obwohl dieser Zweck allenfalls auch durch
5289 Momentphotographie erreicht werden kann; andererseits war es
5290 durchaus notwendig f
ür die genaue Abgabe des Richtschusses,
5291 der durch das Ventil an der Au
ßenseite der
äu
ßeren
5292 Kugel gel
öst wird. Denn wenn dieser auch nur um geringe
5293 Differenzen fehlerhaft wird, so k
önnen daraus Abirrungen vom
5294 Weg entstehen, die nur schwer wieder zu korrigieren sind, f
ür
5295 uns aber, die wir keine Kraft zu verschwenden hatten,
5296 verh
ängnisvoll werden konnten.
</p>
5297 <p>Als wir nun das Schiff einer genauen Besichtigung unterwarfen,
5298 stellte sich zu unserm nicht geringen Schrecken heraus, da
ß
5299 der Winddruck w
ährend der Verankerung und das Aufschlagen des
5300 Schiffes Formver
änderungen der
äu
ßeren Kugel
5301 bewirkt hatten, die eine umst
ändliche Reparatur erforderten.
5302 Bevor diese nicht fertiggestellt war, durften wir keine Schwere
5303 geben und
überhaupt kein Man
över ausf
ühren. Und
5304 diese Reparatur nahm leider, das war zu sehen, einige Tage in
5305 Anspruch. W
ährend dieser Zeit mu
ßten wir auf unsrer
5306 gradlinigen Bahn verharren, die uns auf Strecken von der Erde
5307 entfernte, welche dem Quadrat der Zeit proportional waren.
</p>
5308 <p>Aber es war auf dieser Reise, als wenn uns nichts gelingen
5309 sollte. Ein neuer Mi
ßstand trat auf.
</p>
5310 <p>Der Mond der Erde n
äherte sich der Stellung, in welcher die
5311 Erde Vollmond hat. Ungl
ücklicherweise entfernten wir uns also
5312 von der Erde gerade in der Richtung auf den Mond zu. Dies w
äre
5313 ja f
ür uns ziemlich gleichg
ültig gewesen, wenn wir in der
5314 N
ähe der Erde, wenigstens am ersten Tag unsrer Fahrt, unsere
5315 Umkehr h
ätten bewerkstelligen k
önnen. Nach Ablauf des
5316 dritten Tages aber mu
ßten wir, sobald wir uns der Gravitation
5317 unterwarfen, in den Anziehungsbereich des Mondes statt in
5318 denjenigen der Erde geraten. Konnten wir also unsere Reparatur
5319 nicht vorher beendigen, so hatten wir nur die Wahl, unsere
5320 Richtsch
üsse auf gut Gl
ück blo
ß zur Verringerung
5321 unsrer Geschwindigkeit zu verschwenden oder uns in so weite
5322 Entfernung von der Erde hinaustragen zu lassen, da
ß sich
5323 unsere R
ückkehr auf lange verz
ögern mu
ßte. Und wer
5324 wei
ß, ob wir dann unsere Gef
ährten noch lebend
5325 angetroffen h
ätten?
</p>
5326 <p>Wir arbeiteten also in fieberhafter Eile an der Herstellung des
5327 Schiffes, um m
öglichst bald einen sichern Richtschu
ß
5328 abgeben zu k
önnen. Und wirklich, im Verlauf des dritten Tages
5329 war es gelungen, die Kugeln zeigten keine merkliche Drehung mehr.
5330 Es war die h
öchste Zeit; noch wenige Stunden, und wir
5331 h
ätten den Einflu
ß des Mondes bek
ämpfen
5332 m
üssen. Jetzt konnten wir es noch wagen, uns schwerzumachen
5333 und der Anziehung der Erde nur durch einen schwachen
5334 Korrekturschu
ß nachzuhelfen.
</p>
5335 <p>Die Diabarit
ät wurde aufgehoben. Mit h
öchster Spannung
5336 warteten wir die n
ächste Beobachtung ab. War in der
5337 fr
üheren Berechnung irgendein kleiner Fehler vorgekommen, so
5338 konnte es sein, da
ß wir nach dem Mond statt nach der Erde
5339 fielen. Noch stand er
über uns, mit seiner gl
änzenden
5340 Scheibe einen betr
ächtlichen Teil des Himmels verdeckend, denn
5341 sein Durchmesser erschien
26mal so gro
ß wie hier von der Erde
5342 aus. Deutlich unterschieden wir jede Einzelheit an seiner
5343 Oberfl
äche. Die riesigen Ringgebirge lagen wie zum Greifen vor
5344 uns. Die langgestreckten Lavafelder, durch die tiefschwarzen
5345 Schatten breiter Risse unterbrochen, gl
änzten blendend im
5346 Sonnenlicht. Unter uns, bereits merklich kleiner als der Mond,
5347 schwebte die Erde als matte Scheibe, vom Schimmer des Mondlichts
5348 erleuchtet; nur eine schmale Sichel zeigte sich im Strahl der
5349 Sonne. Wenn wir uns von der Sonne, die nahe neben der Erde stand,
5350 abwendeten, gl
änzten
überall am tiefschwarzen Firmament
5351 die Sterne in leuchtender Pracht. Es war ein herrlicher Anblick,
5352 aber wir achteten nicht darauf. Wir warteten nur, ob unsere Kugel
5353 beginnen w
ürde, sich zu drehen, das hei
ßt, den Boden
5354 unter unsern F
üßen dem Mond zuzuwenden; dies w
äre
5355 das Zeichen gewesen, da
ß wir dem Mond und nicht mehr der Erde
5356 tribut
är waren. Noch n
äherten wir uns dem Mond, da er
5357 noch immer ein wenig vor uns in unserer Richtung stand. Noch
5358 überwog die Anziehung der Erde, doch war sie von der des
5359 Mondes so geschw
ächt, da
ß wir kaum einen Zug nach dem
5360 Boden bemerkten; wir mu
ßten uns verhalten wie im schwerelosen
5361 Feld. Die Sorge um unsere Gef
ährten lie
ß es uns jeden
5362 Augenblick erscheinen, als beg
önnen die Gegenst
ände sich
5363 zu erheben, als wollte unsre innere Kugel sich drehen. Aber noch
5364 immer schwebte der Mond
über uns.
</p>
5365 <p>Endlich hatte Mitt seine Beobachtung beendet.
›Wir kommen
5366 durch
‹, sagte er.
›Wir sinken.
‹ Alle atmeten
5368 <p>Noch eine Viertelstunde, und die Erdschwere machte sich wieder
5369 geltend. Die Instrumente lie
ßen deutlich erkennen, da
ß
5370 wir uns der Erde wieder zu n
ähern begannen. Nun kam es darauf
5371 an, den passenden Richtschu
ß zur Korrektur unsres Falls
5372 abzugeben. Wir h
ätten zwar damit warten k
önnen, bis wir
5373 der Erde n
äher waren. Aber je eher wir es taten, um so weniger
5374 Energie brauchten wir aufzuwenden. Denn wenn erst unsre
5375 Fallgeschwindigkeit gr
ößer geworden war, so mu
ßte
5376 die Kraft auch um so st
ärker sein, welche unsre Richtung zu
5377 ver
ändern vermochte.
</p>
5378 <p>Mit gr
ößter Sorgfalt wurde die Bombe gew
ählt,
5379 die
äu
ßere Kugel in die berechnete Stellung gebracht und
5380 die Entladung durch Verbindung mit dem Chronometer im richtigen
5381 Moment bewirkt. Die Reaktion war schwach, und wir schwankten nur
5382 wenig auf unsern Pl
ätzen. In wenigen Minuten war alles
5383 vollbracht, was wir vorl
äufig tun konnten. Todm
üde
5384 suchten wir unsere Lagerst
ätten auf, denn Ruhe hatte es bis
5385 jetzt f
ür uns nicht gegeben.
</p>
5386 <p>Ich hatte einige Stunden fest geschlafen, als ich durch ein
5387 allgemeines Stimmengewirr aufgeweckt wurde. Ich eilte in den
5388 Au
ßenraum, und das erste, was mir in die Augen fiel, war der
5389 ver
änderte Anblick des Mondes. Er war kleiner geworden, wir
5390 entfernten uns also von ihm; das beruhigte mich. Aber seine
5391 erleuchtete Fl
äche zeigte eine Abplattung, das hei
ßt,
5392 wir sahen auf ein St
ück der nicht erleuchteten Mondkugel, das
5393 meiner Ansicht nach gr
ößer war, als es h
ätte sein
5394 d
ürfen, wenn wir nach der Erde zu fielen. Schnell begab ich
5395 mich nach der unteren Seite, und hier sah ich, da
ß auch die
5396 Erde entschieden an Gr
öße abgenommen hatte. Wir
5397 entfernten uns also von beiden Himmelsk
örpern, und zwar, wie
5398 sich sogleich herausstellte, in einer nahezu kreisf
örmigen
5399 Ellipse, deren Ebene mit der der Erdbahn fast einen rechten Winkel
5401 <p>Wie dies geschehen konnte, ist bis heute unaufgekl
ärt
5402 geblieben. Da
ß es nicht eher bemerkt wurde, daran trug der
5403 Mann schuld, welcher die Wache hatte und aus
Überm
üdung
5404 eingeschlafen war. Sonst h
ätte er sehr bald am Richtungszeiger
5405 den Fehler bemerken m
üssen, und dann h
ätte noch ein
5406 Korrekturschu
ß angebracht werden k
önnen. Jetzt aber war
5407 unsere Entfernung von der Erde bereits so gro
ß geworden,
5408 da
ß wir unsere Richtung fast h
ätten umkehren
5409 m
üssen, um die Erde wieder zu erreichen. Das durften wir bei
5410 unserm geringen Vorrat an starken Richtsch
üssen nicht tun.
</p>
5411 <p>Einige von Ihnen wissen vielleicht, da
ß Mitt nach unsrer
5412 R
ückkehr auf den Mars seines Fehlers wegen zur Verantwortung
5413 gezogen wurde. Es konnte ihm aber kein Versehen nachgewiesen
5414 werden, und er wurde freigesprochen. Die Rechnungen wurden
5415 s
ämtlich aufs genauste gepr
üft, und es blieben nur zwei
5416 Erkl
ärungen
übrig. Es war m
öglich, da
ß nach
5417 dem Verlassen der Erdatmosph
äre wegen der mangelhaften
5418 Beschaffenheit unsres Schiffes die erste Ortsbestimmung fehlerhaft
5419 gewesen ist und dieser Fehler auf die Beurteilung unsrer Richtung
5420 oder Geschwindigkeit nachgewirkt hat. Infolgedessen w
äre der
5421 Korrekturschu
ß unrichtig abgegeben worden. Es konnte aber
5422 auch die Beobachtung als richtig vorausgesetzt und der Rechnung
5423 durch die Hypothese gen
ügt werden, da
ß wir, ohne es zu
5424 wissen, w
ährend des Schlafs der Wache durch einen unbekannten
5425 kosmischen K
örper abgelenkt worden sind, den wir, obgleich er
5426 ziemlich gro
ß gewesen sein mu
ß, nachtr
äglich nicht
5427 bemerkten, weil er bereits in den Erdschatten getreten war.
</p>
5428 <p>Nun, wie dem auch sein mochte, wir konnten nicht mehr zur Erde
5429 zur
ück. Unsre Niedergeschlagenheit k
önnen Sie sich
5430 denken. Sie wurde noch gr
ößer, als wir erkannten, wie es
5431 mit unsrer R
ückkehr zum Mars beschaffen sei.
</p>
5432 <p>Gingen wir in unsrer Bahn weiter, so kamen wir nach einem halben
5433 Erdenjahr wieder der Erde so nahe, da
ß wir sie h
ätten
5434 erreichen k
önnen. Aber dann hatte der S
üdpol Winter, und
5435 wir w
ären dort verloren gewesen. Der gew
öhnliche Weg nach
5436 dem Mars war uns zum Ungl
ück durch einen gro
ßen Kometen
5437 versperrt, dessen Anziehungsbereich wir ber
ücksichtigen
5438 mu
ßten. Ein zweiter Weg
– Sie m
üssen bedenken,
5439 da
ß wir unsre Richtung und Geschwindigkeit nicht so oft und
5440 beliebig
ändern konnten wie heutzutage
–, ein zweiter
5441 Weg h
ätte uns bis in die N
ähe der Asteroidenbahnen
5442 gef
ührt, und das ist so, als wenn Sie auf dem Meer zwischen
5443 unbekannten Klippen segeln wollten. Denn wenn wir auch damals schon
5444 gegen
2.000 dieser kleinen Planeten kannten, so gibt es doch noch
5445 unz
ählige, die so klein sind, da
ß wir sie noch nie
5446 gesehen haben, kleiner als unsre Kugel, aber gen
ügend, um uns
5447 in Grund und Boden zu bohren, wenn wir auf einen treffen.
5448 Au
ßerdem h
ätte auch dieser Weg so lange Zeit in Anspruch
5449 genommen, da
ß es fraglich wurde, ob unser Proviant dazu
5450 ausreichte. Alle
übrigen Wege waren noch weiter und
5451 mu
ßten deshalb verworfen werden. Der Mars stand, wie ich
5452 bemerken will, hinter der Sonne, denn seit unsrer Abreise von ihm
5453 war ein halbes Erdenjahr vergangen.
</p>
5454 <p>Mitt hatte uns das Resultat seiner Berechnungen mitgeteilt und
5455 sich dann zu neuen Pr
üfungen in seine Kaj
üte
5456 zur
ückgezogen. Wir sa
ßen in uns gekehrt da, jeder machte
5457 sich mit dem Gedanken vertraut, unsren lieben Nu nicht wieder zu
5458 betreten. Einer der Gef
ährten
äu
ßerte sich endlich
5459 dahin, man solle die jetzige Bahn einhalten, nach einem halben Jahr
5460 die Erde zu treffen suchen, diese aber am Nordpol anlaufen. Da
5461 alsdann dort Sommer w
äre so w
ürden wir wahrscheinlich
5462 eins unsrer Schiffe antreffen, von dem wir gen
ügende
5463 Vorr
äte bekommen k
önnten, um im n
ächsten
5464 S
üdsommer nach dem S
üdpol zur
ückzukehren. Die
5465 Hoffnung freilich, unsre Gef
ährten noch zu retten,
5466 mu
ßten wir wohl aufgeben, immerhin aber konnten wir auf diese
5467 Weise unsre R
ückkehr nach dem Mars sichern, selbst f
ür
5468 den Fall, da
ß wir kein Schiff daselbst antrafen. Wir konnten
5469 ja dann die g
ünstigste Stellung zur Reise abwarten und fanden
5470 auf alle F
älle einige Vorr
äte in den Depots. Dieser Plan
5471 fand allseitigen Beifall, und wir schickten uns eben an, den
5472 Kapit
än zu rufen, um ihm unsre Vorschl
äge zu machen, als
5473 dieser mit gl
änzenden Augen unter uns trat und rief:
5474 ›Freunde, wollen wir in sechzig Tagen auf dem Mars
5476 <p>Wir sprangen auf und umringten ihn. Alle wollten wir
5477 n
äheres h
ören. Nun
–«</p>
5478 <p>Jo unterbrach sich und warf einen Blick auf die Uhr.
</p>
5479 <p>»Pik und Spe!
« rief er.
»ist das schon
5480 sp
ät geworden! Nun, ich will schnell ein Ende
5482 <p>»O bitte, bitte, es ist noch Zeit.
«</p>
5483 <p>»Kurz und gut! Mitt hatte den k
ühnen Plan erdacht, in
5484 einer r
ückl
äufigen Hyperbel mit kurzer Periheldistanz
5485 quer
über die Erdbahn weg auf den Mars zu sto
ßen. Er
5486 setzte uns das kurz auseinander. Allerdings mu
ßten wir unsre
5487 Richtsch
üsse bis auf einen letzten, zum Landen bestimmten
5488 Notvorrat daran wagen. Nur eine Gefahr war dabei, und deshalb
5489 wollte Mitt nicht ohne unsere Einwilligung handeln
– wir
5490 kamen der Sonne in einer Weise nahe, wie es noch kein Raumschiffer
5491 gewagt hatte, und es fragte sich, ob wir die Strahlung w
ürden
5492 aushalten k
önnen.
</p>
5493 <p>Auch der Plan, auf der Erde am Nordpol anzulegen, schien Mitt
5494 sehr erw
ägenswert, und lange wurde hin und her
überlegt,
5496 <p>Aber Sie wissen ja, in jedem rechten Raumschifferherzen steckt
5497 die Lust, das Ungewohnte zu wagen, wenn es einigerma
ßen
5498 aussichtsvoll ist. Den Gef
ährten konnten wir in diesem
5499 S
üdpol-Sommer doch nicht mehr helfen, und so wurde
5500 beschlossen, die k
ühne Hyperbelfahrt zu versuchen.
</p>
5501 <p>Nun, Gott war gn
ädig, wir sind heimgekommen. Aber die zwei
5502 Tage, die wir um die Sonnenn
ähe jagten, die m
öchte ich
5503 nicht wieder erleben. Ich habe manches durchgemacht
– solche
5504 Glut noch nicht. Wir konnten unsre
äu
ßere Stellitkugel
5505 nur dadurch vor dem Schmelzen bewahren, da
ß wir sie schnell
5506 rotieren lie
ßen; so strahlte sie die auf der einen Seite
5507 empfangene Hitze auf der andern wieder aus
– wei
ß
5508 nicht, bekomme sogleich einen wahren Merkursdurst, wenn ich daran
5510 <p>Damit tat Jo einen tiefen Zug aus seinem Mundst
ück und
5512 <p>»Schade, schade, da
ß Sie morgen schon
5513 fortgehen!
« sagte La zu Jo.
»Von der Sonnenn
ähe
5514 m
üssen Sie uns noch einmal erz
ählen!
«</p>
5515 <p>»Wenn
’s einmal recht kalt ist!
«</p>
5516 <p>»Und All? Hat man nichts mehr von ihm geh
ört?
«
5518 <p>»Nichts! Auch bei wiederholten Besuchen des S
üdpols
5519 hat man keine Spuren mehr gefunden, keine Aufzeichnungen. Und nun,
5520 Gott befohlen! Auf Wiedersehen morgen vormittags!
«</p>
5521 <p>Jo sch
üttelte den Deutschen die H
ände, und alle
5522 Martier wiederholten die Begr
üßung. Dann zogen sie sich
5523 zur
ück. Nur La und Se blieben noch einige Minuten und redeten
5524 ihren G
ästen zu, ihre Reise nicht im Winter zu wagen, sondern
5525 mit ihnen nach dem Mars zu gehen.
</p>
5526 <p>»Lassen Sie sich durch Jos Erz
ählung nicht bange
5527 machen
«, sagte La l
ächelnd.
»Wir nehmen jetzt
5528 soviel Richtsch
üsse mit, da
ß wir allen Hindernissen
5529 schleunigst ausweichen k
önnen. Die Gefahr lag ja fr
üher
5530 darin, da
ß man auf der Erdoberfl
äche landen und von dort
5531 abreisen mu
ßte; jetzt aber haben wir auf beiden Planeten
5532 Stationen au
ßerhalb der Atmosph
äre.
«</p>
5533 <p>»Solche Besorgnisse w
ürden uns nicht abhalten
«,
5534 sagte Grunthe ernst.
»Wir hoffen ja sp
äter mit der Hilfe
5535 Ihrer Landsleute auf den Mars zu reisen.
«</p>
5536 <p>»Und was h
ält Sie denn ab, schon jetzt mit uns zu
5537 kommen?
« fragte Se.
</p>
5538 <p>»Die Pflicht
«, erwiderte Grunthe.
</p>
5539 <p>La und Se schwiegen einen Augenblick. Dann sagte Se mit einem
5540 Blick auf Saltner:
</p>
5541 <p>»Es gibt auch eine Pflicht gegen die Freunde.
«</p>
5542 <p>»Die Pflicht der Dankbarkeit gegen unsre Retter wird mir
5543 stets heilig bleiben
«, sagte Grunthe,
»aber im Falle
5544 des Widerstreits entscheidet die
ältere
–«</p>
5545 <p>»Oder die h
öhere
«, fiel La ein,
»und das
5546 werden wir schon noch untersuchen.
«</p>
5547 <p>»Das wissen Sie ja
«, sagte Saltner herzlich,
5548 »da
ß ich nichts lieber t
äte, als mit Ihnen zu
5549 gehen, wohin
’s auch immer w
äre.
«</p>
5550 <p>»Mit wem denn?
« scherzte La.
»Wir wohnen
5551 leider auf dem Mars dreitausend Kilometer voneinander.
«</p>
5552 <p>»Das ist nicht so schlimm
«, erwiderte Saltner.
5553 »Sie haben dort gewi
ß so schnelle
5554 Bef
örderungsmittel, da
ß man einen Tag hier und einen da
5555 sein kann. Und das hat auch seine guten Seiten.
«</p>
5556 <p>»Das ist reizend
«, rief Se.
»Sie passen
5557 ausgezeichnet auf den Mars. Wenn wir Sie nun beim Wort
5559 <p>Se und La warfen sich einen Blick des Einverst
ändnisses zu.
5560 Dann fa
ßten sie jede einen seiner Finger und sagten
5562 <p>»Gebunden.
«</p>
5563 <p>Saltner machte ein etwas verdutztes Gesicht, da er nicht recht
5564 wu
ßte, was das bedeuten sollte.
</p>
5565 <p>»Wieso?
« fragte er.
»Was soll das
5567 <p>»Ein Spiel!
« rief La, und beide sahen ihn so
5568 sonderbar und freundlich an, da
ß ihm ganz seltsam ums Herz
5570 <p>»Gehen
’s
«, sagte er etwas verlegen,
»Sie
5571 wollen mich gewi
ß zum besten haben. Was mu
ß ich denn
5572 jetzt tun?
«</p>
5573 <p>»Das wird sich schon finden. Recht liebensw
ürdig sein
5574 m
üssen Sie!
« sagte Se.
»Und jetzt gute Nacht! Sie
5575 m
üssen morgen zeitig aufstehen, eigentlich schon heute, der
5576 Flugwagen nach der Au
ßenstation geht um ein Uhr.
«</p>
5577 <p>»Auf Wiedersehen morgen am abarischen Feld!
« rief
5579 <p>Und beide nickten ihm freundlich zu, gr
üßten Grunthe
5580 und schwebten mit ihrem leichten, gleitenden Schritt nach der
5581 T
ür. Die Wolke gl
ühender Funken wogte um Se, und
5582 über den schlanken Formen ihres Halses schimmerte der zarte
5583 Regenbogen ihres Haars.
Über Las Haupt gl
änzte es wie ein
5584 Heiligenschein, und aus ihren tiefen Augen fiel ein langer Blick
5585 auf Saltner zur
ück. Dann schlo
ß sich die T
ür. Die
5586 Feen der Insel waren verschwunden.
</p>
5587 <p>Saltner stand noch lange stumm und blickte nach der
5588 geschlossenen T
ür. Was meinten sie wohl? Wie sollte er sie
5589 verstehen? Und welche von beiden
– –</p>
5590 <p>Dann drehte er sich auf dem Absatz herum und pfiff leise vor
5592 <p>»Das ist gescheit
«, sagte er,
»die scheinen
5593 halt nicht eifers
üchtig. Aber
– am Ende ist das gar
5594 nicht sehr schmeichelhaft f
ür mich. Wer kann sich auch gleich
5595 bei den Feen auskennen? Kommen Sie, Grunthe, wir wollen
5596 soupieren.
«</p>
5597 <p>Die beiden M
änner zogen sich in ihr Zimmer zur
ück,
5598 a
ßen zu Abend und sprachen dabei hin und her
über die
5599 Frage, ob sie imstande sein w
ürden, dem Wunsch der Martier zu
5600 widerstehen und am Pol zur
ückzubleiben.
</p>
5601 <p>»Ich ging schon gern hin
«, sagte Saltner endlich,
5602 »aber von Ihnen geh ich nicht, alter Freund. Und nun sehen
5603 Sie zu, was Sie durchsetzen.
«</p>
5604 <h2>15 -
6.356 Kilometer
über dem Nordpol
</h2>
5605 <p>Grunthe und Saltner ruhten noch in ihren Betten, als bereits im
5606 abarischen Feld ein reges Leben herrschte. Die Martier, welche das
5607 Raumschiff besteigen sollten, begaben sich in Abteilungen von je
5608 vierundzwanzig Personen nach der Au
ßenstation. So viele
5609 fa
ßte der Flugwagen, der den Verkehr von der Insel nach dem
5610 Abgangspunkt der Raumschiffe vermittelte, nach jenem in der
5611 H
öhe von
6.356 Kilometern
über dem Pol schwebenden Ring.
5612 Es waren also, um die Reisenden und diejenigen ihrer Freunde, die
5613 sie bis an das Schiff begleiten wollten, nach dem Ring zu
5614 bef
ördern, drei Flugwagen erforderlich. Der Aufstieg nahm
5615 ungef
ähr eine Stunde in Anspruch, und da sich niemals mehr als
5616 ein Wagen im abarischen Feld befinden durfte, so verlie
ß der
5617 erste Wagen schon am fr
ühsten Morgen, richtiger noch in der
5618 konventionellen Schlafenszeit, denn die Sonne ging ja nicht auf
5619 noch unter, die Inselstation. Dies war nach der Tageseinteilung,
5620 welche die Martier f
ür den Nordpol der Erde festgesetzt
5621 hatten, um
11,
6 Uhr, nach mitteleurop
äischer Zeit
5622 ungef
ähr um
11 Uhr vormittags, eine Stunde vor dem Aufstehen,
5623 wie es sonst auf der Insel
üblich war.
</p>
5624 <p>Diesmal mu
ßten Grunthe und Saltner freilich etwas
5625 fr
üher ihre Ruhe unterbrechen, denn der dritte Flugwagen, der
5626 sie nach der Au
ßenstation bringen sollte, verlie
ß die
5627 Insel gegen
0,
6 Uhr, um eine Stunde vor der Abfahrt des
5628 Raumschiffes am Ring zu sein.
</p>
5629 <p>Die Martier waren schon fast vollst
ändig in der
5630 Abfahrtshalle am abarischen Feld versammelt, als Grunthe und
5631 Saltner ankamen. Die meisten der Anwesenden waren ihnen bereits
5632 bekannt, und alle begr
üßten sie aufs
5633 liebensw
ürdigste. Auch Hil, der Arzt, hatte sich eingefunden.
5634 Da die Menschen zum erstenmal eine Fahrt im abarischen Feld machten
5635 – wenn man die unfreiwillige in ihrem Luftballon nicht
5636 mitrechnen wollte
–, so war es ihm von gr
ößtem
5637 wissenschaftlichem Interesse, ihr Verhalten dabei zu beobachten.
5638 Auch konnte man ja nicht wissen, ob nicht vielleicht unter den
5639 ungewohnten Bedingungen, denen die Menschen hier ausgesetzt waren,
5640 seine Hilfe vonn
öten w
ürde. Indessen wu
ßten sich
5641 Grunthe und Saltner schon ganz geschickt zu benehmen, als sie die
5642 auf Marsschwere gestellte Vorhalle betraten. Zu ihrer Verwunderung
5643 sahen sie, da
ß die Martier die Pelzkragen nicht mehr trugen,
5644 in denen sie den Weg
über die Insel zur
ückgelegt hatten,
5645 sondern sich in ihrer gew
öhnlichen Zimmertoilette
5647 <p>Hil forderte sie auf, ebenfalls ihre M
äntel abzulegen, da
5648 sie nun bis zu ihrer R
ückkehr nicht mehr ins Freie k
ämen.
5649 Wagen und Ringstation seien selbstverst
ändlich k
ünstlich
5651 <p>Vergeblich sah sich Saltner nach La und Se um. Schon
5652 ert
önte das Signal zum Einsteigen, als La eilig hereinkam und
5653 die Anwesenden begr
üßte. Ihre Blicke flogen alsbald zu
5654 Saltner, der sich ihr noch schnell n
äherte und ihr die Hand
5655 reichen wollte. Sie aber legte beide H
ände auf seine Schultern
5656 und sah ihm z
ärtlich in die Augen. Die Begr
üßung
5657 überraschte ihn, er mu
ßte sich einen Augenblick sammeln,
5658 denn er wu
ßte, da
ß diese Form des Willkomms nur unter
5659 ganz nahestehenden Freunden oder Liebenden
üblich war und
5660 ungef
ähr die Bedeutung eines Kusses unter den Menschen
5661 besa
ß. Aber ihre Blicke gaben ihm schnell den Mut, sie zu
5662 erwidern, und zu seiner gro
ßen Freude gl
ückte es ihm,
5663 ihre Schultern mit seinen H
änden zu ber
ühren, ohne zu
5664 hoch in die Luft zu greifen, und sie auch wieder zu entfernen, ohne
5665 das Gleichgewicht zu verlieren. Nur das rosig schimmernde Haar
5666 streiften seine Finger, und er f
ühlte diese Ber
ührung wie
5667 ein leises
Überspringen elektrischer Funken.
</p>
5668 <p>Schon bestiegen die
übrigen den Flugwagen. Hil geleitete
5669 Grunthe hinein. La fa
ßte Saltner an der Hand, um ihn beim
5670 Hinaufsteigen der ungewohnten Stufen ins Innere des Wagens zu
5671 unterst
ützen. Ehe er dieselben betrat, blickte er noch einmal
5672 zur
ück, um nach Se zu schauen, ob sie nicht k
äme.
</p>
5673 <p>»Heute nicht
«, sagte La, seinen Gedanken erratend,
5674 »morgen sehen Sie sie wieder. Heute m
üssen Sie mit mir
5675 vorliebnehmen.
«</p>
5676 <p>Es war keine Zeit zu Erkl
ärungen. Der Wagen wurde
5677 geschlossen. Dies geschah, indem der au
ßenstehende Beamte die
5678 Fallt
ür hob, durch welche die Reisenden in das Innere des
5679 Wagens gestiegen waren. Der Boden bildete jetzt die ebene, mit
5680 weichen Teppichen belegte Fl
äche eines ger
äumigen
5681 Zimmers. Die Decke war gleichfalls eben, w
ährend der ganze
5682 Wagen
äu
ßerlich die Gestalt einer vollkommenen Kugel
5683 besa
ß. In den beiden Segmenten, welche durch Boden und Decke
5684 gebildet waren, befand sich je ein Wagenf
ührer, die beide
5685 durch Signale mit der untern wie mit der oberen Station
5687 <p>Nirgends zeigte sich ein Fenster, von der Au
ßenwelt war
5688 nichts zu sehen. Eine Anzahl von Kugeln, welche an unsichtbaren
5689 Lisf
äden von der Decke herabhingen, verbreitete ein angenehmes
5690 Licht. Die Deutschen sahen hier zum erstenmal die k
ünstliche
5691 Beleuchtung der Martier durch fluoreszierende Lampen, die nur aus
5692 absolut luftleer gemachten, durchscheinenden Kugeln bestanden und
5693 infolge der schnellen Wechselstr
öme leuchteten, welche von dem
5694 mittleren Teil der Wagenwand ausgingen. In diesem befand sich auch
5695 der Heizapparat. Das Zimmer hatte im Grundri
ß die Gestalt
5696 eines Quadrats, so da
ß zwischen seinen W
änden und der
5697 Kugel noch Raum f
ür einige kleinere Gelasse blieb. Die
5698 Ausstattung war die bei den Martiern
übliche mit einem festen
5699 Tisch in der Mitte, der zugleich als B
üffet diente. Nur
5700 dadurch unterschied sie sich von der eines gew
öhnlichen
5701 Gesellschaftszimmers, da
ß sich ringsum an den W
änden
5702 auffallende Gestelle hinzogen, deren Zweck Grunthe nicht zu erraten
5703 vermochte. Er war geneigt, sie f
ür Turnger
äte zu halten,
5704 und etwas
Ähnliches waren sie auch. Eigent
ümlich waren
5705 ferner die St
ühle, s
ämtlich mit Seitenlehnen und Leisten
5706 an den F
üßen versehen. Diese St
ühle konnte man
5707 zwar, infolge einer besonderen Mechanik, nach Verlangen hin- und
5708 herschieben, nicht aber vom Boden aufheben.
</p>
5709 <p>Kaum war der Wagen verschlossen, als ein zweites Signal
5710 ert
önte. Schnell suchte sich jeder der Martier eines der
5711 Gestelle am Rand des Zimmers und begab sich in dasselbe. Grunthe
5712 und Saltner wurden angewiesen, wie sie sich dabei zu benehmen
5713 h
ätten. Sie steckten die F
üße in schuhartige
5714 Vorspr
ünge am Boden, so da
ß sie nicht ausgleiten
5715 konnten, stemmten sich mit den Armen fest an den zur Seite
5716 befindlichen Griffen und lehnten sich mit dem R
ücken an die
5717 gepolsterte Wand, w
ährend der Kopf zwischen weichen Kissen wie
5718 in einer Grube ruhte.
</p>
5719 <p>»Nun bin ich nur neugierig, was das soll
«, sagte
5720 Saltner.
»Hoffentlich brauchen wir nicht zwei Stunden lang
5721 hier als Mumien zu stehen.
«</p>
5722 <p>»Es dauert nicht lange
«, sagte einer der
5724 <p>»Halten Sie sich ganz fest
«, f
ügte La hinzu,
5725 »von dem Augenblick, in welchem die tiefe Glocke erklingt und
5726 das Licht sich verdunkelt, bis es wieder hell wird, und r
ühren
5727 Sie sich ja nicht.
«</p>
5728 <p>»Ich folge blindlings
–«</p>
5729 <p>»Warum
–« Grunthe wollte etwas fragen. Da
5730 erscholl das Signal. Das Licht wurde so schwach, da
ß man eben
5731 nur noch die Stellen sah, wo die Lampen hingen.
</p>
5732 <p>Es erfolgte ein dumpfer Knall. Die Insassen der Kugel erlitten
5733 eine leichte Ersch
ütterung und f
ühlten sich kr
äftig
5734 gegen den Boden gedr
ückt. Unter die Kugel war n
ämlich ein
5735 Beh
älter mit stark komprimierter Luft gebracht worden, durch
5736 deren Entspannung der Flugwagen mit einer Geschwindigkeit von
30
5737 Metern pro Sekunde in dem abarischen Feld aufw
ärtsgeschleudert
5738 wurde. Gleichzeitig wurde die Schwere im Feld vollst
ändig
5739 kompensiert. W
ährend bisher die Schwerkraft innerhalb der
5740 Kugel, der Gewohnheit der Martier entsprechend, immer noch ein
5741 Drittel der Erdschwere betragen hatte, war sie jetzt g
änzlich
5743 <p>Das Gef
ühl, welches die Menschen ergriff, war nicht
5744 unangenehm und keineswegs stark,
ähnlich wie in einem Bad, nur
5745 da
ß die Ber
ührungsempfindung des Wassers fehlte. Man
5746 gew
öhnte sich schnell daran und gewahrte nur einen schwachen
5747 Blutandrang nach dem Kopf.
</p>
5748 <p>Die Lampen wurden wieder hell, und ein Teil der Martier kam
5749 vorsichtig aus den Gestellen hervor. Sie machten sich das
5750 Vergn
ügen, in dem absolut schwerelosen Raum durch einen
5751 leichten Sto
ß gegen den Boden bis zur Decke in die H
öhe
5752 zu schwingen und sich von dort wieder abzusto
ßen oder eine
5753 Zeitlang ohne jede Unterst
ützung v
öllig frei in der Luft
5755 <p>Saltner h
ätte dies gern auch einmal probiert, aber La riet
5756 ihm dringend, sein Gestell noch nicht zu verlassen, da es
5757 l
ängerer
Übung bed
ürfe, ehe man sich in dem
5758 schwerelosen Raum geschickt bewegen k
önne. Dagegen forderte
5759 sie zwei Damen, welche die Fahrt mitmachten, zu einem kleinen
5760 T
änzchen auf, und die drei grazi
ösen Figuren schwebten
5761 nun, indem sie mit geschickten Bewegungen sich vom Boden und den
5762 W
änden abstie
ßen, Hand in Hand um das Zimmer. In ihren
5763 wehenden Schleiern glichen sie den Elfen des M
ärchens, die in
5764 der Mondnacht ihren luftigen Reigen f
ühren. Darauf zogen sie
5765 sich wieder auf ihre Pl
ätze zur
ück.
</p>
5766 <p>Grunthe nahm sein Fernrohr aus der Tasche, streckte die Hand aus
5767 und
öffnete sie dann. Das Fernrohr blieb frei in der Luft
5768 schweben, ohne zu fallen. Er konnte es sich nicht versagen, selbst
5769 einmal zu versuchen, wie es sich ohne Schwere gehe, und trat aus
5770 seinem Gestell. Sobald er aber dasselbe losgelassen und den
5771 Fu
ß zum ersten Schritt erhob, verlor er das Gleichgewicht und
5772 focht mit H
änden und F
üßen in der Luft herum, ohne
5773 wieder auf den Boden kommen zu k
önnen. Es sah ungeheuer
5774 possierlich aus, wie der ernste Mann hin- und herstrampelte, und
5775 Saltner war sehr froh, da
ß er Las Rat gefolgt war, sich nicht
5776 von seinem festen Punkt fortzuwagen. Erst durch Hilfe einiger
5777 Martier kam Grunthe wieder auf den Boden zu stehen und wurde in
5778 sein Gestell zur
ückgef
ührt.
</p>
5779 <p>»Es schadet nichts
«, sagte er,
»man mu
ß
5780 alles versuchen.
«</p>
5781 <p>Jetzt erscholl ein neues Signal, worauf alle sich schleunigst in
5782 ihre Gestelle begaben. Gleich darauf wurde es ganz dunkel bis auf
5783 den matten Schimmer einer Lampe, welche genau die Mitte des Zimmers
5784 einnahm. Doch reichte ihr Schein nur aus, ihre Stelle zu
5785 bezeichnen, nicht aber, irgendwelche andere Gegenst
ände zu
5787 <p>»Was kommt denn nun?
« fragte Saltner.
</p>
5788 <p>Hil antwortete ihm.
»Bis jetzt
«, sagte er,
5789 »sind wir ohne Schwere durch den gegebenen Ansto
ß mit
5790 gleichm
äßiger Geschwindigkeit gestiegen, und zwar sechs
5791 Minuten lang. Wir haben dadurch eine H
öhe von ungef
ähr
5792 10.000 Metern erreicht. Die Luft ist hier d
ünn genug,
5793 da
ß wir eine gr
ößere Geschwindigkeit annehmen
5794 k
önnen. Das Feld wird jetzt
überkompensiert, das
5795 hei
ßt, die
›Gegenschwere
‹ überwiegt nun
5796 die Schwere, und wir
›fallen
‹ nach oben, nach dem
5797 Ring zu. Sie werden bald merken, da
ß unsere Geschwindigkeit
5798 stark zunimmt, denn unser Fall nach dem Ring beschleunigt sich
5799 nat
ürlich rasch.
«</p>
5800 <p>In der Tat bemerkten Grunthe und Saltner bald dasselbe
5801 Gef
ühl, welches sie bei sehr beschleunigtem Fallen des Ballons
5802 zu haben pflegten. Es war, als w
ürde ihnen der Boden unter den
5803 F
üßen entzogen.
</p>
5804 <p>»Was ist denn das?
« rief Saltner.
»Wir
5805 st
ürzen ja ab!
«</p>
5806 <p>»Freilich fallen wir
«, lachte La,
»aber nach
5807 oben, das hei
ßt, von der Erde fort.
«</p>
5808 <p>»Ich f
ühle doch, da
ß der Boden unter den
5809 F
üßen sich senkt.
«</p>
5810 <p>»Ganz richtig, aber wo, glauben Sie, da
ß die Erde
5811 sich befindet?
«</p>
5812 <p>»Nun, doch unter uns!
«</p>
5813 <p>»Fehlgeschossen! Sie stehen jetzt auf dem Kopf wie ein
5814 Antipode. Die Erde ist
über Ihrem Scheitel, unsre
5815 F
üße sind dem Ring der Au
ßenstation zugekehrt,
5816 wohin jetzt die Richtung der Fallkraft hinweist.
«</p>
5817 <p>»Ach, liebste La, wollen Sie mich denn vollst
ändig
5818 verdreht machen?
«</p>
5819 <p>Als Antwort h
örte er ihr leises Lachen.
</p>
5820 <p>Es wurde wieder hell. Nichts im Zimmer hatte sich
5822 <p>Die Martier verlie
ßen nun ihre Gestelle und bewegten sich
5823 wie gew
öhnlich im Zimmer.
</p>
5824 <p>Auch Grunthe und Saltner bemerkten, da
ß sich das
5825 eigent
ümliche Gef
ühl des Fallens ziemlich verloren hatte.
5826 Doch kam dies nur daher, da
ß sie sich daran gew
öhnt
5827 hatten. Tats
ächlich flog die Kugel mit immer
5828 gr
ößerer Geschwindigkeit auf ihr Ziel zu, von der Erde
5829 fort, und diese Geschwindigkeit sollte sich allm
ählich bis auf
5830 die kolossale Zahl von gegen zweitausend Meter in der Sekunde
5832 <p>Der untere Teil der Kugel, unter dem Fu
ßboden, war
5833 beschwert, so da
ß sich die Kugel je nach der Richtung der
5834 Fallkraft immer mit dem Boden des Zimmers nach unten einstellte.
5835 Diese Drehung hatte sich sofort vollzogen, als das Feld
5836 überkompensiert wurde und die Beschleunigung nach oben begann.
5837 Aber die Insassen hatten gar nichts davon bemerkt, da sie fest in
5838 ihren Gestellen ruhten und die Wirkung der Schwere im Anfang so
5839 gering war, da
ß es zu ihrer Aufhebung keiner merklichen
5840 Muskelkraft bedurfte. Sie standen jetzt, im Vergleich zu ihrem
5841 Aufenthalt am Pol, tats
ächlich auf dem Kopf; im Vergleich zu
5842 der auf sie wirkenden Anziehungskraft befanden sie sich jedoch in
5843 der normalen Lage; sie standen auf ihren F
üßen. Immerhin
5844 mu
ßten sich Grunthe und Saltner vorsichtig bewegen, da das
5845 Feld nur um ein Drittel der Erdschwere
überkompensiert war,
5846 das hei
ßt so, da
ß die Insassen der Kugel unter einer
5847 anziehenden Kraft standen, wie sie sie auf dem Mars gewohnt waren.
5848 Die Menschen zogen es daher vor, sich auf den Sesseln am Tisch
5849 niederzulassen und dort zu bleiben. Es fehlte nicht an Unterhaltung
5850 mit den Martiern, die jetzt zu ihren Piks gegriffen hatten. Hil
5851 hatte sich
überzeugt, da
ß die Menschen die
5852 Schwerelosigkeit leicht ertrugen. Saltner sa
ß Hand in Hand
5853 mit La in vertraulichem Gespr
äch. Niemand k
ümmerte sich
5855 <p>Eine halbe Stunde etwa nach der Abfahrt von der Erde
5856 mu
ßten die Insassen des Wagens auf das gegebene Signal noch
5857 einmal ihre Pl
ätze in den seitlichen Verschl
ägen
5858 einnehmen. Der Wagen hatte jetzt seine gr
ößte
5859 Geschwindigkeit erreicht und
über die H
älfte seines Weges
5860 zur
ückgelegt. Es kam nunmehr darauf an, seine Geschwindigkeit
5861 zu vermindern und so zu regulieren, da
ß er gerade innerhalb
5862 des Ringes zur Ruhe kam. Dies geschah, indem man die Erdschwere
5863 wieder wirken lie
ß. Diese besa
ß jedoch in dieser
5864 H
öhe nicht mehr die volle St
ärke wie am Pol, sondern war
5865 nur noch etwa so gro
ß wie auf dem Mars, ja auf dem Ring
5866 selbst betrug sie nur ein Viertel der unten herrschenden Schwere.
5867 Der Wagen glich jetzt einem K
örper, den man mit gro
ßer
5868 Geschwindigkeit in die H
öhe geworfen hat und der sich nun mit
5869 abnehmender Geschwindigkeit dem h
öchsten Punkt seiner Bahn
5870 n
ähert. Der Fu
ßboden des Wagens mu
ßte sich demnach
5871 wieder der Erde zuwenden, und diese Drehung wartete man bei
5872 verdunkeltem Wagen in den sch
ützenden Gestellen ab. Den
5873 übrigen Teil der Fahrt
über konnte man sich nach Belieben
5874 im Wagen bewegen, nur kurz vor der Ankunft wurden die Gestelle
5875 wieder aufgesucht. Denn der letzte Teil des Weges mu
ßte mit
5876 gleichm
äßiger, nicht sehr bedeutender Geschwindigkeit
5877 zur
ückgelegt werden, um das Anhalten des Wagens im richtigen
5878 Zeitpunkt zu regulieren. Dazu aber war es notwendig, diese Strecke
5879 abarisch, ohne jede Schwere zu durchlaufen, bis das
5880 Wiedereinstellen der Schwere in der letzten Sekunde den Wagen
5882 <p>Man bemerkte kaum das Anhalten des Wagens, so allm
ählich
5883 war es geschehen. Das Fallnetz hatte sich unter ihm geschlossen und
5884 war nach der Befestigung des Wagens wieder entfernt worden. Die
5885 T
ür im Boden wurde ge
öffnet.
</p>
5886 <p>Ehe die Reisenden den Wagen verlie
ßen, versahen sich alle
5887 mit Schutzbrillen f
ür die Augen, da hier oben das direkte
5888 Sonnenlicht durch keine Atmosph
äre gemildert war und alle
5889 Gegenst
ände, auf die es traf, in blendendem Glanz erscheinen
5890 lie
ß, w
ährend sich die Schatten tiefschwarz abhoben. Nun
5891 trat man in die mittlere Galerie des Ringes.
</p>
5892 <p>Die Martier durchschritten dieselbe und begaben sich sogleich
5893 durch die T
ür, welche die
Überschrift trug
›Vel lo
5894 nu
‹ – ›Raumschiff nach dem Mars
‹
5895 –, nach der oberen Galerie,
über welcher das Raumschiff
5896 ruhte. Grunthe und Saltner dagegen wurden von Hil und La
5897 zun
ächst durch eine andere T
ür nach der unteren Galerie
5898 geleitet, und zwar nach derjenigen, welche den Ring auf seiner
5899 äu
ßeren Seite umzog.
</p>
5900 <p>Eine zweite solche untere Galerie umgab den Ring auf der inneren
5901 Seite und enthielt die Apparate, durch welche das abarische Feld
5902 kontrolliert wurde. Hier befanden sich auch die Arbeitsr
äume
5903 der Ingenieure. Um nach der
äu
ßeren Galerie durch einen
5904 Verbindungsweg zu gelangen, mu
ßte man zun
ächst die
5905 innere durchschreiten, und La begr
üßte ihren Vater Fru,
5906 dem die Leitung der Au
ßenstation oblag. Die
5907 äu
ßere, sechs Meter breite Galerie sprang noch etwa zwei
5908 Meter
über die Seitenwand des Ringes vor, so da
ß man an
5909 dieser vor
über in die H
öhe blicken konnte. Sie diente als
5910 Aussichtsraum, von welchem aus der Blick auch nach der inneren
5911 Seite des Ringes frei war, so da
ß man nach unten den ganzen
5912 Horizont beherrschte.
</p>
5913 <p>Ihrer vollen L
änge nach hatte man nach Art eines Balkons
5914 eine Br
üstung angebracht, so da
ß man glaubte, von diesem
5915 erhabenen Standpunkt aus direkt ins Freie zu sehen.
5916 Tats
ächlich war man durch den vollkommen durchsichtigen Stoff
5917 der Au
ßenwand vom luftleeren, eisigen Weltraum geschieden.
5918 Aber die in weiten Zwischenr
äumen sich folgenden Tr
äger
5919 dieser Galerie hinderten ebensowenig die Aussicht wie der weiter
5920 oberhalb sich drehende durchbrochene Schwungring. Die Stelle, an
5921 welcher Grunthe und Saltner mit ihren Begleitern die Galerie
5922 betraten, lag von der Sonne abgewendet, so da
ß die Strahlen
5923 derselben, trotz ihres niedrigen Standes, durch die ganze Breite
5924 des
über der Galerie befindlichen Ringes abgeblendet wurden.
5925 Sie standen in einer geheimnisvollen D
ämmerung, die nur durch
5926 den Reflex des Mondlichtes auf dem einen Rand der Galerie und durch
5927 denjenigen des Erdlichtes an der Decke
über ihnen erhellt
5929 <p>Tiefschwarz lag der Himmel ringsum,
über ihnen, an den
5930 Seiten, zu ihren F
üßen; auf dem schwarzen Grund
5931 gl
änzten die Sterne in nie geschauter Klarheit, ohne zu
5932 funkeln, als tausend ruhig leuchtende Punkte. Im ersten Augenblick
5933 glaubten die Forscher in einen tiefen See zu blicken, in welchem
5934 der Himmel sich spiegele. Dann erst erkannten sie, da
ß sie zu
5935 ihren F
üßen einen gro
ßen Teil der Sternbilder des
5936 s
üdlichen Himmels vor sich hatten. Denn ihr Blick beherrschte
5937 den Himmel bis zu sechzig Grad unter den Horizont des Nordpols.
</p>
5938 <p>In der Mitte zu ihren F
üßen schwebte die Erde als
5939 eine gl
änzende Scheibe. Sie hatte die Gestalt des zunehmenden
5940 Mondes kurz nach seinem ersten Viertel, doch erblickte man auch den
5941 von der Sonne nicht beleuchteten Teil, da ihn das Licht des Mondes
5942 in einen schwachen Schimmer h
üllte. Die ganze Scheibe der Erde
5943 erschien unter einem Gesichtswinkel von sechzig Grad und
5944 erf
üllte somit gerade den dritten Teil des Himmels unterhalb
5945 des Horizontes. Die Schattengrenze schnitt das Eismeer in der
5946 N
ähe der Jenisseim
ündung, so da
ß der
5947 gr
ößte Teil Sibiriens und die Westk
üste Amerikas im
5948 Dunkel lagen. Hell gl
änzten die Gletscher an der Ostk
üste
5949 Gr
önlands im Schein der Mittagssonne, und als ein strahlender
5950 wei
ßer Fleck hob sich Island aus den dunklen Fluten des
5951 Atlantischen Meeres. Der westliche Teil des Ozeans und der
5952 amerikanische Kontinent waren nicht zu erkennen.
Über ihnen
5953 ruhte eine nur selten unterbrochene Wolkenschicht, deren obere
5954 Seite die Sonnenstrahlen in blendendem Wei
ß zur
ückwarf,
5955 so da
ß ihr Anblick ohne die sch
ützenden Augengl
äser
5956 unertr
äglich gewesen w
äre. Dagegen lag die Karte von ganz
5957 Europa, wenigstens in seinem n
ördlichen Teil, in
5958 g
ünstigster Beleuchtung vor den entz
ückten Blicken. Unter
5959 dem Einflu
ß eines ausgedehnten Hochdruckgebiets war die Luft
5960 dort v
öllig klar und rein, so da
ß man die
5961 n
ördlichen Inseln und Halbinseln und die tief eingeschnittenen
5962 Meeresbuchten deutlich erkannte. Weiterhin verschwammen die Formen
5963 der Ebenen in einem bl
äulich-gr
ünlichen Luftton, aber als
5964 feine helle Linien blitzten f
ür ein scharfes Auge die Ketten
5965 der Alpen und selbst des Kaukasus auf. In matterem Licht schimmerte
5966 der Rand des beleuchteten Teils der Scheibe, und nur an der
5967 Schattengrenze bezeichneten einige helle Lichtpunkte den Untergang
5968 der Sonne f
ür die Schneegipfel des Tianschan und des
5970 <p>In tiefem Schweigen standen die Deutschen, v
öllig versunken
5971 in den Anblick, der noch keinem Menschenauge bisher verg
önnt
5972 gewesen war. Noch niemals war es ihnen so klar zum Bewu
ßtsein
5973 gekommen, was es hei
ßt, im Weltraum auf dem K
örnchen
5974 hingewirbelt zu werden, das man Erde nennt; noch niemals hatten sie
5975 den Himmel unter sich erblickt. Die Martier ehrten ihre Stimmung.
5976 Auch sie, denen die Wunder des Weltraums vertraut waren,
5977 verstummten vor der Gegenwart des Unendlichen. Die machtvollen
5978 Bewohner des Mars und die schwachen Gesch
öpfe der Erde, im
5979 Gef
ühl des Erhabenen beugten sich ihre Herzen in gleicher
5980 Demut der Allmacht, die durch die Himmel waltet. Aus der Stille des
5981 Alls sprach die Stimme des einen Vaters zu seinen Kindern und
5982 f
üllte ihre Seelen mit and
ächtigem Vertrauen.
</p>
5983 <p>La hatte Saltners Hand ergriffen, sanft lehnte sie sich an seine
5984 Schulter, und mit der Rechten auf den hellsten der Sterne weisend,
5985 der unterhalb des Horizonts des Pols leuchtete sagte sie leise:
5986 »Dort ist meine Heimat.
«</p>
5987 <p>Saltner zog sie an sich und sprach:
»Und dort meine Erde,
5988 ist sie nicht sch
ön?
«</p>
5989 <p>Grunthe holte sein Relieffernrohr hervor und trat dicht an den
5990 inneren Rand der Galerie, welcher den Blick auf den Nordpol
5991 gestattete. Auch ihn hatte die Erinnerung an die so greifbar nahe
5992 vor ihm ausgebreiteten und doch so unerreichbaren fernen Lande
5993 seiner Heimat weichgestimmt. Aber er wollte nichts wissen von dem,
5994 was La und Saltner sich zu sagen hatten. Ihn besch
äftigte
5995 jetzt, nachdem das
Überw
ältigende des ersten Eindrucks
5996 vor
über war, vor allem der Gedanke, wie er es erm
öglichen
5997 k
önne, die Reise
über die Eisfelder und Meere des
5998 Polargebiets zur
ückzulegen. Und er wollte die g
ünstige
5999 Gelegenheit benutzen, von hier oben den Weg zu
überblicken,
6000 den er auf den Karten der Martier schon wiederholt studiert hatte.
6001 Ein kleiner dunkler Fleck direkt unter ihm stellte das Binnenmeer
6002 am Pol vor, und mit seinem Glas konnte er die Insel in der Mitte
6003 desselben erkennen. Er wandte sich mit einer Frage an Hil, der ihn
6004 an eine andere Stelle der Galerie f
ührte.
</p>
6005 <p>»Sie k
önnen hier
«, sagte er,
»die Erde
6006 bequemer mit einem unsrer Apparate betrachten, der Ihnen eine
6007 hundertfache Vergr
ößerung gibt. Sp
äter sollen Sie
6008 im Laboratorium unser gro
ßes Fernrohr mit tausendfacher
6009 Ann
äherung kennenlernen.
«</p>
6010 <p>La blickte lange nach der Erde hinab. Dann sagte sie in ihrer
6011 langsamen, tiefen Sprechweise:
»Gr
ößer und
6012 sch
öner mag eure Erde sein, aber ich m
üßte dort
6013 sterben in eurer Schwere. Und schwer wie die Luft sind eure Herzen.
6014 Ich aber bin eine Nume.
«</p>
6015 <p>Sie lie
ß das sch
ützende Augenglas herabfallen und
6016 wendete ihm voll das Gesicht zu. In ihrem Blick flammte wieder jene
6017 unbeschreibliche
Überlegenheit, welche den Menschenwillen
6018 brach. Aber es war nur ein Moment. Dann wechselte der Ausdruck
6019 ihrer Z
üge, ihre Wimpern senkten sich
über die Sterne
6020 ihrer Augen, und Saltner f
ühlte, wie ein Strom von W
ärme
6021 ihrem Antlitz entstrahlte, das sie nun zur Seite wandte.
</p>
6022 <p>Vom Zauber ihrer N
ähe hingerissen, beugte er sich ihr
6023 entgegen und dr
ückte seine Lippen auf ihren Hals.
</p>
6024 <p>La zuckte zusammen. Schon f
ürchtete Saltner, sie beleidigt
6025 zu haben, aber sie wandte sich mit einem gl
ücklichen
6026 L
ächeln und duldete seinen Ku
ß auf ihren Mund.
</p>
6027 <p>»Geliebte La
«, fl
üsterte er,
»wie
6028 gl
ücklich machst du mich! Ist es denn m
öglich, du
6029 Wunderbare, da
ß ein armer Mensch eine Nume lieben
6031 <p>Sie sah ihn freundlich an und antwortete:
»Ich wei
ß
6032 es nicht, was ihr Liebe nennt und was ein Mensch darf. La aber darf
6033 dem Menschen nicht z
ürnen, ohne den sie den Nu nicht
6034 wiedersehn w
ürde
– – doch, mein Freund
6035 –«, und ihr Blick wurde ernst,
»–
6036 vergi
ß nicht, da
ß ich eine Nume bin.
«</p>
6037 <p>»Aber ich liebe dich!
«</p>
6038 <p>»Ich will es nicht verbieten, nur vergi
ß niemals
6040 <p>»Das verstehe ich nicht, wenn ich nur dein sein darf
6042 <p>»Die Liebe der Nume macht niemals unfrei
«, sagte
6044 <p>»Und wenn du mich lieb hast
–«</p>
6045 <p>»Wie Nume lieb haben. Und du mu
ßt wissen, wenn sie
6046 es tun, da
ß dies niemand etwas angeht als sie selbst, und
6047 da
ß –. Ich wei
ß es auf deutsch nicht recht zu
6048 sagen
–«</p>
6049 <p>»Auf martisch versteh ich
’s ganz gewi
ß nicht,
6050 aber ich wei
ß –«, und Saltner zog ihre Hand an
6051 seine Lippen,
»– ich wei
ß, da
ß du
6052 –« Seine beredten Schmeichelworte wurden durch die
6053 Ann
äherung Hils unterbrochen.
</p>
6054 <p>»Wenn wir vor dem Abgang noch einen Blick in das Schiff
6055 werfen wollen
«, sagte er,
»so ist es jetzt
6057 <p>»Schon?
« rief La.
»Wir haben die Erde noch gar
6058 nicht durchs Fernrohr betrachtet.
«</p>
6059 <p>»Das k
önnen wir noch vor der
6060 R
ückfahrt.
«</p>
6061 <p>»Aber dann ist es vielleicht in Deutschland schon
6062 Abend
«, sagte Saltner,
»ich m
öchte doch gern
6064 <p>»Durchaus nicht
«, erwiderte Hil.
»In einer
6065 halben Stunde ist alles vor
über, und dann haben Sie erst ein
6066 Viertel nach drei Uhr.
– Aber lassen Sie uns jetzt
6068 <h2>16 - Die Aussicht nach der Heimat
</h2>
6069 <p>Die vier Besucher des Ringes begaben sich
über die mittlere
6070 Galerie nach der Treppe zur oberen. Hier gelangten sie in die weite
6071 Halle, von welcher aus die Abfahrt der Raumschiffe stattfand. Das
6072 rege Leben, das hier geherrscht hatte, begann sich jetzt zu
6073 beruhigen. Denn die Einschiffung der Abreisenden war vollendet, und
6074 ihre Begleiter verlie
ßen soeben das Schiff. Die Luke sollte
6075 geschlossen werden.
</p>
6076 <p>Hil mit seiner Begleitung hatte sich doch versp
ätet, und so
6077 mu
ßten Grunthe und Saltner sich diesmal darauf
6078 beschr
änken, das Raumschiff von au
ßen zu betrachten. Sie
6079 tr
östeten sich damit, da
ß in drei Tagen bereits eine
6080 neue Abfahrt stattf
ände;
überdies fesselte sie der
6081 Anblick, der sich ihnen darbot, zur Gen
üge.
</p>
6082 <p>Die riesige Halle besa
ß einen Radius von
60 Meter. An
6083 ihrer Decke, und zwar rings um den Rand herum, befanden sich
6084 kreisf
örmige Einschnitte. Auf f
ünf von ihnen ruhte je ein
6085 Raumschiff, so da
ß das untere Segment desselben in die Halle
6086 hineinragte und von hier aus zug
änglich war. Der
6087 überwiegende Teil jedes Raumschiffs befand sich nat
ürlich
6088 oberhalb der Decke nach au
ßen, wodurch die Halle, wenn man
6089 sie von oben her h
ätte betrachten k
önnen, wie von
6090 f
ünf Riesenkuppeln gekr
önt erschienen w
äre. Bei
6091 vollbesetzter Station h
ätten sich acht Kuppeln
über der
6092 Halle erhoben. Die Martier waren imstande, acht Raumschiffe
6093 gleichzeitig auf der Station zu halten. Die vorhandenen f
ünf
6094 Schiffe sollten in dreit
ägigen Zwischenr
äumen die Station
6095 verlassen; sie vermochten s
ämtliche anwesende Martier
6096 fortzufahren, so da
ß also der Aufenthalt der Martier auf der
6097 Insel in f
ünfzehn Tagen beendet sein mu
ßte. Man konnte
6098 durch die vollst
ändig durchsichtige Decke die Au
ßenseite
6099 der Schiffe genau betrachten. Sie stellten vollkommene Kugeln dar,
6100 die mit ihrem gr
ößten Umfang noch weit
über den
6101 Rand der Galerie hinausragten. Auch nicht der geringste Vorsprung,
6102 nicht die kleinste Unebenheit war an ihnen zu entdecken. Die
6103 äu
ßeren H
üllen dieser Kugeln waren durchsichtig.
6104 Man erblickte hinter ihnen die innere Kugel, den eigentlichen
6105 Schiffsraum, von welchem aus eine Reihe von
Öffnungen in den
6106 Zwischenraum zwischen beiden Kugeln hineinf
ührte. Dieser
6107 über zwei Meter breite Raum trug in regelm
äßiger
6108 Anordnung allerlei Ger
üste, die den verschiedenen Zwecken der
6109 Raumfahrt dienten. Jetzt waren sie zum gr
ößten Teil von
6110 den Martiern besetzt, die mit ihren Freunden in der Abfahrtshalle
6111 noch Abschiedsgr
üße austauschten.
</p>
6112 <p>An der tiefsten Stelle der Kugel befand sich ein abgegrenzter
6113 Raum, der die Kommandobr
ücke bildete. Hier erschien jetzt Jo.
6114 Er warf einen Blick auf die Apparate, die rings um seinen Platz
6115 angeordnet waren. Dann gr
üßte er mit einer Handbewegung
6116 in die Halle hinein und dr
ückte auf einen Knopf. In diesem
6117 Augenblick leuchtete zu seinen F
üßen auf der Innenseite
6118 der durchsichtigen Kugel das Bild eines Kometen und der Name des
6119 Schiffes, das der
›Komet
‹ hie
ß, in
6120 bl
äulichem Fluoreszenzlicht auf. Dies war das Zeichen,
6121 da
ß der
›Komet
‹ bereit war, seine Reise
6123 <p>Man hatte schon vorher die ganze Galerie, die sich um ihre
6124 vertikale Achse drehen lie
ß, f
ür die Abfahrt passend
6125 eingestellt. Genau in der Sekunde, in welcher diese stattfinden
6126 sollte, mu
ßte der Punkt der Galerie, wo das Schiff sich
6127 befand, von der Sonne abgewendet stehen. Denn sobald das Schiff bei
6128 seiner Abfahrt v
öllig schwerelos gemacht wurde, bewegte es
6129 sich in der Tangente der Erdbahn. Da aber die Erde gleichzeitig in
6130 ihrer Bahn fortlief, so hatte dies zur Folge, da
ß das Schiff
6131 in bezug auf die Erde sich auf einer Linie entfernte, welche genau
6132 von der Sonne fortwies. Nach dieser Richtung hin also mu
ßte
6133 die Bahn frei sein. Die Sonne hatte den niedrigen Stand von gegen
6134 sieben Grad
über dem Horizont, die Bewegung wich somit von der
6135 horizontalen wenig ab.
</p>
6136 <p>Die Martier im Innern der Abfahrtshalle fuhren jetzt auf
6137 Schienen eine eigent
ümliche Hebemaschine unter das Schiff. Sie
6138 bestand in einem oben offenen, unten geschlossenen Zylinder,
6139 welcher dazu diente, das Schiff aus seinem Lager zu heben und
6140 gleichzeitig die
Öffnung der Abfahrtshalle luftdicht zu
6141 schlie
ßen. Der Zylinder wurde in die H
öhe geschraubt und
6142 hob dadurch auf seinem oberen Rande das fast schon schwerelos
6143 gemachte und darum leicht bewegliche Schiff empor. Als das Schiff
6144 so hoch gebracht war, da
ß sein tiefster Punkt h
öher
6145 stand als das Dach der Halle, wurde der Hebungszylinder angehalten.
6146 Auf ein gegebenes Zeichen mu
ßte er herabfallen und damit das
6147 Schiff freigeben.
</p>
6148 <p>Der entscheidende Augenblick nahte. Die vollkommene Diabarie des
6149 Schiffes mu
ßte genau in dem berechneten Moment eintreten,
6150 wenn nicht die Disposition der ganzen Raumreise dadurch
6151 ver
ändert werden sollte.
</p>
6152 <p>Jo hatte seinen Blick auf die Uhr gerichtet, w
ährend seine
6153 Hand den Griff des diabarischen Apparats umfa
ßt hielt. Mit
6154 gr
ößter Aufmerksamkeit beobachtete ihn der Ingenieur im
6155 Innern der Halle, um das Zeichen zum Fallen des
6156 St
ütz-Zylinders zu geben.
</p>
6157 <p>Jetzt blickte Jo hinab und dr
ückte auf den Griff. Zugleich
6158 sank der Zylinder nach unten. Die riesige Kugel schwebte,
6159 vollst
ändig frei, dicht
über dem Dach der Halle.
</p>
6160 <p>Die Martier im Schiff und in der Halle schwenkten
6161 gr
üßend H
ände und T
ücher. Mit angehaltenem
6162 Atem folgten Grunthe und Saltner dem wunderbaren Schauspiel, das so
6163 gar keine
Ähnlichkeit mit dem Aufstieg eines Luftballons
6164 hatte. Es schien den Menschen, als m
üßte die
6165 freischwebende Riesenmasse sie im n
ächsten Augenblick
6167 <p>In den ersten Sekunden bemerkte man kaum, da
ß das
6168 Raumschiff sich bewege, denn die Abweichung von der Erdbahn, welche
6169 in der ersten Sekunde nur
3 Millimeter betr
ägt, steigt nach
10
6170 Sekunden erst auf
30 Zentimeter. Nach einer Minute aber war die
6171 Entfernung schon auf
11 Meter gewachsen. Die Kugel passierte jetzt
6172 den Rand der Galerie und schwebte frei
über der unendlichen
6173 Tiefe,
6.300 Kilometer hoch
über der Erde. Selbst die
6174 ge
übten Luftschiffer Grunthe und Saltner
überkam ein
6175 be
ängstigendes Gef
ühl, als sie das Schiff so ganz
6176 langsam, ohne jede bemerkbare Triebkraft,
über den Abgrund
6177 ziehen sahen. Schon wuchs die Entfernung merklicher. Nach zwei
6178 Minuten war es
44, nach drei Minuten
100 Meter entfernt, und immer
6179 mehr verschwanden die wehenden T
ücher. Genau in der Richtung
6180 der Sonnenstrahlen, sanft nach unten geneigt, hart am Rand des
6181 – übrigens im leeren Raum nicht sichtbaren
–
6182 Schattens des Ringes zog das Schiff hin. Die Kugel wurde sichtlich
6183 kleiner; nach zehn Minuten hatte sie einen Abstand von
1.100 Metern
6185 <p>»Es ist nun hier weiter nichts mehr zu sehen
«, sagte
6186 Hil zu Saltner.
»Wenn es Ihnen recht ist, werfen wir jetzt
6187 einen Blick auf die Erde durch unsern gro
ßen
6189 <p>»Wie lange kann man den
›Komet
‹ noch
6190 erblicken?
« fragte Grunthe.
</p>
6191 <p>»Mit dem Fernrohr
«, erwiderte Hil,
6192 »k
önnen wir ihn so lange sehen, bis er Richtsch
üsse
6193 gibt und durch den Erdschatten geht. Wie mir Jo sagte, beabsichtigt
6194 er dies zu tun, sobald er
1.000 Kilometer von hier entfernt ist.
6195 Das wird in
5 Stunden der Fall sein. Nachher entfernt er sich
6196 nat
ürlich mit viel gr
ößerer Geschwindigkeit, weil
6197 er von der Erdbahn abbiegt.
«</p>
6198 <p>»Kann man die L
ösung der Richtsch
üsse von hier
6199 beobachten?
«</p>
6200 <p>»Davon sehen Sie gar nichts. Ich will Ihnen jetzt etwas
6201 Interessanteres zeigen, und Sie sollen mir mancherlei
6202 erkl
ären.
«</p>
6203 <p>In der inneren auf der Unterseite des Ringes befindlichen
6204 Galerie traf die kleine Gesellschaft auf Las Vater, der erst jetzt
6205 Saltner und Grunthe freundlich begr
üßte, da er bisher zu
6206 sehr mit der Expedition des Schiffes besch
äftigt gewesen war.
6207 Hil bat um Erlaubnis, das gro
ße Instrument der Station
6208 benutzen zu d
ürfen. Fru erkl
ärte sich gern bereit, selbst
6209 die Einstellung zu
übernehmen.
</p>
6210 <p>»Aber du mu
ßt die ganz starke
6211 Vergr
ößerung anwenden
«, sagte La schmeichelnd zu
6212 ihrem Vater,
»der arme Bat hier m
öchte einmal sehen, wo
6213 er zu Hause ist.
«</p>
6214 <p>»Und die neugierige La auch, nicht wahr? Nun, du
6215 wei
ßt, es kommt alles auf die Beleuchtung an.
«</p>
6216 <p>Es gesellten sich noch einige andere Martier hinzu, die
6217 ebenfalls die Gelegenheit wahrnehmen wollten, sich die Erde von
6218 ihren Bewohnern erkl
ären zu lassen.
</p>
6219 <p>»Ach
«, sagte Saltner leise zu La,
»das wird
6220 eine gro
ße Gesellschaft, da werden wir wohl nicht viel zu
6221 sehen bekommen.
«</p>
6222 <p>»Warte nur ab
«, antwortete sie ebenso,
»das
6223 wird gerade h
übsch. Du wei
ßt ja gar nicht, wie man bei
6224 uns ins Fernrohr sieht.
«</p>
6225 <p>Man sammelte sich vor einer geschlossenen T
ür.
</p>
6226 <p>»Sie denken vielleicht
«, sagte La,
»da
ß
6227 bei uns jeder f
ür sich durch ein Rohr guckt. O nein, das ist
6228 viel bequemer.
«</p>
6229 <p>Fru
öffnete die T
ür. Man trat in ein vollst
ändig
6230 verdunkeltes Zimmer, das nur k
ünstlich durch eine Lampe
6231 beleuchtet war. Die eine Wand war rein wei
ß, alle
6232 übrigen schwarz angestrichen. Man gruppierte sich vor der
6233 wei
ßen Wand, im Vordergrund La, Saltner und Grunthe als
6234 G
äste neben ihr. Hinter den Zuschauern befand sich ein Gestell
6235 mit verschiedenen Apparaten und Me
ßinstrumenten, von welchem
6236 aus schwarz angestrichene Rohre nach der Decke liefen. Hier stellte
6237 sich Fru auf. Das Licht verlosch. Nur die Schrauben und Skalen der
6238 Apparate phosphoreszierten in schwachem Eigenlicht.
</p>
6239 <p>Als Fru den Verschlu
ß des Suchers
öffnete,
6240 projizierte sich auf der Wand ein Teil des s
üdlichen
6241 Sternenhimmels, und nach einigen Verschiebungen erschien das Bild
6242 der Erde, nicht vergr
ößert, aber sehr scharf in allen
6243 Umrissen. Es nahm fast die ganze Fl
äche der Wand ein, und man
6244 konnte deutlich die Abnahme der Beleuchtung an der Schattengrenze
6245 beobachten, die jetzt schon etwas weiter nach Westen ger
ückt
6246 war. Zum Gl
ück zeigte sich der Himmel
über Deutschland
6247 ganz klar, so da
ß Fru nicht zweifelte, die st
ärkste
6248 Vergr
ößerung anwenden zu k
önnen. Fru ersuchte
6249 Grunthe, ihm auf dem Bild an der Wand die Stelle zu bezeichnen, an
6250 welcher ungef
ähr die Hauptstadt seines Landes zu suchen sei.
6251 Grunthe deutete auf einen Punkt in Norddeutschland und Fru stellte
6252 nun den Projektionsapparat so ein, da
ß dieser Punkt genau in
6253 die Mitte des Bildes kam. Jetzt wandte er hundertfache
6254 Vergr
ößerung an, um die Stadt Berlin erkennen zu lassen.
6255 Die Entfernung von der Au
ßenstation bis nach Berlin betrug
6256 8.600 Kilometer; bei der angewandten Vergr
ößerung wurden
6257 also die Gegenst
ände bis auf
86 Kilometer naheger
ückt,
6258 und es war somit m
öglich, Ausdehnungen von etwa hundert Meter
6259 L
änge zu unterscheiden und bei besonders heller Beleuchtung
6260 auch noch kleinere. Der Kreis an der Wand, der jetzt freilich sehr
6261 viel lichtschw
ächer erschien, zeigte sich von br
äunlichen
6262 und gr
ünlichen Streifen und Vierecken bedeckt, die an
6263 zahlreichen Stellen von dunkleren, unregelm
äßigen
6264 Flecken unterbrochen waren; jene waren die bebauten Felder, diese
6265 die dazwischen liegenden W
älder und Seen.
</p>
6266 <p>Grunthe hatte richtig gesch
ätzt. An der rechten Seite des
6267 Bildes waren die ausgedehnten Seen der Havel bei Potsdam
6268 unverkennbar, links erschien noch der Lauf der Oder bei Frankfurt
6269 auf dem Bild. Eine verwaschene Stelle nach rechts unten zeigte die
6270 von Rauch erf
üllte Atmosph
äre der Millionenstadt an.
6271 Diese wurde nun in die Mitte der Projektion gebracht und nochmals
6272 um das Zehnfache vergr
ößert. Dadurch r
ückte die
6273 Stadt bis auf kaum neun Kilometer an den Standpunkt des Beschauers
6274 heran. Es war, als ob man sie aus einem dreitausend Meter
über
6275 dem Nordende der Stadt schwebenden Luftballon betrachtete, nur
6276 freilich bei einer au
ßerordentlich matten Beleuchtung. Der
6277 auf der Wand abgebildete Kreis umfa
ßte in Wirklichkeit einen
6278 Durchmesser von zehn Kilometern.
</p>
6279 <p>Dem Mangel an Licht, welcher eine Folge der Projektion bei
6280 starker Vergr
ößerung war, konnten die Martier durch eine
6281 ihrer genialen Erfindungen abhelfen; sie schalteten in den Gang der
6282 Lichtstrahlen ein sogenanntes optisches Relais ein. Die Strahlen
6283 passierten dabei eine Vorrichtung, durch welche sie neue Energie
6284 aufnahmen, und zwar jede Farbengattung genau Licht derselben Art
6285 und im Verh
ältnis ihrer Helligkeit. Dadurch erhielt das ganze
6286 Bild, ohne seinen Charakter zu ver
ändern, die erforderliche
6287 Lichtst
ärke. Eins aber konnte freilich nicht entfernt werden
6288 – der
über der ganzen Stadt lagernde Dunst und Qualm.
6289 Die Felder n
ördlich von der Stadt und ein Teil der Vororte
6290 waren zu erkennen. Man bemerkte die feinen Linien, von einem
6291 Rauchw
ölkchen gekr
önt, welche die der Hauptstadt
6292 zustrebenden Eisenbahnz
üge vorstellten. Das H
äusermeer
6293 selbst aber verschwamm in einem grauen Nebel,
über den nur die
6294 T
ürme und Kuppeln der Kirchen hervorragten. Deutlich erkannte
6295 man den Reflex der Sonne an dem Dach des Reichstagsgeb
äudes
6296 und an der Siegess
äule.
</p>
6297 <p>Grunthe und Saltner hatten nat
ürlich schon
öfter
6298 Gelegenheit gehabt, bei ihren Gespr
ächen mit den Martiern die
6299 wichtigsten geographischen und politischen Aufkl
ärungen
6300 über die Menschen zu geben. Sie w
ürden noch besseres
6301 Verst
ändnis daf
ür gefunden haben, wenn nicht die
6302 Inselbewohner als Techniker haupts
ächlich
6303 mathematisch-naturwissenschaftlich gebildet gewesen w
ären, so
6304 da
ß ihre historischen Kenntnisse nur der allgemeinen Bildung
6305 der Martier entsprachen. So wu
ßten diese blo
ß im
6306 allgemeinen zu sagen, da
ß ihnen die Einrichtungen der Erde
6307 auf dem Standpunkt zu stehen schienen, den man auf dem Mars als
6308 Periode der Kohlenenergie bezeichnete. Sie lag f
ür die
6309 Geschichte der Martier um mehrere hunderttausend Jahre zur
ück.
6310 Rassen, Staaten und St
ände in hei
ßem Konkurrenzkampf um
6311 Lebensunterhalt und Genu
ß, die ethischen und
6312 ästhetischen Ideale noch nicht rein geschieden von den
6313 theoretischen Bestimmungen, der Energieverbrauch ganz auf das
6314 Pflanzenreich angewiesen, ob diese Energie nun von der
6315 Landwirtschaft aus den lebenden oder von der Industrie aus den
6316 begrabenen Pflanzen, den Kohlen, gezogen wurde.
</p>
6317 <p>»Woher kommen diese Nebel
über Ihren gro
ßen
6318 St
ädten?
« fragte einer der Martier.
</p>
6319 <p>»Haupts
ächlich von der Verbrennung der Kohle
«,
6320 erwiderte Grunthe.
</p>
6321 <p>»Aber warum nehmen Sie die Energie nicht direkt von der
6322 Sonnenstrahlung? Sie leben ja vom Kapital statt von den
6324 <p>»Wir wissen leider noch nicht, wie wir das machen sollen.
6325 Übrigens sind die Kohlen doch nur zur
ückgelegte Zinsen,
6326 die unsere geehrten Vorfahren im Tierreich nicht aufzehren
6328 <p>»Die Wolken sind h
äßlich, man kann ja nichts
6329 deutlich sehen
«, sagte La.
</p>
6330 <p>»Ich w
ünschte
«, sprach Hil mehr f
ür sich
6331 als zu den andern,
»wir h
ätten bei uns einen Teil Ihrer
6332 Wolken. Welch gewaltige Wasserbecken haben Sie auf der
6334 <p>»Es ist aber hier an der Stadt wirklich nichts zu
6335 sehen
«, bemerkte Fru.
»Die Luft ist zu unruhig in
6336 gr
ößerer H
öhe
über der Stadt, wir bekommen
6337 keine klaren Bilder.
«</p>
6338 <p>»Lassen Sie uns einmal meine Heimat schauen
«, rief
6339 Saltner.
»Bitt
’ sch
ön! Da ist die Luft klar wie
6340 auf dem Mars.
«</p>
6341 <p>»Das wollen wir sehen
«, sagte La.
»Aber
6342 Heimweh d
ürfen Sie nicht bekommen.
«</p>
6343 <p>»Ich will Ihnen sagen, wie Sie reisen m
üssen. Drehen
6344 Sie einmal so, da
ß wir nach Westen kommen
–«</p>
6345 <p>»Wie weit ist es bis nach Ihrer Heimat?
«</p>
6346 <p>»Von Berlin? Nun so siebenhundert Kilometer oder etwas
6347 mehr werden
’s wohl sein.
«</p>
6348 <p>»Nun, da kommen wir doch rascher zum Ziel, wenn wir erst
6349 noch einmal die hundertfache Vergr
ößerung nehmen und
6350 dann einstellen. So, jetzt dirigieren Sie. Das Bild fa
ßt
6351 nunmehr hundert Kilometer im Durchmesser.
«</p>
6352 <p>»Also westlich bitte
– aber nicht zu schnell, sonst
6353 erkenn ich nichts. Das ist Potsdam, nun weiter
–. Das ist die
6354 Elbe
– meinen Sie nicht, Grunthe? Das dort mu
ß
6355 Magdeburg sein
– halt! Nun immer direkt
6356 s
üdlich.
«</p>
6357 <p>Fru lie
ß die Karte von Deutschland
über die Tafel
6358 wandern. Der Harz, die H
ügel- und Waldlandschaften
6359 Th
üringens und des fr
änkischen Jura zogen schnell
6360 vor
über, die bayerische Hochebene beherrschte das Bild.
</p>
6361 <p>»Das dort mu
ß M
ünchen sein, da ist
’s
6362 sch
ön!
« rief Saltner.
»Bitte, machen Sie einmal
6363 gro
ß. Und dann erst weiter, dann kommen die Alpen.
«</p>
6364 <p>Fru stellte den Apparat wieder auf tausendfache
6365 Vergr
ößerung und schaltete das optische Relais ein. Die
6366 Hauptstadt Bayerns zeigte ihre Kuppeln.
</p>
6367 <p>»Jetzt dachte ich doch wirklich einen Augenblick
«,
6368 rief La,
»dort eine Frau zu erkennen. Aber das
6369 m
üßte ja eine seltsame Riesin sein.
«</p>
6370 <p>»Das ist sie auch
«, sagte Saltner lachend.
»Es
6371 ist die Bilds
äule der Bavaria, die Sie sehen.
«</p>
6372 <p>»Bavaria? Wodurch hat sich die Frau so verdient gemacht,
6373 da
ß man ihr Bilds
äulen setzt? Hat sie ein Problem
6374 gel
öst?
«</p>
6375 <p>»Die Bierfrage
«, sagte Saltner.
</p>
6376 <p>»Die Bilds
äule stellt die Personifikation eines
6377 unsrer Staaten vor
«, erkl
ärte Grunthe.
</p>
6378 <p>»Warum nehmen Sie aber dazu nicht einen Mann?
«
6379 fragte La wieder.
</p>
6380 <p>»Das h
ätte Grunthe auch sicher getan, wenn er gefragt
6381 worden w
äre
«, neckte Saltner.
</p>
6382 <p>»Ich denke
«, sagte Grunthe,
»es ist Zeit
6383 weiterzureisen.
«</p>
6384 <p>»Nun immer weiter nach S
üden!
« rief
6386 <p>Die Vorberge der Alpen erschienen im klaren Licht der
6387 Nachmittagssonne. Ein dunkler Bergsee erf
üllte die Wand,
6388 dahinter erhoben sich die Spitzen der bayerischen Alpen
–</p>
6389 <p>»Der Walchensee!
« rief Saltner.
</p>
6390 <p>»Das ist sch
ön
– so sch
ön gibt es nichts
6391 bei uns
–«, sagte La.
</p>
6392 <p>»Wartens nur
«, rief Saltner, der jetzt alles um sich
6393 und beinahe selbst La verga
ß.
»Es kommt noch
6394 sch
öner. Nun drehens nur langsam!
«</p>
6395 <p>Es war ein wunderbares Wandelpanorama, das sich jetzt
6396 entfaltete. Je h
öher die Gebirgswelt anstieg, um so klarer und
6397 reiner wurde die Luft und damit die Sch
ärfe der Bilder. Man
6398 betrachtete das Gebirge aus einer Entfernung von neun Kilometern
6399 und unter einem Neigungswinkel von ann
ähernd zwanzig Grad,
6400 also wie aus einer H
öhe von dreitausend Metern, doch so,
6401 da
ß man unter dieser Neigung stets einen Umkreis von zehn
6402 Kilometern Durchmesser vor sich hatte, entsprechend einem
6403 Fl
ächenraum von achtzig Quadratkilometern. So sah man jetzt
6404 gerade den Nordabfall der Karwendelwand vor sich, aber man blickte
6405 dar
über hinweg auf die dahinterliegenden Gebirgsketten. Alles
6406 dies erschien im h
öchsten Grade plastisch, genau wie ein
6407 Relief der Gegend; denn das Fernrohr wirkte durch seine
6408 Konstruktion wie ein Stereoskop.
</p>
6409 <p>So schob sich die Gegend nach und nach vor den Blicken der
6410 Zuschauer vor
über, als ob dieselben in einem Luftballon
6411 schnell dar
über hinschwebten. Der Einschnitt des Inntals wurde
6412 passiert, und nun leuchteten hell im Sonnenstrahl die Ferner der
6413 Ötztaler Alpen. Fru war bei der Drehung des Fernrohrs nach
6414 Westen abgewichen. Wieder erblickte man den schmalen Streifen eines
6415 tief eingeschnittenen Tales, und dahinter erschien eine herrliche
6416 Berggruppe, alle Gipfel mit gl
änzendem Wei
ß bedeckt.
</p>
6417 <p>»Was ist denn das
«, rief Saltner,
»da sind wir
6418 von der Richtung abgekommen. Das ist der Ortler! Nun m
üssen
6419 Sie wieder nach Osten drehen
– so
– immer weiter! Sehen
6420 Sie, immer an diesem Streifen hin, das ist n
ämlich das
6421 Etschtal, und jetzt k
önnen Sie gerad hineinschauen, hier
6422 schwenkt es nach S
üdost ab. Noch immer weiter, bis es ganz
6423 nach S
üden geht
– da
– da schaun Sie hin
–
6424 ah, wie schade, aus dem Tal steigt die Luft so unruhig in die
6425 H
öhe, aber die Etsch k
önnen Sie durchschimmern sehn. Und
6426 jetzt, ganz langsam, noch ein bi
ßchen, hier, die Berge am
6427 linken Ufer, hier ist
’s wieder klar
– nun bitte,
6429 <p>Er beugte sich ganz dicht vor, da
ß der Schatten seines
6430 Kopfes auf die Wand fiel und die andern nicht mehr gut sehen
6432 <p>»Da, da ist
’s
«, rief er jubelnd,
»ich
6433 kann
’s deutlich erkennen. Das ist die alte Burg, links
6434 daneben liegt das Haus, mein Haus
– Jesus Maria
– ich
6435 kann
’s wahrhaftig sehen, wie ein kleines, wei
ßes
6436 P
ünktchen! Da wohnt mein Mutterl.
«</p>
6437 <p>Jetzt beugte auch La sich vor.
</p>
6438 <p>»Wo?
« fragte sie.
</p>
6439 <p>Mit der Spitze einer Nadel bezeichnete Saltner den Punkt.
</p>
6440 <p>Ihre K
öpfe ber
ührten sich. Lange betrachtete La die
6441 Gegend, als wollte sie sich jede Einzelheit einpr
ägen. Saltner
6443 <p>»Ich hab nun genug geschaut, mir tun die Augen weh
«,
6444 sagte er und zog sich auf einen der St
ühle zur
ück. Er
6445 bedeckte die Augen mit der Hand und sa
ß schweigend. La setzte
6446 sich neben ihn und dr
ückte leise seine Linke.
</p>
6447 <p>Nach l
ängerer Pause, w
ährend deren Fru die
6448 Schattengrenze der Erde betrachten lie
ß, die jetzt schon bis
6449 an den Ural vorger
ückt war, sagte La zu Saltner:
»Du
6450 m
öchtest wohl jetzt den Mars nicht mehr sehen?
«</p>
6451 <p>»Warum nicht?
« entgegnete Saltner.
»Ich will
6452 ihn auch liebgewinnen
– aber du mu
ßt verzeihen! Es ist
6453 ein bissen viel auf einmal, was jetzt durch meinen dummen
6454 Menschenverstand geht.
«</p>
6455 <p>»Ja, ihr armen Menschen
«, sagte La,
»es wird
6456 wohl noch ein Weilchen dauern, eh ich recht begreife, wie es in
6457 solchem Kopf aussieht. Die Heimat liebhaben und die Eltern und die
6458 Freunde, das ist gut. Und was gut ist, wie kann das traurig
6460 <p>»Wenn man es nicht hat
–«</p>
6461 <p>»Nicht hat? Wie kann man das nicht haben, was doch nur vom
6462 Willen abh
ängt? Wer kann dir die Treue nehmen, die du f
ür
6463 recht h
ältst? Diese Liebe hast du doch, ob hier oder dort,
6464 weil du sie selbst bist.
«</p>
6465 <p>»Aber La, kennt ihr Nume die Sehnsucht nicht?
«</p>
6466 <p>»Die Sehnsucht? Siehst du, du t
örichter Lieber, was
6467 wirfst du doch durcheinander! Also bist du gar nicht gut aus reinem
6468 Willen, sondern dich treibt das Verlangen nach dem Besitz. Und aus
6469 diesem Widerstreit bist du traurig. Oh, was seid ihr f
ür
6471 <p>»So w
ürdest du dich nie nach mir sehnen?
«</p>
6472 <p>»Nach dir? Das ist doch ganz etwas anderes. Ich hab dich
6473 doch nicht lieb, weil es Pflicht ist, weil es gut ist, sondern lieb
6474 hab ich dich, weil es sch
ön ist zu lieben und geliebt zu
6475 werden. Deine N
ähe w
ünsche ich, wie ich den Ton des
6476 Liedes w
ünsche, um mich an seiner Sch
önheit zu erfreuen
6477 – aber nein, das ist auch noch nicht richtig, du
6478 k
önntest denken, das sei nur ein Mittel zur
ästhetischen
6479 Lust
– nein, so brauch ich deine Liebe und N
ähe, wie der
6480 K
ünstler die eigne Seele braucht, um das Sch
öne zu
6481 schaffen.
– Ach, ich komme mit eurer Sprache nicht zurecht.
6482 Ihr sprecht von Liebe in hundertfachem Sinn. Ihr liebt Gott und das
6483 Vaterland und die Eltern und die Kinder und die Gattin und die
6484 Geliebte und den Freund, ihr liebt das Gute und das Sch
öne und
6485 das Angenehme, ihr liebt euch selbst, und das sind doch absolut
6486 verschiedene Zust
ände des Gem
üts, und immer habt ihr nur
6487 das eine Wort.
«</p>
6488 <p>»Ich will dich ja ohne alle Worte lieben, du kluge La
6490 <p>Sie blickte tief in seine Augen und sprach:
»Wie nennt ihr
6491 das, was niemals wirklich ist, was man nur in der Phantasie sich
6492 vorstellt, und indem man es sich vorstellt, ist das Gl
ück
6493 wirklich in uns? Wie nennt ihr das?
«</p>
6494 <p>Saltner zauderte mit der Antwort, und La fuhr fort:
»Und
6495 das, was man wollen mu
ß, ob es auch nicht gl
ücklich
6496 macht, und was im Wollen erfreut, wenn es auch nicht wirklich wird,
6497 wie nennt ihr das?
«</p>
6498 <p>»Ich glaube
«, erwiderte Saltner,
»das erste
6499 nennen wir sch
ön, und das zweite gut.
«</p>
6500 <p>»Und wenn ihr eine Frau liebt, rechnet ihr das zum
6501 Sch
önen oder zum Guten?
«</p>
6502 <p>Es kam zu keiner Antwort.
</p>
6503 <p>»Was ist das?
« h
örte man pl
ötzlich Fru
6504 laut rufen. Eine Bewegung entstand bei den Martiern. Sie
6505 dr
ängten sich nahe an die Wand und hefteten ihre Augen auf
6506 eine bestimmte Stelle des Bildes, das soeben vom Fernrohr
6507 projiziert wurde.
</p>
6508 <p>Grunthe hatte Fru gebeten, ihm die Einrichtung des Apparats zu
6509 erkl
ären. Hierbei hatte Fru die Schrauben hin und her gedreht,
6510 das Bild der Erde war nicht mehr im Gesichtsfeld, zahllose Sterne
6511 liefen infolge der Umdrehung der Erde
über den projizierten
6512 Teil des Himmels. Jetzt setzte Fru, weiter demonstrierend, das
6513 Uhrwerk in Gang, welches das Fernrohr der Erdbewegung entgegen
6514 drehte, so da
ß die Sterne auf dem Bild stillstanden. Fru warf
6515 einen Blick auf den Teil des Himmels, der sich zuf
ällig
6516 eingestellt hatte. Es war ein St
ückchen der
6517 ›s
üdlichen Krone
‹, das sich abbildete.
6518 Verwundert blickte er sch
ärfer hin. Er kannte die Stelle zu
6519 genau, als da
ß ihm nicht ein Stern h
ätte auffallen
6520 sollen, der sich sonst nicht hier befand. Einer der Asteroiden
6521 konnte es nicht sein. Er
änderte die Einstellung ein wenig und
6522 erkannte daran, da
ß der fragliche K
örper sich in
6523 verh
ältnism
äßig gro
ßer N
ähe befinden
6525 <p>Dies hatte ihn zu dem lauten Ausruf veranla
ßt. Aufmerksam
6526 pr
üften alle den Lichtpunkt, der sich deutlich von den Bildern
6527 der Fixsterne als eine kleine r
ötliche Scheibe
6529 <p>»Es ist ein Schiff!
« rief endlich einer der
6531 <p>»Der
›Komet
‹?
« fragte Grunthe.
</p>
6532 <p>»Das ist nicht m
öglich
«, sagte Fru.
»Es
6533 ist der
›Glo
‹! Kein Zweifel, er ist an seiner roten
6534 Farbe kenntlich, es ist das Staatsschiff.
«</p>
6535 <p>»Die Abl
ösung!
« hie
ß es in den Reihen der
6537 <p>»Und Instruktionen von der Regierung
«, rief Fru.
</p>
6538 <p>»Wie lange Zeit braucht das Schiff noch bis zur
6539 Ankunft?
« fragte Grunthe.
</p>
6540 <p>»Dar
über k
önnen noch Stunden vergehen. Aber
6541 trotzdem mu
ß ich leider um Entschuldigung bitten, da
ß
6542 ich Ihnen heute den Mars nicht mehr zeigen kann. Ich hoffe, es wird
6543 n
ächstens Gelegenheit dazu sein. Denn ich mu
ß sofort die
6544 Vorbereitungen zur Landung treffen. Und deshalb, so leid es mir
6545 tut, mu
ß ich auch den Flugwagen fr
üher als beabsichtigt
6546 hinabgehen lassen. Sie m
üssen also die G
üte haben, sich
6547 zur R
ückfahrt nach der Insel bereitzuhalten.
«</p>
6548 <p>Fru verabschiedete sich herzlich von Grunthe, Saltner und La,
6549 und diese wie die
übrigen Martier begaben sich nach der
6550 Abfahrtsstelle der Flugwagen, um auf die Insel
6551 zur
ückzukehren.
</p>
6552 <h2>17 - Pl
äne und Sorgen
</h2>
6553 <p>Als Saltner am folgenden Morgen in Grunthes Zimmer trat, fand er
6554 diesen bereits eifrig mit Schreiben besch
äftigt.
</p>
6555 <p>»Schon so flei
ßig?
« fragte Saltner.
»Sie
6556 haben wohl noch nicht einmal gefr
ühst
ückt?
«</p>
6557 <p>»Nein
«, sagte Grunthe,
»ich warte auf Sie. Ich
6558 habe nicht schlafen k
önnen und unsere Lage nach allen Seiten
6559 hin erwogen. Wir haben Wichtiges zu besprechen.
«</p>
6560 <p>Beide pflegten, ohne sich um die martische Sitte des Allein-
6561 speisens zu bek
ümmern, ihre Mahlzeiten gemeinschaftlich in
6562 ihren Privatzimmern einzunehmen. Hier bot sich ihnen fast die
6563 einzige Gelegenheit, sich v
öllig ungest
ört
6565 <p>»Nun
«, sagte Saltner, nachdem sie sich aus den
6566 Automaten die Teller und Becher gef
üllt hatten, die zu ihrer
6567 Reiseausr
üstung geh
örten
– denn es war ihnen
6568 bequemer, nach europ
äischer Art zu speisen
–,
6569 »nun, schie
ßen Sie los, Grunthe! Ich
6570 h
öre.
«</p>
6571 <p>Grunthe sah sich um, ob die Klappen des Fernsprechers
6572 geschlossen seien. Dann sagte er leise:
</p>
6573 <p>»Ich habe die
Überzeugung, da
ß sich unser
6574 Schicksal heute entscheiden wird. Und nach allem, was ich aus den
6575 Gespr
ächen der Martier entnommen habe, insbesondere gestern
6576 bei der R
ückfahrt, erwartet man, da
ß das Staatsschiff
6577 den Befehl mitbringen wird, uns nach dem Mars zu
6578 transportieren.
«</p>
6579 <p>»Ich glaube, Sie haben recht
«, erwiderte Saltner.
6580 »Soweit ich mit La dar
über gesprochen habe, sieht sie es
6581 als bestimmt an, da
ß wir beide mit nach dem Mars gehen, und
6582 wir werden wohl schlie
ßlich einfach dazu gezwungen
6584 <p>Grunthe sah starr geradeaus. Dann sprach er langsam:
»Ich
6585 gehe nach Europa zur
ück.
«</p>
6586 <p>Seine Lippen zogen sich zu einer geraden Linie zusammen. Sein
6587 Entschlu
ß war unab
änderlich.
</p>
6588 <p>Saltner blickte ihn erstaunt an.
</p>
6589 <p>»Na
«, sagte er,
»ich gebe zu, da
ß wir
6590 alle Kr
äfte daranzusetzen haben, unsrer Instruktion
6591 nachzukommen, das hei
ßt, nach Auffindung des Nordpols auf dem
6592 k
ürzesten Wege heimzukehren. Und wenn ich auch eine Reise nach
6593 dem Mars in sch
öner Gesellschaft nicht so
übel
6594 f
ände, so habe ich doch einen gewissen Horror vor
6595 Balancierk
ünsten und insbesondere vor diesen furchtbar fetten
6596 Speisen
– ich denke noch mit Entsetzen an die fl
üssige
6597 Butter oder was es war, das wir neulich zum Fr
ühst
ück
6598 erhielten
– und bei dem Klima bleibt einem ja nichts
6599 übrig, als fr
üh, mittags und abends ein Pfund Fett zu
6600 verschlingen
–«</p>
6601 <p>Grunthe runzelte die Stirn.
</p>
6602 <p>»Ja, Ihnen tut das nichts, Sie wissen ja nie, was Sie
6603 essen
–«, er klopfte ihn auf die Schulter.
»Seien
6604 Sie nicht b
öse, ich kann es nur nicht leiden, wenn Sie dieses
6605 f
ürchterlich ernste Gesicht machen. Aber ohne Scherz, was ich
6606 sagen wollte, ist dies: Wie stellen Sie sich denn das vor, gegen
6607 den Willen der Martier von hier fort- oder woanders hinzukommen,
6608 als wo man Sie freundlichst hinkomplimentiert?
«</p>
6609 <p>»Der Gewalt mu
ß ich weichen
«, erwiderte
6610 Grunthe.
»Aber verstehen Sie, nur der Gewalt. Ich werde mich
6611 ihr indessen zu entziehen suchen.
«</p>
6612 <p>»Denken Sie die Nume zu
überlisten?
«</p>
6613 <p>»Ich w
ürde selbst das versuchen, wenn sie wirklich
6614 Gewalt brauchten, denn ich w
ürde dann meinen, mich im Zustand
6615 der Notwehr zu befinden. Aber nach alledem, was ich von ihnen
6616 wei
ß, glaube ich nicht, da
ß sie so unw
ürdig und
6617 barbarisch handeln. Sie werden nur keine R
ücksicht auf uns
6618 nehmen und uns dadurch in die Lage versetzen, ihnen freiwillig auf
6619 den Mars zu folgen.
«</p>
6620 <p>»Wie meinen Sie das?
«</p>
6621 <p>»Ich habe mir
überlegt, sie werden uns nicht mit
6622 Gewalt einschiffen; das w
äre ein Bruch des Gastrechts. Aber
6623 sie werden uns nicht erlauben, l
änger auf der Insel zu
6624 bleiben, als bis dieselbe f
ür die Wintersaison ger
äumt
6625 wird. Und das kann man ihnen nicht verdenken, wenn sie uns nicht im
6626 Winter hierlassen wollen, w
ährend die Wirte selbst bis auf ein
6627 paar W
ächter das Haus verlassen. Und somit werden wir vor die
6628 Alternative gestellt werden, entweder mit nach dem Mars zu ziehen
6629 oder die Heimreise mit unzul
änglichen Mitteln bei Beginn des
6630 Polarwinters und wahrscheinlich bei widrigen Winden anzutreten. Und
6631 das ist es, was ich Ihnen sagen wollte. Wir m
üssen auf diesen
6632 Fall vorbereitet sein und genau wissen, was wir wollen; und ich
6633 mu
ß wissen, wie Sie dar
über denken. Denn ich bin
6634 überzeugt, da
ß der heutige Tag nicht ohne Ultimatum
6635 vor
übergeht.
«</p>
6636 <p>»Das ist eine kitzlige Sache, liebster Freund. Unter
6637 diesen Umst
änden k
önnte es sicherer sein, auf dem kleinen
6638 Umweg
über den Mars nach Berlin oder Friedau
6639 zur
ückzukehren. Nehmen Sie an, wir kommen gl
ücklich
6640 über das Eismeer und geraten nicht in einen der Ozeane, aber
6641 wir gelangen nach Labrador oder Alaska oder nach Sibirien oder
6642 sonst einer dieser lieblichen Sommerfrischen
– wenn wir dann
6643 überhaupt wieder herauskommen, so ist doch vor dem Sommer an
6644 keine Heimkehr zu denken; und f
ür den Sommer haben uns die
6645 Martier ja sowieso versprochen, uns wieder herzubringen.
«</p>
6646 <p>»Die Gefahren kann ich leider nicht leugnen, aber wir
6647 m
üssen sie auf uns nehmen. Es ist doch immer die
6648 M
öglichkeit vorhanden, da
ß wir nach Hause kommen oder
6649 wenigstens bis zu einem Ort, von welchem aus wir Nachricht geben
6650 k
önnen. Und das scheint mir das Entscheidende. Wir d
ürfen
6651 nichts unterlassen, die Kunde von der Anwesenheit der Martier am
6652 Pol den Regierungen der Kulturstaaten zu
übermitteln, ehe jene
6653 selbst in unsern L
ändern eintreffen. Man mu
ß in Europa
6654 wie in Amerika vorbereitet sein.
«</p>
6655 <p>Saltner nickte nachdenklich.
»Wenn wir unsre Brieftauben
6656 noch h
ätten! Aber die armen Dinger sind alle
6657 ertrunken.
«</p>
6658 <p>»Sehen Sie
«, fuhr Grunthe noch leiser fort,
6659 »ich f
ürchte, wir k
önnen die Sachlage nicht ernst
6660 genug nehmen. Wir haben eine wissenschaftliche Pflicht; in dieser
6661 Hinsicht k
önnte man vielleicht sagen, da
ß wir ein Recht
6662 h
ätten, die sicherste Heimkehr zu w
ählen, auch da
ß
6663 der Besuch des Mars eine so unerh
örte Tat w
äre, da
ß
6664 sie die
Übertretung unserer Instruktion entschuldigen
6665 k
önnte, obwohl sie dies f
ür mein Gewissen nicht tut.
6666 – Bitte, lassen Sie mich aussprechen. Wir haben aber nach
6667 meiner
Überzeugung au
ßerdem eine politische und
6668 kulturgeschichtliche Pflicht, wenn man so sagen darf, die uns
6669 zwingt, alles daranzusetzen, selbst den geringsten Umstand
6670 auszunutzen, der uns eine Chance bietet, der Ankunft der Martier
6671 zuvorzukommen. Wer garantiert Ihnen, was die Vereinigten Staaten
6672 des Mars beschlie
ßen, wenn sie erst im vollen Besitz der
6673 Nachrichten
über die Erdbewohner sind? Und selbst, wenn sie
6674 uns Wort halten, durch welche unbekannten Einfl
üsse
6675 k
önnen sie uns nicht verhindern, das zu tun, was f
ür die
6676 Menschen das Richtige w
äre? Wenn wir erst zugleich mit ihnen
6677 in Europa ankommen, wenn die Regierungen
überrascht werden,
6678 ist es vielleicht zu sp
ät, die geeigneten Ma
ßregeln zu
6680 <p>»Ich h
ätte unsre Stellung nicht f
ür so
6681 verantwortlich gehalten
«, sagte Saltner.
</p>
6682 <p>»Und ich sage Ihnen
«, sprach Grunthe weiter,
6683 »nach reif- licher
Überlegung
– Sie wissen,
6684 da
ß ich keine Phrasen mache
– ist es mir klar geworden,
6685 da
ß, solange die Menschheit existiert, von dem
6686 Entschlu
ß zweier Menschen noch niemals so viel abgehangen hat
6687 wie von dem unsrigen.
«</p>
6688 <p>Saltner fuhr in die H
öhe.
»Das ist ein gro
ßes
6689 Wort
–«</p>
6690 <p>»Ein ganz bescheidenes. Wir sind durch Zufall in die Lage
6691 versetzt worden, einen Funken zu entdecken, der vielleicht einen
6692 Weltbrand entfacht. Unsere Entscheidung gleicht nicht der des
6693 Machthabers, der
über V
ölkerschicksale bestimmt, sondern
6694 der des Soldaten, der sein Leben aufs Spiel zu setzen hat, um eine
6695 wichtige Meldung zur rechten Zeit zu
überbringen. Sie werden
6696 mir zugeben, da
ß es noch niemals f
ür die zivilisierte
6697 Menschheit ein bedeutungsvolleres Ereignis gegeben hat, als es die
6698 Ber
ührung mit den Bewohnern des Mars sein mu
ß. Die
6699 Europ
äer haben so viele V
ölker niederer Zivilisation
6700 durch ihr Eindringen vernichtet, da
ß wir wohl wissen
6701 k
önnen, was f
ür uns auf dem Spiel steht, wenn die Martier
6702 in Europa Fu
ß fassen.
«</p>
6703 <p>»So wollen Sie
überhaupt verhindern, da
ß die
6704 Martier in Europa aufgenommen werden?
«</p>
6705 <p>»Wenn ich es k
önnte, w
ürde ich es tun. Aber wir
6706 sind einfache Gelehrte, wir haben keine politischen Entscheidungen
6707 zu f
ällen. Und eben darum d
ürfen wir unter keinen
6708 Umst
änden auf eigene Faust den Martiern die Hand bieten,
6709 d
ürfen nicht mit ihnen zugleich nach Europa gelangen, sondern
6710 wir m
üssen versuchen, den Gro
ßm
ächten die Nachricht
6711 von dem Bevorstehenden so zeitig zu bringen, da
ß sie sich
6712 über ihr gemeinsames Vorgehen entschlie
ßen k
önnen,
6713 ehe die Luftschiffe der Martier
über Berlin und Petersburg,
6714 über London, Paris und Washington schweben.
«</p>
6715 <p>»Um Gottes willen, Sie sehen die Sache zu tragisch an. Die
6716 paar hundert Martier werden uns nicht gleich zugrunde richten; und
6717 wenn sie uns gef
ährlich werden, ist es immer noch Zeit, sie
6718 wieder hinauszuwerfen. Aber es ist doch viel wahrscheinlicher,
6719 da
ß wir sie als Freunde aufnehmen und den unerme
ßlichen
6720 Vorteil ihrer
überlegenen Kultur f
ür uns
6721 ausbeuten.
«</p>
6722 <p>»Die Frage ist zu schwer, um sie jetzt zu diskutieren, und
6723 wir eben m
üssen daf
ür sorgen, da
ß sie an den
6724 entscheidenden Stellen zur rechten Zeit erwogen werden kann. Nur
6725 untersch
ätzen Sie ja nicht die Macht der Martier. Denken Sie
6726 an Cortez, an Pizarro, die mit einer Handvoll Abenteurer
6727 m
ächtige Staaten zerst
örten. Und was will die Kultur der
6728 Spanier gegen
über den Mexikanern oder Peruanern bedeuten im
6729 Vergleich zu dem Fortschritt von Hunderttausenden von Jahren, durch
6730 welchen die Martier uns
überlegen sind? Das eben ist meine
6731 gr
ößte Sorge, da
ß man diese
Überlegenheit
6732 überall untersch
ätzen wird, wenn nicht wir, die wir das
6733 abarische Feld und die Raumschiffe gesehen haben, soviel an uns
6734 ist, dar
über Aufkl
ärung verbreiten.
«</p>
6735 <p>»Sehen Sie nicht zu schwarz, Grunthe?
«</p>
6736 <p>»Ich will es von Herzen hoffen. Aber das sage ich Ihnen
6737 als meine
Überzeugung: Mit dem Augenblick, in welchem das
6738 erste Luftschiff der Martier
über dem Lustgarten erscheint,
6739 ist das deutsche Reich ein Vasall, der von der Gnade der Martier,
6740 vielleicht von der Gnade irgendeines untergeordneten Kapit
äns
6741 lebt, und so alle
übrigen Staaten der Erde.
«</p>
6742 <p>»Daran habe ich noch nicht gedacht.
«</p>
6743 <p>»Was wollen Sie gegen diese Nume tun? Ich will gar nicht
6744 von ihrer moralischen
Überlegenheit und ihrer h
öheren
6745 Intelligenz reden; durch diese werden sie wahrscheinlich Mittel
6746 finden, uns nach ihrem Willen zu lenken, ehe wir es merken. Denken
6747 Sie allein an ihre technische
Übermacht.
«</p>
6748 <p>»Man wird ihnen ihre Luftschiffe, die
übrigens noch
6749 gar nicht fertig sind, einfach mit Granaten entzweischie
ßen,
6750 oder man wird sie auf der Erde, wo sie nur kriechen k
önnen,
6751 gefangennehmen.
«</p>
6752 <p>»Das kann vielleicht mit der ersten Abteilung geschehen,
6753 die zu uns kommt; aber der Mars hat doppelt soviel Bewohner als die
6754 ganze Erde. Das zweite Luftschiff w
ürde uns vernichten. Lieber
6755 Saltner, Sie haben vorgestern geh
ört, was Jo von der
6756 Raumschiffahrt erz
ählte. Durch ihre Repulsitsch
üsse
6757 erteilen die Martier einer Masse, die auf der Erde zehn Millionen
6758 Kilogramm wiegt, Geschwindigkeiten von
30,
40, ja bis
100
6759 Kilometern. Wissen Sie, was das hei
ßt? Leute, die das
6760 k
önnen, werden aus Entfernungen, wohin kein irdisches
6761 Gesch
ütz tr
ägt, ganz Berlin in wenigen Minuten in
6762 Tr
ümmer legen, falls sie dies wollen. Die Europ
äer
6763 k
önnen dann einmal erleben, was sie sonst an den
6764 Wohnst
ätten armer Wilden getan haben. Freilich werden die
6765 Martier zu edel dazu sein. Sie h
ätten es wohl auch nicht
6766 n
ötig. Sie k
önnen die Schwerkraft aufheben. Was
6767 n
ützt uns die gr
ößte, tapferste, gl
änzend
6768 gef
ührte Armee, wenn auf einmal Bataillone, Schwadronen und
6769 Batterien zwanzig, drei
ßig Meter in die Luft fliegen und dann
6770 wieder herunterfallen? Ich wei
ß, ich werde die Regierungen
6771 nicht
überzeugen, aber die Pflicht habe ich, unsre Erfahrungen
6772 mitzuteilen. Schon die Freundschaft der Martier halte ich f
ür
6773 gef
ährlich, ihre Feindschaft f
ür verderblich. Kommen sie
6774 vor oder mit uns zu den Menschen, so werden sie dieselben so
6775 f
ür sich einnehmen, da
ß unsere Warnung, unsere
6776 Beschreibung ihrer Macht zu sp
ät kommt. Deshalb ist mir der
6777 Entschlu
ß gereift, da
ß unsere Abreise so bald wie
6778 m
öglich vor sich geht. Ich werde sofort zur Instandsetzung des
6779 Ballons schreiten.
«</p>
6780 <p>»Es versteht sich von selbst, da
ß ich Ihnen dabei
6782 <p>»Das nehme ich nat
ürlich an. Aber es ist eine andere
6783 Frage, Saltner
– es ist vielleicht richtiger, da
ß ich
6784 allein zur
ückgehe, w
ährend Sie die Studien auf dem Mars
6785 fortsetzen.
«</p>
6786 <p>»Das ist unm
öglich, allein k
önnen Sie nicht
6788 <p>»Doch, ich kann sogar besser allein zur
ück. Der
6789 Ballon ist kaum noch f
ür zwei Personen tragf
ähig. Fahre
6790 ich allein, so kann ich mich auf viel l
ängere Zeit
6791 verproviantieren, ich gewinne dadurch an Wahrscheinlichkeit, bis in
6792 bewohnte Gegenden zu gelangen. Beobachtungen will ich jetzt
6793 nat
ürlich nicht mehr machen, also gen
ügt eine Person
6794 vollst
ändig zur Leitung des Ballons. Und andererseits ist es
6795 vielleicht von gr
ößter Wichtigkeit zu erfahren, was die
6796 Martier inzwischen vorgenommen haben
–«</p>
6797 <p>»Nein, Grunthe, ich kann und will mich nicht von Ihnen
6799 <p>»Ich sage Ihnen, es wird das beste sein.
Überlegen
6800 Sie sich die Sache. Und nun an die Arbeit.
«</p>
6801 <p>Sie r
äumten unter ihrem Gep
äck auf.
</p>
6802 <p>Die Klappe des Fernsprechers erklang. Saltner wurde in das
6803 Sprechzimmer gerufen.
</p>
6804 <p>»Sehen Sie zu
«, rief ihm Grunthe nach,
6805 »da
ß Sie unsern Ballon herausbekommen. Wie ich bemerkt
6806 habe, hat man ihn unter Verschlu
ß gebracht, was auch ganz
6807 vern
ünftig war. Lassen Sie ihn auf das Inseldach
6808 hinaufschaffen.
«</p>
6809 <p>Saltner hatte gestern mit La nicht mehr ungest
ört sprechen
6810 k
önnen. Es war den ganzen Abend
über viel Besuch im
6811 gemeinsamen Zimmer gewesen, man erwartete eine Nachricht
über
6812 die Landung des Staatsschiffes. Doch hatte man sich trennen
6813 m
üssen, ehe eine solche eingelaufen war. Da
ß Se nicht
6814 mehr zum Vorschein gekommen war, hatte Saltner kaum bemerkt. Der
6815 Gedanke an La erf
üllte ihn ganz, und dennoch sagte er sich
6816 selbst, da
ß er in seinem Liebesgl
ück nur einen Traum
6817 sehen d
ürfe, dem jeden Augenblick ein unerwartetes Erwachen
6818 folgen k
önne. Aber warum nicht tr
äumen?
</p>
6819 <p>Diesen Feen gegen
über konnte er, der
›arme
6820 Bat
‹, gewi
ß kein Ungl
ück anrichten, sie
6821 w
ürden ihn aufwachen lassen, wann sie wollten. Doch wie
6822 h
ätte er ihnen widerstehen k
önnen?
</p>
6823 <p>Es war ihm wie eine Entt
äuschung, da
ß er jetzt nicht
6824 La, sondern Se im Sprechzimmer vorfand. Sie begr
üßte ihn
6825 mit derselben Liebensw
ürdigkeit und Vertraulichkeit wie
6826 gestern La, doch aber wieder anders, ihrem lebhafteren Wesen
6827 entsprechend. Und als er nach den ersten Minuten der Unterhaltung
6828 neben ihr sa
ß, zog es ihn mit so unwiderstehlicher Macht zu
6829 ihr hin, da
ß er sein Gef
ühl gegen La gar nicht von dem
6830 gegen Se zu unterscheiden wu
ßte. Nur einen neuen,
6831 eigent
üm- lichen Reiz hatte es durch die Ver
änderung der
6832 Pers
önlichkeit gewonnen.
</p>
6833 <p>Wundersamerweise war es ihm nun gar nicht m
öglich, nach La
6834 zu fragen, und Se erw
ähnte ihrer mit keinem Wort. Aber er
6835 konnte es nicht unterlassen, ihr zu sagen, wie gl
ücklich es
6836 ihn mache, neben ihr zu weilen, ihr ins Auge zu sehen und ihre
6837 Stimme h
ören zu d
ürfen.
</p>
6838 <p>Sie lie
ß ihn ausreden und antwortete dann mit einem hellen
6839 Lachen, das aber durchaus nichts Beleidigendes f
ür ihn
6841 <p>»Das freut mich ja sehr
«, sagte sie,
6842 »da
ß wir nun so gute Freunde geworden sind. Sie haben
6843 mir gleich von Anfang an gut gefallen. Es ist merkw
ürdig, ihr
6844 Menschen seid so ganz anders, und doch
– oder vielleicht
6845 darum habt ihr etwas, wodurch man sich zu euch hingezogen
6846 f
ühlt.
«</p>
6847 <p>Saltner ergriff ihre Hand.
</p>
6848 <p>»Freilich kennt man euch auch noch zu wenig. Vielleicht
6849 verdient ihr gar nicht
–«</p>
6850 <p>»Ich hoffe, liebste Freundin, mich werden Sie immer bereit
6851 finden, ihnen zu dienen.
«</p>
6852 <p>»Daran zweifle ich gar nicht
«, lachte Se,
»man
6853 wei
ß nur nicht, ob Sie nicht einmal vergessen, da
ß wir
6854 Nume doch in vielem anders denken
–«</p>
6855 <p>»Es ist nicht sch
ön, mich sogleich daran zu erinnern,
6856 da
ß ich armer Mensch es gewagt habe
–«</p>
6857 <p>»Sie verstehen mich nicht, Sal, wie k
önnt
’ ich
6858 mich
überheben wollen? Nur
– doch das f
ührt zu
6859 nichts, jetzt auseinanderzusetzen, was erst erfahren sein will. Ich
6860 bin ja auch zu ganz anderem Zweck hierhergekommen. Obwohl aus
6861 wirklicher Freundschaft
«, setzte sie hinzu.
</p>
6862 <p>Jetzt erst fiel es Saltner wieder aufs Herz, vor welch wichtiger
6863 Entscheidung er st
ünde. Er wurde sehr ernst. Er wu
ßte
6864 nicht, was er zuerst sagen sollte.
</p>
6865 <p>Se kam ihm zuvor.
</p>
6866 <p>»Sie wissen, da
ß der
›Glo
‹ angekommen
6867 ist?
« fragte sie.
</p>
6868 <p>»Ist er schon gelandet?
«</p>
6869 <p>»Diese Nacht. Er bringt wichtige Nachrichten f
ür Sie
6870 mit. Und deshalb bin ich hierhergekommen.
«</p>
6871 <p>»Sie wollen mir einen Rat geben, liebe Se? Und Sie werden
6872 uns Ihre Hilfe nicht versagen?
«</p>
6873 <p>»Soweit ich darf. Amtlich habe ich nichts erfahren, sonst
6874 w
äre ich nicht hier. Aber was jedermann bei uns wei
ß,
6875 darf ich auch Ihnen sagen. Machen Sie sich darauf gefa
ßt,
6876 da
ß Sie mit uns nach dem Nu reisen.
«</p>
6877 <p>Saltner schwieg nachdenklich.
</p>
6878 <p>»Ich habe so etwas erwartet
«, sagte er dann.
6879 »Ich bin in einer fatalen Lage.
«</p>
6880 <p>»Sie machen ein erschrecklich b
öses Gesicht
«,
6881 sagte Se, indem sie ihm mit ihrer Hand freundlich
über die
6882 Stirn strich.
»Ich wei
ß ja schon, da
ß Sie sehr
6883 gern mit uns k
ämen und doch Ihren Freund nicht verlassen
6884 wollen. Aber er wird auch mit uns kommen.
«</p>
6885 <p>»Das wird er nicht
«, platzte Saltner heraus.
6886 »Das hei
ßt
«, fuhr er fort,
»wenn Sie uns
6887 mit Gewalt zwingen
–«</p>
6888 <p>»Zwingen? Wie meinen Sie das?
«</p>
6889 <p>»Nun, Sie sind die St
ärkeren. Sie k
önnen uns
6890 einfach als Gefangene auf Ihr Schiff bringen.
«</p>
6891 <p>»K
önnen? Ich wei
ß nicht, ich verstehe Sie nicht
6892 recht, liebster Freund. Man kann doch immer nur das, was nicht
6893 Unrecht ist. Ihre Sprache ist so unklar. Sehen Sie diesen Griff?
6894 Sie sagen, ich kann ihn drehen, und meinen, ich habe die physische
6895 M
öglichkeit dazu. Wenn ich aber drehe, so versinkt der Sessel
6896 unter Ihnen, und so kann ich ihn nicht drehen, das hei
ßt, ich
6897 kann es nicht wollen. Diese moralische M
öglichkeit oder
6898 Unm
öglichkeit k
önnen Sie auch nicht anders
6899 ausdr
ücken. K
önnte es denn bei Ihnen vorkommen, da
ß
6900 Sie Menschen aus dem Wasser erretten und ihnen dann das Leben
6901 nehmen? Und die Freiheit, ist das nicht noch schlimmer?
«</p>
6902 <p>»Ich wei
ß nicht
«, sagte Saltner,
»wie
6903 man bei uns verfahren w
ürde, wenn Europ
äer auf einer
6904 Insel in einem fremden Weltteil, wo noch keine zivilisierte Macht
6905 Fu
ß gefa
ßt hat, ein reiches Goldlager entdeckten und,
6906 um dasselbe zu sichern, eine Befestigung anlegten; wenn dann
6907 Kundschafter der Eingeborenen in diese Befestigung gerieten
–
6908 ich wei
ß nicht, ob wir uns nicht das Recht zuschreiben
6909 w
ürden, diese Wilden um unserer eigenen Sicherheit willen an
6910 der R
ückkehr zu verhindern. Das scheint mir ungef
ähr die
6911 Lage zwischen Ihnen und uns. Vielleicht w
ürden wir auch sagen,
6912 wir schicken diese Leute wieder zur
ück, damit sie uns als
6913 Boten und Vermittler dienen; aber erst f
ühren wir sie nach
6914 Europa, damit sie unsere ganze Machtf
ülle kennenlernen und
6915 ihren heimatlichen H
äuptlingen sagen, da
ß diese unsern
6916 Kanonen nicht w
ürden widerstehen k
önnen; und wir
6917 entlassen sie erst, wenn unsre Befestigungen soweit fertig sind,
6918 da
ß wir von dort aus die ganze Insel beherrschen und wir
6919 Herren der Lage sind.
«</p>
6920 <p>Se nickte ernsthaft.
»Sie erkennen die Sachlage ganz
6921 richtig
«, sagte sie.
»Ich glaube, da
ß wir unser
6922 Verh
ältnis zu Ihnen in der Tat so auffassen, nur mit dem
6923 Unterschied, da
ß wir diese Kundschafter nicht gegen ihren
6924 Willen festhalten k
önnen.
«</p>
6925 <p>»Dann ist doch die Sache sehr einfach
– wir reisen
6927 <p>»Nein, nein
– so einfach ist das nicht. Ich
6928 wei
ß nur nicht, wie ich es Ihnen klarmachen soll. Sie
6929 verstehen unter
›Willen
‹ allerlei
6930 Gem
ütskr
äfte, die blo
ß individuelle Triebe sind;
6931 diese k
önnen wir bezwingen, gegen diesen Willen k
önnen
6932 wir Sie festhalten. Zum Beispiel, ich binde Ihnen mit diesem
6933 Schleier wieder die H
ände. Nun wollen Sie fort, weil Sie gern
6934 etwas Interessanteres tun m
öchten, als hier zu sitzen. Daran
6935 kann ich Sie verhindern.
«</p>
6936 <p>»Dazu brauchten Sie mich gar nicht zu binden.
«</p>
6937 <p>»Oder es entst
ände drau
ßen ein L
ärm, Sie
6938 erschrecken pl
ötzlich, Ihre Sinne verwirren sich, und Sie
6939 wollen deshalb fort
– daran hindert Sie dieser Knoten. Nun,
6940 wenn Sie in dieser Weise fort wollen, nur weil es Ihnen lieber ist,
6941 heimzukehren als auf den Mars zu gehen, dann wird man Sie hindern.
6942 Wenn aber nicht Ihr individueller Wille, sondern Ihr sittlicher
6943 Wille im Spiel ist, Ihre freie Selbstbestimmung als
6944 Pers
önlichkeit, oder wie Sie das nennen, was wir als Numenheit
6945 bezeichnen
– dann gibt es keine Macht, die Sie hindern
6947 <p>Sehen Sie, liebster Freund
«, fuhr sie fort und l
öste
6948 den Knoten, den sie im Spiel geschlungen,
»das wollte ich
6949 Ihnen sagen. Ihr Wille ist nichts gegen den unsern, nur das Motiv
6950 des Willens gilt. Gibt es eine gemeinsame Bestimmung der sitt-
6951 lichen W
ürde zwischen Numen und Menschen, so werden Sie
6952 Freiheit haben; gibt es f
ür Menschen nur Motive der Lust, so
6953 werden Sie uns nie widerstehen. Ich wei
ß ja nicht, wie Ihr
6954 Bate im Grunde seid. Und noch dies. Glauben Sie niemals, Sal,
6955 da
ß ich an Ihrer Neigung zweifle, aber vergessen Sie nicht,
6956 da
ß ich eine Nume bin; Liebe darf niemals unfrei machen. Und
6957 daran denken Sie!
«</p>
6958 <p>»Ich will
«, sagte Saltner.
»Aber sehen Sie,
6959 das eben ist f
ür uns Menschen das Schwere und dem einzelnen
6960 oft unm
öglich, diese Trennung zu vollziehen, die Ihnen
6961 selbstverst
ändlich ist. Unser Denken vermag nicht immer
6962 Neigung und Pflicht auseinanderzuhalten, oft erscheint die eine im
6963 Gewand der andern. Was darf ich um Ihretwillen tun, was bin ich
6964 Ihnen schuldig und was darf ich nicht mehr tun? Sie
6965 Gl
ücklichen haben gelernt, wie G
ötter ins eigene Herz zu
6966 schauen, wir armen Menschen aber wenden uns in solchen F
ällen
6967 an unser Gef
ühl. Wir nennen es zwar Gewissen, sittliches
6968 Gef
ühl, weil es das umfa
ßt, was uns allen als Menschen
6969 gemeinsam sein soll. Aber als Gef
ühl bleibt es doch immer so
6970 eng verwachsen mit dem Einzelgef
ühl, da
ß wir nur zu
6971 leicht f
ür Pflicht halten, was im Grunde Neigung ist; und wenn
6972 nicht unsre Neigung, vielleicht die Neigung, die Gewohnheit unsres
6973 Stammes, unsrer Zeitgenossen. Und wir tun aus bester Absicht das
6974 Unrechte. Auch der Indianer folgt seinem Gewissen, wenn er den
6975 Feind skalpiert. Wir irren, weil wir blind sind.
«</p>
6976 <p>»Sie mischen schon wieder einen anderen Irrtum dazwischen,
6977 Sal. Nicht darauf kommt es an, ob wir das Richtige treffen, sondern
6978 darauf, ob wir aus den richtigen Motiven wollen. Wer das kann,
6979 besitzt Numenheit. Wenn der Indianer den Feind skalpiert, so wird
6980 er von der h
öheren Gesittung eines Besseren belehrt oder
6981 vernichtet. Aber dies trifft nur seinen Irrtum, n
ämlich die
6982 Folgen, die daraus in der Welt entstehen. Doch die Heiligkeit
6983 seines Willens bleibt unber
ührt, wenn er lieber zugrunde geht,
6984 als das aufgibt, was er f
ür sittliche Pflicht h
ält. Sie
6985 brauchen also nicht darum zu sorgen, ob Sie bei Ihrer Entscheidung
6986 das Richtige treffen in dem, was Sie tun, sondern nur, ob Ihr Motiv
6987 rein ist in dem, was Sie wollen.
«</p>
6988 <p>»Das meinte ich ja; eben auch darin k
önnen wir uns
6989 t
äuschen. Se, ich mu
ß Ihnen gegen
über ganz offen
6990 sein. Wir wollen, da
ß unsere Mitmenschen von dem Besuch der
6991 Martier nicht
überrascht werden; diese
Überraschung zu
6992 verh
üten, halten wir f
ür unsere Pflicht. Wir irren
6993 vielleicht darin, da
ß wir den Menschen damit zu n
ützen
6994 glauben; aber unser Motiv ist rein. Meinen Sie es nicht auch
6996 <p>»Ganz richtig.
«</p>
6997 <p>»Aber damit ist es nicht entschieden, wie ich zu handeln
6998 habe. Und hier spielt unsere theoretische Unwissenheit in die
6999 ethische Frage hinein. Wenn nun zum Beispiel einer von uns allein
7000 den Erfolg leichter erreichte, h
ätten wir nicht die Pflicht
7001 uns zu trennen? Und wenn nicht, ist es nicht Pflicht, da
ß wir
7002 zusammenhalten auf alle F
älle? Wie also soll ich hier
7003 entscheiden, was meine Pflicht erfordert?
«</p>
7004 <p>»Aber Sal! Ich hatte mich schon gefreut, da
ß Sie
7005 auch so vern
ünftig reden k
önnen, und nun urteilen Sie
7006 wieder wie ein Wilder!
«</p>
7007 <p>»Sie sind grausam, Se!
«</p>
7008 <p>»Was reden Sie denn da von Pflicht? Das ist doch einzig
7009 eine Frage der Klugheit. Was Ihre Klugheit erfordert, das
7010 k
önnen Sie fragen. Die Pflichtfrage ist schon l
ängst mit
7011 dem Willen entschieden, nur das Kl
ügste hier zu tun. Die
7012 d
ürfen Sie gar nicht mehr in Betracht ziehen.
«</p>
7013 <p>»Wenn ich mit Ihnen nach dem Mars ginge und mein Freund
7014 allein nach Europa, und er verungl
ückte unterwegs, w
ürde
7015 ich mir nicht immer Vorw
ürfe machen, da
ß ich nicht mit
7016 ihm gegangen bin? W
ürde man mich nicht pflichtvergessen
7018 <p>»Was die Menschen tun w
ürden, wei
ß ich nicht
7019 und geht mich auch nichts an. Sie aber k
önnen sich
7020 h
öchstens den Vorwurf machen, unklug gehandelt zu
7022 <p>»Also meinen Sie, ich m
üßte ihn
7023 begleiten?
«</p>
7024 <p>»Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur unter Ihrer
7025 Voraussetzung gesprochen, da
ß er mit Ihnen sicherer reise.
7026 Das ist aber doch erst zu untersuchen.
«</p>
7027 <p>»Was raten Sie mir?
«</p>
7028 <p>»Zun
ächst die Entscheidung der Martier abzuwarten.
7029 Sie wissen ja noch gar nicht, ob Ihnen die Mittel zur Abreise
7030 gew
ährt werden k
önnen. Erst wenn Sie diese Mittel kennen,
7031 verm
ögen Sie zu entscheiden, ob Ihre Begleitung entbehrlich
7032 ist. Und wenn sie entbehrlich ist, so w
ürde ich mich sehr
7033 freuen, Sie mit zu uns zu nehmen.
«</p>
7034 <p>»Ich rechne auf Ihre Hilfe. Lassen sie unsern Ballon auf
7035 das innere Inseldach schaffen!
«</p>
7036 <p>»Das geht nicht, bevor Sie die Erlaubnis der Regierung
7037 haben
–«</p>
7038 <p>»Und die Ihrige w
ürde ich erhalten? Ich meine, Sie
7039 w
ürden mich nicht f
ür unw
ürdig Ihrer Freundschaft
7040 halten, wenn ich Ihrem Wunsch nicht entspr
äche, nach dem Mars
7042 <p>»Was habe ich Ihnen gesagt, Saltner? Das w
äre keine
7043 Liebe, die unfrei machte.
«</p>
7044 <p>»Se, wie gl
ücklich machen Sie mich!
« Saltner
7045 ergriff z
ärtlich ihre H
ände.
</p>
7046 <p>»Jetzt sind Sie wieder der alte Saltner! Kaum ist die
7047 Angst von ihm genommen, ich k
önnte ihm b
öse werden, wenn
7048 er etwas Vern
ünftiges tut, so ist er wieder
7049 seelenvergn
ügt. Und ich habe wirklich geglaubt, Sie w
ären
7050 so ernsthaft, weil es sich um Ihre Pflicht handelt
7052 <p>»Das ist nicht Ihr Ernst, Se, Sie kennen mich
7054 <p>»Gar nicht kennt man euch Menschen! Wozu denn
7055 überhaupt erst traurig? Was wollen Sie
übrigens
über
7056 dem Strich?
«</p>
7057 <p>»Sehen Sie, Se, Sie sind auch nicht vollkommen
– ich
7058 meine, nicht so absolut vollkommen
–«</p>
7059 <p>»Ich begreife!
«</p>
7060 <p>»Sie haben gar nicht gemerkt, da
ß ich schon eine
7061 Viertelstunde lang neben Ihnen sitze
– ich habe gestern das
7062 Balancieren gr
ündlich gelernt.
«</p>
7063 <p>»Ach, gestern! Bei La?
«</p>
7064 <p>»Ja, sagen Sie, was ist das? Wo ist sie heute? Wo waren
7065 Sie gestern? Was ist das mit dem Spiel, von dem Sie sprachen? Ich
7066 bitte Sie, Se
–«</p>
7067 <p>Aber seine weiteren Fragen wurden abgeschnitten. Ra, der Leiter
7068 der Station, trat in das Zimmer. Er hatte eine amtliche Mitteilung
7069 zu machen. Der Regierungskommissar, welcher mit dem
7070 ›Glo
‹ angekommen war, lie
ß Grunthe und Saltner
7071 zu einer offiziellen Konferenz bitten, um drei Uhr. Er w
ürde
7072 sich vorher beehren, den Herrn seine private Aufwartung zu
7074 <p>Saltner erkl
ärte sich nat
ürlich bereit. Er werde
7075 sofort seinen Freund benachrichtigen. Schnell verabschiedete er
7076 sich von Ra und Se.
</p>
7077 <p>»Ein ganz ehrliches Spiel!
« fl
üsterte Se ihm
7078 zu, als sie ihm die Hand zum Abschied reichte.
»Und nun Kopf
7079 oben! Einsch
üchtern brauchen Sie sich nicht zu
7081 <p>Eilig teilte Saltner das Wesentlichste aus seiner Unterredung
7082 mit Se Grunthe mit und benachrichtigte ihn von dem bevorstehenden
7084 <p>Kaum hatte Grunthe Zeit gefunden, seine Toilette
7085 einigerma
ßen in Ordnung zu bringen, als auch die Deutschen
7086 schon gebeten wurden, sich im Empfangszimmer einzufinden. Fast
7087 gleichzeitig mit ihnen trat der Kommissar, von Ra geleitet,
7089 <p>Seine Pers
önlichkeit machte auf Grunthe und Saltner einen
7090 tiefen Eindruck. Er war gr
ößer als alle Martier, die sie
7091 bisher gesehen hatten, und
überragte sogar um ein weniges noch
7092 die lange Gestalt Grunthes. Ein stattlicher wei
ßer Bart gab
7093 ihm ein ehrw
ürdiges Aussehen. Seiner Haltung und seinem Blick
7094 war zu entnehmen, da
ß man es mit einem vornehmen Mann zu tun
7095 hatte, der gewohnt war, sowohl zu repr
äsentieren als zu
7096 dirigieren. Aber aus seinen gro
ßen dunklen Augen sprach ein
7097 Vertrauen erweckendes Wohlwollen, man war
überzeugt, da
ß
7098 dieser Mann bei seinen Anordnungen niemals an sich selbst dachte,
7099 sondern nur an das Wohl derer, die er zu vertreten hatte.
</p>
7100 <p>Ill, dies war sein Name, zeigte sich bis in alle Einzelheiten
7101 über die bisherigen Vorg
änge auf der Insel unterrichtet.
7102 Er bat um Entschuldigung, da
ß er sich seiner Muttersprache
7103 bedienen m
üsse und erkundigte sich in der
7104 liebensw
ürdigsten Weise nach dem pers
önlichen Wohlergehen
7105 der G
äste. Insbesondere sprach er in warmen Worten sein
7106 Bedauern
über das Verschwinden des Leiters der Expedition aus.
7107 Es schien ihm unbegreiflich, da
ß man keine weiteren Spuren
7108 von Torm gefunden habe, und er meinte, da
ß das Binnenmeer und
7109 wom
öglich seine Umgebung noch einmal genauer durchsucht werden
7110 m
üsse. Er kam dann auf die Methode zu sprechen, wie sich die
7111 Deutschen das Martische angeeignet h
ätten, und nun flocht er
7112 einige sehr interessierte Fragen nach Ell ein, wie alt er sei,
7113 woher er stamme, wie Grunthe ihn kennengelernt habe, wo er jetzt
7115 <p>Grunthe antwortete ausf
ührlich, soweit er vermochte. Ell
7116 mochte etwa gleichaltrig mit ihm sein, einige drei
ßig Jahre.
7117 Er sei in S
üdaustralien geboren, wo Ells Vater gro
ße
7118 Besitzungen gehabt habe. Seine Mutter sei eine in Australien
7119 eingewanderte Deutsche gewesen. Nach dem Tod der Eltern habe sich
7120 Ell nach Deutschland begeben, um seine Studien, die sich
7121 haupts
ächlich auf Astronomie und technische F
ächer
7122 bezogen, fortzusetzen. Damals, vor etwa zehn Jahren, habe ihn
7123 Grunthe in Berlin kennengelernt und viel mit ihm verkehrt, obwohl
7124 Ell stets ein fremdartiges und zur
ückhaltendes Wesen eigen
7125 war. Kurze Zeit darauf war Ell pl
ötzlich verschwunden, man
7126 h
örte nichts von ihm und nahm an, er sei in seine australische
7127 Heimat zur
ückgekehrt. So verhielt es sich auch. Seit etwa vier
7128 Jahren war Ell wieder in Deutschland erschienen. Er hatte sein
7129 jedenfalls bedeutendes Verm
ögen fl
üssig gemacht und sich
7130 in Mitteldeutschland eine Privatsternwarte erbaut, auf der er sich
7131 mit Vorliebe Marsbeobachtungen widmete. Hier hatte Grunthe eine
7132 Zeitlang bei ihm gearbeitet und bei dieser Gelegenheit Torm
7133 kennengelernt. Ell war es gewesen, der durch eine gro
ßartige
7134 Geldspende die Errichtung der Abteilung f
ür wissenschaftliche
7135 Luftschiffahrt erm
öglicht und Torm an ihre Spitze gezogen
7136 hatte. Der Sitz derselben war Friedau, eine mitteldeutsche
7137 Residenz, die durch ihre wissenschaftlichen Institute ber
ühmt
7139 <p>Nachdem sich Ill noch die Lage von Friedau und die der
7140 Privatsternwarte Ells genau hatte beschreiben lassen, brach er das
7141 Gespr
äch ab. irgendwelche Fragen nach den bevorstehenden
7142 Ereignissen wurden nicht ber
ührt, und Ill verabschiedete sich
7143 bald mit dem Wunsch, da
ß die Verhandlungen, zu denen er die
7144 Herren erwartete, zur beiderseitigen Befriedigung verlaufen
7146 <p>Nach dem Fortgang der Martier zogen sich Grunthe und Saltner in
7147 ihre Zimmer zur
ück und besprachen noch einmal die Sachlage;
7148 Grunthe brachte ihre Ansichten zu Papier. Beide aber sahen jetzt
7149 der Verhandlung mit besserer Zuversicht entgegen.
</p>
7150 <h2>18 - Die Botschaft der Marsstaaten
</h2>
7151 <p>Punkt drei Uhr
öffnete sich die T
ür, die das Zimmer
7152 der G
äste mit dem Konferenzsaal verband, und der Vorsteher Ra
7153 lud Grunthe und Saltner mit einer h
öflichen Handbewegung zum
7154 Eintreten ein. Sie stutzten beim ersten Anblick des Saales, denn
7155 derselbe erschien vollst
ändig ver
ändert. Um Platz zu
7156 gewinnen, hatte man die Grenze der Schwere bis dicht an die
7157 T
ür ger
ückt, durch welche die Menschen den Saal betraten,
7158 und die Tafel in der Mitte entsprechend verl
ängert, so
7159 da
ß nur die beiden Pl
ätze am untern Ende des Tisches,
7160 die sich aber jetzt nahe der T
ür befanden, noch innerhalb des
7161 Gebietes der Erdschwere lagen. Der ganze
übrige Teil des
7162 Raumes war von festlich gekleideten Martiern erf
üllt, die sich
7163 beim Eintritt der G
äste erhoben. Nachdem Ra an seinen Sessel
7164 am oberen Ende der Tafel neben dem Pr
äsidenten Ill gelangt
7165 war, gab dieser ein Zeichen mit der Hand, und alle nahmen wieder
7166 schweigend Platz. Grunthe und Saltner folgten ihrem Beispiel.
</p>
7167 <p>Durch die ge
öffneten Fernsprechklappen des Saales
7168 ert
önte eine leise Musik, wie sie die Menschen noch nie
7169 vernommen hatten. Sie bewirkte eine feierliche, aber zugleich
7170 freudig erhebende Stimmung. Es herrschte vollst
ändige Ruhe,
7171 w
ährend deren Grunthe und Saltner die Versammlung
7172 erwartungsvoll musterten.
</p>
7173 <p>Das Tageslicht war durch dichte Vorh
änge abgeschlossen. Die
7174 sehr helle, aber f
ür menschliche Augen zu stark ins
7175 Bl
äuliche schimmernde Beleuchtung ging von der Decke aus,
7176 deren Arabesken in fluoreszierendem Schein gl
ühten. Am Ende
7177 des Zimmers war das gro
ße Banner des Mars in
7178 selbstleuchtenden Farben entfaltet. Es zeigte auf schwarzem Grund
7179 den Planeten als eine wei
ße Scheibe, die in der Mitte einen
7180 Kranz trug; bei n
äherer Betrachtung konnte man darin die
7181 Symbole der
154 Staaten des Mars unterscheiden. Vor dem Banner, an
7182 der Spitze der Tafel sa
ß zwischen den beiden ersten Beamten
7183 Ra und Fru der Kommissar der Marsstaaten Ill, an den Seiten reihten
7184 sich die Vorsteher der einzelnen Abteilungen der Station an.
7185 Seitlich von der Haupttafel, in der Mitte des Zimmers, war ein
7186 phonographischer Apparat aufgestellt, der von einer Dame bedient
7187 wurde. Auf der andern Seite sa
ßen La und eine zweite
7188 Martierin vor ihren Schreibmaschinen als Schriftf
ührerinnen.
7189 Der
übrige Raum des Zimmers war dicht von Martiern und
7190 Martierinnen erf
üllt, die der
öffentlichen Verhandlung
7191 beiwohnen wollten. Auch Se befand sich unter ihnen und hatte sich
7192 in der N
ähe Saltners niedergelassen, der ihr einen dankbaren
7193 Blick zuwarf. Das L
ächeln, mit welchem Saltner anf
änglich
7194 die Versammlung
überflog, verschwand bald unter dem Eindruck
7195 der Musik und der Haltung der schweigenden Martier. Alle trugen
7196 heute
über ihrer anschlie
ßenden metallisch
7197 gl
änzenden R
üstung einen leichten, in malerischen Falten
7198 geworfenen Mantel. Ihre Blicke waren ruhig und ernst, aber
7199 erf
üllt von einem freudigen Stolz; sie f
ühlten sich als
7200 die freien Mitglieder ihrer gro
ßen und m
ächtigen
7201 Gemeinschaft, die sie zum ersten Mal den Menschen in ihrem
7202 festlichen Glanz zeigten. Sie wu
ßten, da
ß sie heute
7203 nicht nur als Wirte ihren G
ästen, sondern als Vertreter der
7204 Numenheit den M
ännern gegen
überstanden, die f
ür sie
7205 die Vertreter der Menschheit waren. Und dieses Bewu
ßtsein,
7206 das den ganzen Charakter der Versammlung beherrschte, wirkte sehr
7207 bald auf Grunthe und Saltner zur
ück; sie f
ühlten, wie sie
7208 der
überm
ächtigen Gegenwart der Martier in ihrem Willen
7209 zu erliegen drohten. Grunthe pre
ßte die Lippen zusammen und
7210 starrte auf sein Notizbuch, das er krampfhaft in der Hand hielt, um
7211 sich dem Einflu
ß zu entziehen, den das
Äu
ßerliche
7212 der Versammlung auf ihn machte.
</p>
7213 <p>Nur wenige Minuten hatte die musikalische Einleitung gedauert.
7214 Jetzt erhob sich Ill. Absolute Stille herrschte im Saal, als er
7215 seine gro
ßen, strahlenden Augen auf die Versammlung richtete
7216 und dann wie in weite Ferne blickte. Darauf sprach er klangvoll die
7217 einfachen Worte:
</p>
7218 <p>»Den wir im Herzen tragen, Herr des Gesetzes, gib uns
7219 deine Freiheit.
«</p>
7220 <p>Wieder erfolgte eine Pause, in welcher jeder mit sich selbst
7221 besch
äftigt war.
</p>
7222 <p>Jetzt lie
ß sich Ill auf seinem Stuhl nieder und
7224 <p>»Gesandt bin ich, Gr
üße zu bringen den Numen
7225 von der Heimat, Gr
üße vom Nu und seinem Bund!
«</p>
7226 <p>»Sila Nu!
« hallte der ged
ämpfte Gegengru
ß
7227 der Martier durch den Saal.
</p>
7228 <p>»Gr
üße vom Nu auch den Bewohnern der
7229 leuchtenden Ba, des benachbarten Planeten, den Menschen, die wir
7230 zum ersten Mal heute in der Festversammlung zu sehen uns freuen.
7231 Eine alte Sehnsucht zog uns Nume durch den Weltraum hin
über
7232 zum lichten Abendstern, und es gelang uns Fu
ß zu fassen auf
7233 der Erde. Aber noch immer war es uns versagt, diejenigen
7234 kennenzulernen, die diesen m
ächtigen Planeten beherrschen als
7235 vern
ünftige Wesen. Da kam zu uns vor wenigen Wochen die erste
7236 frohe Kunde, da
ß zwei willkommene G
äste unserer Station
7237 am Pol genaht, da
ß die ersten zivilisierten Bewohner der Erde
7238 entdeckt seien. Ausf
ührliche Lichtdepeschen meldeten uns bald,
7239 was wir bisher wohl vermutet, aber doch aus direkter Anschauung
7240 nicht gekannt hatten, da
ß unser Nachbarstern bewohnt ist von
7241 hochgebildeten V
ölkern, mit denen wir uns verst
ändigen
7242 k
önnen in den Aufgaben der Kultur. Eine unbeschreibliche
7243 Aufregung ging auf diese Nachricht durch die verb
ündeten
7244 Staaten des Mars. Die
öffentliche Meinung drang darauf, keine
7245 Zeit zu verlieren, unsern Br
üdern auf der Erde die Hand zu
7246 reichen. Und da der Winter auf diesem Nordpol bevorsteht, der unsre
7247 Verbindung unterbricht, so beschlo
ß der Zentralrat des Nu,
7248 ohne die Ankunft der Raumschiffe abzuwarten, sich in direkten
7249 Verkehr mit den B
ürgern der Erde zu setzen. Wir sch
ätzen
7250 es von unerme
ßlicher Wichtigkeit f
ür die beiden
7251 Planeten, welche allein im ganzen Sonnensystem in der Art und der
7252 Kultur ihrer Bewohner sich ber
ühren, da
ß diese in
7253 gemeinsamem Einverst
ändnis ihre Interessen f
ördern. Das
7254 erste Zusammentreffen mit den hier anwesenden Vertretern der
7255 Menschheit halten wir daher f
ür einen Akt von h
öchster
7256 kulturgeschichtlicher Bedeutung. Wir sehen darin den ersten Schritt
7257 zum unmittelbaren Verkehr mit den Regierungen der
</p>
7258 <p>keiten trennen, die wir indessen bald zu
überwinden hoffen.
7259 Erde, von denen uns gegenw
ärtig noch technische Schwierig In
7260 gerechter W
ürdigung der Wichtigkeit dieser ersten Begegnung
7261 und um bei dieser Gelegenheit zugleich zu zeigen, welch hohen Wert
7262 die Marsstaaten auf die freundschaftlichen Beziehungen mit den
7263 Staaten der Erde legen, endlich um von seiten der Nume in
7264 feierlicher Handlung die ganze Menschheit bei der ersten
7265 Begr
üßung zu ehren, hat der Zentralrat beschlossen,
7266 eines seiner Mitglieder in eigener Person auf die Erde zu
7268 <p>Eine allgemeine Bewegung gab sich bei diesen Worten unter den
7269 Zuh
örern zu erkennen. Man sah sich erwartungsvoll an, leise
7270 Fragen flogen her
über und hin
über. Grunthe warf Saltner
7271 einen Blick zu, und dieser fl
üsterte:
»Sie behalten
7272 recht.
« Er blickte nach Se hin
über, aber ihre Augen
7273 waren auf Ill gerichtet. Dieser erhob langsam und feierlich die
7274 rechte Hand und sprach:
</p>
7275 <p>»Kraft des Amtes, das der Wille der Nume mir
7276 übertragen hat, enth
ülle ich das heilige Symbol der
7277 Numenheit als das Zeichen des Gesetzes in Vernunft und Arbeit, dem
7278 wir gehorchen.
«</p>
7279 <p>Die Martier erhoben ihre Augen in and
ächtigem Aufblick nach
7280 einem Punkt, den Ills Hand ihnen zu weisen schien. Vergebens
7281 strengten Grunthe und Saltner sich an, das zu erblicken, was alle
7282 andern ehrfurchtsvoll erschauten. Sie vermochten nichts
7283 wahrzunehmen, wo die Wissenden in w
ürdevollem Schweigen einer
7284 geheimnisvollen Erscheinung huldigten, die ihnen den Gedanken ihres
7285 Weltb
ürgertums repr
äsentierte.
</p>
7286 <p>Der Schauer des Unbegreiflichen erfa
ßte das Gem
üt der
7287 Menschen. Grunthe starrte auf die ehrw
ürdige Gestalt, und
7288 wieder kam die Erinnerung an Ell
über ihn. Saltner f
ühlte
7289 sich von dem Eindruck der ganzen Szene wie berauscht, er merkte,
7290 da
ß er die Gewalt
über seine Entschl
üsse verlieren
7291 w
ürde, und richtete einen hilfesuchenden Blick auf Se.
</p>
7292 <p>Da lie
ß Ill seine Hand sinken, und die Martier begannen
7293 wieder sich zu bewegen. Nach kurzer Pause hob Ill ein
7294 Schriftst
ück in die H
öhe und begann:
</p>
7295 <p>»Vernehmen Sie, Nume und Menschen, den Beschlu
ß des
7296 Zentralrats.
«</p>
7297 <p>Jetzt blitzte Ses Auge zu Saltner hin
über. Instinktiv
7298 verstand er die Mahnung. Er stie
ß Grunthe an und
7299 fl
üsterte:
»Reden Sie, ehe er liest!
«</p>
7300 <p>Aber auch dieser hatte schon begriffen, da
ß er sofort
7301 handeln m
üsse, und war bereits aufgesprungen. Alles dies
7302 vollzog sich momentan in der kurzen Pause, w
ährend deren Ill
7303 das Schriftst
ück entfaltete, und ehe er zu lesen begann, rief
7304 Grunthe:
»Ich bitte ums Wort!
«</p>
7305 <p>Er hatte in der Erregung deutsch gesprochen. Seine laute Stimme
7306 t
önte grell
über den Saal, im Gegensatz zu dem auch in
7307 der feierlichen Rede halblauten Organ der Martier. Die ganze
7308 Versammlung wandte sich unwillig nach Grunthe um, und Ill warf
7309 einen erstaunten Blick auf ihn.
</p>
7310 <p>»Ich bitte ums Wort
«, wiederholte Grunthe jetzt in
7311 der Sprache der Martier.
»Ich bitte um Verzeihung, wenn ich
7312 Sie ersuche, mich vor der Verlesung des Beschlusses eines hohen
7313 Zentralrats der Marsstaaten zu h
ören, und ich bitte im voraus
7314 um Verzeihung, wenn ich aus Unkenntnis der Sprache mich vielleicht
7315 nicht v
öllig angemessen auszudr
ücken vermag.
«</p>
7316 <p>Ill nickte langsam mit dem Haupt.
»Es liegt kein Grund
7317 vor
«, sagte er,
»unsern G
ästen das Wort zu
7318 verweigern, wenn ich auch Ihre Antwort erst nach der Verlesung
7319 erwartet habe.
«</p>
7320 <p>»Ich aber und mein Freund
«, fiel Grunthe schnell
7321 ein,
»wir beantragen, die Verlesung zu unterlassen; wir
7322 protestieren gegen die Verlesung; wir f
ühlen uns nicht als
7323 kompetent, Beschl
üsse des Zentralrats der Marsstaaten
7324 entgegenzunehmen.
«</p>
7325 <p>Auf den Gesichtern der Martier malte sich deutlich das Erstaunen
7326 über diese unerwartete Erkl
ärung. Es herrschte ein
7327 bedeutsames Schweigen. Keinerlei Urteil machte sich geltend. Die
7328 Mi
ßbilligung des k
ühnen Eingriffs, welchen ein
7329 armseliger Bat sich gegen die Beschl
üsse der h
öchsten
7330 Beh
örde des Mars erlaubte, stritt bei den Martiern mit der
7331 Achtung vor der Entschiedenheit dieses offenen Bekenntnisses, doch
7332 überwog bei den meisten ein Gef
ühl des Mitleids. Diese
7333 armen Menschen wu
ßten offenbar nicht, was sie sich erlaubten;
7334 man konnte sie wohl nicht ernst nehmen. Nur die n
ächsten
7335 Freunde der Deutschen ermutigten sie durch ihre beipflichtenden
7337 <p>Ill richtete sein ruhiges Auge auf Grunthe und Saltner, der sich
7338 ebenfalls erhoben hatte, und fragte:
</p>
7339 <p>»Wollen die Menschen ihren Protest
7340 begr
ünden?
«</p>
7341 <p>»Ich will es
«, sagte Grunthe sofort.
»Ich
7342 f
ühle tief die gro
ße Ehre, welche die Vertreter des Mars
7343 durch ihr freundliches Entgegenkommen den Bewohnern der Erde
7344 erweisen. Auch ich bin
überzeugt, da
ß die Ber
ührung
7345 der Bewohner dieser beiden gro
ßen Kulturplaneten ein
7346 weltgeschichtliches Ereignis ersten Ranges sein wird. Und mein
7347 Freund und ich sind allen Numen, denen wir bisher zu begegnen das
7348 Gl
ück hatten, den herzlichsten Dank schuldig f
ür die
7349 Rettung vom Untergang und f
ür die gastfreundliche Aufnahme in
7350 ihrer Kolonie. Wir werden das nie vergessen.
«</p>
7351 <p>»Niemals
«, sagte hier Saltner dazwischen.
</p>
7352 <p>Bei diesen warm gesprochenen Worten wurden die Blicke der
7353 Martier freundlicher. Grunthe fuhr sogleich fort:
</p>
7354 <p>»Als Menschen sprechen wir auch unsern ehrerbietigen Dank
7355 der Regierung der Vereinigten Staaten des Mars aus f
ür die
7356 Beachtung, welche sie den Mitgliedern der Tormschen Polarexpedition
7357 zuteil werden l
äßt, indem sie durch ihren
7358 Repr
äsentanten in eigener Person uns eine Botschaft entbieten
7359 will. Aber diese Ehre m
üssen wir ablehnen.
</p>
7360 <p>Wir sind nicht Vertreter irgendeiner Regierung. Wir haben kein
7361 Recht, diplomatische Erkl
ärungen entgegenzunehmen oder
7362 abzugeben. Wir sind einfache Privatleute, die in ihrer Heimat keine
7363 andere Geltung haben, als ihr Ruf als Gelehrter ihnen verschafft,
7364 und diese ist nach den Sitten unsrer Heimat in politischer Hinsicht
7365 verschwindend. Und selbst wenn wir uns als Boten betrachten
7366 wollten, die ihrer Regierung eine Mitteilung zu
überbringen
7367 h
ätten, so habe ich zu betonen, da
ß, wie dem Herrn
7368 Repr
äsentanten bekannt sein wird, au
ßer dem Deutschen
7369 Reich noch f
ünf andre europ
äische Gro
ßm
ächte,
7370 au
ßerdem die Vereinigten Staaten von Nordamerika die
7371 politische Macht
über die Erde in H
änden haben, da
ß
7372 wir demnach nicht in der Lage sind, f
ür die Staaten der Erde
7373 Auftr
äge zu
übernehmen.
«</p>
7374 <p>Hierauf sprach Ill, da Grunthe eine kleine Pause machte, mit
7375 unver
änderter H
öflichkeit, aber sehr
überlegen:
</p>
7376 <p>»Die Worte unseres werten Gastes sagen uns nichts Neues.
7377 Sie haben keinen Einflu
ß auf die mitzuteilende Botschaft, und
7378 es w
äre daher einfacher gewesen, dieselbe erst anzuh
ören,
7379 da sie sich allein auf die beiden hier anwesenden Personen unserer
7380 G
äste bezieht.
«</p>
7381 <p>Grunthe bi
ß die Lippen aufeinander. Er
ärgerte sich
7382 über die Zurechtweisung, zumal er auf den Gesichtern der
7383 Martier wieder das mitleidige L
ächeln erscheinen sah. Er rief
7384 daher etwas erregter:
</p>
7385 <p>»Wir m
üssen es aber auch f
ür unsre Personen
7386 ablehnen, irgendwelche Bestimmungen seitens der Regierung des Mars
7387 entgegenzunehmen, und zwar aus formellen Gr
ünden. Wir
7388 d
ürfen es prinzipiell nicht geschehen lassen, da
ß die
7389 Regierung des Mars hier irgendwelche offizielle Anordnungen treffe
7390 über die B
ürger eines Staates der Erde.
Über unser
7391 Tun und Lassen kann nur diejenige Regierung Verordnungen geben, auf
7392 deren Gebiet wir uns befinden. Wir stehen aber hier auf der Erde,
7393 nicht auf dem Mars. Und wenn Sie hier die Flagge der Marsstaaten
7394 entfaltet haben, so k
önnen wir derselben doch nur eine
7395 dekorative, aber keine staatsrechtliche Bedeutung zusprechen. Mit
7396 welchem Recht Sie hier eine Niederlassung begr
ündet haben,
7397 dar
über m
ögen die Regierungen der Erde bestimmen, es ist
7398 nicht unseres Amtes; aber unseres Amtes ist es, dagegen zu
7399 protestieren, da
ß auf Grund dieser noch nicht anerkannten
7400 Niederlassung Rechte
über uns ausge
übt werden.
«</p>
7401 <p>»Kann mir der Herr Redner vielleicht sagen
«, fiel
7402 Ill ein,
»auf dem Gebiet welches Erdenstaates wir uns seiner
7403 Ansicht nach hier befinden?
«</p>
7404 <p>Das war eine heikle Frage. War der Nordpol schon von einer
7405 zivilisierten Macht in Besitz genommen? Grunthe wich der Frage aus,
7406 er sagte schnell:
</p>
7407 <p>»Jedenfalls nicht im Gebiet der Marsstaaten. Auf der Erde
7408 gibt es bis jetzt keine v
ölkerrechtlich anerkannte Ansiedlung
7409 der Martier.
«</p>
7410 <p>Die Blicke der Martier waren drohend geworden. Ill richtete sich
7411 hoch auf und sprach mit leuchtenden Augen und erhobener Stimme:
</p>
7412 <p>»Meines Wissens gibt es keine Organisation der Staaten der
7413 Erde, mit welcher wir
über den Besitz des Nordpols verhandeln
7414 k
önnten, oder wenigstens war eine solche Verhandlung bisher
7415 nicht m
öglich. Wir sind an dieser Stelle des Sonnensystems die
7416 ersten Ank
ömmlinge gewesen, wir also bestimmen
über
7417 dieselbe. Es gibt kein interplanetarisches Recht, wonach die
7418 Besitzergreifung von Gebieten sich auf einen einzelnen Planeten
7419 beschr
änken m
üsse. Die Nume sind die einzigen Wesen,
7420 welche zwischen den Planeten verkehren; sie schaffen damit das
7421 Recht dieses Verkehrs. Kraft dieses Rechtes hat die Regierung der
7422 Marsstaaten Besitz von diesem Teil der Erde ergriffen. Kraft dessen
7423 gilt hier das Gesetz des Mars. Und kraft dieses Gesetzes und des
7424 Beschlusses des Zentralrats vom
603. Tag des Jahres
311770 werde
7425 ich hiermit den Beschlu
ß vom gleichen Tag
7426 verk
ünden.
«</p>
7427 <p>Grunthe f
ühlte, wie ihm das Herz pochte. Er vermochte
7428 nichts zu erwidern. Die Menschen waren geschlagen, ihr erster
7429 Versuch der Opposition gegen die
Übermacht der Martier war
7430 gescheitert. Sie mu
ßten die Befehle der Regierung des Mars
7431 anh
ören, auf ihrem eigenen Planeten, an der Stelle, welche sie
7432 zuerst von den Menschen erreicht hatten. Und das Schlimmste war,
7433 da
ß beide, Grunthe wie Saltner, ihre Widerstandskraft
7434 erlahmen f
ühlten. Gegen diesen Willen, der aus den
7435 gro
ßen Augensternen des Repr
äsentanten leuchtete, der
7436 sich in den Blicken der ganzen Versammlung widerspiegelte,
7437 vermochten sie nicht aufzukommen.
</p>
7438 <p>Und schon begann Ill, die kurzen Worte vorzulesen, welche
7439 über ihr Schicksal bestimmen sollten. Er las:
</p>
7440 <p>»Der Zentralrat des Nu, im Namen der Vereinigten Staaten
7441 des Mars, hat beschlossen, wie folgt: Die beiden an der Station des
7442 Mars auf dem Nordpol der Erde angelangten Menschen, namens Grunthe
7443 und Saltner, stehen unter dem Schutz der Marsstaaten. Die Freiheit
7444 ihrer Person, ihres Verkehrs und Eigentums wird ihnen
7445 gew
ährleistet im gesamten Gebiet des Mars. Sie werden
7446 eingeladen, innerhalb sechs Tagen nach Verlesung dieser Botschaft
7447 auf einem der Raumschiffe der Erdstation sich nach dem Mars zu
7448 begeben. Sie sind G
äste der Marsstaaten, denen jede
7449 F
örderung zuteil werden soll, Einrichtungen und Gesinnungen
7450 der Nume zu studieren. Sie werden ersucht, im Fr
ühjahr der
7451 Nordhalbkugel der Erde nach derselben zur
ückzukehren, um
7452 alsdann eine nach den Hauptst
ädten der Erde aufbrechende
7453 Expedition zu begleiten. Der Repr
äsentant Ill wird mit der
7454 Überbringung dieser Botschaft nach der Erde beauftragt.
</p>
7455 <p>Gezeichnet Del. Em. An.
«</p>
7456 <p>Die Martier lie
ßen sich auf ihren Sitzen nieder, auch
7457 Grunthe und Saltner sanken in ihre Sessel.
</p>
7458 <h2>19 - Die Freiheit des Willens
</h2>
7459 <p>Nach der Verlesung der Botschaft faltete Ill das Dokument
7460 zusammen und sprach mit liebensw
ürdigster Miene:
</p>
7461 <p>»Nachdem die Menschen den Willen des Zentralrats vernommen
7462 haben, darf ich annehmen, da
ß sie der Einladung und dem
7463 Ersuchen der Martier Folge leisten werden. Ich bitte Sie daher,
7464 Ihre Vorbereitungen so treffen zu wollen, da
ß Sie mit dem am
7465 f
ünften Tag von heute abgehenden Schiff Ihre Reise antreten
7466 k
önnen.
«</p>
7467 <p>Da weder Grunthe noch Saltner sogleich antwortete, erhob sich Ra
7468 und hielt eine vers
öhnliche Rede. Aus dem Inhalt der
7469 Botschaft, f
ührte er aus, w
ürden sich die G
äste
7470 gewi
ß überzeugt haben, da
ß sie gar keinen Grund
7471 h
ätten, gegen die Verlesung zu protestieren. Er
7472 w
üßte wohl, da
ß man ihnen mit der Reise nach dem
7473 Mars ein ungew
öhnliches und anstrengendes Unternehmen zumute.
7474 Er verst
ünde, da
ß sie es vorziehen w
ürden, alsbald
7475 in ihre Heimat zur
ückzukehren. Dies
– und damit deckte
7476 er offen ihre Motive auf
– w
äre wohl auch der
7477 eigentliche Grund des Protestes gewesen, da die Menschen die
7478 Einladung nach dem Mars erwartet und sich der Verlegenheit
7479 h
ätten entziehen wollen, sie abzulehnen. Und dann stellte er
7480 ihnen die Reise und den Aufenthalt auf dem Mars in verlockenden
7482 <p>Grunthe und Saltner wu
ßten nicht recht, ob sie diese Rede
7483 zu ihren Gunsten deuten d
ürften, da sie die Schw
äche
7484 ihres Protestes enth
üllte und ganz geeignet schien, ihnen die
7485 Ablehnung zu erschweren. Aber Saltner erkannte an dem stillen
7486 L
ächeln in Ses Z
ügen, da
ß Ra ihnen tats
ächlich
7487 zu Hilfe kommen wollte, da
ß er sie wohl nur warnen wollte,
7488 neue Fehler zu begehen. In der Tat schlo
ß er mit den
7490 <p>»Der Zentralrat garantiert Ihnen volle Freiheit. Er
7491 kommandiert Sie nicht nach dem Mars, er l
ädt Sie ein; er
7492 befiehlt nicht, da
ß Sie uns nach Europa geleiten sollen, er
7493 ersucht Sie darum. Er setzt dabei voraus, da
ß es keine
7494 berechtigten ethischen Motive gibt, weshalb Sie diesen
7495 W
ünschen nicht nachkommen sollten, und er erwartet daher,
7496 da
ß Sie ihnen Folge leisten.
«</p>
7497 <p>W
ährend Grunthe finster vor sich hinblickte und
7498 dar
über nachsann, in welche Form er seine Weigerung kleiden
7499 sollte, erhob sich Saltner. Obwohl er sich sagte, da
ß er mit
7500 seinen Worten den Entschlu
ß der Martier nicht w
ürde
7501 ändern k
önnen, wollte er doch versuchen, etwas
7502 N
äheres
über ihre Pl
äne zu h
ören, und die
7503 Ablehnung der Einladung aus Zweckm
äßigkeitsgr
ünden
7504 motivieren. Er legte dar, da
ß der Besuch auf dem Mars
7505 gegenw
ärtig f
ür beide Teile keine besonderen Vorteile
7506 biete. Sein Freund und er h
ätten bereits vollst
ändig die
7507 Überzeugung von der Macht und Leistungsf
ähigkeit der
7508 Martier gewonnen. Was sie vom Mars w
üßten, w
äre
7509 schon so viel, da
ß sie M
ühe haben w
ürden, es ihren
7510 Mitb
ürgern begreiflich zu machen. Es w
äre daher
7511 sicherlich das beste, wenn sie sogleich in ihre Heimat
7512 zur
ückkehrten, um den Erdbewohnern ihre Erfahrungen
7513 mitzuteilen und sie durch die Presse allm
ählich auf das
7514 Erscheinen der Martier vorzubereiten. Das gegenseitige
7515 Verst
ändnis zwischen Mars und Erde w
ürde auf diese Weise
7516 am sichersten gef
ördert; die
Überraschung durch die
7517 Bewohner des Mars k
önnte die Erdbewohner, bei ihrer
7518 mangelhaften Kenntnis der Verh
ältnisse auf dem Mars,
7519 vielleicht zu falschen Ma
ßregeln verleiten, unter denen
7520 alsdann beide Teile zu leiden h
ätten. Deswegen
7521 m
üßten sie darauf dringen, nach Europa
7522 zur
ückzukehren, ehe die Martier dahin k
ämen. Sie zu
7523 begleiten, k
önnte f
ür die Martier jedenfalls von viel
7524 geringerem Nutzen sein. Im
übrigen w
äre es ihnen, den
7525 Menschen, vom gr
ößten Interesse, zu erfahren, welche
7526 Vorteile eigentlich die Martier sich vom Verkehr mit der Erde
7527 verspr
ächen und was sie etwa von den Menschen zu erlangen
7529 <p>Die Martier hatten unter wachsender Aufmerksamkeit
7530 zugeh
ört. Ills Antlitz war wieder ernster geworden. Nachdem er
7531 die Mitteilung des Zentralratsbeschlusses durchgesetzt, hatte er
7532 geglaubt, da
ß die Menschen nicht l
änger wagen
7533 w
ürden, sich zu weigern. Aus Saltners Worten erkannte er
7534 jedoch, da
ß es keinen Sinn mehr h
ätte, den eigentlichen
7535 Kernpunkt der Frage zu verschleiern. Die Deutschen hatten offenbar
7536 die Absicht der Martier durchschaut, eine Warnung der
7537 Gro
ßm
ächte zu verhindern. Der Hilfe der Menschen
7538 bedurften die Martier nicht; aber sie wollten bei dem ersten Besuch
7539 in den zivilisierten Staaten der Erde sogleich in einer Weise
7540 auftreten, die sie zum unbedingten Herren der Situation machte. Die
7541 Vorbereitungen dazu waren schon in viel h
öherem Ma
ß
7542 getroffen, als Grunthe und Saltner wu
ßten. Ihre Landung am
7543 Nordpol und die Kenntnis, welche die Martier dadurch von den
7544 zivilisierten Staaten der Erde erhielten, hatte den Zentralrat nur
7545 in der Ansicht best
ärkt, da
ß man mit den Bewohnern der
7546 Erde in sehr ernsthafter Weise zu rechnen haben w
ürde und
7547 da
ß alles darauf ank
äme, sich bei der ersten Begegnung
7548 keine Bl
öße zu geben. Dies w
äre aber sehr leicht
7549 m
öglich gewesen, wenn die Erdbewohner zu fr
üh erfuhren,
7550 mit welchen Schwierigkeiten die Martier auf der Erde zu
7551 k
ämpfen hatten. Diese zu heben war daher ihr Hauptaugenmerk
7552 bei den Vorbereitungen zur Expedition und zugleich der Grund ihrer
7553 langen Verz
ögerung gewesen. Nun hatte der Zentralrat
7554 beschlossen, die Vorbereitungen aufs
äu
ßerste zu
7555 beschleunigen, ehe die Besitznahme des Nordpols auf der Erde
7556 bekannt wurde, und vorl
äufig die R
ückkehr der Menschen zu
7557 verhindern. Doch konnte er sich dazu nach der sittlichen
7558 Weltanschauung der Martier keiner Mittel bedienen, die das Recht
7559 der Pers
önlichkeit der Menschen verletzt h
ätten.
</p>
7560 <p>Es w
äre unter der W
ürde der Martier gewesen, wenn sie
7561 sich hinter Vorw
änden h
ätten verstecken wollen, nachdem
7562 der Versuch, die Menschen durch blo
ße Autorit
ät zu
7563 leiten, gescheitert war. Ill sagte daher:
</p>
7564 <p>»Es ist allerdings unsre Absicht, den Erdstaaten unsre
7565 Ankunft nicht eher bekanntwerden zu lassen, als bis dieselbe
7566 wirklich erfolgt. Und zwar aus demselben Grund, welcher unsere
7567 G
äste w
ünschen l
äßt, das Entgegengesetzte
7568 herbeizuf
ühren und die Erdstaaten vorzubereiten. Wir
7569 f
ürchten, da
ß gerade die l
ückenhaften Nachrichten,
7570 welche sie durch die hier anwesenden Menschen erhalten w
ürden,
7571 sie dazu veranlassen k
önnten, falsche Ma
ßregeln zu
7572 ergreifen und unser gegenseitiges Verst
ändnis zu erschweren.
7573 Denn wenn Sie auch, meine Herren G
äste, mancherlei von unserer
7574 äu
ßeren Macht kennengelernt haben, so kennen Sie doch
7575 noch zu wenig die Grunds
ätze unsres Handelns, um Ihre Freunde
7576 belehren zu k
önnen, wie sie sich gegen uns zu verhalten haben.
7577 Die traurigsten Mi
ßverst
ändnisse sind leicht
7578 m
öglich. So m
üssen wir denn darauf bestehen, da
ß
7579 Sie uns zuerst nach dem Mars begleiten, da wir, unmittelbar vor
7580 Beginn des Polarwinters, noch nicht in der Lage sind, mit Ihnen
7581 zusammen nach Europa aufzubrechen.
«</p>
7582 <p>»Ich bin dem Herrn Repr
äsentanten sehr
7583 dankbar
«, erwiderte Saltner,
»da
ß er uns so offen
7584 die Gr
ünde des hohen Zentralrats f
ür seine Botschaft
7585 dargelegt hat. Sie konnten uns aber nicht
überzeugen, um so
7586 weniger, da wir
über die eigentlichen Absichten der Martier
7587 gegen die Erdbewohner nicht n
äher unterrichtet wurden. Wir
7588 m
üssen daher darauf bestehen, nach der Heimat
7589 zur
ückzukehren, um den Unsrigen Gelegenheit zu geben, sich
7590 ihrerseits schl
üssig zu machen, wie sie den Martiern zu
7591 begegnen haben.
«</p>
7592 <p>Ill entgegnete ziemlich scharf.
</p>
7593 <p>»Nach dem, was wir soeben geh
ört haben
«, sagte
7594 er,
»scheinen uns die anwesenden Menschen wenig geeignet,
7595 ihren Landsleuten als Berater zu dienen, wie sich letztere gegen
7596 uns verhalten sollen. Wenn Sie ihnen vielleicht zu raten gedenken,
7597 unserm Aufenthalt auf der Erde Schwierigkeiten entgegenzusetzen, so
7598 w
ürden Sie eben das erreichen, was wir zu vermeiden hoffen,
7599 Mi
ßtrauen und Spannungen zwischen den Bewohnern beider
7600 Planeten, w
ährend wir ein friedliches Verh
ältnis zu
7601 gemeinsamer Arbeit anstreben. Die Menschen haben von uns nichts zu
7602 bef
ürchten, sobald sie gelernt haben werden, uns zu verstehen.
7603 Wir bed
ürfen der Erdbewohner nicht; wir kommen zu ihnen, um
7604 ihnen die Segnungen unsrer Kultur zu bringen. Ich bin
7605 überzeugt, da
ß auch wir im Eintausch der Produkte der
7606 Erde viel Neues und N
ützliches gewinnen werden. Aber das
7607 wirtschaftliche Bed
ürfnis welches uns au
ßer dem
7608 allgemeinen wissenschaftlichen Interesse nach der Erde trieb,
7609 erfordert nicht die Beteiligung der Menschen. Wir k
önnen es
7610 vollauf hier am Nordpol befriedigen, und ich stehe nicht an, es
7611 Ihnen zu sagen, was wir von der Erde holen wollen, damit Sie Ihre
7612 Mitb
ürger und Regierungen
über unsre Absichten beruhigen.
7613 Wir wollen nichts anderes als Luft und Sonne, atmosph
ärische
7614 Luft und Strahlung, die Sie ja in ausreichendem Ma
ß besitzen
7615 und die niemand geh
ört. Wir haben sie bereits reichlich
7616 exportiert und werden sie weiter exportieren.
</p>
7617 <p>Was uns aber nun veranla
ßt, die Menschen selbst
7618 aufzusuchen, das sind Beweggr
ünde rein idealen Charakters. Es
7619 ist nicht m
öglich, sie Ihnen, als Menschen, hier in K
ürze
7620 zum Verst
ändnis zu bringen. Wir sind Nume. Wir sind die
7621 Tr
äger der Kultur des Sonnensystems. Es ist uns eine heilige
7622 Pflicht, das Resultat unsrer hunderttausendj
ährigen
7623 Kulturarbeit, den Segen der Numenheit, auch den Menschen
7624 zug
änglich zu machen.
«</p>
7625 <p>Grunthe machte eine ungeduldige Bewegung. Er wollte sprechen,
7626 aber Ill fuhr fort:
</p>
7627 <p>»F
ürchten Sie nichts f
ür Ihre
Überzeugung
7628 und ihre Freiheit. Ihre Freiheit werden wir achten, denn sie ist
7629 die Grundbedingung zur Numenheit. Die Kultur kann nicht
7630 aufgedr
ängt und nicht geschenkt werden, denn sie will
7631 erarbeitet sein. Aber zu dieser Arbeit kann man erzogen werden. So
7632 war es auch auf Ihrem Planeten; die vorgeschrittenen Nationen haben
7633 die barbarischen zur Kulturarbeit erzogen. Dazu bieten wir nun
7634 verm
öge unsrer so viel
älteren Erfahrung uns Ihnen als
7635 Lehrer an. Weisen Sie uns nicht in falschem Stolz zur
ück.
7636 Nachdem einmal die Erde von uns betreten ist, l
äßt sich
7637 die Ber
ührung der beiden Planetengeschlechter nicht vermeiden.
7638 Sie ist eine Notwendigkeit. Erwecken Sie also nicht erst die
7639 T
äuschung, als k
önnte die Menschheit unsrem Einflu
ß
7640 sich entziehen. Vertrauen Sie unsern Ma
ßregeln und bewahren
7641 Sie die Menschen vor dem Fehler, uns aufgrund kurzsichtiger mensch-
7642 licher
Überlegungen Schwierigkeiten zu bereiten, die nur zum
7643 Nachteil f
ür sie ausschlagen k
önnten. Erfahren die
7644 Menschen von unserer Ankunft, ohne zugleich dem vollen Gewicht
7645 unsres unmittelbaren Einflusses ausgesetzt zu sein, so begehen sie
7646 sicherlich eine Torheit. Auch Ihr Rat, meine Herren G
äste,
7647 w
ürde sie nicht davor bewahren, zumal Sie uns selbst Ihre
7648 Einflu
ßlosigkeit eingestanden.
Überlassen Sie uns also
7649 ganz allein die Verantwortung f
ür die Gestaltung der
7650 Verh
ältnisse, indem Sie sich dem entschieden ausgesprochenen
7651 Wunsch des Zentralrats f
ügen.
«</p>
7652 <p>Grunthe f
ühlte aufs neue, da
ß er der Macht dieser
7653 Gr
ünde zu unterliegen drohte. Hatte er sich zun
ächst
7654 aufgeb
äumt gegen die stolze Sprache des Martiers, so
7655 mu
ßte er sich jetzt doch fragen, ob er nicht durch eine
7656 Warnung das Schicksal der Menschen nur verschlimmern w
ürde.
7657 Was konnten sie gegen die Martier tun? Ihnen feindlich begegnen? Es
7658 w
äre ja wohl das Kl
ügste gewesen, sich der Verantwortung
7659 zu entziehen und den Martiern zu folgen. Aber nein! Das
7660 Kl
ügste hatte er nicht zu tun, sondern seine Pflicht. Und es
7661 war ihm kein Zweifel, da
ß er die Verantwortung nicht
7662 übernehmen durfte, sein Vaterland ohne Nachricht zu
7664 <p>Er erhob sich in tiefem Ernst. Er sah weder Ill noch die Martier
7665 an, sondern heftete sein Auge vor sich auf den Tisch. Seine Lippen
7666 zogen sich fest zusammen. Dann
öffnete er sie mit einem festen
7667 Entschlu
ß. Er warf einen Blick auf Saltner. Auch dieser hatte
7668 in sich verloren mit
ähnlichen Gedanken gesessen. Als Grunthe
7669 ihn ansah, sagte er leise:
»Ablehnen.
«</p>
7670 <p>Grunthe begann. Erst stockend und leise. Allm
ählich hob
7671 sich seine Stimme.
</p>
7672 <p>»Wir sind als Menschen nicht so eingebildet
«, sagte
7673 er,
»da
ß wir glauben, von einer
älteren Kultur
7674 nicht lernen zu k
önnen. Es kann ein hohes Gl
ück sein, den
7675 Martiern zu folgen. Es kann auch unser Ungl
ück sein. Ich wage
7676 dar
über nicht zu entscheiden. Und eben darum, weil ich nicht
7677 dar
über entscheiden kann, darf ich, soviel an mir liegt, nicht
7678 zugeben, da
ß mein Verhalten einer Entscheidung gleichkommt;
7679 die Menschen, die Erdbewohner, m
üssen sich eine Meinung bilden
7680 k
önnen. Dies zu erm
öglichen, ist meine Pflicht. Dadurch
7681 ist meinem Freund und mir unsere Handlungsweise klar und deutlich
7682 vorgeschrieben. Unsre Instruktion lautet dahin, nach Erreichung des
7683 Nordpols so schnell als m
öglich nach Hause
7684 zur
ückzukehren. Schon dies verbietet uns, auf Ihre
7685 Aufforderung einzugehen. Doch es k
önnten Zweifel entstehen, ob
7686 nicht unser k
ürzester Weg
über den Mars f
ühre. Diese
7687 Zweifel erledigen sich nun durch unsere gegenseitige Aussprache.
7688 Sie wollen uns nicht vor Ihrer eigenen Ankunft bei den Unseren
7689 heimkehren lassen. Das m
üssen wir verh
üten. Es ist keine
7690 Frage der Klugheit, es ist eine Frage des Gewissens. Mag daraus
7691 entstehen, was da wolle, wir m
üssen unsre ganze Kraft und
7692 unser Leben einsetzen, um die Nachricht von der Ankunft der Martier
7693 auf der Erde sofort in die Heimat zu bringen. Dies erfordert die
7694 Pflicht gegen das Vaterland und gegen die Menschheit. Jedes weitere
7695 Wort ist
überfl
üssig. Mein Freund und ich werden mit
7696 Hilfe unsres von Ihnen geborgenen Ballons sobald als m
öglich
7697 abreisen. Wenn Sie wirklich jene erhabene Gesinnung der Nume
7698 besitzen, nach der die Freiheit der Pers
önlichkeit unbedingte
7699 Achtung erfordert, so erwarte ich von Ihnen, da
ß Sie uns Ihre
7700 Beihilfe zu unsrer Abreise nicht versagen. Wir bitten, uns zu
7701 entlassen.
«</p>
7702 <p>Grunthe und Saltner, der sich ebenfalls erhoben hatte,
7703 verlie
ßen ihre Pl
ätze und wandten sich nach der
7705 <p>Tiefes Schweigen herrschte in der Versammlung der Martier. Die
7706 meisten blickten finster vor sich hin, nur die n
äheren Freunde
7707 der Menschen zeigten ihnen durch ihre Mienen, da
ß sie ihr
7708 Verhalten billigten. Saltner sah im Fortgehen, da
ß ihm Se
7709 freundlich mit den Augen folgte, w
ährend er von La vergeblich
7710 noch einen Blick zu erhaschen suchte. Schon hatte Grunthe die
7711 T
ür ge
öffnet. Niemand hielt die beiden auf. Sie
7712 verlie
ßen den Saal.
</p>
7713 <p>Die Martier setzten ihre Beratung fort. Sie waren in ihrer
7714 Majorit
ät sichtlich durch den Mi
ßerfolg verstimmt, ja es
7715 wurden Stimmen laut, ob man die Menschen nicht auch gegen ihren
7716 Willen zur Reise nach dem Mars zwingen k
önne. Der junge
7717 Kapit
än O
ß warf die Frage auf, ob nicht den Menschen das
7718 Recht der Pers
önlichkeit abzusprechen sei, da sie nicht das
7719 gen
ügende Verst
ändnis f
ür das Wesen der Numenheit
7720 gezeigt h
ätten. La blickte ihn sehr erstaunt an, und Fru erhob
7721 sich darauf, um diesen Vorwurf zur
ückzuweisen. Da
ß sie
7722 die F
ähigkeit gehabt hatten, ihren Willen gegen den der
7723 Martier zu behaupten, sei der gen
ügende und allerdings einzig
7724 m
ögliche Beweis daf
ür, da
ß ihnen die
7725 Selbstbestimmung der sittlichen Person zukomme. Man k
önne sie
7726 also nicht zur Mitreise zwingen, ja man m
üsse sogar ihrer
7727 Abreise jetzt jede Unterst
ützung angedeihen lassen.
</p>
7728 <p>Ill entschied dahin, da
ß die Frage nach dem Recht der
7729 Menschen auf freie Entschlie
ßung nicht mehr zur Diskussion
7730 stehen k
önne, da der Zentralrat ihnen dasselbe bereits
7731 zugesichert habe. Dagegen brauche man nicht soweit zu gehen, ihre
7732 R
ückreise geradezu zu f
ördern, wenn man sie auch nicht
7733 verhindern k
önne. Man m
üsse aber wohl oder
übel sich
7734 damit abfinden, da
ß die Menschen von der Anwesenheit der
7735 Martier fr
üher erf
ühren, als die urspr
üngliche
7736 Absicht war. Andrerseits jedoch l
äge ihm auch sehr viel daran,
7737 wenigstens einen der Menschen nach dem Mars mitzunehmen, damit
7738 dieser den Martiern sp
äter als Augenzeuge dienen k
önne.
7739 Dies k
önne indessen nur mit seiner freien Einwilligung
7740 geschehen. Dazu bemerkte Ra, vielleicht w
ürde sich Saltner zur
7741 Mitreise bereit erkl
ären, wenn man daf
ür Grunthe die
7742 vollst
ändige Sicherheit der Heimkehr gew
ährleisten
7743 k
önne. Aber eine solche Garantie k
önne man doch wohl
7744 nicht
übernehmen.
</p>
7745 <p>Ill sagte darauf nach kurzem Besinnen:
</p>
7746 <p>»Ich glaube die Gew
ähr
übernehmen zu
7747 k
önnen, Grunthe nach Europa zu bringen, und zwar, wenn es sein
7748 m
üßte, binnen vierundzwanzig Stunden.
«</p>
7749 <p>Bei der Mehrzahl der Martier erweckte diese
Äu
ßerung
7750 das lebhafteste Erstaunen. Wie konnte man Grunthe die R
ückkehr
7751 garantieren? H
ätte man dann nicht selbst sogleich nach Europa
7752 aufbrechen k
önnen?
</p>
7753 <p>Ill lie
ß sich zun
ächst
überzeugen, da
ß
7754 Grunthe und Saltner von der weiteren Verhandlung nichts vernehmen
7755 k
önnten. Sie hatten sich bereits an die Arbeit an ihrem Ballon
7756 gemacht und befanden sich auf dem Dach der Insel, wo sie
7757 gen
ügenden Raum hatten, um den Ballon einer Untersuchung zu
7758 unterziehen. Man hatte ihnen denselben ohne weiteres zur
7759 Verf
ügung gestellt, da auch die im Dienst befindlichen Beamten
7760 durch den Fernh
örer von dem Resultat der Versammlung bereits
7761 unterrichtet waren.
</p>
7762 <p>Ill lie
ß nun die Klappen der Fernsprecher schlie
ßen
7763 und den phonographischen Apparat au
ßer T
ätigkeit setzen.
7764 Gespannt lauschten die Martier den n
äheren Mitteilungen,
7765 welche ihnen Ill jetzt
über die Fortschritte machte, die in
7766 der Vorbereitung der Expedition nach Europa gegl
ückt waren.
7767 Sie hatten bisher von den mit Ill auf dem
›Glo
‹
7768 angekommenen Martiern nur im allgemeinen geh
ört, da
ß auf
7769 dem Mars neue wichtige Entdeckungen in bezug auf die Luftschiffahrt
7770 gelungen seien. Die schleunige Absendung des
›Glo
‹
7771 hatte vornehmlich den Zweck, diese neuen Entdeckungen und Apparate
7772 in der Atmosph
äre der Erde, f
ür welche sie berechnet und
7773 konstruiert waren, praktisch zu erproben, um alsdann bis zum
7774 Fr
ühjahr den Bau zahlreicher Luftschiffe f
ür die Erde
7775 auszuf
ühren. Die
Überbringung der Botschaft des
7776 Zentralrats war mit dem Transport dieser neuen Apparate verbunden
7777 worden. Andernfalls h
ätte man sich wahrscheinlich damit
7778 begn
ügt, sie durch den Lichttelegraphen zu
übermitteln
7779 oder die Ankunft des n
ächsten Raumschiffs von der Erde vor der
7780 Absendung abzuwarten. Aber die letzten Tage des Sonnenscheins am
7781 Nordpol mu
ßten ausgenutzt werden, um Erfahrungen
über
7782 die Brauchbarkeit der neuen Erfindung zu machen. Ill gab nun
7783 Aufkl
ärungen
über seine weiteren Absichten. Daran
7784 schlo
ß sich eine l
ängere Beratung der Martier, so
7785 da
ß die Feierstunde herangekommen war, als die Martier
7786 auseinandergingen.
</p>
7788 <p>Grunthe und Saltner kehrten sehr entmutigt von ihrer Tagesarbeit
7789 zur
ück. Die Untersuchung des Ballons hatte ergeben, da
ß
7790 er in seiner urspr
ünglichen Gestalt nicht wieder herstellbar
7791 sei. Gl
ücklicherweise waren die Ventile und das Netzwerk
7792 unverletzt. Vom Stoff des Ballons war jedoch ein gro
ßer Teil
7793 unbrauchbar geworden. Der Rest konnte indessen ausreichen, einen
7794 kleineren Ballon zusammenzun
ähen, vorausgesetzt, da
ß die
7795 Martier bei dieser Arbeit ihre Hilfe leisten wollten, denn die
7796 beiden Gelehrten allein h
ätten damit nicht zustande kommen
7797 k
önnen. Aber die Tragkraft dieses Ballons, bei dem man
7798 Proviant und Ballast sehr reichlich mitnehmen mu
ßte, um auf
7799 eine lange Fahrt ger
üstet zu sein, h
ätte dann nicht
7800 ausgereicht, um beide Forscher aufzunehmen. Grunthe kam deshalb
7801 wieder auf seinen Plan zur
ück, allein abzureisen und Saltner
7802 die Fahrt nach dem Mars mitmachen zu lassen. Vielleicht, so meinte
7803 er, w
ürden die Martier ihnen ihre Hilfe bei der Herstellung
7804 des Ballons nicht versagen, wenn sie ihnen insoweit
7805 entgegenk
ämen, da
ß wenigstens einer von ihnen ihre
7806 Einladung nach dem Mars nachtr
äglich ann
ähme. Endlich
7807 d
ürfe man die Chance nicht aus der Hand geben, da
ß, wenn
7808 der Ballon verungl
ücke, wenigstens Saltner seine Erfahrungen
7809 auf dem Umweg
über den Mars nach Europa bringe, wiewohl dies
7810 dann freilich nicht vor Ankunft der Martier geschehen
7812 <p>Saltner
überzeugte sich schlie
ßlich, da
ß dieser
7813 Ausweg in der Tat der vorteilhafteste sei, da unter den gegebenen
7814 Verh
ältnissen ein Luftschiffer die Fahrt sicherer
7815 zur
ücklegen k
önne als zwei. Pers
önlich war er ja
7816 überhaupt nicht abgeneigt, die Martier zu begleiten. Auch
7817 Grunthe w
äre, was seinen Forscher- eifer anbetraf, gern nach
7818 dem Mars gegangen, aber einer von ihnen mu
ßte notwendig als
7819 Bote nach Europa. Freilich hatte sich auch Saltner zu dieser
7820 gef
ährlichen Fahrt erboten, aber es verstand sich von selbst,
7821 da
ß Grunthe, als der erfahrenere Luftschiffer, die Fahrt
7822 unternahm. So beschlossen denn beide, am n
ächsten Morgen mit
7823 den Martiern in diesem Sinn zu verhandeln. F
ür heute war die
7824 Verkehrsstunde schon vor
über.
</p>
7825 <h2>20 - Das neue Luftschiff
</h2>
7826 <p>Grunthe erwachte aus einem unruhigen Schlummer und sah nach der
7827 Uhr. Sie zeigte auf
9,
6, das entsprach nach mitteleurop
äischer
7828 Zeit ein Uhr fr
üh; es war also noch mitten in der
7829 konventionellen Nacht.
</p>
7830 <p>Er legte sich daher wieder auf sein Lager zur
ück.
7831 W
ährend er sich seinen Gedanken hingab, vernahm er ein
7832 eigent
ümliches Zischen. Es unterschied sich deutlich von dem
7833 leichten, gleichm
äßigen Rauschen des Meeres, das in den
7834 Schlafr
äumen nur schwach durch die Stille der Nacht
7835 h
örbar war. Auch schien es aus der Luft herzukommen, nahm erst
7836 zu, um dann allm
ählich schw
ächer zu werden und
7837 schlie
ßlich zu verschwinden. Nach einiger Zeit begann das
7838 Zischen wieder, kam aber deutlich von einer andern Seite her.
7839 Sollten es Windst
öße sein, die sich um die Insel
7840 erhoben? Aber auf diese Weise h
ätten sie sich wohl nicht
7841 ge
äu
ßert. Als sich das Ger
äusch mehrfach
7842 wiederholte, stand Grunthe auf, und die L
äden der Decke
7843 schoben sich, als sein Fu
ß den Boden ber
ührte, an einer
7844 Stelle automatisch beiseite. Ein schr
äger r
ötlicher
7845 Sonnenstrahl schlich sich in das Zimmer, und ein Streifen des
7846 Himmels wurde sichtbar. Es war also noch immer klares Wetter, nur
7847 stand die Sonne bereits so tief, da
ß sie nur schwach durch
7848 die Atmosph
äre hindurchdrang. Pl
ötzlich verdunkelte sich
7849 der sichtbare Streifen des Himmels auf einen Moment, es war, als ob
7850 ein gro
ßer Gegenstand mit namhafter Geschwindigkeit
über
7851 die Insel fortgeflogen w
äre. Zugleich war das Zischen
7852 besonders laut geworden.
</p>
7853 <p>Da das Zimmer keine seitlichen Fenster hatte, konnte Grunthe
7854 keinen Rundblick gewinnen. Er wu
ßte aber, da
ß man an
7855 einigen Stellen die Hartglasbedachung der Decke
öffnen konnte.
7856 Nur mu
ßte man dazu die gen
ügende H
öhe erreichen, um
7857 bis zur Decke zu gelangen. Eine Leiter hatte er nicht zur
7858 Verf
ügung, er wollte deshalb zun
ächst versuchen, ob er
7859 nicht durch die Fenster des Sprechzimmers eine gen
ügende
7860 Aussicht finden k
önne. Zu seiner
Überraschung fand er die
7861 Verbindungst
ür von au
ßen gesperrt. Dies lie
ß
7862 darauf schlie
ßen, da
ß bei den Martiern etwas im Werk
7863 sei, wobei sie von den Menschen nicht beobachtet zu werden
7864 w
ünschten. Um so mehr steigerte sich bei Grunthe das
7865 Verlangen, seine Wi
ßbegier zu befriedigen.
</p>
7866 <p>Er betrachtete sorgf
ältig die Decke in der N
ähe der
7867 Luken und erkannte, da
ß sich dort verschiedene, zu den
7868 Apparaten der Martier geh
örige Haken befanden, an denen man
7869 sehr gut Stricke befestigen konnte. Solche waren zur Gen
üge an
7870 den K
örben vorhanden, die zur Ausr
üstung des Ballons
7871 gedient hatten und in seinem Zimmer lagerten. Aus einem der leeren
7872 K
örbe und zwei Seilen lie
ß sich eine Art schwebendes
7873 Trapez herstellen, das, an der Decke angeh
ängt, gestatten
7874 mu
ßte, den Kopf bis
über das Dach zu erheben. Aber wie
7875 hinaufkommen? Er entschlo
ß sich, Saltner zu wecken. Der
7876 r
äsonnierte eben ein wenig
über die n
ächtliche
7877 St
örung, als sich das Zischen in der Entfernung wieder
7878 h
ören lie
ß. Nun sprang er mit einem Satz in die
7879 H
öhe und fuhr in seine Kleider. Auf Grunthes Schultern
7880 stehend, gelang es ihm, zwei Seile an der Decke zu befestigen, und
7881 nun war es nicht mehr schwer, einen Beobachtungsposten
7883 <p>Vorsichtig steckten die beiden indiskreten Beobachter ihre
7884 K
öpfe aus der Luke und wandten sich nach der Richtung, in
7885 welcher sich jetzt deutlich, aber in der Ferne, ein
7886 gleichm
äßiges leises Sausen vernehmen lie
ß. Zu
7887 ihrem grenzenlosen Erstaunen sahen sie, da
ß dieses
7888 Ger
äusch von einem riesigen Vogel herzur
ühren schien, der
7889 mit ausgebreiteten Schwingen in ruhigem Segelflug durch die Luft
7890 glitt und in geringer H
öhe
über dem Wasser rings um die
7891 Insel schwebte. Jetzt n
äherte er sich derselben und
7892 scho
ß mit rasender Geschwindigkeit vielleicht zwanzig Meter
7893 über dem Dach der Insel hinweg. Trotz der kurzen Zeit, in
7894 welcher die beiden M
änner den seltsamen Vogel beobachten
7895 konnten, sahen sie doch, da
ß er weder Kopf noch
7896 F
üße besa
ß. Sein langgestreckter K
örper hatte
7897 die Gestalt einer nach vorn und hinten konisch zulaufenden Zigarre,
7898 am hinteren Ende befand sich ein langer, flacher Schwanz als
7899 Steuerruder. Nat
ürlich war den Beobachtern sofort klar,
7900 da
ß sie eine neue Erfindung der Martier vor sich hatten, ein
7901 den Verh
ältnissen der Erde angepa
ßtes Luftschiff. Die
7902 Martier stellten damit
Übungen und Versuche an, wobei sie von
7903 den Menschen nicht beobachtet sein wollten.
</p>
7904 <p>Das Luftschiff entfernte sich, kehrte dann in einem kurzen,
7905 eleganten Bogen um, brauste zur
ück und hielt pl
ötzlich
7906 direkt
über der Insel an. Man konnte beobachten, wie der ganze
7907 Schiffsk
örper in Schwingungen geriet, als der
7908 äu
ßerst schnelle Flug binnen drei Sekunden zum
7909 Stillstand kam. Und nun geschah etwas noch Merkw
ürdigeres. Die
7910 Fl
ügel und das Steuerruder waren pl
ötzlich verschwunden.
7911 Etwa zehn Meter
über dem Dach der Insel, aber so weit vom
7912 Standpunkt der beiden Deutschen entfernt, da
ß ihre eben nur
7913 aus der Luke hervorblickenden K
öpfe kaum bemerkt werden
7914 konnten, schwebte der Schiffsk
örper frei in der Luft. Seine
7915 L
änge mochte etwa zehn, sein Durchmesser gegen vier Meter
7916 betragen. Das Material zeigte dasselbe glasartige Aussehen wie die
7917 Raumschiffe der Martier, gestattete aber keine Durchsicht. Den
7918 Boden wie das Verdeck bildeten zwei glatte, nach oben und unten
7919 gew
ölbte Schalen, zwischen denen ein nur vorn und hinten
7920 geschlossener, etwa meterhoher Streifen freiblieb. Durch denselben
7921 konnte man beobachten, da
ß das Luftboot von zw
ölf
7922 Martiern bemannt war.
</p>
7923 <p>Jetzt senkte sich das Boot auf das Dach der Insel langsam herab,
7924 wo es ohne Verankerung liegenblieb. Die Besatzung stieg aus, und
7925 andere Martier traten an ihre Stelle. Nur die beiden M
änner,
7926 die an den beiden Enden des Bootes sich befunden hatten, nahmen
7927 ihre Pl
ätze wieder ein. Sie waren Grunthe und Saltner
7928 unbekannt, und diese schlossen daher, da
ß es die mit dem
7929 ›Glo
‹ angekommenen Konstrukteure des neuen
7930 Luftschiffes seien, die hier die Martier mit der Behandlung des
7931 Bootes bekannt machten. Die Galerien der Insel waren von
7932 zuschauenden Martiern besetzt, doch konnte man diese von dem tiefen
7933 Standpunkt Grunthes und Saltners aus nicht erblicken; auch der
7934 untere Teil des Luftschiffes blieb ihnen verborgen, und sie konnten
7935 die Bemannung nur in dem Augenblick sehen, in welchem sie das
7936 Schiff verlie
ß oder betrat, was durch das Verdeck desselben
7937 zu geschehen schien.
</p>
7938 <p>Ein neues Man
över begann. Ohne Fl
ügel und Steuer,
7939 horizontal liegend, stieg das Boot mit zunehmender Geschwindigkeit
7940 senkrecht in die H
öhe. Da war kein Luftballon sichtbar, keine
7941 Schraube, kein Fl
ügelschlag hob es. In wenigen Minuten war es
7942 so hoch gestiegen, da
ß es dem blo
ßen Auge nur als ein
7943 P
ünktchen mit M
ühe wahrnehmbar erschien. Pl
ötzlich
7944 vergr
ößerte sich der Punkt schnell. Das Schiff
7945 st
ürzte herab. Aber jetzt entfaltete es seine Fl
ügel und
7946 sein Steuer, und wie ein riesiger Raubvogel sauste es in weitem
7947 Kreis um die Insel, streifte fast an der Meeresoberfl
äche hin
7948 und erhob sich dann wieder in einer Spirale. Dabei wurden offenbar
7949 Signale mit den Martiern der Insel gewechselt, die aber f
ür
7950 Grunthe nicht verst
ändlich waren. Man sah nun, da
ß das
7951 Schiff seine Fl
ügel verk
ürzte oder zur
ücklegte, das
7952 Steuer stellte sich gerade, eine wei
ße Dampfwolke brach aus
7953 dem Hinterteil des Schiffes hervor, der ein
7954 kanonenschu
ßartiger Knall und ein gewaltiges Brausen folgte
7955 – das Boot scho
ß schr
äg aufw
ärts steigend wie
7956 aus einem Gesch
ütz geschleudert in die Ferne und war nach
7957 weniger als einer Minute in der Richtung des zehnten Meridians dem
7958 Auge entschwunden.
</p>
7959 <p>Aus der Bewegung, welche sich jetzt auf der Insel bemerkbar
7960 machte, schlossen Grunthe und Saltner, da
ß das Schiff eine
7961 Fernfahrt angetreten habe und f
ürs n
ächste nicht wieder
7962 zu erwarten sei. Sie verlie
ßen daher ihren unbequemen Posten
7963 und zogen sich in ihr Zimmer zur
ück, jedoch entschlossen, die
7964 R
ückkehr des Schiffes zu erwarten. Zu diesem Zweck wollten sie
7965 sich im Wachen abl
ösen.
</p>
7966 <p>Diese M
ühe h
ätten sie sich freilich sparen
7967 k
önnen, wenn sie gewu
ßt h
ätten, wie weit das Schiff
7968 seine Aufkl
ärungsfahrt ausdehnen sollte. Es wurde erst in der
7969 folgenden Nacht von den Martiern zur
ückerwartet.
</p>
7970 <p>Die Versuche der Martier waren vollst
ändig gelungen. Ihre
7971 auf dem Mars in Ber
ücksichtigung der terrestrischen
7972 Verh
ältnisse ausgef
ührten Konstruktionen bew
ährten
7973 sich in
überraschender Weise. Sie waren nun im Besitz eines
7974 Luftschiffs, welches sie nach Belieben in der Erdatmosph
äre
7975 lenken konnten und mit welchem sie selbst einem Sturm zu
7976 widerstehen vermochten. Was die Menschen so lange vergeblich
7977 angestrebt hatten, die Techniker des Mars hatten es in
7978 verh
ältnism
äßig kurzer Zeit erreicht.
</p>
7979 <p>Allerdings besa
ßen ja die Martier vor allem ein Mittel,
7980 sich in die Luft zu erheben, das den Menschen fehlt, die Anwendung
7981 der Diabarie. Der Fortschritt der Luftschifffahrt bei den Menschen
7982 war fr
üher immer daran gescheitert, da
ß man das
7983 aerostatische und das dynamische Luftschiff nicht in geeigneter
7984 Weise verbinden konnte. Wandte man den Luftballon an, um Lasten in
7985 die H
öhe zu heben, so mu
ßte der Apparat riesige
7986 Dimensionen annehmen, und es war dann unm
öglich, ihn gegen die
7987 Windrichtung zu bewegen, weil er dem Wind eine zu gro
ße
7988 Angriffsfl
äche bot oder nicht gen
ügend
7989 widerstandsf
ähig gegen seinen Druck gemacht werden konnte.
7990 W
ählte man aber die dynamische Form des Luftschiffs, wobei
7991 durch Schrauben oder Fl
ügel die Erhebung bewerkstelligt wurde,
7992 so fehlte es an Maschinen, um die erforderliche gro
ße Kraft
7993 zu entwickeln; denn um dies zu leisten, mu
ßten die Maschinen
7994 selbst zu schwer werden.
</p>
7995 <p>Diesen Schwierigkeiten waren nun die Martier dadurch enthoben,
7996 da
ß sie diabarische Fahrzeuge zu bauen vermochten, das
7997 hei
ßt Fahrzeuge, f
ür welche die Anziehungskraft der Erde
7998 nahezu ganz aufgehoben werden konnte. Bei der Luftschiffahrt
7999 geschah diese Aufhebung nat
ürlich nicht so vollst
ändig
8000 wie bei der Raumschiffahrt, sondern nur soweit, da
ß das
8001 Gewicht des Schiffes samt seinem Inhalt geringer wurde als das
8002 Gewicht der von ihm verdr
ängten Luft. Nach dem archimedischen
8003 Gesetz mu
ßte es dann in der Luft in die H
öhe steigen,
8004 und, je nachdem man seine Schwere vergr
ößerte oder
8005 verkleinerte, konnte man es senken oder heben. Man bedurfte dazu
8006 keiner Riesenballons und keiner Ballastmassen. Das Probeschiff der
8007 Martier wog mit seinem ganzen Inhalt etwa f
ünfzig Zentner und
8008 besa
ß eine Luftverdr
ängung von
über hundert
8009 Kubikmeter. Es gen
ügte also eine Erniedrigung des Gewichts bis
8010 auf f
ünf Prozent des eigentlichen Betrages, das hei
ßt
8011 bis auf
125 Kilogramm, um zu bewirken, da
ß das Schiff in der
8012 N
ähe der Erdoberfl
äche schwebte, denn soviel betr
ägt
8013 hier ungef
ähr das Gewicht der verdr
ängten hundert
8014 Kubikmeter Luft. Was aber die Martier bisher verhindert hatte, sich
8015 mit ihren Raumschiffen in die Atmosph
äre zu wagen, war die
8016 mangelhafte Widerstandsf
ähigkeit des Stellits. Es galt somit
8017 f
ür die Martier vor allem, einen Stoff zu finden, der sich
8018 diabarisch machen lie
ß und dabei doch die gen
ügende
8019 Festigkeit besa
ß, um eventuell nicht nur den gewaltigen Druck
8020 eines Sturmwindes auszuhalten, sondern auch mit gro
ßer
8021 Geschwindigkeit gegen die Luft anzufliegen. Das war jetzt gelungen.
8022 Das neue Luftschiff vermochte einer mit
400 Metern Geschwindigkeit
8023 gegen dasselbe bewegten Luftmasse Widerstand zu leisten, ohne eine
8024 sch
ädliche Verbiegung seiner Umh
üllung zu erleiden.
8025 Dieser Stoff f
ührte den Namen Rob.
</p>
8026 <p>Diabarie und Rob fanden nun ihren dritten Verb
ündeten zur
8027 Vollendung der Aerotechnik in einer Modifikation des Repulsit. Man
8028 konnte nat
ürlich in der Luft der Erde nicht wie im leeren Raum
8029 Repulsitbomben schleudern. Aber man hatte daf
ür eine
8030 Vorrichtung ersonnen, den kondensierten
Äther des Repulsits so
8031 allm
ählich zu entspannen, da
ß man den unmittelbaren
8032 R
ücksto
ß zur Fortbewegung benutzen konnte. So bedurfte
8033 es keiner Schrauben oder Fl
ügel, die nicht nur viel Raum
8034 einnahmen, sondern auch leicht der Havarie ausgesetzt waren; man
8035 scho
ß sich direkt durch Reaktion, wie eine Rakete, durch die
8036 Luft. Die beiden gro
ßen Fl
ügel und das Steuer, welche
8037 das neue Luftschiff trug, konnten unter Umst
änden
8038 g
änzlich zusammengeschoben und eingezogen werden; sie dienten
8039 nur dazu, um das Gleichgewicht bei pl
ötzlicher
Änderung
8040 der Richtung zu bewahren und um nicht die gro
ßen Vorteile zu
8041 verlieren, welche der Segelflug bei g
ünstigem Wind
8043 <p>Ill hatte das Schiff vom Mars mitgebracht und sich jetzt von
8044 seiner Tauglichkeit
überzeugt. Die Versuche geschahen in der
8045 Nacht, das hei
ßt w
ährend der Schlafenszeit, weniger,
8046 weil man die neuen Erfolge vor den Menschen verbergen wollte, als
8047 weil man bei einem etwaigen Mi
ßerfolg keinerlei Zeugen zu
8048 haben w
ünschte. Immerhin beabsichtigte Ill nicht, die Menschen
8049 in die Fortschritte einzuweihen, welche die Martier gemacht hatten;
8050 da aber noch weitere
Übungen angestellt werden sollten und man
8051 h
öchstens noch auf zwei Wochen Tageslicht rechnen konnte, so
8052 lag ihm selbst daran, Grunthe, wenn dieser auf seiner Weigerung
8053 beharren sollte, m
öglichst schnell von der Insel zu entfernen.
8054 Die Aufkl
ärungsfahrt des Luftschiffs in der Richtung nach
8055 Europa hing mit dieser Absicht zusammen. Es stellte sich heraus,
8056 da
ß mit Anwendung des Repulsits Geschwindigkeiten von
200
8057 Metern in ruhiger Luft mit Leichtigkeit erreicht werden konnten.
8058 Man bewegte sich dabei in H
öhen von ungef
ähr zehn
8059 Kilometern, bei einer Luftverd
ünnung, welche allerdings von
8060 Menschen nur bei k
ünstlicher Sauerstoffatmung ertragen werden
8061 konnte, den Martiern aber, wenn sie nur von Zeit zu Zeit etwas
8062 Sauerstoffzuschu
ß erhielten, keine besonderen Beschwerden
8063 verursachte. Heftige Luftstr
ömungen konnten hier die
8064 Geschwindigkeit des Luftschiffs wohl zeitweise um die H
älfte
8065 steigern oder mindern, im Mittel jedoch vermochte man in der Stunde
8066 siebenhundert Kilometer zur
ückzulegen. Auf diese Weise konnte
8067 man vom Nordpol nach Berlin in sechs Stunden gelangen.
</p>
8068 <p>Als die Lichtdepesche
über das Gelingen dieser Probefahrten
8069 nach dem Mars gelangte, bewilligte der Zentralrat die Mittel zum
8070 Bau von hundertvierundvierzig Erd-Luftschiffen, welche bis zum
8071 n
ächsten Erd-Nordfr
ühjahr fertigzustellen seien
–
8072 – – –</p>
8073 <p>Es war noch fr
üh am Tage, und Saltner wollte sich eben von
8074 seinem Posten, auf dem er vergeblich nach der R
ückkehr des
8075 Luftschiffes ausgeschaut hatte, nach dem Dach der Insel begeben, um
8076 Grunthe bei der Arbeit am Ballon zu helfen, als er in das
8077 Sprechzimmer gerufen wurde.
</p>
8078 <p>Dort erwartete ihn La. Der k
ühle Ernst, welchen sie gestern
8079 gezeigt hatte, die fremde Haltung war verschwunden. Mit einem
8080 L
ächeln auf den Lippen, in der ganzen hinrei
ßenden Anmut
8081 ihres Wesens schwebte sie ihm entgegen und begr
üßte ihn
8082 mit einer Z
ärtlichkeit, die ihn wehrlos machte. Sie zog ihn
8083 neben sich auf einen Sitz und sagte, seine Hand haltend:
</p>
8084 <p>»Sei nur nicht gar so verwundert, Sal, heute ist wieder
8085 mein Tag, und was gestern war, geht uns nichts an. Oder hast du
8086 schon vergessen
–?
«</p>
8087 <p>»Wie k
önnte ich! Aber ich begreife nur nicht
8089 <p>»Aber liebster Freund, das ist doch ganz einfach! Haben
8090 wir uns lieb?
«</p>
8091 <p>»La!
«</p>
8092 <p>»Und hab ich dir nicht schon gesagt, Liebe darf nicht
8093 unfrei machen? Und hast du nicht auch Se lieb?
«</p>
8094 <p>»Ich bitte dich.
«</p>
8095 <p>»Ich wei
ß es, und es ist ein Gl
ück, sonst
8096 d
ürften wir uns so nicht sehen.
«</p>
8097 <p>»Was ihr f
ür seltsame Sitten habt!
«</p>
8098 <p>»K
önnen wir uns geh
ören f
ür immer? Kannst
8099 du dauernd auf dem Mars leben oder ich auf der Erde? Oder irgendwo
8100 zwischen den Planeten? Und was hat das
überhaupt mit der Liebe
8101 zu tun? Das sind ganz andere Fragen. Wir aber wollen uns der
8102 Sch
önheit freuen und des Gl
ücks, das wir im freien Spiel
8103 des Gef
ühles genie
ßen. Liebtest du mich allein, du
8104 w
ärest bald unfrei,
über dich herrschte die Leidenschaft,
8105 der das Herzeleid folgt, und ich m
üßte mich dir
8106 entziehen. Wohl gibt es ein Gl
ück zwischen Mann und Frau, das
8107 kein Spiel ist, sondern Ernst; doch davor stehen viele
8108 Pr
üfungen, und ob es m
öglich ist zwischen Nume und
8109 Mensch, das wei
ß noch niemand. Und damit wir nicht vergessen,
8110 da
ß Liebe ein Spiel ist, d
ürfen wir nicht ganz allein es
8111 f
ühren, und doch allein, wann wir wollen. Und nun zerbrich dir
8112 nicht den t
örichten Kopf! Ich habe dir etwas Ernstes zu
8114 <p>»Noch etwas Ernsteres? Ich werde M
ühe haben, mich in
8115 das eine zu finden. Aber es ist wahr, allgemeineres d
ürfen wir
8116 nicht
über unserem
– Spiel vergessen.
«</p>
8117 <p>»Ich glaube, du verstehst mich noch immer nicht
–
8118 Spiel hei
ßt doch Kunstwerk, ein Trauerspiel ist auch ein
8119 Spiel, nur da
ß man nicht selbst dabei umkommt, sondern der
8120 Held, mit dem man f
ühlt. Und den Wert unseres Gef
ühls
8121 setzen wir nicht herab, nein, wir machen ihn reiner und h
öher,
8122 wenn wir ihn in die Freiheit des Spiels, in das Reich des
8123 selbstgeschaffenen sch
önen Scheines erheben.
– Du Tor!
8124 Ist dieser Ku
ß ein Schein?
– Nein, Schein ist nur,
8125 da
ß ich damit die Freiheit meines Selbst verliere. Und nun
8126 h
öre! Du kommst mit uns auf den Mars, damit du endlich einmal
8127 verst
ändig wirst.
«</p>
8128 <p>»Sprichst du so als meine geliebte La? Dann mu
ß ich
8129 dir zeigen, da
ß ich dein gelehriger Sch
üler bin, indem
8130 ich meine Freiheit bewahre. Du wei
ßt, warum ich nicht mit
8131 euch kommen kann.
«</p>
8132 <p>»Ich wei
ß es, und du bist brav, und ich hab dich
8133 darum nur lieber. Ihr wart gestern M
änner. Aber wenn wir nun
8134 die Bedingung erf
üllen, da
ß ihr eure Nachrichten
8135 überbringen k
önnt, wenn wir einem von euch die Mittel zur
8136 Heimkehr verschaffen, will dann nicht der andere mit uns
8138 <p>»Und wer soll der andere sein?
«</p>
8139 <p>»Das wird sich ja finden. Doch im Ernst, ich bin
8140 beauftragt, bei euch anzufragen, ob ihr darauf eingehen wollt.
8141 Sobald sich einer von euch beiden bereiterkl
ärt, nach dem Mars
8142 mitzugehen, schaffen wir den andern sofort in seine
8144 <p>»Merkw
ürdig! Und ich wollte euch heute denselben
8145 Vorschlag machen. Es hat sich gezeigt, da
ß der Ballon nur
8146 eine Person wird tragen k
önnen, das mu
ß nat
ürlich
8147 Grunthe sein. Wollt ihr uns eure Hilfe leihen, den Ballon
8148 herzustellen, so da
ß Grunthe abreisen kann, so bin ich
8149 bereit, mit euch nach dem Mars zu gehen.
«</p>
8150 <p>»Das ist herrlich, liebster Freund, daf
ür mu
ß
8151 ich dir danken. Und wegen des Ballons mache dir keine Sorge
–
8152 wir haben einen sichereren Weg nach Deutschland
–«</p>
8153 <p>»Das Luftschiff?
«</p>
8154 <p>»Ihr habt gelauscht?
«</p>
8155 <p>»Gesehen. Und damit wollt Ihr uns
– aber dann
8156 k
önnte ich ja auch mit zur
ück?
«</p>
8157 <p>»Nein, das ist Bedingung. Du mu
ßt mit uns kommen
8159 <p>»Ach, La, ich str
äube mich ja nicht.
«</p>
8160 <p>»So komm, wir wollen mit Ra und deinem Freund
8161 sprechen.
«</p>
8162 <p>»Aber zuvor d
ürfen wir wohl noch ein wenig hier
8163 plaudern?
«</p>
8165 <p>Es war sieben Uhr, zwei Stunden nach Feierabend, als das
8166 Luftschiff von seiner Fahrt zur
ückkehrte. Nachdem Ill den
8167 erstatteten Bericht mit gro
ßer Zufriedenheit entgegengenommen
8168 hatte, wurde das Schiff sofort zu einer neuen Fernfahrt in
8169 Bereitschaft gesetzt.
</p>
8170 <p>Grunthe und Saltner hatten sich bereits in ihre Zimmer
8171 zur
ückgezogen, als das Schiff ankam, und daher nichts mehr von
8172 demselben bemerkt. In einer Unterredung mit Ill und Ra hatte
8173 Grunthe eingewilligt, die Fahrt auf dem Luftschiff der Martier
8174 anzutreten. Er bereitete sich darauf vor, indem er alle
8175 Gegenst
ände zusammenpackte, die er mitzunehmen w
ünschte.
8176 Man hatte ihm Gep
äck im Gewicht von einem Zentner bewilligt,
8177 und au
ßer seinen B
üchern und Instrumenten packte er noch
8178 eine Anzahl Kleinigkeiten ein, welche seinen Landsleuten die
8179 Industrie der Martier verdeutlichen sollten. Darauf legte er sich
8181 <p>Am folgenden Morgen, am zweiten Tag nach der Beratung mit den
8182 Martiern, hatten Grunthe und Saltner eben ihr Fr
ühst
ück
8183 beendet, und Saltner hatte sich nach dem Sprechzimmer begeben, als
8184 Hil bei Grunthe eintrat. Dieser war damit besch
äftigt, seine
8185 Effekten auf einen Platz zusammenzustellen.
</p>
8186 <p>»Das ist Ihr Gep
äck?
« fragte Hil.
8187 »W
ünschen Sie sonst noch etwas mitzunehmen?
«</p>
8188 <p>»Nichts weiter
– es ist alles vollst
ändig und
8189 wird das Gewicht von einem Zentner nicht
8190 überschreiten.
«</p>
8191 <p>»So sind Sie also reisefertig?
«</p>
8192 <p>»Ganz und gar
– Sie sehen, ich bin sogar schon in
8193 meinem Reiseanzug, und da liegt mein Pelz. Wann soll die Fahrt
8194 beginnen?
«</p>
8195 <p>»Sehr bald, vielleicht schon in dieser Stunde. Haben Sie
8196 Ihrem Freund noch etwas mitzuteilen?
«</p>
8197 <p>»Nein, wir haben uns hinreichend ausgesprochen, hier sind
8198 seine Briefe und Tageb
ücher f
ür die Heimat.
«</p>
8199 <p>»Sie w
ären also bereit, sogleich
8200 aufzubrechen?
«</p>
8201 <p>»Ich bin bereit.
«</p>
8202 <p>Hil trat dicht an ihn heran und fa
ßte seine H
ände,
8203 als wollte er sich verabschieden. Dabei sah er ihm fest in die
8204 Augen. Grunthe f
ühlte sich von diesem Blick eigent
ümlich
8205 betroffen. Er konnte die Augen nicht fortwenden, und doch begann
8206 die Umgebung vor seinen Blicken zu verschwimmen. Er sah nur noch
8207 die gro
ßen, gl
änzenden Pupillen des Arztes.
</p>
8208 <p>Dieser legte ihm jetzt langsam die H
ände auf die Stirn und
8209 sagte bedeutsam:
</p>
8210 <p>»Sie schlafen!
«</p>
8211 <p>Grunthe stand starr, bewu
ßtlos, mit offenen Augen. Hil
8212 dr
ückte leise seine Augenlider herab und winkte mit dem Kopf
8213 r
ückw
ärts. Zehn Martier, die sich bereitgehalten hatten,
8214 traten ein. Sechs von ihnen nahmen Grunthe behutsam in die Arme,
8215 legten ihn auf ein Tragbett und schafften ihn aus dem Zimmer. Die
8216 vier andern folgten mit dem Gep
äck. Grunthe wurde in das
8217 Luftschiff gebracht und sorgf
ältig in seinen Pelz
8218 geh
üllt. Das Rohr des Sauerstoffbeh
älters wurde in seinen
8219 Mund gef
ührt.
</p>
8220 <p>Wenige Minuten darauf erhob sich das Luftschiff senkrecht in die
8221 H
öhe. Nachdem es tausend Meter gestiegen war, schlossen sich
8222 die seitlichen
Öffnungen. Der Reaktionsapparat spielte.
8223 Schr
äg aufw
ärts scho
ß es in der Richtung des
8224 zehnten Meridians nach S
üden.
</p>
8225 <p>Ra begab sich zu Saltner in das Sprechzimmer und sagte:
</p>
8226 <p>»Wundern Sie sich nicht, da
ß Sie Ihren Freund nicht
8227 mehr vorfinden werden. Ich hoffe, da
ß wir Ihnen bald die
8228 Nachricht seiner gl
ücklichen Ankunft in der Heimat melden
8229 k
önnen. Wir hielten es f
ür notwendig, die Abreise zu
8230 beschleunigen.
«</p>
8231 <p>Saltner sprang an das Fenster. Fern am Horizont leuchtete ein
8232 schwaches Dampfw
ölkchen auf, um alsbald zu verschwinden.
</p>
8233 <p>Er war jetzt der einzige Europ
äer am Nordpol.
</p>
8234 <p>Se trat zu ihm.
</p>
8235 <p>»Seien Sie guten Muts, lieber Freund
«, sagte sie.
8236 »Morgen geht unser Raumschiff nach dem Nu!
«</p>
8237 <h2>21 - Der Sohn des Martiers
</h2>
8238 <p>Auf der Nordseite der Stadt Friedau dehnt sich ein
8239 langgestreckter H
ügelr
ücken. Sorgsam gepflegte
8240 G
ärten ziehen sich an seinen Abh
ängen in die H
öhe,
8241 aus deren Gr
ün schmucke Villen hervorlugen. Vom Gipfel
8242 hernieder gl
änzt
über den Baumkronen eines parkartigen
8243 Gartens ein wei
ßes Landhaus, das ein erh
öhter Kuppelbau
8244 auf den ersten Blick als eine Sternwarte erkennen
8245 l
äßt.
</p>
8246 <p>Der wunderbar klare Septembertag, an dem die Besucher jenes
8247 über dem Nordpol schwebenden Ringes mit ihrem tausendmal
8248 vergr
ößernden Projektionsfernrohr die Karte von
8249 Deutschland durchmusterten, neigte sich seinem Ende zu. Sein mildes
8250 Licht lag
über den zierlichen G
ärten Friedaus, in denen
8251 gro
ßblumige Georginen den Rosenflor verdr
ängten,
8252 über den alten B
äumen des weiten f
ürstlichen Parks,
8253 der vom Fu
ß des H
ügels beginnend fast die ganze Stadt
8254 umzog, und spiegelte sich dort im ruhigen Wasser des Teiches.
</p>
8255 <p>Den breiten Kiesweg, welcher vom H
ügel herab zwischen den
8256 Vorg
ärten der Villen nach dem Eingang des Parkes f
ührte,
8257 schritt in Gedanken verloren der Besitzer jener Privatsternwarte.
8258 Im Schatten der B
äume angelangt, nahm er den weichen
8259 hellfarbigen Filzhut ab, und man sah, da
ß volles graues Haar
8260 seinen Kopf bedeckte. Aber es war nicht ergraut von der Last des
8261 Alters, es hatte stets diese Farbe gehabt. Unter der hohen Stirn
8262 leuchteten zwei m
ächtige tiefdunkle Augen. Sie waren jetzt
8263 nicht mehr sinnend zur Erde gerichtet, sondern sp
ähten
8264 erwartungsvoll durch die G
änge des Parkes.
</p>
8265 <p>Zwischen den B
üschen am Ufer des Teiches schimmerte ein
8266 heller Sonnenschirm. Beim Ger
äusch der nahenden Schritte erhob
8267 sich von einer Bank unter dem Schatten einer breit
ästigen
8268 Linde eine anmutige Frauengestalt in eleganter Sommerkleidung. Der
8269 nachdenkliche Ernst, der
über ihren feinen Z
ügen gelegen
8270 hatte, wich einem freundlichen L
ächeln, als sie jetzt Ell
8271 entgegentrat, und in ihren dunkelblauen Augen blitzte es auf wie
8272 von einem stillen Gl
ück, als sie ihm die Hand reichte.
</p>
8273 <p>»Verzeihen Sie
«, sagte Ell, indem er an ihrer Seite
8274 den Parkweg am Ufer des Teiches entlangwandelte,
»ich habe
8275 mich versp
ätet, nat
ürlich ohne meine Schuld.
«</p>
8276 <p>»Auch ich bin eben erst gekommen
«, erwiderte Isma
8277 Torm.
»Ich habe Besuch gehabt. Frau Anton hat mir sehr weise
8278 Reden gehalten. Sie konnte gar kein Ende finden.
«</p>
8279 <p>»Ich kann es mir denken, aber machen Sie sich nichts
8280 daraus. Sie k
önnen tun, was Sie wollen, den Menschen werden
8281 Sie es doch nicht recht machen.
«</p>
8282 <p>Isma seufzte leise.
»Sie sehen, ich bin doch
8283 gekommen!
«</p>
8284 <p>Ell dankte ihr durch einen Blick.
»Es ist die einzige
8285 Stunde am Tag, Isma, in der einmal der Welt
ärger verschwindet
8286 und ich frei und gl
ücklich bin.
«</p>
8287 <p>»Und Ihre Arbeit?
«</p>
8288 <p>»Selbst diese ist nicht frei von Entt
äuschung.
8289 Beschr
änktheit und Engherzigkeit, wohin Sie sehen. Sie wissen,
8290 da
ß ich mich
über Kampf und Streit nicht beklage, denn
8291 das ist die Form, wodurch wir weiterkommen. Aber diese
8292 Unf
ähigkeit, das Ziel zu sehen, dieser Eigensinn, da
ß
8293 die Dinge nicht auch anders gingen!
«</p>
8294 <p>»Was hat Sie denn heute ge
ärgert, Ell? Sch
ütten
8295 Sie nur das Herz aus.
«</p>
8296 <p>»Es ist ja nichts Neues. Sie wissen, da
ß ich mich
8297 vor Jahresfrist entschlossen habe, meine Theorie der Gravitation zu
8298 ver
öffentlichen. Grunthe redete mir zu, obwohl er sagte, es
8299 wird niemand begreifen.
«</p>
8300 <p>»Ich erinnere mich sehr gut. Es war
–«</p>
8301 <p>»Ja damals
–«</p>
8302 <p>»Und damals sagten Sie, das w
äre Ihnen ganz
8303 gleichg
ültig.
«</p>
8304 <p>»Das ist auch wahr. Was meine Person angeht, meinen Ruhm
8305 oder wie Sie es nennen wollen, das ist mir auch ganz
8306 gleichg
ültig. Aber um der Sache willen tut es mir leid. Was
8307 die Menschheit dadurch verliert, das schmerzt mich, und ich sehe,
8308 da
ß ihr so nicht zu helfen ist. Erst wird das Buch
8309 totgeschwiegen, die Gelehrten wissen nicht, was Sie damit anfangen
8310 sollen, dann kommt einer und behauptet, das w
äre eine
8311 phantastische Hypothese, durch nichts bewiesen. Dabei habe ich
8312 aufgrund meiner Theorie das sogenannte Drei-K
örper-Problem
8313 gel
öst und die Richtigkeit bis auf die Hundertstelsekunden an
8314 der St
örung der Marsmonde nachgewiesen. Aber glauben Sie,
8315 da
ß ein einziger Astronom meine Methode der Rechnung
8316 verstanden hat?
«</p>
8317 <p>»Ko Bate
«, sagte Isma l
ächelnd.
»Das
8318 wollten Sie doch wohl sagen? Wahrscheinlich haben Sie sich nicht
8319 klar genug ausgedr
ückt.
«</p>
8320 <p>»Allerdings, ich h
ätte dar
über ein besonderes
8321 Buch schreiben m
üssen
– ich glaubte nicht, da
ß man
8322 so schwerf
ällig sein w
ürde. Ich habe die Methode gar
8323 nicht selbst erfunden, sondern schon in meinem achtzehnten Jahr von
8324 meinem Vater erlernt
–«</p>
8325 <p>»Aber warum haben Sie das alles so lange
8326 geheimgehalten?
«</p>
8327 <p>»Sie sehen ja, da
ß es noch immer zu fr
üh ist.
8328 K
önnten die andern mit mir in der gleichen Richtung
8329 weiterarbeiten, man w
ürde auch technisch zu Resultaten kommen,
8330 die eine ganz neue Welt er
öffnen m
üßten. Ach, dann
8331 w
ürden wir vielleicht einmal frei von dieser schweren
8333 <p>»Immer wieder dieselbe Sehnsucht. Es ist ja doch hier ganz
8334 leidlich. Sie m
üssen Geduld haben. Und dies hat Sie heute
8335 verstimmt und aufgehalten?
«</p>
8336 <p>»Dies weniger. Heute waren es praktische Sachen,
8337 Ärger mit den Beh
örden. Das ist eine
8338 Schwerf
älligkeit
– vornehmlich dr
üben im
8339 Nachbarstaat
–, ein Reglementieren
– alles mu
ß in
8340 eine Schablone gepre
ßt werden. Und das hat mich
8341 mi
ßmutig gemacht, ganz besonders, weil es auch Sie
8343 <p>»Mich? Ist etwas vorgefallen?
« fragte Isma
8345 <p>»Nein, ich meine unsere Luftschifferstation. Man will sie
8346 verstaatlichen, neben die milit
ärische unter das
8347 Kriegsministerium stellen, wahrscheinlich dann auch von hier fort
8348 verlegen. Jedenfalls verlangt man eine Staatsaufsicht
–
8349 obwohl der Staat noch nicht einen Pfennig dazu gegeben
8351 <p>»Aber warum denn?
«</p>
8352 <p>»Ich glaube, man traut mir nicht. Im Falle eines Krieges
8353 will man wohl Sicherheiten haben. Sie wissen, die Abteilung ist
8354 eine internationale Gr
ündung. Ich selbst habe meine besonderen
8355 Ansichten
über Patriotismus.
«</p>
8356 <p>»Ich bitte Sie, Ell, Sie sind doch ein Deutscher. Im
8357 Kriegsfall m
üssen wir uns selbstverst
ändlich zur
8358 Verf
ügung stellen
– aber, wer wird denn an Krieg denken.
8359 Ach, machen Sie mir nicht noch mehr Sorge!
«</p>
8360 <p>»Ich bin ein Deutscher mit meinen Sympathien,
8361 staatsrechtlich bin ich es nicht, man kann mich also im Notfall
8362 ausweisen. Die Sache ist doch so
– Deutschland oder
8363 Frankreich oder England, irgendeine Nation oder ein Staat ist ja
8364 kein Selbstzweck; Selbstzweck kann nur die Menschheit als Ganzes
8365 sein. Die einzelnen V
ölker und Staaten sind Mittel, im
8366 gegenseitigen Wettbewerb die Idee der Menschheit zu erf
üllen.
8367 Wenn nun einmal der Staat, dem ich angeh
öre, durch seinen
8368 Erfolg nicht das zweckentsprechende Mittel w
äre in
8369 R
ücksicht auf die Idee der Menschheit, so w
äre es
8370 unmoralisch, wenn ich als freie Pers
önlichkeit mich nur darum
8371 f
ür ihn entschiede, weil ich ihm viel verdanke. Die ethische
8372 Forderung ist eine andere. Aber bei den Menschen wird immer nach
8373 dem unmittelbaren Gef
ühl entschieden, und das nennt man dann
8374 Patriotismus und h
ält f
ür Pflicht, was doch blo
ß
8375 Neigung ist.
«</p>
8376 <p>Isma blieb stehen.
»Aber dann
«, sagte sie langsam,
8377 »mit welchem Recht gehen wir hier spazieren? Ist das auch
8379 <p>»Gewi
ß, wenn sie auch mit der Neigung
8380 zusammenf
ällt. Sie werden sich selbst doch nicht danach
8381 beurteilen, was die Friedauer f
ür richtig halten?
«</p>
8382 <p>»Nein
«, sagte Isma, indem sie l
ächelnd zu ihm
8383 aufblickte,
»kommen Sie ruhig mit durch die Stadt. Glauben
8384 Sie nicht, da
ß wir bald eine Nachricht erwarten
8385 k
önnen?
«</p>
8386 <p>»Die Depesche von Spitzbergen sagt uns, da
ß die
8387 Fahrt am
17. August angetreten ist. Es ist wohl m
öglich,
8388 da
ß in den n
ächsten Tagen eine Nachricht
8389 eintrifft.
«</p>
8390 <p>»Sie sind noch immer guten Muts?
«</p>
8391 <p>»Ich hoffe zuversichtlich. Glauben Sie mir, ich h
ätte
8392 Ihrem Mann nicht so aufrichtig zugeredet, wenn ich nicht
8393 überzeugt w
äre, da
ß ihm die Expedition in
8394 besonderer Weise gl
ücken wird.
«</p>
8395 <p>»Ell, Sie denken noch an irgend etwas Unerwartetes; ich
8396 bitte Sie, seien Sie offen, f
ürchten Sie eine bestimmte
8398 <p>»Nichts, was zu f
ürchten ist, ich versichere Sie,
8399 Isma! Etwas Unerwartetes vielleicht, aber nichts zu
8400 f
ürchten!
«</p>
8401 <p>»O bitte, was denken Sie? Ich habe schon oft bemerkt,
8402 da
ß Sie mir noch etwas verschweigen.
«</p>
8403 <p>»Wahrhaftig, Isma, ich verschweige Ihnen nichts, was ich
8404 wei
ß, aber verlangen Sie nicht, da
ß ich Vermutungen
8405 Ausdruck gebe, die vielleicht v
öllig nichtig sind. Ich setze
8406 eine gro
ße Hoffnung auf die gl
ückliche Wiederkehr der
8407 Expedition, und ich rechne mit Sicherheit darauf. So sicher,
8408 da
ß ich mir gr
ößte M
ühe gebe, eine Stellung
8409 f
ür Saltner ausfindig zu machen. Denn was soll er dann tun,
8410 wenn er zur
ückkehrt? Und sehen Sie, das hat mich auch heute
8411 gekr
änkt
– glauben Sie, da
ß die Regierung den Mann
8412 anstellt, der eine so ruhmvolle Expedition mitmacht? Er ist ja ein
8413 Ausl
änder und hat seine Pr
üfungen nicht bei uns
8414 abgelegt!
«</p>
8415 <p>»Lassen Sie ihn nur erst zur
ück sein. Mich beunruhigt
8416 dieses Unerwartete, wie Sie es nennen.
«</p>
8417 <p>»Wirklich, es ist nur eine Art Ahnung, da
ß uns mit
8418 der Auffindung des Nordpols mehr gegeben werden wird als eine
8419 geographische Entdeckung.
«</p>
8420 <p>»Das m
üssen Sie mir noch erkl
ären.
«</p>
8421 <p>»Vielleicht bald. Aber heute haben wir noch nicht einmal
8422 von Ihnen gesprochen. Was haben Sie getan, gelesen,
8423 erfahren?
«</p>
8424 <p>»Herzlich wenig. Die Polarkarte habe ich wieder einmal
8425 studiert.
«</p>
8426 <p>Im lebhaften Gespr
äch durchschritten sie die belebteren
8427 Teile der Anlagen. Hinter den B
äumen sank die Sonne, rot und
8428 golden leuchtete der Abendhimmel.
Öfter begegneten sie jetzt
8429 Spazierg
ängern. Den meisten waren sie bekannt, man
8430 gr
üßte die beiden h
öflich, aber hinterher drehte
8431 man sich um und sah ihnen nach. Man warf sich Blicke zu oder
8432 zischelte eine Bemerkung.
</p>
8433 <p>»Sie haben gut spazierengehen
«, n
äselte ein
8434 kleiner Herr mit breitem, schn
üffligem Gesicht seinem
8435 Begleiter zu,
»er hat den Mann nach dem Nordpol
8436 geschickt.
«</p>
8437 <p>»Das ist die Torm
«, sagte ein junges M
ädchen.
8438 »Jeden Tag geht sie mit dem Doktor Ell hier
8439 vor
über.
«</p>
8440 <p>Die Friedauer waren sehr stolz darauf, da
ß alle Zeitungen
8441 von ihrer Nordpolexpedition erf
üllt und die
8442 Lebensbeschreibungen ihrer Mitb
ürger
überall zu lesen
8443 waren. Darum waren sie gl
ücklich, auch
über sie reden zu
8444 k
önnen. Sie taten es nach Herzenslust in ihrer
8445 menschenfreundlichen und liebevollen Weise und um so mehr, je
8446 weniger sie von ihnen wu
ßten.
</p>
8447 <p>Ell und Isma hatten die Anlagen verlassen und waren in eine der
8448 breiten mit Vorg
ärten vor den H
äusern versehenen Alleen
8449 hineingeschritten. Sie standen vor der Tormschen Wohnung. Ell hatte
8450 schon Isma die Hand zum Abschied gereicht, und beide z
ögerten
8451 nur noch einen Augenblick, sich zu trennen. Da
öffnete sich
8452 die Haust
ür und ein Telegraphenbote kam ihnen entgegen.
</p>
8453 <p>»Guten Abend, Frau Doktor
«, sagte er.
»Da
8454 treff ich Sie ja noch. Es war oben niemand zu Hause.
«</p>
8455 <p>Isma griff nach dem Telegramm. Sie ri
ß es auf.
</p>
8456 <p>»Von ihm! Aus Hammerfest!
« rief sie fieberhaft.
</p>
8457 <p>»Das ist die Brieftaubenstation
«, sagte Ell.
</p>
8458 <p>Es dunkelte schon. Sie konnte die Buchstaben nicht mehr recht
8459 erkennen. Die Leute sahen ihr von den Fenstern aus zu.
</p>
8460 <p>»Kommen Sie mit hinauf, Ell
«, sagte sie.
»Die
8461 Sache ist nicht so kurz. Das ist eine Ausnahme, heute d
ürfen
8462 Sie kommen!
«</p>
8463 <p>Isma eilte voran. Als Ell in das Wohnzimmer trat, stand sie
8464 schon unter der elektrischen Lampe und las das Telegramm. Ihren
8465 Hut, der ihr das Licht nahm, hatte sie herabgerissen.
</p>
8466 <p>»Da
«, sagte sie, Ell das Papier reichend.
»Er
8467 lebt! Er ist gesund! Lesen Sie, lesen Sie vor. Ich werde nicht
8468 daraus klug.
« Sie lie
ß sich in einen Sessel sinken und
8469 begann ihre Handschuhe abzustreiten.
</p>
8470 <p>Ell warf einen Blick auf das Telegramm. Seine H
ände bebten
8471 sichtlich. Er setzte sich.
</p>
8472 <p>»Um Gottes willen, Ell, was ist
– Sie zittern
8474 <p>»Nicht aus Sorge, nein, nein
– es war nur ein
8475 Augenblick der
Überraschung. H
ören Sie, Isma.
«</p>
8477 <p>»Hammerfest,
5. September,
3 Uhr
8 Minuten. Soeben
8478 Brieftaube mit dem Stempel
›Ballon Pol
‹
8479 zur
ückgekehrt, brachte folgende Nachricht:
</p>
8480 <p>Frau Isma Torm, Friedau, Deutschland.
</p>
8481 <p>19. August,
5 Uhr
34 Minuten M.E.Z., nachmittags. Alle gesund.
8482 Nach drei
ßigst
ündiger direkt n
ördlicher,
8483 g
ünstiger Fahrt schweben wir
über dem Pol. Gewirr von
8484 Inseln in meist eisfreiem, nicht sehr ausgedehntem Bassin. Kleine,
8485 kreisrunde Insel, etwa f
ünfhundert Meter Durchmesser, von
8486 unbekannten Bewohnern als Pol markiert, tr
ägt
8487 unerkl
ärliche Apparate. Ihre Oberfl
äche enth
ält im
8488 gr
ößten Ma
ßstab stereographische Polarprojektion
8489 der Nordhalbkugel bis gegen den drei
ßigsten Breitengrad.
8490 Bewohner nicht sichtbar. Da Landung nicht ratsam, setzen wir Reise
8491 fort. Innigsten Gru
ß.
</p>
8493 <p>Ell las die Depesche noch einmal sorgf
ältig durch,
8494 w
ährend Isma ihn erwartungsvoll ansah. Dann sprang er auf und
8495 machte einige Schritte durch das Zimmer. Auch Isma hatte sich
8497 <p>»Wir setzen die Reise fort! Das hei
ßt, wir kommen
8498 wieder
– nicht wahr, Ell, das hei
ßt es doch? Es ist
8499 gelungen? O Gott sei Dank!
«</p>
8500 <p>»Ja, es ist gelungen
«, sagte Ell bedeutungsvoll.
</p>
8501 <p>Isma trat auf ihn zu und ergriff seine beiden H
ände.
</p>
8502 <p>»Ich danke Ihnen, lieber Freund
«, sagte sie, ihre
8503 tr
änenfeuchten Augen zu ihm aufschlagend,
»ich danke
8504 Ihnen, es ist Ihr Werk!
«</p>
8505 <p>Er zog sie sanft an sich, sie lehnte weltvergessen ihren Kopf an
8507 <p>»Isma!
« sagte er. Seine Lippen ber
ührten ihre
8509 <p>Sie sch
üttelte leise den Kopf und trat zur
ück.
8510 »Setzen Sie sich
«, sagte sie.
»Und nun sprechen
8511 Sie, erkl
ären Sie mir
– das R
ätselhafte, das
8512 Unerwartete
–«</p>
8513 <p>»Es ist da.
«</p>
8514 <p>»Aber was bedeutet es
– ich verstehe nicht, ich bin
8515 ganz verwirrt. Ist es eine Gefahr?
«</p>
8516 <p>»Es bedeutet
– Isma, Sie werden es nicht glauben
8517 wollen, was es bedeutet
– f
ür uns alle. Wie soll ich es
8518 Ihnen sagen?
«</p>
8519 <p>Er zog seinen Sessel an den ihrigen und ergriff ihre Hand.
</p>
8520 <p>»Was ist Ihnen?
« fragte sie, ihn
ängstlich
8522 <p>»Es bedeutet, da
ß die Bewohner des Planeten Mars auf
8523 dem Nordpol der Erde gelandet sind. Es, bedeutet, da
ß sie mit
8524 ihren Apparaten und Maschinen festen Fu
ß auf der Erde
8525 gefa
ßt haben. Es bedeutet, da
ß die Erde, die Menschheit
8526 binnen kurzem unter ihrer Leitung stehen wird
– da
ß ein
8527 goldenes Zeitalter des Gl
ückes und des Friedens die Not der
8528 Menschheit abl
ösen soll
– und da
ß wir es
8530 <p>Seine Stimme hatte sich gehoben, er hatte mit Begeisterung
8531 gesprochen, seine Augen flammten tief, gro
ß, dunkel und
8532 hafteten wie in weiter Ferne.
</p>
8533 <p>Isma wu
ßte nicht, was sie denken sollte.
</p>
8534 <p>»Ell
«, sagte sie sch
üchtern,
»ich bitte
8535 Sie, Sie k
önnen in dieser Stunde nicht scherzen
– wie
8536 soll ich das verstehen?
«</p>
8537 <p>»Es ist die Wahrheit.
«</p>
8538 <p>Es war mit einem Ausdruck gesprochen, da
ß ein Zweifel
8539 nicht m
öglich war.
</p>
8540 <p>Isma schwieg. Sie lehnte sich zur
ück und strich das
8541 lichtbraune Haar aus der schmalen Stirn. Dann faltete sie ihre
8542 H
ände und sah ihn bittend an.
</p>
8543 <p>»H
ören Sie, Isma, geliebte Freundin
«, sprach
8544 Ell langsam,
»h
ören Sie, was noch niemand wei
ß,
8545 noch niemand wissen durfte, und was ihnen manches erkl
ären
8546 wird, das Ihnen an mir r
ätselhaft war. Es ist eine lange
8547 Geschichte.
«</p>
8548 <p>Er verfiel in Schweigen.
</p>
8549 <p>»Erz
ählen Sie
«, bat sie innig.
»Sie
8550 bleiben
über Abend
– ich kann heute nicht allein sein,
8551 und andere mag ich heute nicht sehen
– ich mu
ß alles
8553 <p>Ell erz
ählte. Er sprach vom Mars, von seinen Bewohnern, von
8554 ihrer Kultur, ihrer G
üte, ihrer Macht. Er erkl
ärte, wie
8555 sie zur Erde zu gelangen hofften, um die Menschheit ihrer Kultur,
8556 der Numenheit, entgegenzuf
ühren, wie er sein Leben lang auf
8557 die Nachricht gehofft habe, da
ß der Pol im Besitz der Martier
8558 sei, wie er haupts
ächlich darum die Polarforschung und
8559 Ausr
üstung der Expedition betrieben habe. Und nun habe er
8560 keinen Zweifel mehr.
</p>
8561 <p>Isma hatte ihm schweigend zugeh
ört. Ihre Fassungskraft
8563 <p>Als er schwieg, sagte sie:
</p>
8564 <p>»Sie erz
ählen ein M
ärchen, ein sch
önes
8565 M
ärchen. Ich w
ürde das alles f
ür ein M
ärchen
8566 halten, w
äre nicht die Depesche, und w
ären Sie nicht mein
8567 lieber, treuer Freund. So mu
ß ich Ihnen glauben, obwohl ich
8568 nicht begreife, woher Sie das alles wissen und warum Sie niemals
8569 davon gesprochen haben. Wenn Sie es wu
ßten, was am Pol zu
8570 erwarten war, so mu
ßten Sie doch meinen Mann darauf
8571 vorbereiten.
«</p>
8572 <p>Ell l
ächelte jetzt.
»Das hab ich auch
«, sagte
8573 er,
»soweit ich durfte. Ich wu
ßte ja nicht, ob meine
8574 Vermutung eintreffen w
ürde, also durfte ich auch nicht davon
8575 sprechen. Denn eben haben Sie selbst gesagt, da
ß Sie mir ohne
8576 die Depesche nicht geglaubt h
ätten. Man h
ätte mir nicht
8577 geglaubt, man h
ätte mich f
ür einen Narren gehalten, und
8578 ich h
ätte meine ganze T
ätigkeit diskreditiert. Aber ich
8579 habe f
ür alle F
älle gesorgt. Erinnern Sie sich der drei
8580 Flaschen Champagner, die Sie durch Saltner in den Korb schmuggeln
8581 lie
ßen? Sie gingen durch meine H
ände. Unter denselben
8582 befindet sich ein von mir entworfener Sprachf
ührer
–
8583 deutsch und martisch
–, der beim Zusammentreffen mit den
8584 Marsbewohnern am Pol, auf das ich hoffte, gefunden werden
8585 mu
ßte.
«</p>
8586 <p>Isma reichte ihm l
ächelnd die Hand und sagte
8587 kopfsch
üttelnd:
»Und nun sagen Sie mir das eine und
8588 Haupts
ächlichste. Woher konnten Sie alles das wissen
–
8589 wenn es wirklich wahr ist?
«</p>
8590 <p>»Sie sollen auch dies wissen. Mein Vater war ein Nume. Er
8591 war kein Engl
änder, wie es hie
ß, kein auf der Erde
8592 Geborener. Ich stamme v
äterlicherseits von den Bewohnern des
8594 <p>Isma sah ihn sprachlos an. Sie konnte nicht zweifeln. Das
8595 Fremdartige seines Wesens, selbst seiner Erscheinung, das sie
8596 anf
änglich abgesto
ßen, sp
äter so viel st
ärker
8597 gefesselt hatte, als sie sich selbst gestehen mochte
– alles
8598 wurde ihr auf einmal erkl
ärlich.
</p>
8599 <p>Das M
ädchen erschien an der T
ür.
</p>
8600 <p>»Kommen Sie
«, sagte sie.
»Wir wollen uns
8601 wenigstens zu Tisch setzen, es ist Zeit. Ich mu
ß aber noch
8602 mehr h
ören, viel mehr.
«</p>
8603 <p>»Wie oft haben wir Sie geneckt
«, sagte Isma bei
8604 Tisch,
»wenn Sie hier bei uns sa
ßen und von den
8605 Marsbewohnern phantasierten. Es ist mir nie der Gedanke gekommen,
8606 da
ß Sie Ihre Erz
ählungen ernst meinen
8607 k
önnten.
«</p>
8608 <p>»Ich habe mich auch geh
ütet, es so erscheinen zu
8609 lassen. Dann s
äße ich wohl im Irrenhaus. Und doch ist es
8610 so. Ich werde Ihnen die Aufzeichnungen meines Vaters zeigen, wenn
8611 Sie wieder einmal auf meinen Berg steigen. Und das meiste
8612 wei
ß ich aus seinem eigenen Mund. Sie sehen mich
8613 ungl
äubig an?
«</p>
8614 <p>»Seien Sie nicht b
öse
– ich glaube Ihnen, aber
8615 es will mir noch nicht in den Kopf, das Unerh
örteste, was je
8616 geschehen ist
– und mir, mir soll es begegnen
8618 <p>»Zwischen uns soll sich nichts
ändern, Isma! Aber ich
8619 hoffe, Ihnen jetzt erst ganz zeigen zu k
önnen, wie lieb ich
8620 Sie habe. Meine Pl
äne sind gro
ß.
«</p>
8621 <p>»Lassen Sie mich nur erst das Vergangene verstehen. Ihr
8622 Vater
–«</p>
8623 <p>»Mein Vater hie
ß All. Er war Kapit
än des
8624 Raumschiffes
›Ba
‹, das hei
ßt
8625 ›Erde
‹, mit dem er bereits mehrere Fahrten nach dem
8626 Nordpol wie nach dem S
üdpol der Erde gemacht hatte, als er
8627 infolge eines Ungl
ücksfalls mit sechs Gef
ährten auf dem
8628 S
üdpol zur
ückgelassen wurde. Als das Schiff in den
8629 n
ächsten Tagen nicht zur
ückkehrte, wu
ßten sie,
8630 da
ß sie vor dem n
ächsten Fr
ühjahr keine Hilfe zu
8631 erwarten hatten. Den Polarwinter am S
üdpol zu durchleben, war
8632 unm
öglich. Unter uns
äglichen Strapazen schleppten sie
8633 sich nach Norden bis an das Meeres- ufer. Mein Vater allein
8634 gelangte dort an, die
übrigen waren den Anstrengungen erlegen.
8635 Es gl
ückte ihm, von einem versp
äteten Walfischj
äger
8636 aufgenommen zu werden. Man hielt ihn f
ür einen
8637 Schiffbr
üchigen, der den Verstand verloren hatte. Er aber
8638 benutzte die Zeit der
Überfahrt nach Australien, um die
8639 Sprache zu erlernen, ohne da
ß die Seeleute es wu
ßten.
8640 Man brachte ihn in ein Hospital. Durch unersch
ütterliche
8641 Energie gew
öhnte er sich an die Erdschwere und machte sich mit
8642 menschlichen Verh
ältnissen vertraut. Dann gewann er Freunde,
8643 die ihm die Mittel gaben, seine technischen Kenntnisse zu
8644 verwerten. Einige Erfindungen, die auf dem Mars l
ängst bekannt
8645 waren, machten ungeheures Aufsehen. Es dauerte nicht lange, so war
8646 mein Vater ein reicher Mann. Er lernte meine Mutter kennen, die als
8647 deutsche Erzieherin in einem englischen Haus lebte. So wurde ich in
8648 deutscher Bildung aufgezogen. Au
ßer meiner Mutter und mir
8649 erfuhr niemand das Geheimnis der Herkunft meines Vaters. Aber in
8650 mir pflegte er den Stolz, als Sohn eines Martiers teilzuhaben an
8651 der Numenheit. Immer habe ich den roten Planeten als meine
8652 eigentliche Heimat betrachtet, und einmal auf ihn zu gelangen, war
8653 mein Jugendtraum. Aber mein Vater starb, ehe ich das
8654 zweiundzwanzigste Jahr erreichte, ohne da
ß den Menschen eine
8655 Nachricht vom Mars gekommen war. Und das Verm
ächtnis meines
8656 Vaters
– meine Mutter war noch vor ihm dahingegangen
–
8657 stellte mir eine gr
ößere Aufgabe: die Erde den Martiern
8658 zu erschlie
ßen, die Menschheit teilnehmen zu lassen am Segen
8659 der martischen Heimat.
</p>
8660 <p>Ich ging nach Deutschland, ich studierte und lernte den ganzen
8661 Jammer dieses wilden Geschlechtes kennen an der Stelle, wo die
8662 h
öchste Zivilisation des Planeten sich zeigen soll. Auch ein
8663 gro
ßes, herrliches Gl
ück trat mir entgegen, aber es
8664 sollte mir nicht beschieden sein. Ich lernte Isma Hilgen kennen
8666 <p>»Sie wissen
–«</p>
8667 <p>»Ja, ja, Isma, Sie haben recht gehabt damals. Sie
8668 w
ären ungl
ücklich geworden, wie ich es war. Ich ging nach
8669 Australien zur
ück. Aber meine Pl
äne, die Martier am
8670 Nordpol aufsuchen zu lassen, konnte ich nur von Europa aus
8671 verfolgen. Ich kaufte mich hier an
– das andere wissen
8673 <p>Sie reichte ihm die Hand
über den Tisch hin
über.
</p>
8674 <p>»Ich nehme Sie bei Ihrem Wort
«, sagte sie herzlich,
8675 »zwischen uns soll sich nichts
ändern. Nein, ich fange
8676 an, vieles zu verstehen, was mich manchmal von Ihnen
8677 zur
ückschreckte. Wie konnte ich mir anma
ßen, Ihnen das
8678 sein zu k
önnen, was Sie bei den Menschen suchten?
«</p>
8679 <p>»Ich habe Sie niemals mehr geliebt, als wenn Sie mich
8680 f
ür wandelbar hielten.
«</p>
8681 <p>»Lassen Sie
– wir d
ürfen jetzt nicht von uns
8682 sprechen. Was werden Sie zun
ächst tun?
«</p>
8683 <p>»Das Telegramm mu
ß nat
ürlich
8684 ver
öffentlicht werden. Ich nehme es gleich mit. Aber die
8685 Aufkl
ärung, welche ich Ihnen gegeben habe, bleibt
8686 vorl
äufig unter uns. Die Presse wird sogleich ihre Zweifel,
8687 Vermutungen und weisen Bemerkungen laut werden lassen. Dann gebe
8688 ich den Hinweis auf die Martier als eine Hypothese, ganz
8689 vorsichtig, nur um vorzubereiten.
«</p>
8690 <p>»Aber sind Sie denn auch Ihrer Sache ganz sicher? Ich
8691 meine, da
ß es wirklich Ihre Landsleute sind, die sich am Pol
8692 befinden?
«</p>
8693 <p>»Ich habe keinen Zweifel. Ich kann Ihnen noch etwas sagen,
8694 was ich selbst erst seit einigen Tagen wei
ß. Es wird
8695 sicherlich ebenfalls
öffentlich zur Sprache kommen, sobald die
8696 Nachricht von der Expedition bekannt wird. Sie m
üssen wissen
8697 – mein Vater hat es mir erkl
ärt
–, da
ß die
8698 Martier nur am Nordpol oder am S
üdpol auf der Erde landen
8699 k
önnen. Ihre Raumschiffe suchen, sobald sie der Grenze der
8700 Atmosph
äre sich n
ähern, genau in der Richtung der
8701 Erdachse heranzukommen. Es ist aber f
ür sie gef
ährlich,
8702 in die Atmosph
äre einzudringen. Deswegen ging man auf Anregung
8703 meines Vaters mit dem Plan um, in der Verl
ängerung der
8704 Erdachse au
ßerhalb der Atmosph
äre eine Station zu
8705 errichten, auf welcher die Schiffe bleiben und von der aus man dann
8706 auf andere Weise nach unten gelangt
– ich erkl
äre Ihnen
8707 das ein andermal genauer, auch wei
ß ich ja nicht, ob die
8708 Pl
äne so ausgef
ührt worden sind, wie sie damals, vor mehr
8709 als vierzig Erdenjahren, bestanden. Sicherlich aber haben die
8710 Martier in irgendeiner Weise ihre Absicht durchgesetzt und eine
8711 Au
ßenstation gegr
ündet. Danach habe ich mit meinem
8712 Instrument gesucht, aber nur einmal einen Lichtpunkt bemerkt, den
8713 ich f
ür die Station halten konnte, da er sich nicht mit den
8714 übrigen Sternen um die Weltachse drehte. Ich habe ihn seitdem
8715 nicht wieder finden k
önnen, obgleich ich die Stelle genau
8716 gemessen hatte; aber das wundert mich auch nicht, denn die Martier
8717 werden schon daf
ür sorgen, da
ß die Station
8718 m
öglichst wenig Licht ausstrahlt, und es sind gewi
ß nur
8719 vereinzelte Stunden, in denen die Station einmal auf so gro
ße
8720 Entfernung
– ich berechne sie auf gegen
9.000 Kilometer
8721 – sichtbar wird. Nun wurde vor einigen Tagen von der
8722 Zentralstation f
ür Kometen in Kiel ein Telegramm versendet,
8723 da
ß in Helsingfors ein Stern entdeckt wurde, der kein Stern
8724 sein kann, weil er am Umlauf des Himmels nicht teilnimmt und doch
8725 nicht im Pol steht, dagegen genau im Meridian in
36 Grad H
öhe.
8726 Daraus l
äßt sich leicht berechnen, da
ß sich auf
8727 der Erdachse, genau in der Entfernung des Erdradius
über dem
8728 Pol, ein leuchtender K
örper befinden mu
ß. Allerdings
8729 konnte dieser wegen leichten Nebels, vielleicht auch, weil er
8730 schw
ächer leuchtend wurde, bisher nicht wiedergefunden werden,
8731 aber die Angabe stimmt genau mit meiner fr
üheren Beobachtung.
8732 Ein K
örper, der an dieser Stelle
über dem Nordpol
8733 stillsteht, kann gar nichts anderes sein als die geplante Station
8734 der Marsbewohner; eine andere Erkl
ärung ist undenkbar. Diese
8735 Entdeckung wird meine Hypothese best
ätigen, sobald sie bekannt
8736 werden wird. Man hat sie nur von Helsingfors aus mit so
8737 gro
ßer Vorsicht weitergegeben, weil man keine Erkl
ärung
8738 daf
ür wei
ß und daher an eine T
äuschung denken
8739 mu
ßte. Wir werden also vorbereitet sein, wenn die Expedition
8740 zur
ückkommt
–«</p>
8741 <p>»Wann, wann glauben Sie, da
ß dies m
öglich
8743 <p>»Jeden Tag, jede Stunde kann die Nachricht eintreffen,
8744 da
ß sie bewohnte Gegenden erreicht haben, ja
8746 <p>Ell unterbrach sich und sann nach.
</p>
8747 <p>»Sie wollten noch etwas sagen, Ell! Sie wollten sagen, es
8748 m
üßte schon Nachricht da sein, wenn alles gut gegangen?
8749 Nicht wahr?
«</p>
8750 <p>»Allerdings, es k
önnte schon Nachricht da sein, aber
8751 es ist auch durchaus kein Grund zur Beunruhigung, da
ß sie
8752 noch nicht da ist. Bedenken Sie
– wir haben heute den
8753 f
ünften
– also siebzehn Tage, nachdem die Expedition den
8754 Pol verlassen hat
– sie k
önnen in Gegenden gelandet
8755 sein, von denen aus ein Bote Wochen braucht, um die n
ächste
8756 Telegraphenstation zu erreichen.
«</p>
8757 <p>Isma pre
ßte die H
ände an ihre Stirn.
</p>
8758 <p>»Es ist so seltsam
«, sagte sie nachdenklich,
8759 »wie sehnte ich mich nach einer Nachricht, alle Gedanken
8760 gingen um die Expedition
– und nun, nachdem Sie mir dies
8761 gesagt haben, dies Ungeheuerliche, das uns bevorsteht
– wie
8762 schrumpft das alles zusammen, was Menschen tun. Ach, Ell, es ist
8763 eigentlich Unrecht
–«</p>
8764 <p>»Durfte ich l
änger schweigen?
«</p>
8765 <p>»Nein, mein Freund, ich danke Ihnen ja doch
– aber
8766 – Sie m
üssen mir noch mehr sagen, vom Mars
–. Sie
8767 m
üssen mich lehren
–«</p>
8768 <p>»Was Sie wollen, Isma.
«</p>
8769 <p>»Doch nicht heute
– es ist schon
8770 sp
ät.
«</p>
8771 <p>»Wirklich, in der zehnten Stunde. Ich mu
ß Sie
8772 verlassen. Aber auf Wiedersehen! Morgen wie
8773 gew
öhnlich?
«</p>
8774 <p>»Wie gew
öhnlich
– wenn nicht
– –
8775 Nein doch, wir haben zu viel zu sprechen
– kommen Sie hierher
8777 <p>»Ich gehe jetzt auf die Redaktion und zur Post, das
8778 Telegramm steht morgen in allen Zeitungen, Sie werden den ganzen
8779 Tag
über von Besuchen belagert sein.
«</p>
8780 <p>»Dann fl
üchte ich lieber
–. Ich komme hinaus zu
8781 Ihnen, bald nach Tisch. Ich will martisch lernen
«, setzte sie
8782 mit einem halb komischen Seufzer hinzu.
»Ach, Ell, was werden
8783 die n
ächsten Zeiten bringen?
«</p>
8784 <p>»Gro
ßes f
ür die Menschen!
« war seine
8787 <h2>22 - Schnelle Fahrt
</h2>
8788 <p>Auf die Ver
öffentlichung der Depesche Torms folgten
8789 hei
ße Tage f
ür Isma. Gl
ückw
ünsche, Anfragen
8790 und Besuche, teilnahmsvolle und neugierige, dr
ängten sich.
8791 Einige Zeitungen schickten ihre Reporter, um ihren Lesern
8792 m
öglichst genau die Ansicht von Frau Torm
über die
8793 Zust
ände auf dem Nordpol auseinanderzusetzen. Soweit Isma die
8794 Besuche nicht ablehnen konnte, beschr
änkte sie sich darauf zu
8795 sagen, sie teile die Vermutungen, welche Friedrich Ell sogleich am
8796 Tag nach dem Erscheinen des Telegramms in der Vossischen Zeitung
8797 ausgesprochen habe.
</p>
8798 <p>Über die M
öglichkeit einer Besiedelung des Pols durch
8799 die Marsbewohner erhob sich ein heftiger Streit in den
8800 Tagesbl
ättern. Ein gro
ßer Teil des Publikums fand die
8801 Aussicht h
öchst interessant, welche sich f
ür einen
8802 Verkehr mit den Martiern er
öffnete. Andere h
ätten am
8803 liebsten die ganze Depesche f
ür Schwindel erkl
ärt; da
8804 dies aber nicht anging, behaupteten sie, Torm m
üsse sich
8805 jedenfalls get
äuscht haben. Es w
äre ja m
öglich,
8806 da
ß es Bewohner des Mars gebe, sie k
önnten aber nicht
8807 auf die Erde gelangen. Und selbst wenn sie das k
önnten, so
8808 w
äre nicht einzusehen, warum sie nicht nach Berlin oder Paris
8809 k
ämen, sondern sich das Vergn
ügen machten, eine
8810 Riesenerdkarte am Nordpol zu konstruieren. Ein ber
ühmter
8811 Physiker erkl
ärte es als absolut unm
öglich, da
ß
8812 menschen
ähnliche Wesen jemals von einem Planeten nach dem
8813 andern durch den Weltraum hindurchdringen k
önnten. Darauf
8814 stellte ein Geologe eine h
öchst geistreiche Hypothese auf,
8815 derzufolge sich notwendigerweise am Pol ein Vulkan bilden
8816 m
üsse, aus welchem von Zeit zu Zeit ein Teil des Erdinnern
8817 herausquelle. Die Lavaablagerungen seien infolge einer
8818 zuf
älligen
Ähnlichkeit von Torm f
ür eine Karte
8819 gehalten worden. Endlich erkl
ärte sich der Redakteur der
8820 ›Geographischen Mitteilungen
‹ dahin, da
ß es
8821 keinen Zweck habe, Vermutungen aufzustellen, weil man
8822 überhaupt erst weitere Nachrichten abwarten m
üsse. Der
8823 Mann hatte recht, fand aber am wenigsten Beifall.
</p>
8824 <p>Die Friedauer f
ühlten sich mehr wie je befriedigt. Die
8825 Beachtung, welche ihre Stadt in der ganzen Welt fand, gab eine
8826 erhabene Veranlassung, um Glossen
über Frau Torm daran zu
8827 kn
üpfen, wenn sie ihr in der N
ähe der Ellschen Besitzung
8828 begegneten oder Ell an ihrer Seite durch die G
änge des Parkes
8829 wandelte; das taten sie zwar schon seit Jahren, aber jetzt war es
8830 doppelt sch
ön, noch dieses Privatwissen
über das
8831 allgemeine hinaus zu haben. Isma selbst k
ümmerte sich darum
8832 nicht. Mehr wie je war ihr das Urteil der Menschen
8833 gleichg
ültig geworden, w
ährend ihr der t
ägliche
8834 Verkehr mit Ell allein einigerma
ßen Beruhigung gew
ähren
8835 konnte. Ell hatte sie schon geliebt und um sie geworben, als sie
8836 noch als Isma Hilgen bei ihrer fr
üh verwitweten Mutter in
8837 Berlin lebte. Damals hatte sie seine Bewerbung zur
ückgewiesen.
8838 Die Neigung des seltsamen Mannes konnte sie zwar nicht
8839 unber
ührt lassen, aber von der Fremdartigkeit seines Wesens
8840 war sie immer wieder abgesto
ßen worden. Als sie mit Torm sich
8841 verlobte, war Ell in die Fremde gegangen. Nach seiner R
ückkehr
8842 hatte er sich ihr in uneigenn
ützigster Freundschaft
8843 gen
ähert. Sie wu
ßte, da
ß er sie liebte, und sie
8844 ahnte die K
ämpfe, die er im stillen mit seiner Leidenschaft
8845 f
ührte. Aber sie hing an ihrem Mann mit inniger Zuneigung, und
8846 sie hatte Ell bald im Anfang gesagt, da
ß daran eine
8847 Änderung niemals eintreten w
ürde. Damals gab er ihr das
8848 Versprechen, da
ß sie niemals durch ihn eine St
örung
8849 ihres Gl
ückes, ja nur eine tr
übe Stunde erfahren solle.
8850 Und dies Versprechen hatte er die Jahre hindurch gehalten. Wohl
8851 hatte manche andere sein Interesse gewonnen, und obwohl Isma sein
8852 gutes Recht dazu anerkannte, hatte sie sich dann doch eines
8853 schmerzlichen Gef
ühls nicht erwehren k
önnen. Aber sie
8854 wollte sich
über ihr Gef
ühl keine Rechenschaft geben. Sie
8855 wu
ßte, da
ß er ihrer N
ähe, ihrer Freundschaft und
8856 ihres Gl
ückes bedurfte, und jene seltsame Abstraktionsgabe,
8857 das Erbteil der Martier, in seiner Vorstellung sein Gef
ühl zu
8858 trennen von den harten Pflichten der Wirklichkeit,
8859 erm
öglichten es Ell, als ein treuer und aufopfernder Freund
8860 ihr zu dienen. So herrschte zwischen beiden ein unbedingtes
8861 Vertrauen, das Isma die volle Sicherheit gab, auch sein
8862 Freundschaftsverh
ältnis mit Torm k
önne unter ihrem
8863 Verkehr nicht leiden. Zum Gl
ück waren alle in der Lage,
8864 über das Gerede derer, die sie nicht kannten, die Achseln
8865 zucken zu k
önnen.
</p>
8866 <p>Es war am achten September, am dritten Tag nach der Ankunft des
8867 Tormschen Telegramms. Gegen Abend hatte Ell seinen gewohnten
8868 Spaziergang mit Isma gemacht, die
über das Ausbleiben jeder
8869 weiteren Nachricht lebhaft beunruhigt war. Auch Ell war es schwer
8870 geworden, ihr Mut zuzusprechen. Denn er sagte sich, da
ß man
8871 allerdings eine Nachricht h
ätte erwarten d
ürfen. Die
8872 Expedition hatte eine Anzahl Brieftauben mit, und man mu
ßte
8873 annehmen, da
ß sie alsbald
über die weitere Richtung
8874 ihrer Reise eine Depesche absenden w
ürde. Doch die
8875 gefl
ügelten Boten konnten auf dem weiten Wege leicht
8876 verungl
ücken. Es lie
ß sich zun
ächst gar nichts tun
8877 als geduldig warten.
</p>
8878 <p>Eine milde Sp
ätsommernacht lag
über der Stadt, alles
8879 in tiefe Dunkelheit begrabend. Der Mond war noch nicht aufgegangen,
8880 ein leichter Wolkenschleier verh
üllte das Sternenlicht.
8881 Regungslos streckten die hohen B
äume ihre dichtbelaubten
8882 Zweige aus und deckten mit undurchdringlicher Finsternis die
8883 Rasenpl
ätze, die sich zwischen ihnen auf dem H
ügel
8884 hinbreiteten, wo Ell seine Warte erbaut hatte. Es war schon
8885 sp
ät, und nur aus der hohen ge
öffneten T
ür, die von
8886 Ells Arbeitszimmer nach der weinumlaubten Veranda f
ührte,
8887 schimmerte noch Licht. Von dort ging eine Freitreppe in den Garten.
8888 Ell war an seinem Schreibtisch mit einer Arbeit besch
äftigt,
8889 die er schon seit Jahren betrieb, einer Darstellung der
8890 Verh
ältnisse der Marsbewohner und einer Anleitung, ihre
8891 Sprache zu erlernen. Er wollte diese B
ücher in dem Augenblick
8892 ver
öffentlichen, in welchem die ersten Martier mit den
8893 Menschen zusammentr
äfen.
</p>
8894 <p>In seine Arbeit vertieft, vernahm er nicht, da
ß langsame
8895 Schritte
über den Kiesweg des Gartens sich nahten, da
ß
8896 jemand die Treppe der Veranda erstieg. Erst als der Tritt auf der
8897 Veranda selbst erklang, drehte er sich um. In der T
ür stand
8898 die Gestalt eines Mannes.
</p>
8899 <p>»Wie kommen Sie in den verschlossenen Garten?
« fuhr
8900 Ell auf, indem er nach der Waffe auf seinem Schreibtisch griff.
</p>
8901 <p>Seine vom Licht des Arbeitstisches geblendeten Augen konnten
8902 nicht sogleich erkennen, wen er vor sich habe.
</p>
8903 <p>»Ich bin es!
« sagte eine ihm wohlbekannte
8905 <p>Ell zuckte zusammen und sprang empor. Er fa
ßte mit den
8906 H
änden nach seinem Kopf.
</p>
8907 <p>»Eine Halluzination
«, war sein Gedanke.
</p>
8908 <p>Die Gestalt trat n
äher. Ell wich zur
ück.
</p>
8909 <p>»Ich bin es wirklich, Herr Doktor, es ist Karl
8911 <p>»Grunthe!
« rief Ell.
»Ist es m
öglich? Wo
8912 kommen Sie her?
«</p>
8913 <p>»Direkt vom Nordpol, den ich heute gegen Mittag
8914 verlie
ß.
«</p>
8915 <p>Ell hatte ihm die H
ände entgegengestreckt. Bei diesen
8916 Worten trat er wieder zur
ück.
</p>
8917 <p>»Ich will Ihnen etwas sagen, Grunthe
«, begann er.
8918 »Ich bin bei der Arbeit eingeschlafen, ich tr
äume
8919 – Sie k
önnen es ja nicht sein. Das sehen Sie doch ein.
8920 Das Tor ist ja auch verschlossen, Sie k
önnen nicht
über
8921 die Mauer klettern.
«</p>
8922 <p>Grunthe trat jetzt auf ihn zu. Er sch
üttelte ihm die
8923 H
ände.
»Glauben Sie
’s!
« sagte er.
»Sie
8924 tr
äumen nicht, Sie wachen. Es ist, wie ich sage. Erlauben Sie
8925 mir ein Glas Wasser, richtiges, frisches Quellwasser, das habe ich
8926 vermi
ßt. Hier, trinken Sie auch. Kommen Sie, setzen Sie sich.
8927 Ich will Ihnen alles erkl
ären. Aber so schnell geht das
8929 <p>Ell fa
ßte Grunthe an den Schultern und sch
üttelte
8930 ihn. Er lachte. Dann setzte er sich und starrte Grunthe noch einmal
8932 <p>Grunthe zog seine Uhr und verglich sie mit dem Chronometer in
8934 <p>»Keine Abweichung
«, sagte er.
</p>
8935 <p>»Sie sind es doch, Grunthe!
« rief Ell.
»Jetzt
8936 glaube ich es. Verzeihen Sie, aber nun bin ich wieder klar. Um
8937 Gottes willen, sprechen Sie, schnell! Wo ist Torm?
«</p>
8938 <p>»Torm ist nicht zur
ückgekehrt
«, sagte Grunthe
8939 langsam, indem sich die Falte zwischen seinen Augen vertiefte.
</p>
8940 <p>Ell sprang wieder auf.
</p>
8941 <p>»Er ist verungl
ückt?
«</p>
8942 <p>»Ja.
«</p>
8943 <p>»Tot?
«</p>
8944 <p>»Wahrscheinlich. Der Ballon wurde in die H
öhe
8945 gerissen. Wir verloren das Bewu
ßtsein. Als wir wieder zu uns
8946 kamen, war Torm verschwunden. Er ist bis jetzt nicht wiedergefunden
8948 <p>»Bis jetzt? Das hei
ßt, Sie haben noch eine
8949 Hoffnung?
«</p>
8950 <p>»Auch der Fallschirm fehlte, es ist m
öglich,
8951 da
ß er sich damit gerettet hat
– aber sehr
8952 unwahrscheinlich. Wohin sollte er gekommen sein?
«</p>
8953 <p>Ell trat an die T
ür und starrte in die Nacht, wortlos
8954 – dann drehte er sich pl
ötzlich um.
</p>
8955 <p>»Und Sie, Grunthe?
« rief er.
»Und
8957 <p>»Wir wurden von den Bewohnern der Polinsel gerettet. Mich
8958 brachten sie hierher in einem Luftschiff. Saltner ist noch am Pol,
8959 er reist morgen auf den Mars. Da sind seine Briefe, da sein
8960 Tagebuch.
« Er legte zwei P
äckchen auf den Tisch.
</p>
8961 <p>»So sind sie da?
« fragte Ell fast jubelnd.
</p>
8962 <p>»Sie sind da. Wir haben Ihren Sprachf
ührer gefunden.
8963 Und wenn Sie sich gefa
ßt haben, so kommen Sie mit mir. Ich
8964 bin nicht allein, meine Begleiter sind hier.
«</p>
8965 <p>»Wo? Wo?
«</p>
8966 <p>»Auf dem mittleren Rasenplatz neben dem
8967 Sommerh
äuschen liegt das Luftschiff. Man erwartet
8969 <p>Ell wollte hinausst
ürzen. Die F
üße versagten
8970 ihm. Er setzte sich wieder.
</p>
8971 <p>»Ich kann noch nicht. Bitte, erz
ählen Sie mir erst
8972 noch etwas. Dort steht Wein, geben Sie mir ein Glas!
«</p>
8973 <p>Grunthe holte den Wein. Dann schilderte er kurz ihr Schicksal am
8974 Pol, die Aufnahme bei den Martiern, die Station des Ringes.
8975 Allm
ählich wurde Ell ruhiger.
</p>
8976 <p>Er holte eine Laterne.
</p>
8977 <p>»Gehen wir!
« sagte er.
</p>
8978 <p>Grunthe nahm die Laterne. Sie durchschnitten die dunkeln
8979 G
änge des Gartens. An dem bezeichneten Rasenplatz angekommen,
8980 blieb Grunthe stehen und erhob die Laterne. Ein dunkler K
örper
8981 zeigte sich undeutlich in der Mitte des Platzes. Grunthe gab die
8982 Losung:
»Bate. Grunthe it Ell.
«</p>
8983 <p>Darauf setzte er in der Sprache der Martier hinzu:
»Wir
8984 sind vollst
ändig ungest
ört und sicher. Sie k
önnen
8985 Licht machen.
«</p>
8986 <p>Seit dem Tod seines Vaters hatte Ell kein martisches Wort mehr
8987 vernommen. Die Laute ber
ührten ihn
überw
ältigend.
8988 Jetzt sollte er den Numen, den Stammesgenossen des Vaters
8990 <p>Ein mattes Licht durchgl
änzte den Bau des Luftschiffs und
8991 lie
ß eine Falltreppe erkennen, welche auf das Verdeck
8992 f
ührte. Ell folgte dem vorankletternden Grunthe. Oben
8993 erwartete sie der wachhabende Steuermann und geleitete sie in das
8994 Innere des Schiffes hinab.
»Warnen Sie den Herrn
«,
8995 sagte er zu Grunthe,
»wir haben Marsschwere.
«</p>
8996 <p>»Ich danke
«, versetzte Ell,
»ich passe
8998 <p>Der Steuermann sah den martisch redenden Menschen verwundert an,
8999 ging aber schweigend voran. Sie durchschnitten einen schmalen Gang,
9000 zu dessen beiden Seiten die Mannschaften in H
ängematten nach
9001 ihrer anstrengenden Fahrt ausruhten, und befanden sich vor der
9002 T
ür der Kaj
üte. Sie
öffnete sich. Der Steuermann
9003 trat zur
ück; Grunthe und Ell standen in dem hellerleuchteten
9005 <p>Ell schrak zusammen und drohte das Gleichgewicht zu verlieren,
9006 da er seine Bewegungen der geringen Schwere noch nicht anzupassen
9007 vermochte. Von Grunthe gest
ützt, starrte er sprachlos mit
9008 weitge
öffneten Augen auf die hohe Gestalt, die ihm
9009 gegen
überstand.
</p>
9010 <p>»Vater
«, wollte es sich auf seine Lippen
9011 dr
ängen
– –</p>
9012 <p>»Mein Freund, Dr. Friedrich Ell
«, sagte Grunthe
9013 vorstellend.
»Der Herr Repr
äsentant der Marsstaaten,
9015 <p>»Ill re Ktohr, am gel Schick
– Ill, Familie Ktohr
9016 aus dem Geschlechte Schick
«, sagte Ill mit Betonung, indem er
9017 Ell scharf beobachtete. Auch ihm klopfte das Herz, er sah seine
9018 Vermutung best
ätigt.
»Ich bin
«, setzte er hinzu,
9019 »der j
üngste Bruder des Kapit
än All, der im Jahre
9021 <p>»Mein Vater!
« rief Ell.
»Er war mein Vater!
9022 Und so sah er aus, nur gebeugter vom Druck
–«</p>
9023 <p>Ill schlo
ß seinen Neffen in die Arme und lie
ß ihn
9024 dann sanft auf den Diwan gleiten.
</p>
9025 <p>»Ich dachte es mir
«, sagte er,
»als die erste
9026 Nachricht zu uns kam, da
ß ein Ell auf der Erde unsre Sprache
9027 kenne. Darum erbot ich mich freiwillig hierherzugehen, als einer
9028 von uns den Auftrag
übernehmen sollte. La
ß dich noch
9029 einmal ansehen! Welch ein Gl
ück, dich zu finden! Und nicht
9030 blo
ß f
ür uns. Nun habe ich die Hoffnung, da
ß sich
9031 die Planeten verstehen werden.
«</p>
9033 <p>Stunden vergingen, und noch immer sa
ßen der Oheim und sein
9034 Neffe in der Kaj
üte des Raumschiffes in eifrige Besprechungen
9035 vertieft. Grunthe hatte sich sogleich nach der Erkennungsszene
9036 zur
ückgezogen. Er war nach Torms Arbeitszimmer gegangen. Das
9037 Bed
ürfnis nach Schlaf f
ühlte er nicht, denn fast
9038 w
ährend der ganzen Fahrt hatte er in Schlummer gelegen. Erst
9039 in der Abendd
ämmerung hatte man ihn geweckt. Er sah unter sich
9040 das H
äusermeer von Berlin, welches das Luftschiff in weitem
9041 Bogen umkreiste. Man lie
ß sich jetzt Erkl
ärungen von ihm
9042 über die Bedeutung der hervorragenden Geb
äude geben und
9043 dann den Weg nach Friedau zeigen, das man von Berlin aus mit dem
9044 Luftschiff in
25 Minuten erreichen konnte. Man hatte jedoch im
9045 Dunkeln zu der Fahrt absichtlich eine Stunde gebraucht.
9046 L
ängere Zeit nahm dann die Landung in Anspruch, weil diese
9047 ganz langsam und ger
äuschlos vor sich gehen sollte. Die
9048 Martier wollten dabei nicht bemerkt werden, um nicht w
ährend
9049 ihrer Anwesenheit im Land irgendwie die Aufmerksamkeit auf sich zu
9051 <p>Sie wu
ßten ja nicht, ob man sie nicht bei der Abfahrt
9052 st
ören k
önnte, und wollten auf alle F
älle jeden
9053 Konflikt vermeiden. Ob sie dagegen bei ihrer freien Fahrt in der
9054 Luft zuf
ällig einmal gesehen wurden, darauf kam es ihnen jetzt
9055 nicht mehr an. Nachdem sie Grunthe zur
ückgebracht, mu
ßte
9056 es ja doch bekannt werden, da
ß sie da waren und mit ihren
9057 Luftschiffen
über die Erde fuhren. Nur ihre volle Freiheit
9058 wollten sie nicht aufs Spiel setzen.
</p>
9059 <p>Grunthe hatte sich in Torms Zimmer die Zeitungen der letzten
9060 Wochen zusammengesucht. Es war ihm ein Bed
ürfnis, sich
9061 über die Vorg
änge bei den Menschen w
ährend der Zeit
9062 seiner Abwesenheit zu unterrichten. Aber wie engherzig und
9063 beschr
änkt kam ihm jetzt alles vor! Und dennoch, er war
9064 entschlossen, das M
ögliche zu tun, um den Einflu
ß der
9065 Martier abzuwehren.
</p>
9066 <p>Die ersten Spuren der D
ämmerung zeigten sich im Osten, als
9067 Ell mit fieberhaft leuchtenden Augen wieder eintrat.
</p>
9068 <p>»Sind sie schon fort?
« fragte Grunthe, sich
9070 <p>»Noch nicht.
«</p>
9071 <p>»Aber es wird bald hell.
«</p>
9072 <p>»Ill bleibt noch bis zur Nacht. Ich soll ihn begleiten, er
9073 will
über die Hauptst
ädte Europas einen
Überblick
9074 gewinnen. Aber ich kann heute fr
üh noch nicht fort. In der
9075 Sache ist es eigentlich nicht recht zu z
ögern, aber ich kann
9077 <p>»Sie d
ürfen freilich jetzt nicht fort. Wir
9078 m
üssen die Resultate der Expedition bekanntmachen. Sie sind
9079 dabei unentbehrlich.
«</p>
9080 <p>»Wir haben uns schon geeinigt. Ich will nur eben Anordnung
9081 treffen, da
ß heute niemand im Garten zugelassen wird. Auf den
9082 alten Schmidt k
önnen wir vertrauen, er wird die T
ür
9083 geschlossen halten und wie ein Cerberus wachen. Mein Oheim ist mit
9084 dem Ruhetag einverstanden, den die Mannschaft wie er selbst
9085 n
ötig hat. Jetzt will er mir nur einmal die
9086 Leistungsf
ähigkeit des Luftschiffs bei gr
ößter
9087 Geschwindigkeit zeigen. Die Luft ist ganz still. Wir wollen uns
9088 Wien betrachten. In einer Stunde, noch vor Sonnenaufgang, sind wir
9089 zur
ück. Wir fahren jetzt nach Osten,
über Wien wird es
9090 schon hell genug sein. Kommen Sie mit, wir k
önnen die Zeit zum
9091 Erz
ählen benutzen. Nachher fr
ühst
ücken wir
9092 zusammen.
«</p>
9093 <p>Er sprach in gro
ßer Aufregung und suchte dabei nach seinem
9095 <p>»Sie brauchen weiter nichts mitzunehmen
«, sagte
9096 Grunthe.
»Pelze sind im Schiff. Instruieren Sie nur Schmidt,
9097 da
ß er niemand einl
äßt. Ich aber will lieber
9098 hierbleiben.
«</p>
9099 <p>Ell weckte den Kastellan. Es d
ürfe niemand in den Garten.
9100 Auch die Sternwarte bleibe heute geschlossen. In besonderen
9101 F
ällen oder wenn Bekannte k
ämen, solle man ihn selbst
9102 rufen. Er verlasse sich auf sein unbedingtes Schweigen
über
9103 alles, was er etwa Au
ßergew
öhnliches sehe.
</p>
9104 <p>Der alte Mann, der schon seinem Vater gedient hatte und mit Ell
9105 nach Deutschland gekommen war, versprach sein Bestes. Seine Frau,
9106 welche auch die h
äusliche Bedienung f
ür Ell f
ührte,
9107 kam niemals
über ihr eigenes kleines Gem
üseg
ärtchen,
9108 das au
ßerhalb der Gartenmauer lag, hinaus. Von ihr war keine
9109 St
örung zu bef
ürchten.
</p>
9110 <p>Ell begab sich nach dem Rasenplatz. Das Luftschiff war zur
9111 Abfahrt bereit. Die Lichter wurden gel
öscht. Ger
äuschlos
9112 hob es sich senkrecht in die H
öhe. Die Stadt lag im Schlummer,
9113 niemand bemerkte den dunkeln K
örper, der in wenigen
9114 Augenblicken in der D
ämmerung entschwunden war.
</p>
9115 <p>Ell sa
ß stumm in seinen Pelz geh
üllt und blickte
9116 durch die Robscheiben dem schnell emporsteigenden Fr
ührot
9118 <p>»Ein neuer Tag
«, sagte er leise,
»wirklich ein
9119 Tag! Ich fliege! O heiliger Nu!
«</p>
9120 <p>Aber sie, Isma, was w
ürde sie sagen? Er verga
ß seine
9121 Umgebung. Das Herz krampfte sich ihm schmerzhaft zusammen. Wie
9122 sollte er ihr das Schreckliche mitteilen? Da ihm alles
9123 gegl
ückt, da seine h
öchste Sehnsucht erf
üllt, seine
9124 Heimat wiedergefunden war, da sollte ihr das Lebensgl
ück
9125 entrissen werden? Er suchte sich in ihre Seele zu versetzen und
9126 vermochte es nicht. Er trauerte um den Freund, und inniges
9127 Mitgef
ühl mit der Freundin dr
ängte die Tr
änen in
9128 sein Auge. Er sah sie die schmalen H
ände ringen, er sah, wie
9129 ihre gro
ßen dunkelblauen Augen starr wurden. Er h
ätte
9130 sein Leben daf
ür gegeben, diesen Schmerz ihr abzunehmen, ihr
9131 den Verlorenen zu retten und wiederzubringen. Es war aussichtslos.
9132 Was vermochte er f
ür sie zu tun? Und in allem Schmerz konnte
9133 er es nicht hindern, da
ß es wie eine leise Hoffnung ihn
9134 durchzog, ob es ihm nicht m
öglich sei, ihr das entschwundene
9135 Gl
ück zu ersetzen. Er dr
ängte den Gedanken zur
ück.
9136 Er dachte an seine nahen, gro
ßen Aufgaben. Aber die
9137 n
ächste war ja doch
– sie zu benachrichtigen.
</p>
9138 <p>Eine Frage Ills ri
ß ihn aus seinen Gr
übeleien.
</p>
9139 <p>Zur Rechten ergl
änzte die Kette der Alpen im Licht der
9140 aufgehenden Sonne. Das Luftschiff breitete seine Schwingen aus und
9141 umkreiste, sich tiefer senkend, in weitem Bogen die Kaiserstadt an
9142 der Donau. Drei-, viermal strich es bis dicht
über den Spitzen
9143 der T
ürme hin, dann erhob es sich wieder und floh vor den
9144 Strahlen der Morgensonne nach Nordwesten. Es erreichte Friedau,
9145 noch bevor der erste Sonnenstrahl die Kuppel der Sternwarte, des
9146 h
öchsten Punktes der Umgebung, vergoldete, und lie
ß sich
9147 langsam auf den Rasenplatz nieder.
</p>
9148 <p>Einige Arbeiter, die aufs Feld gingen, liefen herzu, aber da sie
9149 das Schiff hinter den B
äumen des Gartens verschwinden sahen,
9150 setzten sie ihren Weg wieder fort. Sie waren gewohnt, die
9151 Übungsballons der Luftschiffer bei Friedau aufsteigen zu
9152 sehen, und wunderten sich daher nicht weiter, da
ß einmal ein
9153 so sonderbarer Ballon hier niederging.
</p>
9154 <h2>23 - Ismas Entschlu
ß</h2>
9155 <p>Um dieselbe Zeit wurde Frau Isma Torm durch heftiges L
äuten
9156 aus dem Schlummer geweckt.
</p>
9157 <p>Man brachte ihr ein Telegramm. Mit klopfendem Herzen las
9159 <p>»Hammerfest, den
9. September.
</p>
9160 <p>Brieftaube
›Ballon Pol
‹ brachte folgende
9162 <p>Frau Isma Torm. Friedau. Deutschland,
21. August,
2 U.
30 Min.
9164 <p>Ballon durch unbekannte Kraft in die H
öhe gerissen. Ich
9165 verlor das Bewu
ßtsein. Erwachte, als der Ballon auf dichte
9166 Wolkendecke schnell abst
ürzte. Korb gekentert. Ballon nur
9167 durch st
ärkste Erleichterung zu retten. Grunthe und Saltner
9168 bewu
ßtlos, nicht transportierbar. Ich verlie
ß den
9169 Ballon mit dem Fallschirm, konnte Brieftauben mitnehmen. Ich fiel
9171 <p>Wolken, trieb vom Pol in unbekannter Richtung ab, konnte mich
9172 auf Festland retten. Entdeckte Spuren von wandernden Eskimos und
9173 fand ihr Lager. Ziehe mit ihnen nach S
üden, habe noch zwei
9174 Tauben. Hoffe auf gl
ückliche Heimkehr. Sei unbesorgt. Ich bin
9175 unverletzt und bei Kr
äften. Torm.
«</p>
9176 <p>Sie klammerte sich an die letzten Worte.
»Hoffe auf
9177 gl
ückliche Heimkehr. Sei unbesorgt. Ich bin unverletzt und bei
9178 Kr
äften.
« Aber wo? Wo? Jenseits unzug
änglicher
9179 Meere und Eisw
üsten, kurz vor Beginn der ewigen Nacht,
9180 angewiesen auf das Mitleid einiger armseliger Eskimos! Der Ballon
9181 gescheitert
– die gehofften, stolzen Resultate verloren! Wie
9182 konnte er heimkehren
– und wann?
</p>
9183 <p>Und sie
– sie hatte ihn ermutigt, ihm zugeredet, als er
9184 darum sorgte, sie allein zur
ückzulassen. War sie nicht
9185 mitschuldig an seinem Ungl
ück? Hatte sie nicht zu sehr dem
9186 Freund vertraut, der des Gelingens so sicher schien? Eine
9187 furchtbare Angst erfa
ßte sie. H
ätte sie ihn nicht
9188 beschw
ören m
üssen, das gef
ährliche Unternehmen um
9189 ihretwillen zu unterlassen? Sie hatte sich eingebildet, der
9190 gro
ßen Sache, der Wissenschaft mutig das Opfer ihres
9191 h
äuslichen Gl
ückes zu bringen, aber nun kam es
über
9192 sie wie eine schreckliche Anklage
– h
ätte sie den Mut
9193 auch gehabt, wenn nicht Ell sie gebeten h
ätte? Wenn sie nicht
9194 dem Freund zuliebe, dem sie das eine Lebensgl
ück versagt, nun
9195 zur Erreichung seines innigsten Wunsches ein Opfer h
ätte
9196 bringen wollen? Und wenn das Opfer angenommen war? Sie schauderte
9197 zusammen. Nein, nein, sie wollte nicht mutlos sein. Das durfte sie
9198 sich ja sagen, sie hatte sich nie verhehlt, da
ß sie jeden
9199 Augenblick auf das Schlimmste gefa
ßt sein mu
ßte. Aber
9200 was sie dann tun w
ürde? Das hatte sie niemals sich zur vollen
9201 Klarheit gebracht. Jetzt mu
ßte es sein. Sie wollte handeln.
9202 Wenn Hilfe m
öglich war
– es gab von den Menschen nur
9203 einen, der hier helfen konnte. O, er w
ürde ihr helfen! Sie
9205 <p>Eine Stunde sp
äter zog sie die Klingel an dem gro
ßen
9206 eisernen Gitter, das den Vorgarten des Wohngeb
äudes neben der
9207 Sternwarte von der Stra
ße abschlo
ß.
</p>
9208 <p>»Ist der Herr Doktor schon zu sprechen?
« fragte sie
9209 den
öffnenden Kastellan.
</p>
9210 <p>Der Alte nahm sein K
äppchen ab und kratzte sich verlegen
9212 <p>»Ei, ei, die Frau Doktor sind es? Hm! Hm! Na, ich will
9213 gleich einmal fragen. Kommen Sie nur inzwischen herein. Es ist
9214 freilich
– Hm!
–«</p>
9215 <p>»Sagen Sie, ich m
üßte den Herrn Doktor sofort
9216 sprechen, es sind wichtige Nachrichten angekommen.
«</p>
9217 <p>Der Alte schlurfte ins Haus.
</p>
9218 <p>Ell beriet mit Grunthe die Form, welche den ersten Mitteilungen
9219 zu geben sei, als ihm Frau Torm gemeldet wurde.
</p>
9220 <p>Er sprang auf und warf die Feder weg.
</p>
9221 <p>»F
ühren Sie die gn
ädige Frau sogleich in die
9222 Bibliothek.
«</p>
9223 <p>»Es sind wichtige Nachrichten da, sagte die Frau
9224 Doktor.
« Mit diesen Worten ging der Kastellan ab.
</p>
9225 <p>»Sie hat Nachrichten!
« rief Ell erbleichend.
9226 »Und sie kommt selbst, um diese Zeit! Woher kann sie es
9228 <p>Er st
ürzte hinaus. Vor der T
ür des Bibliothekzimmers
9229 hielt er an. Er mu
ßte sich erst sammeln. Dann trat er ein,
9230 ruhig, gefa
ßt. Aber das Herz schlug ihm. Sein Gesicht war
9231 bleich und
übern
ächtig.
</p>
9232 <p>Isma stand mitten im Zimmer und st
ützte ihre Hand auf den
9233 gro
ßen Tisch, der mit aufgeschlagenen Kartenwerken und
9234 Tabellen bedeckt war. Sie fand keine Worte.
</p>
9235 <p>»Isma
«, sagte er,
»Sie haben
– was
9236 wissen Sie?
« Sie brach in Schluchzen aus. Er eilte an ihre
9237 Seite. Wieder lehnte sie an seiner Schulter. Er f
ührte sie an
9239 <p>»Fassen Sie sich, liebste Freundin, fassen Sie
9241 <p>»Ich wei
ß nicht, was ich tun soll
«, sagte sie
9242 unter Tr
änen. Sie zog die Depesche aus ihrer Tasche und
9243 reichte ihm das zerknitterte Papier.
</p>
9245 <p>Er atmete tief auf.
</p>
9246 <p>»Gott sei gedankt!
« rief er aus tiefstem Herzen.
</p>
9247 <p>Isma sprang auf und wich zur
ück. Ihr Blick fiel feindlich
9248 auf ihn. ihre Augen wurden starr. Sie drohte zusammenzubrechen.
</p>
9249 <p>»Was ist Ihnen, Isma?
«</p>
9250 <p>»Ich
– ich
–«, sagte sie, die Hand auf
9251 das Herz pressend,
»ich habe wohl nicht recht verstanden
9252 – oder
– oder
– sagten Sie nicht
9254 <p>»Gott sei Dank, sagte ich, denn Ihr Mann ist
9255 gerettet.
«</p>
9256 <p>»Gerettet?
«</p>
9257 <p>»Ja, hier steht es ja.
«</p>
9258 <p>»Gerettet?
«</p>
9259 <p>»Ihre Nachricht ist j
ünger als die meinige, ist von
9260 ihm selbst
«, fuhr Ell fort.
»Ich aber empfing diese
9261 Nacht durch Grunthe die Nachricht, da
ß der Ballon
9262 abgest
ürzt und Ihr Mann verschwunden sei. Ich glaubte ihn tot
9263 und wu
ßte nicht, wie ich Ihnen, Isma
– aber was ist
9265 <p>Isma ergriff seine H
ände.
»O, Ell, Ell, verzeihen Sie
9267 <p>Er sah sie erstaunt an.
</p>
9268 <p>»Sie halten ihn f
ür gerettet?
« rief sie, indem
9269 ihr das Blut in die Wangen stieg.
»Im ewigen Eis, in der
9270 Polarnacht? Wie soll er gerettet werden?
«</p>
9271 <p>»Da er gl
ücklich aus dem Ballon auf die Erde gelangt
9272 ist und im Schutz der Eskimos steht, so droht ihm unmittelbar keine
9274 <p>»Aber der Winter?
«</p>
9275 <p>»Wo die Eskimos
überwintern, wird es Ihrem Mann auch
9276 gelingen. Es ist gewi
ß keine angenehme Aussicht, aber wie
9277 viele Forscher haben schon einen Winter in den Schneeh
ütten
9278 der Eskimos zugebracht. Und darauf war er, mu
ßten wir alle
9279 gefa
ßt sein, da
ß ein solcher Unfall eintrat. Nein,
9280 Isma, liebste Freundin,
ängstigen Sie sich nicht. Wir werden
9281 daf
ür sorgen, da
ß im Fr
ühjahr auf allen Seiten des
9282 Pols nach ihm gesucht wird. Vielleicht erhalten wir noch eine
9283 Nachricht. Er hat ja noch Tauben. Sehen Sie
–«, er
9284 streichelte ihre Hand und versuchte zu l
ächeln,
9285 »verzeihen Sie mir, aber die Depesche, die Ihnen nur
9286 Trauriges meldete, f
ür mich war sie eine Erl
ösung. Alles,
9287 was Grunthe und Saltner von Ihrem Mann wu
ßten, bestand darin,
9288 da
ß er aus dem Ballon verschwunden war, als sie von ihrer
9289 Ohnmacht erwachten. Der Fallschirm wurde im Meer gefunden, von Torm
9290 keine Spur. Sie k
önnen sich denken, Isma, was ich in Ihrer
9291 Seele f
ühlte, wie mir zumute war, als ich Sie jetzt vor mir
9292 sah. Da atmete ich auf, als ich Ihre Depesche las. Nach dem, was
9293 ich wu
ßte, ist es vielleicht die beste Nachricht, die sich
9294 überhaupt erhoffen lie
ß. Ich brauche nicht zu sagen, wie
9295 sehr ich den Unfall Ihres Mannes bedauere; Sie aber d
ürfen
9296 stolz sein. Er hat sich selbst geopfert und die Gef
ährten
9297 dadurch gerettet. Alle Resultate der Expedition sind geborgen,
9298 selbst meine k
ühnsten Hoffnungen erf
üllt.
«</p>
9299 <p>Isma starrte in die Ferne. Das Schicksal Torms nahm noch alle
9300 ihre Gedanken in Anspruch.
</p>
9301 <p>»Und ist Ihnen denn dies alles gleichg
ültig
9302 geworden?
« fragte Ell.
»Sie fragen nicht einmal, woher
9303 ich meine Nachricht habe?
«</p>
9304 <p>»Wie k
önnen wir uns des Erreichten freuen, und er,
9305 dem wir es verdanken, hat nichts von alledem? Den langen Winter
9306 – ach, wohl noch ein Jahr.
– Ist es denn nicht
9307 m
öglich, noch jetzt, gleich, etwas f
ür ihn zu
9309 <p>Ell sah sie schmerzlich entt
äuscht an und sch
üttelte
9311 <p>Sie verstand seinen vorwurfsvollen Blick. Eine feine R
öte
9312 überzog ihr Gesicht, und sie schlug ihre gro
ßen, sanften
9313 Augen wie bittend zu ihm auf. Sie sah entz
ückend aus. Ell
9314 wendete sich ab, er konnte den Anblick nicht l
änger
9316 <p>Isma legte ihre Hand auf seinen Arm.
</p>
9317 <p>»Verzeihen Sie mir, mein lieber Freund
«, sagte sie
9318 herzlich.
»Erz
ählen Sie mir! Ich sehe ja selbst ein,
9319 da
ß ich mich in Geduld fassen mu
ß. Aber es h
ätte
9320 mich so gl
ücklich gemacht, sogleich etwas tun zu
9321 k
önnen.
«</p>
9322 <p>Ell schwieg noch immer. Er st
ützte den Kopf in seine
9324 <p>»Ich hab Sie darum nicht weniger lieb
«, sagte Isma
9326 <p>Beide sahen sich tief in die Augen.
</p>
9327 <p>Ell sprang auf und machte einige Schritte durch das Zimmer. Dann
9328 blieb er vor Isma stehen.
</p>
9329 <p>»Ich dachte einen Augenblick
– eine
9330 M
öglichkeit, aber nein, es geht nicht. Es geht
9332 <p>Er setzte sich ihr gegen
über.
</p>
9333 <p>»H
ören Sie zu
«, sagte er.
»Was ich Ihnen
9334 jetzt sage, wird Ihnen unglaublich erscheinen. Aber die Beweise
9335 sollen Sie selbst sehen. Grunthe ist hier. Und Saltner ist auf der
9336 Reise nach dem Mars. Oben in meinem Garten liegt ein Luftschiff der
9337 Martier. Mein Oheim Ill, der Bruder meines Vaters, hat Grunthe
9338 darin hierhergebracht. Die Fahrt nach dem Pol dauert sechs Stunden
9340 <p>»Um Gottes willen, Ell, h
ören Sie auf!
« rief
9341 Isma zur
ückweichend, die gefalteten H
ände nach ihm
9342 ausstreckend. In ihren Augen malte sich Angst. Sie f
ürchtete
9343 f
ür seinen Verstand. War das seine fixe Idee, die jetzt mit
9344 ihren Wahnvorstellungen zum Ausbruch kam?
</p>
9345 <p>Er stand auf und ging zur T
ür. Isma blieb ratlos sitzen.
9346 Nur wenige Augenblicke, dann sprang sie auf.
</p>
9347 <p>Grunthe trat in das Zimmer. Er machte seine steife
9349 <p>Isma starrte auf ihn wie auf eine Erscheinung.
</p>
9350 <p>»Lesen Sie diese Depesche
«, sagte Ell zu Grunthe.
9351 »Frau Torm hat sie heute fr
üh empfangen.
«</p>
9352 <p>Grunthe las, sah noch einmal nach dem Datum, und sagte dann:
9353 »Das ist eine sehr g
ünstige Nachricht, unter den einmal
9354 vorhandenen Umst
änden.
«</p>
9355 <p>»Und nun bitte, Grunthe
«, rief Ell,
»tun Sie
9356 mir den Gefallen und geben Sie Frau Torm einen kurzen Bericht
9357 über Ihre Erlebnisse. Kommen Sie, setzen wir uns.
«</p>
9358 <p>Grunthe sprach in seiner knappen, fast trockenen Weise. Da war
9359 nichts
übertrieben, keine Vermutungen, kein subjektives
9360 Urteil, alles klar wie ein mathematischer Beweis.
</p>
9361 <p>Isma sa
ß regungslos. Ihre weitge
öffneten Augen hingen
9362 an Ell. Es
überkam sie wie ein Gef
ühl der Ehrfurcht.
</p>
9363 <p>»Und nun ich hier bin
«, schlo
ß Grunthe,
9364 »darf ich keine Minute vers
äumen, den Bericht
9365 fertigzustellen. Wir haben alle unsre Kr
äfte anzustrengen, das
9366 zu beweisen, was uns niemand wird glauben wollen. Ich darf daher
9367 wohl auf Entschuldigung rechnen, wenn ich mich jetzt wieder
9368 zur
ückziehe. W
ürden Sie mir noch einen Augenblick
9369 schenken?
« setzte er zu Ell gewendet hinzu.
</p>
9370 <p>Er verbeugte sich gegen Isma und wollte gehen.
</p>
9371 <p>Da sprang Isma auf und trat dicht vor Grunthe, der mit
9372 zusammengekniffenen Lippen stehenblieb.
</p>
9373 <p>»Ist es wahr
«, fragte sie,
»das Luftschiff
9374 liegt noch drau
ßen?
«</p>
9375 <p>»Gewi
ß.
«</p>
9376 <p>»Und in sechs Stunden kann man zum Nordpol
9377 gelangen?
«</p>
9378 <p>Grunthe nickte best
ätigend.
</p>
9379 <p>»Ich bin heute fr
üh selbst in einer Stunde nach Wien
9380 und wieder zur
ückgefahren
«, setzte Ell hinzu.
</p>
9381 <p>»Ich danke Ihnen
«, sagte Isma
9382 zur
ücktretend.
</p>
9383 <p>»Entschuldigen Sie mich auf einen Augenblick
– ich
9384 bin sogleich wieder hier
«, sagte Ell zu Isma, indem er mit
9385 Grunthe das Zimmer verlie
ß.
</p>
9386 <p>Sie nickte schweigend. Ihre Gedanken waren bei dem Luftschiff.
9387 In sechs Stunden konnte man am Nordpol sein
– nur sechs
9388 Stunden! So lange braucht der Schnellzug nach Berlin. Das ist eine
9389 Spazierfahrt. Sechs Stunden nur trennten sie von Hugo.
–
9390 – Wenn das Gl
ück g
ünstig war, wenn das Schiff die
9391 richtige Bahn beschrieb, so mu
ßte man ihn bemerken, so konnte
9392 man ihn aufnehmen und zur
ückbringen
– noch heute konnte
9393 er in Friedau sein
–</p>
9394 <p>Ach, aber ihn scheiden die W
üsten des Eises, die
9395 unzug
änglichen Meere, die noch kein Forscher zu durchqueren
9396 vermochte
– dort sitzt er in der kl
äglichsten
9397 Schneeh
ütte, Monat auf Monat, ohne Licht, ohne Tat
– in
9398 ewiger Nacht trauernd und sich sehnend nach der Heimat, umgeben von
9399 den Gefahren des furchtbaren Winters.
– – Und hier
9400 daheim, hier reifen die Fr
üchte seiner k
ühnen Fahrt, hier
9401 dr
ängt sich von Stunde zu Stunde neues, lebendiges Schaffen,
9402 hier vollzieht sich das Unerh
örte, noch nie Gewesene
–
9403 von den Sternen steigen die G
ötter herab, um die Menschen zu
9404 laden zu ihrem seligen Wandel
– hier, in dieser Stadt, in
9405 diesem Hause wird ein neues Zeitalter geboren, und er wei
ß
9406 nichts davon, kann nicht teilnehmen an dem Gro
ßen, was die
9407 ganze Erde erf
üllt, an dem H
öchsten, was erlebt wurde und
9408 was ihr Herz so erwartungsvoll schlagen macht
– und sie
9409 mu
ß es allein erleben
–</p>
9410 <p>Und vielleicht nur sechs Stunden
–</p>
9411 <p>Allein
– den ganzen Winter allein in solcher Zeit, wo
9412 Seele zu Seele geh
ört
– allein? Ja, wenn sie allein
9413 w
äre! Aber der Freund? Wo bleibt er? Er ist l
änger
9414 drau
ßen aufgehalten, aber er wird kommen
– er wird
9415 kommen so wie heute, dann jeden Tag, der einzige Vertraute, mit dem
9416 sie alles teilen mu
ß, was das Herz bewegt
– mit ihm
9417 wird sie allein sein, der ihr so wert ist, so lieb, und nun vor ihr
9418 steht in einem neuen, geheimnisvollen Licht, der Sohn einer
9419 h
öheren Welt, zu dem sie aufblickt
– –</p>
9420 <p>Nein, nein! Sie will nicht allein sein, und nicht allein mit ihm
9422 <p>Sie ringt die H
ände und geht auf und ab im Zimmer. Sie
9423 blickt nach der geschlossenen T
ür und glaubt seine Stimme zu
9424 h
ören. Sie blickt nach der Uhr
– und der Gedanke
9425 l
äßt sie nicht los: Nur sechs Stunden! In sechs Stunden
9426 kann alles entschieden sein
–</p>
9427 <p>Ja, wenn sie mitfahren k
önnte, durch die L
üfte reisen
9428 nach dem Reich des Eises, wo er weilt
– sie w
ürde ihn
9429 finden, sie w
ürde ihn aussp
ähen, wo er sich auch
9430 b
ärge, im Boot von Seehundsfell, in der H
ütte von Schnee
9431 – bis in die Gletscherspalte w
ürde ihr Auge dringen
9432 – sie schauerte zusammen. Vielleicht schon lag er
– sie
9433 mochte das Schreckliche nicht denken. Diese furchtbare
9434 Ungewi
ßheit
– nein, das konnte, das wollte sie nicht
9435 ertragen. Und die Fragen, die ewigen, und das Mitleid
– und
9436 das h
öhnische Zischeln, ob sie sich wohl tr
östet
–
9438 <p>Sie stampfte mit dem Fu
ß auf und pre
ßte die
9439 H
ände krampfhaft zusammen. Dann stand sie still wie ein Bild
9440 aus Stein. Und nun wu
ßte sie es. Sie atmete tief auf. Die
9441 Starrheit l
öste sich. Ihr Entschlu
ß war
9443 <p>Nur sechs Stunden!
</p>
9444 <p>Das Luftschiff zog sie mit magischer Gewalt an. Sie wollte fort,
9445 sie wollte an den Pol, sie w
ürde ihn finden, den Verlorenen,
9446 sie, Isma Torm. Wenn es ein Unrecht war, da
ß sie um des
9447 Wunsches des Freundes willen den Mann nicht zur
ückhielt, so
9448 mochte dies ihre Bu
ße sein, und die seinige!
</p>
9449 <p>Sie setzte sich und
überdachte alles noch einmal in voller
9451 <p>Es war das Richtige, es mu
ßte so sein.
</p>
9452 <p>Isma erhob sich und schritt auf die T
ür zu, als ihr Ell aus
9453 derselben entgegentrat.
</p>
9454 <p>Er stutzte bei ihrem Anblick. Die Trauer und Angst aus ihren
9455 Z
ügen war verschwunden. Sie stand aufgerichtet vor ihm. Aus
9456 ihren tiefblauen Augen sprach jene Innigkeit des Gef
ühls, die
9457 ihn immer hingerissen hatte. Auf ihren Lippen lag es wie ein leises
9459 <p>»Ell
«, sagte sie
– sie stockte einen
9460 Augenblick wie verlegen
»bei Ihrer Freundschaft, wenn Sie
9461 mich liebhaben
–«</p>
9462 <p>»Isma!
«</p>
9463 <p>»Wollen Sie mir eine Bitte erf
üllen?
«</p>
9464 <p>»Was Sie wollen!
«</p>
9465 <p>»Sprechen Sie bei Ihrem Oheim f
ür mich, da
ß er
9466 mich in seinem Luftschiff mit nach dem Pol nimmt und mich wieder
9467 hierherbringt, wenn wir Hugo gefunden haben
– ja, ja
–
9468 ich werde ihn finden, wenn ich mit dem Luftschiff ihn suchen darf
9469 – o, weigern Sie sich nicht
–«</p>
9470 <p>Sie fa
ßte seine H
ände und sah ihn flehend an. Zwei
9471 Tr
änen traten in ihre Augen.
</p>
9472 <p>»Und
– kommen Sie selbst mit!
« setzte sie
9474 <p>Ell fand nicht sogleich Worte. Das hatte er nicht erwartet.
</p>
9475 <p>»O Isma, Isma
«, rief er endlich.
»Was
9476 verlangen Sie? Diese Reise ist nichts f
ür Sie. Die Nume werden
9477 selbst suchen, sie suchen schon, und was die nicht finden, werden
9478 auch Sie nicht finden.
«</p>
9479 <p>»Ich werde es. Was sind fremde Augen gegen die der Frau?
9480 Ich werde sehen, wo andere nicht hinblicken. Es sind nur sechs
9481 Stunden
– so nahe
–, und ich soll hier m
üßig
9482 sitzen
– den Gedanken ertrage ich nicht
–«</p>
9483 <p>»Ich bitte Sie, Isma, bedenken Sie meine Lage. Jetzt darf
9484 ich, kann ich nicht von hier fortgehen. Jetzt gilt es, die
9485 Menschheit auf den Besuch der Martier vorzubereiten. Was ich seit
9486 Jahren erwartet, ich mu
ß nun die Konsequenzen ziehen
9488 <p>»Es handelt sich vielleicht nur um wenige Tage.
«</p>
9489 <p>»Die habe ich meinem Oheim zu andern Zwecken versprochen.
9490 Und dann mu
ß ich wahrscheinlich nach Berlin.
«</p>
9491 <p>»Dann bin ich also ganz allein
«, sagte Isma
9493 <p>»Nein, nein
– ich komme bald wieder.
«</p>
9494 <p>Isma wandte sich schweigend ab. Dann kehrte sie pl
ötzlich
9495 zur
ück und sagte fast hart:
</p>
9496 <p>»F
ühren Sie mich zu Ihrem Oheim, ich will ihn bitten.
9497 Und wenn Sie nicht fortk
önnen, lassen Sie mich allein
9498 mitgehen. Lassen Sie mich hingehen, Ell!
«</p>
9499 <p>Ell k
ämpfte mit sich. Mit d
üstern Blicken starrte er
9501 <p>»Wo ist das Schiff?
« fragte Isma.
»Ich will
9502 die Nume bitten, sie werden einer verlassenen Frau nicht
9503 abschlagen, was der einzige Freund ihr nicht gew
ähren
9505 <p>»Isma, seien Sie vern
ünftig!
«</p>
9506 <p>»Das Vern
ünftige ist die Pflicht. Und dies ist der
9507 einzige Weg, sie zu erf
üllen.
«</p>
9508 <p>»Und meine Pflicht ist die Vers
öhnung der Planeten.
9509 Dagegen mu
ß das Geschick des einzelnen
9510 zur
ücktreten.
«</p>
9511 <p>»Darum eben gehe ich allein.
«</p>
9512 <p>»Das werde ich nie zugeben.
«</p>
9513 <p>»Ich will
«, sagte Isma finster.
»Ich will zu
9514 meinem Mann.
«</p>
9515 <p>Ell st
öhnte. Er sah, wie sie entschlossen der T
ür
9516 zuschritt. Sie drehte sich noch einmal um, mit tiefer Trauer im
9518 <p>»Bleiben Sie, Isma
«, rief er.
»Ich bringe
9519 Ihnen Hugo, wenn es in der Macht der Menschen steht und der
9521 <p>»Nehmen Sie mich mit!
«</p>
9522 <p>»Kommen Sie zu Ill. Alles h
ängt von seiner
9523 Entscheidung ab.
«</p>
9524 <p>Ell brachte Isma zu seinem Oheim. Es h
ätte ihr wenig
9525 genutzt, ihre Sache bei Ill zu vertreten, wenn nicht Ell sie zu der
9526 seinigen gemacht h
ätte. Denn Ill verstand nicht deutsch, Ell
9527 mu
ßte daher die Verhandlungen f
ühren. Ill, der Isma mit
9528 herzlichster Teilnahme begegnete, versprach sofort, da
ß nach
9529 seiner R
ückkehr mit Hilfe des Luftschiffes die
9530 sorgf
ältigste Durchforschung des arktischen Gebietes
9531 vorgenommen werden solle, so lange die Martier dazu noch Zeit
9532 h
ätten. Dazu w
äre er ohnehin entschlossen gewesen, und
9533 nur die Zur
ückf
ührung Grunthes und die Aufsuchung Ells
9534 h
ätten zuvor erledigt werden m
üssen.
Übrigens
9535 w
ürde schon jetzt nach Torm gesucht, da noch ein kleineres
9536 Luftboot, freilich zu weiteren Reisen nicht verwendbar, in Dienst
9537 gestellt werde. Er s
ähe daher nicht ein, wozu es notwendig
9538 sei, da
ß Ell oder gar Isma zu diesem Zweck ihm an den Pol
9539 folgen sollten. Ersterer w
äre jetzt in Deutschland nicht zu
9540 entbehren, um Grunthe in der Darstellung der Resultate der
9541 Expedition zu unterst
ützen. Man w
ürde ihn auch jedenfalls
9542 seitens der Regierung zu Rate ziehen.
</p>
9543 <p>Ell gab dies gern zu; es war ja vollst
ändig seine Ansicht.
9544 Er sagte, da
ß er nur den innigsten Wunsch von Frau Torm
9545 vertrete. Isma brachte nun selbst ihre Bitte vor, mit
9546 r
ührendem Ton, in Ills Gegenwart. Ell, der jetzt erst
9547 h
örte und im
übrigen erriet, was Isma zur Reise antrieb,
9548 f
ühlte seinen Widerstand gebrochen. Er unterst
ützte
9549 nunmehr ihre Bitten und wollte sie unter keinen Umst
änden
9550 verlassen. Er stellte daher Ill vor, da
ß sich seine Reise
9551 wohl mit seinen Pflichten gegen die Martier vereinen lasse, da sie
9552 doch nicht l
änger als acht bis zehn Tage dauern w
ürde.
9553 Denn gleichviel, ob Torm gefunden werde oder nicht, vor ihrer
9554 Abreise nach dem Mars w
ürden ja die Martier ihn und Isma
9555 zur
ückbringen. In dieser Zeit aber sei er um so eher
9556 entbehrlich, als sich die erste Aufregung
über das Erscheinen
9557 der Martier erst einigerma
ßen legen m
üsse, ehe es zu
9558 ernsthaften Entschl
üssen der Regierungen kommen k
önne.
9559 Bis dahin sei er wieder zu Hause; inzwischen reiche Grunthe
9560 vollst
ändig aus, die erforderliche Auskunft zu geben. Es stehe
9561 also dabei eigentlich weiter nichts in Frage, als da
ß die
9562 Martier sich der M
ühe unterz
ögen, noch einmal eine Fahrt
9563 vom Pol nach Friedau und zur
ück zu machen. Das aber sei doch
9564 in zw
ölf Stunden erledigt.
</p>
9565 <p>Ell f
ührte dies, hin und wieder von seinem Oheim
9566 unterbrochen, in eifriger Rede aus. Isma h
örte dem
9567 Gespr
äch, von dem sie kein Wort verstand, geduldig zu. Sie
9568 erschrak, wenn sie aus Ills Augen auf eine ablehnende Antwort
9569 schlie
ßen zu m
üssen glaubte. Jetzt aber l
ächelte
9571 <p>»Die Transportfrage, euch beide mitzunehmen und wieder
9572 herzubringen, ist f
ür uns kein Hindernis. Pers
önlich
9573 w
ürde es mich sehr freuen, dich bei mir zu haben, und sogar
9574 sachlich k
önnte es von Vorteil sein, da F
älle denkbar
9575 sind, in denen wir unser Schiff verlassen m
üssen, um das Land
9576 zu betreten; und dann w
ürdest du mit den Eskimos, die wir
9577 mitnehmen werden, mehr leisten k
önnen als wir. Ich wundere
9578 mich aber, warum du f
ür den Wunsch der Frau Torm so eifrig
9579 eintrittst, der eigentlich nur einer Stimmung, man m
öchte fast
9580 sagen, einer Einbildung entspringt.
«</p>
9581 <p>»Sie hegt nun einmal den Wunsch
«, erwiderte Ell
9582 etwas verlegen,
»sie h
ält die Reise f
ür ihre
9583 Pflicht, und es ist der einzige Trost, den ich ihr gegenw
ärtig
9584 geben kann, wenn ich ihren Wunsch zu erf
üllen
9586 <p>Ill blickte seinem Neffen mit Herzlichkeit ins Auge.
»Du
9587 liebst diese Frau.
«</p>
9589 <p>»Und du willst sie mitnehmen und begleiten, um ihr den
9590 Gatten wiederzugeben?
«</p>
9591 <p>»Ja.
«</p>
9592 <p>»So machst du ihren Wunsch zu dem deinen?
«</p>
9593 <p>»Vollst
ändig.
«</p>
9594 <p>»Ich m
öchte dir deine erste Bitte nicht abschlagen.
9595 Aber es ist noch ein prinzipielles Bedenken. Zugegeben, deine
9596 Abwesenheit von hier f
ür kurze Zeit w
äre allenfalls
9597 belanglos. Es k
önnte aber ein ungl
ücklicher Zufall
9598 eintreten, der uns verhindert, hierher zur
ückzukehren. Deine
9599 Abwesenheit k
önnte sich auf den ganzen Winter ausdehnen. Dann
9600 übernehmen wir eine furchtbare Verantwortung. Das
9601 Verst
ändnis zwischen den Planeten steht auf dem
9603 <p>»Ich wei
ß es. Es ist der Gedanke, der mich zuerst
9604 der Bitte von Frau Torm widerstehen lie
ß, der mich in
9605 Konflikt mit mir selbst brachte. Aber gerade, weil wir nicht
9606 allwissend sind, d
ürfen wir einen solchen Umstand nicht in die
9607 Berechnung ziehen; er ist nur als Zufall zu behandeln; ich kann
9608 morgen tot sein, auch wenn ich nicht aus meinem Zimmer gehe. Ich
9609 habe mich nun einmal um Ismas willen entschlossen; was daraus wird,
9610 mu
ß ich mit meinem Gewissen abmachen. Da
ß ich nicht
9611 eigenn
ützig handle, wei
ßt du.
«</p>
9612 <p>»Sonst h
ätte dein Wunsch f
ür uns nicht
9613 existiert.
«</p>
9614 <p>»So aber, da es sich nur um Chancen des Gelingens oder
9615 Mi
ßlingens handelt, d
ürfen wir auch nicht vergessen,
9616 da
ß mit der gr
ößeren Wahrscheinlichkeit unsre
9617 Reise das Verst
ändnis zwischen den Planeten f
ördern wird.
9618 Wenn es uns gelingt, Torm zu retten, wenn er durch die Nume
9619 hierhergebracht wird, so haben wir das Zutrauen der Menschen und
9620 ihren Glauben an uns in viel h
öherem Grad gewonnen, als sie
9621 selbst durch mein Fernsein verloren werden k
önnten. Ich glaube
9622 also, da
ß wir im Interesse der Planeten selbst wirken, wenn
9623 wir Torm suchen. Dieser Grund ist mir allerdings erst jetzt
9624 eingefallen.
«</p>
9625 <p>Ill l
ächelte wieder.
»Er w
ürde auch gelten, wenn
9626 Frau Torm uns nicht begleitete. Wir gewinnen aber durch sie eine
9627 Zeugin, die uns von Nutzen sein kann. Doch gleichviel. So will ich
9628 denn einen Vorschlag machen, das
Äu
ßerste, was ich
9629 zugeben kann. Ich beurlaube dich von der Begleitung nach Rom, Paris
9630 und London. Dagegen k
ürze ich unsern Aufenthalt in Europa ab
9631 und komme von Petersburg aus nicht erst hierher zur
ück,
9632 sondern gehe sogleich von dort nach Norden. Wollt Ihr also mit, so
9633 m
üßt ihr
– wir haben heute, nach eurer
9634 Zeitrechnung
–?
«</p>
9635 <p>»Den
9. September.
«</p>
9636 <p>»Nun gut. So haltet euch bereit, im Laufe des
11.
9637 Septembers mit uns aufzubrechen.
«</p>
9638 <p>Ell sprang in die H
öhe. Er dankte Ill und sagte freudig zu
9639 Isma:
»Wir d
ürfen mit. Aber wir m
üssen
9640 übermorgen reisefertig sein.
« Und mit ernsterem Ausdruck
9641 setzte er hinzu:
»Wollen Sie nicht lieber von Ihrem Vorhaben
9642 abstehen? Sie k
önnen gewi
ß sein, da
ß die Nume
9643 alles tun werden, um Hugo aufzufinden. Bleiben Sie hier,
9645 <p>Isma stand einen Augenblick unschl
üssig. Sie sah sich in
9646 der Kaj
üte des Luftschiffes um, in welcher sie
9648 <p>Ill dr
ückte auf einen Griff. Auf beiden Seiten der
9649 Kaj
üte
öffnete sich je eine T
ür.
</p>
9650 <p>»Hier sind noch zwei Kabinen, je f
ür einen
9651 Gast
«, sagte er.
»Sie werden es etwas eng, aber sonst
9652 ganz bequem haben. Es versteht sich von selbst, da
ß ihr meine
9653 G
äste seid
«, setzte er zu Ell gewendet hinzu.
</p>
9654 <p>Isma verstand nicht seine Worte, aber seine Handbewegung. Sie
9655 streckte Ill sch
üchtern ihre Hand entgegen, die er zwischen
9656 die seinigen nahm.
</p>
9657 <p>»Ich danke Ihnen
«, sagte sie,
»von ganzem
9658 Herzen.
« Dann wandte sie sich zu Ell. Sie sah ihn mit einem
9659 Blick an, dem er nicht widerstehen konnte.
</p>
9660 <p>»O z
ürnen Sie mir nicht, mein lieber, treuer Freund.
9661 Ich werde es Ihnen nie vergessen, was Sie heute f
ür mich
9662 taten. Ich kann nicht hierbleiben, ich will hinaus. Und wenn Sie
9663 mitgehen, so danke ich ihnen, denn unter diesen Fremden allein
9664 – es ist mir alles so be
ängstigend
– und keiner
9665 versteht mich
– aber mit Ihnen
– o Ell, ich wei
ß,
9666 welches Opfer Sie mir bringen, und ich habe es nicht um Sie
9667 verdient.
«</p>
9668 <p>Mit Tr
änen in den Augen reichte sie ihm die H
ände.
</p>
9669 <p>»Also
übermorgen.
«</p>
9670 <p>»Noch eins
«, sagte Ill,
»eine Bedingung, die
9671 ich machen mu
ß. Unsere Nachforschungen werden am
12.
9672 September beginnen. Sie m
üssen aber am
20. unter allen
9673 Umst
änden aufh
ören. Sind wir bis dahin nicht
9674 gl
ücklich gewesen, so m
üssen Sie es tragen. Am Morgen des
9675 21. September setzt Sie dieses Schiff wieder hier ab. Und so Gott
9676 will, schon fr
üher und
– zu dreien.
«</p>
9677 <p>Ell
übersetzte Isma die Worte.
</p>
9678 <p>»Gott sei uns gn
ädig!
« sagte sie leise.
</p>
9679 <p>»Und wie ist es mit der Reise nach den
9680 Hauptst
ädten?
« fragte Ell.
</p>
9681 <p>»Die mache ich morgen. Ich habe es mir nach deinen Karten
9682 und Angaben schon berechnet. Die ganze Fahrt von hier nach Rom,
9683 über Paris nach London und von dort zur
ück k
önnten
9684 wir in kaum f
ünf Stunden zur
ücklegen. Wir werden uns aber
9685 viel mehr Zeit nehmen. Nur hier breche ich ungesehen auf, vor
9686 Sonnenaufgang. Denn da wir wieder hierher zur
ückkommen,
9687 w
ürde ich dir und uns die ganze Bev
ölkerung auf den Hals
9688 ziehen und vielleicht ernstliche Schwierigkeiten haben, wenn man
9689 von unserm Hiersein w
üßte. Dagegen werden wir unsere
9690 Fahrt, wenn wir erst jenseits der Alpen sind, und dann in
9691 Frankreich und England, zum Teil absichtlich langsam und
9692 m
öglichst vor aller Augen ausf
ühren. Die Menschen sollen
9693 sehen, was wir k
önnen, sie werden dann Grunthe eher glauben.
9694 Auf irgendeinem unzug
änglichen Alpengipfel werden wir einige
9695 Stunden ungest
ört Mittagsruhe halten. Paris, London,
9696 Amsterdam, Br
üssel besuchen wir im Lauf des Nachmittags und
9697 Abends. Sobald es dunkel genug ist, landen wir wieder hier. Und nun
9698 besorge deine Gesch
äfte und bereite alles vor.
«</p>
9699 <p>Ell f
ührte Isma aus dem Schiff. Sie zitterte an seinem
9701 <p>»Sie muten sich zuviel zu, liebste Freundin.
«</p>
9702 <p>»Nein, nein
«, sagte sie.
»Ich wei
ß, was
9703 ich kann. Es ist nur die ungewohnte geringe Schwere in dem Schiff
9704 – aber ich werde mich daran gew
öhnen. Es ist schon
9705 wieder besser in der freien Luft.
«</p>
9706 <p>»Ill wird es gewi
ß arrangieren k
önnen,
9707 da
ß Sie nicht immer in der Marsschwere zu sein
9708 brauchen.
«</p>
9709 <p>»Das ist ja alles gleichg
ültig. Nun will ich nur
9710 schnell nach Hause. Sie k
önnen sich denken, da
ß ich viel
9711 zu tun habe
«, sagte sie mit schwachem L
ächeln.
</p>
9712 <p>»Warten Sie, ich will einen Wagen holen lassen.
«</p>
9713 <p>»Das dauert zu lange. K
önnen Sie mich nicht hier aus
9714 dem Parkpf
örtchen lassen? Dann spare ich Weg.
«</p>
9715 <p>»Gewi
ß, ich habe den Schl
üssel hier.
«</p>
9716 <p>Ell
öffnete die kleine T
ür in der Mauer. Sie
9717 f
ührte auf einen Promenadenweg, der von den Friedauern
9718 vielfach benutzt wurde, da er zu einem beliebten Spazierort
9719 f
ührte. Es war inzwischen neun Uhr geworden.
</p>
9720 <p>Isma zog den Schleier vor das Gesicht. Noch ein herzlicher
9721 H
ändedruck, und sie schritt schnell den Weg nach der Stadt
9723 <p>Zwei Herren begegneten ihr, die sie scharf ansahen und sich dann
9724 etwas zufl
üsterten.
</p>
9725 <p>Ell war noch einen Augenblick stehen geblieben und hatte ihr
9726 nachgeblickt. Als er in die T
ür zur
ücktreten wollte,
9727 waren die beiden Spazierg
änger herangekommen.
</p>
9728 <p>»Ach, guten Morgen, Herr Doktor
«, sagte der eine mit
9729 n
äselnder Stimme.
»Was macht der Nordpol?
«</p>
9730 <p>»Schon so fr
üh interessanten Besuch gehabt?
9731 Wie?
« sagte der andere.
»Wohl sehr besorgt um den Herrn
9733 <p>Ell sah den Sprecher von oben bis unten an und drehte ihm, ohne
9734 ein Wort zu sagen, den R
ücken. Vor dem Blick Ells wich er
9735 erschrocken zur
ück, und aus
Ärger
über seine eigene
9736 Verlegenheit rief er Ell protzig nach:
</p>
9737 <p>»Na, na, man wird doch wohl fragen d
ürfen?
«</p>
9738 <p>Ell drehte sich um.
»Nein, Herr von Schnabel, was einen
9739 nichts angeht, wird man nicht fragen d
ürfen. Adieu.
«</p>
9740 <p>»Ich bitte doch, soll das vielleicht eine Zurechtweisung
9741 sein? Dann m
öchte ich allerdings noch um eine Aufkl
ärung
9743 <p>»Tun Sie, was Sie wollen
«, sagte Ell.
»Ich
9744 habe keine Zeit.
« Er schlo
ß die T
ür hinter sich
9745 und ging zu Grunthe zur
ück.
</p>
9746 <h2>24 - Die Lichtdepesche
</h2>
9747 <p>Sobald die Redaktion der ersten Berichte beendet war, begab sich
9748 Grunthe nach dem Ministerium, um seine Anwesenheit in Friedau und
9749 die vorgelegten Dokumente beglaubigen zu lassen. Von dort trug er
9750 die Depeschen sogleich nach dem Telegraphenamt. Die Beamten hatten
9751 ihn verwundert angestarrt. Einige Friedauer erkannten ihn unterwegs
9752 und versuchten, ihn auszuforschen. Aber auf alle Fragen h
üllte
9753 er sich in Schweigen, und so gelang es ihm, noch ziemlich ohne
9754 Aufsehen nach der Sternwarte zur
ückzugelangen, w
ährend
9755 sich in der Stadt bereits das Ger
ücht von der R
ückkehr
9756 der Expedition und wunderbare Fabeln von den Bewohnern des Mars
9758 <p>Noch ehe Grunthe zur
ückkehrte, erhielt Ell den Besuch eines
9759 ihm befreundeten Oberlehrers des Friedauer Gymnasiums, Dr. Wagner.
9760 Der elegant gekleidete Herr trat mit einem etwas gezwungenen
9761 L
ächeln ein und sagte, nach der ersten Begr
üßung
9762 verlegen sein Schnurrb
ärtchen drehend:
»Ich habe da
9763 einen etwas fatalen Auftrag, den ich aber nicht ablehnen konnte.
9764 Weil wir uns ja kennen, dachte ich, ich k
önnte die Sache am
9765 besten beilegen. Wei
ßt du, du hast da heute fr
üh mit dem
9766 Herrn von Schnabel
–«</p>
9767 <p>Ell machte eine abwehrende Bewegung.
</p>
9768 <p>»Na ja
«, sagte Wagner,
»es ist ein nicht sehr
9769 angenehmer Herr, h
ä, au
ßerdem so etwas
« – er
9770 klopfte mit dem Finger an die Stirn
– »seinerseits
9771 taktlos und dabei furchtbar empfindlich. Du hast ihn ja
9772 wahrscheinlich ganz mit Recht abfallen lassen, aber er f
ühlt
9773 sich von dir br
üskiert, und ich soll da eine Art von
9774 Erkl
ärung fordern.
«</p>
9775 <p>»Mit dem gr
ößten Vergn
ügen
«,
9776 erwiderte Ell l
ächelnd,
»ich habe ihm verwiesen,
9777 naseweise Bemerkungen zu machen
über Dinge, die ihn nichts
9778 angehen. Ich habe ihn vielleicht etwas schroff behandelt, aber
9779 einerseits hat er es verdient, andrerseits hatte ich den Kopf
9780 wirklich mit wichtigeren Dingen voll, als sie die Neugier von Herrn
9781 Schnabel erregen. Wenn es ihn tr
östet, so sage ihm, da
ß
9782 mir nichts ferner gelegen hat als ihn beleidigen zu
9784 <p>»Hm
– ich wei
ß nicht, ob ihm das gen
ügen
9785 wird, er verlangt, da
ß du deine
Äu
ßerungen formell
9786 zur
ücknimmst.
«</p>
9787 <p>»Ich habe nichts zur
ückzunehmen, da ich nur die
9788 Wahrheit gesagt habe, er mu
ß sich also schon an der
9789 Erkl
ärung gen
ügen lassen, da
ß ich ihn nicht
9790 beleidigen wollte. Eine Unh
öflichkeit ist noch keine
9791 Beleidigung. Wenn er sich aber seiner Fragen wegen entschuldigen
9792 will, so bin ich auch bereit, wegen der unh
öflichen Form
9793 meiner Antwort um Entschuldigung zu bitten. Ich d
ächte, die
9794 Angelegenheit w
äre erledigt.
«</p>
9795 <p>»Ich f
ürchte
«, sagte Wagner verlegen, indem er
9796 aufstand,
»es werden sich da wohl noch weitere Folgen daran
9797 kn
üpfen. Ich kenne ja deine Ansichten
über dergleichen
9798 Aff
ären, ich bin auch ganz deiner Meinung, aber, h
ä, in
9799 meiner Stellung, ich mu
ß da R
ücksichten nehmen,
9800 wei
ßt du, du wirst mir
’s also zugutehalten
– ich
9801 wollte nur vermitteln und werde ihm zureden. Wenn es nur
9802 n
ützt! Er wird dir wohl da noch einen Kartelltr
äger
9803 schicken.
«</p>
9804 <p>»Er soll sich nur die M
ühe sparen, ich w
ürde den
9805 Herrn an die Luft setzen. Aber ich danke dir f
ür deine
9806 Bem
ühung. Also, wie gesagt, erkl
äre ihm in aller Form,
9807 da
ß mir jede Absicht einer Beleidigung ferngelegen hat,
9808 da
ß ich mir aber das Recht vorbehalten m
üßte, mir
9809 unberufene Fragen zu verbitten, und er sich in bezug hierauf
9810 zun
ächst selbst zu entschuldigen h
ätte. Und nun
9811 entschuldige du auch mich, alter Freund, du wirst heute noch
9812 merkw
ürdige Dinge von mir h
ören.
«</p>
9813 <p>Wagner wollte weiter fragen, aber Ell verabschiedete sich
9814 freundschaftlich, und Wagner ging kopfsch
üttelnd ab.
</p>
9815 <p>Schon eine Stunde sp
äter
– Grunthe war eben
9816 zur
ückgekommen, und Ell wollte sich mit ihm zu Tisch setzen
9817 – Ill hatte die Einladung abgelehnt, er wollte ruhen
–,
9818 erschien der Kartelltr
äger des Herrn von Schnabel und
9819 überbrachte Ell eine Forderung.
</p>
9820 <p>Der Herr, ein junger Assessor, hatte sich seines Auftrages kaum
9821 in feierlichster Weise erledigt, als Ell ihm mit blitzenden Augen
9822 entgegentrat und ihn anfuhr:
</p>
9823 <p>»Wie k
önnen Sie sich unterstehen
«, rief er,
9824 »mich durch eine derartige Zumutung zu beleidigen? Wof
ür
9825 halten Sie mich? Bin ich ein rauflustiger Bruder Studio oder ein
9826 pflichtvergessener Narr? Ich bin ein Mann, der seine Arbeitskraft
9827 ernsten Dingen schuldet.
Übrigens bedauere ich Sie
«,
9828 sagte er milder,
»Sie haben sich jedenfalls nicht
9829 klargemacht, was Sie tun. Ich w
ünsche von der Sache nichts
9830 mehr zu h
ören.
«</p>
9831 <p>Der Assessor wollte auffahren, aber auf eine Handbewegung Ells
9832 machte er kehrt und verlie
ß das Zimmer.
</p>
9833 <p>Ell setzte sich mit Grunthe zu Tisch.
</p>
9834 <p>»Das wird auch Zeit
«, sagte er, noch etwas erregt
9835 von dem letzten Auftritt, w
ährend er seine Serviette
9836 entfaltete,
»da
ß mit diesem Unfug einmal
9837 aufger
äumt wird. Das ist so einer von den Punkten, in denen
9838 die Martier keinen Spa
ß verstehen. Ich will hoffen, da
ß
9839 es nicht zu Konflikten kommt.
«</p>
9841 <p>Im Lauf des Nachmittags wurden von allen Zeitungen, nicht
9842 blo
ß in Deutschland, sondern in ganz Europa,
9843 Extrabl
ätter ausgegeben.
</p>
9844 <p>»Neues vom Nordpol!
« – »Die Bewohner des
9845 Mars auf der Erde!
« – »In sechs Stunden vom
9847 <p>So und
ähnlich lauteten die Ausrufe auf den Stra
ßen.
9848 Man ri
ß sich die Bl
ätter aus der Hand. Vom Erl
ös
9849 f
ür dieselben h
ätte man allein eine neue
9850 Nordpolexpedition ausr
üsten k
önnen.
</p>
9851 <p>Die Bl
ätter enthielten zuerst die Depesche Torms an Isma.
9852 Sodann folgten ein knapper Bericht Grunthes
über die weiteren
9853 Erlebnisse der Expedition und kurze Angaben
über die Martier
9854 und seine Heimkehr. Endlich eine Best
ätigung der letzteren
9855 durch Ell und die Beglaubigung seitens des f
ürst- lichen
9856 Staatsministeriums in Friedau, da
ß Grunthe die im Bericht
9857 erw
ähnten Dokumente und Effekten pers
önlich vorgelegt
9859 <p>Nur eines war mit Stillschweigen
übergangen, n
ämlich
9860 da
ß sich das Luftschiff noch in Friedau befinde. Dagegen war
9861 die Abstammung Ells kurz erw
ähnt worden, weil sie dazu dienen
9862 konnte, das Unbegreifliche einigerma
ßen der menschlichen
9863 Vorstellungskraft n
äherzur
ücken.
</p>
9864 <p>Ein ausf
ührlicher schriftlicher Bericht war noch vormittags
9865 an den Reichskanzler abgegangen. Am Abend schon traf eine
9866 telegraphische Depesche ein, durch welche Grunthe und Ell ersucht
9867 wurden, sich sobald als m
öglich mit allen Beweisst
ücken
9868 pers
önlich in Berlin einzustellen. Se. Majest
ät habe
9869 sofortigen Bericht eingefordert. Eine Stunde sp
äter erhielt
9870 Grunthe ein Gl
ückwunsch-Telegramm des Kaisers, ebenso Frau
9871 Torm eine in sehr liebensw
ürdiger Form ausgesprochene
9872 Beileidsbezeugung, in welcher das Vertrauen auf die gl
ückliche
9873 Heimkehr ihres Gatten ausgedr
ückt war.
</p>
9874 <p>Von dem Augenblick an, in welchem die Extrabl
ätter
9875 ausgegeben wurden, war die Sternwarte Ells von Besuchern
9876 best
ürmt. Das L
äutwerk des Telephons kam so wenig zur
9877 Ruhe wie die T
ürklingel, und bald h
äuften sich Telegramm
9878 auf Telegramm, Gl
ückw
ünsche und Anfragen. Da dies
9879 vorauszusehen war, hatte Ell einige seiner pers
önlichen
9880 Freunde in Friedau gebeten, ihn zu unterst
ützen. Sie ordneten
9881 die Eing
änge der Depeschen und empfingen die Besuche. Ell und
9882 Grunthe lie
ßen sich nicht sehen. Beide trafen die
9883 Vorbereitungen zu ihren Reisen. Grunthe mu
ßte allein nach
9884 Berlin gehen, was ihm nicht sehr angenehm war. Ell gab ihm die
9885 fertiggestellten Manuskripte mit. Ein Berliner Verleger hatte ihm
9886 bereits telegraphisch einen hohen Preis geboten f
ür alles, was
9887 er
über die Martier schreiben wolle. Ell verlangte das
9888 Zehnfache und erhielt es sofort zugestanden, da der Verleger
9889 wu
ßte, da
ß man von London aus das Zwanzigfache geben
9890 w
ürde. Ell bestimmte das Honorar f
ür die Teilnehmer der
9892 <p>Isma hatte auf Ells Rat ihre Besorgungen sogleich am Vormittag
9893 gemacht, soweit sie dazu in die Stadt gehen mu
ßte. Denn es
9894 lie
ß sich erwarten, da
ß sie keine Ruhe mehr finden
9895 w
ürde, sobald die Nachricht bekannt geworden sei. Sie
9896 f
ühlte sich zu angegriffen, um die sich dr
ängenden
9897 Besuche anzunehmen, fand aber ebenfalls einige Freundinnen, die ihr
9898 diese M
ühe abnahmen und sich ein Vergn
ügen daraus
9899 machten, ihr spezielles Wissen immer wieder aufs neue mitzuteilen.
9900 Von ihrer Absicht, zu verreisen, sagte sie nichts. Nur ihrem
9901 M
ädchen teilte sie mit, da
ß sie in den n
ächsten
9902 Tagen auf etwa eine Woche von Friedau fortgehen w
ürde; sie
9903 konnte ihr vertrauensvoll die Wohnung
überlassen.
</p>
9904 <p>Am folgenden Tag reiste Grunthe fr
ühzeitig, bald nachdem
9905 sich das Luftschiff der Martier unbemerkt entfernt hatte, nach
9906 Berlin ab. Die Flut der Anfragen bei Ell nahm noch zu. Es kamen
9907 jetzt auch ausw
ärtige Besucher, und nicht alle durfte er
9908 abweisen. Vor dem Gittertor der Sternwarte stand den ganzen Tag
9909 über eine Menge Neugieriger und guckte in den Hof, als ob dort
9910 etwas zu sehen w
äre. Gegen Abend verlie
ß Ell durch die
9911 Parkpforte sein Grundst
ück und begab sich zu Isma, um sie zu
9912 fragen, ob er ihr noch irgendwie behilflich sein k
önne. Isma
9914 <p>»Es ist ja nur eine kurze Reise
«, sagte sie
9915 wehm
ütig l
ächelnd.
</p>
9916 <p>Man verabredete, da
ß sie am andern Morgen fr
ühzeitig
9917 an der Parkpforte sein solle. Ihren kleinen Handkoffer konnte das
9918 Dienstm
ädchen tragen.
</p>
9919 <p>Auf dem R
ückweg besorgte Ell noch einigen Proviant, den er
9920 auf Grunthes Rat mitnehmen wollte, weil die Lebensmittel der
9921 Martier f
ür den Anfang vielleicht Isma und ihm nicht zusagen
9922 w
ürden. Er nahm daher seinen Weg durch die Stadt. Hier aber
9923 heftete sich bald die Stra
ßenjugend neugierig an seine Fersen
9924 und folgte ihm auf jedem Schritt. Anf
änglich hielten die
9925 Kinder sich scheu zur
ück, dann brachte ein Witzbold das Wort
9926 auf:
»Das ist der vom Monde, der Mann vom Monde! Guck
9927 h
är,
’s kummt eener vom Monde!
« Ell beeilte sich,
9928 nach Hause zu gelangen. Er nahm sich nicht Zeit, eines der
9929 Extrabl
ätter zu kaufen, zu denen sich das
›Friedauer
9930 Intelligenzblatt
‹ in Ermangelung einer Abendausgabe
9931 aufgerafft hatte.
</p>
9932 <p>Das Extrablatt brachte bereits einen Bericht
über den
9933 Empfang Grunthes beim Reichskanzler, der indessen offenbar der
9934 Phantasie eines Berliner Korrespondenten entsprungen war. Dann aber
9935 enthielt es Depeschen aus Rom, Florenz, von der meteorologischen
9936 Station des Montblanc, aus Paris und London
über die
9937 Beobachtung eines Luftschiffs. Das Luftschiff war zuerst in Rom
9938 wahrgenommen worden, wo es am Morgen schon um sieben Uhr
9939 auftauchte, die Stadt umkreiste und nach allen Richtungen hin
9940 überflog. Es entfernte sich nach einer Stunde, wurde im Laufe
9941 des Vormittags noch in verschiedenen italienischen St
ädten
9942 gesehen, um
11 Uhr umflog es in unmittelbarer N
ähe die Spitze
9943 des Montblanc, so da
ß die anwesenden Touristen die Bemannung
9944 des Fahrzeugs erkennen konnten. In Paris und London waren diese
9945 Nachrichten schon durch Extrabl
ätter bekanntgegeben, man
9946 achtete also am Nachmittag gespannt darauf, ob sich das Schiff
9947 zeigen w
ürde. Alsbald verbreitete sich in Paris das
9948 Ger
ücht, das Luftschiff sei eine Erfindung der Preu
ßen
9949 und speziell dazu bestimmt, die Befestigungen von Paris
9950 auszukundschaften. In der Tat erschien das Luftschiff um
3 Uhr
9951 nachmittags am Horizont und umkreiste in langsamem Segelflug die
9952 Forts im S
üdosten der Stadt. Man wurde unruhig und l
öste
9953 einen Warnungsschu
ß. Darauf stieg das Schiff etwas h
öher
9954 und umflog nun den ganzen Kreis von Befestigungen, aber auf der
9955 inneren Seite nach der Stadt zu, so da
ß man ihm nichts
9956 anhaben konnte, ohne die Stadt selbst zu gef
ährden. Um
9957 f
ünf Uhr scho
ß es in die H
öhe und erschien eine
9958 halbe Stunde sp
äter in London. Es
überschritt die Themse
9959 bei Greenwich, zog dann in einem weiten Halbkreis n
ördlich um
9960 die Stadt, wandte sich am Hyde Park wieder nach Osten und kreuzte
9961 über dem H
äusermeer. Auf allen freien Pl
ätzen
9962 standen dichtgedr
ängte Volksmassen, welche mit T
üchern
9963 winkten und Hurra schrien. B
öllersch
üsse wurden
9964 gel
öst, und die Schiffe auf dem Flu
ß hi
ßten ihre
9965 Flaggen. Das Luftschiff aber k
ümmerte sich um nichts. Sobald
9966 die Sonne sich zum Untergang neigte, zog es die Fl
ügel ein und
9967 stieg senkrecht so hoch in die L
üfte, da
ß es den Blicken
9968 entschwand, und man nicht angeben konnte, wohin es sich gewendet
9970 <p>Um zehn Uhr abends senkte sich eine dunkle Masse langsam auf den
9971 Garten der Sternwarte von Friedau.
</p>
9972 <p>Es war zwischen zwei und drei Uhr nachts, als Ell davon
9973 erwachte, da
ß die Sonne hell in sein nach Norden gelegenes
9974 Schlafzimmer hineinschien. Verwirrt richtete er sich auf, aber ehe
9975 er bis an das Fenster gelangte, war die Erscheinung verschwunden.
9976 Die Nacht war nur vom matten Schimmer des aufgehenden Mondes
9977 erhellt. Pl
ötzlich aber leuchtete ein beschr
änkter Bezirk
9978 der Landschaft wieder im Sonnenlicht, und diese erhellte Stelle
9979 ver
änderte ihren Ort, in gerader Linie von Norden nach
9980 S
üden laufend, bis sie den Garten der Sternwarte, jetzt etwas
9981 westlich vom Haus, wieder erreichte. Da die Richtung des in der
9982 Luft deutlich erkennbaren Lichtstreifens unter einer Neigung von
9983 etwa
24 Grad direkt nach Norden lief, so war es Ell sofort klar,
9984 da
ß man die Gegend von der Ringstation der Martier aus mit
9985 einem riesigen Reflektor systematisch absuchte. Denn dieser Punkt
9986 lag f
ür die Friedauer Warte in einer H
öhe von
23 Grad
56
9987 Minuten. Ell kleidete sich daher schleunigst an und begab sich nach
9988 dem Garten, wo das Luftschiff lag.
</p>
9989 <p>Er bemerkte, da
ß das Schiff seine Lage ver
ändert
9990 hatte. Es befand sich jetzt auf der S
üdseite des
9991 ger
äumigen Rasenplatzes, so da
ß der Blick nach Norden
9992 über die B
äume freier wurde und die Spitzen derselben
9993 tiefer als
24 Grad lagen. Als er auf den Platz trat, war das Schiff
9994 und die s
üdliche Baumwand so stark von der Sonne beleuchtet,
9995 da
ß er geblendet wurde. Aber noch hatte er das Schiff nicht
9996 erreicht, als das Licht verschwand. Sein Weg wurde jetzt nur durch
9997 den schwachen Schein einer Lampe aus dem Innern des Fahrzeugs
9999 <p>Ill war damit besch
äftigt, einen Ell unbekannten Apparat
10000 einzustellen. Ein Offizier des Schiffes war ihm dabei
10002 <p>»Entschuldige, wenn ich st
öre
«, sagte Ell,
10003 »aber ich glaubte bemerkt zu haben, da
ß man Zeichen von
10004 der Au
ßenstation gibt.
«</p>
10005 <p>»Es ist so
«, sagte Ill,
»und sie haben uns
10006 jetzt gefunden. Es mu
ß etwas Wichtiges passiert sein. Nimm
10007 Platz und gedulde dich ein wenig. Wir werden sogleich die
10008 Unterhaltung beginnen k
önnen. Die Verbindung ist bereits
10009 optisch hergestellt, wir m
üssen jetzt langwellige unsichtbare
10010 Strahlen anwenden, um telephonieren zu k
önnen.
«</p>
10011 <p>Ell fragte erstaunt:
»Telephonieren? Du willst mit der
10012 Station sprechen?
«</p>
10013 <p>»Ja
«, sagte Ill,
»vermittels der Strahlen.
10014 Aber es mu
ß nun vollst
ändige Ruhe herrschen.
«</p>
10015 <p>Ell setzte sich still in den Hintergrund. Eine Hoffnung stieg in
10016 ihm auf. Sollte man vielleicht Torm gefunden haben?
</p>
10017 <p>Ill brachte sein Ohr an den Apparat. Ell vermochte nichts zu
10018 h
ören, auch was Ill sprach, konnte er nicht vernehmen, da es
10019 ganz leise in den telephonischen Apparat gesprochen wurde.
</p>
10020 <p>Etwa eine halbe Stunde mochte so vergangen sein. Dann wendete
10021 sich Ill zu seinem Neffen.
</p>
10022 <p>»Wir m
üssen unsern Aufbruch aufs m
öglichste
10023 beschleunigen
«, sagte er.
»Meine Anwesenheit auf der
10024 Insel ist dringend erforderlich, voraussichtlich unsere
10026 <p>»Was ist geschehen? Keine Nachricht von Torm?
«</p>
10027 <p>»Bis jetzt nicht. Ich sagte dir bereits, da
ß wir
10028 noch ein kleineres Luftboot in Betrieb setzen wollten. Das ist
10029 geschehen. Es bedarf nur vier Mann zur Besatzung, kann aber auch
10030 nur die halbe Geschwindigkeit im Mittel erreichen wie hier unser
10031 Luftschiff. F
ür die Fahrten im Polargebiet hat es sich jedoch,
10032 wie ich eben erfahre, als sehr geeignet erwiesen. Die Unsern sind
10033 damit in drei Stunden bis zum
80. Breitengrad nach S
üden
10034 gelangt. Mit diesem Boot sind die Nachforschungen nach Torm
10035 aufgenommen worden. Und bei dieser Gelegenheit ist es zu dem
10036 unangenehmen Zwischenfall gekommen, der meine sofortige
10037 R
ückkehr erfordert.
«</p>
10038 <p>»Ein Ungl
ücksfall?
«</p>
10039 <p>»Ein Konflikt mit einem europ
äischen
10040 Kriegsschiff.
«</p>
10041 <p>»Nicht m
öglich! Wo?
«</p>
10042 <p>»Auf
81 Grad Breite,
294 Grad L
änge ungef
ähr.
10043 Infolge eines Mi
ßverst
ändnisses jedenfalls
– ich
10044 sehe darin noch nicht ganz klar
– sind unsre Leute am festen
10045 Land, w
ährend sie verungl
ückten Matrosen des
10046 Kriegsschiffs Hilfe zu bringen versuchten, von anderen
10047 überfallen worden. Zwei gerieten in Gefangenschaft der
10048 Menschen, die beiden anderen konnten auf dem Luftboot entfliehen.
10049 Das Boot selbst ist beschossen worden und scheint dabei gelitten zu
10050 haben. Ich mu
ß also mit unserm Schiff hin, um auf jeden Fall
10051 die beiden Leute zur
ückzuholen. Und so bleibt gar nichts
10052 übrig, du mu
ßt dich sogleich aufmachen und versuchen,
10053 Frau Torm zu wecken und hierherzubringen, wenn sie dabei beharrt,
10054 uns zu begleiten. Gr
ößte Eile tut not. Wir machen
10055 inzwischen unser Schiff klar.
«</p>
10056 <p>Es war f
ür Ell eine recht peinliche Aufgabe, mitten in der
10057 Nacht und m
öglichst ohne Aufsehen zu erregen Isma zur Reise
10058 nach dem Nordpol abzuholen. Doch es mu
ßte geschehen.
10059 Schlie
ßlich kam es jetzt schon nicht mehr darauf an, ob sich
10060 die b
ösen Zungen von Friedau noch etwas mehr aufregten.
</p>
10061 <p>Isma, die in dieser Zeit stets gefa
ßt war, durch eine
10062 Nachricht aus dem Schlaf geweckt zu werden, eilte ans Fenster, als
10063 Ell die Hausklingel ert
önen lie
ß. Sie erkannte Ell.
10064 Wenige Worte gen
ügten zur Verst
ändigung. Eine halbe
10065 Stunde sp
äter verlie
ß sie das Haus, ohne da
ß ihr
10066 M
ädchen, das auf der andern Seite der Wohnung schlief, erwacht
10067 w
äre. Ein paar Worte, die Isma auf einem Zettel
10068 zur
ücklie
ß, besagten nur, da
ß sie ihre Reise
10069 unerwartet schnell h
ätte antreten m
üssen. Aus der
10070 Dunkelheit tauchte Ell neben ihr auf und nahm ihr den Handkoffer
10071 ab. Ein verschlafener Nachtw
ächter sah ihnen verwundert
10073 <p>In tiefer Ruhe, wie ausgestorben lag die Stadt Friedau, als im
10074 ersten Grauen der Morgend
ämmerung das Luftschiff der Martier
10075 sich erhob, um alsbald mit der gr
ößten Anspannung seiner
10076 Maschine sich durch die H
öhen des Luftmeers nach Norden zu
10078 <h2>25 - Engl
änder und Martier
</h2>
10079 <p>Das englische Kanonenboot
›Prevention
‹ hatte den
10080 Auftrag, die im Interesse der Polarforschung angelegten Depots im
10081 Smith-Sund und weiter nach Norden, soweit es die
10082 Eisverh
ältnisse ohne Gef
ährdung des Schiffes gestatteten,
10083 zu revidieren und zu vermehren. Kapit
än Keswick traf die Lage
10084 sehr g
ünstig. Die Kane-Bai war in ihrer Mitte v
öllig
10085 eisfrei, sie wurde in rascher Fahrt passiert, die
10086 ›Prevention
‹ dampfte in den Kennedy- Kanal hinein und
10087 drang ohne Schwierigkeiten bis
über
80,
7 Grad Breite vor; hier
10088 legte sie sich an einer g
ünstigen Stelle vor Anker und
10089 schickte ein Boot zur Aufsuchung eines passenden Ortes aus, um an
10090 dem felsigen Ufer eine Niederlage von
3.600 Rationen zu errichten.
10091 Man fand in einer kleinen Bucht eine nat
ürliche
10092 Felsenh
öhle, in welcher die Vorr
äte sicher geborgen
10093 werden konnten. W
ährend die Bemannung des Bootes zum
10094 gr
ößten Teile mit dieser Arbeit besch
äftigt war,
10095 erstieg Leutnant Prim mit zwei Matrosen den H
ügel
über
10096 der H
öhle, um dort als Signal einen Cairn zu errichten. Die
10097 Spitze des H
ügels sah auf eine breite, teilweise mit Eis
10098 bedeckte Ebene, so da
ß der Cairn auf weithin, sowohl vom Land
10099 als vom Wasser aus, zu sehen sein mu
ßte. Denn dieser zu
10100 errichtende
›Steinmann
‹ sollte dazu dienen, in seinem
10101 Innern die Dokumente aufzunehmen, welche die Lage der in der
10102 Umgegend niedergelegten Depots bezeichneten, er mu
ßte daher
10103 einen Platz erhalten, wo er f
ür etwa hierher vordringende
10104 Reisende auf weithin wahrgenommen werden konnte. Der Steinmann war
10105 soweit fertig, da
ß der Offizier die Blechb
üchse mit den
10106 Papieren darin deponieren konnte, und die Matrosen waren damit
10107 besch
äftigt, den Bau zu schlie
ßen und noch mehr zu
10108 erh
öhen. Als Leutnant Prim inzwischen auf dem H
ügel
10109 herumkletterte, bemerkte er in der Ferne einige dunkle Punkte, die
10110 er alsbald als weidende Moschusochsen erkannte. Sie zogen nach
10111 S
üden und n
äherten sich langsam seinem Standpunkt.
10112 Alsbald war die Jagdlust in ihm erwacht, er ergriff eines der
10113 mitgebrachten Gewehre und bedeutete seine Leute, ihre Arbeit zu
10114 vollenden und ihm dann nachzukommen. Er hoffte rasch einen guten
10115 Schu
ß tun zu k
önnen. Bald war er hinter einigen
10116 Felsvorspr
üngen verschwunden.
</p>
10117 <p>Die Matrosen schlenderten ebenfalls in der Umgebung umher, um
10118 noch einige gro
ße Steine aufzusuchen, als sie im Norden,
10119 rechts von der Seite, wohin der Offizier, nur die Moschusochsen im
10120 Auge haltend, gegangen war, einen dunklen Punkt
über dem
10121 Horizont auftauchen sahen. Derselbe nahm schnell an
10122 Gr
öße zu und erwies sich zu ihrem nicht geringen
10123 Erstaunen als ein riesiger Vogel, der seinen Flug mit gro
ßer
10124 Geschwindigkeit direkt auf sie zu nahm. Eine Weile standen sie
10125 still und starrten auf die merkw
ürdige Erscheinung. Dann
10126 liefen sie nach dem Cairn zur
ück, um ihre Gewehre zu holen. Da
10127 sich das r
ätselhafte Tier bereits stark gen
ähert hatte,
10128 ergriff sie Furcht, und sie zogen es vor, so schnell wie
10129 m
öglich den H
ügel hinabzulaufen, um Zuflucht bei ihren
10130 Gef
ährten zu finden. Zwischen den Felstr
ümmern, von Zeit
10131 zu Zeit nach dem Ungeheuer sich umblickend, das sich jetzt in
10132 weitem Bogen nach dem Steinmann hin zu senken schien, verfehlten
10133 sie jedoch die Richtung und kamen an eine mit Eis gef
üllte,
10134 steil abfallende Schlucht. Pl
ötzlich stie
ß der
10135 Vorangehende einen Schrei aus. Er hatte auf dem steilen Abhang
10136 einen Fehltritt getan und st
ürzte, auf die Felsvorspr
ünge
10137 aufschlagend, in die Schlucht. Sein Gef
ährte blickte ihm mit
10138 Entsetzen nach und wollte den Versuch machen, zu ihm
10139 hinabzuklettern. Mit den H
änden sich anklammernd, lie
ß
10140 er sich eben auf einen tiefer liegenden Felsen nieder, als
10141 pl
ötzlich
über ihm der gl
änzende Leib des
10142 Riesenvogels mit eingezogenen Fl
ügeln erschien. Er bebte in
10143 abergl
äubischer Furcht, seine Glieder zitterten, er vermochte
10144 sich nicht l
änger zu halten und st
ürzte ebenfalls in die
10146 <p>Kaum hatten die vier Martier in dem vom Pol herkommenden
10147 Luftboot, das die Matrosen f
ür ein Luftungeheuer gehalten
10148 hatten, das Ungl
ück erkannt, das sie durch ihr Erscheinen
10149 unschuldigerweise angerichtet hatten, als sie das Luftboot langsam
10150 und vorsichtig sich in die Schlucht hinabsenken lie
ßen. Bald
10151 hatten sie die K
örper der Ungl
ücklichen erreicht.
10152 Blut
überstr
ömt lagen sie vor ihnen. Obgleich keine
10153 Hoffnung war, die Menschen ins Leben zur
ückzurufen, wollten
10154 sie doch ihre Leichen nicht in der Schlucht liegen lassen. Da es
10155 unzweckm
äßig war, sie in das Boot hineinzunehmen, legten
10156 sie die Verungl
ückten in das Netz, das sich unter ihrem Boot
10157 ausspannen lie
ß. Dann erhoben sie sich mit ihnen und
10158 dirigierten das Boot nach der Spitze des H
ügels. Sie
10159 überzeugten sich hier, da
ß beide Menschen tot seien. Sie
10160 legten sie am Fu
ße des Cairn nieder und brachten dann ihr
10161 Luftboot in eine gesicherte Lage in der N
ähe. Zwei von ihnen
10162 blieben im Boot zur
ück, w
ährend die beiden andern noch
10163 einmal nach dem Steinmann zur
ückgingen, um ihn n
äher zu
10164 untersuchen. Die
Öffnung war noch nicht vermauert, und sie
10165 entdeckten bald die B
üchse mit den Dokumenten. Sie
10166 öffneten diese und musterten den ihnen unverst
ändlichen
10167 Inhalt. W
ährend sie hiermit besch
äftigt waren, kehrte
10168 Leutnant Prim zur
ück. Das Boot der Martier konnte er von
10169 seinem Standpunkt aus nicht sehen, auch hatte er es vorher, nur auf
10170 das Wild und seinen Weg achtend, nicht wahr genommen. Jetzt
10171 erblickte er zwei fremde, seltsam gekleidete M
änner, die sich
10172 seiner Papiere bem
ächtigt hatten. Und neben ihnen
–
10173 entsetzt wich er zur
ück
– lagen die beiden Matrosen,
10174 entseelt, mit blutigen, zerschmetterten Stirnen. Er konnte nicht
10175 anders glauben, als da
ß er ihre M
örder vor sich habe. Er
10176 ri
ß das Gewehr in die H
öhe und rief sie an.
</p>
10177 <p>Die Martier blickten erstaunt empor. Sie deuteten auf die
10178 verungl
ückten Matrosen und riefen Prim zu, da
ß sie sie
10179 aus der Schlucht herausgebracht h
ätten. Er dagegen befahl
10180 ihnen, die Papiere hinzulegen und sich zu ergeben. Nat
ürlich
10181 verstanden sie sich gegenseitig nicht. Noch einige Rufe hin und
10182 her, ohne da
ß die Martier Miene machten, sich
10183 zur
ückzuziehen, wie es Prim verlangte, da knallte sein Gewehr,
10184 und die Kugel durchbohrte die blecherne B
üchse, welche der
10185 eine der Martier in der Hand hielt. Ein zweiter Schu
ß aus dem
10186 Repetiergewehr folgte sofort, aber der Martier hatte sich bereits
10187 beiseite geworfen, die Kugel ging fehl. Im n
ächsten Augenblick
10188 lie
ß Prim das Gewehr machtlos aus der Hand fallen. Er war
10189 nicht verwundet, aber die Hand war gel
ähmt, er konnte sie
10190 nicht bewegen. Der andere Martier hatte mit seinem Telelyt-Revolver
10191 die motorischen Nerven der Hand gel
ähmt.
</p>
10192 <p>Inzwischen hatten die mit der Hinterlegung des Depots
10193 besch
äftigten Mannschaften ihre Arbeit beendet. Die im Boot
10194 zur
ückgelassene Wache war auf das Erscheinen des Luftboots,
10195 das jedoch bald wieder durch die Felsh
öhe
über ihnen
10196 verdeckt wurde, aufmerksam geworden und hatte die
übrigen
10197 Seeleute verst
ändigt. Diese machten sich sofort unter
10198 F
ührung eines Unteroffiziers daran, den H
ügel zu
10199 ersteigen. Da ert
önten die beiden Sch
üsse, welche ihre
10200 Schritte beschleunigten. Im Augenblick darauf rannten sie mit
10201 Geschrei auf den Gipfel des H
ügels zu. Prim, der sich von
10202 seiner augenblicklichen Verwirrung erholt hatte, ri
ß mit der
10203 linken Hand seinen Revolver aus dem G
ürtel und st
ürzte
10204 auf die Martier zu, indem er rief:
»Hierher, Leute, hier sind
10205 die M
örder! Fa
ßt sie!
«</p>
10206 <p>Der Martier erhob aufs neue seine Waffe
– sein Begleiter
10207 war unbewaffnet
–, und auch der Revolver entfiel dem Offizier
10208 – er konnte seine linke Hand ebenfalls nicht mehr bewegen.
10209 Gleichzeitig aber wurde der Martier durch einen Sto
ß in den
10210 R
ücken niedergeworfen. Die Matrosen waren im Sturmlauf
10211 herangekommen. Im Handgemenge waren die Martier ohnm
ächtig.
10212 Sie wu
ßten dies und machten daher auch keinen weiteren
10213 Versuch, sich zu wehren. Auf den Befehl des w
ütend gewordenen
10214 Offiziers wurden sie gefesselt, und die Matrosen trieben sie mit
10215 Faustst
ößen vor sich her, um sie in das Boot zu
10217 <p>Die Sch
üsse und das nachfolgende Geschrei hatten die beiden
10218 im Boot zur
ückgebliebenen Martier aufmerksam gemacht; da sie
10219 aber nicht schnell genug
über die Felsen h
ätten klettern
10220 k
önnen, die sie vom Schauplatz des Kampfes trennten,
10221 lie
ßen sie das Luftboot so weit aufsteigen, da
ß sie
10222 beobachten konnten, was geschehen. Sobald sie ihre Kameraden
10223 gefangen sahen, versuchten sie, ihnen mit dem Luftboot zu Hilfe zu
10224 kommen. Aber kaum n
äherte sich dieses, als die Engl
änder
10225 ein Schnellfeuer er
öffneten. Die Geschosse drangen in die
10226 Rob-W
ände des Bootes ein, und wenn sie dieselben auch nicht
10227 durchschlugen, so lag doch die Gefahr nahe, da
ß sie Stellen
10228 trafen, an denen der feine Mechanismus des Steuerapparates
10229 besch
ädigt werden konnte. Die Martier stiegen daher mit ihrem
10230 Boot schleunigst so hoch, da
ß sie von den Kugeln nicht mehr
10231 gef
ährdet waren, und
überlegten, was zu tun sei. Sie
10232 besa
ßen zwei Telelytgewehre, mit denen sie imstande gewesen
10233 w
ären, aus sicherer Entfernung die ganze Mannschaft zu
10234 vernichten oder wehrlos zu machen, um dann ihre Kameraden zu
10235 befreien. Aber da sie sowohl selbst, der Luftstr
ömung wegen,
10236 nicht v
öllig ruhig liegen konnten, und auch die Gefangenen
10237 mitten zwischen den Matrosen in Bewegung waren, konnten sie aus so
10238 gro
ßer Entfernung nicht auf ein sicheres Zielen und genau
10239 berechenbare Wirkung vertrauen. W
ährend sie z
ögerten,
10240 wurden ihre Kameraden in das Boot gebracht, das sich mit schnellen
10241 Ruderschl
ägen vom Ufer entfernte. Sie folgten ihm in der
10242 H
öhe und sahen bald das Kriegsschiff in der Ferne. Als sie
10243 dieses nun in schnellem Flug erreichen und umkreisen wollten,
10244 bemerkten sie zu ihrem Schrecken, da
ß der Mechanismus des
10245 Steuerruders nicht mehr v
öllig funktionierte. Sie konnten ihr
10246 Boot nur langsam und in beschr
änkter Weise lenken. Unter
10247 diesen Umst
änden beschlossen sie, so schnell wie m
öglich
10248 nach der Insel am Pol zur
ückzukehren. Sie brauchten dazu die
10249 doppelte Zeit wie gew
öhnlich. Von hier aus wurde nach der
10250 Au
ßenstation gesprochen, von der aus es m
öglich war, Ill
10251 mit seinem gr
ößeren Luftschiff, das zur Verteidigung wie
10252 zum Angriff mit Repulsitgesch
ützen ausger
üstet war, zur
10253 Hilfe herbeizurufen.
</p>
10254 <p>Kapit
än Keswick scheitelte bedenklich den Kopf zum Bericht
10255 des Leutnants Prim, der es
übrigens nicht f
ür n
ötig
10256 hielt, sich
über seinen mi
ßgl
ückten Jagdversuch
10257 n
äher auszulassen. Keswick konnte sich nicht recht vorstellen,
10258 wie diese beiden M
änner, die sich offenbar nur mit M
ühe
10259 aufrecht zu erhalten vermochten, ohne Waffen die harten K
öpfe
10260 seiner Matrosen h
ätten zerschlagen k
önnen. Noch mehr
10261 freilich wunderte ihn die L
ähmung der H
ände seines
10262 Leutnants. Eine n
ähere Untersuchung erforderte aber vor allem,
10263 da
ß mit den beiden Fremdlingen ein Verh
ör angestellt
10264 wurde. Diese indessen sprachen kein Wort.
</p>
10265 <p>Keswick trat zu ihnen und betrachtete sie n
äher. Er redete
10266 sie auf englisch und franz
ösisch an und auch in der einzigen
10267 Sprache, von der er noch etwas wu
ßte, auf chinesisch. Sie
10268 verstanden ihn offenbar nicht. Aber sie
öffneten jetzt zum
10269 erstenmal ihre bisher halb geschlossen gehaltenen Augen. Finster
10270 blickten sie auf ihre Fesseln und richteten dann ihre Augen voll
10271 auf den Kapit
än. Es lag nichts Feindseliges in diesem Blick,
10272 aber ein tiefer Vorwurf und zugleich ein m
ächtiger Stolz.
10273 Unwillk
ürlich wich Keswick zur
ück. Auch die
10274 herumstehenden Offiziere und Matrosen f
ühlten sich seltsam
10276 <p>»Nehmen Sie den Leuten die Fesseln ab
«, sagte der
10277 Kapit
än.
»Das ist hier nicht n
ötig. Und behandeln
10278 Sie sie anst
ändig.
«</p>
10279 <p>Sobald die Stricke entfernt waren, begann der
ältere der
10280 Martier zu sprechen. Obgleich der Kapit
än kein Wort verstand,
10281 machte die Rede doch den Eindruck, da
ß er hier etwas noch nie
10282 Vorgekommenes und Unerkl
ärliches erfahre. Er wu
ßte
10283 nichts zu tun, als die Achseln zu zucken.
</p>
10284 <p>»In dieser Sache entscheide ich nicht allein
«, sagte
10285 er dann zu seinem ersten Offizier.
»Die Geschichte mit dem
10286 Luftschiff ist zu r
ätselhaft. H
ätten wir nicht selbst in
10287 der Ferne so ein Ding gesehen, ich w
ürde nichts glauben. Die
10288 Leute sehen nicht aus, als ob sie von der Erde stammten. Und
10289 verstehen kann man sie nicht. Ich nehme sie mit nach England. Wir
10290 sind
überdies hier mit unserer Aufgabe fertig.
«</p>
10291 <p>Die
›Prevention
‹ machte Dampf auf und steuerte
10292 nach S
üden.
</p>
10294 <p>Mit rasender Geschwindigkeit jagte Ills Luftschiff in einer
10295 H
öhe von zw
ölf Kilometern
über das europ
äische
10296 Nordmeer, der K
üste Gr
önlands entgegen. Im Osten
10297 gl
änzten schillernde Nebensonnen, w
ährend das
10298 Tagesgestirn selbst unterm Horizont blieb. Denn die Fahrt war nach
10299 Nordwesten gerichtet, und die aufgehende Sonne konnte das
10300 Luftschiff nicht einholen. Ein ewiger D
ämmerschein erleuchtete
10301 die unter leichtem Cirrusgew
ölk lagernde Meeresflut, da
ß
10302 sie wie eine ungeheure Schale von dunklem, mit lichten Streifen
10303 durchzogenem Marmor schimmerte. Still war
’s ringsum. Nur das
10304 gleichm
äßige Zischen des Reaktionsapparats und das
10305 Pfeifen der durchschnittenen Luft um den zusammengepre
ßten
10306 Robpanzer des Schiffes lie
ß seine eint
önige Weise
10308 <p>»Luftdruck
170 Millimeter.
« Ell las die Angabe an
10309 seinem eigenen Barometer ab. Er warf einen nachdenklichen Blick auf
10310 die Wand, hinter welcher Isma schlummerte. Ill hatte dort selbst
10311 aufs umsichtigste f
ür ihr Wohlbefinden gesorgt.
</p>
10312 <p>»Schlafen Sie
«, hatte er gesagt.
»Sie
10313 m
üssen jetzt Ruhe haben. Wenn wir in die hohen Breiten
10314 gekommen sind, werden wir unseren Flug m
äßigen und in
10315 die N
ähe der Erdoberfl
äche hinabsteigen. Dann wollen wir
10316 Sie wecken.
«</p>
10317 <p>In einen warmen Pelz geh
üllt ruhte Isma in ihrer
10318 H
ängematte.
Über Mund und Nase schlo
ß sich die
10319 weiche Maske, die mit dem Ventil des Sauerstoffapparats verbunden
10320 war, um ihr Handgelenk war ein elastischer Ring gelegt, der ihren
10321 Pulsschlag auf ein Me
ßinstrument
übertrug. An der
10322 Au
ßenwand ihrer Kabine, die Ell jetzt beobachtete, zeigten
10323 zwei Zifferbl
ätter den Gang, die Frequenz und die St
ärke
10324 der Atmung und des Pulses.
»Vollst
ändig normal
«,
10325 sagte Ill l
ächelnd, der Ells Augen gefolgt war. Dann blickte
10326 er wieder auf die Orientierungsscheibe. Der Projektionsapparat,
10327 welcher auf der Unterseite des Schiffes angebracht war, bildete auf
10328 der Scheibe die
überflogene Gegend ab.
</p>
10329 <p>»Im Nordwesten taucht die K
üste auf
«, begann
10330 Ill wieder.
»Es ist die Gegend, die auf euren Karten als
10331 ›K
önig-Wilhelms- Land
‹ bezeichnet ist. Noch eine
10332 Stunde, bis das Festlandeis
überflogen ist, dann wollen wir
10333 hinabsteigen. So lange la
ß sie nur schlummern.
«</p>
10334 <p>»Ich denke
«, sagte Ell,
»da
ß wir das
10335 Schiff im Kennedy-Kanal oder in der Kane-Bai treffen. Ich bin nur
10336 neugierig, was es f
ür ein Landsmann ist.
«</p>
10337 <p>»Unser Feind, leider
«, sagte Ill ernst,
»wer
10338 es auch sei.
«</p>
10339 <p>Ill war l
ängere Zeit schwankend gewesen, ob er zuerst nach
10340 dem Pol fahren solle, um noch n
ähere Erkundigungen
10341 einzuziehen, oder ob er besser t
äte, direkt das Kriegsschiff
10342 aufzusuchen. Er entschlo
ß sich f
ür das Letztere. Denn
10343 jede Minute konnte kostbar sein, jede mu
ßte die Leiden der
10344 Nume verl
ängern, jede konnte ihr Leben gef
ährden. Dazu
10345 stand die Wichtigkeit dessen, was er am Pol erfahren konnte, in
10346 keinem Verh
ältnis, selbst eine genauere Ortsangabe f
ür
10347 den Schauplatz des Ereignisses h
ätte nichts ihm gen
ützt.
10348 Es waren seitdem
über zw
ölf Stunden vergangen, und das
10349 Schiff konnte inzwischen seinen Ort um hundert und mehr Kilometer
10350 ver
ändert haben. Er durfte darauf rechnen, von seinem
10351 Luftschiff aus die Fahrstra
ße in jenen Gegenden
10352 verh
ältnism
äßig schnell zu durchforschen. Schwere
10353 Bedenken erregte ihm die Frage, wie er verfahren solle, wenn man
10354 ihm die friedliche Herausgabe der Martier verweigere. Zwar
10355 besa
ß er die Mittel, selbst ein m
ächtiges Kriegsschiff
10356 zu vernichten. Aber dazu h
ätte er sich nie entschlie
ßen
10357 k
önnen, es sei denn, wenn er die eigene Existenz nicht anders
10358 retten konnte. Mu
ßte er Gewalt anwenden, so sollte es nur so
10359 geschehen, da
ß die Menschen doch nachtr
äglich imstande
10360 waren, mit ihrem Schiff in ihre Heimat zur
ückzukehren. Ob es
10361 aber m
öglich sein w
ürde, bei den Menschen etwas
10362 durchzusetzen, ohne sie zuvor schwer zu sch
ädigen, das war die
10363 Sorge, die Ill besch
äftigte. Er mu
ßte die
10364 schlie
ßliche Entscheidung den Verh
ältnissen
10365 überlassen, wie der Augenblick sie bieten w
ürde.
</p>
10366 <p>Nach einer Stunde war das ewige Eis des gr
önl
ändischen
10367 Festlands
überflogen. Die weiten Felder des Humboldtgletschers
10368 senkten sich zum Meer hinab. Das Luftschiff m
äßigte
10369 seinen Flug und stieg abw
ärts, so schnell es die
10370 R
ücksicht auf die Insassen gestattete, die sich an den
10371 h
öheren Luftdruck erst gew
öhnen mu
ßten. Jetzt war
10372 die H
öhe von
1.500 Metern erreicht.
</p>
10373 <p>Ill schob leise die T
ür zu Ismas Schlafraum beiseite und
10374 entfernte die Maske von ihrem Gesicht. Sie erwachte und schaute
10375 sich erstaunt um. Er l
öste den Ring von ihrem Handgelenk und
10376 sagte ihr, da
ß sie jetzt, falls sie es w
ünsche, sich
10377 erheben k
önne. Darauf entfernte er sich und zog die T
ür
10379 <p>Wenige Minuten darauf trat Isma in die Kaj
üte. Ihre Wangen
10380 waren ger
ötet. Verlegen blickte sie umher.
</p>
10381 <p>»Wo sind wir?
« fragte sie.
</p>
10382 <p>»An der Westk
üste von Gr
önland, auf dem
80. Grad
10383 n
ördlicher Breite
«, sagte Ell, ihr die Hand reichend.
10384 Sie lie
ß sich auf einen Sessel fallen und bedeckte die Augen
10385 mit den H
änden. Sie schwieg lange.
</p>
10386 <p>»Lassen Sie mich sehen
«, sagte sie dann.
</p>
10387 <p>Man trat aus der Kaj
üte in das Schiff. Die seitlichen
10388 Fenster waren jetzt teilweise ge
öffnet. Man konnte
10390 <p>Ein farbenpr
ächtiges Nordlicht entsandte seine zuckenden
10391 Strahlen
über das Firmament, w
ährend im Nordosten die
10392 Morgend
ämmerung ihren bleichen Schein entfaltete. Tief unten,
10393 in undeutlichen Reflexen schimmernd, erstreckten sich die
10394 zerrissenen Eismassen des Humboldtgletschers, der als eine
10395 Riesenmauer von Eis
über dem Meer abbrach. Am westlichen
10396 Horizont erhob sich wie eine dunkle Wand der eisfreie Meeresspiegel
10398 <p>Isma stand lange in den
überw
ältigenden Anblick
10400 <p>»Es ist ja noch Nacht?
« sagte sie dann fragend.
10401 »Wie sp
ät ist es denn?
«</p>
10402 <p>»Es ist sogar, nach Ortszeit, noch eine Stunde
10403 fr
üher, als bei unsrer Abfahrt in Friedau
«, antwortete
10404 Ell,
»weil wir nach Westen gefahren sind. Trotzdem sind wir
10405 vier Stunden unterwegs. In Friedau ist es jetzt etwa acht Uhr
10406 morgens.
«</p>
10407 <p>»In Friedau!
« Isma zog den Pelz dichter um ihre
10408 Schultern. Und unter ihr die Gletscher Gr
önlands!
</p>
10409 <p>Ein Schwindel drohte sie zu erfassen.
</p>
10410 <p>»Kommen Sie in die Kaj
üte
«, sagte Ill.
10411 »Es ist jetzt erst wenig da unten zu erkennen, aber wir
10412 steigen noch tiefer und reisen nicht weiter nach Westen. Nun wird
10413 die Sonne bald aufgehen, es wird heller und w
ärmer werden.
10414 Inzwischen lassen Sie uns f
ür ihre Kr
äftigung sorgen.
10415 Auch in den ungewohntesten Situationen ist Fr
ühst
ücken
10416 eine empfehlenswerte Handlung. Ell hat daran gedacht, da
ß Sie
10417 ihren Friedauer Morgenkaffee nicht zu entbehren
10418 brauchen.
«</p>
10419 <p>Ell
übersetzte getreulich die Worte des Oheims.
</p>
10420 <p>Ein L
ächeln glitt
über Ismas Z
üge.
»Sie
10421 denken an alles
«, sagte sie, Ell anblickend,
»und ich
10422 – was werde ich nicht alles vergessen haben! Hoffentlich hat
10423 Luise meinen Zettel gefunden.
«</p>
10424 <p>»Etwas habe ich doch vergessen
«, sagte Ell zu Ill,
10425 »n
ämlich ein Signalbuch, f
ür den Fall, da
ß
10426 uns das Schiff Signale macht.
Übrigens w
ürden wir sie
10427 doch nicht beantworten k
önnen.
«</p>
10428 <p>»Richtig, es ist schade
«, antwortete Ill,
10429 »daf
ür besitzen wir ein vorz
ügliches Sprachrohr,
10430 mit dem wir uns verst
ändlich machen k
önnen.
«</p>
10431 <p>Sie begaben sich in die Kaj
üte, und ausnahmsweise, um Isma
10432 zu ehren, wohnte Ill dem gemeinschaftlichen Fr
ühst
ück
10433 bei, obwohl er sich auf einige Z
üge aus einem martischen
10434 Mundst
ück beschr
änkte. Er verfolgte inzwischen den Gang
10435 des Schiffes auf der Projektionsscheibe.
</p>
10436 <p>Als Ell und Isma wieder den offenen Schiffsraum betraten, war es
10437 Tag geworden. Das Schiff strich in m
äßiger Bewegung
10438 – immerhin noch mit Schnellzugsgeschwindigkeit
– mit
10439 weit ausgebreiteten Fl
ügeln in etwa dreihundert Meter
10440 H
öhe
über die Meeresoberfl
äche hin. Es hatte sich
10441 der Ostk
üste von Grinnell-Land gen
ähert und folgte nun
10442 dem offenen Fahrwasser in ihrer N
ähe nach Norden. Isma
10443 sp
ähte mit Ells Relieffernrohr eifrig nach der K
üste
10444 hin
über. Auf den Uferschollen sonnten sich Seehunde, zahllose
10445 V
ögel sa
ßen auf den Klippen, selbst einige Moschusochsen
10446 konnte sie auf einer entfernten Ebene mit Hilfe des
10447 vorz
üglichen Glases erkennen.
Überall glaubte sie
10448 Menschen oder H
ütten von Eskimos zu sehen, es war ihr, als
10449 m
üßte sie jeden Augenblick auf Torms Spuren
10450 sto
ßen, und erst allm
ählich begann sie ruhiger zu
10451 werden. So also sah die Gegend aus, die er im Geleit der
10452 tranduftenden Gastfreunde durchzog! Ob es wohl gl
ücken
10454 <p>Der Anruf des Martiers, der den Ausguck im Vorderteil des
10455 Schiffes hielt, unterbrach ihr Sinnen.
</p>
10456 <h2>26 - Der Kampf mit dem Luftschiff
</h2>
10457 <p>Am Horizont zeigte sich eine Rauchwolke, die sich
10458 vergr
ößerte. Das Dampfschiff, nach S
üden steuernd,
10459 und das nach Norden fliegende Luftschiff, das seine Geschwindigkeit
10460 sogleich steigerte und die Fl
ügel verk
ürzte,
10461 n
äherten sich rasch. Bald konnte man die Formen des Schiffes
10462 durch das Glas unterscheiden. Der Wimpel am Gro
ßtopp
10463 lie
ß es als Kriegsschiff erkennen. Jetzt hatte man auch an
10464 Bord der
›Prevention
‹ das Luftschiff gesehen. Dieses
10465 senkte sich bis auf hundert Meter
über die Oberfl
äche des
10466 Meeres und scho
ß direkt auf das Kanonenboot zu. Dort stieg
10467 eine wei
ße Dampfwolke in die H
öhe, und ein
10468 Kanonenschu
ß donnerte
über die Flut. Man konnte jetzt
10469 die Flagge erkennen.
</p>
10470 <p>»Es ist ein Engl
änder
«, sagte Ell.
»Er
10471 fordert uns auf, unsere Flagge zu zeigen.
«</p>
10472 <p>Eine Flagge f
ührte zwar das Luftschiff nicht, man hatte
10473 aber diesen Fall vorgesehen und, um keine besonderen Verwicklungen
10474 hervorzurufen, eine Flagge improvisiert, die dem Banner der
10475 vereinigten Marsstaaten nachgebildet war. Sie bestand einfach in
10476 einem schwarzen Tuch von dreieckiger Gestalt, das in der Mitte
10477 einen gro
ßen orangenfarbigen Kreis trug.
</p>
10478 <p>Die Flagge wurde jetzt gehi
ßt, das Luftschiff setzte aber
10479 seinen Lauf fort. Ill wollte denselben erst in unmittelbarer
10480 N
ähe des Schiffes anhalten. Vorsichtshalber stieg er jedoch
10481 schnell in gr
ößere H
öhe.
</p>
10482 <p>Ell beobachtete mit dem Glas die Vorg
änge an Deck des
10484 <p>»Die gefangenen Martier sind jedenfalls unter Deck
«,
10485 sagte er.
»Das Schiff ist klar zum Gefecht
– ich
10486 glaube, man will auf uns schie
ßen. Willst du nicht lieber
10487 anhalten?
«</p>
10488 <p>»Wie ist das Schiff bewaffnet?
« fragte Ill.
</p>
10489 <p>»Es ist, soviel ich davon verstehe, ein sogenannter
10490 Torpedo- Rammkreuzer. Den Rammsteven und die Torpedos haben wir
10491 freilich nicht zu f
ürchten, aber das
10492 25-Zentimeter-Gesch
ütz auf dem Deck ist eine furchtbare Waffe.
10493 Es schleudert mit einer Geschwindigkeit von
über
600 Metern
10494 Granaten, die vielleicht den dritten Teil des Gewichts unseres
10495 ganzen Schiffes haben. Ein einziger Schu
ß zerschmettert uns
10496 in Atome.
«</p>
10497 <p>»Wenn er uns trifft. Aber wie du siehst, sind wir bereits
10498 wieder auf achthundert Meter gestiegen und dem Schiff so nahe,
10499 da
ß sie dem Gesch
ütz nicht die gen
ügende Erhebung
10500 geben k
önnen.
«</p>
10501 <p>Ein gewaltiger Knall unterbrach ihn. Kapit
än Keswick hatte
10502 sein Riesengesch
ütz sprechen lassen. Aber das Gescho
ß
10503 flog, bedeutend tiefer als das Luftschiff, unter ihm hin, ohne
10504 Schaden zu tun.
</p>
10505 <p>»Die Sache ist nicht so gef
ährlich
«, sagte Ill,
10506 »selbst wenn wir in der Schu
ßlinie w
ären,
10507 k
önnten wir den Schu
ß aufnehmen
– da wir dreimal
10508 so viel Masse haben als das Gescho
ß, w
ürde es uns nur
10509 eine Geschwindigkeit von h
öchstens zweihundert Metern geben,
10510 und das ist f
ür uns das Gew
öhnliche.
«</p>
10511 <p>Ell sah ihn erstaunt an.
</p>
10512 <p>»Ich meine, wenn wir den Sto
ß auffangen.
«</p>
10513 <p>»Aber wir werden doch zerschmettert.
«</p>
10514 <p>»Keine Sorge! Wir m
üssen nur aufpassen. Jetzt aber
10515 wollen wir verhandeln.
«</p>
10516 <p>»Wollen Sie sich nicht lieber in die Kaj
üte
10517 begeben?
«</p>
10518 <p>Diese Frage richtete Ill an Isma, die den Vorg
ängen mit
10519 Herzklopfen gefolgt war.
»Diese Herren sehen mir gerade so
10520 aus, als wollten sie uns mit ihren Flintensch
üssen
10521 begr
üßen.
«</p>
10522 <p>»O lassen Sie mich hier
«, bat Isma.
10523 »K
önnte nicht vielleicht
– mein Mann
– auf
10524 dem Schiff sein?
«</p>
10525 <p>»Das werden wir alles erfahren. Ell soll durch das
10526 Sprachrohr die Verhandlung als Dolmetscher f
ühren.
«</p>
10527 <p>Wirklich bescho
ß man das Luftschiff jetzt aus den
10528 Gewehren. Es schwebte aber bereits so hoch und so nahe senkrecht
10529 über dem englischen Kanonenboot, da
ß die Kugeln ihm
10530 keinen Schaden tun konnten, obwohl sich die Engl
änder zum
10531 Zielen auf den R
ücken legten. Jetzt fiel eines der
10532 abgeschossenen Langbleie auf das Verdeck des Schiffes selbst
10533 zur
ück und durchschlug seine Planken. Das Feuer mu
ßte
10534 eingestellt werden, da die Kugeln die Sch
ützen selbst zu
10535 treffen drohten.
</p>
10536 <p>Die Martier entfalteten nunmehr eine gro
ße, wei
ße
10537 Fahne als Zeichen der Freundschaft und des Friedens. Alsdann senkte
10538 sich das Luftschiff, immer mit gleicher Geschwindigkeit senkrecht
10539 über dem Kriegsschiff bleibend, zu diesem herab, erst schnell,
10540 dann langsamer, bis es sich in einer H
öhe von etwa
10541 f
ünfzig Metern
über den Spitzen der Masten hielt.
</p>
10542 <p>Die Besatzung des Schiffes bestand aus tapferen M
ännern.
10543 Aber bei diesem Anblick pochte allen das Herz in der Brust. Wenn
10544 die Fremden Verr
äter waren? Wenn sie jetzt eine Dynamitbombe
10545 herabfallen lie
ßen jeder sagte sich, da
ß das Schiff
10546 dann verloren war. Und sie waren wehrlos. Aber h
ätte das
10547 Luftschiff feindlich vorgehen wollen, so h
ätte es dies
10548 sicherer aus der fr
üheren H
öhe tun k
önnen.
</p>
10549 <p>Der Kapit
än stand mit finsteren Blicken auf der
10550 Kommandobr
ücke.
</p>
10551 <p>Jetzt zuckte er zusammen. Aus der H
öhe kam ein Anruf in
10552 englischer Sprache.
</p>
10553 <p>»Wer seid Ihr?
« fragte er durch das Sprachrohr
10555 <p>Ell versuchte eine Erkl
ärung zu geben. Das Luftschiff habe
10556 keine feindlichen Absichten. Es geh
öre demselben Staat an wie
10557 die beiden Gefangenen, die sich auf dem englischen Schiff
10558 bef
änden. Sie seien Bewohner des Planeten Mars, die auf dem
10559 Nordpol der Erde eine Kolonie angelegt h
ätten. Die beiden
10560 w
ürden zu Unrecht gefangengehalten, sie h
ätten sich an
10561 den Engl
ändern nicht vergriffen, vielmehr die in den Abgrund
10562 gest
ürzten heraufbef
ördert. Das Luftschiff wolle nichts
10563 als die beiden Gefangenen zur
ückhaben. Man m
öge sie in
10564 der N
ähe ans Land setzen, wo das Luftschiff sie abholen werde.
10565 Au
ßerdem wolle man wissen, ob das Schiff Nachricht von der
10566 deutschen Nordpolexpedition Torm habe.
</p>
10567 <p>Kapit
än Keswick erwiderte, von der Tormschen Expedition
10568 habe er bis jetzt keinerlei Spuren gefunden. Was die andere Frage
10569 betr
äfe, so verb
öte es ihm seine Ehre, mit dem Luftschiff
10570 zu verhandeln, so lange es sich
über seinem eigenen Schiff in
10571 bedrohender Stellung bef
ände. Der Kommandant m
öge zu ihm
10572 an Bord kommen; er garantiere ihm unbehinderte R
ückkehr.
</p>
10573 <p>Es trat eine Pause ein. Auf beiden Schiffen wurde Kriegsrat
10575 <p>Ill wollte ohne weiteres dem Wunsch des Kapit
äns nachgeben
10576 und ihn besuchen, aber Ell riet ihm dringend davon ab.
</p>
10577 <p>»Traust du ihm nicht?
« fragte Ill.
</p>
10578 <p>»Das nicht
«, sagte Ell,
»sein Wort wird er
10579 halten. Aber nach den Anschauungen der Menschen w
ürden wir
10580 damit anerkennen, da
ß wir uns den Bestimmungen des englischen
10581 Kriegsschiffs unterordnen. Der Hochmut der Engl
änder
10582 w
ürde dadurch nur wachsen und die Verhandlungen erschweren.
10583 Wir nehmen f
ür uns selbst den Charakter eines Kriegsschiffs in
10584 Anspruch.
«</p>
10585 <p>»Es mag sein, doch liegt kein Grund vor, unsre Stellung
10586 über dem Schiff beizuhalten, wenn sie den Kapit
än
10587 beunruhigt. Ich habe mich nur hierhergelegt, um
überhaupt zu
10588 Wort zu kommen. Wir k
önnen ja auch jeden Augenblick hierher
10589 zur
ückkehren, wenn wir wollen; nur n
ützt es uns wenig.
10590 Mit einer Vernichtung des Schiffes zu drohen, geht nicht an, da ich
10591 sie doch nicht ausf
ühren w
ürde und auch die Leute sich
10592 sagen d
ürften, da
ß wir das Schiff nicht in Grund bohren
10593 werden, so lange unsere Kameraden sich darauf befinden.
«</p>
10594 <p>Ell rief nun durch das Sprachrohr hinab, da
ß sich das
10595 Luftschiff in einiger Entfernung niederlassen werde. Auf demselben
10596 befinde sich einer der h
öchsten Beamten des Mars, der nicht
10597 daran denke, sich zuerst dem Kapit
än vorzustellen. Der
10598 Kapit
än m
öge daher entweder zu ihm an Bord kommen oder
10599 eine Stelle am Ufer zur Zusammenkunft bestimmen. Im
übrigen
10600 gen
üge es, wenn der Kapit
än die beiden Martier ans Land
10601 sende. Das Luftschiff werde sich dann sogleich entfernen, sobald es
10602 die beiden aufgenommen h
ätte.
</p>
10603 <p>Ohne eine Antwort abzuwarten, lie
ß Ill das Luftschiff nach
10604 dem Land zu lenken.
</p>
10605 <p>Der Engl
änder hatte inzwischen seinen Lauf angehalten und
10606 lag jetzt still. Ihm gegen
über, etwas
über einen
10607 Kilometer entfernt, in geringer H
öhe
über dem Ufer,
10608 schwebte das Luftschiff der Martier in vollkommener Ruhe.
10609 Fl
ügel und Steuer waren eingezogen. Der Hinterteil des
10610 Fahrzeugs war gegen das Kriegsschiff gewendet und zeigte die
10611 Öffnung eines bis dahin nicht sichtbar gewesenen Rohres.
10612 Kapit
än Keswick hatte seinen Zweck erreicht, Zeit zu gewinnen
10613 und das unheimliche Fahrzeug
über seinem Kopf zu entfernen. Er
10614 f
ühlte sich wieder sehr erhaben. Er dachte nun erst recht
10615 nicht daran, die Gefangenen auszuliefern. Verhielt es sich wirklich
10616 so, da
ß sie Marsbewohner waren
– und eine bessere
10617 Erkl
ärung angesichts des Luftschiffes wu
ßte keiner
10618 seiner Offiziere
–, so wollte er sich den Triumph nicht
10619 nehmen lassen, diese seltsamen Gesch
öpfe nach London zu
10620 bringen. Da
ß man auf dem Mars auch englisch verstand und sich
10621 nach der deutschen Nordpolexpedition erkundigte, war
10622 schlie
ßlich nicht wunderbarer als die Existenz des
10623 Luftschiffes
überhaupt. Die Zumutung, einem englischen
10624 Kriegsschiff Bedingungen zu stellen, hielt Kapit
än Keswick
10625 f
ür eine Frechheit. Seiner Ansicht nach hatte das fremde
10626 Schiff einfach zu gehorchen.
</p>
10627 <p>Er signalisierte daher jetzt, das Schiff m
öge sofort die
10628 Flagge streichen und sich ergeben. Da er sich aber allerdings
10629 selbst sagte, da
ß man dr
üben die Signale nicht verstehen
10630 w
ürde, so schickte er einen Offizier in der Jolle soweit vor,
10631 bis er durchs Sprachrohr mit dem Luftschiff reden konnte, und
10632 lie
ß durch ihn seinen Befehl ausrichten. Das Luftschiff solle
10633 landen und die Besatzung sich von demselben ohne Waffen auf tausend
10634 Schritt zur
ückziehen. Gesch
ähe das nicht, bis das Boot
10635 wieder an Bord sei, so w
ürde er Gewalt anwenden.
</p>
10636 <p>Ill lie
ß antworten, es w
ürde ihm sehr leid tun, wenn
10637 er seinerseits Gewalt anwenden m
üßte, um seine Genossen
10638 wieder zu erhalten. Bei der geringsten Feindseligkeit seitens der
10639 Engl
änder w
ürde er sich jedoch gezwungen sehen, ihr
10640 Schiff kampfunf
ähig zu machen. Sollte einem der Martier Leides
10641 geschehen, so hafteten Kapit
än, Offiziere und Mannschaft mit
10643 <p>Der Offizier brachte diese Antwort zur
ück.
</p>
10644 <p>»Wir werden mit den Leuten deutlicher reden
«, sagte
10646 <p>Leutnant Prim h
ätte sich gern aus Vergn
ügen die
10647 H
ände gerieben, aber sie waren immer noch steif. Er konnte
10648 nicht einmal seinen Feldstecher halten. Das Luftschiff lag
10649 vollkommen ruhig, es konnte gar kein besseres Ziel f
ür das
10650 25-Zentimeter- Gesch
ütz geben, es war nicht zu verfehlen.
</p>
10651 <p>Ell beobachtete, da
ß das Boot kaum beim Schiff angekommen
10652 war, als man das Gesch
ütz richtete.
</p>
10653 <p>»Wir sind verloren
«, rief er Ill zu.
</p>
10654 <p>Dieser hatte schon seine Vorkehrungen getroffen. Er sah scharf
10655 auf die M
ündung des Gesch
ützes.
</p>
10656 <p>»Halte dich fest und bef
ürchte nichts
«, sagte
10657 er zu Ell gewendet. Seine Hand lag am Griff des Repulsitapparates.
10658 Von dem Moment, in welchem der Schu
ß an Bord des
10659 Kriegsschiffs gel
öst wurde, bis zu demjenigen, in welchem das
10660 Gescho
ß das Luftschiff treffen konnte, mu
ßten fast zwei
10661 Sekunden vergehen. Das gen
ügte ihm.
</p>
10662 <p>Jetzt blitzte dr
üben der Schu
ß auf. Das vernichtende
10663 Gescho
ß war entsandt. Ell f
ühlte, wie sich ihm die Kehle
10664 zusammenschn
ürte, aber er vertraute auf die Kraft der Nume.
10665 Isma hatte sich auf seine Bitte schon vorher zur
ückgezogen und
10666 war sich der unmittelbaren Gefahr gl
ücklicherweise nicht
10668 <p>Ill hatte gleichzeitig den Griff des Repulsitgesch
ützes
10669 gedreht. Das Luftschiff erhielt einen Sto
ß und sauste durch
10670 die Luft. Hinter ihm, etwa in der Mitte zwischen dem englischen
10671 Schiff und dem martischen, gab es einen ohrenbet
äubenden
10672 Krach. Die Granate zersprang in der Luft, als sei sie an eine
10673 feste, unsichtbare Mauer gesto
ßen. Die Bruchst
ücke
10674 flogen nicht weiter, sie fielen direkt nach unten und lie
ßen
10675 das Meer unter sich aufsch
äumen.
</p>
10676 <p>Im Moment aber spannte das Luftschiff seine Fl
ügel aus, in
10677 engem Kreis kehrte es zur
ück, binnen zehn Sekunden war es
10678 wieder bei der
›Prevention
‹ angelangt, hinter dem
10679 Kanonenboot sank es bis zur halben H
öhe seiner Masten. Ein
10680 zweiter Repulsitschu
ß knickte die eisernen Masten wie
10681 Strohhalme, die mit einer scharfen Sense abgeschnitten werden.
10682 Zugleich aber wurden sie wie von einem Sturmwind fortgetragen, der
10683 sie
über das Schiff hinwegfegte und gegen hundert Meter weiter
10684 ins Meer fallen lie
ß. Auf dem Verdeck selbst wurde nichts
10685 direkt von dem Schu
ß betroffen; nur die entstehende gewaltige
10686 Luftwelle warf die gesamte Mannschaft
über den Haufen und
10687 setzte das ganze Schiff in schwankende Bewegung. Ehe sich die
10688 Engl
änder wieder auf ihre F
üße gefunden hatten, war
10689 das Luftschiff, in kurzer Wendung aufsteigend, umgekehrt und ruhte
10690 in etwa tausend Meter H
öhe senkrecht
über dem
10692 <p>Ill hatte nur die Wirkung seiner Waffen zeigen wollen. Der im
10693 Repulsitgesch
ütz sich entspannende
Äther entwich mit
10694 einer Geschwindigkeit, welche der des Lichtes vergleichbar war, und
10695 ri
ß die Luft und alles, was in seinem Weg lag, mit sich fort,
10696 obgleich seine Masse nur wenige Gramm betrug. Er breitete sich
10697 kegelf
örmig aus und mu
ßte daher das ihm entgegen
10698 fliegende Sprenggescho
ß auffangen und zur Ruhe bringen. Ill
10699 wollte jetzt das Luftschiff wieder sich herabsenken lassen, um neue
10700 Verhandlungen zu beginnen, aber die zur Wut gereizten Feinde
10701 beschossen es aus ihren Gewehren ohne R
ücksicht auf die
10702 Gefahr, von ihren eigenen Kugeln getroffen zu werden. Wie sollte er
10703 nun, ohne Menschenleben zu vernichten und das Schiff selbst
10704 unbrauchbar zu machen, die Herausgabe der Gefangenen erzwingen?
</p>
10705 <p>Ill h
ätte durch den Telelyten das Gesch
ütz demontieren
10706 oder das Schiff leck machen k
önnen. Der Telelyt ist ein
10707 Apparat, durch welchen chemische Wirkung in jeder beliebigen Form
10708 erzeugt werden kann, soweit nur die direkte Bestrahlung des
10709 Gegenstandes vom Apparat aus m
öglich ist. Wenn man zum
10710 Beispiel gl
ühenden Sauerstoff durch den Telelyten treten
10711 lie
ß, so wurde die chemische Energie durch Strahlung
10712 fortgepflanzt und kam auf dem bestrahlten K
örper, etwa dem
10713 Gu
ßstahl des Gesch
ützes, wieder als chemische Energie
10714 zum Vorschein, so da
ß der Stahl einfach verbrannt wurde.
</p>
10715 <p>Ill h
ätte auch sein Repulsitgebl
äse auf das Schiff
10716 richten und dieses an beliebiger Stelle auf den Strand treiben
10718 <p>Aber er wollte sich nicht dazu entschlie
ßen. Das
10719 Gesch
ütz konnte ihm nicht schaden, wenn er sich
über dem
10720 Schiff hielt, und auch sonst nicht, wenn er die Abgabe des Schusses
10721 rechtzeitig bemerkte. Und das Schiff selbst wollte er nicht
10722 untauglich zur Fortsetzung der Reise machen. Er versuchte daher
10723 nochmals zu verhandeln und lie
ß zu diesem Zweck wieder die
10724 wei
ße Fahne aufziehen, obwohl Ell meinte, da
ß dieses
10725 Entgegenkommen falsch verstanden werden w
ürde.
</p>
10726 <p>»Was wollen die Schufte?
« rief der Kapit
än
10727 w
ütend, lie
ß aber das Feuer einstellen. Das Luftschiff
10728 senkte sich. Als es so nahe gekommen war, da
ß man sich durchs
10729 Sprachrohr verst
ändigen konnte, fragte Ell, ob man jetzt
10730 bereit sei zu kapitulieren.
</p>
10731 <p>»Mit euch Freibeutern gibt es keine Verhandlungen
«,
10732 schrie Keswick zur
ück.
»Ehe ich meine Flagge streiche,
10733 sprenge ich das ganze Schiff samt euren sauberen Br
üdern in
10734 die Luft.
«</p>
10735 <p>»Wir verlangen nicht, da
ß ihr die Flagge
10736 streicht
«, lautete die Antwort.
»Es gen
ügt, wenn
10737 ihr die Gefangenen ans Land setzt. Aber unsere Geduld ist jetzt zu
10738 Ende. St
ößt das Boot mit unseren Landsleuten nicht
10739 binnen zehn Minuten vom Schiffe ab, so macht euch auf das
10740 Schlimmste gefa
ßt. Bis jetzt haben wir euch nur eine Probe
10741 gegeben.
«</p>
10742 <p>»Der Teufel soll euch holen. Feuer auf die Hunde!
«
10743 schrie Keswick w
ütend.
</p>
10744 <p>Aber schon hatte sich das Luftschiff fortgeschnellt. Nach
10745 wenigen Sekunden war es bereits wieder
über einen Kilometer
10746 vom Schiff entfernt, das jetzt mit voller Dampfkraft nach
10747 S
üden strebte.
</p>
10748 <p>Da Ill keine Zeit dadurch verlieren wollte, da
ß sich die
10749 Entfernung des Schiffes von der K
üste vergr
ößerte,
10750 beschlo
ß er zun
ächst, den Dampfer aufzuhalten. Er erhob
10751 sich so hoch, da
ß er nicht beschossen werden konnte, und
10752 richtete dann einen Repulsitstrom gegen die Meeresoberfl
äche
10753 in einiger Entfernung vor dem Schiff. Das Meer kochte auf, als
10754 h
ätte man einen Berg hineingest
ürzt. Ein haushoher
10755 Wogenwall w
älzte sich von der getroffenen Stelle im Kreise
10756 nach au
ßen und zwang das englische Schiff, seinen Kurs zu
10757 ändern. Alsbald erregte das Luftschiff durch einen zweiten
10758 Repulsitschu
ß an geeigneter Stelle einen neuen Wirbel, und so
10759 zwangen die Martier ihren Gegner, sich dahin zu wenden, wohin sie
10760 ihn haben wollten. Bald aber war die ganze Umgebung wie von einem
10761 Sturm aufgew
ühlt, und die
›Prevention
‹ hatte die
10762 gr
ößte M
ühe, sich in dem tollen Wogengang zu
10763 halten. Von einem Gebrauch des Gesch
ützes konnte beim
10764 Schwanken des Schiffes jetzt nicht die Rede sein. Inzwischen waren
10765 die zehn Minuten Frist l
ängst abgelaufen. Ill lie
ß dem
10766 Schiff noch Zeit, um einen Felsenvorsprung herum in ruhigeres
10767 Wasser zu gelangen. Hier erwartete er den Engl
änder.
</p>
10768 <p>Der Kapit
än sah nun wohl ein, da
ß er dem Luftschiff
10769 nicht entkommen k
önne. Aber er war immer noch zu
10770 hartn
äckig, um nachzugeben. Das Luftschiff lag wieder
10771 vollst
ändig ruhig und lie
ß das Kanonenboot herankommen,
10772 w
ährend die Vorg
änge auf demselben aufs genaueste
10773 beobachtet wurden. Ill konnte mit seinem Sprachrohr sich bis auf
10774 tausend Meter verst
ändlich machen. Er rief nochmals
10775 hin
über, wenn man jetzt nicht gehorche, werde er auf das
10776 Schiff selbst schie
ßen.
</p>
10777 <p>Der Dampfer machte eine Wendung und stoppte. Die Martier
10778 glaubten, es geschehe, um ein Boot auszusetzen; aber das
10779 Man
över hatte nur den Zweck, zum Schu
ß zu kommen. Ehe
10780 die Martier es erwarten konnten, blitzte der Schu
ß auf. Die
10781 Entfernung war zu kurz, um den Gegenschu
ß der Martier genau
10782 abzumessen. Er erfolgte sofort, aber er war zu heftig. Mit rasender
10783 Geschwindigkeit schleuderte der R
ücksto
ß das Luftschiff
10784 fort. Die Insassen wurden von ihren Pl
ätzen geworfen. Isma
10785 stie
ß einen Schrei aus und klammerte sich schreckensbleich an
10786 die Wand. Zum Gl
ück hatte sie keinen Schaden genommen. Das
10787 Luftschiff gehorchte wieder dem Steuer, die Bewegung wurde
10788 gem
äßigt, es kehrte in weitem Bogen zur
ück und
10789 lagerte sich in einer Entfernung von etwa acht Kilometern vom
10790 Kriegsschiff auf der Spitze eines H
ügels, von wo aus man mit
10791 dem Fernglas die Vorg
änge auf dem Schiff gut beobachten
10793 <p>Hier sah es schlimm aus. Unter dem Gegensto
ß des Repulsits
10794 war das Sprenggescho
ß explodiert, aber die Tr
ümmer waren
10795 nicht in das Meer gefallen, sondern, weil die Wirkung zu stark
10796 gewesen war, auf das Schiff zur
ück. Ein Teil der Mannschaft
10797 und der Kapit
än selbst waren verwundet. Der Verschlu
ß
10798 des Gesch
ützes war abgeschlagen. Dichter Qualm drang aus einem
10799 der zertr
ümmerten Schornsteine.
</p>
10800 <p>Ill nahm das Glas vom Auge. Ein finsterer Ernst lagerte
10801 über seinen Z
ügen.
</p>
10802 <p>»Es ist schrecklich
«, sagte er.
»Ich habe das
10803 Meinige getan, um Blutvergie
ßen zu vermeiden. Auch das
10804 jetzige Ungl
ück ist gegen meine Absicht geschehen, wir hatten
10805 bei der Pl
ötzlichkeit des
Überfalls nicht l
änger
10806 Zeit, unsern Schu
ß abzuw
ägen. Die Menschen sind
10807 wahnsinnig.
«</p>
10808 <p>Er sann lange nach.
</p>
10809 <p>»Ich erw
äge
«, sagte er dann,
»ob ich es
10810 gegen unsere Genossen verantworten kann, wenn ich jetzt nachgebe
10811 und das Schiff entlasse. Aber ich bin ja nicht einmal sicher, ob
10812 man ihr Leben schonen wird, nachdem dieses Blut geflossen ist. Das
10813 also ist unser erstes Zusammentreffen mit den Menschen, das ist die
10814 Verbr
üderung der Planeten! Ich hatte es mir anders gedacht.
10815 Ich h
öre, die Menschen haben unsern Planeten nach dem Gott des
10816 Krieges genannt; wir wollten den Frieden bringen, aber es scheint,
10817 da
ß die Ber
ührung mit diesem wilden Geschlecht uns in
10818 die Barbarei zur
ückwirft. Gott gebe, da
ß diese Begegnung
10819 kein Vorzeichen ist. Indessen
– wir k
önnen nicht mehr
10820 zur
ück. Wir wollen aus dem einen Fall noch keine Schl
üsse
10822 <p>Er wandte sich zu Isma und sagte ihr bedauernde Worte, da
ß
10823 ihre Reise mit so schrecklichen Ereignissen beg
önne. Ell
10824 wollte eben seine
Äu
ßerungen
übersetzen, als der
10825 wachthabende Martier meldete:
</p>
10826 <p>»Das Schiff setzt ein Boot aus.
«</p>
10827 <p>Es war so, man sah, da
ß die beiden Martier in das Boot
10828 hinabgelassen wurden. Dieses ruderte dem Land zu. In einer kleinen
10829 Bucht, deren Ufer mit Eisschollen bedeckt waren, landeten die
10830 Engl
änder. Sie warfen die Gefangenen r
ücksichtslos auf
10831 eine Scholle, feuerten ihre Gewehre in die Luft ab, um ein Signal
10832 zu geben, und kehrten dann schleunigst zur
ück an Bord ihres
10834 <p>Sofort befahl Ill, da
ß das Luftschiff aufsteigen solle, um
10835 die Genossen abzuholen. Der Weg war nicht weit, doch lag die kleine
10836 Bucht auf der anderen Seite des Kriegsschiffs, das man in einem
10837 Bogen umgehen mu
ßte, um sich nicht etwaigem Gewehrfeuer
10838 auszusetzen. Dann senkte sich das Schiff mit eingezogenen
10839 Fl
ügeln nahe am felsigen Abhang hinab. Hierbei streifte es
10840 einmal bis dicht an einen Felsen und legte sich st
ärker nach
10841 der Seite, als beabsichtigt war. Der Ingenieur machte ein
10842 bedenkliches Gesicht. Es kam bei diesen langsamen Bewegungen auf
10843 und nieder auf die
äu
ßerste Pr
äzision in der
10844 Funktion des diabarischen Apparats an, und es schien ihm, als ob
10845 das Schiff auf der linken Seite nicht mit derselben Geschwindigkeit
10846 seine Schwere
ändere wie auf der rechten. Man war jetzt auf
10847 der breiten Eisscholle angelangt.
</p>
10848 <p>Die gefangenen, nunmehr befreiten Martier befanden sich in
10849 üblem Zustand. Sie waren zwar nicht gefesselt, aber der Druck
10850 der Erdschwere, dem sie seit achtzehn Stunden
– denn es war
10851 inzwischen Mittag geworden
– ausgesetzt waren, die beim Kampf
10852 und zuletzt beim Transport erlittenen Mi
ßhandlungen und der
10853 Mangel an f
ür sie genie
ßbarer Nahrung hatten sie
10854 k
örperlich schwer mitgenommen. Sie atmeten begl
ückt auf,
10855 als im Innern des Luftschiffes ihre Leiden gemildert wurden. Ill
10856 wandte sich betr
übt ab, als er erfuhr, welche Behandlung ihnen
10857 zuteil geworden war. Die Strafe der Engl
änder war hart, dachte
10858 er, aber verdient. Und doch, im Grunde waren sie unschuldig an
10860 <p>Und nun vorw
ärts zum Pol! In anderthalb Stunden konnte er
10861 erreicht sein. Das Luftschiff erhob sich langsam, und wieder
10862 bemerkte der Steuermann die Ungleichm
äßigkeit der
10863 Diabarie auf den beiden Seiten des Schiffes. Er machte Ill darauf
10864 aufmerksam, doch konnte man die Ursache nicht sogleich auffinden.
10865 Inzwischen war die H
öhe des Felsufers
überstiegen. Die
10866 Fl
ügel wurden nun ausgebreitet, und vom Reaktionsapparat
10867 getrieben glitt das Schiff auf schiefer Ebene weiter aufw
ärts
10868 und nordw
ärts.
</p>
10869 <p>Pl
ötzlich vernahm man einige scharfe Schl
äge gegen die
10870 Fl
ügel des Schiffes.
</p>
10871 <p>»H
öher!
« rief Ill.
»H
öher und
10872 schneller!
«</p>
10873 <p>Mit dem Schiff und den geretteten Gef
ährten
10874 besch
äftigt, hatte man kaum noch auf den Engl
änder
10875 geachtet. Auch war man so weit von ihm entfernt, da
ß die
10876 Martier au
ßer Schu
ßweite zu sein glaubten. Die
10877 Engl
änder aber hatten, als sie sahen, da
ß das Luftschiff
10878 sich entfernte, ihm auf gut Gl
ück noch einige Sch
üsse aus
10879 ihren weittragenden Gewehren nachgesendet, und einige Kugeln hatten
10881 <p>»H
öher
«, lautete der Befehl. Aber als der
10882 diabarische Apparat dementsprechend gestellt wurde, legte sich das
10883 Schiff auf die Seite. Infolge der Fl
ügelstellung beschrieb es
10884 sofort eine Spirale nach r
ückw
ärts und kam dadurch
10885 nochmals in den Bereich der feindlichen Geschosse. Man mu
ßte
10886 die Diabarie der rechten Seite wieder vermindern, da die linke
10887 nicht folgte. Das Schiff schwebte zwar, aber man konnte es nur
10888 langsam und in engen Grenzen heben und senken. Der Repulsitapparat
10889 war dagegen in Ordnung und trieb das Schiff vorw
ärts. Es
10890 entfernte sich nun vom Schauplatz des Kampfes nach Norden, in
10891 verh
ältnism
äßig geringer H
öhe
über der
10892 Erde. Ein Gebirge, das noch zu
überwinden war, konnte nur
10893 durch das Vorw
ärtstreiben mit schr
äggestellten
10894 Fl
ügeln genommen werden. Infolgedessen nahm die Fahrt bis zum
10895 Pol die vierfache Zeit wie gew
öhnlich in Anspruch.
</p>
10896 <p>Endlich kam die Polinsel Ara zu Gesicht, und das Schiff senkte
10897 sich vorsichtig auf das Dach derselben. Aufs
äu
ßerste
10898 erm
üdet entstiegen die Martier dem Fahrzeug, von den Bewohnern
10899 der Insel freudig bewillkommt. Isma wurde der Obhut der Gemahlin
10900 Ras
übergeben und von ihr aufs freundlichste aufgenommen. Ehe
10901 sie die Treppe in die Wohnung hinabstieg, warf sie noch einen
10902 forschenden Blick auf die Umgebung und suchte in Gedanken die
10903 Stelle zu finden, wo der Fallschirm des Ballons herabgest
ürzt
10904 war. Dann reichte sie Ell die Hand. Sie wollte zu ihm sprechen,
10905 aber sie fand keine Worte. Nur ihr Blick dankte ihm.
»Auf
10906 Wiedersehen!
«</p>
10908 <p>Bereits vierundzwanzig Stunden hatte Isma auf der Polinsel
10909 zugebracht, ohne da
ß die in Aussicht genommenen
10910 Entdeckungsfahrten nach ihrem Mann angetreten wurden. So sehr sie
10911 sich danach sehnte, hatte sie doch keine Zeit, ungeduldig zu
10912 werden, denn die F
ülle der neuen Umgebung besch
äftigte
10913 sie ausreichend. Die Gegenwart Ells gab ihr die erforderliche
10914 Zuversicht in den neuen Verh
ältnissen. Saltner mit Se, La und
10915 Fru waren bereits nach dem Mars abgegangen, aber unter den noch
10916 anwesenden Martiern befanden sich noch mehrere, mit denen sie sich
10917 deutsch unterhalten konnte, so vor allem der Vorsteher Ra, dessen
10918 Frau und der Arzt Hil. Von ihnen erhielt sie nicht nur Nachricht
10919 über die Verh
ältnisse des Mars, sondern auch Einzelheiten
10920 über die Schicksale der Gef
ährten ihres Mannes, die ihr
10921 Gem
üt lebhaft bewegten.
</p>
10922 <p>Man begab sich eben zu der
üblichen Plauderstunde ins
10923 Empfangszimmer, wo Isma und Ell jetzt die Pl
ätze einzunehmen
10924 pflegten, die f
ür Grunthe und Saltner eingerichtet waren, als
10925 Ell mit bek
ümmertem Antlitz eintrat.
</p>
10926 <p>Isma sah ihn erschrocken an.
</p>
10927 <p>»Was ist geschehen?
« rief sie.
</p>
10928 <p>»Fassen Sie sich, liebste Freundin.
«</p>
10929 <p>»Hugo ist
–?
«</p>
10930 <p>»Nein, nein
– wir wissen nichts
– aber wir
10931 k
önnen ihn nicht suchen.
«</p>
10932 <p>»Warum nicht?
«</p>
10933 <p>»Das Luftschiff ist unbrauchbar geworden.
«</p>
10934 <p>»Um Gottes willen!
«</p>
10935 <p>»Der diabarische Apparat hat durch den
10936 überm
äßigen Luftdruck bei unserm zweiten
10937 Verteidigungsschu
ß auf das Kanonenboot einen Fehler erhalten.
10938 Au
ßerdem ist eine verirrte Gewehrkugel in denselben
10939 eingedrungen und hat den Differential- Regulator verletzt. Bei der
10940 Untersuchung stellte sich heraus, da
ß die Reparatur hier
10941 nicht m
öglich ist. Der auseinandergenommene Apparat
10942 l
äßt sich nur in der Werkst
ätte auf dem Mars mit
10943 den dortigen Mitteln wieder einsetzen. Leider ist auch das kleine
10944 Luftboot f
ür weitere Fahrten nicht mehr zu verwenden. Wir
10945 m
üssen die Nachsuchungen aufgeben.
«</p>
10946 <p>Isma sa
ß starr.
»Mein armer Mann!
« sagte sie
10948 <p>»Geben Sie sich um seinetwillen nicht so gro
ßer
10949 Sorge hin
«, suchte Ell sie zu tr
östen.
»Er wird
10950 sicherlich gl
ücklich heimkehren. Vielleicht fr
üher als
10951 wir
«, setzte er z
ögernd hinzu.
</p>
10952 <p>Isma sah ihn an. Dann schlug sie die H
ände vor das Gesicht
10953 und lie
ß sie endlich langsam herabsinken.
</p>
10954 <p>»Wir k
önnen nicht
– zur
ück
10955 –?
«</p>
10956 <p>»Es ist unm
öglich
– in diesem Jahr.
«</p>
10957 <p>»Und ich
– ich glaubte
– in acht Tagen
–
10958 – o ich T
örin! Was hab ich getan! O w
äre ich nicht
10959 so eigensinnig gewesen.
«</p>
10960 <p>»Es ist der Fall, vor dem Ill uns warnte.
«</p>
10961 <p>Isma weinte still. Ell sa
ß ratlos neben ihr.
</p>
10962 <p>»Was nun?
« fragte sie endlich.
</p>
10963 <p>»Es bleibt uns nichts
übrig, als mit Ill und Ra nach
10964 dem Mars zu gehen. Im ersten Fr
ühjahr kehren wir mit neuen
10965 Luftschiffen zur
ück. Bis dahin hilft uns nichts als
10966 Fassung.
«</p>
10967 <p>»Nach dem Mars!
« fl
üsterte Isma wie
10968 geistesabwesend. Dann stand sie auf. Sie trat vor Ell. Ihren
10969 Schmerz bezwingend, reichte sie ihm beide H
ände.
</p>
10970 <p>»Vertrauen Sie mir!
« sagte er.
</p>
10971 <p>Sie sahen sich in die Augen.
</p>
10972 <p>»Ich werde tun, was Sie verlangen
«, erwiderte Isma.
10973 »Ich habe das Geschick herausgefordert. Ich mu
ß es
10975 <p>»Ob auf dem Mars oder auf der Erde
– wir k
önnen
10976 dieselben bleiben.
«</p>
10977 <p>Zweites Buch
</p>
10978 <h2>27 - Auf dem Mars
</h2>
10980 <p>Über dem S
üdpol des Mars, um den Halbmesser des
10981 Planeten von seiner Oberfl
äche entfernt, also in einer
10982 H
öhe von
3.390 Kilometern, schwebt die ausgedehnte
10983 Au
ßenstation f
ür die Raumschiffahrt.
</p>
10984 <p>Ungleich gewaltiger ist die Anlage als die am Nordpol der Erde,
10985 denn
über siebzig Raumschiffe verm
ögen gleichzeitig hier
10986 Platz zu finden. Das abarische Feld, das die Au
ßenstation in
10987 der Richtung der Achse mit dem Pol des Planeten verbindet,
10988 bef
ördert st
ündlich einen ger
äumigen Flugwagen.
</p>
10989 <p>Heute waren die aufsteigenden Wagen bis auf den letzten Platz
10990 besetzt. Nicht nur die Bev
ölkerung der n
ächsten Umgebung
10991 dr
ängte sich zu den Flugwagen, selbst aus den entlegeneren
10992 Gegenden waren Neugierige auf den schnellen Bahnwagen herbeigeeilt,
10993 um der R
ückkehr des Regierungsschiffes von der Erde
10994 beizuwohnen. Denn heute wurde der
›Glo
‹ erwartet. Die
10995 Lichtdepesche hatte gemeldet, da
ß der Repr
äsentant Ill
10996 auf der Erde den Sohn seines verungl
ückten Bruders, des
10997 verschollenen Raumfahrers All, aufgefunden habe und
10998 zur
ückbringe. Man durfte auf merkw
ürdige Neuigkeiten von
10999 der Erde rechnen. Auch das Raumschiff
›Meteor
‹,
11000 Kapit
än O
ß, welches bereits vor dem
›Glo
‹
11001 die Erde verlassen hatte, wurde erwartet. Es sollte den ersten
11002 Menschen von der Erde auf den Mars bringen. Man erz
ählte die
11003 wunderbarsten Geschichten von seiner furchtbaren St
ärke. Zehn
11004 Nume seien notwendig, um ihn in Schranken zu halten.
</p>
11005 <p>»Ist es denn wahr
«, fragte eine besorgte Mutter, ihr
11006 T
öchterchen
ängstlich an sich ziehend,
»da
ß
11007 die Menschen kleine Kinder fressen?
«</p>
11008 <p>Ihre Nachbarin im Flugwagen antwortete:
»Ich wei
ß es
11009 nicht im allgemeinen, aber der, den wir jetzt erwarten, fri
ßt
11010 keine Kinder. Ich wei
ß es ganz genau, denn ich erwarte meine
11011 Schwester Se, die ihn kennt; wir haben mit dem
11012 ›Kometen
‹, Kapit
än Jo, Briefe von ihr bekommen,
11013 und sie schreibt, da
ß er ein ganz netter, beinahe
11014 zivilisierter Mann sei. Sie sehen, ich habe ja auch meinen kleinen
11015 Wast und sogar meine Ern mitgebracht. Haltet euch fest, Kinder, wir
11016 sind gleich da!
«</p>
11017 <p>Die weiten Galerien des Ringes der Au
ßenstation waren seit
11018 Stunden dicht mit Zuschauern besetzt, die sich vor den
11019 Projektionsfernrohren dr
ängten und bald die Aussicht auf den
11020 Mars bewunderten, bald den gestirnten Himmel durchmusterten. Mit
11021 besonderer Vorliebe wurde die Erde aufgesucht, doch da sie fast in
11022 derselben Richtung wie die Sonne stand, konnte sie nicht gut
11023 beobachtet werden.
</p>
11024 <p>Der
›Glo
‹ war bereits nahe herangekommen, sein
11025 roter Glanz lie
ß ihn im Fernrohr nicht verkennen. Man konnte
11026 die Landung in zwei bis drei Stunden erwarten. Aber auch der
11027 ›Meteor
‹ war schon signalisiert. In acht bis zehn
11028 Stunden mochte er eintreffen.
</p>
11029 <p>Die Reise des
›Glo
‹ war so beschleunigt worden,
11030 wie man es nie bei einem Raumschiff gewagt hatte. Die allgemeine
11031 Aufregung, die in allen Marsstaaten aufgrund der neuen Depeschen
11032 von der Erde entstanden war, machte wichtige politische
11033 Erw
ägungen und die Anwesenheit Ills im Zentralrat notwendig.
11034 Ill hatte au
ßerdem das pers
önliche Interesse, Isma, der
11035 er sehr zugetan war, die Beschwerden der Reise m
öglichst
11036 abzuk
ürzen. So war, durch die Stellung der Planeten
11037 beg
ünstigt, das Au
ßerordentliche gelungen; die Reise von
11038 der Erde zum Mars, also der Sonnenanziehung entgegen, war in acht
11039 Tagen zur
ückgelegt worden. Man hatte den
11040 ›Meteor
‹, welcher sieben Tage fr
üher von der
11041 Erde abgegangen war,
überholt. Freilich durfte er sich nicht
11042 die Repulsitverschwendung gestatten wie das im Auftrag des
11043 Zentralrats fliegende Eilraumschiff.
</p>
11044 <p>Mit r
ührender Sorgfalt hatte Ill, den Ratschl
ägen Ells
11045 folgend, Isma den Aufenthalt im Raumschiff behaglich zu machen
11046 gesucht. Die Raumkrankheit, eine Folge der zeitweiligen Aufhebung
11047 der Gravitation, pflegte selbst erprobten Raumschiffern nicht ganz
11048 fernzubleiben. Auch Isma hatte unter ihr zu leiden. Aber die
11049 Beschwerden, die ihr durch die geringe Schwere innerhalb des
11050 Raumschiffes drohten, waren ihr durch eine sinnreiche Konstruktion
11051 ihres Schlafraumes sehr erleichtert worden. Derselbe stellte zwar
11052 nicht viel mehr als einen durch geeignete Ventile ausreichend
11053 gel
üfteten Kasten vor, aber es war darin k
ünstlich
11054 Schwere und Luftdruck der Erde erzeugt. Und so konnte Isma nicht
11055 nur w
ährend des Schlafes ganz nach ihrer Gewohnheit ruhen,
11056 sondern auch im Laufe des Tages sich von Zeit zu Zeit zur Erholung
11057 dahin zur
ückziehen. Sie f
ühlte sich daher vollkommen
11058 wohl, als der
›Glo
‹ sich bereits dem Mars
11060 <p>Wie oft auch ihre Gedanken sehns
üchtig nach der Erde
11061 zur
ückeilten und sich um das Schicksal ihres Mannes mit Bangen
11062 bewegten, so war doch die F
ülle der neuen Eindr
ücke
11063 gewaltig genug, um sie aufs lebhafteste zu besch
äftigen und zu
11064 zerstreuen. Die Notwendigkeit, nun ein halbes Erdenjahr auf dem
11065 Mars zuzubringen, lie
ß sie die Mu
ße der Reise benutzen,
11066 mit Ells Hilfe in die Sprache der Martier einzudringen,
11067 w
ährend sich Ill gleichzeitig das Deutsche aneignete. Auch an
11068 weiblicher Gesellschaft w
ährend der
Überfahrt fehlte es
11069 Isma nicht, da gegen zehn Frauen verschiedenen Lebensalters mit dem
11070 ›Glo
‹ von der Erde zur
ückkehrten.
</p>
11071 <p>L
ängst war die schmale Sichel der Erde als ein lichter
11072 Stern unter die
übrigen zur
ückgesunken, und die
11073 Verkleinerung des Sonnenballs infolge der gr
ößeren
11074 Entfernung von ihm lie
ß sich, wenn man die Strahlung durch
11075 ein dunkles Glas abblendete, sichtlich bemerken. Immer
11076 m
ächtiger trat das Ziel der Reise, der Mars, als hell
11077 leuchtende Scheibe hervor. Jetzt hatte man sich
über die
11078 Marsbahn erhoben, um, in unmittelbarer N
ähe des Planeten, sich
11079 in der Richtung der Achse auf seinen S
üdpol hinabsinken zu
11080 lassen. Nur noch etwa
13.000 Kilometer trennten das Raumschiff von
11081 der Au
ßenstation. Aber um diese Strecke zu durchfliegen, die
11082 man bei der vollen Fahrtgeschwindigkeit fern vom Planeten in zwei
11083 bis drei Minuten zur
ücklegte, bedurfte man jetzt ebenso vieler
11084 Stunden. Es galt, die Geschwindigkeit zuletzt durch
11085 Repulsitsch
üsse so zu vermindern, da
ß man gerade auf dem
11086 Ring der Au
ßenstation zur Ruhe kam. Die Schwierigkeit der
11087 Landung erforderte die volle Aufmerksamkeit des Kapit
äns
11089 <p>Als bevorzugte G
äste des Zentralrats konnten sich Isma und
11090 Ell bei Ill auf einer kleinen reservierten Trib
üne dicht neben
11091 der Kommandobr
ücke aufhalten. Isma mit bangem Herzen, Ell in
11092 freudiger Aufregung, die nur durch die Teilnahme am Geschick der
11093 Freundin ged
ämpft war, hefteten ihre Blicke erwartungsvoll auf
11094 die neue Welt, die sich zu ihren F
üßen auftat.
</p>
11096 <p>Es war Sommer am S
üdpol des Mars, und so zeigten sich, hier
11097 von der Achse aus gesehen, etwa zwei Drittel von der Scheibe des
11098 Planeten beleuchtet, w
ährend ein Drittel in tiefem Dunkel lag.
11099 Auf dem erhellten Teil vermochte man jetzt die S
üdhalbkugel
11100 bis gegen den zehnten Grad s
üdlicher Marsbreite zu
11101 überblicken. Dieser Horizont verengte sich mehr und mehr beim
11102 Herabsinken des Raumschiffes, w
ährend infolge der
11103 gr
ößeren Ann
äherung das Bild des Planeten an
11104 Ausdehnung zunahm und die Einzelheiten immer deutlicher
11105 hervortraten. Infolge der d
ünnen, durchsichtigen, wolkenlosen
11106 Atmosph
äre lag die Gestaltung der Oberfl
äche bis an den
11107 Rand der sichtbaren Fl
äche klar vor Augen. in der N
ähe
11108 des Poles und nach der Schattengrenze hin dehnten sich weite
11109 Gebiete von grauer, ins Blaugr
üne spielender F
ärbung, das
11110 Mare australe der Astronomen der Erde. Der Pol selbst war eisfrei,
11111 aber westlich von ihm lagen zwischen den dunklen Landesteilen noch
11112 langgestreckte Schneefl
ächen bis zum
80. Breitengrad hinab.
11113 Zwei ausgedehnte gro
ße Flecken, die weiter n
ördlich
11114 zwischen dem
60. und
70. Breitengrad hellrot im Sonnenschein
11115 gl
änzten, bezeichnete Ill als die W
üsten Gol und Sek; sie
11116 werden auf der Erde die beiden Inseln Thyle genannt. Im
11117 übrigen Teil der sichtbaren Scheibe herrschte diese hellrote
11118 Farbe vor, doch an mehreren Stellen von breiten und ausgedehnten
11119 grauen Gebieten unterbrochen. Alle diese dunkeln Stellen waren
11120 untereinander durch dunkle Streifen verbunden, die sich geradlinig
11121 durch die hellen Gebiete hindurchzogen. Die hellen Teile sind teils
11122 sandige, teils felsige Hochplateaus, trockene und fast
11123 vegetationslose Gegenden, in denen sich nur sp
ärliche
11124 Ansiedlungen zur Gewinnung der Mineralsch
ätze des Bodens
11125 befinden. Dicht bev
ölkert dagegen sind die dunklen Teile,
11126 deren Erdreich von Feuchtigkeit durchdrungen und mit einem
11127 üppigen Pflanzenwuchs bedeckt ist.
</p>
11129 <p>Ein seltsames Farbenspiel entwickelte sich an der
11130 Schattengrenze, an welcher die Sonne f
ür die Marsbewohner im
11131 Aufgehen und die Nacht zu entschwinden im Begriff war. W
ährend
11132 der Nacht bedeckte sich die Oberfl
äche des Planeten infolge
11133 der starken Abk
ühlung weithin mit einer Nebelschicht. Wo diese
11134 dichter war, dauerte es einige Zeit, ehe sie von den Strahlen der
11135 Sonne aufgesogen wurde, und hier erschienen gl
änzende Lichter
11136 durch den Reflex der Strahlen auf den Nebeln. Einzelne der
11137 Hochplateaus erhoben sich so weit, da
ß sie mit Schnee oder
11138 Reif bedeckt waren, der aber bald in den Strahlen der Sonne
11140 <p>Ill wies nach einer Stelle nahe am n
ördlichen Rand des
11141 Vegetationsgebiets, schon an der Grenze des Horizonts, wo der graue
11142 Grund eine Mannigfaltigkeit von teils helleren, teils dunkleren
11143 Konturen aufwies und wohin durch die benachbarten roten W
üsten
11144 eine besonders gro
ße Anzahl dunkler Streifen
11145 zusammenliefen.
</p>
11146 <p>»Dort liegt Kla
«, sagte er,
»der Sitz des
11147 Zentralrats, und dort werden wir zun
ächst wohnen. Nur wenn der
11148 Sommer noch weiter fortgeschritten ist, r
ücken wir weiter nach
11149 dem S
üdpol vor.
«</p>
11150 <p>»Es wird mir leicht werden
«, bemerkte Isma mit einem
11151 wehm
ütigen L
ächeln,
»denn ich werde nicht viel
11152 Gep
äck haben.
«</p>
11153 <p>»Daran wird es Ihnen nicht fehlen, ich werde es mir nicht
11154 nehmen lassen, Ihnen eine vollst
ändig eingerichtete Wohnung
11155 zur Verf
ügung zu stellen. Sie werden sich dann wohl bequemen,
11156 unsere Tracht anzunehmen, denn es wird Ihnen nicht angenehm sein,
11157 aufzufallen.
Übrigens m
üssen Sie wissen, da
ß ein
11158 Umzug von einem Ort zum andern kein Einpacken und Umr
äumen
11159 erfordert. Wir ziehen mit unserm ganzen Haus. Sie bestellen nur
11160 beim n
ächsten Transportb
üro, wann und wohin Sie
11161 bef
ördert sein wollen, legen sich ruhig schlafen und sind am
11162 andern Morgen an Ort und Stelle.
«</p>
11163 <p>»Es wird n
ämlich meistens in der Nacht
11164 gezogen
«, erkl
ärte Ell weiter.
»Die H
äuser
11165 stehen auf Rollschlitten und werden auf unsern Gleitbahnen
11166 bef
ördert. Gr
ößere Lasten lassen sich vorteilhafter
11167 in der Nacht fortbringen, am Tag w
ürden wir bei der
11168 herrschenden Trockenheit st
ärkeren Wasserverbrauch
11170 <p>»Hat denn jede Familie ihr eigenes Haus?
«</p>
11171 <p>»In den wohlhabenden Staaten gewi
ß, und wo man es
11172 sich gestatten kann, sogar jede einzelne Person. Die H
äuser
11173 sind nicht sehr gro
ß, es werden aber diejenigen einer Familie
11174 zu einer zusammenh
ängenden Gruppe verbunden. Sie werden es
11175 bald sehen, denn wir n
ähern uns dem Ziel. Blicken Sie gerade
11176 unter uns. Der gl
änzende Punkt
– es ist schon eine
11177 kleine Scheibe
– ist der Ring der Au
ßenstation. Von
11178 dort bringt uns der Fallwagen nach Polstadt, wo wir zun
ächst
11179 übernachten.
«</p>
11180 <p>»Das Letztere
«, bemerkte Ill,
»ist noch nicht
11181 gewi
ß. Vielleicht m
üssen wir unsre Reise sogleich
11182 fortsetzen. Doch gehen unsre Wagen so ruhig und sind so bequem
11183 eingerichtet, da
ß Sie keinerlei Anstrengung zu f
ürchten
11185 <p>An der unteren W
ölbung des Raumschiffs flammte das Zeichen
11186 der Marsstaaten auf. Der
›Glo
‹ hatte sich bis dicht
11187 über die Station gesenkt, deren Raumschiffe wie eine Stadt aus
11188 riesigen Kuppeldomen im Sonnenschein strahlten. Alle diese Schiffe
11189 lie
ßen jetzt ihre Symbole und Flaggenzeichen an ihren
11190 W
ölbungen zur Begr
üßung aufleuchten. Fast
11191 unmerklich langsam glitt das Schiff auf seinen Platz nieder. Kein
11192 Laut unterbrach die Stille, durch die Leere des Weltraums pflanzte
11193 sich kein Schall fort. Aber hinter den durchsichtigen W
änden
11194 der Galerien sah man eine gedr
ängte Menge, die dem nahenden
11195 Schiff mit Schleiern ihr Willkommen zuwinkte.
</p>
11196 <p>Der aufnehmende Zylinder senkte sich in die Empfangshalle, der
11197 ›Glo
‹ ruhte an seinem Ziel; der Stationsbeamte betrat
11198 durch die Eingangsluke das Schiff. Ill mit seinen G
ästen zog
11199 sich zun
ächst in das Innere des Schiffes zur
ück. Nach
11200 Erf
üllung der erforderlichen F
örmlichkeiten wurde das
11201 Verlassen des Schiffes gestattet. Zun
ächst str
ömten die
11202 von der Erde abgel
östen Martier heraus und wurden von ihren
11203 Verwandten und Freunden jubelnd bewillkommnet. Erst nachdem dieses
11204 rege Gew
ühl sich einigerma
ßen gelegt hatte, nahte sich
11205 eine Deputation von Mitgliedern des Zentralrats und andern
11206 offiziellen Pers
önlichkeiten und betrat das Innere des
11207 Raumschiffs. Hier erfolgte die Begr
üßung und formelle
11208 Vorstellung von Ell und Isma, indem Ill in K
ürze die
11209 notwendigsten Erkl
ärungen gab. Ein erster telephotischer
11210 Bericht war bereits von der Erde aus vorangegangen.
</p>
11211 <p>Obgleich dieser Empfang im Innern des Schiffes ziemlich lange
11212 w
ährte, hatten die Zuschauer es sich doch nicht nehmen lassen,
11213 in der Empfangshalle zu warten. Absperrungen gab es nicht. Es
11214 verstand sich von selbst, da
ß die Martier den Ausgang des
11215 Schiffes und den Weg nach der Abfahrtshalle des Fallwagens im
11216 abarischen Feld freilie
ßen.
</p>
11217 <p>Endlich erschien die Empfangsdeputation wieder und schritt den
11218 Weg nach dem Fallwagen voran. Hinter ihr kam Ill, der Isma
11219 f
ührte, w
ährend Ell an seiner linken Seite ging.
</p>
11220 <p>Isma hatte den Schleier dicht vor ihr Gesicht gezogen, sie wagte
11221 nicht, sich umzuschauen. Ill und Ell dankten nach martischer Sitte
11222 f
ür die Willkommrufe, die ihnen entgegenschallten. Erst als
11223 Isma bereits auf der Treppe des Fallwagens stand, schob sie ihren
11224 Schleier zur
ück und warf einen Blick auf das bunte Bild der
11225 bewegten Menge. Ein enthusiastischer junger Mann, der sich bis
11226 dicht an die Treppe gedr
ängt hatte, warf ihr einen Gegenstand
11227 zu, den sie nicht kannte; doch ahnte sie wohl, da
ß dies eine
11228 Huldigung sein sollte. Es war allerdings nicht, wie sie vermutete,
11229 ein Blumenstrau
ß, sondern ein buntes Spielzeug, wie man sie
11230 kleinen Kindern schenkte. Hier auf der Au
ßenstation, um den
11231 Marsdurchmesser vom Mittelpunkt des Planeten entfernt, herrschte
11232 nur der vierte Teil der Marsschwere, also nur ein Zw
ölftel der
11233 Erdschwere. Der Gegenstand, etwas h
öher als Ismas Kopf
11234 geworfen, schwebte daher so langsam herab, da
ß sie ihn bequem
11235 mit der Hand ergreifen konnte. Sie tat es und verneigte sich in
11236 ihrer nat
ürlichen Anmut gegen die Anwesenden, f
ür welche
11237 die Fremdartigkeit ihres Gru
ßes einen besondern Reiz
11239 <p>»Sila Ba!
« – »Es lebe die Erde!
«
11240 rief der J
üngling, und die Versammlung stimmte in den Ruf ein.
11241 »Sila Ill, Sila Ell, Sila Ba!
«</p>
11242 <p>In der T
ür des Wagens wandte sich Isma nochmals
11243 zur
ück. Sie fa
ßte Mut und rief:
»Sila Nu!
«
11244 Sie erschrak
über ihre eigene Stimme. Denn selbst die Hochrufe
11245 der Martier klangen tief und halblaut, sie aber hatte ihre helle
11246 Menschenstimme nicht ged
ämpft, und so hob sich ihr Gru
ß
11247 deutlich in dem allgemeinen Ger
äusch ab. Die Martier waren
11250 <p>Der Verkehr auf weite Strecken und mit gro
ßer
11251 Geschwindigkeit wurde auf dem Mars durch zwei Arten von Bahnen
11252 vermittelt, Gleitbahnen und Radbahnen. Die Kraftquelle war die
11253 Sonnenstrahlung selbst; sie wurde auf den gl
ühenden, trockenen
11254 Hochplateaus in ausgedehnten Strahlungsfl
ächen gesammelt und
11255 den Motoren in Form von Elektrizit
ät zugeleitet. Bei den
11256 Gleitbahnen befand sich zwischen der Schienenbahn und der Last, die
11257 auf Schlittenkufen mit eingelassenen Kugeln ruhte, eine d
ünne
11258 Wasserschicht, wodurch die Reibung so vermindert wurde, da
ß
11259 man riesige Massen mit gro
ßer Geschwindigkeit transportieren
11260 konnte. Noch viel rascher indessen fand der Personenverkehr auf den
11261 Radbahnen statt. Die zwischen drei Schienen laufenden Einzelwagen
11262 legten in der Stunde
400 Kilometer zur
ück. Der Verkehr durch
11263 Luftschiffe hatte sich bis jetzt nicht als vorteilhaft
11264 bew
ährt, doch beabsichtigte man nunmehr nach den neuen
11265 Entdeckungen, zu denen die Fahrten nach der Erde gef
ührt
11266 hatten, den Bau neuer Luftschiffe mit Repulsitmotoren in Angriff zu
11267 nehmen. Ill hatte beim Empfang erfahren, da
ß er die Reise
11268 sogleich fortsetzen solle. Er bestieg daher mit seinen G
ästen
11269 den von der Regierung gestellten Zug, um ohne Aufenthalt nach Kla
11270 zu gelangen. Trotzdem war hierzu eine zw
ölfst
ündige Fahrt
11272 <p>Jene Bahnen wurden aber nur dann benutzt, wenn es sich darum
11273 handelte, gro
ße Strecken in k
ürzester Zeit
11274 zur
ückzulegen. Das Hauptverkehrsmittel war stets der
11275 Radschlitten, ein leichter, teils auf Kufen, teils auf R
ädern
11276 ruhender Wagen f
ür ein oder zwei Personen, den ein unter dem
11277 Sitz befindlicher kleiner Motor bewegte. Ferner kamen dazu die
11278 Stufenbahnen, die in regelm
äßigen Abst
änden von
11279 etwa zehn Kilometern alle bewohnten Gegenden mit ihrem dichten Netz
11280 überspannten. Diese Stufenbahn war das Ideal einer
11281 Stra
ße, in ihr war jene Phantasie des M
ärchendichters
11282 realisiert, da
ß statt des Reisenden die Wege selbst sich
11283 bewegten. Die Breite der eigentlichen Fahrstra
ße betrug etwa
11284 30 Meter, und ebenso breit waren die parallellaufenden
11285 Zugangsstra
ßen. Diese bestanden aus zwanzig eng nebeneinander
11286 befindlichen Streifen von anderthalb Meter Breite, von denen der
11287 äu
ßere sich mit einer Geschwindigkeit von drei Metern in
11288 der Sekunde fortschob. Jeder folgende, nach innen zu, hatte eine um
11289 drei Meter gr
ößere Geschwindigkeit, so da
ß die
11290 Bahn in der Mitte, die eigentliche Fahrstra
ße, sich mit einer
11291 Geschwindigkeit von
60 Metern in der Sekunde bewegte. Jeder Punkt
11292 derselben legte also in der Stunde
über
200 Kilometer
11293 zur
ück. Die Streifen selbst erhielten ihre Bewegung durch
11294 Walzen,
über welche sie in der Art von Transmissionsriemen
11295 gezogen waren. Man konnte die Stufenbahn sowohl zu Fu
ß als
11296 auf dem eigenen Radschlitten benutzen. An jeder Stelle konnte sie
11297 betreten und verlassen werden. Die Geschwindigkeit des ersten
11298 Streifens von drei Metern konnte man auf dem Mars, wo wegen der
11299 geringeren Schwere das Springen eine jedermann gel
äufige Sache
11300 war, leicht erreichen, noch bequemer mit Hilfe des Radschlittens.
11301 Man sprang oder fuhr also einfach auf diesen Streifen, und da jeder
11302 folgende Streifen zum vorhergehenden dieselbe relative
11303 Geschwindigkeit besa
ß, so gewann man, von Streifen zu
11304 Streifen schr
äg vorw
ärts gehend oder fahrend, die
11305 Geschwindigkeit der Hauptstra
ße. Diese benutzte man,
11306 ebenfalls fahrend oder gehend, soweit man wollte, um alsdann in
11307 derselben Weise sie wieder zu verlassen. Die linke Seite war zum
11308 Aufstieg, die rechte zum Abstieg bestimmt.
Über die Stufenbahn
11309 f
ührten alle hundert Meter leichte Br
ücken.
</p>
11310 <p>Über den Bahnen erhoben sich, die ganze Breite in
11311 k
ühnen Bogen
überspannend, die Riesengeb
äude des
11312 gewerblichen und Gesch
äftsverkehrs. Diese stiegen bis zur
11313 H
öhe von hundert Meter an. Das leichte, feste Baumaterial
11314 gestattete bei der geringen Marsschwere diese gewaltigen
11315 W
ölbungen und S
äulenmassen. Gleich Pal
ästen und
11316 Domen, in zierlichen Formen und lichten Farben, stiegen die
11317 Geb
äude wie spielend in die klare Luft,
überall auf ihren
11318 D
ächern die Sonnenstrahlen sammelnd, um ihre Kraft zu
11319 verwerten. So zogen diese Hallen ohne Unterbrechung durch das Land,
11320 es in gro
ße Abschnitte von durchschnittlich hundert
11321 Quadratkilometer Fl
äche zerlegend. Eigentliche St
ädte
11322 oder D
örfer gab es hier nicht, die Orte gingen ineinander
11323 über, und nur als Verwaltungsbezirke schieden sich die
11324 Geb
äude in zusammengeh
örige Gruppen. Diese Bauten
11325 überbr
ückten auch die Kan
äle und die Bahnen, die
11326 sich meist in derselben Richtung mit ihnen hinzogen.
</p>
11327 <p>Entfernte man sich aber von diesen Industriestra
ßen nur um
11328 einige hundert Schritte, so befand man sich in einer
11329 vollst
ändig anderen Gegend. Gewaltige Riesenb
äume, deren
11330 Gipfel zum Teil sogar die hundert Meter hohen Geb
äude noch
11331 überragten, verdeckten mit ihren Zweigen die N
ähe der
11332 Bauwerke. Es waren teils den Platanen, teils den Fichten gleichende
11333 Pflanzen, mit denen sich kein irdischer Baum, selbst nicht die
11334 ber
ühmten Riesen des Yosemite-Tales, vergleichen konnte. Erst
11335 in einer H
öhe von etwa vierzig Metern begann der Astansatz,
11336 und von hier aus bildete das Laubdach eine nat
ürliche
11337 W
ölbung, auf den geradlinig aufsteigenden Pfeilern der
11338 St
ämme ruhend. Kein direkter Sonnenstrahl vermochte den Boden
11339 zu treffen, aber ein mildes, bl
äulich-gr
ünes Licht
11340 schimmerte von den Bl
ättern hernieder und verteilte sich
11341 gleichm
äßig im Raum. Diese lebendigen Kuppeln ersetzten
11342 den Martiern den Schutz einer dichteren Atmosph
äre, sie
11343 milderten den Gegensatz der Einstrahlung am Tag und der
11344 Ausstrahlung in der Nacht und sch
ützten den Boden vor
11345 Verdunstung. Der gesamte Raum der von den Industriestra
ßen
11346 begrenzten Bezirke war eine solche entz
ückende Waldlandschaft,
11347 die
übrigens nach der Mitte der Bezirke zu auch zuweilen von
11348 Lichtungen unterbrochen wurde und eine reiche Abwechslung des
11349 Pflanzenwuchses darbot.
</p>
11350 <p>Auf beiden Seiten der Industriestra
ßen, in einem Streifen
11351 von etwa tausend Metern Breite, erstreckten sich die
11352 Privatwohnungen der Martier. Unter dem Riesendach der B
äume
11353 dehnte sich ein reizendes Gewirr von Garten- und Parkanlagen aus,
11354 Blumenbeete und kleine Teiche wechselten mit Geb
üsch und
11355 Baumgruppen, deren H
öhe das auf der Erde gewohnte Ma
ß
11356 nicht
überstieg. Mitten in diesen G
ärten, die bald aufs
11357 anmutigste gepflegt, bald als einfache Rasenpl
ätze sich
11358 darstellten, standen die H
äuser der Martier, kleine
11359 einst
öckige Geb
äude, manchmal zu Gruppen
11360 zusammengeschlossen, im allgemeinen aber villenartig durchs
11361 Gel
ände zerstreut. Sie reihten sich, vom Blaugr
ün der
11362 Str
äucher und bunten Blumenbosketts umgeben,
11363 unregelm
äßig zu beiden Seiten der Wege, auf deren festem
11364 Moosteppich sich, f
ür das Auge wenig bemerkbar, die Geleise
11365 der Gleitbahn hinzogen. S
ämtliche Martier in den kulturell
11366 entwickelten Teilen des Planeten hielten sich in solchen
11367 l
ändlichen Wohnsitzen auf, sofern sie nicht gerade
11368 gesch
äftlich oder dienstlich in den Industrier
äumen zu
11369 tun hatten. Es kamen hier auf einen Quadratkilometer ungef
ähr
11370 tausend Einwohner, so da
ß ein solches Stra
ßenviertel
11371 von zehn Kilometern L
änge und Breite in dem Streifen, der es
11372 umfa
ßte, gegen vierzigtausend Einwohner z
ählte. Hatte
11373 man diese Zone von Wohnst
ätten durchschritten und drang man
11374 auf einer der schmalen, sauber angelegten Stra
ßen weiter in
11375 das Innere des Bezirks vor, so nahm die Landschaft wieder einen
11376 neuen Charakter an. Die G
ärten h
örten auf, an ihre Stelle
11377 trat die Wildnis des Waldes. Tiefe Stille herrschte ringsum, nur
11378 unterbrochen durch das leichte Summen kleiner Vogelarten oder das
11379 Zwitschern der singenden Bl
üten, die sich auf ihren schwanken
11380 Stengeln wiegten. Zahlreiche Wasseradern verzweigten sich unter den
11381 breiten Bl
ättern einer Sumpfpflanze und sammelten sich zu
11382 einem stillen See, dessen dunkle Fl
äche seine Ufer
11383 widerspiegelte. Und alles dies war
überragt und gesch
ützt
11384 von dem sanft leuchtenden Bl
ätterdach der Riesenb
äume,
11385 das sich wie ein gr
ünes Himmelszelt
über die niedere
11386 Waldlandschaft hindehnte. Man war entr
ückt in die Einsamkeit
11387 ungest
örter Natur, und nichts verriet, da
ß man auf dem
11388 eilenden Radschlitten in wenigen Minuten auf die Weltstra
ße
11389 gelangen konnte, wo Millionen gesch
äftiger Bewohner, die
11390 Kr
äfte der Sonne und des Planeten ausnutzend, arbeiteten. Es
11391 war ein Gesetz, da
ß in jedem Bezirk drei F
ünftel des
11392 Fl
ächenraums im Innern als Naturpark von jeder Ausbeutung und
11393 Bewohnung gesch
ützt blieb, was jedoch eine geregelte
11394 Forstkultur darin nicht ausschlo
ß. Je nach der
11395 areographischen Breite wechselte nat
ürlich die Art der
11396 vorherrschenden Pflanzen. Ihr Wuchs wurde
üppiger in der
11397 N
ähe des
Äquators, sp
ärlicher nach den Polen zu.
11398 Doch gab es in den Niederungen nirgends eine eigentliche
11399 Waldgrenze, da nach den Polen hin die Feuchtigkeit das Klima
11401 <p>Einen starken Gegensatz zu dem reichen Kulturleben und der
11402 Lebensf
ülle der Niederungen boten die felsigen Hochplateaus,
11403 auf denen es an einigen Stellen sogar betr
ächtliche Gebirge
11404 gab. Im allgemeinen erhoben sie sich jedoch nicht bedeutend
11405 über die Tiefebenen. Auch durch jene W
üsten zogen sich,
11406 uralten Kulturwegen folgend, die Industriestra
ßen hin, nur
11407 da
ß sie hier nicht ein dichtes Netz bildeten, sondern
11408 parallel verliefen und dadurch Streifen von drei
ßig bis
11409 dreihundert Kilometern Breite darstellten, die mit Bewohnern
11410 besetzt waren. Denn jeder solcher Streifen war von einem Kanal
11411 begleitet, der das Wasser von den Polen
über den ganzen
11412 Planeten verbreitete. Nicht immer reichte die Wassermenge aus, alle
11413 diese Kan
äle zu f
üllen, so da
ß die Breite des
11414 Vegetationsstreifens je nach der St
ärke der Bew
ässerung
11415 wechselte. Es schien dann, von der Erde aus gesehen, als ob die
11416 dunklen Streifen, welche die W
üstengebiete auf die L
änge
11417 von Tausenden von Kilometern durchsetzen, sich seitlich verschoben,
11418 verengten, verbreiterten oder auch verdoppelten. Sobald der
11419 Wasserzuflu
ß hier aufh
örte, verloren die
11420 sch
ützenden B
äume ihr Laub und der Boden verdorrte,
11421 wenige Tage aber gen
ügten auch wieder, dem Pflanzenwuchs seine
11422 Frische zur
ückzugeben.
</p>
11423 <p>Die Bev
ölkerung dieser Weltstra
ßen stand unter
11424 ung
ünstigeren Lebensbedingungen als die der immer feuchten
11425 Niederungen, aber sie war doch ungleich besser gestellt als die
11426 Bewohner der W
üsten. Hier hausten in der Kultur
11427 zur
ückgebliebene Gruppen der Bev
ölkerung des Planeten,
11428 die zum Teil sogar noch Ackerbau trieben, wo geringe Einsenkungen
11429 infolge der n
ächtlichen Niederschl
äge den Anbau von
11430 Fr
üchten gestatteten, zum gr
ößeren Teil aber im
11431 Bergbau und in den Strahlungs-Sammelst
ätten t
ätig waren.
11432 Denn jene W
üstengegenden, einst leer und unbewohnt, waren in
11433 der gegenw
ärtigen Kulturperiode des Planeten das
11434 Hauptreservoir und die Hauptquelle f
ür die Energie geworden.
11435 Aus den Kalkfelsen, dem ausgetrockneten Ton- und Lehmboden und den
11436 darunter befindlichen, von Erzg
ängen reich durchsetzten
11437 Schichten zog die Bev
ölkerung des ganzen Planeten ihre Nahrung
11438 und ihre Macht. Aber die klimatischen Verh
ältnisse gestatteten
11439 nicht, die Verarbeitung an Ort und Stelle vorzunehmen. Die
11440 Gesteinsmassen wurden an den R
ändern der Verkehrsstreifen
11441 gebrochen, wodurch diese sich allm
ählich verbreiterten. Die
11442 Sonnenstrahlung wurde auf der ganzen Hochfl
äche gesammelt und
11443 in der Form von Elektrizit
ät
über den Planeten verteilt.
11444 Die Bergleute an den R
ändern der Kulturstreifen gelangten
11445 dabei zu Wohlstand, vermischten sich stetig mit der
11446 Bev
ölkerung der Niederungen und rekrutierten sich immer aufs
11447 neue aus dem Stand der Beds, den W
üstenbewohnern, die f
ür
11448 die Besorgung der Sammelwerke unentbehrlich waren. Diese
11449 abgeh
ärteten W
üstens
öhne durchzogen im Sonnenbrand
11450 die weiten Hochfl
ächen, um im Dienst der gro
ßen
11451 Strahlensammelkompagnien die Stromleitungen bei Sonnenaufgang in
11452 T
ätigkeit zu setzen und bei Sonnenuntergang wieder
11453 abzustellen. Sie erhielten einen reichlichen Lohn, der ihnen wohl
11454 gestattet h
ätte, nach einer Reihe von Jahren ihren
11455 beschwerlichen Beruf aufzugeben, aber sie liebten ihre
11456 Hochfl
ächen, wie ihre V
äter sie geliebt hatten, wo in der
11457 Nacht der Himmel mit Millionen Sternen leuchtete, wo wallende Nebel
11458 der Morgensonne vorauszogen und dann das Glutgestirn den Boden
11459 unter den F
üßen brennen lie
ß. Sie liebten die
11460 W
üste und sch
üttelten die K
öpfe, sobald einer der
11461 Ihren in die Sch
ächte am W
üstenrand hinabstieg. Sie
11462 betrachteten die Bewohner der T
äler nur als die Lieferanten
11463 ihrer Bed
ürfnisse und f
ühlten sich als die eigentlichen
11464 Spender der Kraft des Planeten; aber sie wu
ßten auch,
11465 da
ß sie trotz ihrer Sonne und Sterne verhungern
11466 m
üßten, wenn nicht die klugen M
änner der Tiefe
11467 ihnen Steine in Brot verwandelten.
</p>
11468 <p>Steine in Brot! Eiwei
ßstoffe und Kohlenhydrate aus Fels
11469 und Boden, aus Luft und Wasser ohne Vermittlung der Pflanzenzelle!
11470 – Das war die Kunst und Wissenschaft gewesen, wodurch die
11471 Martier sich von dem niedrigen Kulturstandpunkt des Ackerbaues
11472 emanzipiert und sich zu unmittelbaren S
öhnen der Sonne gemacht
11473 hatten. Die Pflanze diente dem
ästhetischen Genu
ß und
11474 dem Schutz der Feuchtigkeit im Erdreich, aber man war nicht auf
11475 ihre Ertr
äge angewiesen. Zahllose Kr
äfte wurden frei
11476 f
ür geistige Arbeit und ethische Kultur, das stolze
11477 Bewu
ßtsein der Numenheit hob die Martier
über die Natur
11478 und machte sie zu Herren des Sonnensystems.
</p>
11479 <h2>28 - Sehensw
ürdigkeiten des Mars
</h2>
11480 <p>In einem der gro
ßen Bezirke, welche den Sitz der
11481 Zentralregierung des Mars umschlossen und den Gesamtnamen Kla
11482 f
ührten, lag die Wohnung Ills nahe an der Grenze der
11483 Waldwildnis. Sie bestand aus mehreren miteinander verbundenen
11484 Einzelh
äuschen, so da
ß das Ganze eine ger
äumige
11485 Villa darstellte. Die Anlagen, die sich um die Geb
äude
11486 erstreckten, zeugten von sorgf
ältiger Pflege und feinem
11487 Geschmack. Am Eingang des Gartens sa
ßen rechts und links in
11488 anmutiger Haltung zwei Frauengestalten, die sich im Scherz eine
11489 Blumengirlande zu entrei
ßen suchten; sie zogen quer
über
11490 den Weg an den entgegengesetzten Enden derselben und versperrten
11491 dadurch den Zutritt.
</p>
11492 <p>Auf der schmalen, glatten Stra
ße, die zwischen den
11493 Nachbarg
ärten von dem Hauptweg abzweigend auf diesen Eingang
11494 hinf
ührte, n
äherte sich rasch ein leichter, zweisitziger
11495 Radschlitten. Ein j
üngerer Mann in der anliegenden
11496 Sommerkleidung der Martier lenkte denselben; der Sitz neben ihm war
11497 leer. Wer Ell mit dem grauen Haar und der Falte zwischen den Augen
11498 nachdenklich von seiner Sternwarte in Friedau hatte herabsteigen
11499 sehen, h
ätte ihn in diesem Martier nicht wiedererkannt. Ell
11500 f
ühlte sich in der Tat wie verj
üngt, gleich als ob seine
11501 Erdenjahre ihm nach der Rechnung des Mars, zwei auf ein Marsjahr,
11502 angerechnet werden sollten. Ein unaussprechliches
11503 Gl
ücksgef
ühl durchzog seine Seele; das Bewu
ßtsein,
11504 dem Planeten zur
ückgegeben zu sein, den er f
ür seine
11505 Heimat hielt, mitzuleben unter den Numen und ihren
11506 G
ötterwandel zu teilen, erhob ihn zun
ächst
über alle
11507 die Sorgen, die bei dem Gedanken an das Geschick der Erde und
11508 seiner irdischen Freunde sich ihm aufdr
ängten. Es war ihm, als
11509 m
üßten alle diese Schwierigkeiten unter den H
änden
11510 der Nume von selbst sich l
ösen, und er geno
ß in vollen
11511 Z
ügen die Seligkeit, all das Gro
ße und Herrliche zu
11512 sehen, von dem sein Vater mit dem Schmerz des Verbannten in
11513 unstillbarer Sehnsucht geredet hatte.
</p>
11514 <p>Der Radschlitten glitt auf den Eingang des Gartens zu, und Ell
11515 lie
ß den Strahlenkegel einer kleinen, an der Lenkstange des
11516 Radschlittens befestigten Lampe einen Moment auf die Augen der
11517 rechts sitzenden Frau fallen. Sogleich richteten beide Figuren sich
11518 in die H
öhe und erhoben wie zum Gru
ß die Arme, indem
11519 sich dabei die Girlande wie ein Triumphbogen emporschwang und den
11520 Eingang freigab. Der Schlitten glitt hindurch und hielt gleich
11521 darauf vor der Veranda des Hauses.
</p>
11522 <p>Die beiden anmutigen Pf
örtnerinnen waren Automaten. Die
11523 Bestrahlung der Augen der rechtssitzenden l
öste eine chemische
11524 Reaktion aus und
öffnete dadurch die Pforte. Zugleich wurde
11525 damit der Eintritt eines Ankommenden im Innern des Hauses
11527 <p>Ell sprang aus dem Schlitten und eilte die Stufen der Veranda
11529 <p>Eine schlanke Frauengestalt trat ihm aus dem Haus entgegen.
</p>
11530 <p>Ell blieb erstaunt stehen. Er erkannte nicht sogleich, wen er
11531 vor sich hatte. Er hatte Isma noch nicht im Kost
üm der
11532 Martierinnen gesehen.
</p>
11533 <p>»Isma!
« rief er jetzt, mit bewundernden Blicken sie
11534 anstarrend. Er wollte nach Martiersitte die H
ände auf ihre
11535 Schultern legen, aber sie ergriff sie nach alter Gewohnheit mit den
11536 ihrigen und dr
ückte sie freundschaftlich.
</p>
11537 <p>»Ich kann nicht daf
ür
«, sagte sie, verlegen
11538 err
ötend,
»Frau Ma hat es nicht anders
11539 gewollt.
«</p>
11540 <p>»Sie konnte es nicht besser treffen
«, sagte Ell
11541 heiter,
»ich w
ünschte, ich k
önnte so mit Ihnen
11542 durch die Stra
ßen von Friedau gehen. Passen Sie auf, das
11543 kommt auch noch.
«</p>
11544 <p>Isma sch
üttelte leise den Kopf.
»Lassen Sie uns jetzt
11545 nicht an die Erde denken. Wenn ich allein bin, kommen meine
11546 Gedanken nicht fort davon, immer sehe ich den Zettel auf dem Tisch
11547 meines Zimmers, als ich die Lampe abdrehte, und dann die Gletscher
11548 zwischen den Felsen, wo
– –. Nein, Ell, bis wir nicht
11549 handeln k
önnen und nichts Neues erfahren, lassen Sie mich in
11550 Ihrer Gegenwart versuchen, mit Ihnen auf dem Mars zu leben.
11551 Versuchen
– wie ich dies Kleid versuche.
«</p>
11552 <p>»Verzeihen Sie mir
«, sagte Ell,
»ich bin so
11553 überrascht von allem Neuen, da
ß ich nicht sogleich den
11554 richtigen Ton traf. Aber ich werde es. Und jetzt wollen Sie mir die
11555 Freude machen, mich zu begleiten?
«</p>
11556 <p>Sie blickte wieder l
ächelnd an sich herab und zupfte an den
11557 dichten Falten des Schleiergewandes.
</p>
11558 <p>»Ich will nur fragen, was noch zur Stra
ßentoilette
11559 geh
ört
«, sagte sie.
»Nehmen Sie Platz.
« Sie
11560 schl
üpfte in das Zimmer.
</p>
11561 <p>Nach wenigen Minuten kehrte sie zur
ück. Sie trug jetzt den
11562 leichten Kopfputz der Martierinnen, wie er im Sommer
üblich
11563 war, der nur den Vorderkopf bedeckte. Ein Kranz sehr feiner und
11564 zarter Federn sch
ützte die Stirn und die Augen, indem er als
11565 ein halbkreisf
örmiger Schirm vortrat. Die Farbe war genau das
11566 tiefe Blau ihrer Augen, und von derselben Farbe war das den
11567 schlanken Formen sich anschlie
ßende weiche Panzerkleid, das,
11568 st
ärker als Seide, metallisch, wie die Fl
ügeldecken
11569 mancher K
äfer schimmerte. Der Schleier, auf beiden Schultern
11570 befestigt, wurde von einem G
ürtel zusammengehalten, dessen
11571 Grund unsichtbar war, er erschien nur wie ein Kranz ineinander
11572 verschlungener Zweige. Vom G
ürtel ab flo
ß der Schleier,
11573 dessen Farbe genau dem Lichtbraun des Haares angepa
ßt war, in
11574 dichten Falten um die ganze Gestalt bis zu den Kn
öcheln, wurde
11575 aber von scheinbar vom G
ürtel herabh
ängenden
11576 Bl
ütengewinden durchsetzt. Dunkelblaue Schuhe vollendeten den
11577 Anzug. Es war, als h
ätte sich der schimmernde Lichtglanz der
11578 Augen und das zarte Gew
ölk des Haares um den ganzen
11579 K
örper verbreitet.
</p>
11580 <p>Hinter Isma erschien eine
ältere, w
ürdige Dame, Frau
11581 Ma, die Gattin Ills.
</p>
11582 <p>»Guten Morgen
«, rief Ell, ihr freudig
11583 entgegentretend.
»Darf ich dir deinen Gast
11584 entf
ühren?
«</p>
11585 <p>Ma warf mit jugendlicher Frische den Kopf zur
ück und
11586 blinzelte Ell mit ihren gutm
ütigen Augen vergn
ügt an, ihn
11587 von oben bis unten musternd.
</p>
11588 <p>»Ganz wie eingeboren!
« sagte sie lachend.
11589 »Eigentlich hatte ich mich auf einen Menschenneffen gefreut,
11590 der in Felle gekleidet umherl
äuft. So macht man
’s wohl?
11592 <p>Dabei streckte sie Ell ihre linke Hand entgegen.
</p>
11593 <p>»Die rechte, Tante!
« sagte Ell.
</p>
11594 <p>»Na also dann wohl die?
«</p>
11595 <p>Ell ergriff die Hand und zog sie an seine Lippen.
</p>
11596 <p>»So also wird das gemacht?
«</p>
11597 <p>»Herren gegen Damen, wenn sie besonders aufmerksam sein
11598 wollen. Einer Tante darf man sogar um den Hals fallen.
«</p>
11599 <p>»Na, ein andermal. Aber nun sag einmal, Neffe, wie
11600 gef
ällt dir das Kind?
« Dabei fa
ßte sie Isma am Arm
11601 und drehte sie ohne weiteres um sich selbst.
»Mir
11602 gef
ällt blo
ß nicht
«, fuhr sie sogleich fort,
11603 »da
ß sie so traurige Augen macht. Das ist nichts, auf
11604 dem Nu mu
ß man lustig sein. Nun nimm sie einmal mit und zeig
11605 ihr die Welt. Du sollst mir sie ein bi
ßchen munter
11607 <p>Sie lie
ß Isma gar nicht zu Wort kommen, sondern schob die
11608 beiden, sie freundlich auf die Schulter klopfend, nach der Treppe.
11609 Schon hatte Isma den Wagen bestiegen, und Ell wollte ihn eben in
11610 Bewegung setzen, als Ma rief:
</p>
11611 <p>»Halt, halt! Isma, Frauchen, Sie haben ja Tuch und Schirm
11612 vergessen. Bleiben Sie nur sitzen. Ich hab
’s schon drin
11613 zurechtgelegt.
«</p>
11614 <p>Im Augenblick erschien sie wieder und warf ein kleines Rohr
11615 hinab. Ell fing es auf.
</p>
11616 <p>Isma dankte.
</p>
11617 <p>»Wenn Sie auf der einen Seite ziehen, ist
’s ein
11618 Schirm, und auf der andern bekommen Sie ein Umschlagetuch. Da, an
11619 den G
ürtel h
ängt man
’s
– – zeig
’s
11620 ihr doch, Ell! Fahrt wohl, ihr Kinder.
«</p>
11621 <p>Isma betrachtete das zierliche R
öhrchen.
»Ich
11622 denke
«, sagte sie,
»hier regnet es nur in der Nacht.
11623 Wozu braucht man da einen Schirm?
«</p>
11624 <p>»Es ist auch eigentlich ein Sonnenschirm.
«</p>
11625 <p>»Aber hier ist
überall der wunderbare Baumschatten,
11626 und die Stra
ßen drau
ßen sind alle
11627 überw
ölbt.
«</p>
11628 <p>»Es gibt auch Lichtungen und
Überg
änge, wo der
11629 Schirm unentbehrlich ist; denn wo die Sonne scheint, brennt sie
11630 gewaltig. Obwohl wir soviel weiter von ihr entfernt sind als auf
11631 der Erde, sch
ützt uns doch nicht die dichte Erdenluft; es ist,
11632 als ob wir auf dem Gaurisankar st
änden.
«</p>
11633 <p>»Aber diese herrliche Vegetation.
«</p>
11634 <p>»Den Verh
ältnissen angepa
ßt, und die sind doch
11635 wieder ganz andere als auf einem Gebirge. Hier in den Niederungen
11636 halten wir alle W
ärme fest und geben keine wieder heraus.
11637 Daf
ür sorgen die gro
ßen pelzverbr
ämten Bl
ätter
11638 unsrer Riesenb
äume. Aber Sie sind an das Klima nicht
11639 gew
öhnt, es ist vielleicht besser, wenn Sie w
ährend des
11640 Fahrens sich in das Tuch h
üllen. Erlauben Sie.
«</p>
11641 <p>Ell nahm Isma das Schirmr
öhrchen aus der Hand und zog an
11642 dem Ring, welcher das eine Ende abschlo
ß. Eine kleine Rolle,
11643 nicht gr
ößer als ein Zeigefinger, schob sich heraus,
11644 scheinbar schwarz; aber unter Ismas H
änden entfaltete sich das
11645 R
öllchen zu einer gro
ßen Decke, in die man den ganzen
11646 K
örper einh
üllen konnte. Das Gewebe war ganz weich,
11647 locker und vollst
ändig unsichtbar, die eingewebten dunklen
11648 F
äden dienten nur dazu,
überhaupt erkennen zu lassen, wo
11649 das Tuch sich befand und wie weit es reichte. Isma h
üllte sich
11650 behaglich hinein, und man bemerkte nicht, da
ß sie
11651 überhaupt ein Tuch umgeschlagen hatte; ihre Toilette blieb
11652 vollst
ändig sichtbar.
</p>
11653 <p>»Das ist ja wie das Zelt der Fee Paribanu
«, sagte
11654 sie l
ächelnd.
»Aber wie bekommt man denn das Tuch wieder
11655 in das Futteral?
«</p>
11656 <p>»Man kn
üllt es einfach in der Hand zusammen und
11657 stopft es hinein. Diesen Lisf
äden ist es ganz
11658 gleichg
ültig, wie sie zu liegen kommen, man kann sie
11659 zusammenpressen wie Luft.
«</p>
11660 <p>»Jetzt ist es erst behaglich
«, sagte Isma.
11661 »Und wie still und sch
ön. Das ist ja wie in unserem
11662 Wald, nur Felsen scheint es nicht zu geben. Aber so viel Wasser!
11663 Und ich denke, der Mars ist so wasserarm?
«</p>
11664 <p>»Das ist auch richtig, wir haben kein Meer, wenigstens
11665 kein nennenswertes. Unser ganzer Reichtum ist auf dem Land
11666 verteilt, da nutzen wir ihn aus.
«</p>
11667 <p>Es war am fr
ühen Vormittag. Die Wege hier im Waldesdickicht
11668 waren einsam, nur hin und wieder begegnete man einem Gleitwagen
11669 oder einem Spazierg
änger. Ell hatte sein Gef
ährt langsam
11670 durch den Naturpark gelenkt, es n
äherte sich jetzt der
11671 gegen
überliegenden Grenze des Bezirks, die Wege wurden
11672 belebter, und die ersten H
äuser der Wohnungszone erschienen.
11673 Ein starkes Ger
äusch wie das einer S
äge unterbrach die
11674 Ruhe der Umgebung. Bei einer Wegbiegung wurde die Ursache sichtbar.
11675 Es war in der Tat eine gro
ße S
äge, die, von einem
11676 elektrischen Motor getrieben, den sieben Meter im Durchmesser
11677 haltenden Stamm eines der Waldriesen bereits bis auf einen kleinen
11678 Rest durchnagt hatte. Das Alter
– er z
ählte
über
11679 sechstausend Jahre
– hatte ihn vollst
ändig geh
öhlt
11680 und der Zusammensturz war zu bef
ürchten; man mu
ßte ihn
11682 <p>»Mitten zwischen diesen anderen B
äumen
«, rief
11683 Isma,
»wie ist das m
öglich? Er mu
ß ja in seinem
11684 Fall ringsum alles zermalmen.
«</p>
11685 <p>Auch Ell wu
ßte keine Auskunft zu geben.
»Vielleicht
11686 sehen wir bald, was geschieht, wenn wir ein wenig warten, die
11687 S
äge ist ja schon fast hindurch. Man mu
ß doch keine
11688 Gefahr bef
ürchten, denn nur ein kleiner Kreis ringsum ist
11689 abgesperrt.
«</p>
11690 <p>Nach wenigen Minuten war die S
äge aus der Rinde vollends
11691 herausgedrungen. Die Maschine schob sich beiseite, und die Arbeiter
11692 zogen sich au
ßerhalb des abgesperrten Kreises zur
ück.
11693 Der Arbeitsleiter sprach in ein Telephon, dessen Dr
ähte sich
11694 nach oben zwischen den
Ästen der B
äume verloren. Gleich
11695 darauf vernahm man ein gewaltiges Rauschen zwischen den
11696 Bl
ättern, einzelne Zweige wurden geknickt, und Bl
ätter
11697 fielen herab. Der Riesenbaum schwankte ein wenig und hob sich
11698 langsam in die H
öhe. Wie er gestanden, senkrecht, schwebte er
11699 aufw
ärts zwischen seinen gesunden Nachbarn, von denen nur
11700 einzelne
Äste und Zweige mitgerissen wurden, die sich zu eng
11701 mit denen des gef
ällten Baumes verbunden hatten. Ein Streifen
11702 Sonnenlicht durchbrach das blaugr
üne Laubdach.
</p>
11703 <p>»Ich sehe es jetzt
«, rief Ell.
»Sie heben den
11704 Baum mittels Luftballons in die H
öhe. So wird er sogleich bis
11705 zur Fabrik transportiert werden, wo man das Holz verarbeitet. Und
11706 raten Sie, was in dem hohlen Baum steckt!
«</p>
11707 <p>»Nichts, vermutlich.
«</p>
11708 <p>»Hier, Ihr Tuch. Vielleicht hunderttausend solcher
11709 T
ücher. Sehen Sie, da
–«</p>
11710 <p>Eine Anzahl Neugieriger, besonders aber Kinder, hatten sich um
11711 den abgesperrten Kreis gesammelt. Als die Schranken fielen,
11712 st
ürzten sie mit Jubel auf den Stumpf des Baumes zu und
11713 kletterten auf den Rand. Gleich darauf sah man sie, die H
ände
11714 fest zusammengedr
ückt, davonlaufen.
</p>
11715 <p>»Was haben sie da?
« fragte Isma.
</p>
11716 <p>»Das Gewebe der Lisspinne, es f
üllt die H
öhlung
11717 des Baumes zum gro
ßen Teil aus, und was unten im Stumpf
11718 bleibt, geh
ört dem, der es nimmt.
«</p>
11719 <p>Ein kleiner Junge rannte auf Ells Wagen zu, den er im Eifer so
11720 sp
ät bemerkte, da
ß er beim Ausweichen hinst
ürzte.
11721 Gleich war er wieder auf den Beinen, aber jetzt suchte er nach
11722 seiner Handvoll Lis, die ihm entfallen und nun kaum zu sehen war.
11723 Isma, die den Wagen verlassen hatte, sah das Gewebe zuf
ällig
11724 am Boden glitzern und hob es auf. Sie betrachtete es neugierig. Der
11725 Knabe bemerkte es. Es war ein kleines, dickes, pausb
äckiges
11726 Kerlchen, sehr
ärmlich gekleidet. Er starrte Isma an. Sie
11727 hielt ihm das wirre, weiche Fadenkn
äuel hin. Seine Augen
11728 leuchteten gro
ß auf, als er es wieder erhielt, aber er blieb
11729 wie angenagelt mit gespreizten Beinchen vor Isma stehen. Seine
11730 Blicke gingen jetzt zwischen Isma und seinen H
änden hin und
11731 her. Er k
ämpfte offenbar einen gro
ßen Kampf. Dann hielt
11732 er das P
äckchen Isma wieder hin und sagte, als wenn er ein
11733 K
önigreich verg
äbe:
</p>
11734 <p>»Ich schenke es dir.
«</p>
11735 <p>»Warum?
« fragte Isma l
ächelnd.
</p>
11736 <p>»Weil du kleine Augen hast.
«</p>
11737 <p>Isma wu
ßte nicht, ob sie recht verstanden habe, und sah
11738 Ell zweifelnd an.
</p>
11739 <p>»Weil ich kleine Augen habe?
« wiederholte sie
11741 <p>»Kleine Augen sind traurig, man schenkt ihnen
«,
11742 sagte der Knirps.
</p>
11743 <p>»Ich will dir
–« Isma unterbrach sich.
11744 »Ich will dir auch etwas schenken, weil du gro
ße Augen
11745 hast
«, wollte sie sagen. Aber es fiel ihr ein, da
ß sie
11746 nichts zu verschenken habe. Der kleine Nume auf seinen
11747 Wackelbeinchen
– was konnte sie ihm als Gegengabe bieten?
</p>
11748 <p>Ell verstand sie. Er griff in die Wagentasche, in der sich
11749 einige kleine Erfrischungen befanden, und gab Isma ein
11750 St
ückchen Naschwerk.
</p>
11751 <p>»Das ist etwas f
ür ihn
«, sagte er.
</p>
11752 <p>Der Junge lachte
über das ganze Gesicht, als ihm Isma den
11753 Kuchen reichte. Diese Sprache verstehen die Kinder aller Planeten.
11754 Aber er bi
ß nicht sogleich hinein.
</p>
11755 <p>»Gib ihr auch
«, sagte er zu Ell.
»Du hast
11756 gro
ße Augen. Gro
ße Augen d
ürfen nicht essen, wenn
11757 kleine hungern.
«</p>
11758 <p>Er beruhigte sich nicht eher, bis Isma einen Kuchen in der Hand
11759 hielt. Dann rannte er spornstreichs davon.
</p>
11760 <p>Isma stieg ein. Der Wagen rollte weiter.
</p>
11761 <p>»Was meinte er mit den kleinen Augen?
« fragte
11763 <p>»Das ist eine sprichw
örtliche Redensart.
11764 ›Kleine Augen
‹ nennt man ungl
ückliche, kranke,
11765 armselige Leute. Der Junge hat die Sache w
örtlich
11766 genommen.
«</p>
11767 <p>Man durchfuhr die Zone der Wohnh
äuser, die B
äume
11768 h
örten auf, der Wagen glitt unter die S
äulenhallen der
11769 Industriestra
ße. Ell beschleunigte sein Tempo, er fuhr auf
11770 den Au
ßenstreifen der Stufenbahn und war schnell auf der
11771 breiten Mittelstra
ße. In einem Gew
ühl von Fahrzeugen
11772 legte er hier seinen Weg zur
ück.
</p>
11773 <p>Aus der Ruhe des l
ändlichen Hauses, in der Isma sich
11774 zun
ächst einige Tage bei der liebensw
ürdigen Pflege ihrer
11775 Wirte hatte erholen sollen, und jetzt aus der Einsamkeit des
11776 Waldfriedens fand sich Isma pl
ötzlich in das Gedr
änge des
11777 Weltverkehrs, der Weltstadt im w
örtlichen Sinn, versetzt. Denn
11778 diese Palastreihen bildeten in der Tat den Zusammenhang einer
11779 Riesenstadt, die sich
über den gr
ößten Teil des
11780 Planeten verbreitete, nur mit der gl
ücklichen Anordnung,
11781 da
ß sie meilenweite W
älder und auch Hunderte von Meilen
11782 ausgedehnte W
üsten zwischen ihren Mauern umschlo
ß. Wenn
11783 Isma den Blick auf die Wagen und Fu
ßg
änger richtete, die
11784 sich in ununterbrochener Kolonne in derselben Richtung mit ihr
11785 bewegten oder auf der andern Seite der Stra
ße ihr in rascher
11786 Gangart entgegenkamen, so glaubte sie in einer ungeheuern
11787 V
ölkerwanderung zu stecken. Dabei war das Ger
äusch
11788 keineswegs bet
äubend, denn auf diesem Planeten wickelte sich
11789 alles verh
ältnism
äßig leise ab. Auch die relative
11790 Geschwindigkeit der Wagen und Fu
ßg
änger gegeneinander
11791 war nicht gro
ß. Nur wenn sie nach den k
ühn aufstrebenden
11792 S
äulen blickte, welche die m
ächtigen W
ölbungen
11793 trugen, nach den Treppen und Aufz
ügen, die an den Seiten in
11794 die oberen Stockwerke f
ührten, nach den Plakaten und
11795 Anschl
ägen, die sie von hier aus nicht zu entziffern
11796 vermochte, erkannte sie, da
ß der Weg selbst, auf dem ihr
11797 Radschlitten hinglitt, mit der dreifachen Geschwindigkeit eines
11798 irdischen Schnellzugs sie fortri
ß.
</p>
11799 <p>Mit Erstaunen blickte sie auf ihren Nachbar zur Rechten, der den
11800 Wagen mit einer Sicherheit zwischen den
übrigen hinlenkte, als
11801 w
äre er seit Jahren an diese Besch
äftigung gew
öhnt.
11802 Allerdings hatte Ell bereits die wenigen Tage seines Aufenthalts
11803 benutzt, um sich gr
ündlich in der Umgebung umzusehen. Er
11804 wohnte nicht weit von der Illschen Villa in einem eigenen
11805 H
äuschen, hatte sich aber immer nur des Abends auf eine Stunde
11806 bei seinen Verwandten sehen lassen. Isma empfand diese
11807 Zur
ückhaltung nicht gerade als Zur
ücksetzung. Hatten sich
11808 doch beide auch in Friedau stets nur kurze Zeit gesprochen, und
11809 mu
ßte sie sich doch sagen, da
ß ihn die neue Umgebung
11810 voll in Anspruch nahm. Aber nach dem gemeinsamen Erlebnis der Reise
11811 und hier, in der v
ölligen Fremde, vermi
ßte sie die
11812 N
ähe des Freundes st
ündlich, des einzigen, der sie ganz
11813 zu verstehen vermochte. Gestern abend war dann der heutige Ausflug
11814 verabredet worden.
</p>
11815 <p>Beide hatten, seitdem sie die Stufenbahn benutzten, kaum
11816 miteinander gesprochen. Ell mu
ßte seine Aufmerksamkeit ganz
11817 auf den Weg richten, und Isma musterte neugierig und
11818 überrascht die Gesichter und Trachten rings um sie her.
11819 Offenbar str
ömten hier alle Klassen der Bev
ölkerung
11820 durcheinander, das
ärmlichste Kleid erschien neben der
11821 elegantesten Toilette, der einfache Arbeitsanzug herrschte vor. Sie
11822 bemerkte bald, da
ß ihre von Ma ausgew
ählte Toilette sich
11823 sehen lassen durfte und sie sowohl wie ihr Gef
ährte nur durch
11824 ihre Z
üge und ihre bleichere Gesichtsfarbe auffielen.
</p>
11825 <p>Nun wendete sich Ell wieder zu ihr.
»Wir sind am
11826 Ziel
«, sagte er.
»jene helle Zahl dort
– 608
11827 – zeigt es an; bei
609 m
üssen wir die Bahn
11828 verlassen.
«</p>
11829 <p>Er lenkte das Gef
ährt nach rechts. Die Bewegung verminderte
11830 sich merklich, Isma mu
ßte sich fest im Wagen
11831 zur
ücklehnen. Jetzt glitt der Wagen auf die ruhende
11832 Stra
ße. Nach wenigen Augenblicken hielt er unter einem
11833 Riesenportal hinter einer langen Reihe
ähnlicher
11835 <p>Ell half Isma aus dem Wagen.
</p>
11836 <p>»War es Ihnen unangenehm?
« fragte er, ihre Hand
11837 festhaltend. Sie erwiderte den leisen Druck seiner Finger. Sie
11838 freute sich, in seinen Augen wieder die gewohnte Sorge um sie zu
11839 lesen, die sie daheim so oft im stillen begl
ückt hatte.
</p>
11840 <p>»Zuletzt begann ich etwas schwindlig zu werden
«,
11841 antwortete sie.
»Ich bin ganz froh, wieder einmal ein
11842 St
ück zu Fu
ß gehen zu k
önnen. Wo f
ühren Sie
11843 mich denn hin?
«</p>
11844 <p>Er sah sie noch immer an.
»Ich bin so gl
ücklich, Sie
11845 hier zu haben!
«</p>
11846 <p>Sie hob die Augen bittend zu ihm auf.
</p>
11847 <p>»Was wollen Sie sehen?
« fragte er in anderem Ton.
11848 »Wir sind hier am Museum der K
ünste. Eine oder die andre
11849 Abteilung wollen wir betrachten.
«</p>
11850 <p>»Was Sie wollen!
« sagte Isma heiter.
»Wir
11851 ziehen nun einmal auf Abenteuer aus.
«</p>
11852 <p>Ein Beamter befestigte eine Marke an Ells Wagen und reichte ihm
11853 die Gegenmarke. Dann schritten sie beide der T
ür eines Aufzugs
11854 zu und lie
ßen sich in das erste Stockwerk heben.
</p>
11855 <h2>29 - Das heimliche Fr
ühst
ück
</h2>
11856 <p>Isma und Ell standen vor einem prachtvollen Portal, das die
11857 Aufschrift trug:
›Museum der sch
önen
11858 K
ünste
‹. Es f
ührte auf eine kreisf
örmige
11859 Galerie, die eine m
ächtige Rotunde umschlo
ß. Der Blick
11860 öffnete sich sowohl nach unten wie nach oben. Man glaubte
11861 unten in das Gew
ühl des wirklichen Lebens zu blicken, in
11862 rascher Ver
änderung, von den Seiten immer neu
11863 herandr
ängend, sah man Gestalten in ihren gewohnten
11864 Besch
äftigungen, in der Arbeit des Tages, andere mit dem
11865 Ausdruck des Leidens und den M
ängeln der Wirklichkeit. Aber in
11866 der Mitte emporwallende Nebel umh
üllten diese Figuren und
11867 hoben sie langsam in die H
öhe. Je h
öher sie emporstiegen,
11868 um so mehr verschwand der Nebel und l
öste sich nach oben in
11869 immer helleres Licht auf. Die Gestalten wechselten ihren Ausdruck,
11870 ihre Blicke wurden frei, ihre Mienen verkl
ärt, sie waren zu
11871 Werken der Kunst, zu reinen Formen geworden. Sie schienen zu ruhen,
11872 und doch stiegen immer neue Gestalten auf, ohne da
ß jene
11873 Bilderwelt an der Kuppel der W
ölbung zunahm oder sich
11874 überf
üllte. Es w
är nicht m
öglich zu verfolgen,
11875 wie dieser
Übergang in die H
öhe sich vollzog, ein
11876 lebendiges Abbild des Mysteriums in der Seele des
11877 K
ünstlers.
</p>
11878 <p>»Eine symbolische Darstellung des k
ünstlerischen
11879 Schaffens
«, sagte Ell.
</p>
11880 <p>»Aber wo kommen diese Gestalten her und wohin gehen
11882 <p>»Das Ganze beruht auf einer optischen T
äuschung, und
11883 nach einigen Stunden w
ürde man bemerken, da
ß dieselben
11884 Gruppen wiederkehren. Aber die Illusion ist vollst
ändig. Nun
11885 suchen Sie sich eine dieser
Überschriften aus.
«</p>
11886 <p>Sie umschritten die Galerie. Die
äu
ßere Seite war
11887 ringsum von schmalen T
üren umgeben, deren Aufschriften die
11888 Abteilungen nannten, zu denen man durch jene gelangte. Aber jede
11889 Hauptgruppe hatte wieder eine gro
ße Zahl Unterabteilungen,
11890 die historisch geordnet waren. Da z
ählte zum Beispiel bei der
11891 Malerei die
ältere Malerei in der archaistischen Periode, das
11892 hei
ßt vor Erfindung der selbstleuchtenden Farben, allein
30
11893 Abteilungen, die jede mehrere Jahrhunderte umfa
ßte; die
11894 agrarische Periode z
ählte aus der Zeit der Handarbeit
315, aus
11895 der Zeit der Dampfkraft
56, der Elektrizit
ät
212, der
11896 Energiestrahlung
25 Abteilungen. Die neuere Malerei begann erst
11897 seit der Erfindung der k
ünstlichen Darstellung der
11898 Nahrungsmittel. Zwischen beiden lag eine Periode des Verfalls, die
11899 man den dreitausendj
ährigen sozialen Krieg nannte. Es war dies
11900 eine jetzt etwa
18.000 Jahre zur
ückliegende Zeit, in welcher
11901 ein allgemeiner Niedergang der Marskultur stattgefunden hatte. Sie
11902 war n
ämlich ausgef
üllt durch furchtbare K
ämpfe
11903 zwischen der ackerbautreibenden und der industriellen
11904 Bev
ölkerung. Durch die Darstellung der Lebensmittel aus den
11905 Mineralien ohne Vermittlung der Pflanzen glaubte sich die
11906 agrarische Bev
ölkerung in ihrer Existenz bedroht, obwohl sie
11907 l
ängst nicht mehr den Bedarf an Lebensmitteln hatte decken
11908 k
önnen. Die Besitzer des Grund und Bodens waren als Herren der
11909 Nahrungsmittel zu unumschr
änkter Macht gelangt und wollten die
11910 Verbilligung der Volksern
ährung durch die neuen gewaltigen
11911 Fortschritte der Wissenschaft und industriellen Technik nicht
11912 dulden. Dieser Kampf f
üllte fast drei Jahrtausende in
11913 wechselnden Formen aus und endete erst mit der Vernichtung der
11914 Macht der Ackerbauer und der Begr
ündung der vereinigten
11915 Marsstaaten. W
ährend dieser Zeit hatte die Kunst keinerlei
11916 F
örderung empfangen. Sie war erst wieder aufgebl
üht, als
11917 statt der n
üchternen Getreidefelder die anmutigen W
älder
11918 entstanden waren und der Erwerb von Grund und Boden f
ür den
11919 einzelnen auf ein m
äßiges Maximum beschr
änkt
11921 <p>Isma ging ratlos an der Reihe der
Überschriften entlang,
11922 die ihr Ell zu entziffern behilflich war. Sie sch
üttelte
11923 mutlos den Kopf.
</p>
11924 <p>»Das ist mir zu viel und macht mich nur verwirrt. Suchen
11925 wir zun
ächst etwas ganz Einfaches, das ich verstehen kann. Was
11926 ist denn hier hinter der Malerei f
ür eine Kunst?
«</p>
11927 <p>»Die Tastkunst.
«</p>
11928 <p>»Was ist das?
«</p>
11929 <p>»Ich mu
ß gestehen, ich wei
ß es selbst nicht
11931 <p>»Lassen Sie uns sehen.
«</p>
11932 <p>Ell
öffnete die T
ür. Sie f
ührte in einen kleinen,
11933 mit zwei gepolsterten B
änken ausgestatteten Raum. Ell sah
11934 jetzt erst, da
ß sich in demselben ein Anschlag befand:
11935 ›Abgang alle zehn Minuten
‹; eine Uhr zeigte,
11936 da
ß nur noch eine Minute zur Abgangszeit fehlte. Es war also
11937 nicht ein Zimmer, sondern eine Art Omnibus, worin man sich befand.
11938 Alle die T
üren aus der Galerie f
ührten in solche
11939 Coup
és, die zu bestimmten Zeiten die Insassen nach den
11940 betreffenden Abteilungen des Museums bef
örderten. Denn die
11941 Anlagen waren zu ausgedehnt, um sie zu Fu
ß zu erreichen und
11942 sich bis dahin zurechtzufinden. Die T
ür
öffnete sich
11943 jetzt noch einmal, und zwei Damen flogen f
örmlich in den Raum.
11944 Gleich darauf setzte sich der Wagen in Bewegung.
</p>
11945 <p>Die
ältere der beiden Damen schnappte nach Luft; sie war
11946 eine sehr korpulente Erscheinung und nahm wenigstens zwei
11947 Pl
ätze des Sofas ein.
</p>
11948 <p>»Das war gerade die h
öchste Zeit!
« rief sie
11949 erhitzt und atemlos, indem sie ein feines Tuch hervorzog und
11950 fortw
ährend zwischen ihren kurzen, dicken Fingern rieb.
11951 »Diese Wagen gehen ja nur alle zehn Minuten. Der Besuch ist
11952 so schwach! Ja, es ist nur eine Kunst f
ür Auserw
ählte.
11953 Sie schw
ärmen auch daf
ür?
« wandte sie sich zu Isma.
11954 »Sie sind Spitzistin? Nicht wahr?
« sagte sie, indem sie
11955 einen Blick auf Ismas schlanke und zarte Finger warf.
»Ich
11956 bin nat
ürlich Rundistin, aber das tut nichts. Sie wollen
11957 gewi
ß auch das neue Meisterwerk tasten? Blu hat sich wieder
11958 selbst
übertroffen! Das ist das hohe Lied des Widerstandes,
11959 die Sph
ärenmusik des Hautsinns!
« Und sie kniff die Augen
11960 schw
ärmerisch zusammen, da
ß sie zwischen den
11961 Fettpolstern ihrer Augenlider verschwanden.
</p>
11962 <p>»Ich mu
ß gestehen
«, sagte Isma
11963 sch
üchtern,
»ich bin noch ganz unerfahren in der
11964 Tastkunst. Ich wei
ß gar nicht
–«</p>
11965 <p>»Was? Wie? Sie wissen nicht?
« Sie betrachtete Isma
11966 n
äher.
»Sie sind wohl aus dem Norden von den Streifen,
11967 wenn ich fragen darf? Sie waren noch nie in Kla?
«</p>
11968 <p>»Nein, meine Heimat ist fern von hier.
«</p>
11969 <p>»Aber Blu sollten Sie doch kennen. Sie ist doch die
11970 gr
ößte
– neidlos gestehe ich es, obwohl ich selbst
11971 K
ünstlerin bin. Und von allen K
ünsten ist wieder die
11972 Tastkunst die h
öchste. Auge, Ohr, Geruch, selbst Geschmack
11973 – was will das alles sagen! Der Tastsinn ist doch der
11974 intimste aller Sinne. Hier ber
ühren wir die Dinge unmittelbar,
11975 sie bleiben uns nicht in der Ferne. Und schmecken ist ja eigentlich
11976 auch ein Tasten, nur ein unreines, gest
ört durch Ger
üche
11977 und durch Salziges, Saueres, Bitteres, S
üßes
–
11978 aber die Fingerspitzen, die Handfl
ächen, das sind die wahren
11979 Schl
üssel zur Sch
önheit. Und hier im Tasten enth
üllt
11980 sich die Kunst in ihrer h
öchsten Freiheit. Hier
11981 überwindet sie am reinsten die Macht des Wirklichen, das
11982 vitale Interesse. Was wir sehen, was wir h
ören, bleibt uns
11983 immer noch fern. Es ist keine Kunst, das ohne Verlangen zu
11984 betrachten, was wir doch nicht erreichen k
önnen. Aber die
11985 Gegenst
ände in den H
änden halten und doch nichts von
11986 ihnen zu wollen als das reine, freie Spiel des Wohlgefallens, das
11987 ist echte Kunst. Spielt nicht ein jeder unwillk
ürlich mit dem,
11988 was er zwischen den Fingern h
ält? Dies zur Kunst zu erheben,
11989 das ist das wahrhaft Geniale! Das Rauhe, Glatte, Scharfe, Spitzige,
11990 Runde, Nachgebende, Elastische, Harte, Kratzende, Kribblige
–
11991 ohne Gedanken, ohne W
ünsche
–, das ist das wahrhaft
11992 Ästhetische. Eine Tastsymphonie von Blu ist f
ür mich das
11993 H
öchste. Kommen Sie nur mit, ich werde sie Ihnen
11995 <p>Isma blickte zu Ell hin
über.
</p>
11996 <p>»Ich f
ürchte
«, sagte er deutsch
– es fiel
11997 auf dem Mars nicht auf, wenn man in Sprachen redete, die andere
11998 nicht verstanden, da die meisten Familien eigene Mundarten
11999 besa
ßen
–,
»ich f
ürchte, das wird f
ür
12000 uns nichts sein. Wir sind wohl zu wenig auf diesen Kunstgenu
ß
12001 vorbereitet.
«</p>
12002 <p>Die Dicke begann eben einen neuen Redestrom, als der Wagen
12003 hielt. Sie st
ürzte schleunigst hinaus. Ihre Begleiterin, die
12004 stumm geblieben war, folgte ihr, und Isma und Ell taten das
12006 <p>Man befand sich in einem gro
ßen Saal, in welchem man
12007 nichts erblickte als zahllose K
ästen verschiedener
12008 Gr
öße. Aufschriften gaben Verfasser und Inhalt des
12009 Tastkunstwerkes an, das sie enthielten. Vor einigen sa
ßen
12010 Besucher in stiller Andacht und hielten die Arme bis zum Ellenbogen
12011 in zwei
Öffnungen der K
ästen versenkt.
</p>
12012 <p>Die beleibte Dame suchte nach ihrem Katalog eine bestimmte
12013 Nummer. Vor dem betreffenden Kasten angelangt, streifte sie die
12014 Ärmel auf und steckte die Arme zun
ächst in ein Becken. Es
12015 war nicht mit Wasser gef
üllt, sondern ein Luftstrom
12016 f
ührte ein fein verteiltes
ätherisches
Öl gegen die
12017 Haut und bereitete durch diese Reinigung auf den nachfolgenden
12018 Kunstgenu
ß vor. Alsdann brachte die Kunstj
üngerin durch
12019 einen Handgriff ein Uhrwerk in Gang, setzte sich auf einen Stuhl
12020 vor dem Kasten, steckte ihre Arme in die
Öffnungen und versank
12021 in Schw
ärmerei. Isma und Ell hatten ihr auf gut Gl
ück an
12022 dem ersten besten Kasten, der unbesetzt war, alles nachgeahmt. Aber
12023 nach wenigen Minuten zog Isma ihre H
ände zur
ück.
</p>
12024 <p>»Wollen Sie noch bleiben?
« fragte sie Ell.
</p>
12025 <p>»F
ällt mir nicht ein, wenn Sie nicht Lust haben. Ich
12026 wollte Sie nur nicht st
ören.
«</p>
12027 <p>»Ich verzichte auf den Genu
ß. Ich kann nichts
12028 sp
üren als ein abwechselndes Dr
ücken, Ziehen, Prickeln,
12029 Reiben
– f
ür mich ist das nur eine Art
12030 Massage.
«</p>
12031 <p>»Mir ging es auch so. Es ist eine Kunst f
ür Blinde.
12032 Wir m
üssen nicht tastk
ünstlerisch veranlagt sein. Wir
12033 wollen lieber nur einen kurzen Gang durch einen der andern
12034 S
äle machen, und dann will ich Sie in das technische Museum
12035 f
ühren.
«</p>
12036 <p>Ohne von der Tast-Enthusiastin bemerkt zu werden, gingen die
12037 untastlichen Erdgeborenen nach dem Coup
é zur
ück, das
12038 sie bald wieder in der Rotunde absetzte. Ein anderer Wagen, dicht
12039 von Besuchern erf
üllt, trug sie in eine der Abteilungen
12040 f
ür Skulptur. Hier fand sich Isma leichter zurecht. Es war
12041 eine Kunst f
ür menschliche Sinne, eine F
ülle gro
ßer
12042 Gedanken in wunderbarer Ausf
ührung, aber doch im Grunde
12043 dieselbe unsterbliche Sch
önheit aller Vernunftwesen, wie sie
12044 auf der Erde auch schon vor Jahrtausenden ihre Meister fand. Das
12045 Neue und
Überraschende lag nur in der Verfeinerung der
12046 Technik, in der Zartheit des Materials, in der spielenden
12047 Überwindung der Schwere, wodurch sich ungeahnte Effekte
12048 darboten. Nicht minder bewundernswert erschien die Architektur
12049 dieser Hallen, W
ölbungen, Galerien. Oft sprangen die einzelnen
12050 Gem
ächer aus einem breiten Grundpfeiler in der Form von
12051 Blumenkelchen vor, die auf schlanken Stielen sich zu wiegen
12052 schienen. Diese Stiele enthielten die Treppen verborgen, auf denen
12053 man in die Gem
ächer gelangte. Isma erhielt den Eindruck,
12054 da
ß das Eigent
ümliche der martischen Kunst, das sie von
12055 der menschlichen unterschied, nicht in einer neuen Auffassungsform
12056 des Sch
önen lag; hier wirkten offenbar zeitlose Gesetze als
12057 bestimmende Ideen f
ür die freie Gestaltung des Sch
önen
12058 bei allen bewu
ßten Wesen. Der Fortschritt hing vielmehr ab
12059 von dem
überlegenen Standpunkt der Technik, wodurch sich das
12060 Gebiet f
ür die Anwendung des
Ästhetischen ins
12061 Unerme
ßliche erweiterte. Nur die Intelligenz ist es, welche
12062 der ewigen Idee entgegenw
ächst. Ell best
ätigte diese
12063 Bemerkung und stimmte Isma bei, nun zun
ächst ein oder das
12064 andre der technischen Wunderwerke aufzusuchen.
</p>
12065 <p>»Ich f
ürchte nur, ich werde nichts davon
12066 verstehen
«, sagte Isma.
</p>
12067 <p>Sie waren inzwischen wieder in der Eingangsrotunde angelangt und
12068 hatten sich nach dem Ausgang hinabsenken lassen, wo ihr Schlitten
12070 <p>»Was soll ich jetzt sehen?
«</p>
12071 <p>»Frau Ma hat mir auf die Seele gebunden, Sie nach dem
12072 Retrospektiv zu f
ühren. Das ist wohl die neueste und
12073 gro
ßartigste Entdeckung.
«</p>
12074 <p>»Ich habe davon geh
ört und auch zu lesen versucht,
12075 aber Sie m
üssen mir die Sache noch einmal erkl
ären. Ist
12076 es weit bis dorthin?
«</p>
12077 <p>»Mit der Stufenbahn wenige Minuten. Aber wir k
önnen
12078 auch in einer halben Stunde quer durch den Wald fahren, und das
12079 will ich eben tun.
«</p>
12080 <p>Er lenkte den Radschlitten
über eine der Br
ücken,
12081 welche, die Bahnen und Kan
äle
überschreitend, in die
12082 Waldregion f
ührten. Rasch glitt das Gef
ährt unter den
12083 Schatten der B
äume in die Zone der Wohnungen. Isma atmete
12085 <p>»Wie sch
ön, da
ß wir bald wieder in die
12086 Waldeinsamkeit kommen!
« sagte sie.
»Da denke ich, wir
12087 sind daheim unter unsern Tannen, und Sie erz
ählen mir wieder
12088 von den M
ärchen des Mars
–«</p>
12089 <p>»Und dabei packen wir unsre Butterbrote aus und
12090 fr
ühst
ücken.
«</p>
12091 <p>»Ach, Ell, ich w
ünschte, das ginge hier! Mir armem
12092 Menschenkind ist es schrecklich langweilig, immer so allein bei
12093 verschlossenen T
üren essen zu m
üssen.
«</p>
12094 <p>»Hier an der Stra
ße und zwischen den Wohnungen geht
12095 es nat
ürlich nicht. Sehen Sie, da ist die gro
ßartige
12096 Restauration, aber wenn wir zu speisen verlangten, w
ürde man
12097 uns sofort jedem ein Extrakabinett anweisen, anders ist es
12098 unm
öglich. Doch ich habe daran gedacht. Ich habe aus meinem
12099 Reisevorrat ein richtiges Erdenfr
ühst
ück eingesteckt;
12100 zwar das Brot ist trotz des luftdichten Verschlusses etwas
12101 altbacken, aber denken Sie, Friedauer Wurst und wirklichen
12102 Rheinwein! Wir suchen uns ein Pl
ätzchen, wo uns niemand sehen
12103 kann. Ich freue mich wie ein Kind! Jedoch die gute Tante darf um
12104 Himmels willen nichts erfahren! Das w
äre schlimmer, als wenn
12105 ich Ihnen auf dem Marktplatz von Friedau um den Hals fallen
12107 <p>»Stille von Friedau! Aber das Fr
ühst
ück nehme
12108 ich an. Wir wollen dem Nu ein Schnippchen schlagen.
«</p>
12109 <p>Ihre Augen gl
änzten schelmisch, indem sie
12110 zur
ückblickte, als f
ürchtete sie, geh
ört zu
12112 <p>»Eigentlich darf ich
’s ja nicht als Nume. Ich bin da
12113 in meine Menschlichkeit zur
ückgefallen
–«</p>
12114 <p>Isma richtete die Augen auf Ell. Er sprach im Scherz, aber sie
12115 h
örte an der Art, wie er den Satz abbrach, da
ß ein
12116 ernstes Bedenken in ihm aufzutauchen begann.
</p>
12117 <p>Ell sah, wie das gl
ückliche L
ächeln aus ihren
12118 Z
ügen zu verschwinden drohte, und er griff schnell nach ihrer
12120 <p>»Nein, nein
«, rief er,
»geliebte Freundin,
12121 f
ür Sie will ich nichts sein als der Mensch, der
12122 gl
ücklich ist, wenn er Ihnen dienen kann. Aber ganz leicht ist
12123 es nicht. Denn sehen Sie
– ein Nume soll ich nicht sein,
12124 damit Sie mich nicht ver
ändert finden; und von der Erde soll
12125 ich nicht reden, damit Sie nicht traurig werden
–«</p>
12126 <p>»Sie haben recht, mein treuer Freund
– ich
12127 wei
ß ja selbst nicht, was ich will
– ich verdiene gar
12128 nicht, da
ß Sie so gut sind
–«</p>
12129 <p>Er ergriff ihre Hand und hielt sie fest. Seine Rechte lenkte den
12130 Radschlitten m
ühelos auf der glatten Bahn. Die letzten
12131 Wohnungen verschwanden. Dichtes Buschwerk bildete auf dem freien
12132 Rasen des Bodens ein Labyrinth von Pl
ätzen und G
ängen.
12133 Ein leichter, erfrischender Luftzug str
ömte
über den
12134 Boden, denn die Lichtungen und die Industriestra
ßen, auf
12135 denen die Sonne brannte, wirkten um die Mittagszeit wie
12136 Schornsteine, welche die Umgebung ventilierten und die
12137 erw
ärmte Luft in die H
öhe f
ührten. Die Stra
ße
12138 war einsam. Die Blumen musizierten leise, und kleine
12139 eichk
ätzchenartige Tiere spielten an den St
ämmen der
12141 <p>Ell l
öste mit einem Druck des Fu
ßes den Mechanismus
12142 aus, der die Kugelkufen emporhob und den Wagen auf zwei
12143 hochachsigen R
ädern laufen lie
ß, so da
ß er sich
12144 auch auf unebenem Weg ohne Schwierigkeit bewegen konnte. Er
12145 verlie
ß die Fahrstra
ße und fuhr auf dem Waldrasen
12146 zwischen Buschwerk und B
äumen dahin. Ein kleiner Weiher kam in
12147 Sicht, von einem klaren B
ächlein gen
ährt. Am Rande
12148 desselben hielt Ell den Wagen an; es war ein reizendes, stilles
12149 Ruhepl
ätzchen. Kein Liebespaar konnte sich besser
12151 <p>»Hier k
önnen wir es wagen
«, sagte Ell.
</p>
12152 <p>Sie wollten nur fr
ühst
ücken.
</p>
12153 <p>Isma sprang aus dem Schlitten. Ell reichte ihr die Tasche mit
12154 dem heimlichen Vorrat. Beide sahen sich vorsichtig um und lachten
12155 dann
über ihre Furcht. Sie packten ihre Sch
ätze aus und
12156 verga
ßen in heiterem Geplauder, da
ß über den
12157 Baumzweigen zu ihren H
äuptern nicht der blaue Himmel der Erde,
12158 sondern das Bl
ätterdach des martischen Riesenwaldes sich
12160 <p>»Kann man durch das Retrospektiv alles Vergangene
12161 sehen?
« fragte Isma.
</p>
12162 <p>»Nein
«, erwiderte Ell,
»nur dasjenige, was
12163 unter freiem Himmel und bei gen
ügender Beleuchtung vorgegangen
12164 ist. Der Erfolg beruht ja darauf, da
ß wir das Licht, welches
12165 damals von den Gegenst
änden ausgestrahlt wurde, auf seinem
12166 Lauf durch den Weltraum wieder einholen, sammeln und
12167 zur
ückbringen.
«</p>
12168 <p>»Und wie ist das m
öglich?
«</p>
12169 <p>»Ich habe Ihnen schon fr
üher gesagt
– was mir
12170 freilich die andern Menschen noch nicht glauben wollen
–,
12171 da
ß die Gravitationswellen sich eine Million Mal so schnell
12172 fortpflanzen als das Licht. Sie k
önnen also das Licht auf
12173 seinem Weg einholen. Wenn zum Beispiel vor einem Erdenjahr irgend
12174 etwas unter freiem Himmel geschehen ist, so hat sich das von diesem
12175 Ereignis ausgesandte Licht jetzt bereits gegen zehn Billionen
12176 Kilometer weit in den Raum verbreitet. Die Gravitation aber
12177 durchl
äuft diesen Weg in einer halben Minute, trifft also nach
12178 einer genau zu berechnenden Zeit mit den damals ausgesandten
12179 Lichtwellen zusammen. Nun haben die Gelehrten der Martier ein
12180 Verfahren entdeckt, wodurch man bewirken kann, da
ß die den
12181 Lichtwellen nachgeschickten Gravitationswellen jene selbst in
12182 Gravitationswellen von entgegengesetzter Richtung verwandeln und
12183 somit zu uns zur
ückwerfen; sie laufen also in der
12184 n
ächsten halben Minute in der Form von Gravitationswellen den
12185 Weg zur
ück, den sie als Licht im Laufe eines Jahres durcheilt
12186 haben. Hier werden sie im Retrospektiv
– und das ist die
12187 Gro
ßartigkeit dieser Erfindung
– in Licht zur
ück
12188 verwandelt und durch ein Relais verst
ärkt, so da
ß man
12189 auf dem Projektionsapparat genau das Ereignis sich abspielen sieht,
12190 wie es sich vor einem Jahr vollzogen hat. Man kann den Versuch
12191 nat
ürlich auf jeden beliebigen Zeitraum ausdehnen, aber die
12192 Bilder werden immer schw
ächer, je gr
ößer die
12193 vergangene Zeit ist, weil das Licht inzwischen im Weltraum zuviel
12194 St
örungen erfahren hat. Es erfordert nun eine sorgf
ältige
12195 Berechnung, wann und wo ein Ereignis stattgefunden hat, das man zu
12196 sehen w
ünscht. Man kann daher das Retrospektiv
–
12197 wenigstens vorl
äufig
– nicht nach Belieben und schnell
12198 wie ein Fernrohr einstellen, sondern es geh
ört dazu ein
12199 umfangreicher Apparat, ein ganzes Laboratorium.
«</p>
12200 <p>»Wir k
önnen also nicht zu sehen bekommen, was wir
12202 <p>»Nein, wir m
üssen uns mit dem begn
ügen, worauf
12203 der Apparat gegenw
ärtig eingestellt ist. Aber wenn es f
ür
12204 einen bestimmten Zweck gerade notwendig ist, zum Beispiel um eine
12205 wichtige Rechtsfrage oder dergleichen zu entscheiden, so wird
12206 f
ür diesen Zweck eine Berechnung und Einstellung
12207 vorgenommen.
«</p>
12208 <p>»Kann man damit auch sehen, was zum Beispiel zu einer
12209 bestimmten Zeit auf der Erde vorgegangen ist?
«</p>
12210 <p>»Ich zweifle nicht, da
ß sich das erm
öglichen
12211 l
äßt.
«</p>
12212 <p>»Und was kostet so eine Beobachtung, wenn man sie f
ür
12213 einen besonderen Zweck machen lassen will?
«</p>
12214 <p>»Dazu ist
überhaupt die Erlaubnis der
12215 Staatsbeh
örde erforderlich. Es gibt n
ämlich, soviel ich
12216 wei
ß, bis jetzt kein Privat- Retrospektiv.
«</p>
12217 <p>Isma schwieg nachdenklich. Dann sagte sie:
»Nun wei
ß
12218 ich ja, was es mit dem Retrospektiv auf sich hat, und
12219 gefr
ühst
ückt haben wir auch, so da
ß wir eigentlich
12220 aufbrechen k
önnten. Aber es ist so sch
ön hier, und ich
12221 bin gar nicht sehr neugierig, den Apparat zu sehen, denn was man
12222 wirklich dabei beobachtet, kann ja nicht viel sein, wenn man an dem
12223 vergangenen Ereignis kein Interesse hat.
«</p>
12224 <p>»Das ist schon wahr, indessen Ma w
ürde
12226 <p>»Ich will es mir ja auch auf jeden Fall ansehen. Aber wir
12227 k
önnen wohl noch hier ein wenig ruhen.
«</p>
12228 <p>Sie legte ihr Listuch unter den Kopf und streckte sich behaglich
12229 hin.
»Wenn ich noch einen Schluck Wasser bekommen
12230 k
önnte!
« sagte sie.
</p>
12231 <p>Ell nahm den mitgebrachten Becher und f
üllte ihn am Quell.
12232 Isma trank und gab das Glas dankend halb geleert zur
ück. Eben
12233 setzte es Ell an seine Lippen, um den Rest selbst zu trinken, als
12234 sich in der Ferne ein dumpfes Brausen erhob. Isma richtete sich
12235 erschrocken auf.
</p>
12236 <p>»Was ist das?
« fragte sie.
»Kommt
12238 <p>Ell hatte das Glas ohne zu trinken abgesetzt. Er lauschte. Das
12239 Brausen nahm zu. Er zog seine Uhr.
</p>
12240 <p>»Es ist nichts
«, sagte er,
»es ist das
12241 Mittagszeichen.
« Er verglich sorgf
ältig die Uhr. Das
12242 Brausen mochte eine Minute gedauert haben, dann brach es mit einem
12243 hellen Schlag pl
ötzlich ab.
</p>
12244 <p>»Der Anfangspunkt der Planetenzeitrechnung wird so
12245 markiert. Hier bei uns, nicht weit von der Zentralwarte, f
ällt
12246 er nur kurze Zeit nach dem wahren Mittag. Aber ich glaube, wir
12247 m
üssen doch aufbrechen.
«</p>
12248 <p>Er hatte nicht getrunken, sondern das Wasser unbemerkt, wie er
12249 glaubte, auf die Erde flie
ßen lassen, und b
ückte sich
12250 jetzt, um alle Spuren des gemeinsamen Fr
ühst
ücks zu
12252 <p>Isma stand schweigend auf und begab sich in den Wagen.
12253 »Wir sind auf dem Mars
«, seufzte sie leise. Sie lehnte
12254 sich zur
ück und schlo
ß die Augen.
</p>
12255 <p>Bald darauf kam Ell. Er betrachtete sie mit einem innigen Blick.
12256 Der Mittagston hatte ihn wieder auf den Mars
12257 zur
ückgef
ührt. Ein tiefes Mitleid mit dem Geschick der
12258 Freundin
überkam ihn, und die ganze F
ülle seiner Liebe
12259 f
ühlte er in sich aufsteigen. Er h
ätte sich zu ihr
12260 herabbeugen und ihre Lippen mit K
üssen bedecken m
ögen.
12261 Und doch war etwas Trennendes zwischen sie getreten, dessen er sich
12262 nicht zu erwehren wu
ßte. Er k
üßte die schmale
12263 Hand, die auf der Seitenlehne des Wagens ruhte.
</p>
12264 <p>Isma
öffnete die Augen und sch
üttelte leicht den
12266 <p>»Sie sind m
üde, Isma
«, sagte Ell.
»Hier,
12267 nehmen Sie von diesen Pillen, und Sie werden sich erquickt
12268 f
ühlen wie nach einem festen Schlaf.
«</p>
12269 <p>»Nein, nein, solche Nervenreize mag ich nicht, das ist
12270 eine falsche Erquickung.
«</p>
12271 <p>»Diese nicht. Es ist kein anregendes Nervengift, das den
12272 K
örper zur Abgabe seiner letzten Energiereserve
12273 veranla
ßt wie unsre irdischen Reizmittel. Es f
ührt dem
12274 Blut und damit dem Gehirn wirklich die verbrauchte Energie wieder
12275 zu, und zwar genau in der Form, wie es durch den Schlaf geschieht.
12276 Die Pillen sind ganz unsch
ädlich. In einer halben Stunde sind
12277 Sie wieder frisch wie am Morgen. Sie sind noch zu wenig an unsere
12278 Luft gew
öhnt, Sie brauchen eine Hilfe in diesem
12280 <p>Isma nahm die Pillen. Ell schwang sich an ihre Seite, und der
12281 Wagen rollte nach der Stra
ße zu. Der
übrige Teil des
12282 Waldes und die Wohnungsr
äume wurden durchschnitten und die
12283 Industriestra
ße im Quartier Tru erreicht. Ell hemmte den
12284 Wagen vor einem Tor, das er f
ür den Zugang zum Retrospektiv
12285 hielt. Er hatte sich jedoch in der Richtung get
äuscht, in der
12286 er durch den Wald gefahren war, und bemerkte jetzt erst, da
ß
12287 er sich vor dem Erdmuseum befand.
</p>
12288 <p>»Corsan ba
«, las Isma die Rieseninschrift,
12289 »das hei
ßt ja doch wohl
›Sammlungen von der
12290 Erde
‹?
«</p>
12291 <p>»Ja
«, antwortete Ell,
»ich habe mich geirrt.
12292 Wir m
üssen nach der anderen Seite
– die Stufenbahn
12293 bringt uns in einer Minute hin.
«</p>
12294 <p>»Ich h
ätte eigentlich Lust
–«, sagte Isma
12295 z
ögernd,
»k
önnten wir nicht hier einmal uns
12296 umsehen?
«</p>
12297 <p>»Gewi
ß, aber Sie wollten ja heute nichts von der
12298 Erde wissen.
«</p>
12299 <p>»Es ist schon wahr
– aber ich bin neugierig, was ihr
12300 hier von dem wilden Planeten gesammelt habt. Und man wird die alte
12301 Erde doch nicht los.
« Sie seufzte. Unentschieden sah sie
12302 abwechselnd auf die Menge, die in den Eingang str
ömte, und
12304 <p>»Es ist heute besonders stark besucht
«, sagte
12305 dieser,
»alles redet jetzt von den Menschen. Wenn man uns nur
12306 nicht erkennt
– wir tun vielleicht besser, eine andere Zeit
12307 zum Besuch zu w
ählen.
«</p>
12308 <p>»Sie sehen, man achtet gar nicht auf uns.
«</p>
12309 <p>»Weil diese Leute erst hineingehen. Wenn wir am Ausgang
12310 st
änden, w
äre es vielleicht anders, unsere Gesichter
12311 w
ürden auffallen.
«</p>
12312 <p>»Ach was
«, rief Isma lebhaft.
»Nun will ich
12313 gerade hinein. Ich habe meinen dunklen Schneeschleier eingesteckt,
12314 durch den man nicht hindurchsehen kann. Wir sind nun einmal hier
12315 – kommen Sie, Ell!
«</p>
12316 <p>Ell l
ächelte.
»Das kommt von den
12317 Energiepillen
«, sagte er.
»Jetzt haben Sie wieder Mut.
12318 Nun, man wird uns nichts tun, aber wenn man Ihnen wieder
12319 Spielzeugt
üten zuwirft, wie an der Polstation, so halten Sie
12320 sie nicht f
ür Blumenstr
äu
ße.
«</p>
12321 <p>Isma schlug ihn mit ihrem Schirmr
öhrchen auf die Hand.
12322 »Zur Strafe kommen Sie mit
«, sagte sie,
»damit
12323 Sie meine Troph
äen tragen k
önnen. Und nun gehe ich auch
12324 ohne Schleier trotz der kleinen Augen.
«</p>
12325 <p>Sie traten in das Geb
äude.
</p>
12326 <h2>30 - Das Erdmuseum
</h2>
12327 <p>Die einstr
ömende Menge verteilte sich in den weiten
12328 R
äumlichkeiten des Erdmuseums, so da
ß Isma und Ell zwar
12329 nirgends allein, aber doch nicht gerade beengt waren. Isma wollte
12330 gern sehen, was an der Erde die Aufmerksamkeit der Martier
12331 besonders fessele, und wandte sich daher solchen G
ängen und
12332 S
älen zu, in denen sich die Hauptmasse der Besucher
12333 zusammendr
ängte; Ell folgte ihr und musterte wie sie nicht
12334 weniger die Beschauer als die Gegenst
ände. Ein riesiger Saal
12335 enthielt in historischer Darstellung eine vollst
ändige
12336 Entwicklung der Raumschiffahrt. Ell h
ätte sich gern hier
12337 n
äher in die Einzelheiten vertieft, aber Isma interessierte
12338 sich wenig daf
ür und dr
ängte weiter. Ein Wandelpanorama,
12339 das eine Reise nach der Erde darstellte, lie
ßen sie beiseite
12340 liegen und hielten sich nur kurze Zeit bei der Darstellung des
12341 Luftexports von der Erde auf. Die Maschinen, die den Menschen auf
12342 der Polinsel nicht zug
änglich gemacht worden waren, arbeiteten
12343 hier vor ihren Augen in gef
älligen Modellen. Sie sahen, wie
12344 die Luft in starke Ballons gepumpt und im leeren Raum zum Erstarren
12345 gebracht wurde. Die gefrorenen Luftmassen hatten das Aussehen von
12346 bl
äulichen Eiskugeln und die Dichtigkeit des Stahls.
</p>
12347 <p>Sehr d
ürftig war die Sammlung der pflanzlichen und
12348 tierischen Produkte der Erde, da sie nur aus den polaren Regionen
12349 stammte. Was der
›Glo
‹ mitgebracht hatte, war noch
12350 nicht dem Museum
übergeben worden. Dagegen hatte man schon die
12351 Nachrichten, Gegenst
ände und Abbildungen verwertet, die Jo im
12352 ›Meteor
‹ von der Tormschen Expedition mitgebracht
12353 hatte. Hier dr
ängten sich die Zuschauer dicht zusammen, und
12354 Isma und Ell waren gezwungen, ihrem langsamen Zug zu folgen. Es
12355 ber
ührte sie ganz seltsam, als sie hier Grunthe und Saltner in
12356 verschiedenen lebensgro
ßen Aufnahmen vor sich sahen und auf
12357 dem Tisch eine Reihe von Ausr
üstungsst
ücken, Kleidern und
12358 Kleinigkeiten ausgebreitet bemerkten, die Grunthe den Martiern
12359 überlassen hatte. Isma mu
ßte an sich halten, um sich
12360 nicht einzumischen, als sie die Bemerkungen der Martier und die
12361 Scherze vernahm, die sie
über die Menschen und ihre Industrie
12363 <p>Pl
ötzlich fa
ßte sie Ells Arm und dr
ückte ihn,
12364 da
ß es schmerzte.
</p>
12365 <p>»Was gibt es?
« fragte er.
</p>
12366 <p>»O sehen Sie!
«</p>
12367 <p>Eine Gruppe von Herren und Damen musterten eine
12369 <p>»Eine weibliche Bat!
« sagten sie.
»Sie ist
12370 h
übsch
«, meinten die einen.
</p>
12371 <p>»Viel zu mager
«, die andern.
</p>
12372 <p>Es war Ismas Bild. Die Photographie hatte sich unter Torms
12373 Effekten gefunden und war mit andern Kleinigkeiten
12374 hierhergekommen.
</p>
12375 <p>Die neben Isma stehende Dame, die sie eben zu mager gefunden
12376 hatte, warf zuf
ällig einen Blick auf ihr Gesicht. Sie stutzte
12377 und stie
ß ihre Nachbarin an. Ell sah, da
ß man auf seine
12378 Begleiterin aufmerksam wurde. Die Umstehenden wurden still.
</p>
12379 <p>»Kommen Sie
«, sagte er hastig zu Isma.
»Man
12380 erkennt Sie.
«</p>
12381 <p>Er zog sie fort, beide dr
ängten sich durch das Gew
ühl.
12382 Sie wandten sich nach einer Stelle, wo das Gedr
änge geringer
12383 war, und glaubten pl
ötzlich auf dem Dach der Polinsel zu
12384 stehen. Das Panorama des Nordpols breitete sich in naturgetreuer
12385 Nachahmung vor ihnen aus. Dicht zu ihren F
üßen schien
12386 das Meer zu branden. Das Jagdboot der Martier lag zur Abfahrt
12387 bereit
– zwei Eskimos l
östen das Seil, das es am Ufer
12388 hielt. Im Boot sa
ßen Martier mit ihren Kugelhelmen. Und dort
12389 – auf der andern Seite
–, da standen Grunthe und
12390 Saltner, wie sie leibten und lebten. Grunthe, mit zusammengezogenen
12391 Lippen, schrieb eifrig in sein Notizbuch, Saltner sah l
ächelnd
12392 einer verh
üllten Gestalt nach, die auf zwei Kr
ücken
12393 dahinschlich und die Wirkung der Erdschwere auf die Martier
12394 veranschaulichen sollte.
</p>
12395 <p>»Da sind unsre Freunde!
« rief Ell, wirklich
12396 überrascht. Es waren meisterhaft nachgebildete Figuren.
</p>
12397 <p>Isma stand lange still. Die Plattform begann sich mit andern
12398 Besuchern zu f
üllen.
»Wir wollen lieber gehen
«,
12399 sagte sie.
»Hier unten scheint es leer zu sein, vielleicht
12400 kommen wir dort an den Ausgang.
«</p>
12401 <p>Gegen
über dem Haupteingang f
ührte von dem nachgeahmten
12402 Teil des Inseldaches eine schmale Treppe abw
ärts. Ell blickte
12403 hinunter.
»Es scheint niemand da zu sein
«, sagte
12405 <p>Sie stiegen hinab und befanden sich in einem Gemach, das einem
12406 der Gastzimmer auf der Insel nachgebildet war. Keiner von ihnen
12407 hatte beachtet, da
ß über der T
ür die Inschrift
12408 ›Vorsicht
‹ stand und vor derselben eine Anzahl
12409 St
öcke zum Gebrauch aufgestellt waren.
</p>
12410 <p>»Oh, hier ist es angenehm
«, rief Isma, indem sie
12411 sich auf einen der an der Wand stehenden Lehnst
ühle setzte.
12412 »Hier wollen wir uns ein wenig ausruhen.
« Sie bemerkte,
12413 da
ß irgendeine Ver
änderung mit ihr vorging, die ihr
12414 wohltat, wu
ßte jedoch nicht, was der Grund sei.
</p>
12415 <p>Ell wollte seinen Sessel in ihre N
ähe heben, mu
ßte
12416 aber dazu eine ungewohnte Kraft aufwenden.
»Sind diese Sessel
12417 schwer!
« sagte er. Im selben Augenblick fiel ihm die Ursache
12419 <p>»Hier herrscht ja Erdschwere
«, rief er
12420 überrascht.
»Das ist also auch eine Demonstration, und
12421 darum ist es so leer hier.
«</p>
12422 <p>»Das ist herrlich!
« sagte Isma vergn
ügt.
</p>
12423 <p>Ein Martier trat in die T
ür, knickte zusammen und zog sich
12424 sogleich zur
ück. Isma lachte laut. Sie sprang auf, drehte sich
12425 vor Vergn
ügen im Kreis und rief:
</p>
12426 <p>»Kommt nur herein, meine Herren Nume, hier ist die Erde,
12427 hier zeigt, ob ihr tanzen k
önnt!
« Sie schl
üpfte
12428 hierhin und dahin, r
ückte an den St
ühlen und nahm ihren
12429 Hut ab.
»Ich bin wie zu Hause!
« sagte sie.
»Jetzt
12430 sieht man erst, da
ß die angebliche Leichtigkeit dieser
12431 Federhaube eigentlich Schwindel ist. Sehen Sie nur, wie eilig sie
12432 es hat, hinabzufallen!
«</p>
12433 <p>Ell sah ihr schweigend zu. Er sch
üttelte leicht den Kopf.
12434 »Ein Kind der Erde
«, dachte er bei sich.
»Sie
12435 w
ürde hier oben niemals heimisch werden.
«</p>
12436 <p>Isma war vor eine T
ür getreten.
»Ob es dahinten auch
12437 noch schwer ist?
« fragte sie.
</p>
12438 <p>Ell zog den Vorhang zur
ück. Es zeigte sich ein Balkon, von
12439 dem aus man ins Freie unter die Wipfel der B
äume blickte. Die
12440 Gestalt eines Mannes lehnte am Gel
änder. Er drehte der
12441 T
ür den R
ücken zu und sah, mit der Hand die Augen
12442 sch
ützend, auf die Stra
ße hinab.
</p>
12443 <p>Ell und Isma blickten sich an. Dann lachte Isma auf.
</p>
12444 <p>»Da haben sie ja den Saltner noch einmal
12445 hingestellt
«, rief sie.
»Und wie nat
ürlich! Man
12446 m
öchte meinen, er m
üßte sich umdrehen und
12447 ›Gr
üß Gott
‹ sagen.
«</p>
12448 <p>Die Gestalt schnellte herum.
</p>
12449 <p>»Gr
üß Gott!
« rief Saltners Stimme. Er
12450 sprang auf Ell und Isma zu und sch
üttelte ihnen die
12452 <p>»Das ist gescheit
«, rief er,
»da
ß man
12453 schon einmal Menschen trifft. Das ist eine Freud! Aber um alles in
12454 der Weit, wie kommen denn Sie alleweil hierher? Ich bin ja gerad
12455 auf dem Weg zu Ihnen. Haben
’s denn meine Depesche nicht
12456 erhalten?
«</p>
12457 <p>»Wir sind seit heute fr
üh von Hause fort.
«</p>
12458 <p>»Ja, da wird sie halt dort liegen. Schauens, ich hab Ihnen
12459 heut fr
üh telegraphiert, als wir von Frus Wohnort weggereist
12460 sind, um Sie zu besuchen. Unterwegs wollten sie mir den Kram hier
12461 zeigen, aber wie ich hier in das sch
öne schwere Zimmer
12462 gekommen bin, hab ich gesagt, nun lassens mich aus, jetzt bleib ich
12463 hier, bis Sie sich alles angeschaut haben, und dann holens mich
12464 wieder ab. Denn das hatt
’ ich satt, da
ß mir die Herren
12465 Nume alle nachschauten und die Kinder mir nachliefen und meine gute
12466 Joppe anfa
ßten.
«</p>
12467 <p>»Aber wie konnten Sie auch in Ihrem Reisekost
üm von
12468 der Erde sich hier sehen lassen?
«</p>
12469 <p>»Wissen Sie, ich bin halt ein Mensch, und so bleib ich
12470 einer. Ich werd mich doch nicht in eine neue Haut stecken, wo ich
12471 nicht einmal eine richtige Westentasch
’ f
ür meinen
12472 Zahnstocher hab? Und so gut wie Ihnen, Gn
ädige, w
ürd
12473 mir
’s Marsr
öckel auch nicht stehn.
«</p>
12474 <p>Isma sch
üttelte ihm nochmals die Hand.
»Sie sind der
12475 alte geblieben, Herr Saltner! Nun setzen Sie sich mit her, und
12476 lassen Sie sich erst einmal ordentlich von mir
12477 ausfragen!
«</p>
12478 <p>Saltner schilderte in seiner anschaulichen und drastischen Weise
12479 auf Ismas Fragen die Einzelheiten der Expedition,
über die
12480 Grunthe nur in seiner knappen Formulierung berichtet hatte, und
12481 lie
ß sich von Isma die Ereignisse aus Deutschland und ihre
12482 eigenen Erlebnisse seit der Ankunft Grunthes in Friedau
12483 erz
ählen.
Über die Reise Ills nach dem Pol, den Kampf der
12484 Schiffe und die Fahrt nach dem Mars hatte er bis jetzt nur die
12485 Darstellungen kennengelernt, welche die kurzen Depeschen gaben, und
12486 die Ger
üchte und Betrachtungen, welche die Zeitungen daran
12487 kn
üpften. Letztere gr
ündeten sich auf die m
ündlichen
12488 Mitteilungen der von der Erde zur
ückgekehrten Martier. Der
12489 offizielle Bericht sollte erst erscheinen, nachdem er vom
12490 Zentralrat dem Hause der Deputierten vorgelegt worden. Dies
12491 mu
ßte inzwischen geschehen sein, denn heute sollte die
12492 betreffende Sitzung stattfinden. Es war zu vermuten, da
ß die
12493 Beratungen dar
über sich noch einige Tage hinziehen
12494 w
ürden. Dann erst, nach Anh
örung der
12495 Deputiertenversammlung, konnte der Zentralrat einen definitiven
12496 Beschlu
ß fassen
über die der Erde gegen
über zu
12497 treffenden Ma
ßnahmen. Da hierbei alle auf der Erde t
ätig
12498 gewesenen h
öheren Beamten als Sachverst
ändige eventuell
12499 gebraucht wurden, mu
ßte Fru seinen Urlaub, auf den er sonst
12500 nach der R
ückkehr von der Erde Anspruch hatte, unterbrechen,
12501 um sich in Kla aufzuhalten. Saltner, der als Gast der Marsstaaten
12502 selbst die Rechte eines Numen erhalten hatte, war auf seinen
12503 eigenen Wunsch unter die spezielle F
ürsorge Frus gestellt
12504 worden und wollte nun auch in Kla in seiner Obhut bleiben. Der
12505 weiten Entfernung wegen, welche den gew
öhnlichen Wohnort Frus
12506 von Kla trennte, mu
ßte der Transport der Wohnungen schon am
12507 Tag beginnen, und Fru war mit Frau und Tochter und seinem Gast
12508 Saltner vorangereist. Sie wollten sich das Erdmuseum ansehen, und
12509 hier hatte Saltner seine Freunde von der Erde getroffen.
</p>
12510 <p>Ill, von den Verhandlungen im Zentralrat v
öllig in Anspruch
12511 genommen, hatte sich zu Hause
über die zu erwartenden
12512 Ma
ßnahmen nicht ge
äu
ßert und auch aus Schonung
12513 f
ür Isma von den letzten Ereignissen nicht gesprochen. Ell war
12514 ganz in der Begeisterung f
ür die wiedergefundene Heimat des
12515 Vaters aufgegangen. So erfuhr er sowohl wie Isma zuerst von
12516 Saltner, da
ß, wenigstens in den s
üdlichen Teilen des
12517 Mars, aus denen Saltner kam und wo auch die Mehrzahl der auf der
12518 Erde gewesenen Martier herstammte, die anf
ängliche
12519 Begeisterung f
ür die Erdbewohner sich stark abzuk
ühlen
12520 begonnen hatte.
</p>
12521 <p>Der Umschwung war durch das Verhalten der Engl
änder gegen
12522 das Luftschiff herbeigef
ührt worden, und sobald die Zeitungen
12523 Berichte
über die Behandlung gebracht hatten, die den beiden
12524 gefangenen Martiern zuteil geworden war, begann in einigen Staaten,
12525 deren Bewohner sich durch lebhaftes Temperament auszeichneten, eine
12526 gereizte Stimmung Platz zu greifen. Man verlangte ein entschiedenes
12527 Vorgehen gegen das Barbarentum der Erdbewohner, und nur der Hinweis
12528 der ruhigeren Elemente darauf, da
ß man keinerlei Urteile
12529 abzugeben berechtigt sei, bevor nicht der amtliche Bericht
12530 vorliege, hielt die menschenfeindliche Bewegung in
12531 m
äßigen Grenzen. Fru besorgte jedoch, wie Saltner
12532 mitteilte, da
ß die
öffentliche Meinung nach dem
12533 Bekanntwerden des Berichts stark genug sein w
ürde, um auf die
12534 Entschlie
ßungen des Zentralrats einen dem guten
12535 Verh
ältnis zur Erde ung
ünstigen Einflu
ß
12536 auszu
üben.
</p>
12537 <p>Isma f
ühlte sich be
ängstigt. Sie f
ürchtete, wenn
12538 es zu Feindseligkeiten der Martier gegen die Erde k
äme,
12539 da
ß sich ihrer R
ückkehr Schwierigkeiten in den Weg legen
12540 k
önnten, da
ß vielleicht die erneute Aufsuchung Torms im
12541 Fr
ühjahr durch Ma
ßregeln vereitelt werden w
ürde,
12542 die den Martiern wichtiger erschienen. Ell suchte sie zu beruhigen.
12543 Er sah die Sachlage in viel g
ünstigerem Licht. Ill werde
12544 seinen Bericht jedenfalls so mild wie m
öglich gestalten. Aus
12545 der ungerechtfertigten Handlungsweise eines einzelnen Kapit
äns
12546 k
önne man unm
öglich ein Zerw
ürfnis zwischen den
12547 Planeten herleiten. Momentane Stimmungen des Publikums h
ätten
12548 auf dem Mars niemals einen dauernden politischen Einflu
ß, da
12549 ein jeder der Belehrung des Besseren zug
änglich sei.
</p>
12550 <p>»Aber wer wei
ß«, sagte Isma,
»wie man
12551 auf der Erde denken mag!
«</p>
12552 <p>»Wir h
ätten uns nicht der Gefahr aussetzen sollen,
12553 sie verlassen zu m
üssen
«, sagte Ell etwas verstimmt.
</p>
12554 <p>Isma wandte sich schmerzlich ber
ührt ab, und Ell fuhr
12556 <p>»Aber an dem feindlichen Zusammensto
ß der Schiffe
12557 h
ätten wir ja doch nichts ge
ändert, auch wenn wir zu
12558 Hause geblieben w
ären. Ich wollte Ihnen keinen Vorwurf machen,
12559 Frau Torm, ich meine nur, wir d
ürfen uns jetzt keinen
12560 tr
übsinnigen Gr
übeleien hingeben. Da wir nun einmal hier
12561 sind
–«</p>
12562 <p>»Da lassen wir ruhig die Nume weitersorgen, das will ich
12563 auch meinen
«, sagte Saltner.
»Es sind wirklich ganz
12564 pr
ächtige Leute dabei, und wir Menschen m
üssen halt ein
12565 bissel zusammenhalten. Hier unser Doktor Ell, der wird sich ja wohl
12566 auch noch zu uns rechnen. Oder
–«</p>
12567 <p>»Wo bleiben Sie, Sal?
« fragte eine tiefe
12568 Frauenstimme zur T
ür herein.
»Kommen Sie gef
älligst
12569 heraus, wir haben auf der Erde Schwere genug genossen. Es ist
12570 übrigens irgend etwas Besonderes zu sehen, wo wir hingehen
12571 m
üssen.
«</p>
12572 <p>»Das ist La
«, rief Saltner, eilig aufspringend.
12573 »Oh, kommen Sie mit, ich mache Sie gleich alle
12574 bekannt.
« Und sich zu den Angekommenen wendend, rief er:
12575 »Da bringe ich Ihnen neue Menschen! Nun bin ich doch nicht
12576 mehr das einzige Wundertier.
«</p>
12577 <p>Fru und die Seinigen begr
üßten Ell und Isma sehr
12578 freundlich. Isma f
ühlte sich trotzdem etwas verlegen; bei
12579 aller taktvollen Zur
ückhaltung der Martier wu
ßte sie
12580 doch, da
ß sie von ihnen, die zum ersten Mal ein weibliches
12581 Wesen von der Erde sahen, einer lebhaften Pr
üfung unterworfen
12582 wurde. Aber Las Herzlichkeit half ihr sogleich
über diesen
12583 Zustand fort. Sie gab Isma nach Menschenart die Hand und redete sie
12585 <p>»Ich wei
ß«, sagte sie,
»welch
12586 bedauerliche Zuf
älle Sie zu uns f
ührten, uns aber
12587 m
üssen wir es zum Gl
ück anrechnen, eine Schwester von der
12588 Erde in Ihnen begr
üßen zu d
ürfen. Unser Freund
12589 Saltner hat schon viel von Ihnen erz
ählt. Und Sie sind es ja
12590 gewesen, der die Martier die erste Gabe europ
äischer Arbeit
12591 verdanken
– den Flaschenkorb n
ämlich, den Grunthe den
12592 unsrigen beinahe auf den Kopf geworfen hat. Ohne den Flaschenkorb
12593 h
ätten wir
–«, sie wandte sich zu Ell,
12594 »Ihren pr
ächtigen Leitfaden nicht gefunden, und ich
12595 k
önnte wahrscheinlich jetzt nicht in Ihrer Sprache mit Ihnen
12597 <p>Sie zog dabei die Reproduktion des B
üchleins aus ihrem
12598 Reiset
äschchen und zeigte sie Ell, mit dem sie jetzt martisch
12600 <p>Sie fragte ihn, welchen Eindruck das Denkmal auf ihn gemacht
12601 habe, das die Marsstaaten seinem Vater in der Ruhmesgalerie der
12602 Raumschiffer errichtet hatten. Aber dorthin war Ell noch gar nicht
12603 gekommen. Er wollte sogleich diesen Besuch nachholen, die andern
12604 aber w
ünschten einer soeben neu er
öffneten Schaustellung
12605 beizuwohnen, nach der dichte Scharen von Besuchern
12606 hinstr
ömten. Die Richtungsweiser, denen sie folgten, besagten
12607 nur
›Neues von der Erde
‹, ohne n
ähere Angabe.
12608 Auch Isma war daher sehr gespannt, dieses Neue kennenzulernen, Ell
12609 lie
ß sich jedoch von seinem Vorhaben nicht abhalten. Er
12610 trennte sich am Eingang der Galerie von den
übrigen, und man
12611 verabredete nur, sich in einer halben Stunde in der Lesehalle des
12612 Museums zu treffen.
</p>
12613 <p>Die Besucher dr
ängten nach dem Theater des Museums, worin
12614 von Zeit zu Zeit Vortr
äge
über die Erde oder die
12615 Raumschiffahrt gehalten wurden. Diese wurden durch bewegliche
12616 Lichtbilder illustriert, die mit aller Kraft martischer Malerei und
12617 Technik so plastisch wirkten, da
ß sie vollkommen den Eindruck
12618 der Wirklichkeit hervorriefen. Als Frus mit ihrer Begleitung
12619 ankamen, war das Theater, obwohl es Raum f
ür zwanzigtausend
12620 Personen bot, schon
überf
üllt. Da jedoch Fru bei der
12621 Einrichtung des Erdmuseums t
ätigen Anteil genommen hatte,
12622 wu
ßte er seine Gesellschaft einen von den weniger
12623 ortsbekannten Besuchern meist
übersehenen Gang zu f
ühren,
12624 der auf eine Reihe noch freier Pl
ätze auslief. Sie befanden
12625 sich in ziemlich versteckter Lage zwischen den architektonischen
12626 Verzierungen
über einem der Eing
änge. Sehr bald
12627 ert
önte ein Signal, das den Beginn der Vorstellung
12628 bezeichnete, und die Riesenhalle verdunkelte sich. Auf der
12629 B
ühne, das hei
ßt auf einer Kreisfl
äche von etwa
12630 drei
ßig Metern Durchmesser zeigte sich eine vorz
üglich
12631 dargestellte Gegend aus dem Polargebiet der Erde, ein Teil des
12632 Kennedy-Kanals, mit felsigen Ufern und Gletscherabst
ürzen, wie
12633 er aus der Vogelperspektive des Luftboots in einigen hundert Meter
12634 H
öhe erschien. Die Polard
ämmerung lag
über der
12635 Landschaft, die von einem strahlenden Nordlicht erhellt wurde. Nun
12636 erfolgten die Lichteffekte des Sonnenaufgangs, und es erschien das
12637 kleine Luftboot der Martier. Im Vordergrund erkannte man den Cairn,
12638 an welchem die Engl
änder bauten, man sah, wie sie denselben
12639 verlie
ßen, in den Abgrund st
ürzten, von den Martiern
12640 herausgeholt und am Fu
ße des Steinmannes niedergelegt wurden.
12641 Die ganze Szene, von den Zuschauern mit lebhaftem Beifall
12642 begleitet, wurde durch die k
ünstlich verst
ärkte Stimme
12643 eines gewandten Redners erkl
ärt.
</p>
12644 <p>Es erschienen nun, vom Standpunkt der am Cairn befindlichen
12645 Martier aus nicht sichtbar, die englischen Seesoldaten;
12646 fratzenhafte Gestalten, wahre Teufel, in unm
öglicher Kleidung,
12647 f
ührten sie, ihre Gewehre schwingend, einen wilden Kriegstanz
12648 auf, der durchaus der Phantasie des martischen
12649 Wirklichkeitsdichters entstammte. Isma und Saltner war es peinlich,
12650 den Eindruck zu beobachten, den diese Szene auf das Publikum
12651 aus
übte. Es nahm sie in vollem Glauben auf und wollte sich
12652 über die abenteuerlichen Wilden totlachen.
</p>
12653 <p>Saltner sch
üttelte den Kopf.
»Ich bin kein Freund der
12654 Englishmen
«, sagte er,
»aber so sehen sie doch nicht
12655 aus, und so benehmen sie sich auch nicht. Man bringt ja den
12656 Martiern ganz falsche Begriffe von den Menschen bei.
«</p>
12657 <p>»Unseren gefangenen Landsleuten, denen so
übel
12658 mitgespielt wurde, sind sie jedenfalls so erschienen
«, sagte
12659 La.
»Sie haben ihre Schilderungen offenbar unter dem Eindruck
12660 der erlittenen Mi
ßhandlungen gemacht.
«</p>
12661 <p>»Ich bedauere trotzdem
«, bemerkte Fru unwillig,
12662 »da
ß man hier diese Auff
ührung veranstaltet, es
12663 ist unsrer nicht w
ürdig. Aber seit jenem Zwischenfall ist
12664 leider von einem Teil der Presse die Ansicht verbreitet worden,
12665 da
ß die Menschen nicht als vern
ünftige Wesen zu
12666 betrachten und als gleichberechtigt zu behandeln seien. Das ist
12667 nicht gut.
«</p>
12668 <p>Die Szene
änderte jetzt ihren Charakter aus dem Komischen
12669 in das Schauerliche. Die Engl
änder st
ürzten unter wildem
12670 Geheul, das akustisch wiedergegeben wurde, auf die beiden Martier
12671 zu und
überfielen sie. Die Martier scheuchten sie
12672 majest
ätisch zur
ück, und es entwickelte sich
12673 zun
ächst eine Art Diskussion, die durch das menschliche
12674 Kauderwelsch, welches Englisch vorstellen sollte, einen Augenblick
12675 ins Komische umzuschlagen schien, aber sofort die Entr
üstung
12676 der Zuschauer wachrief, als eine neue Schar von Wilden den Martiern
12677 in den R
ücken fiel und sie hinterr
ücks niederri
ß.
12678 Dann wurden den ungl
ücklichen Opfern die Arme
12679 zusammengeschn
ürt und sie an langen Stricken
12680 fortgeschleppt.
</p>
12681 <p>Bei diesem Anblick brach im Theater ein unheimlicher L
ärm
12682 aus. Wie ein Wutschrei ging es durch die Masse der Zuschauer. Die
12683 Fesselung, die Beraubung der pers
önlichen Bewegungsfreiheit,
12684 war die gr
ößte Schmach, die einem Numen angetan werden
12685 konnte. Die Gesamtheit der Martier f
ühlte sich dadurch
12686 beleidigt. Und seltsam, w
ährend man die Menschen eben als
12687 unvern
ünftige Wesen belacht hatte, betrachtete man sie doch
12688 jetzt als verantwortlich f
ür ihre Handlungen. Die Darstellung
12689 hatte offenbar die Tendenz, die Menschen als b
öse zu zeigen,
12690 indem das Folgende ihre Intelligenz zu verdeutlichen bestimmt war.
12691 Das englische Kriegsschiff dampfte herbei. Es schien ganz im
12692 Vordergrund zu liegen, und in einem kaum verfolgbaren Wechsel des
12693 Bildes befand man sich pl
ötzlich an Bord desselben. Die
12694 vorz
ügliche Einrichtung, die musterhafte Ordnung, die Waffen
12695 und Maschinen bewiesen die hohe technische Kultur der Menschen;
12696 dagegen stach die rohe Behandlung der Gefangenen h
äßlich
12697 ab und emp
örte die Zuschauer nur um so heftiger. Mit Jubel
12698 wurde daher das Erscheinen des gro
ßen Luftschiffes
12699 begr
üßt und der Kampf zwischen den Martiern und Menschen
12700 mit Enthusiasmus verfolgt. Die erhabene Friedensliebe der Nume
12701 schien verschwunden, in dieser gereizten Versammlung wenigstens kam
12702 sie nicht zum Ausdruck. Und als in einem
ästhetisch wunderbar
12703 gelungenen Schlu
ßtableau auf der Eisscholle am Felsenufer Ill
12704 selbst erschien und den Gefangenen die Fesseln l
öste, artete
12705 die Vorstellung zu einer eindrucksvollen patriotischen Kundgebung
12706 aus. Die Rufe
»Sila Nu
« und
»Sila Ill
«
12707 brausten durch das Haus.
</p>
12708 <p>Isma lehnte sich
ängstlich zur
ück. Sie f
ürchtete
12709 jeden Augenblick, sich selbst oder wenigstens Ell auf der
12710 B
ühne erscheinen zu sehen; aber mit diesen den Martiern
12711 befreundeten Menschen wu
ßte die tendenzi
öse Dichtung
12712 nichts anzufangen, sie waren einfach fortgelassen. Saltner war
12713 w
ütend.
»So was d
ürfte die Polizei gar nicht
12714 erlauben
«, sagte er,
»bei uns w
ürde man das gleich
12715 verboten haben.
«</p>
12716 <p>»Was wollen Sie
«, sagte La,
»dies ist eine
12717 Privatveranstaltung. Sie k
önnen das Theater mieten und morgen
12718 eine Verherrlichung der Erde auff
ühren.
«</p>
12719 <p>Sie sah ihn l
ächelnd an, und er schwieg.
</p>
12720 <p>»Es mu
ß auch etwas geschehen
«, sagte Fru,
12721 »um der Verbreitung dieser Menschenhetze entgegenzuwirken.
12722 Lassen Sie uns gehen.
«</p>
12723 <h2>31 - Mars-Politiker
</h2>
12724 <p>Die Entleerung des Theaters geschah trotz der ungeheueren
12725 Zuschauermenge in wenigen Minuten, denn zahlreiche breite
12726 G
änge f
ührten nach allen Seiten auseinander und
12727 m
ündeten nach der Stra
ße hin. Man h
örte
12728 überall unter dem Eindruck der Vorstellung ver
ächtlich
12729 über die Menschen sprechen, doch hatte die
übertriebene
12730 Darstellung der Menschen als Wilde das Gute, da
ß niemand auf
12731 die Vermutung kam, in Isma und Saltner solche Erdbewohner vor sich
12732 zu haben, obwohl Saltner in seiner Joppe, die H
ände in den
12733 Taschen, in recht auffallender Weise einherschlenderte und den
12734 pr
üfenden Blicken, die ihn gelegentlich trafen, ungeniert
12735 begegnete. Aber da jetzt alle in gleicher Richtung sich bewegten
12736 und noch von den Eindr
ücken erf
üllt waren, die sie eben
12737 erhalten hatten, so achtete man wenig auf ihn.
</p>
12738 <p>Erst als sich Fru mit seiner Begleitung in dem Vorraum der
12739 Lesehalle zwischen dichten Gruppen sich lebhaft unterhaltender
12740 Martier hindurchdr
ängen mu
ßte, wurde man wieder auf ihn
12741 aufmerksam. Hier begegneten sich Besucher des Theaters und solche,
12742 die aus der Lesehalle kamen und sich soeben mit den neuesten
12743 Nachrichten bekanntgemacht hatten. Es herrschte eine sichtliche
12744 Erregung. Verk
äufer riefen die neuen Bl
ätter aus f
ür
12745 diejenigen, die sich das in der Halle Gelesene in eigenen
12746 Exemplaren mit nach Hause nehmen wollten.
</p>
12747 <p>»Der Bericht des Zentralrats!
« – »Die
12748 Rede des Repr
äsentanten Ill!
«</p>
12749 <p>»Die Rede des Deputierten Eu!
« – »Der
12750 Antrag Ben.
«</p>
12751 <p>»Karte der Erde!
« – »Leben und Tod des
12752 Kapit
äns All.
«</p>
12753 <p>»Der Sohn des Numen auf der Erde.
« –
12754 »Bild des Baten Saltner!
« – »Bildnis der
12755 Batin Torm.
«</p>
12756 <p>Isma und Saltner verstanden das in eigent
ümlichem Tonfall
12757 herausgesto
ßene Martisch der Ausrufer nicht. Fru und La
12758 suchten schnell mit ihren Begleitern aus dem Gew
ühl in die
12759 Lesehalle zu gelangen. Aber Saltner erkannte in der Hand eines
12760 Verk
äufers sein wohlgetroffenes Bildnis.
</p>
12761 <p>»Was?
« rief er.
»Da werd ich wohl gar
12762 feilgehalten. Das ist mir doch noch nicht passiert, das mu
ß
12763 ich mir mitnehmen.
«</p>
12764 <p>Die um den Verk
äufer Herumstehenden hatten ihn nun
12765 nat
ürlich sogleich erkannt. Bald war die Gruppe von
12766 Neugierigen umringt, und es fielen manche nicht sehr
12767 schmeichelhafte
Äu
ßerungen.
</p>
12768 <p>Saltner nahm sein Bild in Empfang und zahlte. Man hatte ihm als
12769 Gast der Regierung einen anst
ändigen Reisefonds
12770 übermittelt.
</p>
12771 <p>»Da schaut mich an
«, sagte er, sich in Positur
12772 stellend,
»wenn Ihr noch keinen anst
ändigen Bat gesehen
12773 habt.
« Und auf martisch f
ügte er hinzu:
»Nun, seh
12774 ich aus wie ein Engl
änder?
«</p>
12775 <p>La dr
ängte ihn vorw
ärts. Sie f
ührte Isma am Arm,
12776 die ihren Schleier vorgezogen hatte und ihrer martischen Tracht
12777 wegen nicht auffiel. Die Nahestehenden blickten Saltner nicht
12778 gerade wohlwollend an, bel
ästigten ihn aber in keiner Weise
12779 und folgten ihm auch nicht, als er sich durch sie
12780 hindurchdr
ängte, obwohl ihm jetzt jeder nachsah. So gelangten
12781 alle in das Innere der Lesehalle, die aus einer Reihe gro
ßer
12782 S
äle bestand.
</p>
12783 <p>Die langen Tafeln waren dicht besetzt. Viele der Lesenden
12784 benutzten diese Zeit, um ihrer offiziellen Lesepflicht zu
12785 gen
ügen. Denn jeder Martier war verpflichtet, bei Verlust
12786 seines Wahlrechts, aus zwei Bl
ättern, von denen eines ein
12787 oppositionelles sein mu
ßte, t
äglich
über die
12788 wichtigsten politischen und technischen Neuigkeiten sich zu
12789 unterrichten. Die gr
ößeren Bl
ätter gaben zu diesem
12790 Zweck kurze Ausz
üge besonders heraus.
</p>
12791 <p>Im Saal herrschte absolute Stille. Hier wurde nicht gesprochen.
12792 An den W
änden befanden sich jedoch kleinere Abteilungen,
12793 verschlossene Logen, in mehreren Stockwerken
übereinander, in
12794 denen sich Bekannte zusammensetzen und ihre Meinungen austauschen
12795 konnten. In eine solche Plauderloge begab sich Fru mit seinen
12796 Begleitern. Er schlo
ß die T
ür und trat an einen
12797 Fernsprecher, der zur Verwaltung f
ührte. Hier nannte er seinen
12798 Namen und die Nummer der Loge. Dann fragte er, ob Ell re Kthor, am
12799 gel Schick, nach ihm gefragt habe. Die Antwort besagte, ja, er
12800 befinde sich in Loge
408. Fru lie
ß ihm nun die Nummer seiner
12801 Loge sagen und ihn zu sich bitten. Auf demselben Weg machte er eine
12802 Bestellung auf eine Reihe Erfrischungen, die alsbald auf
12803 automatische Weise in dem Schrankaufsatz des Tisches erschienen,
12804 der auch hier die Mitte des Zimmers einnahm.
</p>
12805 <p>Es befand sich darunter f
ür jeden Anwesenden eine
12806 Sch
üssel mit Wasser, das durch eine kleine Flamme in lebhaftem
12807 Sieden erhalten wurde.
</p>
12808 <p>»Ach
«, rief Saltner,
»das sind hei
ße
12809 Boffs, das ist die beste Frucht auf diesem k
ünstlichen
12810 Planeten; das ist wirkliche Natur.
«</p>
12811 <p>Isma kannte die Speise noch nicht und fragte danach.
</p>
12812 <p>»Um Himmels willen
«, sagte Saltner,
»nennen
12813 Sie die Boffs nicht eine Speise, sonst d
ürfen wir sie ja nicht
12814 zusammen essen. Das ist eben das Beste daran, da
ß sie nicht
12815 als Speise, sondern als Erfrischung gelten, weil sie wirkliche
12816 Fr
üchte, in der Natur gewachsen sind, eine Art Erdgurken, oder
12817 wie man sie nennen soll, und deshalb hier gemeinschaftlich gegessen
12819 <p>»O pfui
«, sagte La, ihn leicht auf den Arm
12820 schlagend. Sie las bereits eifrig in einer Zeitung, in die sie sich
12821 jetzt wieder vertiefte.
</p>
12822 <p>»Ich wollte sagen, genossen,
ästhetisch verwendet
12823 werden d
ürfen. Aber gut schmecken sie doch.
«</p>
12824 <p>Er zog die Sch
üssel an sich heran und griff
– zum
12825 Erschrecken Ismas
– mit der Hand in das siedende Wasser, eine
12826 der r
ötlichen, gurkenartigen Fr
üchte hervorziehend.
</p>
12827 <p>»Sie brauchen nicht zu f
ürchten, da
ß Sie sich
12828 verbrennen
«, sagte er lachend zu Isma.
»Das Wasser ist
12829 gar nicht hei
ß, es siedet in unverschlossenen
12830 Gef
äßen hier schon bei
45 Grad Celsius. Das ist ja ein
12831 Planet ohne Luftdruck.
«</p>
12832 <p>»Lassen Sie endlich unsern Nu in Frieden
«, sagte La
12833 lachend, indem sie die Zeitung beiseite legte,
»sonst werden
12834 Sie mit dem n
ächsten Schiff nach dem S
üdpol Ihrer
12835 abscheulichen schweren Erde transportiert. Lesen Sie lieber die
12836 neuesten Beschl
üsse, sie werden Sie interessieren. Ich
12837 f
ürchte nur, mit dem Urlaub wird es diesmal nichts sein. Wer
12838 wei
ß, ob wir nicht wieder fort m
üssen!
«</p>
12839 <p>Isma horchte auf.
</p>
12840 <p>»Nach der Erde?
« fragte sie.
»Schickt man
12841 Schiffe jetzt nach der Erde?
«</p>
12842 <p>In diesem Augenblick trat Ell ein. Er sah erregt aus. In der
12843 Hand hielt er einen Sto
ß Bl
ätter und Zeitungen, die er
12844 teils gekauft, teils aus dem Saal entnommen hatte.
</p>
12845 <p>Ehe er sich in die Lesehalle begab, hatte er lange vor dem
12846 Denkmal seines Vaters gesessen. Es war eine Portr
ätstatue in
12847 Lebensgr
öße, die All in seinen j
üngeren Jahren
12848 darstellte, in der Kleidung des Raumschiffers. Man glaubte ihn
12849 durch die Stellith
ülle des Raumschiffs auf der
12850 Kommandobr
ücke stehend zu sehen und mit ihm auf die unter ihm
12851 liegende Erde hinabzublicken. Aus seinen Augen sprach der feste
12852 Entschlu
ß, auf diesen Planeten siegreich seinen Fu
ß zu
12854 <p>»Du hast uns den Weg gezeigt, den wir nun betreten
«,
12855 so klang es in Ells Seele.
»Dir verdanken wir die Erde, die
12856 du mit deinem Leben uns gewonnen hast.
«</p>
12857 <p>Die jugendlichen, kr
äftigen Z
üge des Bildes schienen
12858 sich zu verwandeln. Ell sah in ihnen wieder den schwerm
ütigen,
12859 ernsten Mann, wie er ihn gekannt, nur der siegreiche Blick des
12860 Auges war geblieben, der ihm entgegenfunkelte, wenn der Vater dem
12861 J
üngling von der Heimat sprach und von der gro
ßen
12862 Aufgabe, die Erde zu gewinnen f
ür die Numenheit. Er gedachte
12863 des eigenen Lebens und der letzten Jahre, die er auf der Erde
12864 gearbeitet hatte, erf
üllt von dem Gedanken, da
ß der
12865 Menschheit Gl
ück abhinge von ihrer Befreiung durch die Kultur
12866 der Martier. Und jetzt stand er auf dem Mars, nun blickte er hinab
12867 auf die Erde, und es war ihm, als verl
öre sich das Schicksal
12868 der Erdbewohner wie eine Episode in der Geschichte der Sterne, als
12869 lebe er mit den Numen um der Nume willen und s
ähe in der
12870 Besetzung der Erde nur eine der Stufen, das h
öchste Leben des
12871 Geistes im Kampf mit den widerstrebenden Kr
äften der Natur zu
12872 erhalten. Was war ihm nun die Menschheit? Was w
är sie ihm
12873 gewesen? Wenn er sie zu lieben glaubte, war es nicht allein die
12874 Eine gewesen, in der er die Menschheit liebte? Was hielt ihn noch
12875 an dem barbarischen Planeten? Das Andenken seiner Mutter? Sie war
12876 dahin; dieses Andenken blieb ihm
überall. Und die tiefblauen
12877 Augen der hei
ßgeliebten Frau, deren weltfernes Leuchten durch
12878 all die Jahre hindurch mit unverminderter Kraft in seinem Herzen
12879 gewirkt hatte? Sie wirkten fort und fort mit ihrer zarten Gewalt
12880 – die teuren milden Z
üge, von denen ein gl
ückliches
12881 L
ächeln zu gewinnen sein steter Gedanke, f
ür die er nahe
12882 daran gewesen war, seine Numen heit zu vergessen, um sie zu erobern
12883 mit den Mitteln der Menschen f
ür sich und um ihretwillen ein
12884 Mensch zu werden wie die andern! Und jetzt, jetzt konnte er dies
12885 sicherer wie je, nie war er diesem Ziel n
äher gewesen. Aber
12886 diese Frau war hierhergekommen, weil sie ausgezogen war, ihren Mann
12887 zu suchen, und er hatte sich ihr gelobt, ihn finden zu helfen. Sie
12888 wird ihn finden, und drunten in Friedau oder in einer andern Stadt,
12889 wohin der Ruhm des Polentdeckers sie f
ühren w
ürde, da
12890 wird sie gl
ücklich sein und der Reise nach dem Mars und des
12891 fernen Freundes gedenken wie eines Traumes, der zerronnen ist. Und
12892 er? Sollte er weiter leben dort unten, um eine fl
üchtige
12893 Stunde ihrer N
ähe zu gewinnen, um sich zu versichern,
12894 da
ß er zu ihr geh
öre, wie ein teures Schmuckst
ück
12895 ihres Daseins? Sollte er wieder zwischen diesen engherzigen
12896 Schlauk
öpfen wandeln, um ihre ganze, verst
ändnislose
12897 Wirtschaft zu verachten?
</p>
12898 <p>Nein, nun er die Freiheit der Heimat gekostet hatte, konnte er
12899 nicht dauernd auf die Erde zur
ückkehren. Was war ihm noch die
12901 <p>»Ein Verm
ächtnis hast du uns gelassen, o
12902 Vater
«, so sagte Ell im stillen zu sich,
»die Erde, auf
12903 der du littest, zu gewinnen zu einem h
öheren Zweck. Und ich
12904 vor allen habe die Pflicht, dies Verm
ächtnis anzutreten. In
12905 Frieden wollen wir die Menschheit gewinnen und ihr zum Segen. Und,
12906 ein Menschensohn, wei
ß ich von ihren Schmerzen zu sagen. Aber
12907 wenn unseliger Mi
ßverstand zum Streit f
ührt, so kann
12908 mein Platz nur dort sein, wo du gestanden hast.
«</p>
12909 <p>Er erhob sich. Bald umwogte ihn wieder der Verkehr des Tages. Er
12910 begab sich nach der Lesehalle. Begierig griff er nach den neuen
12911 Depeschen und studierte sie, bis Fru ihn rufen lie
ß.
</p>
12912 <p>»Wissen Sie schon alles?
« war gleich seine erste
12913 Frage beim Eintritt. Er sprach martisch. La antwortete lebhaft. Fru
12914 und seine Gattin mischten sich ein. Die Martier sprachen schnell
12915 und eifrig. Ell hatte offenbar noch etwas Wichtiges erfahren. Isma
12916 und Saltner konnten dem schnellen Gespr
äch nicht folgen. Die
12917 Menschen schienen einen Augenblick vergessen. Es war nur eine
12918 Minute der Erregung. Dann wandte sich La mit ihrem freundlichen
12919 L
ächeln zu Isma.
</p>
12920 <p>»Haben Sie alles verstehen k
önnen?
« fragte sie.
12921 »Ihr Freund bringt uns wichtige Mitteilungen.
«</p>
12922 <p>»Ich konnte nicht folgen
«, sagte Isma.
</p>
12923 <p>Jetzt erst wandte sich Ell zu Isma. Sie sah ihn an. In ihren
12924 Augen lag es wie eine schmerzliche Bitte: Verla
ß mich nicht.
12925 Ich bin einsam. Ich wei
ß nicht, was das alles soll. Sie
12926 fragte ihn jetzt:
</p>
12927 <p>»Was gibt es denn Neues? Erz
ählen Sie nun auch mir
12929 <p>Und w
ährend dieser kurzen Worte wechselte ihr Ausdruck. Der
12930 ängstliche Zug wich einem frohen Vertrauen. Sie f
ühlte
12931 sich wieder sicher, seitdem er neben ihr weilte.
</p>
12932 <p>»Ist es etwas Ung
ünstiges?
« fragte sie weiter,
12933 als Ell z
ögerte.
</p>
12934 <p>La war der Wechsel in Ismas Mienen nicht entgangen. Sie hatte
12935 das Aufblitzen ihrer Augen beobachtet, als Ell eintrat, und jetzt
12936 die Beruhigung ihrer Stimmung. Und ebenso unbemerkt blickte sie auf
12937 Ell und las in seiner Seele. Er wandte sich mit einem fragenden
12938 Blick an sie, aber sie beugte sich schnell zu Saltner
12940 <p>»Ich wei
ß wirklich nicht
«, sagte Ell,
12941 »was wir von der Sache zu erwarten haben, aber jedenfalls
12942 k
önnen wir jetzt auf eine schnellere Entwicklung gefa
ßt
12943 sein. Es werden Schritte getan, noch w
ährend des Winters
12944 Nachrichten von der Erde zu erhalten.
«</p>
12945 <p>»Wie ist das m
öglich?
« fragte Isma.
</p>
12946 <p>»Haben Sie die Vorg
änge in der Kammer von heute
12947 vormittag gelesen?
« Isma sch
üttelte den Kopf.
</p>
12948 <p>»Wir sind eben erst gekommen
«, sagte Fru,
»und
12949 wissen selbst noch nichts Zusammenh
ängendes. Wir bemerkten
12950 nur, da
ß die Stimmung gegen die Erde umgeschlagen zu sein
12951 scheint.
«</p>
12952 <p>»Ich sah eben hier zuf
ällig
«, f
ügte La
12953 hinzu,
»da
ß die S
üdbezirke auf eine starke
12954 Armierung des Erds
üdpols dringen und ein Vorgehen von dort aus
12955 w
ünschen, und ich wu
ßte nicht, was das zu bedeuten
12957 <p>»Dann erlauben Sie, da
ß ich in K
ürze mitteile,
12958 was ich gelesen habe. Der Bericht der Regierung stellte den
12959 Konflikt mit dem englischen Kriegsschiff und die Gefangennahme und
12960 Behandlung unserer Leute als das dar, was er war, ein ungl
ück-
12961 licher Zufall und die Tat eines untergeordneten Kapit
äns,
12962 f
ür die man kaum die englische Regierung, geschweige denn die
12963 Bewohner der Erde verantwortlich machen d
ürfe. Sie
12964 erkl
ärte, da
ß durch diesen Zwischenfall an dem
12965 urspr
ünglichen Plan nichts ge
ändert werde. Man wolle im
12966 Beginn des n
ördlichen Erdfr
ühjahrs eine starke
12967 Luftschifflotte bereithalten, um, sobald die Nordstation
12968 zug
änglich sei, die zu diesem Zweck fr
üher als sonst
12969 er
öffnet werden sollte, sofort s
ämtliche
12970 Gro
ßm
ächte der Erde in ihren Hauptst
ädten
12971 aufzusuchen. Man werde den Regierungen einen Vertrag
über den
12972 Verkehr und die Handelsbeziehungen zum Mars vorschlagen und die
12973 Vorkehrungen so treffen, da
ß sich das
Übereinkommen
12974 ruhig und friedlich vollziehe. Nur einen b
öswilligen
12975 Widerstand werde man im Interesse der Gesamtheit eventuell mit
12976 Gewalt niederwerfen, indem man
über den betreffenden Staat das
12977 Protektorat der Marsstaaten aussprechen werde.
</p>
12978 <p>Diese Erkl
ärung fand aber lebhaften Widerspruch, sowohl von
12979 der Opposition gegen die Erdkolonisation, die unter der
12980 F
ührung von Eu schon immer die weitgehenden Pl
äne der
12981 Erdbesiedelung bek
ämpfte, als auch von einer erst infolge der
12982 letzten Nachrichten entstandenen Gruppe, denen das Vorgehen gegen
12983 die Erde nicht scharf genug erschien. Und beide standen nun
12984 zusammen. Denn Eu vertrat jetzt den Standpunkt, es w
äre von
12985 Anfang an das beste gewesen, sich
überhaupt nicht um die
12986 Menschen zu k
ümmern; nachdem aber die Regierung einmal den
12987 Fehler gemacht habe, die Existenz der Nume zu verraten und durch
12988 feindselige Handlungen gegen die Menschen sich blo
ßzustellen,
12989 verlange es die Pflicht der Numenheit, den Erdbewohnern auch den
12990 richtigen Begriff derselben und Aufkl
ärung
über die
12991 Bedeutung und die Absicht der Nume zu geben. Es sei Menschenblut
12992 geflossen und der Numenheit Schmach angetan worden. Die S
ühne
12993 k
önne nur in einer gro
ßen Tat friedlicher Kultur
12994 bestehen. Es m
üsse den Erdbewohnern gezeigt werden, da
ß
12995 wir ihre Gewohnheit des Kampfes mit den Waffen verabscheuen und als
12996 unsittlich verwerfen. Es sei deswegen
über die ganze Erde der
12997 Planetenfrieden zu gebieten und die Entwaffnung s
ämtlicher
12998 Staaten zu verlangen.
«</p>
12999 <p>»Jesus Maria!
« rief Saltner.
»Das nenn ich
13000 einen Radikalen! Ich hab schon nichts dagegen, aber, was meinens,
13001 was sie bei uns auf dem Kriegsministerium dazu sagen
13003 <p>»Das Verlangen der chauvinistischen Gruppe
«, fuhr
13004 Ell fort,
»war nicht weniger radikal. Sie erkl
ärten, die
13005 Menschen h
ätten durch ihr Verhalten bewiesen, da
ß sie
13006 dem Begriff der Numenheit noch nicht zug
änglich seien. Sie
13007 seien nicht als freie Pers
önlichkeiten zu behandeln und nicht
13008 w
ürdig des Weltfriedens. Man solle sie im Gegenteil ruhig
13009 untereinander w
üten lassen, aber die ganze Erde und ihre
13010 Bewohner als Eigentum der Marsstaaten erkl
ären. Die einzelnen
13011 Gebiete der Erde seien unter die einzelnen Marsstaaten aufzuteilen,
13012 um die Eink
ünfte derselben zu vermehren. Die Menschen seien
13013 ausdr
ücklich als unfrei und Nicht-Nume zu bezeichnen und die
13014 Erdstaaten durch vom Zentralrat eingesetzte Gouverneure zu
13015 beaufsichtigen. Im Resultat aber waren beide oppositionelle
13016 Parteien einig, die Unterwerfung der Erde m
üsse sofort mit
13017 allen Mitteln in Angriff genommen werden.
</p>
13018 <p>Die Debatte war sehr heftig, und die Regierung hatte einen
13019 schweren Stand. Noch w
ährend der Sitzung schlo
ß sich die
13020 chauvinistische Gruppe zu einer Fraktion der
13021 ›Antibaten
‹ zusammen, und aus gro
ßen Teilen des
13022 Landes trafen bereits zustimmende Erkl
ärungen ein f
ür die
13023 Menschenfeinde.
</p>
13024 <p>Allm
ählich gelang es jedoch der Regierung, den Parteien
13025 begreiflich zu machen, da
ß man die Erdbewohner aus Unkenntnis
13026 untersch
ätze; eine derartige Bestimmung
über sie werde
13027 nicht durchzusetzen sein, ohne zu den Gewaltt
ätigkeiten zu
13028 f
ühren, die man gerade verabscheue und verh
üten wolle. So
13029 kam ein Kompromi
ß zustande, zun
ächst noch ein genaueres
13030 Studium der Machtverh
ältnisse der Erdstaaten abzuwarten. Doch
13031 mu
ßte die Regierung ihrerseits zugestehen, sogleich
13032 wenigstens von England eine Bestrafung des Kapit
äns der
13033 ›Prevention
‹ und eine Genugtuung f
ür die
13034 Mi
ßhandlung der Gefangenen zu verlangen.
</p>
13035 <p>Dieser Kompromi
ß zwischen Opposition und Regierung fand
13036 endlich im Antrag Ben seinen Ausdruck. Danach sollte sobald als
13037 m
öglich ein Raumschiff nach der S
üdstation der Erde
13038 abgehen und drei gro
ße Erdluftschiffe dahin bringen. Vom
13039 S
üdpol aus sollte zun
ächst mit der englischen Regierung
13040 verhandelt werden, um eine Genugtuung f
ür die Gefangennahme
13041 der beiden Martier und die Besch
ädigung des Luftschiffs zu
13042 verlangen. Man sollte sich jedoch dabei der gr
ößten
13043 M
äßigung beflei
ßigen, einerseits um die
13044 wohlmeinende, obwohl ernste Gesinnung der Martier zu zeigen,
13045 andrerseits weil man es vor Beginn des Fr
ühjahrs der
13046 n
ördlichen Erdhalbkugel nicht zu einer gr
ößeren
13047 Aktion kommen lassen durfte. Denn die Station auf dem S
üdpol
13048 bot weder den Raum noch die Sicherheit der Landung f
ür eine
13049 gr
ößere Flotte der Martier; auch w
äre es wenig
13050 praktisch gewesen
– soviel sah auch die antibatische
13051 Opposition ein
–, vom S
üdpol aus mit den
13052 Gro
ßm
ächten der Erde zu verhandeln, da der Weg vom
13053 S
üdpol bis Berlin oder Petersburg selbst f
ür ein
13054 Luftschiff der Martier fast vierundzwanzig Stunden in Anspruch
13055 nahm. Der Zentralrat wurde mit der sofortigen Ausf
ührung der
13056 Ma
ßnahmen beauftragt. Die letzte Depesche besagte bereits,
13057 da
ß der Zentralrat einen besonderen Erdausschu
ß mit
13058 einj
ähriger Amtsdauer und weitreichenden Vollmachten ernannt
13059 und den Repr
äsentanten Ill zum Leiter desselben bestimmt habe.
13060 Das ist augenblicklich der Stand der Dinge
«, schlo
ß
13061 Ell.
»Was sagen Sie dazu?
«</p>
13062 <p>Er warf die Zeitungen auf den Tisch und ging erregt auf und ab.
13063 Niemand antwortete sogleich. Die Nachrichten waren nicht nur von
13064 weittragender politischer Wichtigkeit, sie mu
ßten zugleich
13065 das private Geschick der hier Versammelten unmittelbar
13066 beeinflussen. Die Mienen waren d
üster geworden. Nur Isma
13067 pochte das Herz freudig. Sie war sofort entschlossen, alles
13068 daranzusetzen, um nach dem S
üdpol und von dort nach Hause
13069 zur
ückzukehren. Wollte man sich mit England in Verbindung
13070 setzen, so mu
ßte doch ein Luftschiff nach bewohnten Gegenden,
13071 wenn nicht nach London, so wenigstens nach den Kolonien,
13072 wahrscheinlich nach Australien, abgesandt werden, und mit diesem
13073 hoffte sie reisen zu k
önnen. Und wenn dies nicht m
öglich
13074 war, so konnte sie immerhin auf baldige Nachrichten von der Erde
13075 rechnen. Diese Gedanken und W
ünsche gingen durch ihr
13076 Gem
üt, w
ährend ihre H
ände das Flugblatt
13077 zerknitterten, das ihr Portr
ät zeigte; es hatte sich unter den
13078 von Ell mitgebrachten Papieren befunden.
</p>
13079 <p>»Wollen Sie nicht Platz nehmen?
« sagte La zu Ell. Er
13080 setzte sich hastig und besch
ämt. Das Menschenblut in ihm hatte
13081 ihn hin- und hergetrieben. Als Martier schickte sich das ja nicht,
13082 da verhielt man sich ruhig. Er
ärgerte sich.
</p>
13083 <p>»Das ist fatal, h
öchst fatal
«, begann jetzt
13084 Fru.
»Ich halte den Beschlu
ß f
ür einen schlimmen
13085 politischen Fehler. Auch Ill wird dieser Ansicht sein, aber er
13086 konnte jedenfalls nicht mehr durchsetzen. Unsre Politiker kennen
13087 die Verh
ältnisse zu wenig. Verhandlungen, denen wir nicht die
13088 Tat auf dem Fu
ße folgen lassen k
önnen, m
üssen
13089 unsern Standpunkt erschweren und bei den Regierungen der Erde nur
13090 die Meinung erwecken, da
ß sie uns nicht ernst zu nehmen
13091 brauchen.
«</p>
13092 <p>»Eine sakrische Dummheit ist
’s
«, platzte
13093 Saltner deutsch heraus.
</p>
13094 <p>»Sie f
ürchten
«, sagte La, sich zu Ell wendend,
13095 »da
ß wir auf diese Weise zur Anwendung von Gewalt
13096 gedr
ängt werden?
«</p>
13097 <p>»Wohl m
öglich
«, erwiderte Ell.
»Doch die
13098 Menschen werden bald begreifen, da
ß sie sich uns f
ügen
13099 m
üssen. Wir werden ihnen zeigen, da
ß wir nur ihr Bestes
13101 <p>»Ich f
ürchte Schlimmeres
«, entgegnete La
13102 lebhaft.
»Die Verh
ältnisse werden sich so entwickeln,
13103 da
ß die antibatische Bewegung immer mehr Nahrung erh
ält.
13104 Statt des Friedens werden wir den Kampf zwischen den Planeten
13105 bekommen, man wird die Menschen nicht als gleichberechtigt
13106 anerkennen
– es wird furchtbar werden.
«</p>
13107 <p>»Oh, lassen Sie uns zur
ückkehren!
« rief Isma.
13108 »Bitten Sie Ihren Oheim, da
ß uns das erste Schiff nach
13109 dem S
üdpol mitnimmt.
«</p>
13110 <p>Ell antwortete nicht. Er blickte finster vor sich hin. Fru stand
13111 auf.
»Ich glaube
«, sagte er,
»es ist das beste,
13112 wenn wir unsere Reise fortsetzen und Ihren Oheim aufsuchen. Bis wir
13113 an unser provisorisches Quartier und an Ihre Wohnung gelangen, ist
13114 die Ruhezeit gekommen. Wir treffen uns dann alle zur Plauderstunde
13115 bei Ill.
«</p>
13116 <p>»Wir wollten noch nach dem Retrospektiv
«, sagte
13118 <p>»Dazu ist es ohnehin schon zu sp
ät.
«</p>
13119 <p>»Ich habe heute genug gesehen
«, f
ügte Isma
13121 <p>Man brach auf. Der Weg bis zu dem Depot der Radschlitten, wo
13122 auch Fru seinen viersitzigen Gleitwagen gelassen hatte, betrug
13123 einige Minuten. La nahm Ismas Arm.
</p>
13124 <p>»Am Schlitten bekommen Sie Ihre Damen wieder
«, sagte
13125 sie zu Ell und Saltner. Sie schritt mit Isma voran.
</p>
13126 <p>»Sie m
öchten gern nach der Erde zur
ück, nicht
13127 wahr?
« sagte sie zu Isma.
»Ich sah es Ihnen an, und Sie
13128 hoffen, nach dem S
üdpol mitzugehen. Aber w
ürden Sie auch
13129 ohne Ell gehen?
«</p>
13130 <p>»Er wird mitgehen, wenn man uns
überhaupt mitnimmt.
13131 Er mu
ß gehen, er geh
ört jetzt auf die Erde.
«</p>
13132 <p>La schwieg. Sie streifte Isma mit einem teilnehmenden Blick und
13133 sah, wie eine feine R
öte ihre Wangen bedeckte.
</p>
13134 <p>»Meine Frage darf Sie nicht verletzen
«, sagte sie
13135 bittend.
»Ich kann mir wohl denken, da
ß es f
ür Sie
13136 schwer sein mu
ß, die weite Reise ohne Begleitung eines
13137 Menschen zu machen. Aber ich glaube auch nicht, da
ß man Sie
13138 jetzt mitnehmen wird. Das Schiff wird zu Ausr
üstungszwecken
13139 voll in Anspruch genommen sein. Und auf dem S
üdpol finden Sie
13140 nicht die Bequemlichkeit wie auf dem Nordpol. Ich wollte Sie nur
13141 bitten, sich nicht Hoffnungen zu machen, die vermutlich
13142 entt
äuscht werden m
üssen. Aber jedenfalls d
ürfen Sie
13143 darauf rechnen, da
ß Sie nun bald Nachrichten von der Erde
13144 bekommen. Daf
ür wird Ill Sorge tragen. Und Sie brauchen sich
13145 nicht verlassen unter uns zu f
ühlen. Ich werde mich herzlich
13146 freuen, wenn ich Ihnen dienen kann.
«</p>
13147 <p>Isma dankte, aber sie konnte sich eines bedr
ückenden
13148 Gef
ühls nicht erwehren. Warum bedurfte sie dieses Mitleids?
13149 Sie f
ühlte sich verletzt, ohne La z
ürnen zu
13151 <p>Die Radschlitten erschienen. Man verabschiedete sich. Mit
13152 Benutzung der Stufenbahn konnte man in einer halben Stunde zu Hause
13154 <p>Isma sa
ß stumm an Ells Seite. Sie sah, da
ß seine
13155 Gedanken nicht mit ihr besch
äftigt waren. Sie wollte ihn jetzt
13156 nicht fragen, was er zu tun gedenke. So tauschten sie nur
13157 fl
üchtige Worte, bis der Wagen vor Ills Haus hielt.
</p>
13158 <h2>32 - Ideale
</h2>
13159 <p>La lie
ß ihre H
ände von der Schreibmaschine
13160 herabgleiten und lachte herzlich, indem sie sich in ihrem Sessel
13161 zur
ücklehnte.
</p>
13162 <p>»Nein
«, sagte sie,
»das ist ja nicht zu
13163 glauben! Das ist wirklich zu komisch. Diese Bate! ich glaube, da
13164 mu
ß selbst Schti lachen.
«</p>
13165 <p>Ein allerliebstes, schneewei
ßes Fl
ügelpferdchen,
13166 nicht gr
ößer wie ein kleines K
ätzchen, flatterte
13167 von dem B
üchergestell, wo es gesessen, auf die Lehne von Las
13168 Armstuhl und blickte sie mit seinen klugen Augen ernsthaft an. Das
13169 Tierchen sah wirklich aus wie ein Miniatur-Pegasus, nur hatte es
13170 statt der Hufe zierliche Zehen, mit denen es sich anklammern
13171 konnte. Zoologisch betrachtet geh
örte es zu den Insekten und
13172 war eine Art Heuschrecke, die aber auf dem Mars warmes Blut
13173 besa
ßen und die h
öchstentwickelte Gruppe der Insekten
13174 darstellten. Der Kopf war der eines Pferdes mit fast
13175 menschen
ähnlichem Ausdruck, die Fl
ügel sa
ßen an den
13176 Schultern und glichen denen einer Libelle.
</p>
13177 <p>»Schti mu
ß lachen!
« sagte La.
</p>
13178 <p>Das Tierchen stie
ß einen Laut aus wie eines helles Lachen.
13179 »Ko Bate, Ko Bate
«, sprach es dann deutlich.
</p>
13180 <p>La streichelte ihm das weiche Fellchen, und es rieb sein
13181 K
öpfchen an ihrer Hand.
</p>
13182 <p>»Schti mu
ß studieren!
« Das gut abgerichtete
13183 Tierchen flog auf das B
ücherbrett und setzte sich
13184 gravit
ätisch hin.
</p>
13185 <p>La fuhr in ihrer Schreibarbeit fort. Auf dem Gestell
über
13186 der Schreibmaschine stand eines der deutschen B
ücher, die Ell
13187 mitgebracht hatte. Es war ein kurzgefa
ßter Grundri
ß der
13188 ›Weltgeschichte
‹, das hei
ßt des wenigen, was
13189 man
über die Geschichte der abendl
ändischen Menschheit
13190 wu
ßte. La
übersetzte das Buch in Ills Auftrag ins
13191 Martische. W
ährend sie ihre Augen langsam
über den Text
13192 gleiten lie
ß, lagen ihre H
ände auf der Klaviatur und
13193 ihre Finger schrieben ganz mechanisch in martischen Zeichen den
13194 Sinn der gelesenen S
ätze nieder. Die Arbeit nahm ihre
13195 Aufmerksamkeit nicht mehr in Anspruch, als der Strickstrumpf die
13196 einer
älteren Kr
änzchendame, und hinderte sie nicht, sich
13197 lebhaft mit Ell zu unterhalten, der zum Besuch gekommen war.
</p>
13198 <p>»Es ist eigentlich mehr traurig als komisch
«, sagte
13199 Ell.
»Denn die Sache geht nicht immer blo
ß mit dem
13200 Knallen ab. Oft genug kommen schwere Verwundungen und
13201 Todesf
älle vor, und das Leben eines Mannes, der verpflichtet
13202 w
äre, der Menschheit und den Seinigen sich zu erhalten, ist
13203 einem sinnlosen Vorurteil hingeopfert.
«</p>
13204 <p>»Das ist abscheulich. Aber ich denke, Vernunft und Gesetz
13205 verbieten den Zweikampf. Wie ist er denn noch
13206 m
öglich?
«</p>
13207 <p>»Durch Unvernunft. Es gibt n
ämlich Menschen, die sich
13208 einbilden Vernunft und Gesetz seien zwar ganz gut f
ür das
13209 Volk, aber dieses w
ürde den Respekt vor Vernunft und Gesetz
13210 verlieren, wenn es nicht durch eine auserw
ählte Gruppe von
13211 Menschen in Schranken gehalten w
ürde. Diese Auserw
ählten
13212 k
önnten sich jedoch nur dadurch als solche erweisen, da
ß
13213 sie sich einen gewissen Zwang, eine P
önitenz auferlegten,
13214 indem sie selbst zum Teil auf das h
öchste Gut der Menschheit,
13215 Vernunft und Freiheit, verzichten und sich zum Sklaven
13216 überlebter Formen machen. Sie meinen wohl, durch den
13217 Widerspruch, den ihre Sitten erwecken, in der Allgemeinheit die
13218 Herrschaft der Vernunft um so mehr zu st
ärken.
«</p>
13219 <p>»Welch edle Seelen, so zum Besten der Kultur sich selbst
13220 zu opfern! Ein wahrhaft menschlicher Gedanke, die Kultur durch
13221 Unkultur des eigenen Lebens zu f
ördern! Es w
äre ein
13222 blo
ßer Irrtum, wenn er nicht leider dadurch unmoralisch
13223 w
ürde, da
ß der egoistische Zweck unverkennbar
13225 <p>»Gewi
ß, sich selbst als Kaste zu unterscheiden. Es
13226 will jeder etwas Besonderes sein.
«</p>
13227 <p>»Das soll er ja auch
«, sagte La,
»etwas
13228 Besonderes aber nur durch seine Freiheit, durch die innere
13229 Freiheit, mit der wir die Mittel bestimmen, in unserm Leben das
13230 Vernunftgesetz zu verwirklichen. Aber diese Leute lassen, nach
13231 Ihrer Schilderung, die innere Freiheit gar nicht gelten, weil sie
13232 sie nicht kennen. Sie setzen ihre Ehre in
13233 Äu
ßerlichkeiten. Ich kann mir denken, wie schwer es
13234 ihnen sein mu
ßte, in dieser Gesellschaft zu leben.
«</p>
13235 <p>»Ich kann auch nicht in ihr leben
«, erwiderte Ell.
13236 »F
ür sie besteht die Ehre eines Menschen in dem, was
13237 andere von ihm halten und sagen; deswegen glauben sie auch, sie
13238 k
önnte durch Beleidigungen vernichtet, durch rohe Gewalt
13239 wiederhergestellt werden. Als ob mich der Wille eines andern
13240 erniedrigen k
önnte, als ob es nicht die gr
ößte
13241 Selbsterniedrigung w
äre, die eigene Vernunftbestimmung der
13242 fremden Meinung unterzuordnen! Und da ich in ihr leben mu
ßte,
13243 so war mein inneres, wahres Leben eine L
üge in ihrem Sinne,
13244 eine Umgehung ihrer konventionellen Sitten. Doch das ist das
13245 wenigste, das ist f
ür mich nur unangenehm, f
ür meine
13246 Freunde beschwerlich. Aber das Unertr
ägliche, das Schmerzende
13247 liegt in dem Gedanken, da
ß diese Millionen und Abermillionen
13248 vern
ünftiger Wesen durch ihre blo
ße Dummheit, durch die
13249 mangelhafte Entwicklung ihres Gehirns, durch die fehlende Bildung
13250 in einem Zustand gehalten werden, der sie schwach, elend,
13251 ungl
ücklich, unzufrieden und ungerecht macht. Denn sie sind
13252 nicht b
öse. Sie wollen das Gute, sie wollen die Freiheit. Ihr
13253 Gef
ühl ist lebendig und warm. Darin sind sie uns
13254 gleichstellend; die Idee des Guten, als die Selbstbestimmung, durch
13255 die wir Vernunftwesen sind, ist in ihnen wirksam wie in uns,
13256 insofern sind sie unsere Br
üder. Aus der Menschheit
13257 erbl
ühten Religionen tiefster Wahrhaftigkeit und Kraft, die
13258 ihnen die Offenbarung gaben, um die es sich handelt
– unser
13259 individuelles Leben in Raum und Zeit, den Inhalt unsres Daseins,
13260 den wir Natur nennen, zu gestalten zu einem Mittel, um als freie
13261 Vernunftwesen
über Raum und Zeit das Reich der Ideen zu
13262 umfassen. Und Weise sind ihnen erstanden, die gezeigt haben, wie es
13263 zu begreifen sei, da
ß das Leben des einzelnen abrollt wie ein
13264 R
ädchen im Getriebe der Weltenuhr und dennoch das Ich dessen,
13265 der es selbst lebt, das ganze Uhrwerk erst zu schaffen hat. Aber
13266 die wenigsten haben die Weisheit verstanden. Sie haben das Gesetz,
13267 aber sie mi
ßdeuten es und wissen es nicht anzuwenden; sie
13268 verfallen stets in Irrtum. Und deswegen, weil es Unwissenheit ist
13269 und nicht Mangel an Wille und an Gef
ühl f
ür das Gute,
13270 deswegen glaube ich, da
ß wir der Menschheit helfen
13271 k
önnen. Verst
ändiger m
üssen wir sie machen
–
13272 nur nicht verst
ändiger im Sinne der Menschen, f
ür die
13273 verst
ändig nur bedeutet: klug sein auf Kosten der
13275 <p>»M
öge Sie dieser Glauben nicht t
äuschen. Ich
13276 f
ürchte, es ist nicht blo
ß der Mangel an
13277 Verst
ändnis des Zusammenhangs der Dinge, es ist noch mehr die
13278 Unf
ähigkeit, das wirklich zu wollen, was man als gut erkannt
13279 hat, es ist die Schw
äche des Charakters hier, die St
ärke
13280 des Egoismus dort, weshalb die Menschen den unvermeidlichen Kampf
13281 ums Dasein in so bedauernswerter Weise f
ühren.
«</p>
13282 <p>»Das bestreite ich nicht, da
ß diese M
ängel zur
13283 Erniedrigung der Menschen beitragen, aber doch nur subjektiv, indem
13284 sie den einzelnen unf
ähig machen, des Gl
ücks der inneren
13285 Freiheit sich zu erfreuen. Aber auch hier kann nur eine Vertiefung
13286 der Einsicht helfen. Die Handlungen sind ja immer bedingt durch
13287 diejenigen Vorstellungen, denen der h
öchste Gef
ühlswert
13288 zukommt, und diese Gef
ühlswerte richtig zu verteilen, ist
13289 Sache der Bildung.
«</p>
13290 <p>»Wenn aber jemand
«, sagte La,
»ganz genau
13291 wei
ß, zum Beispiel ein Sch
üler, deine Pflicht verlangt
13292 jetzt, das und das zu tun, diese Arbeit zu vollenden, und wenn du
13293 es nicht tust, so wirst du nicht blo
ß Reue haben, sondern
13294 auch sinnlich schwer daf
ür b
üßen, und trotz dieser
13295 klaren Einsicht verleitet ihn doch eine momentane Lust, und sei es
13296 blo
ß das Lustgef
ühl der Faulheit, die Arbeit nicht zu
13297 tun, so sehen Sie doch, alle Einsicht hilft nichts gegen die
13298 Willensschw
äche.
«</p>
13299 <p>»Das spricht gerade f
ür mich
«, erwiderte Ell
13300 lebhaft.
»Willensschw
äche ist doch nur falsche Richtung
13301 des Willens, Richtung auf das Unterlassen statt auf das Handeln.
13302 Vorstellungen sind immer dabei entscheidend. Die Einsicht war dann
13303 eben tats
ächlich noch nicht vorhanden, nicht umfassend genug.
13304 Dem Sch
üler in Ihrem Beispiel haben sich etwa die
13305 Vorstellungen eingeschlichen, die an ihn gestellte Forderung sei
13306 ein unberechtigter Zwang oder die gef
ürchteten Nachteile
13307 werden zu umgehen sein und dergleichen. Der Erwachsene, der den
13308 Zusammenhang klarer durchschaut, wird einfach seine Pflicht tun. In
13309 anderen F
ällen wird er sich in der Lage des Sch
ülers
13310 befinden, aber diese F
älle werden immer seltener, je weiter
13311 die Einsicht reicht. Wenn mich der Zorn
übermannt, so
13312 da
ß ich den Gegner verletze, so beruht mein Fehler darauf,
13313 da
ß ich nicht Zeit zur
Überlegung hatte. Warum sind die
13314 Nume soviel milder als die Menschen? Weil sie schneller denken. Im
13315 Augenblick des Affekts ist das Bewu
ßtsein des Menschen ganz
13316 vom sinnlichen Reiz erf
üllt, er vermag nicht alle die
13317 Gedankenreihen zu durchlaufen, die ihm die Folgen seiner Handlungen
13318 zeigen; er braucht dazu l
ängere Zeit, und dann ist es zu
13319 sp
ät. Der Nume f
ühlt nicht minder lebhaft den Reiz,
13320 vielmehr noch viel feiner; aber sein Gehirn ist so ge
übt,
13321 da
ß im Moment der ganze Zusammenhang der Folgen seines
13322 Zustandes ihm ins Bewu
ßtsein tritt und sein Handeln bestimmt.
13323 Das ist es, was man Besonnenheit nennt. Nicht mit Unrecht hielten
13324 sie die Griechen f
ür die h
öchste der Tugenden, aber sie
13325 wu
ßten sie nicht zu erringen. Lassen Sie uns den Irrtum
13326 verringern, und wir werden die Menschen bessern.
«</p>
13327 <p>»Die Leidenschaften werden Sie nicht ausmerzen.
«</p>
13328 <p>»Daran denke ich nat
ürlich nicht. In ihnen ruht ja
13329 der Wert des Lebens, und die Nume freuen sich ihrer. Nur die Art
13330 ihrer Wirkung k
önnen wir und m
üssen wir durch den
13331 Verstand regulieren. Auch die Schw
ächen der Nume
– und
13332 die werd en Sie nicht leugnen
– beruhen auf demselben Grund
13333 wie die der Menschen. Sie sind vom Leben sinnlicher Wesen
13334 untrennbar. Die starken Gef
ühle sind die gro
ßen
13335 Reservoirs der Energie des Gehirns, aus denen sie zur
13336 Wechselwirkung des Lebens herausstr
ömt. W
ären sie nicht
13337 mehr da, so h
örte das Leben auf, so h
örte das Denken auf.
13338 Aber auf den Weg kommt es an, den die Entladung der Gehirnenergie
13339 bei der Explosion des Gef
ühls nimmt. Es ist damit wie bei
13340 unsern Gebirgen auf der Erde. Sie sind die Sammelbecken der
13341 Gew
ässer, die von ihnen herabstr
ömend den V
ölkern
13342 ihre segenspendende Kraft verbreiten. Die Niveauunterschiede
13343 m
üssen
überall sein, wo Energieaustausch, wo Leben und
13344 Geschehen sein soll. Aber wie dieses Herabstr
ömen stattfindet,
13345 das macht den Unterschied von Barbarei und Kultur. Der
13346 rei
ßende Wildbach zerst
ört und verrinnt nutzlos.
13347 Bepflanzen wir die Abh
änge, verteilen wir die Wasser,
13348 f
ühren wir sie durch Turbinen und wandeln ihre Arbeit durch
13349 Maschinen um, so schaffen sie die Kultur. Diese Pflanzungen, diese
13350 Maschinen sind im Gehirn die Zellen der Rindensubstanz, in denen
13351 der Weltzusammenhang sich bildet. Die Macht des Gedankens ist es,
13352 die den Ausgleich der Gef
ühle zur Kultur lenkt. Und diese
13353 l
äßt durch Lehre und Erziehung sich erweitern. Das zu
13354 tun, sind wir den Menschen schuldig, wie Erwachsene den Kindern.
13355 Denn Kinder sind sie.
«</p>
13356 <p>»Ja
«, sagte La,
»Kinder sind sie, das habe ich
13357 auch gefunden, und darum m
ögen Sie in Ihren Ansichten recht
13358 haben, Ell. Wie das Kind nur die eine Wirklichkeit kennt, wie das
13359 Spielzeug, die Mutter und die Erde am Himmel ihm keine andre
13360 Realit
ät besitzen als seine Hand, und diese keine andere als
13361 das Produkt seiner Phantasie, so k
önnen auch die Menschen die
13362 Arten der Wirklichkeit nicht unterscheiden. Selbst ein geistig so
13363 hochstehender Mann wie Saltner vermag es nicht zu begreifen,
13364 da
ß dasselbe lebendige Individuum gleichzeitig ganz
13365 verschiedene Realit
äten besitzt, je nach dem Zusammenhang, in
13366 welchem es sich bestimmt. Die Frau an der Schreibmaschine ist ein
13367 St
ück Naturmechanismus, die den notwendigen Zusammenhang
13368 zwischen verschiedenen Zeichen f
ür dieselbe Vorstellung
13369 registriert, wenn sie, wie ich hier, eure langweilige Geschichte
13370 übersetzt. Dieselbe Frau, wenn sie den Freund z
ärtlich
13371 anblickt, ist ein St
ück des Phantasiespiels, das unser Leben
13372 mit seinem sch
önen Schein verkl
ärt. Und wenn sie ein
13373 Versprechen einl
öst, ist sie ein St
ück der ethischen
13374 Gemeinschaft der Nume. Aber keine dieser Realit
äten wirkt auf
13375 die andere, kann die andere verpflichten, au
ßer in der freien
13376 Bestimmung der Pers
önlichkeit dieser Frau selbst. Das kann
13377 unser Freund nicht verstehen. Er denkt immer, es m
üsse noch
13378 ein anderer Zusammenhang bestehen, notwendig wie die Natur in Raum
13379 und Zeit, zwischen diesen T
ätigkeiten
–«</p>
13380 <p>»Sehen Sie
– dieser Mangel der Einsicht ist es,
13381 welcher die menschliche Gesellschaft beschwert. Stets werfen sie
13382 das Verschiedene zusammen als Eines, indem sie es mit falschen
13383 Gef
ühlswerten belasten. Da ist der religi
öse Glaube; er
13384 ist die Form, wie die Pers
önlichkeit das Weltgesetz in ihr
13385 Gef
ühl aufnimmt; die Menschen aber machen daraus ein
13386 Bekenntnis, das andre verpflichten soll und sich damit aufhebt. Da
13387 ist das Vaterland, die nationale Gemeinschaft; sie ist ein Mittel,
13388 die Macht des einzelnen zusammenzufassen, um f
ür die
13389 Menschheit zu wirken; die Menschen umkleiden sie mit einem
13390 Gef
ühl, das sie zum Selbstzweck macht und infolgedessen
13391 Feindschaft der Nationen bewirkt. Da ist der nat
ürliche,
13392 berechtigte Trieb der Selbsterhaltung; die Menschen machen daraus
13393 einen vernichtenden Egoismus, der zum Kampf der
13394 Gesellschaftsklassen f
ührt. Und so mit allem. Hier kann
13395 Aufkl
ärung helfen. Nat
ürlich nicht, um Vollendung zu
13396 schaffen, die es
überhaupt nicht gibt, aber eine h
öhere
13397 Stufe der Kultur. Es w
äre nicht das erste Mal, da
ß
13398 Aufkl
ärung die Menschen befreit hat, aber da mu
ßte sie
13399 sich blutig durchk
ämpfen. Diesmal soll eine
überlegene
13400 Macht den Sieg von vornherein gew
ähren.
«</p>
13401 <p>»Aber wie denken Sie sich diese Einwirkung? Ehe
13402 Anschauungen und Gewohnheiten sich
ändern, m
üssen
13403 Generationen vergehen
– die Menschheit selbst mu
ß sich
13404 ändern
–«</p>
13405 <p>»Die Planeten haben Zeit. Aber die Hauptsache wird schnell
13406 geschehen. Die Menschen brauchten Jahrtausende, um den
13407 gegenw
ärtigen Stand ihres Wissens zu gewinnen; unter der
13408 Leitung geschickter Lehrer eignet sich heute der einzelne dieses
13409 Wissen in wenigen Jahren an. Wir werden die heutigen Menschen nicht
13410 zu Numen machen, aber wir werden sie in diesem Sinn f
ühren.
13411 Nur mu
ß unsre Bevormundung ihre Freiheit nicht
13412 beschr
änken, sondern allein den richtigen Gebrauch derselben
13413 erzielen. Das Niveau der Gesamtbildung l
äßt sich binnen
13414 kurzem so heben, da
ß sie eine klare Einsicht in das gewinnen,
13415 was im Leben m
öglich und erstrebbar ist. Sie werden erkennen,
13416 da
ß es eine Utopie ist, die Gleichheit der Lebensbedingungen
13417 anzustreben, da
ß die Gleichheit nur besteht in der Freiheit
13418 der Pers
önlichkeit, mit der ein jeder sich selbst bestimmt,
13419 und da
ß diese Freiheit gerade die Ungleichheit der Individuen
13420 in der sozialen Gemeinschaft voraussetzt. Wir haben ja doch viele
13421 Jahrtausende hindurch die sozialen K
ämpfe durchgemacht, bis
13422 wir erkannt haben, da
ß der Kampf selbst unvermeidbar, die
13423 Geh
ässigkeit aber auszuschlie
ßen ist, da
ß in einem
13424 edlen Wettstreit alle Stufen der Lebensf
ührung nebeneinander
13425 bestehen k
önnen. Nur eines ist dazu notwendig: dem einzelnen
13426 die Zeit zu geben, sich selbst zu bilden, zu kultivieren. Die
13427 Menschen k
önnen sich darum nicht selbst helfen, wenigstens
13428 nicht helfen, ohne den furchtbaren Kampf von Jahrtausenden, weil
13429 sie die Mittel nicht haben, den Massen die Sicherheit der
13430 notwendigsten Lebenshaltung zu geben. Diese Not der Massen
13431 k
önnen wir abstellen, ohne jene Utopie der Nivellierung des
13432 Verm
ögens. Wir k
önnen ihnen zeigen, da
ß das Hin-
13433 und Herschwanken des individuellen Besitzes sich nicht
ändern
13434 l
äßt und auch nicht ge
ändert zu werden braucht,
13435 da
ß aber jedem, der arbeitet, ein befriedigendes, seinen
13436 F
ähigkeiten angemessenes Auskommen gew
ährleistet werden
13437 kann und da
ß niemand Not zu leiden braucht. Denn wir
13438 k
önnen den Menschen die Quelle des Reichtums erschlie
ßen
13439 durch unsre Technik, und wir k
önnen erzwingen, da
ß die
13440 damit verbundenen Besitz
änderungen sich in Ruhe vollziehen.
13441 Den kleinlichen Eigennutz, den Kr
ämersinn, die Unduldsamkeit,
13442 die Klassenherrschaft bringen wir zum Verschwinden, sobald ein
13443 jeder klar zu durchschauen vermag, welche Stelle im gro
ßen
13444 Zusammenwirken der einzelnen er ausf
üllt. Der t
ückische,
13445 nagende Neid entflieht aus der Welt, und Menschenliebe h
ält
13446 den siegreichen Einzug.
«</p>
13447 <p>Ell war aufgestanden, seine Augen leuchteten, begeistert sah er
13448 in die Zukunft, die ihm nahe herangekommen schien. La hatte die
13449 H
ände von der Schreibmaschine herabsinken lassen. Sie blickte
13451 <p>»Halten Sie mich nicht f
ür einen
13452 Schw
ärmer
«, fuhr er fort.
»Nicht da
ß ich
13453 meinte, Leid und Schmerz aus der Menschheit verbannen zu
13454 k
önnen. Ohne sie st
ände das Weltgetriebe still. Aber
13455 reinigen k
önnen wir dieses Leid, veredeln zu dem heiligen
13456 Schmerz, der untrennbar ist von der Liebe und dem Einblick in uns
13457 selbst. Die fremden Schlacken k
önnen wir aussto
ßen, die
13458 aus der Not, der Roheit und der Dummheit stammen.
«</p>
13459 <p>»Sie glauben an die Menschheit
«, sagte La. Auch sie
13460 erhob sich und streckte ihm die Hand entgegen.
»Ich begann an
13461 ihr zu zweifeln, ich will es Ihnen gestehen. Ob sich Ihr Traum
13462 erf
üllen l
äßt, ich wei
ß es nicht, aber ich
13463 danke Ihnen, da
ß Sie ihn tr
äumen, da
ß Sie ihn mir
13464 erz
ählten. Sie haben mir neuen Mut gemacht, denn ich
13465 f
ürchtete manchmal, da
ß das Zusammentreffen mit den
13466 Menschen beiden Teilen verderblich werden k
önnte.
«</p>
13467 <p>»F
ürchten Sie das nicht, La. Die Erde ist reich, viel
13468 reicher als der Mars. Sie empf
ängt von der Sonne fast das
13469 Zehnfache der Energie wie wir. So lange die alte Sonne strahlt, ist
13470 das Leben gesichert. Was l
äßt sich unter unseren
13471 H
änden aus dieser Riesenkraft schaffen! In einem Jahr wird die
13472 Erde bedeckt sein mit Fabriken, in denen wir mit Hilfe der
13473 Sonnenenergie aus den unersch
öpflichen Quellen der Erde von
13474 Luft, Wasser und Gesteinen Lebensmittel erzeugen und verteilen, die
13475 nahezu nichts kosten. Die
äu
ßere Not ist mit einem
13476 Schlag auch von dem
Ärmsten genommen. Die Besitzer des Bodens
13477 k
önnen wir ohne M
ühe entsch
ädigen. Ich rechne,
13478 da
ß wir f
ür jeden Menschen in den zivilisierten Staaten
13479 – denn diese k
önnen allerdings vorl
äufig erst in
13480 Betracht kommen
– im Durchschnitt vier bis sechs Stunden
13481 gewinnen, die er nunmehr allein seiner geistigen Ausbildung widmen
13482 kann. Wir f
ühren unsere Lehrmethoden ein. Die Menschen sind
13483 lernbegierig. Die unmittelbare Zuf
ührung von Gehirnenergie
13484 wird ihnen die neue Anstrengung zur Lust machen. Die
13485 Wahnvorstellungen der Tradition in allen Bev
ölkerungsklassen
13486 werden verschwinden. Die R
üstungen, die Kriege h
ören auf.
13487 Wir
üben in dieser Hinsicht zun
ächst einen leichten Zwang
13488 aus, bis die bessere Einsicht durchgedrungen, die bessere Haltung
13489 zur Gewohnheit geworden ist. Denn dies freilich wird notwendig
13490 sein; der Mensch mu
ß zu jeder gro
ßen Ver
änderung
13491 erst gezwungen werden, bis er den Vorteil begreift und das Neue
13492 lieben lernt. Ich habe alles schon mit Ill
13493 durchgesprochen.
«</p>
13494 <p>»Sie m
üssen die Menschen besser kennen als
13495 ich
«, sagte La.
»Aber glauben Sie denn, da
ß das
13496 alles sich ohne Gewalt durchf
ühren l
äßt?
«</p>
13497 <p>»Ich hoffe es. Wenn aber nicht, so werden wir sie anwenden
13499 <p>»O Ell, da sprechen Sie als Mensch
– und das ist
13500 meine gro
ße Sorge
– ihr Menschen werdet uns vergessen
13501 machen, da
ß Gewalt ein
Übel ist, unw
ürdig
13503 <p>Die Klappe des Fernsprechers l
öste sich.
</p>
13504 <p>»Ist La zu Hause?
« fragte Saltners Stimme.
</p>
13505 <p>»Ja, ja
«, rief La.
»Kommen Sie nur. Sie haben
13506 sich den ganzen Tag noch nicht sehen lassen.
«</p>
13507 <p>»Ich komme sogleich.
«</p>
13508 <h2>33 - F
ünfhundert Milliarden Steuern
</h2>
13509 <p>Eine Minute sp
äter trat Saltner ein. Seine Miene verzog
13510 sich ein wenig entt
äuscht, als er Ell in lebhaftem
13511 Gespr
äch mit La fand. Gleich nach der Begr
üßung
13512 holte er ein Zeitungsblatt hervor.
</p>
13513 <p>»Da
«, sagte er,
»lesen Sie bitte. Wenn die
13514 Nume so sind, wei
ß man wirklich nicht, ob man lachen soll
13515 oder sich entr
üsten. Zur Abwechslung werde ich mich einmal
13516 entr
üsten. Es ist
–«</p>
13517 <p>»Sal, Sal
«, rief La lachend,
»setzen Sie sich,
13518 bitte, ruhig her, und dann wollen wir sehen, ob wir nicht lieber
13519 lachen wollen.
«</p>
13520 <p>Sie fa
ßte seine Hand und zog ihn an ihre Seite.
»Der
13521 Streit der Planeten soll uns nichts anhaben
«, sagte sie
13523 <p>Ell ergriff das Blatt und las:
</p>
13524 <p>»Wie wir aus sicherer Quelle erfahren, soll die
13525 Ausr
üstung des nach dem S
üdpol der Erde zu entsendenden
13526 Raumschiffs weitere zwanzig bis drei
ßig Tage in Anspruch
13527 nehmen. Man macht angeblich noch Versuche, um die Luftschiffe gegen
13528 etwaige Angriffe von Menschen widerstandsf
ähiger zu machen.
13529 Ja, es soll der Bau dieser Schiffe
überhaupt stark im
13530 R
ückstand sein. Wir finden diese Verz
ögerung seitens der
13531 Erdkommission unverantwortlich. Die Erregung gegen die Menschen
13532 w
ächst sichtlich und mit vollem Recht. Man hat aus den
13533 Berichten der Augenzeugen erfahren, da
ß die Darstellung jenes
13534 Zwischenfalls mit dem englischen Kriegsschiff von der Regierung
13535 viel zu milde gef
ärbt war. Die den Numen angetane Schmach
13536 erfordert eine schnelle Bestrafung der Schuldigen. Wozu
13537 überhaupt diese Umst
ände mit dem Erdgesindel?
«</p>
13538 <p>»Erdgesindel! H
ören Sie!
« rief Saltner,
13539 »Da soll doch gleich
–«</p>
13540 <p>Ein H
ändedruck Las hielt ihn auf seinem Platz.
»Lesen
13541 Sie weiter
«, sagte sie zu Ell.
</p>
13542 <p>»Wir haben genaue Informationen
über die
13543 Verh
ältnisse auf der Erde eingezogen. Sie sind geradezu
13544 haarstr
äubend. Von Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Freiheit haben
13545 diese Menschen keine Ahnung. Sie zerfallen in eine Menge von
13546 Einzelstaaten, die untereinander mit allen Mitteln um die Macht
13547 k
ämpfen. Darunter leidet die wirtschaftliche Kraft
13548 derma
ßen, da
ß viele Millionen im bedr
ückendsten
13549 Elend leben m
üssen und die Ruhe nur durch rohe Gewalt aufrecht
13550 erhalten werden kann. Nichtsdestoweniger
überbieten sich die
13551 Menschen in Schmeichelei und Unterw
ürfigkeit gegen die
13552 Machthaber. Jede Bev
ölkerungsklasse hetzt gegen die andere und
13553 sucht sie zu
übervorteilen. Wer sich mit der Wahrheit
13554 hervorwagt, wird von Staats wegen verurteilt oder von seinen
13555 Standesgenossen ge
ächtet. Heuchelei ist
überall
13556 selbstverst
ändlich. Die Strafen sind barbarisch,
13557 Freiheitsberaubung gilt noch als mild. Morde kommen alle Tage vor,
13558 Diebst
ähle alle Stunden. Gegen die sogenannten unzivilisierten
13559 V
ölker scheut man sich nicht, nach Belieben Massengemetzel in
13560 Szene zu setzen. Doch genug hiervon! Und diese Bande sollen wir als
13561 Vernunftwesen anerkennen? Wir meinen, es ist unsre Pflicht, sie
13562 ohne Zaudern zur Raison zu bringen durch die Mittel, die ihr allein
13563 verst
ändlich sind, durch Gewalt. Es sind wilde Tiere, die wir
13564 zu b
ändigen haben. Denn sie sind um so gef
ährlicher, als
13565 sie Spuren von Intelligenz besitzen. Leider hat man sich, wie es
13566 scheint, in der Regierung durch einzelne Exemplare dieser
13567 Gesellschaft t
äuschen lassen, und wir wollen nur hoffen,
13568 da
ß hierbei blo
ß ein Irrtum und nicht eine
13569 R
ücksicht auf gewisse Beziehungen vorliegt
–«</p>
13570 <p>Ell unterbrach sich.
</p>
13571 <p>»Das ist denn doch zu arg!
« rief er.
»Das sind
13572 Verd
ächtigungen, die man sich nicht gefallen lassen
13574 <p>»Meine Bef
ürchtung!
« sagte La.
»Die
13575 Ber
ührung mit den Menschen bringt einen Ton in unser
13576 Verhalten, wie er sonst im
öffentlichen Leben nicht Sitte war.
13577 Nein, Ell, nein, meine lieben Freunde, Sie sind gewi
ß nicht
13578 daran schuld; es liegt in der Sache selbst
– die antibatische
13579 Bewegung setzt eine Verrohung des Gem
üts
überhaupt
13581 <p>Saltner rieb sich ingrimmig die H
ände.
»Lesen Sie nur
13582 weiter
«, sagte er.
»Jetzt haben Sie sich
13583 entr
üstet, und ich werde wieder lachen.
«</p>
13584 <p>»Wir halten es f
ür sinnlos
«, las Ell weiter,
13585 »da
ß zwischen Wilden wie den Erdbewohnern und zwischen
13586 Numen
überhaupt eine Verbindung verwandtschaftlicher Art
13587 stattfinden k
önne. Der Fall Ell bedarf entschieden einer
13588 n
äheren Untersuchung und Aufkl
ärung. Wir haben diesen
13589 angeblichen Halbnumen noch nicht gesehen. Aber ein richtiges
13590 Exemplar der Menschheit hatten wir zu betrachten das zweifelhafte
13591 Vergn
ügen. Wer dieses stupide Gesicht mit den blinzelnden
13592 Punkten, die Augen sein sollen, diesen unanst
ändigen,
13593 ungef
ärbten Anzug, diese rohen Bewegungen einmal gesehen hat,
13594 der wird sich sagen, diese Rasse kann von uns nur als vielleicht
13595 nutzbares Haustier geduldet werden.
«</p>
13596 <p>Ell warf das Blatt fort.
</p>
13597 <p>La brach in ein herzliches, leises Lachen aus, in das Saltner
13598 einstimmte. Sie trat vor Saltner und nahm seinen Kopf zwischen ihre
13599 H
ände.
»Ich mu
ß mir doch einmal unser Haustierchen
13600 betrachten
«, sagte sie lustig.
»Sie sind wirklich
13601 ausgezeichnet geschildert.
«</p>
13602 <p>Sie sah in seine Augen, ihre Z
üge wurden ernster, ihr Blick
13603 inniger und tiefer.
»Mein lieber, braver Freund
«, sagte
13604 sie. Sie bog seinen Kopf zur
ück und k
üßte ihn.
</p>
13605 <p>Ell l
ächelte nun auch.
»Wenn man so entsch
ädigt
13606 wird
«, sagte er,
»mu
ß man ja bedauern, nicht auch
13607 kr
äftiger geschildert zu sein. Aber Sie haben recht, man
13608 mu
ß auf dieses dumme Zeug keinen Wert legen. Trotzdem bin ich
13609 froh, da
ß man Frau Torm wenigstens aus dem Spiel gelassen
13611 <p>»Es lohnt sich nat
ürlich nicht, sich dar
über zu
13612 ärgern
«, sagte Saltner,
»nichtsdestoweniger kann
13613 das Geschreibe Unheil anrichten.
«</p>
13614 <p>»Dazu ist es doch zu dumm, das nimmt niemand ernsthaft.
13615 Man kennt das Blatt als unzuverl
ässig.
«</p>
13616 <p>»Aber ich habe hier noch etwas anderes, das vielleicht
13617 politisch nicht ohne Einflu
ß sein d
ürfte. Ich
13618 h
örte, da
ß ähnliche Ansichten nicht nur in weiten
13619 Kreisen geteilt werden, sondern sogar im Zentralrat Anh
änger
13620 besitzen. Lesen Sie folgende Vorschl
äge, die das
13621 neugegr
ündete Blatt, die
›Ba
‹, macht.
«</p>
13622 <p>Ell nahm das Blatt und las:
»Es ist bezeichnend f
ür
13623 unsre Regierung, die sich
144 Luftschiffe f
ür die Erde
13624 bewilligen lie
ß, da
ß sie jetzt im entscheidenden
13625 Augenblick kein einziges bereit hat. Aber f
ür die Staaten ist
13626 es ein Gl
ück. Die Begeisterung der Kolonialschw
ärmer hat
13627 Zeit, sich abzuk
ühlen, und diese Abk
ühlung schreitet
13628 schnell vorw
ärts. Es wird auffallend still
über unsre
13629 Br
üder im Sonnensystem, die wir mit der Liebe und Freiheit der
13630 Nume umschlie
ßen sollen. Und es ist gut, da
ß wir zur
13631 Besinnung kommen. Man glaube nur nicht, da
ß uns die Menschen
13632 mit offenen Armen entgegenkommen werden. Unser Stand wird nicht
13633 leicht sein, und unsre Opfer werden sich h
öher und h
öher
13634 steigern. Sowohl die Menschenfreunde als die Antibaten
13635 untersch
ätzen den Widerstand, den wir zu erwarten haben.
13636 Deswegen sollen wir von vornherein klar sagen, was wir wollen, und
13637 dann r
ücksichtslos handeln, nicht auf ein Entgegenkommen
13638 rechnen, sondern ohne weiteres unsere Bedingungen mit dem Telelyt
13639 und Repulsit diktieren. Es mag sein, da
ß die Menschen sich
13640 zur Numenheit erziehen lassen, und wir sind die ersten, welche
13641 bereit sind, sie als Br
üder anzuerkennen; aber dies wird uns
13642 nur m
öglich sein, wenn sie sehen, da
ß jeder Widerstand
13643 aussichtslos ist.
«</p>
13644 <p>»Es kommen nun einige Stellen
«, sagte Saltner,
13645 »die eigentlich nichts andres verlangen, als was die
13646 Regierung selbst wollte, n
ämlich warten, bis die Martier
13647 überall zugleich losschlagen k
önnen. Aber lesen Sie,
13648 bitte, die Vorschl
äge hier unten.
«</p>
13649 <p>»Wir warnen davor, von der Erde zu viel zu erwarten. Wir
13650 werden sie niemals besiedeln k
önnen. Die Schwere und die
13651 Atmosph
äre machen uns den dauernden Aufenthalt unm
öglich.
13652 Wir werden immer nur einzelne Stationen mit wechselnder Besatzung
13653 dr
üben erhalten k
önnen. Die Ausnutzung des Reichtums der
13654 Erde mu
ß durch die Menschen f
ür uns geschehen. Etwa in
13655 folgender Weise. Die Gesamtstrahlung der Sonnenenergie auf die Erde
13656 betr
ägt
–« Ell unterbrach sich.
</p>
13657 <p>»Ja
«, sagte Saltner,
»die Zahlen verstehe ich
13658 nicht. Aber es w
äre mir doch ganz interessant zu wissen, wie
13659 hoch uns die Herren Nume eigentlich einsch
ätzen.
«</p>
13660 <p>»Ich will sie schnell umrechnen
«, rief La.
»Es
13661 ist ganz leicht. Sie wissen, unsere M
ünzeinheit gr
ündet
13662 sich auf die Energiemenge, die von der Sonne w
ährend eines
13663 Jahres auf die Einheit der Fl
äche des Mars ausgestrahlt
13665 <p>»Geh
ört hab ich
’s schon
«, sagte Saltner,
13666 »als man mir meinen
›Energieschwamm
‹ ausgezahlt
13667 hat, aus dem ich alle Tage mein Taschengeld abzapfe. Aber warum Sie
13668 so rechnen, das wei
ß ich nicht.
«</p>
13669 <p>»Es ist das Einfachste. Einen vergleichbaren Preis mit
13670 allen Kr
äften der Natur hat doch nur die Arbeit, eine
13671 gleichbleibende Arbeitsmenge k
önnen wir leicht mechanisch
13672 definieren und herstellen, und alle Arbeitskraft, die wir zur
13673 Verf
ügung haben, stammt von der Sonne. Wir fangen die gesamte
13674 Sonnenstrahlung auf, benutzen sie, um eine bestimmte Menge
13675 Äther zu kondensieren, und so besitzen wir eine
überall
13676 verwertbare Einheit der Arbeit. Die Sonnenstrahlung haben wir mit
13677 der Erde gemeinsam, hier mu
ß sich also auch eine
13678 Vergleichbarkeit unserer W
ährungen ergeben.
«</p>
13679 <p>»Verzeihen Sie
«, unterbrach sie Ell,
»es
13680 besteht dabei noch eine Schwierigkeit. Ich habe n
ämlich die
13681 Umrechnung schon gemacht, um ein Urteil
über das Budget der
13682 Erde aufzustellen. Aber auf der Erde verm
ögen wir Menschen nur
13683 einen sehr beschr
änkten Teil der Sonnenstrahlung, eigentlich
13684 nur die W
ärme zu verwerten, w
ährend Sie auf dem Mars auch
13685 die langwelligen und die kurzwelligen Strahlen, die gar nicht durch
13686 unsere Atmosph
äre gehen, in W
ärme umwandeln und daher
13687 mitrechnen. Ich mu
ß gestehen, da
ß ich nicht wei
ß,
13688 wie gro
ß dieser Betrag ist.
«</p>
13689 <p>»Das schlagen wir nach
«, sagte La. Sie hatte schon
13690 das physikalische Lexikon ergriffen.
»Hier steht es. Wir
13691 k
önnen rechnen, da
ß die Ihnen bekannte Strahlung der
13692 Sonne etwa den zw
ölften Teil der von uns benutzten
13693 betr
ägt.
«</p>
13694 <p>»Dann ist es sehr einfach
«, meinte Ell.
»Die
13695 übrige Umrechnung habe ich schon fr
üher f
ür mich in
13696 Tabellen gebracht. Hier ist sie. Wir wollen also von den Angaben
13697 f
ür den Mars nur ein Zw
ölftel rechnen. Dann kommt die
13698 Einheit der Sonnenstrahlung auf dem Mars etwa gleich
500.000
13699 W
ärmeeinheiten auf der Erde, was ungef
ähr, soweit sich
13700 der Kohlenpreis fixieren l
äßt, einem Wert von
13701 f
ünfzig Pfennig entsprechen d
ürfte. So
– nun will
13702 ich Ihnen die Berechnungen gleich in Mark vorlesen
13704 <p>»H
ören Sie
«, warf Saltner ein,
»der Wert
13705 einer W
ärmeeinheit ist doch aber sehr schwankend, je nachdem
13707 <p>»Ganz gewi
ß, ich will auch nur zur Bequemlichkeit
13708 statt einer Million Kalorien, was das genaue Ma
ß des
13709 Arbeitswertes w
äre, der Anschaulichkeit wegen eine Mark sagen;
13710 ein ungef
ähres Bild der Gr
ößenverh
ältnisse
13711 gibt es doch. Nach meiner Umrechnung also lautet der Artikel
13713 <p>›Die Gesamtstrahlung der Sonnenenergie auf die Erde
13714 betr
ägt im Laufe eines Erdenjahres
3.000 Billionen Mark, wovon
13715 aber nur
1.200 bis auf die Erdoberfl
äche gelangen. Wir
13716 k
önnen indessen auf der Erde nur einen relativ viel kleineren
13717 Teil mit Strahlungssammlern besetzen als auf dem Mars, f
ür den
13718 Anfang sicher nicht mehr als ein Prozent. Das gibt eine Billion
13719 Mark, die wir durch diese Anlagen den Menschen j
ährlich
13720 schenken. Allerdings m
üssen sie daf
ür arbeiten, aber die
13721 Arbeit wird ihnen reichlich bezahlt, wenn wir j
ährlich nur
13722 500.000 Millionen Mark f
ür uns als Steuer beanspruchen. Sie
13723 werden sich immer noch zehnmal besser stehen als bei ihren
13724 bisherigen Hilfsquellen, die ihnen au
ßerdem noch zum
13725 gro
ßen Teil bleiben. Au
ßer der Strahlungsenergie
13726 k
önnen wir uns noch Luft, Wasser, kohlensauren Kalk und andere
13727 Mineralien liefern lassen. Wir m
üssen nur die Lieferungen an
13728 Arbeit und Stoffen auf die einzelnen Staaten nach ihrer
13729 Bev
ölkerungszahl verteilen. Es wird sich empfehlen, dies so zu
13730 tun, da
ß die einzelnen Marsstaaten sogleich die betreffenden
13731 Erdgebiete zugeteilt erhalten, an die sie sich zu halten haben.
13732 Eine Vorschlagsliste gedenken wir demn
ächst zu
13733 ver
öffentlichen. Doch m
üssen wir den Anspruch unseres
13734 Nachbarstaates Berseb, die gesamten Vereinigten Staaten von
13735 Nordamerika f
ür sich zu verlangen, schon heute
13736 zur
ückweisen; wenn diese gro
ße L
ändermasse nicht
13737 geteilt werden soll, so w
äre jedenfalls unser Hugal als der
13738 volkreichste Marsstaat am meisten berechtigt.
‹«</p>
13739 <p>»Sackerment, das nenn ich bescheiden
«, sagte Saltner
13740 nach einer Pause.
»F
ünfhundert Milliarden j
ährlich,
13741 ohne das
übrige! Da haben Sie uns eine sch
öne Suppe
13742 eingebrockt, Meister Ell, mit Ihren ber
ühmten
13744 <p>»Ich bitte Sie, Saltner
«, antwortete Ell
13745 ärgerlich,
»erstens sind das vage Projekte, auf die
13746 nicht viel zu geben ist; und zweitens, wenn der Mars Revenuen von
13747 der Erde zieht, so macht er sich eben nur f
ür das Kapital und
13748 die Arbeit bezahlt, die er f
ür die Kultur der Erde aufwendet,
13749 die Menschheit aber wird davon den gr
ößten Vorteil
13750 haben. An dieser meiner
Überzeugung k
önnen alle die
13751 Ausw
üchse nichts
ändern, die sich nat
ürlich im
13752 Anfang einer so gewaltigen Unternehmung in der Phantasie unserer
13753 Landsleute bilden. Sie m
üssen sich nicht wundern, da
ß
13754 selbst den Numen der Gedanke zu Kopf steigt, durch die Erde auf
13755 einmal das Zehnfache derjenigen Energie zur Verf
ügung zu
13756 haben, welche die Sonne unserm Planeten allein spendet. Denn
13757 da
ß die Martier
über die Erde verf
ügen k
önnen,
13758 ist doch nun nicht mehr zu leugnen.
«</p>
13759 <p>»Na, dar
über lie
ße sich doch noch Verschiedenes
13760 sagen. Ich w
ürde den ersten martischen Satrapen, der mir meine
13761 Million Kalorien abkn
öpfen wollte, mir doch erst ein wenig mit
13762 meinen F
äusten betrachten. Darin sind wir halt
13764 <p>Ell zuckte die Achseln.
»Es wird Ihnen wenig
13765 n
ützen
«, sagte er.
</p>
13766 <p>»Vielleicht doch
«, entgegnete Saltner trocken,
13767 »wenn alle so d
ächten, oder wenigstens viele. Es
13768 k
önnte n
ützen. Zun
ächst denen, die etwa Lust
13769 h
ätten, sich auf die Seite der Martier zu stellen; die
13770 k
önnte es zur Besinnung bringen, wenn sie sehen, wie ehrliche
13771 Menschen
über die Treue zum Vaterland denken. Und im Notfall
13772 mir selbst. Denn besser ist es, mit ein bissel Repulsit
13773 ausgel
öscht zu werden, als unter die Fremdherrschaft sich
13774 beugen, und wenn sie sich noch so sehr mit dem Namen der Freiheit
13775 ausstaffiert. Aber wir wollen uns nicht erhitzen. Darf ich mir ein
13776 Pik nehmen?
« sagte er zu La.
</p>
13777 <p>»Wir wollen uns allerdings nicht erhitzen
«,
13778 erwiderte Ell mit eisiger Miene.
»Darum sollten Sie sich
13779 selbst etwas vorsichtiger ausdr
ücken. Man k
önnte auch auf
13780 dem Mars fragen, was ein jeder, der auf seiner Oberfl
äche
13781 wandelt, der Sache der Nume schuldig ist. Und was den Begriff der
13782 Fremdherrschaft anbetrifft, so kommt es doch ganz darauf an, was
13783 man als fremd ansieht. Die Staatsangeh
örigkeit jedes einzelnen
13784 w
ürde unangetastet bleiben; wenn aber der Staat selber der
13785 Leitung einer h
öheren Vernunft unterliegt, so w
ürde das
13786 f
ür jeden B
ürger nur eine gr
ößere
13787 b
ürgerliche Freiheit, einen weiteren Schritt zur
13788 Selbstregierung bedeuten.
«</p>
13789 <p>»Die sich in der Freiheit
äu
ßern w
ürde,
13790 mehr Steuern zu zahlen. Oder meinen Sie vielleicht, man w
ürde
13791 uns das Wahlrecht in den Marsstaaten oder einen Sitz im Zentralrat
13792 gew
ähren? Man wird uns immer nur als die Handlanger
13793 betrachten, die man vielleicht anst
ändig f
üttert und im
13794 übrigen nach Belieben g
ängelt. Aber ein Haustier bin ich
13795 nit und werd ich nit. Ich nit!
«</p>
13796 <p>»O ihr Blinden!
« rief Ell.
»Seht ihr denn
13797 nicht, da
ß ihr nichts anderes seid als Sklaven, Sklaven der
13798 Natur, der
Überlieferung, der Selbstsucht und eurer eigenen
13799 Gesetze, und da
ß wir kommen, euch zu befreien, da
ß ihr
13800 nur frei werden k
önnt durch uns?
«</p>
13801 <p>»Ich glaub nicht an die Freiheit, die nicht aus eigner
13802 Kraft kommt.
«</p>
13803 <p>»Wir wollen ja nur diese eigne Kraft st
ärken. Und nun
13804 weigert ihr euch wie ein Kind, das Arznei nehmen soll.
«</p>
13805 <p>La hatte schweigend zugeh
ört. Ell hatte sie wiederholt
13806 angeblickt, als wollte er sich ihrer Zustimmung versichern, aber
13807 ihre Augen ruhten auf Saltner. Was er sagte, war ihr aus dem Herzen
13808 gesprochen, sie freute sich des kr
äftigen Ausdrucks seiner
13809 einfachen, nat
ürlichen Gesinnung, aber durch ihre Seele zog es
13810 schmerzlich. War es nicht eine verlorene Sache, f
ür die er
13811 k
ämpfte? Das gro
ße Schicksal, das
über die Planeten
13812 rollte, mu
ßte es nicht diese trotzigen Erdenkinder zermalmen?
13813 Ell hatte doch recht, die Numenheit ist die Vernunft, ist die
13814 Freiheit, und ihr Sieg ist gewi
ß, wie auch der edle Irrtum
13815 des einzelnen sich str
äube. Und dennoch! Was ist denn das
13816 Schicksal, wenn nicht die Festigkeit im ehrlichen Willen der
13817 Person? Was ist denn die Freiheit, wenn nicht der Entschlu
ß,
13818 mit dem ein jeder nach seinem besten Wissen und Gewissen handelt,
13819 was ihm auch geschehe? Und welch h
öhere Freiheit konnten die
13821 <p>»Nein, Ell
«, sagte La jetzt langsam, als Saltner auf
13822 Ells letzten Vergleich nicht antwortete,
»nein
– nicht
13823 wie ein Kind. Saltner hat wie ein Mann gesprochen. Ein Nume mag es
13824 besser verstehen, aber besser wollen und f
ühlen kann man
13825 nicht. Und ich wei
ß, er wird auch so handeln.
«</p>
13826 <p>Sie reichte Saltner die Hand. Ihre dunklen Augen schimmerten
13827 feucht, als sie sagte:
</p>
13828 <p>»Warum mu
ß es denn zum Streit kommen? Lassen Sie uns
13829 alles versuchen, da
ß Nume und Menschen Freunde werden. Es ist
13830 ja doch nur notwendig, da
ß sie sich kennenlernen, ehrlich
13831 kennenlernen. Lassen Sie uns den Irrtum, die Verleumdung
13832 bek
ämpfen, die sich einzuschleichen drohen. Noch ist es
13833 vielleicht Zeit! Nicht wahr, auch Sie wollen es, Ell?
«</p>
13834 <p>»Was k
önnte ich H
öheres wollen?
« erwiderte
13835 Ell warm.
»Es war der Wunsch meines ganzen Lebens, die
13836 Vers
öhnung, das Verst
ändnis der Planeten
13837 herbeizuf
ühren, ihre Kulturarbeit zu vereinen. Seit ich die
13838 Nume pers
önlich kennengelernt habe, ist mein Wunsch lebhafter
13839 als je. Da
ß die Nume die
Überlegenen sind, ist eine
13840 Tatsache. Wenn es zum Kampf kommt, werden die Menschen unterliegen,
13841 das folgt daraus. Da
ß ich trotzdem in diesem Fall auf der
13842 Seite der Nume stehen w
ürde, ist ebenso nat
ürlich wie der
13843 entgegengesetzte Standpunkt Saltners. Was ich nicht billige, ist
13844 nur das Mi
ßtrauen, mit dem die Menschen uns begegnen, weil
13845 sie von einem Teil der Martier von oben herab behandelt werden.
13846 Aber diese Zeitungen sind doch nicht die Marsstaaten. Ich hoffe wie
13847 Sie, da
ß die entgegengesetzten Stimmen bald durchdringen
13848 werden. H
ätte Saltner andere Bl
ätter gelesen, er
13849 w
äre sicherlich weniger bitter gestimmt.
«</p>
13850 <p>»Ich habe auch die andern gelesen
«, sagte Saltner,
13851 »den ganzen Vormittag habe ich mich mit den Zeitungen
13852 herumgeschlagen. Leider haben sie einen schweren Stand, zu
13853 beweisen, da
ß die Menschen anst
ändige Leute sind. Was
13854 sie f
ür uns sagen k
önnen, das m
üssen ihnen die
13855 Martier halt glauben. Aber was sich gegen uns sagen
13856 l
äßt, das haben sie in einem einzelnen Fall gesehen.
13857 Daran sind die sakrischen Engl
änder schuld. Aber auch die
13858 beiden vorlauten Matrosen vom Luftschiff und ihre Helfershelfer,
13859 die die Sache im Theater aufgebauscht haben. Dagegen
13860 m
üßte die Regierung mehr tun, als die blo
ße
13861 Berichtigung loslassen, die heute in den Zeitungen
13863 <p>»Es wird auch geschehen
«, sagte Ell.
»Ich will
13864 eben deshalb jetzt zu Ill, der gestern in Erw
ägung zog, ob
13865 sich nicht ermitteln lasse, wie die Engl
änder dazu gekommen
13866 sind, unsere Leute anzugreifen. Vielleicht lag nur ein
13867 Mi
ßverst
ändnis vor. Und wenn sich das beweisen
13868 lie
ße, wenn sich au
ßerdem zeigte, da
ß die
13869 Darstellung im Theater und so weiter
übertrieben ist, so wird
13870 die Gerechtigkeit bei den Martiern siegen.
«</p>
13871 <p>»Wie wollen Sie das nachweisen, da Sie keine andern Zeugen
13872 haben als die beiden Martier, von denen ich gar nicht behaupten
13873 will, da
ß sie absichtlich
übertreiben, die aber in ihrer
13874 Bedr
ängnis nicht objektiv urteilen k
önnen?
«</p>
13875 <p>»Es k
äme darauf an zu sehen, was an dem Cairn
–
13876 an dem Steinmann, den die Engl
änder errichtet hatten
–
13877 eigentlich vorging bis zu dem Augenblick, in welchem die Seeleute
13878 dem Offizier zur Hilfe kamen. Auch w
äre es sehr gut, wenn
13879 unsere Landsleute sich durch den Augenschein
überzeugen
13880 k
önnten, wie europ
äische Matrosen und ein
13881 europ
äisches Kriegsschiff eigentlich aussehen
13883 <p>»Das ist wahr
«, sagte Saltner.
»Am Ende ginge
13884 ihnen doch ein Licht auf, da
ß die Menschen keine Wilden sind,
13885 mit denen zu spa
ßen ist. Aber wie sollte so ein Nachweis
13886 m
öglich sein
über einen Vorgang, der in der
Öde des
13887 Kennedy-Kanals vor Wochen stattgefunden hat?
«</p>
13888 <p>»Durch das Retrospektiv.
«</p>
13889 <p>Saltner machte ein erstauntes Gesicht.
</p>
13890 <p>»Das ist ein gl
ücklicher Gedanke
«, rief La.
</p>
13891 <p>»Ich habe dabei gar keinen Gedanken
«, sagte Saltner
13892 kopfsch
üttelnd.
</p>
13893 <p>La erkl
ärte das Verfahren. Saltner wurde wieder kleinlaut.
13894 Bedr
ückt setzte er sich nieder und murmelte f
ür sich
13896 <p>»Medizin! Wir sind ja doch arme Roth
äute!
«</p>
13897 <p>Ell verabschiedete sich.
</p>
13898 <p>»Wenn es noch zur Anwendung des Retrospektivs
13899 kommt
«, sagte La,
»dann m
üssen Sie mir aber einen
13900 guten Platz verschaffen.
«</p>
13901 <p>»Ich w
äre gl
ücklich, Ihnen gef
ällig sein zu
13902 k
önnen.
«</p>
13903 <p>Ell sprach es w
ärmer als gew
öhnlich und lie
ß
13904 seinen Blick lange auf La ruhen, die ihn l
ächelnd ansah. Dann
13906 <p>La wendete sich zu Saltner. Sie fa
ßte seine Arme und
13907 blickte ihn an.
»Wie bin ich froh, da
ß ich dich hier
13908 habe, du geliebter Mensch!
« sagte sie.
</p>
13909 <h2>34 - Das Retrospektiv
</h2>
13910 <p>Die R
üstungen der Martier f
ür ihren Zug nach der Erde
13911 waren darauf berechnet gewesen, sobald das Fr
ühjahr f
ür
13912 die Nordhalbkugel der Erde gekommen sei, sich gleichzeitig mit
13913 ihren Luftschiffen
über s
ämtliche Hauptst
ädte der
13914 einflu
ßreicheren Staaten zu legen und die Regierungen zu
13915 zwingen, die vom Mars zu diktierenden Bedingungen ohne weiteres
13916 anzunehmen. Es sollte dann unter einer Art Protektorat der
13917 Marsstaaten den Erdbewohnern die Kultur der Martier zug
änglich
13918 gemacht werden, und man wollte abwarten, in welcher Weise sich die
13919 Marsstaaten am besten aus den alten und neuen Hilfsmitteln der Erde
13920 w
ürden schadlos halten k
önnen.
</p>
13921 <p>Jetzt auf einmal sollte sofort und unter ver
änderten
13922 Umst
änden eine Expedition abgesandt werden. Man hatte die
13923 Erfahrung gemacht, da
ß die Erdbewohner vermutlich Widerstand
13924 leisten w
ürden und da
ß sie nicht ungef
ährliche
13925 Mittel der Verteidigung besa
ßen. Man konnte nur wenige
13926 Luftschiffe auf einmal nach der Erde transportieren und mu
ßte
13927 darauf gefa
ßt sein, statt einfach ein Protektorat zu
13928 erkl
ären, in einen Krieg mit England, vielleicht mit der
13929 ganzen Erde verwickelt zu werden.
</p>
13930 <p>Daher hatte Ill alle Ursache, in seinen Entschl
üssen und
13931 Handlungen sich nicht zu
überst
ürzen. Je l
änger sich
13932 die Aktion gegen England hinzog, um so eher konnte er hoffen, eine
13933 gen
ügende Macht auf der Erde zu versammeln, um nach dem
13934 urspr
ünglichen Plan eine Besetzung aller Kulturstaaten sofort
13935 anzuschlie
ßen. Da sich die Planeten jetzt voneinander
13936 entfernten, nahm die Reise immer l
ängere Zeit in Anspruch.
13937 Wenn sich die Absendung des Raumschiffs noch um einen Monat
13938 verz
ögerte, so mu
ßte wenigstens ein zweiter Monat
13939 ablaufen, ehe es nach der Erde gelangte. Aber auch dann wollte er
13940 nicht sogleich vorgehen, sondern zun
ächst weitere
13941 Verst
ärkungen abwarten. Etwa im Januar
– nach irdischer
13942 Rechnung
– hoffte er stark genug zu sein, seinen Forderungen
13943 den n
ötigen Nachdruck zu geben. Lie
ßen sich nun die
13944 Verhandlungen mit England noch einige Zeit verschleppen, so hatte
13945 sich inzwischen die Raumschiffflotte auf der Au
ßenstation des
13946 Nordpols eingefunden, und Mitte M
ärz konnte man dort mit der
13947 Indienststellung der Luftschiffe beginnen.
</p>
13948 <p>Ill hatte aber auch noch andere Gr
ünde, die Absendung des
13949 Raumschiffs nach dem S
üdpol zu verz
ögern. Es hatte sich
13950 ja gezeigt, da
ß die Luftschiffe vor den Waffen der
13951 Erdbewohner keinen gen
ügenden Schutz besa
ßen. Einen
13952 solchen galt es erst herzustellen. Wenn es gelang, die Luftschiffe
13953 gegen Geschosse jeder Art aus irdischen Gesch
ützen
13954 widerstandsf
ähig zu machen, so war dadurch der Erfolg
13955 gesichert. Versuche dar
über konnten erst jetzt angestellt
13956 werden, nachdem man die Wirkungsart der Repetiergewehre und der
13957 gro
ßen Marinegesch
ütze kennengelernt hatte. Und in
13958 dieser Hinsicht war man einer neuen Entdeckung von ganz
13959 erstaunlicher Wirkung auf der Spur. Dieses Argument schlug durch.
13960 Die oppositionellen Parteien im Parlament wie in der Presse
13961 beruhigten sich dar
über, da
ß die Absendung der
13962 Expedition sich verz
ögerte. Die Wichtigkeit der technischen
13963 Vervollkommnung der Luftschiffe leuchtete ebenso ein wie die
13964 Schuldlosigkeit der Regierung, da
ß diese Erfahrungen nicht
13965 fr
üher gemacht werden konnten. Sobald es sich
überhaupt
13966 um die L
ösung einer wichtigen technischen Aufgabe handelte,
13967 gab es keine Parteik
ämpfe mehr. Dann waren alle einig, und
13968 alles Interesse konzentrierte sich darauf. Da war ein Ehrenpunkt
13969 f
ür jeden Martier ber
ührt, und das technische Problem
13970 dr
ängte alle anderen Fragen in den Hintergrund.
</p>
13971 <p>So kam es, da
ß die Hetze gegen die Erdbewohner und die
13972 zahllosen Pl
äne
über die Ausnutzung der Erde nach wenigen
13973 Wochen verstummten und wieder eine ruhigere Auffassung Platz griff.
13974 Doch die Regierung lie
ß sich dadurch nicht t
äuschen. Es
13975 war kein Zweifel, da
ß ähnliche Gesinnungen wieder
13976 hervortreten w
ürden, ja da
ß sie sich zu einem
13977 chauvinistischen
Übermut verdichten w
ürden, sobald es
13978 feststand, da
ß die martischen Schiffe durch menschliche
13979 Waffen unverletzbar seien. Die Gefahr lag vor, da
ß der
13980 Gegensatz zwischen beiden Planeten dann zu einer Vergewaltigung der
13981 Erde f
ühren, da
ß die Regierung zu kriegerischen
13982 Ma
ßregeln gegen die ohnm
ächtigen Menschen gedr
ängt
13983 werden k
önnte. Der Zentralrat war jedoch, in voller
13984 Übereinstimmung mit Ill, fest gewillt, dies zu vermeiden und
13985 die W
ürde der Numenheit in den Verhandlungen mit der Erde zu
13986 wahren, indem er die
Übermacht der Martier nur benutzen
13987 wollte, Feindseligkeiten der Menschen ihrerseits unm
öglich zu
13988 machen und dadurch das friedliche Zusammenwirken der Planeten zu
13989 erzielen. Es wurde daher versucht, ein Gesetz durchzubringen, das
13990 von vornherein den Menschen die Freiheit der Pers
önlichkeit
13991 garantieren sollte, indem es sie als Vernunftwesen erkl
ärte.
13992 Doch war eine starke antibatische Opposition dagegen vorhanden, und
13993 auch die gem
äßigteren Parteien erkl
ärten, da
ß
13994 zuvor die Angelegenheit mit England geordnet sein m
üsse.
</p>
13995 <p>Man bestrebte sich jetzt von seiten der Regierung wie der
13996 Philobaten
– so
übersetzte Ell die Bezeichnung der
13997 menschenfreundlichen Richtung
–, nach M
öglichkeit
13998 bessere Ansichten
über die Erdbewohner zu verbreiten. Dahin
13999 geh
örte auch die Aufkl
ärung des Zwischenfalls mit dem
14000 englischen Kriegsschiff. Namentlich war es f
ür die
14001 beabsichtigten Unterhandlungen mit England wichtig und
14002 erforderlich, genau aus eigenen Quellen zu wissen, was am Cairn
14003 vorgegangen sei, wom
öglich auch, was aus dem Kriegsschiff
14004 geworden. Infolgedessen entschlo
ß sich der Zentralrat, auf
14005 Antrag von Ill, einen Versuch mit dem Retrospektiv zu machen.
</p>
14006 <p>Die Einstellung des Apparates, um durch ihn ein bestimmtes
14007 Ereignis in der Vergangenheit wieder zu erblicken, bedurfte einer
14008 l
ängeren Vorbereitung. Es war schwierig, genau die Richtung zu
14009 ermitteln, in welcher die Achse des Kegels von Gravitationsstrahlen
14010 liegen mu
ßte, den man aussandte, um das zur Zeit des
14011 Ereignisses vom Planeten zur
ückgestrahlte Licht auf seinem Weg
14012 durch den Weltraum einzuholen und wieder zur
ückzubringen. Es
14013 kam dabei eine Menge von Einzelheiten in Betracht, welche
14014 mehrt
ägige theoretische Untersuchungen und langwierige
14015 Rechnungen erforderten. Alsdann bedurfte es noch praktischer
14016 Versuche, um die passendste Einstellung zu finden und zu
14017 korrigieren. Nachdem die zur
ückkehrenden Gravitationswellen
14018 wieder in Licht verwandelt worden waren und das optische Relais
14019 passiert hatten, erschien endlich das Bild der aufgesuchten Gegend
14020 in einem v
öllig verdunkelten Zimmer auf eine Tafel projiziert.
14021 Handelte es sich nicht nur um eine Schaustellung, sondern um
14022 Konstatierung von Tatsachen, so wurde das Bild, das sich
14023 nat
ürlich fortw
ährend ver
änderte, indem es den
14024 ganzen Verlauf des beobachteten Ereignisses darstellte, durch eine
14025 ununterbrochene Folge von Momentphotographien fixiert, die
14026 sp
äter im Kinematograph wieder in ihrer lebendigen Folge
14027 betrachtet werden konnten. Die Schwierigkeiten des Versuchs waren
14028 nun im vorliegenden Fall in noch viel h
öherem Grad als sonst
14029 vorhanden, da man ein Ereignis betrachten wollte, das sich auf
14030 einem andern Planeten vollzogen hatte, und da man au
ßerdem
14031 beabsichtigte, den Schauplatz, der Bewegung des Schiffes folgend,
14032 zu wechseln. Es war das erste Mal, da
ß man das Retrospektiv
14033 auf einen so komplizierten Fall anwendete, und man durfte nicht
14034 erwarten, da
ß alle Teile des Versuchs gleichm
äßig
14035 oder
überhaupt gl
ücken w
ürden. Das Experiment selbst
14036 sollte daher nicht
öffentlich sein. Es konnte
14037 nachtr
äglich wiederholt werden, in jedem Fall gaben die
14038 bewegten Momentphotographien ein unwiderlegbares Protokoll
14039 über die Beobachtungen, das jedermann zug
änglich gemacht
14042 <p>Isma verzeichnete in ihrem Tagebuch bereits den
18. Oktober. Sie
14043 mu
ßte erst einige Zeit in ihrem Ged
ächtnis nachrechnen,
14044 ehe sie sich des Datums vergewisserte, denn in den letzten Tagen
14045 hatte sie keinerlei Aufzeichnungen gemacht. Sie f
ühlte sich
14046 sehr niedergeschlagen. Zu ihren Besorgnissen kam eine
14047 k
örperliche Verstimmung infolge der Ver
änderung ihrer
14048 Lebensverh
ältnisse. Einige Tage hatte ihre Schw
äche sie
14049 so
überw
ältigt, da
ß sie ihr Zimmer nicht verlassen
14050 konnte. Ihre Gastfreunde waren in liebevollster Weise um sie
14051 besorgt und hatten sogar Hil den weiten Weg von seinem Wohnort nach
14052 Kla machen lassen, um diesen besten Kenner der menschlichen
14053 Konstitution auf dem Mars zu Rate zu ziehen. Er hatte angeordnet,
14054 da
ß f
ür Isma ein besonderer Apparat gebaut werde, um die
14055 normalen Verh
ältnisse der Erde in Schwere und Luftdruck
14056 f
ür sie herzustellen; und seitdem sie sich die Nacht
über
14057 und einige Stunden des Tages in diesem k
ünstlichen Erdklima
14058 aufhielt, hatte sich ihr Zustand gebessert, und ihre Kr
äfte
14059 waren wieder gestiegen.
</p>
14060 <p>Obwohl ihre Gastfreunde und befreundete Familien derselben, vor
14061 allem La, sie in jeder Weise aufzuheitern suchten, obwohl sie
14062 manchmal
über Saltners harmlose Sp
öttereien und die
14063 Schilderungen seiner Abenteuer auf dem Mars herzlich lachen
14064 mu
ßte, z
ählte sie doch sehns
üchtig die Stunden, in
14065 denen Ell bei ihr erschien. Er hatte sie t
äglich aufgesucht
14066 und w
ährend ihrer Erkrankung, so oft ihr Zustand es
14067 gestattete, sich durch den Fernsprecher mit ihr unterhalten. Sein
14068 Verhalten gegen sie war stets unver
ändert freundschaftlich und
14069 teilnehmend geblieben, sie hatte keine der kleinen Aufmerksamkeiten
14070 vermi
ßt, mit denen er sie seit Jahren verw
öhnt hatte.
14071 Ihre W
ünsche suchte er zu erraten, fast nie kam er, ohne ihr
14072 irgend etwas mitzubringen, von dem er glaubte, da
ß es sie
14073 interessieren w
ürde
– einen Artikel in den Zeitungen,
14074 eine Abbildung oder eine der tausend unterhaltenden Neuigkeiten der
14075 Marsindustrie, und wenn er sie erblickte, ruhten seine Augen mit
14076 der alten, z
ärtlichen Anh
änglichkeit auf ihr. Sie
14077 h
ätte nicht sagen k
önnen, wor
über sie sich beklagen
14078 d
ürfte. Und dennoch
– sie konnte sich eines
14079 schmerzlichen Gef
ühls nicht erwehren, als w
äre eine
14080 Entfremdung zwischen ihr und dem Freund eingetreten. In seiner
14081 Anwesenheit verschwand es, aber wenn er fort war, stellte es sich
14082 wieder ein. Sie qu
älte sich selbst mit Gr
übeleien
14083 dar
über, was sie ihm vorzuwerfen habe.
</p>
14084 <p>Warum konnte er so gar nichts darin durchsetzen, da
ß ihr
14085 die Erlaubnis erteilt werde, mit dem Raumschiff nach dem
14086 S
üdpol der Erde abzureisen? Ihre Bitte war von Ill mit
14087 Bedauern, aber entschieden abgeschlagen worden; die
14088 Verh
ältnisse gestatteten es nicht. Ell hatte sich vergeblich
14089 f
ür sie verwandt; man hatte erkl
ärt, so lange man sich in
14090 einer Art feindseligen Zustandes zur Erde befinde, sei es nicht
14091 zul
ässig, da
ß einer der Erdbewohner entlassen werde.
14092 Aber als Ell einmal in ihrer Gegenwart seinem Oheim gegen
über
14093 aufs lebhafteste f
ür ihre Zur
ücksendung nach der Erde
14094 eingetreten war, hatte sie sich wieder durch den Eifer verletzt
14095 gef
ühlt, mit dem er bem
üht war, sie fortzuschaffen. Und
14096 er wollte auf dem Mars bleiben. Es war gar keine Rede davon
14097 gewesen, da
ß er sie begleite. Und jetzt w
äre doch sein
14098 Platz auf der Erde gewesen, jetzt h
ätte er zur Vers
öhnung
14099 t
ätig sein m
üssen! Was hielt ihn auf dem Mars
14101 <p>Sie glaubte, es wohl zu wissen. Warum sprach er anf
änglich
14102 so viel und mit solcher W
ärme und Bewunderung von La? Und
14103 jetzt suchte er ihren Namen zu vermeiden. Was war zwischen ihn und
14104 Saltner getreten, da
ß sie sich so k
ühl und f
örmlich
14105 begegneten, wo sie doch mehr als je auf sich angewiesen waren? Und
14106 wenn Ell mit La bei ihr zusammentraf, wie seltsam pflegte er sie
14107 anzusehen! Sie kannte diesen Blick. Und warum sprach er manchmal so
14108 schnell und eifrig zu La in ihrer Sprache, da
ß sie der
14109 Unterhaltung nicht zu folgen vermochte? Sie mochte die beiden nicht
14110 zusammen sehen. Ein Gef
ühl der K
älte durchzog ihre Seele
14111 und machte sie feindselig und unwirsch gegen La wie gegen Ell. Es
14112 war ja nichts, das sie ihnen vorwerfen konnte, und doch war ihr
14113 dieser Verkehr unbehaglich und verstimmte sie. Wenn dann La
14114 gegangen war und Ell noch zur
ückblieb, wenn er dann mit
14115 derselben Herzlichkeit zu ihr sprach, die sie eben auch La
14116 gegen
über in seinem Ton geh
ört zu haben glaubte, so stieg
14117 es wie Zorn in ihr auf, als w
äre ihr etwas genommen, das ihr
14118 allein geb
ührte. Sie war dann unfreundlich gegen Ell, sie
14119 machte ihm Vorw
ürfe, die sie nicht verantworten konnte, und
14120 wenn er fort war, bereute sie ihre Worte, ihre Blicke und schalt
14121 sich undankbar und schlecht.
</p>
14122 <p>Ach, sie kannte auch diesen Zustand, dieses Gef
ühl der
14123 Unzufriedenheit. Und sie konnte es doch nicht
ändern. Es war
14124 jedesmal so gewesen, wenn Ell an einer anderen Gefallen gefunden
14125 hatte. Sie sagte sich selbst, wie t
öricht sie sei. Sie hatte
14126 jedes Recht auf ihn aufgegeben, sie hatte es zur Bedingung ihrer
14127 Freundschaft erhoben, da
ß er sich keine Hoffnungen mache,
14128 mehr von ihr zu besitzen als diese Freundschaft. Wie durfte sie ihm
14129 verwehren, eine andere zu lieben, da sie selbst verzichtet hatte?
14130 Und doch, jedesmal, wenn diese Gefahr zu drohen schien, f
ühlte
14131 sie sich von Eifersucht ergriffen, die sie sich nicht gestehen
14132 wollte und die sie doch ohne ihren Willen ihm durch ihr Benehmen
14133 eingestand. Warum auch mu
ßte er ihr das jetzt antun, wo sie
14134 fremd auf fremdem Planeten, eine Gefangene, krank und einsam weilen
14135 mu
ßte, wo er der einzige war, der sie verstehen konnte? Warum
14136 mu
ßte er jetzt
–? Aber was warf sie ihm denn vor? Warum
14137 war sie selbst nicht besser? Warum sagte sie ihm denn nicht, hier,
14138 frei von allen Menschensatzungen, da
ß sie nicht ohne ihn sein
14139 wolle, da
ß sie ihn nicht entbehren wolle, nicht k
önne?
14140 Warum? Weil sie ihn ja doch nicht lieben wollte! Und warum konnte
14141 sie sich nicht von ihm losrei
ßen, da sie doch ihren Mann
14142 liebte, da sie ausgezogen war, ihn zu suchen in den
Öden der
14143 Polarnacht, und da sie zu ihm zur
ückwollte durch die Leere des
14144 Weltraums? Und wenn Torm nicht mehr war? Wenn sie zur
ückkam
14145 nach Friedau und er verschollen war, ein Opfer der Forschung, wie
14146 so viele vor ihm? Wenn sie dann verlassen war, hier wie dort? Sie
14147 lie
ß die Feder sinken und legte den Kopf in ihre H
ände.
14148 Ach, da
ß es kein Zeichen von ihm gab, keine Nachricht! Und
14149 da
ß sie hier sitzen mu
ßte, nicht mehr Tausende, sondern
14150 Millionen von Meilen von ihm getrennt, und angewiesen auf den
14151 Freund, der um ihretwillen gegangen war, allein mit ihm
–
14152 gerade alles, was sie hatte vermeiden wollen! Gerade in diese
14153 Gefahr hatte sie sich gest
ürzt, der sie zu entfliehen
14154 gedachte. Und sie sah sie vor sich, leibhaftig, jeden Tag in den
14155 gro
ßen treuen Augen, die sie teilnehmend ansahen
–.
14156 Ach, darum qu
älte sie ihn ja, qu
älte sie sich
–</p>
14157 <p>Aber w
äre es in Friedau besser gewesen, wenn sie nun doch
14158 von ihrem Mann nichts erfahren konnte? Eines wenigstens war sie
14159 los, die fortw
ährenden Fragen, die teilnehmend sein sollten
14160 und doch so heuchlerisch waren, die h
ämischen Blicke, die
14161 widerw
ärtigen, kleinlichen, schamlosen Klatschereien
–
14163 <p>Aus ihrem Nachsinnen weckte sie der Ton, der den Eintritt eines
14164 Besuches durch das Gartentor meldete. Sie h
örte den Wagen vor
14165 der Veranda halten. Das war Ells Stimme, er sprach mit Ma. Isma
14166 strich
über ihr Haar, sie warf einen Blick in den Spiegel und
14167 ärgerte sich
über ihre Erregung. Gleich darauf trat Ell
14168 ein. Sie ging ihm l
ächelnd entgegen. Er blickte sie an.
</p>
14169 <p>»Es geht Ihnen gut
«, sagte er freudig.
»Sie
14170 sehen wieder frisch und kr
äftig aus.
«</p>
14171 <p>Er hielt ihre H
ände. In ihren Augen las er ihre Freude. Es
14172 war einer der Tage, an dem sie nicht verbergen konnte, wie lieb er
14173 ihr war.
»Ich wei
ß nicht
«, sagte sie.
»Es
14174 geht mir eigentlich gar nicht gut. Ich kann von meinen Gedanken
14175 nicht loskommen.
«</p>
14176 <p>»Dann kommen Sie mit mir, Isma. Sie sollen etwas sehen,
14177 worauf wir schon lange warten. Das Retrospektiv ist gl
ücklich
14178 eingestellt
– der Cairn ist gefunden
–«</p>
14179 <p>»Ach, Ell! Noch einmal die schreckliche Geschichte! Ich
14180 bin ja leider dabei gewesen. Soll ich sie wirklich noch einmal
14182 <p>»Ich dachte, der Triumph der Technik w
ürde Sie
14183 interessieren. In die Vergangenheit zu blicken
–«</p>
14184 <p>Isma wollte eine abweisende Antwort geben. Aber sie sah,
14185 da
ß es Ell erfreuen w
ürde, wenn sie ihn begleitete. Sie
14186 wollte gut zu ihm sein, sie wollte ihm nichts abschlagen.
</p>
14187 <p>»Nun denn
«, sagte sie,
»wenn es Ihnen lieb ist
14188 – kommen Sie. Es ist doch etwas Neues in der Form, wenn auch
14189 nicht im Stoff. Ich habe aber schon vor einigen Tagen den Platz
14190 abgelehnt, den Ihr Oheim mir anzubieten die G
üte
14192 <p>»Ich habe noch einen f
ür Sie reserviert, allerdings
14193 etwas mehr im Hintergrund, wo La und Saltner sitzen, und wer sonst
14194 Verbindungen mit der Erdkommission hat. Sie wissen, es handelt sich
14195 nur um einen Versuch; au
ßer dem Zentralrat, den
14196 Kommissionsmitgliedern und dem Pr
äsidium des Parlaments sind
14197 nur einige Vertreter der Presse da. Aber unsre Pl
ätze sind
14198 auch gut, und mit diesem Glas, da
ß ich Ihnen mitgebracht
14199 habe, k
önnen Sie sicherlich die einzelnen Personen erkennen
14200 – wenn wir sie
überhaupt zu Gesicht bekommen. Allerdings
14201 wird das Bild etwas aus der Vogelperspektive erscheinen, doch hat
14202 man den Neigungswinkel so g
ünstig genommen, als es die
14203 atmosph
ärischen Verh
ältnisse nur immer gestatteten. Ich
14204 habe den
›Steinmann
‹ vor mir gesehen wie von einem
14205 niedrig schwebenden Luftschiff aus.
«</p>
14206 <p>Isma schwieg ein Weilchen. Also La war nat
ürlich auch da.
14207 Sie verdr
ängte den aufsteigenden Gedanken und sagte:
</p>
14208 <p>»Aber ich begreife nicht
– wenn man so deutliche
14209 Bilder aus so riesigen Entfernungen erzielen kann, warum betrachten
14210 Sie denn nicht die Erde direkt, warum k
önnen wir nicht einmal
14211 nach Friedau, nach unserm Haus sehen?
«</p>
14212 <p>»Mit Hilfe des Retrospektivs ginge das wohl an, aber Sie
14213 k
önnen nicht verlangen, da
ß man dieses
14214 äu
ßerst schwierige, zeitraubende und kostspielige
14215 Experiment anstellt, um irgendeine Neugier zu befriedigen. Was
14216 sollte Ihnen das n
ützen? Was wollte man damit erfahren? Und
14217 selbst wenn eine Zeitung zuf
ällig irgendwo aufgeschlagen
14218 l
äge, mit neuen Nachrichten
über die Verh
ältnisse
14219 auf der Erde, und sie erschiene im Retrospektiv, so geht die
14220 Deutlichkeit doch nicht so weit, da
ß wir sie lesen
14221 k
önnten.
«</p>
14222 <p>»Und mit Ihren Fernrohren k
önnen Sie so genau nicht
14223 sehen, da
ß Sie Menschen auf der Erde erkennen
14224 k
önnten?
«</p>
14225 <p>»Das ist unm
öglich. Beim Fernrohr haben wir mit den
14226 Lichtwellen zu tun, da bekommen wir auf so riesige Entfernungen
14227 keine erkennbaren Bilder von so kleinen Gegenst
änden. Das geht
14228 nur mit Hilfe der Gravitationswellen. Sie m
üssen bedenken,
14229 da
ß es die Gravitationsschwingungen sind, durch welche wir
14230 die ganze, vom zu beobachtenden Ereignis ausgegangene Bewegung
14231 zur
ückbringen, und da
ß die Umwandlung in Licht erst
14232 hier, innerhalb des Apparates, geschieht. Da bilden sich wieder
14233 dieselben Schwingungen, wie sie bei der Aussendung waren, abgesehen
14234 von den St
örungen, die inzwischen durch
äu
ßere
14235 Verh
ältnisse eingetreten sind. Wenn zum Beispiel das Licht auf
14236 seinem Weg durch den Weltraum einen Meteorschwarm passiert hatte,
14237 so erhalten wir kein deutliches Bild mehr. Fernrohr und
14238 Retrospektiv verhalten sich etwa wie ein Sprachrohr und ein
14239 Telephon. Direkt k
önnen Sie die Schallwellen nicht weit
14240 senden, mit dem Telephon aber k
önnen Sie sprechen, so weit die
14241 elektrischen Schwingungen reichen.
«</p>
14242 <p>Isma hatte sich inzwischen zu ihrem Weg zurecht gemacht. Ill und
14243 seine Frau befanden sich schon im Retrospektiv-Geb
äude. Eine
14244 halbe Stunde sp
äter hatten auch Isma und Ell ihre Pl
ätze
14245 eingenommen. La und Saltner waren kurz zuvor gekommen.
</p>
14246 <p>Der gro
ße Saal war vollst
ändig verdunkelt, trotzdem
14247 konnte man sich in ihm unschwer zurechtfinden und die in der
14248 N
ähe sitzenden Anwesenden erkennen. Denn das erleuchtete Bild,
14249 von welchem das Licht im Saal ausging, nahm an der einen Wand einen
14250 Kreis von zehn Metern Durchmesser ein und erhellte dadurch die
14251 Umgebung. Es stellte die Gegend an der K
üste von Grinnell-Land
14252 dar, welche der Schauplatz des englisch-martischen Konflikts
14253 gewesen war. Deutlich erkannte man ziemlich in der Mitte des Bildes
14254 die Gruppe der beiden englischen Matrosen, welche unter Leitung des
14255 Leutnants Prim mit der Errichtung des Cairns besch
äftigt
14256 waren. Es war
überraschend zu sehen, wie die etwa
14257 spannenlangen Figuren sich lebhaft durcheinander bewegten. Die
14258 Deutlichkeit des Bildes wechselte, mitunter erschien diese, dann
14259 jene Stelle etwas verschwommen, mitunter verdunkelte sich ein
14260 ganzer Streifen, im allgemeinen waren jedoch selbst Einzelheiten
14261 deutlich zu erkennen. Mit ihrem Glas konnte sich Isma die Gestalten
14262 der Engl
änder so nahe bringen, da
ß sie in dem Offizier
14263 denselben Mann wiedererkannte, den sie durch ihr Fernrohr auf dem
14264 Verdeck des Kriegsschiffs gesehen hatte.
</p>
14265 <p>Da man den Apparat auf ein und dieselbe Stelle des Weltraums
14266 eingestellt hielt und nur nach der sich ver
ändernden Lage der
14267 beiden Planeten regulierte, so gab das Bild den Verlauf der
14268 Ereignisse in dem gleichen Zeitma
ß wieder, wie er sich in
14269 Wirklichkeit vollzogen hatte. Man befand sich offenbar noch am
14270 Morgen, und wenn der ganze Tag in seinem Geschehen verfolgt werden
14271 sollte, so stand eine lange und erm
üdende Sitzung in Aussicht.
14272 Die eint
önige Arbeit der Engl
änder begann schon etwas
14273 langweilig zu werden, und Saltner sagte zu La:
</p>
14274 <p>»Merkw
ürdig ist ja die Geschichte, und immerhin
14275 k
önnen die Herrn Nume hier schon sehen, da
ß die
14276 Englishmen doch nicht ganz so wild sind wie auf ihrem Theater. Aber
14277 l
äßt sich denn die Sache nicht ein bissel
14278 beschleunigen?
«</p>
14279 <p>»Das geht allerdings
«, antwortete Ell, der auf der
14280 andern Seite von La sa
ß,
»und man wird es wohl nachher
14281 auch tun. Man braucht nur den Apparat allm
ählich auf
14282 n
äher gelegene Stellen des Raumes zu richten, so f
ängt
14283 man die Lichtstrahlen in immer fr
üheren Zeitmomenten ab und
14284 bewirkt dadurch, da
ß alles viel schneller zu geschehen
14285 scheint. Aber es treten dabei andere Schwierigkeiten auf. Und jetzt
14286 ist es nicht m
öglich, weil jeden Augenblick der entscheidende
14287 Moment eintreten kann. Wir m
üssen uns also in Geduld
14289 <p>Es dauerte nicht mehr lange, so verstummte die Unterhaltung,
14290 denn man sah, wie der Leutnant den Cairn verlie
ß und den
14291 benachbarten H
ügel bestieg. Man konnte auch erkennen,
14292 da
ß er mit dem Feldstecher nach einer bestimmten Richtung
14293 blickte. Es zeigten sich nun alle die Ereignisse, wie sie sich
14294 abgespielt hatten. Unter lautloser Spannung sah man die Matrosen
14295 sich entfernen, man sah mit Hilfe einer kleinen Verschiebung des
14296 Bildes, wie sie verungl
ückten und von den Martiern gerettet
14297 wurden, man sah den ganzen Konflikt sich entwickeln
–
14299 <p>Die Martier waren von dem Versuch sehr befriedigt, da sich nun
14300 eine Erkl
ärung des Mi
ßverst
ändnisses ergab. Die
14301 Engl
änder hatten die Martier in der Tat f
ür Feinde halten
14303 <p>Man verfolgte das Schicksal der Gefangenen, bis sie auf dem
14304 Kriegsschiff unter Deck gebracht worden waren. Es war nun nichts
14305 mehr zu beobachten, da man wu
ßte, da
ß man die
14306 Gefangenen nicht wieder erblicken konnte bis zu dem Moment ihrer
14307 Auslieferung. Diese achtzehn Stunden hindurch den Lauf des
14308 Kriegsschiffs und seinen Kampf mit dem Luftschiff zu verfolgen,
14309 hatte kein Interesse f
ür die vorliegende Frage. Dagegen wollte
14310 man gern wissen, was aus der
›Prevention
‹ nach ihrer
14311 Niederlage geworden sei. Es war daher beschlossen worden, durch
14312 eine Umstellung des Apparats diese sp
äter liegenden Ereignisse
14313 zu beobachten. W
ährend der Vorbereitungen hierzu, die einige
14314 Stunden in Anspruch nahmen, verlie
ßen die Zuschauer den Saal.
14315 Isma erfuhr, da
ß erst in den Abendstunden die Fortsetzung des
14316 Versuchs zu erwarten sei.
</p>
14317 <p>Saltner und Isma, ebenso wie Ell, brauchten daher ihre
14318 gew
öhnliche Tagesbesch
äftigung nicht abzusagen, wie sie
14319 urspr
ünglich beabsichtigt hatten. Diese bestand darin,
14320 da
ß sie auf Ersuchen der Regierung es
übernommen hatten,
14321 t
äglich einige Stunden mit dazu ausgew
ählten h
öheren
14322 Beamten das Studium der wichtigsten europ
äischen Sprachen zu
14323 treiben. Au
ßer dem Deutschen hatte Ell den Unterricht im
14324 Englischen, Saltner im Italienischen und Isma im Franz
ösischen
14325 übernommen, den sie nur w
ährend ihrer Erkrankung einige
14326 Zeit hatte aussetzen m
üssen.
</p>
14327 <p>Gegen Abend wurde Isma von Ell mit der Nachricht angesprochen,
14328 da
ß der Apparat wieder eingestellt und das Kriegsschiff
14329 aufgefunden sei. Man r
äume eifrig auf demselben auf, um die
14330 erlittenen Besch
ädigungen zu beseitigen, und es scheinen
14331 da
ß das Schiff seine Fahrt wieder aufnehmen wolle. Als Isma
14332 im Saal des Retrospektivgeb
äudes erschien, zeigte indessen das
14333 Bild nur einen Teil des Meeres und des felsigen Ufers; von einem
14334 Schiff war nichts zu sehen. Sie h
örte, da
ß es seinen
14335 Kurs nach S
üden fortgesetzt habe, dabei aber dem Gesichtskreis
14336 entschwunden sei. Infolge einer vor
übergehenden Tr
übung
14337 war es noch nicht gelungen, das Schiff wieder aufzufinden. Jetzt
14338 war das Bild wieder hell, und in dem Bem
ühen, das englische
14339 Schiff zu entdecken, lie
ß man die Fl
äche der Bai und die
14340 Felsenufer vor
überziehen. Bald blickte man auf treibende
14341 Schollen, bald in Buchten und Fjorde hinein.
</p>
14342 <p>Isma kam es vor, als bef
ände sie sich wieder an Bord des
14343 Luftschiffes und durchsp
ähte die Gegend, der sie so schnell
14344 entzogen worden war, nach Spuren von Hugo
– –</p>
14345 <p>Vielleicht war er gar nicht so weit von der Stelle entfernt, die
14346 sie jetzt vor Augen hatte, vielleicht verdeckte nur jener
14347 Berggipfel das Lager der Eskimos, bei denen ihr Mann weilte! Und da
14348 – nein
– ja doch
– das war doch ein Boot, zwei,
14349 drei Boote, was dort in dem Kanal unter dem Ufer sich bewegte
14351 <p>Isma ergriff krampfhaft Ells Arm.
»Sehen Sie doch
–
14352 sehen Sie nicht dort
–?
«</p>
14353 <p>»Wahrhaftig
«, rief Ell,
»es sind Boote,
14354 Umiaks, sogenannte Weiberboote der Eskimos. Sie scheinen mehrere
14355 Familien mit ihren Habseligkeiten zu tragen. Man wird gewi
ß
14356 das Bild festhalten
–«</p>
14357 <p>In der Tat stand die Landschaft jetzt still, man wollte die
14358 Boote betrachten, aber die Verschiebung war doch so weit gegangen,
14359 da
ß sie schon durch das h
öhere Ufer verdeckt waren.
</p>
14360 <p>Dicht daneben zeigte das Bild das freie Wasser der Bai, in
14361 welche der schmale Kanal m
ündete. Man erwartete, da
ß die
14362 Boote dort zum Vorschein kommen m
üßten. Bis dahin
14363 wollten die Beobachter das freiere Fahrwasser der Umgegend
14364 absuchen. Das Bild bewegte sich wieder, man sah nur Meer
–
14365 und da
– am Rand des Lichtkreises bewegte sich etwas Dunkles
14366 – es war das Kriegsschiff.
</p>
14367 <p>Bis jetzt hatte man ein gr
ößeres Gesichtsfeld
14368 angewendet, um einen weiteren Umblick zu haben. Nun kam es darauf
14369 an, st
ärkere Vergr
ößerung zu gewinnen, dabei
14370 mu
ßte sich das Gesichtsfeld einschr
änken. Man sah jetzt,
14371 allerdings so deutlich, da
ß man die Stellung der Matrosen
14372 erkennen konnte, nur das Schiff und seine n
ächste Umgebung;
14373 mit dem Glas konnte man den Kapit
än und den Leutnant Prim
14374 erkennen, der seine H
ände, wie zur
Übung, langsam hin und
14375 her bewegte. Man bemerkte, da
ß eine Meldung gemacht wurde und
14376 sich die Geschwindigkeit des Schiffes, dem der Apparat mit
14377 wunderbarer Pr
äzision und nur geringen Schwankungen folgte,
14378 verringerte. Ein Boot wurde herniedergelassen. Die Ingenieure des
14379 Retrospektivs waren zweifelhaft, ob sie dem Boot folgen oder das
14380 Schiff im Auge behalten sollten. Das erstere wurde beschlossen, da
14381 das Boot ja jedenfalls zum Schiff zur
ückkehren mu
ßte.
14382 Alsbald war nur noch das rasch rudernde, mit acht Matrosen bemannte
14383 Boot auf der Wasserfl
äche zu sehen. Da erschien ein zweites
14384 Boot, ihm entgegenfahrend. Man winkte von diesem aus. Die Fahrzeuge
14385 n
äherten sich rasch, das fremde war jetzt deutlich als
14386 gr
önl
ändischer Umiak zu erkennen. An der Spitze desselben
14387 richtete sich ein Mann empor und schwenkte seine M
ütze
–
14388 ein blonder Vollbart umrahmte das wei
ße Gesicht
– er
14389 war kein Eskimo
–</p>
14390 <p>»Hugo!
« gellte eine Stimme laut durch den Saal. Die
14391 Martier blickten erstaunt auf, sie wu
ßten nicht, was das
14393 <p>»Es ist Torm!
« rief Ell erkl
ärend zu Ill
14394 hin
über, indem er die zusammensinkende Isma in seinem Arm
14396 <h2>35 - Die Rente des Mars
</h2>
14397 <p>»Es geht nicht, Saltner, es geht nicht!
«</p>
14398 <p>Ell legte den Brief in Saltners Hand zur
ück. Der kleine,
14399 verschlossene Umschlag trug, von Ismas zierlicher Hand geschrieben,
14400 die Adresse Torms.
</p>
14401 <p>»Ich darf es nicht
«, sagte Ell noch einmal, als
14402 Saltner nicht antwortete.
</p>
14403 <p>»Auch nicht, wenn Frau Torm Ihnen versichert, da
ß
14404 der Brief keine politischen, keine auf die Operationen und
14405 Absichten der Martier bez
üglichen Mitteilungen
14406 enth
ält?
«</p>
14407 <p>»Auch dann nicht. Wir d
ürfen keinerlei Briefe von
14408 Erdbewohnern mit diesem Schiff nach der Erde bef
ördern, die
14409 dem Kommando nicht offen eingereicht werden. Frau Torm verlangt,
14410 Sie verlangen von mir, da
ß ich die M
öglichkeit schaffe,
14411 diesen Brief heimlich nach der Erde zu bringen. Sie verlangen etwas
14412 Unm
ögliches, den Ungehorsam gegen die Gesetze. Es ist
14413 Kriegszustand; Sie verlangen von mir eine Handlung, die als
14414 Hochverrat aufgefa
ßt werden kann. Und dann wollen Sie mir
14415 z
ürnen, wenn ich ein f
ür allemal ablehne? Und Frau Torm
14416 ist dar
über so entr
üstet, da
ß sie mich nicht sehen,
14417 nicht sprechen will? Da
ß sie sich Ihrer Person bedient, um
14418 mir ihren Wunsch noch einmal vorzutragen? Sie hat ja doch an ihren
14419 Mann offen geschrieben, ein ganzes Buch. Der Brief liegt bereits
14420 hier, mit der Genehmigung des Kommandos versehen. Es steht alles
14421 darin, was sie ihm mitzuteilen hat, da
ß sie in der Sorge um
14422 ihn mit meiner Hilfe das Luftschiff benutzt hat, da
ß sie
14423 verhindert war, zur
ückzukehren, da
ß sie sich sehnt,
14424 sobald es ihr gestattet wird, zur
ückzukommen
– was will
14425 sie mehr? Was hat sie dem Mann noch zu schreiben?
«</p>
14426 <p>»Das ist ihr pers
önliches Geheimnis. Wenn Frau Torm
14427 es Ihnen nicht mitteilen kann, wie soll ich es wissen?
14428 Übrigens wei
ß sie nichts von diesem Versuch meinerseits,
14429 auf Sie einzuwirken. Sie hatte mich nur gebeten, La um Hilfe
14430 anzugehen.
«</p>
14431 <p>»La? Wie k
äme La dazu?
«</p>
14432 <p>»Sie hatte Grunthe einige areographische Angaben und
14433 Aufkl
ärung
über verschiedene technische Fragen
14434 versprochen
– ein kleines Paket, das den Brief sehr gut
14435 aufnehmen kann.
«</p>
14436 <p>»Und La hat diesen Betrug nat
ürlich von sich
14437 gewiesen?
«</p>
14438 <p>»Ich habe sie noch gar nicht gefragt. Zun
ächst bin
14439 ich ja den Tag
über von Pontius zu Pilatus gelaufen, um eine
14440 amt- liche Erlaubnis zu erhalten, dann habe ich La nicht
14441 angetroffen, als ich mit ihr sprechen wollte. Ich mu
ßte nun
14442 zun
ächst mit Ihnen als Freund und Mensch reden. Ich sehe
14443 jetzt, da
ß es vergeblich w
äre. Sie w
ürden diesen
14444 Brief an Torm von mir nicht bef
ördern? Auch nicht einen an
14445 meine Mutter?
«</p>
14446 <p>Ell sch
üttelte den Kopf.
»Sie haben an beide schon
14447 geschrieben.
«</p>
14448 <p>»Aber offen. Es gibt Dinge, die man nicht vor andern sagen
14449 will. Wo bleibt die ger
ühmte Freiheit, die versprochene
14450 Freiheit, wenn man uns jetzt das pers
önliche Eigenrecht der
14451 Aussprache abschneidet?
«</p>
14452 <p>»Sie m
üssen bedenken, da
ß dies nur bis zu dem
14453 Augenblick geschieht, in welchem unser Verh
ältnis zur Erde
14454 sich gekl
ärt hat. Das ist eine Ausnahme. Es ist ein
14455 Ungl
ück, denn es ist allerdings ein Vergehen gegen die
14456 sittliche Grundlage, gegen die pers
önliche Freiheit. Aber
14457 sittliche Konflikte sind ein allgemeines Ungl
ück, sie lassen
14458 sich nicht vermeiden. Die h
öhere Pflicht, die Ordnung zwischen
14459 den Planeten, erfordert diesen Verzicht des einzelnen auf seine
14460 Freiheit. Und im Grunde genommen ist es doch nur der Ausdruck
14461 individueller Gef
ühle, der eine Beschr
änkung
14462 erleidet.
«</p>
14463 <p>»Sie geschieht aber blo
ß aus einem Mi
ßtrauen
14464 der Martier gegen die Menschen.
«</p>
14465 <p>Ell sah Saltner durchdringend an.
</p>
14466 <p>»Geben Sie mir Ihr Ehrenwort
«, fragte er,
14467 »da
ß in Ihren Briefen nichts
über unsre
14468 Ma
ßnahmen steht?
«</p>
14469 <p>»Nein
«, sagte Saltner.
</p>
14470 <p>»Und dann verlangen Sie von mir
–«</p>
14471 <p>»Ich verlange, was der Mensch vom Menschen, der Deutsche
14472 vom Deutschen verlangen kann, da
ß er ihm hilft, eines
14473 überm
ächtigen Gegners sich zu erwehren
–«</p>
14474 <p>»Ich aber stehe auf der Seite dieses sogenannten Gegners,
14475 der im Grunde der beste Freund ist.
«</p>
14476 <p>»Dann haben wir uns nichts weiter zu sagen. Ich wollte
14477 mich nur
überzeugen, da
ß ich von Ihrer Seite f
ür
14478 uns Menschen nichts zu erwarten habe.
«</p>
14479 <p>»Sie wollen mich nicht verstehen. Nur in Ihrem einseitigen
14480 Interesse kann ich nichts tun, sonst aber werden Sie mich stets
14481 bereitfinden
–«</p>
14482 <p>»Leben Sie wohl.
«</p>
14483 <p>Saltner h
örte nicht mehr auf Ells Worte. Er war schon auf
14484 den Gleitstuhl getreten und l
öste die Hemmung. Der Stuhl
14485 sauste die schraubenf
örmige Bahn um den Stamm des Riesenbaumes
14486 hinab nach dem Erdboden. Das Gespr
äch hatte auf der Plattform
14487 stattgefunden, welche einen der Riesenb
äume in der N
ähe
14488 von Ells Wohnung umgab, dort, wo in einer H
öhe von vierzig
14489 Meter
über dem Boden die ersten
Äste ansetzten. Ein
14490 mechanischer Aufzug f
ührte in einer Schraubenlinie rings um
14491 den Stamm und bef
örderte ebenso leicht von unten nach oben als
14492 von oben nach unten. Diese gesch
ützten Plattformen boten einen
14493 äu
ßerst angenehmen Arbeitsplatz. Wie vom Chor eines
14494 Domes blickte man zwischen den S
äulen der Baumst
ämme
14495 hindurch,
über die niedrigen H
äuser weit in die Anlagen.
14496 Die Luft war hier frischer und k
ühler als unten.
</p>
14497 <p>Ell trat an die Br
üstung vor und blickte hinab. Es begann
14498 zu d
ämmern. An den Stra
ßen entlang leuchteten schon die
14499 breiten Streifen des Fluoreszenzlichtes, in den H
äusern
14500 gl
ühten die Lampen. In tiefer Finsternis lag das Laubdach.
</p>
14501 <p>Ell seufzte. Also auch er hatte sich von ihm geschieden, der
14502 biedere Saltner! Mochte es sein! Was galt ihm das alles noch, da er
14503 sie verloren hatte! Finster zog sich seine Stirn zusammen. Das war
14504 der Dank, ihr Dank f
ür alles
– – Ismas Dank!
</p>
14505 <p>Als sie auf der Tafel des Retrospektivs ihren Mann erkannt
14506 hatte, wie er aus dem Umiak der Eskimos nach dem Boot des
14507 englischen Schiffes winkte, da hatten sie ihre Kr
äfte auf
14508 einen Augenblick verlassen. Auf einen Augenblick. Sie hatte sich
14509 sogleich wieder zusammengerafft und mit fieberhafter Erregung die
14510 Vorg
änge verfolgt. Man hatte gesehen, wie beide Boote der
14511 ›Prevention
‹ zusteuerten, wie Torm an Bord des
14512 Kriegsschiffes stieg, wie er dem Kapit
än Papiere
14513 überreichte, die dieser pr
üfte; man sah, wie der
14514 Kapit
än dann salutierte und Torm die Hand sch
üttelte, wie
14515 sich die Offiziere um Torm versammelten; man sah, wie die Eskimos
14516 beschenkt wurden und ihr Boot sich entfernte; wie die
14517 ›Prevention
‹ ihre Fahrt nach S
üden wieder
14518 aufnahm. Eine Stunde lang konnte man sie verfolgen. Maschine und
14519 Steuer waren offenbar nicht verletzt oder wieder repariert; das
14520 Schiff dampfte schnell und leicht vorw
ärts. Immer undeutlicher
14521 wurden die Umrisse desselben. Die D
ämmerung brach herein. Bald
14522 konnte man nichts mehr unterscheiden als die Lichter. Man stellte
14523 den Versuch ein. Es war sicher, da
ß das Schiff und Torm mit
14524 ihm in wenigen Wochen wohlbehalten London erreichen w
ürden.
14525 – –</p>
14526 <p>Torm war gerettet. Er hatte ohne Zweifel jetzt schon die
14527 Nachricht von Ismas Verschwinden. Man w
ürde in Friedau
14528 daf
ür gesorgt haben, da
ß ihm dasselbe unter dem
14529 Gesichtspunkt der Friedauer erschien. Und sie, die nicht ohne ihn
14530 in Friedau bleiben wollte, nun mu
ßte sie ihn allein lassen
14532 <p>Isma verbrachte eine schlaflose Nacht. Dann setzte sie noch
14533 einmal alles in Bewegung, um ihre Mitnahme auf dem Raumschiff nach
14534 der Erde zu erreichen. Es war unm
öglich. Wenigstens einen
14535 Brief sollte man mitnehmen. Ja, aber nur einen offenen. Sie
14536 schrieb, doch das konnte ihr nicht gen
ügen. Was sie ihm zu
14537 sagen hatte, das ging niemand andern an; das konnte sie nicht lesen
14538 lassen. Sie wu
ßte, wie sie schreiben m
üsse und da
ß
14539 er sie nur so verstehen w
ürde. Und dies wurde versagt. Und
14540 hier lie
ß sie Ell im Stich! Sie bat ihn flehentlich, ihren
14541 Brief zu besorgen. Es ginge nicht! Sie bat ihn, selbst die Reise zu
14542 machen, ihren Mann aufzukl
ären. Er weigerte sich, er wolle
14543 jetzt nicht auf die Erde zur
ückkehren. Die Martier selbst
14544 h
ätten es vielleicht gern gesehen, aber er k
önne sich
14545 nicht entschlie
ßen, jetzt den Mars zu verlassen. Warum nicht?
14546 Warum wollte er nicht? Um sie, Isma, nicht allein zu lassen? Sie
14547 glaubte es nicht, sie vermutete einen anderen Grund, den sie ihm
14548 nicht verzeihen konnte. Sie sagte ihm Bitteres. Sie wollte ihn
14549 nicht wiedersehen. Und er ging. Nat
ürlich! La w
ürde ihn
14550 wohl tr
östen
– –</p>
14551 <p>Ell versetzte sich in Ismas Seele, er sah deutlich, was in ihr
14552 vorging
– alles dachte er wieder durch, w
ährend er in
14553 die Nacht hinausstarrte
– das Gef
ühl der Bitterkeit
14554 verlie
ß ihn, er konnte ihr nicht z
ürnen. Nur traurig
14555 wurde er, tieftraurig.
</p>
14556 <p>Aber er mu
ßte es tragen. Er konnte nicht anders handeln,
14557 es war unm
öglich. Stand sie auf der Erde, so stand er auf dem
14558 Mars. Die Kluft
überbr
ückte kein Raumschiff. Und selbst
14559 wenn die Planeten sich vers
öhnten
– w
ürde er sie
14560 dann wiederfinden?
</p>
14561 <p>Er pre
ßte die H
ände gegen die Stirn und seufzte tief.
14562 Und seltsam, mitten in den Kummer um Isma dr
ängte sich das
14563 Bild Las vor Ells Augen. Dieser Verkehr war so begl
ückend, so
14564 frei von dem dunkeln Hintergrund irdischer Fesseln! Das war
14565 Numenart, zu geben und zu nehmen! Die reizenden Stunden kamen ihm
14566 in den Sinn, in denen er sich sagen durfte, da
ß sie ihn
14567 bevorzugte, und es schien ihm, da
ß deren immer mehr geworden
14568 seien. Und doch! Er mu
ßte sich gestehen, w
äre La ihm so
14569 geneigt, wie er hoffte, sie h
ätte sich ihm noch anders zeigen
14570 m
üssen. Sie hatte sich in der letzten Zeit sichtlich von
14571 Saltner zur
ückgezogen, aber gerade darin schien ihm eine
14572 gewisse Absichtlichkeit zu liegen. Er konnte das Gef
ühl nicht
14573 loswerden, da
ß La unter der gleichm
äßigen
14574 Liebensw
ürdigkeit ihres Wesens eine heimliche Sorge barg, und
14575 er sann nach, was sie wohl bedr
ücken k
önne.
</p>
14576 <p>Gestern, als er bei ihr war, hatte er sie
überrascht, wie
14577 sie in Gedanken versunken sa
ß, und er glaubte die heimlichen
14578 Spuren von Tr
änen in ihrem Auge gesehen zu haben. Aber auf
14579 seine warmen Worte erwiderte sie mit Scherzen, es war, als wollte
14580 sie nicht verstehen, was sie doch l
ängst wu
ßte, wie er
14581 f
ür sie f
ühle. Zum erstenmal war er fortgegangen, ohne
14582 sie recht verstanden zu haben.
</p>
14583 <p>Und jetzt war Saltner auf dem Weg zu ihr. Es war ja nicht daran
14584 zu denken, da
ß sie auf seine Bitte eingehen w
ürde
14585 – Überhaupt
–</p>
14586 <p>Ell fiel es pl
ötzlich ein
– vielleicht war sie gar
14587 nicht in Kla. La hatte mehrfach davon gesprochen, da
ß sie
14588 m
öglicherweise verreisen w
ürde, und Saltner hatte sie
14589 heute vergebens zu sprechen versucht.
– Er wollte sich doch
14590 überzeugen, ob La zu Hause sei. Auch die Plattform war mit dem
14591 Haus telephonisch verbunden. Er sprach La an. Sie war zu Hause,
14592 aber in gro
ßer Eile, wie sie sagte. Ell teilte ihr mit,
14593 da
ß Saltner bei ihr vorsprechen werde mit einem Ansinnen, das
14594 unm
öglich zu erf
üllen sei
– darauf keine Antwort,
14595 trotz seiner wiederholten Frage. Endlich die Worte, wie mit
14596 gezwungener Stimme:
</p>
14597 <p>»Bef
ürchten Sie nichts. Leben Sie wohl.
«
14599 <p>Nichts, nichts weiter! Ell wu
ßte nicht, was er davon
14601 <p>Er trat zur
ück an den Tisch, auf dem seine Papiere lagen,
14602 und lie
ß die Lampe aufflammen. Er wollte versuchen, in der
14603 Arbeit zu vergessen, und versenkte sich in das Studium des Etats
14604 der Marsstaaten.
</p>
14605 <p>Die
154 Staaten, welche den Planetenbund des Mars bildeten,
14606 waren an Einwohnerzahl sehr stark verschieden; es gab darunter
14607 Reiche, die bis gegen hundert Millionen Einwohner z
ählten, und
14608 kleine Staaten, die nicht einmal die Zahl von einer Million
14609 erreichten; der kleinste von ihnen umfa
ßte nur zwanzig
14610 Bezirke mit zusammen
800.000 Einwohnern. Ebenso mannigfaltig wie
14611 die Gr
ößen waren die Verfassungen der Einzelstaaten. Die
14612 republikanischen Staatsformen herrschten vor, aber auch unter ihnen
14613 gab es eine bunte Musterkarte von kommunistischen, sozialistischen,
14614 demokratischen und aristokratischen Verfassungen. Die Monarchien
14615 waren besonders unter den kleineren Staaten vertreten. Ganz wie es
14616 die historische Entwicklung der lokalen Verh
ältnisse mit sich
14617 gebracht hatte, waren auch in diesen die Verfassungen sehr
14618 mannigfaltig; im ganzen unterschieden sie sich von den
14619 republikanischen nur dadurch, da
ß das Staatsoberhaupt nicht
14620 durch Wahl, sondern durch Erbfolge bestimmt war und sich eines
14621 gr
ößeren Einkommens und einer gl
änzenderen
14622 Hofhaltung als die Pr
äsidenten erfreute. Einen h
öheren
14623 politischen Einflu
ß besa
ßen die F
ürsten des Mars
14624 nicht, sie hatten vornehmlich eine
ästhetische Bedeutung. Die
14625 reiche Entwicklung, welche die Verfeinerung des Lebens durch die
14626 Hofhaltung eines intelligenten F
ürsten erfahren konnte, und
14627 der Einflu
ß, den eine hochsinnige Pers
önlichkeit hier zu
14628 entfalten vermochte, sollte auch auf dem Mars nicht verlorengehen.
14629 Die individualistischen Neigungen der Martier konnten daher nach
14630 jeder Richtung hin Befriedigung finden, und dem Ehrgeiz wie dem
14631 Unabh
ängigkeitsgef
ühl eines jeden war freier Spielraum
14632 gelassen. Zwischen allen Staaten herrschte, durch das Bundesgesetz
14633 garantiert, vollst
ändige Freiz
ügigkeit und
14634 Erwerbsfreiheit. Wem es in dem einen Staat nicht gefiel,
14635 transportierte sein Haus in einen andern, und es gen
ügte,
14636 da
ß er dies bei der betreffenden Beh
örde anmeldete.
14637 Dadurch war eine nat
ürliche Regulierung daf
ür gegeben,
14638 da
ß kein Staat seine Machtbefugnis mi
ßbrauchte, denn er
14639 riskierte sonst, sehr bald seine Einwohner zu verlieren. Die
14640 nat
ürliche Verschiedenheit der Individuen, ihre Gewohnheiten
14641 und ihre Anh
änglichkeit f
ür das Hergebrachte sorgten
14642 andererseits daf
ür, da
ß den einzelnen Staaten ihre
14643 Eigent
ümlichkeiten erhalten blieben und der Flu
ß der
14644 Bev
ölkerung nicht in Unbest
ändigkeit ausartete. Jede
14645 Gegend hatte ihre Vorz
üge. Waren auch die wirtschaftlichen
14646 Lebensbedingungen in den breiten, die W
üsten durchziehenden,
14647 durch k
ünstliche Bew
ässerung erhaltenen Kulturstreifen
14648 etwas erschwert, so boten dieselben doch andere Vorteile. Die
14649 Gelegenheit zum gewerblichen Gewinn war hier wegen der N
ähe
14650 der gro
ßen Energiestrahlungsgebiete g
ünstiger, und ein
14651 reicherer Arbeitsertrag entsch
ädigte f
ür die
14652 St
örungen des
äu
ßeren Komforts, die dadurch
14653 entstanden, da
ß bei eintretendem Wassermangel die
14654 sch
ützenden B
äume binnen wenigen Tagen ihr Laub verloren
14655 und die Vegetation unter ihnen vertrocknete. Daf
ür waren aber
14656 auch die hier gelegenen Staaten imstande, gr
ößere
14657 Zusch
üsse den Privaten zu gew
ähren.
</p>
14658 <p>Gemeinschaftlich f
ür den gesamten Staatenbund und
14659 unmittelbar dem Zentralrat unterstellt, der seinerseits dem
14660 Bundesparlament verantwortlich blieb, war die technische
14661 Verwaltung. Sie schied sich in die beiden gro
ßen Gebiete des
14662 Verkehrswesens und des Bew
ässerungswesens, wozu als drittes
14663 jetzt noch die Raumschifffahrt gekommen war. Diese ungeheure
14664 Organisation hielt die Bundesstaaten als ein untrennbares Ganze
14665 zusammen und machte es ebenso unm
öglich, da
ß sich
14666 einzelne, selbst m
ächtige Staaten, vom Zusammenhang des
14667 Planeten abl
ösen konnten, als sich ein Organ des menschlichen
14668 K
örpers der Blutzirkulation zu entziehen vermag.
</p>
14669 <p>Unterhalten wurde der Riesenbetrieb durch ein stehendes
14670 Arbeitsheer von sechzig Millionen Personen
–
14671 ›Mann
‹ kann man nicht gut sagen, denn die allgemeine
14672 einj
ährige Dienstpflicht galt f
ür beide Geschlechter.
14673 F
ür besondere F
älle stand eine dreifache Reserve zur
14674 Verf
ügung. Finanziert wurde der Betrieb durch die Sonne
14675 selbst. Der Gesamtetat der Marsstaaten betrug
– nach
14676 deutschem Geld gerechnet f
ür das Erdenjahr, also f
ür ein
14677 halbes Marsjahr
– 300 Billionen, das sind
300.000 Milliarden
14678 Mark, also
100.000 Mark auf den Kopf der Bev
ölkerung. Dabei
14679 hatte aber niemand eine Steuer, au
ßer der pers
önlichen
14680 Dienstleistung w
ährend eines Lebensjahres, beizutragen. Das
14681 Privateinkommen der Martier belief sich au
ßerdem im
14682 Durchschnitt pro Kopf der Bev
ölkerung auf
100.000 Mark,
14683 schwankte jedoch f
ür den einzelnen zwischen dem Maximum des
14684 zul
ässigen Einkommens von zwanzig Millionen und der Null. Die
14685 Besteuerung des Einkommens der Privaten diente nur dazu, um jedem,
14686 der nichts verdiente, wenigstens ein Minimum von Kapital pro Jahr
14687 zu sichern, wodurch er sich wieder heraufarbeiten konnte. Ein
14688 Notleiden aus Mangel an Nahrung, Wohnung und Kleidung konnte nicht
14689 eintreten, da hierf
ür durch
öffentliche
14690 Verpflegungsanstalten gesorgt war. Aber es war nat
ürlich jedem
14691 daran gelegen, dieser Armenpflege nicht anheimzufallen. Der
14692 Gesamtbetrag, der vom Staat und von den Privaten auf dem ganzen
14693 Planeten in einem halben Marsjahr eingenommen wurde, belief sich
14694 also auf
600 Billionen Mark. Dies war jedoch nur die H
älfte
14695 dessen, was bei v
ölliger Ausnutzung aller Kr
äfte
14696 h
ätte erzielt werden k
önnen.
</p>
14697 <p>Diese Summen erschienen Ell so ungeheuerlich, da
ß er sich
14698 damit besch
äftigte, sie nachzupr
üfen und sich zu
14699 vergewissern, wie es m
öglich sei, eine so kolossale Rente zu
14700 erzielen. Ell hatte bei seinem ersten Versuch, den Geldwert auf dem
14701 Mars mit dem auf der Erde zu vergleichen, seiner Umrechnung den
14702 W
ärmewert der Kohle zugrunde gelegt; er f
ührte nun die
14703 Rechnung noch einmal so durch, da
ß er als Vergleichseinheit
14704 die Pferdest
ärken nahm, welche durch die Sonnenstrahlung pro
14705 Stunde als Arbeitseffekt erzielt werden konnten. Wenn er den
14706 gegenw
ärtigen Stand der Technik auf der Erde in Betracht zog,
14707 so glaubte er annehmen zu d
ürfen, da
ß selbst unter den
14708 g
ünstigsten Verh
ältnissen, bei Ber
ücksichtigung der
14709 Anlagekosten, die Pferdekraft in der Stunde nicht unter
0,
8 Pfennig
14710 oder
1 Centime geliefert werden k
önne. Um nun den geringsten
14711 Wert der Sonnenrente f
ür den Mars zu ermitteln, nahm er an,
14712 da
ß auch auf dem Mars nur die direkte W
ärmestrahlung
14713 seitens der Sonne
– nicht die anderen Wellengattungen
–
14714 zur Arbeit verwertet werden. Er fand dann, da
ß im Lauf eines
14715 Erdenjahres die Sonnenstrahlung dem Mars soviel W
ärme
14716 zuf
ührt, da
ß, wenn sie vollst
ändig in Arbeit
14717 übergef
ührt wurde, ihr Wert pro Quadratmeter der
14718 Oberfl
äche durchschnittlich
30 Mark betragen w
ürde. Die
14719 zur Bestrahlung ausgenutzte Oberfl
äche des Mars betr
ägt
14720 aber rund hundert Billionen Quadratmeter, somit erh
ält der
14721 Mars eine Rente von
3.000 Billionen Mark. Von diesem
14722 Strahlungsbetrag k
önnen jedoch nur etwa
40 Prozent wirklich in
14723 Arbeit verwandelt und ausgenutzt werden
– bei dem Stand der
14724 Technik auf dem Mars
–, so da
ß der Gesamtgewinn des
14725 Mars an Arbeit (im Laufe eines Erdenjahrs)
1.200 Billionen Mark
14726 betr
ägt. Tats
ächlich benutzte man hiervon nur die
14727 H
älfte. Denn die Gesamteinnahme der Marsstaaten betrug
300
14728 Billionen, die der Privaten ebensoviel. Es war also kein Zweifel,
14729 da
ß die Marsstaaten
über diese ungeheuren Mittel
14730 verf
ügten. Und dabei empf
ängt der Mars nur etwa ein
14731 Neuntel so viel W
ärme von der Sonne wie die Erde. Wie weit
14732 also war die Erde zur
ück in der Ausnutzung der Mittel, die ihr
14733 von der Natur verliehen waren! Wieviel konnte sie noch gewinnen,
14734 wenn ihr die Erfahrung der Martier zugute kam!
</p>
14735 <p>Aufs neue f
ühlte sich Ell in der Ansicht best
ärkt,
14736 da
ß gegen
über dem immensen Fortschritt, der hier
14737 f
ür die Menschheit in Frage stand, die R
ücksicht auf die
14738 Neigung der gegenw
ärtigen Menschheit, dieses Geschenk
14739 anzunehmen, zu schweigen hatte. Noch viel weniger aber durfte er
14740 sich seinen Handlungen durch pers
önliche Neigungen irre machen
14741 lassen. Mochte man ihn als
Überl
äufer, als Verr
äter
14742 an der Sache der Erde betrachten, mochte man Schmach und Verachtung
14743 auf ihn h
äufen
– gleichviel! Er wu
ßte, da
ß
14744 er zum besten der Kultur
überhaupt und so auch der Menschheit
14745 handle, wenn er voll auf der Seite des Mars stand. Mochte er selbst
14746 seine pers
önlichen Freunde verlieren, er mu
ßte es
14747 tragen. Einst w
ürden sie gerechter
über ihn urteilen. Und
14748 Isma! Er sah den traurigen Blick der blauen Augen, er sah das
14749 schmerzliche Zucken ihrer Lippen und das ver
ächtliche
14750 Zur
ückwerfen des Kopfes
–. Und noch einmal sprang er
14751 empor und starrte tr
üben Blickes in die dunkle Nacht. Dort
14752 dr
üben, wo der hellgr
üne Schimmer des
14753 Stra
ßenstreifens sich hinzog, da wohnte sie. O k
önnte er
14754 hingehen und sie rufen, wie damals, als das Luftschiff auf sie
14755 wartete, k
önnte er sie wieder zur Erde zur
ückf
ühren
14756 und daf
ür ihren dankbaren Blick erhalten! Doch es ging nicht.
14757 Sie durfte nicht fort, sie konnte nicht, selbst wenn er versucht
14758 h
ätte, sie fortzubringen. Aber er selbst! Ihm stand es frei,
14759 er besa
ß die Erlaubnis, mit nach der Erde zu gehen, er hatte
14760 die Vollmacht hier vor sich, die er eben mit den
übrigen
14761 Briefschaften an Ill zur
ückschicken wollte. In wenigen Tagen
14762 ging das Raumschiff. Ill fuhr zu diesem Zweck selbst an die
14763 Polstation, um der Abreise beizuwohnen. Er konnte mitreisen. Er
14764 konnte ihr den Wunsch erf
üllen, mit Torm selbst zu sprechen.
14765 – Nein doch, nein! Es war unm
öglich. W
ürde ihm Torm
14766 glauben k
önnen, wenn er ohne Isma kam? Und in diese
14767 Verh
ältnisse! Unter diesen Umst
änden! Sich
14768 gewisserma
ßen entschuldigen? Von allen Seiten beargw
öhnt
14769 und angefeindet, w
ürde er
überhaupt jetzt etwas zur
14770 Vers
öhnung beitragen k
önnen? Nein, wenn er
überhaupt
14771 zur Erde zur
ückging, da konnte es nur sein, wenn die Menschen
14772 begriffen hatten, was die Nume ihnen bringen und wie sie dieselben
14773 aufzunehmen haben. Er wollte auf dem Mars bleiben, bis er
14774 zur
ückkehren konnte als ein Herr und Begl
ücker der
14776 <p>Ell schlo
ß die Papiere f
ür Ill in die Mappe und
14777 f
ügte seinen Pa
ß f
ür das Raumschiff hinzu. Er
14778 brauchte ihn nicht.
</p>
14779 <h2>36 - Saltners Reise
</h2>
14780 <p>Saltner lenkte seinen Radschlitten, dessen er sich sehr bald zu
14781 bedienen gelernt hatte, Frus Haus zu. Wie oft hatte er in diesen
14782 zwei Monaten, die er schon auf dem Mars weilte, den Weg
14783 zur
ückgelegt und die k
ürzeste Verbindung ausprobiert!
14784 Heute hatte er weite Umwege gemacht und im n
ächtlichen Park
14785 seinen Gedanken nachgehangen. Sonst konnte es ihm immer nicht
14786 schnell genug gehen, wenn er
über die schmalen Parkwege
14787 hinglitt, die nach Las Wohnung f
ührten. Wenn ihm das
14788 Verh
ältnis des Mars zur Erde Sorge machte, bei La fand er
14789 Trost und Ermunterung, von ihr wu
ßte er ja, da
ß sie ihn
14790 nicht f
ür gering hielt, weil er nur ein Mensch war
–
14791 –. Sie liebte ihn, die Nume, die herrliche. Sollte er nicht
14792 gl
ücklich sein? Und doch
– das Wort:
»Vergi
ß
14793 nicht, da
ß ich eine Nume bin
«, das sie zu ihm
14794 gesprochen, als sie zusammen auf die Erde hinabblickten, es ging
14795 ihm nicht aus dem Sinn, was er damals kaum beachtet, nicht
14796 verstanden hatte. Das Wort hatte er nicht vergessen, aber
14797 vielleicht die Warnung, die es enthielt. Sollte er jetzt daran
14798 erinnert werden? Durfte er es wagen, die Bitte auszusprechen, die
14799 sie ihm versagen mu
ßte? Warum war er seit zwei Tagen nicht
14800 mehr bei La gewesen? Er hatte viel zu tun gehabt, gewi
ß; die
14801 Erdkommission hatte von ihm verschiedene Gutachten verlangt, auch
14802 Frau Torm hatte lange Unterredungen mit ihm, die Briefe nach der
14803 Erde nahmen seine Zeit in Anspruch. Zweimal hatte er auch La durch
14804 das Telephon angesprochen, doch beide Male war sie nicht zu Hause
14805 gewesen. Er wu
ßte nicht einmal, womit sie so eifrig
14806 besch
äftigt war. Seit acht Tagen war sie mit ihrer Mutter
14807 allein. Fru hatte sich bereits nach dem Pol begeben, um die
14808 Ausr
üstung der Raumschiffe zu leiten. Es hatten lange
14809 Erw
ägungen in der Erdkommission stattgefunden, welche
14810 Kapit
äne und Ingenieure bei der wichtigen und verantwortlichen
14811 Expedition nach dem S
üdpol der Erde zu verwenden seien.
14812 Schlie
ßlich wollte man, obgleich an t
üchtigen Leuten
14813 kein Mangel war, doch des Rates Frus, als eines der
14814 bew
ährtesten Erdkenner, nicht entbehren, und er hatte sich
14815 entschlossen, die technische Leitung der Expedition zu
14816 übernehmen. Es war auch davon die Rede gewesen, da
ß La
14817 ihn begleiten solle. Die Aussicht, La so bald wieder zu verlieren,
14818 hatte Saltner schmerzlich erregt, und er hatte nun befreit
14819 aufgeatmet, als er h
örte, da
ß La ihren Wunsch, auf dem
14820 Mars Liebe zu ihm der Hauptbeweggrund gewesen sei, der sie hier
14821 zur
ückhielt
– er hatte sich dessen geschmeichelt. Aber
14822 warum war er in den letzten Tagen so zweifelhaft geworden? Warum
14823 hatte er nicht die Zeit gefunden, sie aufzusuchen? zu bleiben,
14824 durchgesetzt habe. Er schmeichelte sich, da
ß ihre
</p>
14825 <p>Er konnte es sich nicht verhehlen, er war eifers
üchtig.
14826 Fast jedesmal in der letzten Zeit hatte er Ell bei La getroffen,
14827 oder sie war w
ährend seiner Anwesenheit von Ell aus der Ferne
14828 angesprochen worden. Und wie begegnete sie Ell! Jedes Wort, jeder
14829 Blick zwischen ihnen war sofort verstanden, ihren Gespr
ächen
14830 vermochte er nicht zu folgen, es waren zwei Nume, die sich
14831 unterhielten, die sich gefielen, die
–. Es konnte ja gar kein
14832 Zweifel sein, wer mu
ßte nicht La lieben, der sie n
äher
14833 kennenlernte? Und er, wie konnte er sich mit dem Martiersohn
14834 vergleichen, der La ebenb
ürtig war und doch den
14835 eigent
ümlichen Reiz des Menschentums besa
ß! Er
14836 h
ätte diesen Ell hassen m
ögen, er nannte ihn einen
14837 Verr
äter an der Menschheit und einen R
äuber seines
14838 Gl
ücks. Und doch, konnte man den einen Verr
äter nennen,
14839 der nur zu seinem eigentlichen Vaterland zur
ückkehrte, das ihm
14840 durch ein unverschuldetes Geschick geraubt war? Und welches Recht
14841 hatte er selbst an La? Was entbehrte er
überhaupt? Sie entzog
14842 sich ihm nicht um Ells willen, sie war ebenso lieb und gut wie
14843 fr
üher, ja vielleicht sorgsamer und z
ärtlicher wie je,
14844 sie zeigte ihm in jedem Augenblick, wie wert er ihr war. Aber sie
14845 zeigte es auch Ell. Das st
örte ihn, das emp
örte ihn, sie
14846 aber fand es offenbar ganz in Ordnung. Sie war eine Martierin. Sie
14847 hatte ihn ja gewarnt; wenn er sie liebte, mu
ßte er mit der
14848 Sitte der Martier rechnen. Er aber war ein Mensch
–
14850 <p>Saltner n
äherte sich der breiteren Stra
ße, wo La
14851 wohnte. In seine Gedanken versunken hatte er nicht bemerkt,
14852 da
ß ein Transport der Umzugsgesellschaft ihm entgegenkam. Er
14853 hatte nur gerade noch Zeit, zur Seite auszuweichen und den Zug an
14854 sich vor
überzulassen. Ein Haus, auf breiten Gleitkufen
14855 stehend, wurde von einer Reaktionsmaschine vorw
ärtsgeschoben.
14856 Die Fenster waren geschlossen, es war alles dunkel im Hause. Die
14857 Bewohner schliefen offenbar. Wenn sie am Morgen aufwachten, stand
14858 ihr Haus viele Hunderte von Kilometern entfernt. Nun war die Bahn
14859 wieder frei. Die Stra
ße lag, von den breiten Streifen des
14860 Fluoreszenzlichtes an beiden Seiten erleuchtet, hell vor ihm. Noch
14861 eine Minute, und sein Schlitten war vor ihrem Haus. Ob er sie heute
14862 noch w
ürde sprechen k
önnen? Es war schon ziemlich
14863 sp
ät geworden. Ob er nicht seinen Besuch auf morgen
14864 aufschieben sollte? Er hatte eine dringende Bitte an sie, aber wie,
14865 wenn sie sich dadurch beleidigt f
ühlte? Er mochte gar nicht
14866 daran denken, da
ß auch La ihn abweisen k
önnte.
</p>
14867 <p>Da war das Nachbarhaus, an seinen tulpenartig aufragenden Erkern
14868 kenntlich, und hier
–. Er hielt den Schlitten an. Frus Haus
14869 war verschwunden, die Stelle war leer. Saltner traute seinen Augen
14870 kaum. La war wirklich fortgezogen, ohne ihn zu benachrichtigen?
</p>
14871 <p>Auf dem Rasenplatz, wo das Haus gestanden hatte, zeigte sich
14872 eine Tafel. Sie enthielt nur die Worte:
</p>
14873 <p>»Verzogen
29,
36 nach Mari, Sei
614.
«</p>
14874 <p>Saltner stand ratlos.
29,
36 – das war die Zeit der
14875 Abreise. Er verglich den Kalender, den er sich zur Umrechnung der
14876 martischen Zeit angelegt hatte, da ihm das duodezimale Zahlensystem
14877 und die Angabe der Stunden und Minuten in Bruchteilen immer noch
14878 Schwierigkeiten machte. Seine Uhr zeigte
29,
37 – das war ein
14879 Unterschied von zehn Minuten
–, vor zehn Minuten erst hatte
14880 der Transport des Hauses begonnen. So war es gewi
ß Las
14881 Wohnung gewesen, die er an sich hatte vor
überschieben sehen.
14882 Sie konnte noch nicht weit fort sein. Wenn er seinen leichten
14883 Schlitten in volle Eile versetzte, konnte er den Transport
14884 vielleicht noch einholen, ehe er die Gleitbahn erreichte, die ihn
14885 dann mit gr
ößter Geschwindigkeit davontrug. Schon wandte
14886 Saltner sein Fahrzeug
– doch
– was h
ätte dies
14887 genutzt? Er konnte doch La nicht in der Nacht aus dem Schlaf
14888 st
ören. Nachreisen konnte er auch morgen noch. Er notierte
14889 sich die Adresse. Mari
– er wu
ßte freilich nicht, wo
14890 dieser Staat oder Bezirk lag, ob die Entfernung gro
ß sei
14891 – doch das l
äßt sich ermitteln. Also nach seiner
14892 Wohnung! Er war seit Mittag nicht zu Hause gewesen. Gewi
ß, zu
14893 Hause w
ürde er auch Aufkl
ärung finden, warum La so
14894 pl
ötzlich verzogen war.
</p>
14895 <p>Saltners Wohnung war ganz in der N
ähe. Als er die T
ür
14896 öffnete, flammten die Lampen im Haus auf, und das erste, was
14897 er beim Eintritt ins Zimmer erblickte, war ein Zettel mit den
14898 deutschen Worten:
›Ich sprach ins Grammophon.
14900 <p>Saltner eilte an das Instrument und l
öste den
14901 Verschlu
ß. Das leichte Klopfen ert
önte, womit der Beginn
14902 der Rede angezeigt wird. Dann vernahm er Las melodische, tiefe
14903 Stimme, er glaubte sie vor sich zu sehen, wie sie mit
14904 z
ärtlichem Vorwurf sagte:
</p>
14905 <p>»Wo stecktest du denn, mein geliebter Sal, dreimal habe
14906 ich dich angerufen, bei Frau Torm habe ich dich gesucht
– du
14907 warst aber fortgegangen und sie gleichfalls, da bin ich in deine
14908 Wohnung geeilt, wo du auch nicht bist, und jetzt habe ich nur noch
14909 Zeit, dir schnell ein paar Worte ins Grammophon zu sagen, damit du
14910 nicht denkst, deine La w
äre dir ohne Abschied davongegangen.
14911 Denn h
öre nur! Wir ziehen in einer halben Stunde nach Mari,
14912 Sei
614. Mari liegt ziemlich weit von hier nach S
üdwesten, am
14913 östlichen Rand der W
üste Gol. Gern tu ich
’s nicht,
14914 wie gern w
äre ich bei dir geblieben in unserm sch
önen
14915 Kla! In Mari ist es k
ühler, und das lockt meine Mutter. Aber
14916 der Hauptgrund ist ein anderer. Ihr b
ösen Menschen seid an
14917 allem schuld! Auf Gol werden die Versuche zum Schutz der
14918 Luftschiffe gegen die Gesch
ütze der Menschen abgehalten, und
14919 dort kommt der Vater noch einmal hin, so da
ß wir vor seiner
14920 Erdreise noch Abschied nehmen k
önnen. Bis hierhin w
ürde
14921 es zu weit sein f
ür ihn. Dort werden wir auch Se noch einmal
14922 sehen. Leb also wohl, mein lieber Freund! Wir k
önnen alle Tage
14923 miteinander sprechen. Morgen zwischen drei und vier werde ich dich
14924 ansprechen, sei also zu Hause. Ich erwarte dich vorl
äufig
14925 nicht in Sei, man w
ürde deine Reise dahin nicht gern sehen.
14926 Aber wenn erst die Raumschiffe fort sind und mehr Ruhe bei uns
14927 herrscht, dann wirst du uns hoffentlich besuchen. Also auf
14928 Wiederh
ören morgen! Deine La.
«</p>
14929 <p>Saltner hatte mit angehaltenem Atem gelauscht. Nun stellte er
14930 den Apparat zur
ück und lie
ß sich die Abschiedsworte Las
14931 noch einmal sagen. Dann dachte er lange dar
über nach. Allerlei
14932 Fragen dr
ängten sich ihm auf.
</p>
14933 <p>An die W
üste Gol erinnerte sich Saltner; La hatte sie ihm
14934 gezeigt, als das Raumschiff, das ihn nach dem Mars brachte, sich
14935 der Au
ßenstation n
äherte. Sie war der gro
ße helle
14936 Fleck, nicht sehr weit vom S
üdpol, den die Astronomen der Erde
14937 die Insel Thyle I nannten. Sein Weg vom Pol nach Kla f
ührte
14938 nicht weit davon vor
über, weil der direkte Weg damals im
14939 ersten Sommer noch durch Schnee unbequem gemacht war. Er erinnerte
14940 sich, da
ß er auf seiner Fahrt aus dem Fenster des Eilzugs zu
14941 seinem Erstaunen im ersten Morgengrauen wolken
ähnliche Gebilde
14942 gesehen hatte, fern im Westen am Horizont, und da
ß man ihm
14943 gesagt hatte, da
ß dies die Morgennebel auf dem Hochplateau
14944 der W
üste Gol seien. Auch da
ß die Versuche mit den
14945 weittragenden Gesch
ützen der Erdbewohner dort vorgenommen
14946 wurden, hatte er geh
ört. Die Martier hatten f
ür derartige
14947 Schie
ßpl
ätze nur auf ihren W
üsten Raum, und Gol lag
14948 dem S
üdpol am n
ächsten. Aber warum mu
ßte La ihre
14949 Abreise so beschleunigen? Sie sagte, um ihren Vater noch einmal zu
14950 sehen. Also mu
ßte Fru sehr bald, wohl morgen schon, dort
14951 erwartet werden, und daraus war zu schlie
ßen, da
ß auch
14952 das Raumschiff bald abgehen werde. Er hatte somit keine Zeit zu
14953 verlieren, wenn er La noch pers
önlich vor Abgang des Schiffes
14954 sprechen wollte. Warum aber, wenn es sich blo
ß um ein
14955 Zusammentreffen mit dem Vater handelte, war sie mit dem ganzen Haus
14956 übergesiedelt? Es war doch noch ziemlich fr
üh, um eine so
14957 s
üdlich gelegene Sommerfrische aufzusuchen. Und warum sollte
14958 er ihr nicht nachkommen? Und was bedeutete diese hingeworfene
14959 Bemerkung
über Se?
</p>
14960 <p>Doch
über diese Fragen nachzudenken, war noch Zeit auf der
14961 Reise; denn La nachzueilen, um sie zu sprechen, dazu war Saltner
14962 sofort entschlossen. Was er mit ihr zu beraten, von ihr zu erbitten
14963 hatte, das konnte er nicht telephonisch erledigen, dazu mu
ßte
14964 er ihr Aug
’ in Auge sehen; f
ürchtete er doch mit gutem
14965 Grund, da
ß auch sie sich weigern w
ürde. Aber diesem
14966 Schritt, der ihm schwer genug wurde, konnte und durfte er sich
14967 nicht entziehen, und er mu
ßte sofort geschehen, solange noch
14968 das Raumschiff den Mars nicht verlassen hatte. Er hatte Isma das
14969 Versprechen gegeben, La um Hilfe anzugehen, das mu
ßte er
14970 halten. Wichtigeres jedoch lag ihm selbst am Herzen. Er hielt es
14971 f
ür seine Pflicht, die Staaten der Erde von den
14972 Ma
ßnahmen der Martier zu unterrichten. Er erinnerte sich
14973 jenes Wortes von Grunthe, da
ß sie Kundschafter seien, an
14974 deren getreuen Diensten vielleicht das Wohl und Wehe der
14975 zivilisierten Erde hinge. Nicht von den Erkl
ärungen allein,
14976 welche die Regierung der Martier abzugeben belieben w
ürde,
14977 sollten die Menschen erfahren, sondern auch von den Ansichten, die
14978 hier auf dem Mars in der gro
ßen Antibatenpartei herrschten,
14979 und von dem Urteil, das er, als Mensch,
über das Vorgehen der
14980 Martier sich gebildet hatte. Er mu
ßte versuchen, seine von
14981 den Martiern nicht kontrollierten Briefe nach der Erde zu
14982 bef
ördern, selbst in der schmerzlichen Aussicht, sich La zu
14984 <p>Sie hatte gesagt:
»Ich erwarte dich vorl
äufig nicht
14985 in Sei, man w
ürde deine Reise hierher nicht gern sehen.
«
14986 Er lie
ß sich die Worte noch einmal wiederholen. Das war also
14987 eine Meinungs
äu
ßerung Las, ein Rat vielleicht, kein
14988 direktes Verbot. Warum hatte sie sich so unbestimmt
14989 ausgedr
ückt, nicht mit der gewohnten Klarheit? Folgte sie
14990 vielleicht einem fremden Wunsch, der mit dem eigenen nicht
14991 übereinstimmte, oder war sie mit sich selbst im Zwiespalt?
14992 »Man w
ürde deine Reise nicht gern sehen.
« Wer ist
14993 das
›man
‹? Sie hat also nicht gesagt, da
ß sie
14994 selbst sie nicht gern sehen w
ürde. Das
›man
‹
14995 aber, die andern, also wohl die Regierung, die Martier, Ill, Ell
14996 und wer sonst, was ging ihn das an? Sie sollten nicht eher davon
14997 erfahren, als bis er dort w
äre; hatte er erst mit La
14998 gesprochen, so war ihm alles
übrige gleichg
ültig. Also
14999 vor allen Dingen sofort nach Mari!
</p>
15000 <p>Saltner war m
üde, er h
ätte sich gern niedergelegt.
15001 Aber zum Schlafen hatte er unterwegs Zeit. Er wu
ßte,
15002 da
ß die Personenbef
örderung auf gro
ße Entfernungen
15003 mit den schnellen Radbahnen alle Stunden stattfand, er konnte also
15004 jede Stunde abreisen. Seine Vorbereitungen waren schnell erledigt,
15005 eine kleine Handtasche, der Reisepelz, den er noch von der Erde
15006 mitgebracht, und sein
›Energieschwamm
‹, das ist sein
15007 Kapital, aus welchem er die im Geldverkehr
übliche M
ünze
15008 abzapfen mu
ßte. Es war dies eine B
üchse mit einem
15009 äu
ßerst feinen und dichten Metallpulver, das in seinen
15010 Poren den h
öchst kondensierten
Äther enthielt und dadurch
15011 eine bestimmte Arbeitsmenge repr
äsentierte. Ein Gramm dieses
15012 Pulvers hatte einen Wert von etwa f
ünftausend Mark, denn eine
15013 gleichwertige Arbeitskraft konnte man in dem geeigneten Apparat
15014 daraus entwickeln. Diese W
ährungseinheit hie
ß ein
15015 ›Eck
‹ und war zugleich das Zehntausendfache der
15016 Strahlungseinheit. Man pflegte sich ein bis zwei Zentigramm,
15017 f
ünfzig bis hundert Mark, in die im Kleinverkehr
15018 gebr
äuchliche M
ünze einzuwechseln, was in jedem offenen
15019 Gesch
äft geschehen konnte.
</p>
15020 <p>Die Personenbef
örderung auf den Radbahnen, die aber nur auf
15021 Strecken
über dreihundert Kilometer stattfand, war sehr
15022 bequem, und Saltner wu
ßte damit Bescheid. Um Fahrpl
äne,
15023 Anschl
üsse und dergleichen brauchte man sich nicht zu
15024 k
ümmern. Die Bef
örderung war ungef
ähr in derselben
15025 Weise geordnet wie diejenige der Briefe auf der Erde. Die
15026 Überf
ührung der Passagiere an den Kreuzungsstrecken fand
15027 ohne Zutun derselben auf dem k
ürzesten Weg durch die
15028 Bahnverwaltung statt.
</p>
15029 <p>Saltner begab sich nach der n
ächsten Station, die er mit
15030 Hilfe der Stufenbahn in einer Viertelstunde erreichte. Hier
15031 standen, in langen Reihen aufgestellt, die Reisecoup
és;
15032 Schalter, Billets, Schaffner, alles dies gab es nicht. Ein einziger
15033 Beamter achtete darauf, da
ß, sobald eine Anzahl Coup
és
15034 besetzt war, sofort neue herbeigeschoben wurden. Jede Person nahm
15035 ein solches Coup
é f
ür sich in Anspruch. Sie waren etwa
15036 einundeinviertel Meter breit, zweieinhalb Meter lang und drei Meter
15037 hoch. Sie bildeten also eine Kammer von ausreichender
15038 Gr
öße f
ür eine Person und waren mit allen
15039 Reisebequemlichkeiten versehen. Ein Handgriff gen
ügte, um den
15040 vorhandenen Sessel und Tisch in ein bequemes Bett zu verwandeln.
15041 Auch ein Automat, der gegen Einwurf der betreffenden M
ünzen
15042 Speise und Trank lieferte, fehlte nicht. Der Eingang zum
15043 Coup
é war von der schmalen Seite aus. Sie standen auf
15044 Gleitkufen und wurden vor Abgang der Z
üge ger
äuschlos auf
15045 die Wagen der Radbahn geschoben.
</p>
15046 <p>Saltner trat vor ein unbesetztes Coup
é, zog einen Thekel,
15047 eine Goldm
ünze im Wert von etwa zehn Mark, aus der Tasche und
15048 steckte sie in die hierzu angebrachte
Öffnung an der T
ür.
15049 Die bisher verschlossene T
ür sprang auf, und Saltner trat ein.
15050 Die Zeit des Eintritts markierte sich selbstt
ätig an der
15051 T
ür, und Saltner hatte nunmehr das Recht erhalten, sich einen
15052 vollen Tag lang in dem Coup
é aufzuhalten und hinfahren zu
15053 lassen, wohin er Lust hatte.
</p>
15054 <p>Aus einem im Wagen befindlichen K
ästchen nahm er ein
15055 kleines K
ärtchen, um die Adresse seines Coup
és, sein
15056 Reiseziel, daraufzuschreiben. Jetzt stutzte er einen Augenblick.
15057 Gen
ügte auch die Angabe
›Mari Sei
‹? Wenn es
15058 vielleicht noch ein anderes Mari gab, und er, statt in der
15059 N
ähe des S
üdpols, sich am
Äquator oder am Nordpol
15060 wiederfand? Aber das Coup
é war selbstverst
ändlich mit
15061 der erforderlichen Bibliothek versehen. Es fand sich da das
15062 Meisterwerk statistischer und tabellarischer Kunst, das
15063 Mars-Kursbuch, in welchem die Bef
örderungszeiten, Wege und
15064 Reisedauer angegeben waren. Durch eine h
öchst scharfsinnig
15065 konstruierte, verschiebbare Tabelle konnte man die Wegdauer
15066 zwischen je zwei beliebigen Stationen sofort finden. Als Saltner
15067 ›Mari
‹ nachschlug, fand er, da
ß es allerdings
15068 noch einen Bezirk gleichen Namens auf der n
ördlichen Halbkugel
15069 gab und da
ß er die Bezeichnung
›Gol
‹
15070 beizuf
ügen hatte. Er schrieb also die Adresse auf das kleine
15071 K
ärtchen und steckte dies in einen hierzu bestimmten Rahmen im
15072 Innern der T
ür. Dadurch erschien die Adresse stark
15073 vergr
ößert und hell beleuchtet au
ßen an der
15074 T
ür. Ein leises Summen begann gleichzeitig. Dies dauerte so
15075 lange, bis der Wagen die Station verlassen hatte, und diente als
15076 Merkzeichen f
ür den Reisenden, da
ß er nicht etwa bei der
15077 Abholungszeit
übersehen war. Wenn es wieder begann, so war es
15078 das Signal, da
ß das Reiseziel nach Angabe der Adresse
15080 <p>Saltner hatte aus dem Kursbuch ersehen, da
ß seine Reise
15081 acht Stunden in Anspruch nehmen w
ürde, denn die Entfernung
15082 betrug etwa
3.000 Kilometer. Es war jetzt bald Mitternacht, er traf
15083 also am Vormittag ziemlich zeitig auf der Station Mari ein.
15084 Übrigens brauchte er sich nicht darum k
ümmern, ob er zur
15085 rechten Zeit erwache, da sein Coup
é so lange auf der Station
15086 halten blieb, bis er die Adresse entfernt hatte oder der ganze
15087 bezahlte Tag abgelaufen war. Aber er wu
ßte nicht, wie weit er
15088 noch von der Bahnstation nach Las Wohnort habe. Dar
über wollte
15089 er sich am Morgen w
ährend der Fahrt vergewissern, da die
15090 Bibliothek des Coup
és genaue Reisehandb
ücher
über
15091 alle Teile des Mars enthielt. Fr
üher als am Nachmittag konnte
15092 er indessen nicht darauf rechnen, La anzutreffen, weil die
15093 Bef
örderung des Hauses, die auf der Gleitbahn stattfand,
15094 mindestens die doppelte Zeit in Anspruch nehmen mu
ßte als
15095 seine Eilfahrt.
</p>
15096 <p>Jetzt zog er den Handgriff, welcher das Coup
é in ein
15097 Schlafzimmer umgestaltete, und legte sich zu Bett. Kein
15098 Schienenrasseln, kein Pfiff, kein Ruf und Signal st
örte ihn.
15099 Er merkte noch, da
ß das leise Summen aufgeh
ört und er
15100 somit seine Fahrt angetreten hatte. Er dachte, es sei doch eine
15101 gute Einrichtung, da
ß hier jeder f
ür zehn Mark seinen
15102 eigenen Salonwagen haben k
önne, bequemer, als es sich auf der
15103 Erde ein F
ürst leisten kann. Dreitausend Kilometer
–.
15104 Und es fiel ihm ein, das war gerade die Entfernung von Ses Wohnort
15105 –. Ob der wohl in der N
ähe war? La wollte sie ja wieder
15106 sehen. Wie lange hatte auch er sie nicht gesehen, obwohl gesprochen
15107 – aber sehen
–. Saltner entschlummerte, w
ährend
15108 sein Coup
é, auf dem Radwagen stehend, unter den
15109 H
äuserreihen zwischen geradlinigen Kan
älen nach
15110 S
üdwesten jagte.
</p>
15111 <h2>37 - Die W
üste Gol
</h2>
15112 <p>Saltner hatte Se nicht wiedergesehen, seitdem er mit Frus die
15113 Reise nach Kla angetreten hatte. Aber er hatte
öfter mit ihr
15114 telephonisch gesprochen
– wenn sie ihn anrief, und auch dies
15115 war in der letzten Zeit seltener geschehen. Solange er mit La
15116 zusammen war, verbla
ßte der Eindruck, den sie auf ihn gemacht
15117 hatte, und La sprach mit ihm nach ihrer Gewohnheit fast niemals
15118 über Se. Das letzte, was er von Se geh
ört hatte, war ihre
15119 erneute Einberufung zum Dienst in der chemisch-technischen
15120 Abteilung des Arbeitsheeres.
</p>
15121 <p>Nicht nur die M
änner, sondern auch die Frauen bildeten sich
15122 auf dem Mars f
ür einen besonderen Beruf aus, doch bestand
15123 zwischen der Art dieser Ausbildung und des Betriebes der
15124 Berufsarten zwischen beiden Geschlechtern ein wesentlicher
15125 Unterschied. Nichts lag den Martiern ferner als der Gedanke einer
15126 schablonenhaften Gleichmacherei; Gleichheit gab es f
ür sie nur
15127 im Sinne der gleichen Freiheit der Bestimmung als
15128 Pers
önlichkeit, aber die tats
ächlichen Verh
ältnisse
15129 gestalteten sich durchaus verschieden nach dieser Selbstbestimmung.
15130 Die Frauen erw
ählten daher Berufsarten, die ihren
15131 Eigent
ümlichkeiten entsprachen und ihnen insbesondere eine
15132 gewisse Freiheit in der Wahl der Arbeitsstunden gestatteten. Se
15133 hatte einen wissenschaftlichen und praktischen Kursus in der Chemie
15134 durchgemacht. Da die Herstellung aller Nahrungsmittel auf dem Mars
15135 chemische Studien voraussetzte, war dies unter den Martierinnen
15136 einer der verbreitetsten Berufszweige. In dieser Eigenschaft war Se
15137 auch, als sie ihre einj
ährige Arbeitspflicht abzuleisten
15138 hatte, in die chemische Arbeitsabteilung eingetreten und auf ihren
15139 Antrag der Erdstation zugeteilt worden. Sie war nicht, wie La, in
15140 Begleitung ihrer Eltern, sondern in ihrer eigenen Dienstleistung
15141 nach der Erde gegangen. Auf Grund dieser besonderen Anstrengung
15142 konnte sie nach der R
ückkehr auf zwei Monate beurlaubt werden.
15143 Dieser Urlaub war nun vor
über, und sie hatte noch einige
15144 Monate ihrer Dienstzeit zu absolvieren. Sie war jetzt aber von der
15145 Abteilung f
ür Lebensmittel in die artilleristische Abteilung
15146 versetzt worden und bei den neuen Versuchen besch
äftigt, zu
15147 denen der Konflikt mit den Engl
ändern die Martier
15148 veranla
ßt hatte. Saltner hatte davon nur soviel geh
ört,
15149 da
ß man entdeckt hatte, wie das Repulsit in eine neue
15150 Verbindung mit ganz wunderbaren Eigenschaften umgewandelt werden
15151 konnte, die man jedoch, wenigstens ihm gegen
über, bisher als
15152 Geheimnis behandelte. Se hatte damit zu tun, sie wohnte daher jetzt
15153 seit einer Woche ebenfalls am Rand der W
üste Gol, zwar nicht
15154 in Mari, aber dicht an der Grenze, im Bezirk Hed.
</p>
15155 <p>Als Saltner durch das Sch
ütteln seines Kopfkissens
15156 erwachte, dessen R
üttel-Wecker er auf eine Stunde vor seiner
15157 Ankunft
– nach seiner gewohnten Rechnung sieben Uhr morgens
15158 – gestellt hatte, zog er den Fenstervorhang beiseite und sah
15159 zu seiner Verwunderung, da
ß der Tag noch nicht angebrochen
15160 war. Er hatte nicht ber
ücksichtigt, da
ß er nach Westen
15161 fuhr und daher an seinem Reiseziel die Ortszeit um etwa vier
15162 Stunden zur
ück sei. Er w
ürde etwa um Sonnenaufgang in Sei
15163 ankommen. Dennoch machte er Toilette, benutzte den
15164 Fr
ühst
ücksautomaten und begann, sich aus dem
15165 Reisehandbuch
über den Staat Mari zu unterrichten. Er erkannte
15166 daraus, da
ß Sei unmittelbar am Abhang der W
üste Gol
15167 l
äge und die Station ebenfalls, aber ungef
ähr hundert
15168 Kilometer s
üdlicher. Die Radbahn zog sich in einer Strecke von
15169 dreihundert Kilometern direkt am Ostabhang der W
üste Gol hin,
15170 so da
ß er diese zur Rechten hatte. Um nach Sei zu gelangen,
15171 wo die Radbahn nicht anhielt, mu
ßte er von der Station aus
15172 die letzten hundert Kilometer auf der Stufenbahn zur
ückfahren.
15173 Da ihm die Wege und die Lage der Wohnung Las nicht genau bekannt
15174 waren, mu
ßte er eine Stunde auf den Weg von der Station bis
15175 zum Haus rechnen. Es blieben ihm also noch ungef
ähr sechs
15176 Stunden zur freien Verf
ügung, da er nicht eher bei La
15177 eintreffen wollte, als zu der Zeit, die sie zur telephonischen
15178 Unterhaltung bestimmt hatte. Er nahm an, da
ß sie diese Zeit
15179 gew
ählt habe, weil sie dann sicher in ihrem neuen Wohnort
15180 angekommen sei.
</p>
15181 <p>Das Fenster seines Coup
és, welches der T
ür
15182 gegen
überlag, sah nach Osten. Noch konnte er keinen Schimmer
15183 der D
ämmerung erkennen, die freilich auf dem Mars nur kurz und
15184 schwach war. Dennoch lag
über der Gegend ein r
ötliches
15185 Licht, das er sich nicht erkl
ären konnte. Die Monde des Mars
15186 gaben keinen derartigen Schein. Wo die Reihe der H
äuser, unter
15187 denen der Zug fortraste, unterbrochen war, und das war in dieser
15188 Gegend mehrfach der Fall, sah er, da
ß das r
ötliche Licht
15189 von Westen her auf die hier weniger dicht belaubten
15190 Riesenb
äume einfiel. Um nach der Seite zu sehen, auf welcher
15191 die W
üste Gol lag, mu
ßte Saltner die T
ür seines
15192 Coup
és
öffnen. Sie f
ührte auf den schmalen
15193 Wandelgang, der sich durch den Wagen hinzog. Hier konnten die
15194 Insassen der Coup
és sich ergehen. Hier sah man durch die
15195 gro
ßen Fenster, als der Zug eine H
äuserl
ücke
15196 passierte, die Felsenmauern der W
üste dunkel aufragen,
15197 über ihnen aber lag eine rosig gl
änzende Lichtschicht.
15198 Die Nebel
über der W
üste, in ihrer H
öhe von mehreren
15199 tausend Metern, waren bereits von der Morgensonne beleuchtet.
</p>
15200 <p>Der Beamte, welcher den Radwagen begleitete, durchschritt den
15201 Wandelgang und sagte zu jedem der wenigen sich hier aufhaltenden
15202 Passagiere leise:
»Bitte einzusteigen.
« Der Zug
15203 n
äherte sich der Station, und w
ährend des Haltens auf
15204 dieser mu
ßte sich jeder in seinem Coup
é befinden, er
15205 verlor sonst das Recht der Weiterbef
örderung. Denn sobald der
15206 Wagen hielt, klappte die ganze Seitenwand herab und die einzelnen
15207 Coup
és wurden mit gro
ßer Gewandtheit sortiert, um je
15208 nachdem auf der Station zu bleiben oder auf die kreuzenden Linien
15209 übergef
ührt zu werden. Bald verriet das erneute leise
15210 Summen an seiner T
ür Saltner, da
ß sein Bestimmungsort,
15211 die Station Mari, erreicht war. Er packte seine Sachen zusammen und
15212 trat aus dem Coup
é ins Freie. Er fand die Luft so kalt,
15213 da
ß er seinen Pelz umhing. Es waren nur wenige Coup
és
15214 auf der Station zur
ückgeblieben, und ihre Insassen waren noch
15215 nicht zum Vorschein gekommen; sie schienen es vorzuziehen, ihren
15216 Schlaf nicht vorzeitig zu unterbrechen. W
ährend Saltner noch
15217 unschl
üssig stand, was er jetzt beginnen solle, trat jedoch
15218 aus einem der Coup
és ein Fahrgast, der, nachdem er einen
15219 Blick auf den Himmel geworfen hatte, dem Ausgang der Station
15220 zuschritt wie jemand, der genau mit der
Örtlichkeit vertraut
15221 ist. Er trug das dunkle Arbeitskleid eines Bergmanns und schien
15222 keine Zeit zu verlieren zu haben. Saltner gedachte ihn anzureden
15223 und folgte vorl
äufig seinen Schritten. Der Bergmann
15224 überschritt die hinter der Station vor
überf
ührende
15225 Stufenbahn auf einer Br
ücke und trat dann in den Eingang eines
15226 Hauses. Da Saltner hier z
ögerte und der Martier bemerkte,
15227 da
ß ihm Saltner gefolgt war, wandte er sich nach ihm um und
15229 <p>»Wenn Sie noch zum Sonnenaufgang hinaufwollen, m
üssen
15230 Sie sich beeilen, der Wagen geht gleich ab.
«</p>
15231 <p>»Ich bin ganz fremd hier
«, erwiderte Saltner.
15232 »Wenn Sie erlauben, schlie
ße ich mich Ihnen
15234 <p>Der Bergmann machte eine h
öfliche Bewegung und ging voran.
15235 Sie gelangten an einen gondelartig gebauten Wagen, welcher die
15236 Aufschrift trug:
›Abarische Bahn nach der Terrasse
‹.
15237 Saltner stieg mit dem Martier ein, ein Schaffner nahm ihnen eine
15238 kleine Fahrgeb
ühr ab. Der Wagen, der nur schwach besetzt war,
15239 begann sehr bald sich zu bewegen. Er glitt erst mit schwacher
15240 Steigung aufw
ärts, dann, als die fast senkrecht abfallende
15241 Felswand der W
üste erreicht war, sehr steil empor, indem er
15242 sich durch seine Schwerelosigkeit erhob. Ein Drahtseil, an dem er
15243 hinglitt, schrieb ihm die Bahn vor. Vorspringende Felsw
ände
15244 verhinderten den Umblick. Die ganze Fahrt dauerte nur wenige
15245 Minuten. Die Einrichtung war, wie Saltner erfuhr, noch nicht lange
15247 <p>Als Saltner den Wagen verlie
ß, fand er sich auf einer
15248 kahlen Felsstufe, die sich, so weit er sehen konnte, in
15249 n
ördlicher wie s
üdlicher Richtung einige hundert Schritt
15250 breit hinzog. Sie war mit zahlreichen Baulichkeiten bedeckt, die
15251 meist elektrische Schmelz
öfen enthielten. In der ganzen
15252 L
ängserstreckung der Terrasse lief ein Bahngeleis hin. Sie war
15253 eine Stufe am
östlichen Abfall der W
üste Gol. Nach Westen
15254 hin erhob sich das Gebirge noch weiter und trug das Hochplateau der
15255 W
üste, die sich in einer Erstreckung von etwa
600 Kilometer
15256 von Norden nach S
üden und
1.000 Kilometer nach Westen hin
15257 ausdehnte.
Über derselben gl
änzten, in ihren oberen
15258 Schichten hell beleuchtet, gro
ße Wolkenmassen, die sich in
15259 der Nacht gebildet hatten, jetzt aber schon unter den Strahlen der
15260 Sonne zu schwinden begannen.
</p>
15261 <p>Als sich Saltner dem Tal zuwendete, bot sich ihm ein herrlicher
15262 Anblick. Sein Auge schweifte weithin
über die Landschaft, die
15263 vom Widerschein der erleuchteten Nebel schwach erhellt war. Nur im
15264 S
üdosten erhob sich ein heller r
ötlicher Schimmer, das
15265 baldige Nahen der Sonne anzeigend. Zwischen dem gr
ünlichen
15266 Grau der Baumkronen, auf die er hinabblickte, zogen sich, noch
15267 k
ünstlich erleuchtet, die geradlinigen Streifen breiter
15268 Stra
ßen hin. Am dunkeln, klaren Himmel standen die Sterne,
15269 einer aber von ihnen, gerade im Osten, strahlte mit besonders
15270 hellem Licht, ein gl
änzender Morgenstern. Saltner konnte sich
15271 von seinem Anblick nicht losrei
ßen. Ein tiefes Heimweh
15272 ergriff ihn. Zum erstenmal seit seiner Landung auf dem Mars sah er
15273 die Erde wieder.
</p>
15274 <p>Die Stimme des Bergmanns, der sich zu ihm gesellte, weckte ihn
15275 aus seiner Tr
äumerei.
</p>
15276 <p>»Nicht wahr
«, sagte dieser,
»das ist
15277 sch
ön. Da unten sieht man das nicht vor lauter B
äumen,
15278 oder man mu
ß erst zwischen die Maschinen auf die D
ächer
15279 steigen. Jetzt ist die Ba am hellsten, Sie haben sie wohl noch nie
15280 so deutlich gesehen? Die letzten Monate hat sie zu nahe an der
15281 Sonne gestanden.
«</p>
15282 <p>»Ich habe sie schon ganz in der N
ähe gesehen
«,
15283 sagte Saltner,
»denn ich bin schon dort gewesen.
«</p>
15284 <p>»So, so
«, erwiderte der Bergmann lebhaft,
»da
15285 sind Sie also ein Raumschiffer. Das freut mich, da
ß ich
15286 einmal einen treffe, ich habe n
ämlich noch keinen gesehen.
15287 Mu
ß ein seltsames Handwerk sein! Sie kamen mir gleich so
15288 fremdartig vor, einen solchen Mantel sah ich noch nie.
«</p>
15289 <p>»Der ist von dem Fell der Tiere, wie sie auf der Erde
15291 <p>Der Bergmann bef
ühlte neugierig das Pelzwerk.
</p>
15292 <p>»Da sagen Sie mir doch
«, begann er wieder,
15293 »ist es denn wahr, was die Zeitungen jetzt so viel schreiben,
15294 da
ß es dort auch Nume gibt? Ich meine, so wie wir, mit
15295 Vernunft?
«</p>
15296 <p>»Etwas Vernunft m
ögen sie schon haben.
«</p>
15297 <p>Der Bergmann sch
üttelte den Kopf.
»Viel wird es wohl
15298 nicht sein
«, sagte er.
»Warum w
ären sie sonst
15299 nicht schon zu uns gekommen? Wir glauben n
ämlich hier nicht
15300 recht daran, da
ß dort viel zu holen ist, wir meinen, die
15301 Regierung nimmt nur jetzt den Mund recht voll, weil n
ächstes
15302 Jahr Wahlen zum Zentralrat sind. Da hei
ßt es, wenn wir auf
15303 die Erde gehen, da k
önnen wir die Sonne sozusagen mit
15304 H
änden greifen, da bekommen wir soviel Geld, da
ß jeder
15305 den doppelten Staatszuschu
ß erh
ält.
«</p>
15306 <p>Saltner zuckte pl
ötzlich zusammen und wandte sich ab. Ohne
15307 da
ß die D
ämmerung sich merklich verst
ärkt
15308 h
ätte, hatte unvermittelt ein blendender Sonnenstrahl seine
15309 Augen getroffen. Das aufgehende Gestirn beschien die Terrasse, und
15310 bald verbreitete sich sein Licht auch
über die tieferliegenden
15312 <p>Der Bergmann verabschiedete sich, er m
üsse nun an die
15313 Arbeit. Saltner begleitete ihn noch ein St
ück. So stark wirkte
15314 die Sonnenstrahlung, da
ß schon jetzt Saltner seinen Pelz
15315 nicht ertragen konnte. Er lie
ß ihn auf der Station
15317 <p>Die Nebel von den H
öhen hatten sich verzogen. Saltner
15318 wandelte die Lust an, die felsigen Abh
änge hinaufzuklimmen.
15319 Das Steigen in der geringen Schwere des Mars schien ihm ein
15320 Kinderspiel. Zun
ächst aber ging er mit dem Bergmann bis an den
15321 Eingang des Stollens, in welchem dieser zu tun hatte.
Überall
15322 sah man auf der Terrasse diese
Öffnungen, die zu den
15323 Mineralsch
ätzen des Berges f
ührten.
</p>
15324 <p>Im Gespr
äch erfuhr Saltner, da
ß der Bergmann auf
15325 einige Zeit unten im Lande gewesen war, um seinen Sohn zu besuchen,
15326 der auf der Schule studierte, und da
ß man sich hier in der
15327 Tat wieder ganz andere Vorstellungen von der Erde machte als im
15328 politischen Zentrum des Planeten. Man glaubte, da
ß man nur
15329 nach der Erde zu gehen brauche, um alsbald mit unerme
ßlichen
15330 Sch
ätzen zur
ückzukehren. Die Jugend hatte sich daher
15331 massenhaft gemeldet, um nach der Erde mitgenommen zu werden. Der
15332 Bergmann verhielt sich dagegen durchaus skeptisch und hatte seine
15333 Reise haupts
ächlich unternommen, um seinen Sohn von der
15334 beabsichtigten Erdfahrt zur
ückzuhalten. Er sah jetzt,
15335 da
ß er sich die M
ühe h
ätte sparen k
önnen, denn
15336 die Regierung hatte alle diese Meldungen rundweg abgeschlagen.
</p>
15337 <p>Eine andere Ma
ßregel aber hatte die Erdkommission
15338 getroffen, von der Saltner nur durch diese zuf
ällige
15339 Unterhaltung erfuhr. Die Marsstaaten besa
ßen zwar ein
15340 stehendes Arbeitsheer, aber keine Soldaten, da Kriege und
15341 kriegerische
Übungen bei ihnen als eine l
ängst veraltete
15342 Barbarei galten. Sie hatten nur eine Art Polizeitruppe zur
15343 Aufrechterhaltung der Ordnung in besonderen F
ällen.
</p>
15344 <p>Es entstand nun die Verlegenheit, woher die Leute zu nehmen
15345 seien, welche das technische Personal unterst
ützen sollten,
15346 falls es zu einem wirklichen Krieg mit den Menschen, zu einer
15347 l
ängeren milit
ärischen Aktion auf der Erde kommen sollte.
15348 Dazu geh
örte eine Gew
öhnung an gro
ße
15349 k
örperliche Strapazen, eine Abh
ärtung, wie sie die
15350 Martier im allgemeinen nicht besa
ßen. Man hatte deswegen an
15351 die k
ühnen und rauhen Bewohner der W
üsten, an die Beds
15352 gedacht. Man wollte dieselben anwerben und f
ür den Dienst auf
15353 der Erde ausbilden. Die Aufforderung an sie war ergangen. Diese
15354 Nachricht erf
üllte Saltner mit Besorgnis. Von diesen Leuten
15355 war zu bef
ürchten, da
ß sie als Sieger ein weniger zartes
15356 Gewissen haben w
ürden als die eigentlichen Tr
äger der
15357 Kultur, die hochgebildeten Nume. Er sah sich dadurch nur in seiner
15358 Absicht best
ärkt, seine Landsleute vor der Gr
öße
15359 der drohenden Gefahr zu warnen.
</p>
15360 <p>Der Bergmann war an seinem Ziel. Er empfahl Saltner, wenn er das
15361 Plateau der W
üste selbst besuchen wolle, bis zur n
ächsten
15362 Station der Terrassenbahn zu fahren und die von dort nach oben
15363 f
ührende Bergbahn zu benutzen. Auf keinen Fall solle er sich
15364 vom Rand der W
üste entfernen, da auf derselben nichts zu
15365 finden sei als die gro
ßen Strahlungsnetze und in einigen
15366 schwer zug
änglichen Schluchten die
ärmlichen Wohnsitze
15368 <p>Saltner befolgte den Rat insofern, als er die Terrassenbahn
15369 benutzte und mit dieser ein weites St
ück nach S
üden fuhr.
15370 Unterwegs brachte er n
ämlich in Erfahrung, da
ß er hier
15371 eine Station
›Kast
‹ erreichen k
önne, welche
15372 direkt
über Sei lag, so da
ß er von da aus abw
ärts
15373 nur noch eine Viertelstunde bis zu Las Wohnort hatte. Auf diese
15374 Weise stand ihm gen
ügend Zeit zur Verf
ügung, um das
15375 Plateau zu ersteigen. Allerdings f
ührte von hier keine Bahn
15376 hinauf, aber es lag ihm viel mehr daran, durch eine
15377 Fu
ßwanderung die seltsame Gebirgsbildung kennenzulernen.
</p>
15378 <p>In einer steil herab ziehenden engen Schlucht klomm er rasch
15379 aufw
ärts. Einige unten besch
äftigte Leute riefen ihm
15380 etwas nach, das er nicht verstand, es schien ihm eine Warnung zu
15381 sein, nicht mit so gro
ßer Geschwindigkeit aufw
ärts zu
15382 springen; aber diese Martier konnten ja nicht wissen, da
ß er
15383 auf Erden gewohnt war, ein dreimal so gro
ßes Gewicht auf noch
15384 ganz andere H
öhen zu schleppen. Die W
ände der Schlucht
15385 verdeckten ihm zwar die Aussicht nach der Seite und, da die
15386 Schlucht nicht gerade verlief, auch nach oben und unten, aber sie
15387 sch
ützten ihn daf
ür vor den Strahlen der Sonne. Und er
15388 sah bald, da
ß er ohnedies nicht weit gekommen w
äre. Denn
15389 wo die Sonne das Gestein traf, gl
ühte es so, da
ß man es
15390 mit der blo
ßen Hand kaum ber
ühren konnte. Im Schatten
15391 aber war die Luft k
ühl.
</p>
15392 <p>Etwa dreiviertel Stunden mochte er so gestiegen sein, als die
15393 W
ände der Schlucht sich verflachten; er n
äherte sich dem
15394 Rand des Plateaus. Mitunter war es ihm, als h
öre er in der
15395 Ferne ein Ger
äusch wie Donner, er schob es auf Sprengungen in
15396 den Bergwerken. Jetzt h
örte der Schatten auf. Zwischen
15397 Felstr
ümmern mu
ßte er sich emporarbeiten. Der
15398 Schwei
ß rann ihm von der Stirn, er empfand heftigen Durst,
15399 und noch immer wollte sich die ebene Hochfl
äche nicht zeigen.
15400 Da endlich erkannte er einen Gegenstand, der wohl nur das Dach
15401 eines Geb
äudes sein konnte. Er eilte darauf zu, und
15402 pl
ötzlich blickte er auf eine weite Ebene, nur hier und da von
15403 einzelnen Felsriegeln unterbrochen. Eben wollte er, aus den
15404 Felstr
ümmern des Absturzes heraussteigend, den Rand des
15405 Plateaus betreten, als er sich durch einen Draht von wei
ßer
15406 Farbe gehemmt sah, der an diesem Rand sich hinzog. Er achtete nicht
15407 darauf, sondern
überstieg ihn. Die Sonne, gegen die kein
15408 Schirm ihn sch
ützte, brannte so furchtbar, da
ß er jeden
15409 Augenblick umzusinken f
ürchtete und nur daran dachte, ein
15410 schattenspendendes Dach zu gewinnen. Er sah jetzt das Haus dicht
15411 vor sich, und einige eilende Spr
ünge brachten ihn in den
15412 Schatten eines Pfeilers.
</p>
15413 <p>Nachdem er sich hier einen Augenblick erholt, blickte er sich
15414 erstaunt um. Wenn das ein Haus war, so war es ein sehr seltsames.
15415 Wie eine Br
ücke ruhte es schwebend auf zwei schmalen Pfeilern.
15416 Es hatte die Gestalt eines Bootes, auf das man ein zweites mit dem
15417 Kiel nach oben gesetzt hatte. Dazwischen war ein etwa meterhoher
15418 Zwischenraum, nach welchem eine Leiter hinauff
ührte. Saltner
15419 überlegte.
</p>
15420 <p>»Das Ding sieht beinahe aus
«, sagte er bei sich,
15421 »wie das Luftschiff am Nordpol, das ich freilich nur sehr von
15422 weitem gesehen habe. Ob das hier vielleicht so eine Art
15423 Trockenplatz f
ür frischen Anstrich ist? Ich m
öchte mir
15424 das Ding einmal von innen betrachten.
«</p>
15425 <p>Da er ringsum niemand bemerkte und ihm der schmale Schatten des
15426 Pfeilers keinerlei Bequemlichkeit bot, beschlo
ß er die Leiter
15427 hinaufzusteigen und sich in dem seltsamen Bau umzusehen. Er fand
15428 jetzt, da
ß das, was er f
ür einen leeren Zwischenraum
15429 gehalten hatte, von einer durchsichtigen Substanz verschlossen sei,
15430 die jedoch eine
Öffnung am Ende der Leiter freilie
ß. Er
15431 stieg hinein. Niemand befand sich hier. In der Mitte war ein freier
15432 Raum mit Sitzen und H
ängematten. Ringsum, unten, oben und
15433 besonders an den Enden des l
änglichen Baus, waren
15434 Verschl
äge mit unbekannten Apparaten. Dr
ähte liefen von
15435 dort nach unten und durch die Pfeiler jedenfalls nach dem Erdboden,
15436 wo sie unterirdisch weitergeleitet werden mochten. Saltner
15437 h
ütete sich wohlweislich, irgend etwas zu ber
ühren. Es
15438 wurde ihm einigerma
ßen unheimlich. Aber er f
ühlte sich
15439 so matt, da
ß er jedenfalls erst frische Kr
äfte sammeln
15440 mu
ßte, ehe er den R
ückweg antreten konnte. Vorsichtig
15441 zog er an einer der H
ängematten, und da sich nichts in dem
15442 Raum r
ührte, legte er sich hinein.
</p>
15443 <p>»Ich bin doch neugierig, was das f
ür eine Medizin
15444 sein wird
«, dachte er.
»Jetzt nur nicht die Zeit
15445 verschlafen, blo
ß einen Augenblick ruhen.
« Aber
15446 ersch
öpft schlo
ß er die Augen.
</p>
15447 <h2>38 - Gef
ährlicher Ruheplatz
</h2>
15448 <p>Eine Viertelstunde mochte er so im Halbschlummer gelegen haben,
15449 als ein gewaltiger Krach ihn emporschrecken lie
ß. Der ganze
15450 Bau war in eine zitternde Bewegung geraten. Eilends sprang Saltner
15451 empor und schaute sich um. Auf dem Felsboden, vielleicht hundert
15452 Meter hinter ihm nach dem Rand des Plateaus zu, lag eine gewaltige
15453 Staubwolke. Jetzt krachte es auf der anderen Seite. Eine neue Wolke
15454 von Tr
ümmern und Staub erhob sich vom Boden.
</p>
15455 <p>»Da hat eine Granate eingeschlagen!
« sagte sich
15456 Saltner. Im Moment war ihm die Situation klar. Die
15457 Schie
ßversuche der Martier auf der W
üste Gol! Er hatte
15458 geh
ört, da
ß die Martier, ihren Erfahrungen und den von
15459 Ell mitgebrachten B
üchern folgend, Gesch
ütze konstruiert
15460 hatten, die, in ihren Wirkungen wenigstens, den auf der Erde
15461 üblichen glichen. Nun schossen sie mit menschlicher Artillerie
15462 nach ihren eigenen Luftschiffen. Er sa
ß also gerade in dem
15463 Ziel selbst drin! Die erste Granate war zu weit gegangen, die
15464 zweite zu nahe, die dritte w
ürde sicherlich treffen. Und jetzt
15465 sofort mu
ßte der Schu
ß erfolgen! Da hatte er sich ja
15466 einen recht geeigneten Ort zur Ruhe ausgesucht! Ob noch Zeit war,
15467 hinauszuspringen? Instinktiv wollte er es tun, aber er fa
ßte
15468 sich. Drau
ßen war es offenbar noch gef
ährlicher
–
15469 die Martier erwarteten ja wohl, da
ß das Ziel Widerstand
15470 leiste. Freilich, diese d
ünnen W
ände! Jetzt sah er, wo
15471 das Gesch
ütz stand. Es blitzte auf. Er empfahl seine Seele
15472 Gott und richtete seinen Blick standhaft gegen die
15473 Schu
ßrichtung. Er h
örte das Heransausen des Geschosses.
15474 Und wie ein Wunder schien es ihm, was er sah. Etwa zehn Meter vor
15475 seinem Standpunkt, in gleicher H
öhe wie das Schiff, in welchem
15476 er sich befand, wurde die Granate sichtbar, weil sie pl
ötzlich
15477 langsam heranschwebte. Noch auf f
ünf, auf vier Meter
15478 n
äherte sie sich
– Saltners Z
üge verzerrten sich
15479 krampfhaft, aber er konnte den Blick von dem Verderben drohenden
15480 Gescho
ß nicht abwenden. Jetzt stand es still, ohne zu
15481 explodieren
– und vor seinen Augen verschwand die
15482 st
ählerne Spitze, der Bleimantel, die Sprengladung l
öste
15483 sich unsch
ädlich auf und der Rest des Geschosses, zu einer
15484 m
ürben Masse zersetzt, senkte sich langsam, wie ein
15485 H
äufchen Asche, zu Boden.
</p>
15486 <p>Saltner glaubte zu tr
äumen. Aber schon vernahm er das
15487 Heransausen einer zweiten Granate. Dasselbe Schauspiel
– nahe
15488 vor der Spitze des Schiffes, gegen welche sie gerichtet war,
15489 verzehrte sie sich in der freien Luft. Und so ein drittes und
15491 <p>F
ür seine Person f
ühlte er sich jetzt im Augenblick
15492 sicher. Aber wie gebrochen sank er auf eine Bank. Mit tiefem
15493 Schmerz gedachte er der Menschheit, deren gewaltigste Kampfmittel
15494 vor der Macht dieser Nume wirkungslos in nichts zerflossen. Er
15495 hatte wohl gesehen, da
ß diese letzte Probe mit einem jener
15496 Riesengeschosse angestellt worden war, denen die st
ärkste
15497 Panzerplatte nicht standh
ält. Aber auch dieses war in der
15498 freien Luft vor seinen Augen verschwunden. Es mu
ßte sich in
15499 der Entfernung von drei bis vier Meter vor dem Schiff eine
15500 unsichtbare Macht befinden, die jede Bewegung und jeden Stoff
15502 <p>Ein eigent
ümliches Zittern hatte w
ährend der ganzen
15503 Beschie
ßung in dem Schiff geherrscht, und es schien ihm, als
15504 wenn auch die Sonnenstrahlung rings um das Schiff matter w
äre.
15505 Das h
örte nun auf. Bald sah er, wie sich
über die Ebene
15506 eine Art von gedecktem Wagen heranbewegte. Ohne Zweifel wollten die
15507 Sch
ützen die Wirkung ihrer Versuche in Augenschein nehmen.
</p>
15508 <p>Hier entdeckt zu werden, war Saltner im h
öchsten Grade
15509 bedenklich. Er war sicher, da
ß man ihn als Spion behandeln
15510 und nicht glimpflich mit ihm verfahren w
ürde. Ehe er seine
15511 Unschuld dartun konnte, h
ätte er mindestens viel Zeit
15512 verloren. Auf jeden Fall w
äre seine Absicht vereitelt worden,
15513 heute noch La seine Briefe zu
überreichen. Und doch war ihm
15514 jetzt mehr als je daran gelegen, seinen Landsleuten mitzuteilen,
15515 da
ß ein kriegerischer Widerstand gegen die Martier
15516 aussichtslos sei. Wenn er entfloh? Aber den Rand der Schlucht
15517 konnte er nicht mehr erreichen, ohne gesehen zu werden. Und auf der
15518 flachen Ebene war kein Versteck. Doch vielleicht im Schiff selbst?
15519 Es war wenigstens das einzige, was er versuchen konnte. Es gab da
15520 verschiedene Seitenr
äume
– freilich, man w
ürde sie
15521 wohl bei der Untersuchung betreten. Sein Blick fiel auf den
15522 Fu
ßboden. Hier war eine Fallt
ür. Zum Gl
ück kannte
15523 er jetzt den
üblichen Mechanismus des Verschlusses. Er kroch
15524 in den unteren Raum, der offenbar zur Aufbewahrung von
15525 Vorr
äten diente. Jetzt war er leer bis auf einige Haufen eines
15526 heu
ähnlichen Stoffes, den Saltner nicht kannte. Aber er hatte
15527 keine Wahl, er kroch in eine Ecke und versteckte sich. Wenn man das
15528 Heu, oder was es war, nicht durchw
ühlte, konnte man ihn nicht
15530 <p>Inzwischen war der Wagen angelangt, und die Martier stiegen aus.
15531 Es waren nur vier M
änner und eine Frau. Sie betrachteten
15532 zufrieden die Aschenrestchen der Geschosse, stiegen in das Schiff
15533 und
überzeugten sich, da
ß es vollkommen unversehrt war.
15534 Keines der feinen Instrumente hatte einen Schaden erlitten. Saltner
15535 h
örte, wie sie das Schiff wieder verlie
ßen. Schon
15536 glaubte er sich gerettet. Er lauschte aufmerksam, konnte aber nur
15537 h
ören, da
ß eine Unterhaltung gef
ührt und
15538 Anweisungen erteilt wurden, ohne da
ß er die Worte zu
15539 verstehen vermochte. Dann vernahm er deutlich, wie der Wagen sich
15540 wieder entfernte.
</p>
15541 <p>Er verlie
ß sein Versteck. Alles war still. Vorsichtig
15542 öffnete er die Fallt
ür: das Schiff war leer. Er
15543 n
äherte sich der Aussichts
öffnung und sp
ähte nach
15544 dem sich entfernenden Wagen. Jetzt konnte er versuchen, den Rand
15545 des Plateaus zu gewinnen. Er wandte sich um und schritt nach dem
15546 Ausgang zu. In diesem Augenblick erschien in demselben eine
15547 weibliche Gestalt. Saltner prallte zur
ück, dann st
ürzte
15548 er wieder vorw
ärts
– diese einzelne Martierin konnte ihn
15549 nicht aufhalten. Er wollte an ihr vor
über, die, ebenfalls
15550 erschrocken, zur Seite trat. Schon stand er an der
Öffnung, da
15551 h
örte er seinen Namen.
</p>
15552 <p>»Sal, Sal! Was haben Sie hier zu tun?
«</p>
15553 <p>Er drehte sich um und erkannte Se. Sie fa
ßte seine
15554 H
ände und zog ihn zur
ück.
</p>
15555 <p>»Oh
«, sagte sie,
»mein lieber Freund, warum
15556 m
üssen wir uns hier treffen? Das durften Sie nicht sehen! Wie
15557 konnten Sie sich hierherwagen?
«</p>
15558 <p>»Ich bin unschuldig, teure Se, glauben Sie mir, ich bin
15559 durch Zufall hierhergeraten.
«</p>
15560 <p>»Wie sind Sie
über den wei
ßen Draht gekommen?
15561 Wissen Sie denn nicht, was das bedeutet?
«</p>
15562 <p>»Ich bin einfach dar
übergestiegen
–«</p>
15563 <p>»Und haben die Gesetze verletzt und sich der h
öchsten
15564 Lebensgefahr ausgesetzt.
«</p>
15565 <p>»Ich bedaure meine Unwissenheit. Und ich hoffe, ich darf
15566 Sie bald in sicherer Lage wieder sprechen. Jetzt verzeihen Sie
15567 wohl, wenn ich mich so schnell wie m
öglich
15568 davonmache.
«</p>
15569 <p>»Das geht ja nicht, Sal, das darf ich nicht zugeben
15570 – so sehr ich es Ihnen w
ünschte. Aber ich bin hier nicht
15571 privatim, ich habe das Nihilitdepot zu verwalten, ich darf Sie
15572 nicht freilassen, das h
ängt nicht mehr von mir ab.
«</p>
15573 <p>»Aber von mir! Leben Sie wohl, auf Wiedersehen!
« Er
15574 schwang sich auf die Leiter.
</p>
15575 <p>»Um Gottes willen, Sal!
« rief Se.
»Keinen
15576 Schritt von hier, es ist Ihr Verderben! Ich mu
ß Sie
15577 festhalten!
«</p>
15578 <p>»Wie wollen Sie das?
« rief er lachend.
</p>
15579 <p>»Ich drehe diesen Zeiger, und der Nihilitpanzer bildet
15580 sich um das Schiff. Es ist ein Spannungszustand des
Äthers,
15581 der momentan jede Kraft vernichtet, jedes Geschehen aufhebt. Alles,
15582 was in seinen Bereich ger
ät, verzehrt sich, jede Energie wird
15583 ihm entzogen, es schwindet in nichts. Da, sehen Sie!
«</p>
15584 <p>Das eigent
ümliche Zittern und die Tr
übung des Lichtes
15585 begann wieder. Se ergriff einen Hammer, der im Schiff lag, und
15586 schleuderte ihn durch die
Öffnung hinaus. In etwa drei Meter
15587 Entfernung verschwand er spurlos.
</p>
15588 <p>»Sie k
önnen nicht fort
«, sagte sie.
15589 »Kommen Sie herein.
«</p>
15590 <p>Saltner setzte sich. Beide sahen sich traurig an. Er ergriff Ses
15591 H
ände.
»Wenn ich Sie bitte
«, sagte er.
»Bei
15592 unserer Freundschaft! Ich mu
ß jetzt fort! H
ören Sie
15594 <p>Er erz
ählte, was ihn herbeigef
ührt, da
ß er La
15595 sprechen m
üsse, was er von ihr w
ünsche. Las Briefe nach
15596 der Erde w
ürden nicht kontrolliert, sie konnte die seinigen an
15597 Grunthe adressieren
– –</p>
15598 <p>Se sch
üttelte traurig den Kopf.
</p>
15599 <p>»Das kann La nicht tun, das wird sie nie tun, sie darf es
15600 ebensowenig wie Ell. Bitten Sie sie nicht erst
– Saltner, sie
15601 will nicht darum gebeten sein.
«</p>
15602 <p>»Wie kann sie wissen?
«</p>
15603 <p>»Haben Sie das nicht herausgeh
ört aus dem, was sie
15604 Ihnen sagte? Wenn nun Ell mit ihr gesprochen h
ätte, ehe sie in
15605 Ihre Wohnung ging, wenn er Ihre Absicht ihr mitgeteilt h
ätte
15606 – w
ährend Sie von Ell nach Hause fuhren, war Zeit genug
15607 dazu. Und etwas Derartiges hat sie sicher seit Tagen erwartet, das
15608 war doch leicht zu ahnen. Warum ist sie fortgezogen, und warum
15609 sollen Sie nicht nach Sei kommen? Weil La den Konflikt voraussah.
15610 Sie war in Widerspruch mit sich selbst. Sie wollte die Bitte
15611 vermeiden, die sie Ihnen abschlagen mu
ßte. Und vielleicht
15612 – doch ich habe kein Recht, in Las Gef
ühle zu
15613 dringen.
«</p>
15614 <p>Saltner klammerte sich an Ells Namen. Er also war ihm
15615 zuvorgekommen! Und es erschien ihm, als gelte es nur Ells
15616 Einflu
ß zu besiegen.
</p>
15617 <p>»Ich mu
ß zu ihr!
« rief er verzweifelt.
15618 »Se, ich beschw
öre Sie, lassen Sie mich frei!
«</p>
15619 <p>»Ich darf ja nicht. Und Sie werden es mir noch danken,
15620 Saltner. La liebt Sie, vielleicht mehr, als Sie ahnen, sie wird es
15621 nicht ertragen, da
ß Sie in Trauer, in Zorn, in Verbitterung
15622 von ihr gehen, weil sie Ihrem Wunsch nicht folgen kann. Wenn Sie an
15623 der Ausf
ührung Ihres Willens verhindert werden, so z
ürnen
15624 Sie lieber mir!
«</p>
15625 <p>»Und wenn ich Sie b
äte, Se, die Briefe zu
15626 bef
ördern, w
ürden Sie es mir auch abschlagen?
«</p>
15627 <p>»Ich m
üßte es.
«</p>
15628 <p>Sie war aufgestanden und blickte auf die Ebene hinaus. Dann
15629 wandte sie sich zur
ück und trat dicht an ihn heran, mit ihren
15630 gro
ßen Augen ihn z
ärtlich anblickend.
</p>
15631 <p>»Mein lieber Freund, seien Sie vern
ünftig. Der Wagen
15632 mit meinen Begleitern kommt zur
ück. Ich war hiergeblieben, um
15633 den Nihilitapparat neu zu laden, und jene hatten nur frischen
15634 Vorrat zu holen. Ihre Unwissenheit wird Sie entschuldigen. Man wird
15635 Sie h
öchstens nach Kla zur
ückschicken. Aber ich darf
15636 nicht eigenm
ächtig handeln. Z
ürnen Sie mir
15638 <p>Saltner sah, da
ß der Wagen in der Ferne auftauchte.
15639 F
ünf Minuten mu
ßten sein Schicksal entscheiden. Einen
15640 Moment z
ögerte er unter Ses m
ächtigem Einflu
ß. Aber
15641 er raffte sich zusammen; sein Entschlu
ß war gefa
ßt.
</p>
15642 <p>»Ich z
ürne Ihnen nicht, geliebte Se
«, sagte er.
15643 »Nur m
ögen Sie mir nicht z
ürnen, aber ich kann
15644 nicht anders. Leben Sie wohl!
«</p>
15645 <p>Er umschlang sie fest mit seinem linken Arm, indem er mit der
15646 rechten Hand den Zeiger des Nihilitapparates zur
ückdrehte. In
15647 ihrer
Überraschung und dem Bestreben, sich ihm zu entwinden,
15648 hatte Se dies gar nicht bemerkt. Er dr
ückte einen
15649 fl
üchtigen Ku
ß auf ihre Stirn und schwang sich mit einem
15650 Satz aus der
Öffnung. Da wu
ßte sie, was geschehen war.
15651 Im Augenblick, als Saltner den Boden erreichte, ber
ührte Ses
15652 Hand wieder den Zeiger. Dr
ückte sie ihn herum, so verzehrte
15653 das Nihilit den Freund. Und wenn sie es nicht tat, so hatte sie
15654 einen Verr
äter entfliehen lassen.
</p>
15655 <p>Sie pre
ßte die H
ände an ihre Stirn
– nur einen
15656 Augenblick
– dann schaute sie auf.
</p>
15657 <p>In weiten S
ätzen entfernte sich Saltner und verschwand
15658 hinter den Felstr
ümmern am Abhang der W
üste.
– Wie
15659 er den Berg hinabgelangte, er wu
ßte es kaum. Am meisten
15660 f
ürchtete er, am Ausgang der Schlucht von den dort
15661 besch
äftigten Martiern angehalten zu werden. Er umging ihn
15662 durch eine halsbrecherische Kletterei. V
öllig ersch
öpft
15663 gelangte er in die Restauration neben dem Bahnhof. Hier in dem
15664 k
ühlen, separaten Speisezimmer, das er sich anweisen
15665 lie
ß, fand er Zeit, sich zu erholen.
</p>
15666 <p>Wenn ihn Se verraten hatte, so war freilich seine Flucht
15667 nutzlos. Man w
ürde ihn in Sei, oder wohin er auch sonst sich
15668 wandte, erreichen. Aber er vertraute darauf, da
ß Se nicht
15669 sprechen w
ürde. Niemand sonst hatte ihn oben gesehen. So
15670 benutzte er den zu Tal gehenden Wagen nach Sei und fand nach
15671 einigem Umherirren die von La angegebene Platznummer. Eben
15672 entfernten sich die Monteure, welche das neu eingetroffene Haus an
15673 die verschiedenen im Boden liegenden Leitungen angeschlossen
15675 <p>Es war die Zeit, um welche La mit ihm sprechen wollte, als
15676 Saltner in ihr Zimmer trat.
</p>
15677 <p>»Da bin ich selbst!
« rief er.
»Ich mu
ßte
15678 dich wiedersehen!
«</p>
15679 <p>La stand wortlos. Dann atmete sie tief auf, pre
ßte die
15680 H
ände zusammen und sagte leise:
</p>
15681 <p>»O mein Freund, warum hast du mir dies getan?
«</p>
15682 <p>»Warum nicht? Ich sehnte mich nach dir, La, und ich bedarf
15683 deiner Hilfe.
«</p>
15684 <p>»Meiner Hilfe?
« sagte sie warm. Sie hoffte einen
15685 Augenblick, es k
önne sich um etwas anderes handeln, als was
15686 sie f
ürchtete.
</p>
15687 <p>»Wenn es mir m
öglich ist, wie gern bin ich dir zu
15688 Diensten.
« Sie zog ihn neben sich auf einen Sessel. Er hielt
15689 ihre Hand fest.
</p>
15690 <p>»Ich habe eine gro
ße Bitte, f
ür Frau Torm und
15691 f
ür mich.
«</p>
15692 <p>La wich zur
ück.
»Sprich sie nicht aus! Ich bitte
15693 dich, sprich sie nicht aus, damit dich meine Weigerung nicht
15694 kr
änkt. ...
«</p>
15695 <p>»Du wei
ßt
–?
«</p>
15696 <p>»Ich wei
ß, um was es sich handelt.
«</p>
15697 <p>»Von Ell!
«</p>
15698 <p>»Durch ihn. Sieh, das ist unm
öglich! So wenig du
15699 damals am Nordpol der Erde z
ögertest, die Pflicht f
ür
15700 dein Vaterland zu erf
üllen, so wenig kann ich jetzt um
15701 deinetwillen das Gesetz durchbrechen. Das Gesetz verbietet den
15702 Menschen, unkontrollierte Botschaft nach der Erde zu senden.
15703 H
ätte ich die freie
Überzeugung, da
ß es ungerecht
15704 und t
öricht sei, so d
ürfte ich mein Gewissen fragen, ob
15705 ich es
übertreten will. Es w
äre ein Konflikt, aber ich
15706 k
önnte ihn auf mich nehmen. Doch ich kann mich davon nicht
15707 überzeugen. Was ihr auch berichtet, es kann nur Verwirrung
15708 anstiften, und Ismas private W
ünsche k
önnen nicht in
15709 Frage kommen.
«</p>
15710 <p>Saltner hatte ihre Gr
ünde kaum geh
ört. Er blickte
15711 finster vor sich hin.
</p>
15712 <p>»Durch Ell!
« sagte er dann bitter.
15713 »Nat
ürlich, wann spr
äche er nicht mit dir, wann
15714 tr
äfe ich ihn nicht bei dir, wann h
örtest du nicht auf
15715 ihn mehr als auf mich?
«</p>
15716 <p>La seufzte.
»Ich wu
ßte es ja, da
ß es so kommen
15717 w
ürde. Oh, h
ättest du auf meinen Rat geh
ört und
15718 w
ärest nicht hergereist.
«</p>
15719 <p>»Ich werde dich nicht st
ören; sobald Ell kommt, gehe
15721 <p>»Warum? Er wird wohl kommen. Aber warum entr
üstest du
15722 dich? Hast du je bemerkt, da
ß ich dich weniger
15724 <p>»Aber du liebst ihn?
«</p>
15725 <p>La sah ihn mit flammenden Augen an.
</p>
15726 <p>»Wie darfst du fragen
«, sagte sie stolz,
»was
15727 kaum das eigene Ich sich fragt?
«</p>
15728 <p>Aber ihr Ausdruck wurde pl
ötzlich unendlich traurig und
15729 z
ärtlich. Sie fa
ßte seine H
ände und neigte sich zu
15731 <p>»Aber wie kann ich dir z
ürnen?
« sagte sie.
15732 »Mich nur m
üßte ich schelten. Doch habe ich dir
15733 nicht gesagt: Vergi
ß nicht, da
ß ich eine Nume bin? Ach,
15734 ich verga
ß wohl, da
ß du ein Mensch bist, und du
15735 wei
ßt nicht mehr, was ich dir sagte: Liebe darf niemals
15736 unfrei machen! Und du willst mich unfrei machen? Willst dem
15737 Gef
ühl gebieten? Ist ein Nume so klein und einfach, da
ß
15738 ein einzelner seinen Kreis erf
üllen k
önnte? Ist nicht
15739 jedes Individuum nur ein kleiner Ausschnitt, nur eine Seite von
15740 dem, was das Wesen des Mannes, das Wesen der Frau ist? Wer kann
15741 sagen, ich repr
äsentiere alles, was du lieben
15743 <p>»Das also war es! Was vermag ich dagegen? Da
ß du
15744 eine Nume bist, wu
ßte ich, und ich wu
ßte, da
ß du
15745 mir nicht angeh
ören k
önntest f
ürs Leben. Aber so
15746 dachte ich mir deine Liebe nicht. O La, ich wei
ß nicht, wie
15747 ich ohne dich leben werde, aber deine Liebe teilen
– mit
15748 jenem
–, das vermag ich nicht. Ich bin ein Mensch, und wenn
15749 du ihn liebst, so mu
ß ich scheiden.
«</p>
15750 <p>Saltner sa
ß stumm. Er konnte sich nicht aufraffen zu
15751 gehen, es war ihm, als m
üßte La ihn noch halten, er
15752 hoffte auf ein Wort von ihr. Auch sie schwieg, sie atmete lebhaft,
15753 mit einem Entschlu
ß k
ämpfend. Dann sagte sie
15755 <p>»Das glaube nicht, Sal, da
ß Ell dabei im Spiel ist,
15756 wenn ich dir deine Bitte wegen der Briefe abschlage. Da
ß er
15757 mich benachrichtigte, war nur zu unserm Besten, wenn du mir gefolgt
15758 h
ättest. Ich wollte einer Auseinandersetzung ausweichen, weil
15759 ich wu
ßte, da
ß sie dich kr
änken m
üßte,
15760 da
ß du mich mi
ßverstehen und an meiner Liebe zweifeln
15761 w
ürdest
– nach Menschenart
– und weil
– weil
15762 ich selbst nicht wu
ßte, wie ich dies ertragen k
önnte.
15763 Ja, Sal, um meinetwillen wollt
’ ich dich nicht sehen
15765 <p>Saltner kniete zu ihren F
üßen und schlang die Arme um
15767 <p>»O La!
« rief er,
»so habe ich noch die
15768 Hoffnung, da
ß du mich erh
örst, da
ß du meine Bitte
15769 erf
üllst?
«</p>
15770 <p>»Du wei
ßt nicht, was du verlangst, wei
ßt
15771 nicht, welch namenlose Qual diese Stunde mir bereitet. Du verlangst
15772 mehr als mein Leben, du verlangst meine Freiheit, meine Numenheit.
15773 – Wenn ich dir nachgebe, wenn ich diesem Rausch der Gegenwart
15774 unterliege
– o mein Freund
–, dann bin ich keine Nume
15775 mehr, dann bin ich ein Mensch! Aus dem reinen Spiel des
15776 Gef
ühls verfalle ich in den Zwang der Leidenschaft, die
15777 Freiheit verl
öre ich und m
üßte niedersteigen mit
15778 dir zur Erde. Und kann deine Liebe das wollen?
«</p>
15779 <p>Saltner barg sein Haupt zwischen den H
änden, seine Brust
15780 hob sich krampfhaft.
</p>
15781 <p>»Verzeihe mir, La, verzeihe mir
«, kam es endlich von
15783 <p>La nahm seinen Kopf zwischen ihre H
ände und blickte ihn an,
15784 ihre Augen strahlten in einem verkl
ärten Glanze.
</p>
15785 <p>»Du sollst es wissen, mein Freund
«, sagte sie
15786 langsam,
»ich liebe Ell nicht, ich liebe nur dich.
«</p>
15787 <p>»La!
« hauchte er selig.
</p>
15788 <p>Tr
änen traten in ihre Augen, und mit gebrochener Stimme
15789 sagte sie:
»Und dies ist das Schicksal, das uns
15791 <p>Er sah sie sprachlos an.
</p>
15792 <p>»Ich bin eine Nume, und weil ich ihn nicht liebe, weil ich
15793 f
ühle, da
ß ich ihn nicht lieben kann, darum m
üssen
15794 wir scheiden.
– Darum m
üssen wir scheiden
«,
15795 wiederholte sie leise,
»denn in dieser Liebe zu dir
15796 verl
öre ich meine Freiheit. Was ich heute sprach, darfst du
15797 nie wieder h
ören. Steh auf, mein Freund, steh auf und glaube
15799 <p>Saltner wu
ßte nicht, wie ihm geschah. Er stand vor ihr, er
15800 begriff sie nicht und wu
ßte doch, da
ß es nicht anders
15802 <p>»Ob wir uns wiedersehen, wei
ß ich nicht. Jetzt
15803 nicht, jetzt lange nicht.
« – Sie schluchzte auf und
15804 schlang die Arme um seinen Hals. Lange standen sie so.
</p>
15805 <p>»Noch diesen einen Ku
ß! Leb wohl, leb
15807 <p>La ri
ß sich von ihm los.
</p>
15808 <p>»Leb wohl
«, sagte er wie geistesabwesend. Dann
15809 schlo
ß sich die T
ür hinter ihm. Mechanisch suchte er
15810 seinen Hut und schritt aus dem Haus.
</p>
15811 <h2>39 - Die Martier sind auf der Erde!
</h2>
15812 <p>Auf der Erde hatte die Nachricht von der Besetzung des Nordpols
15813 durch die Martier und der Existenz eines Luftschiffes, mit welchem
15814 sie siebenhundert Kilometer in der Stunde in der Erdatmosph
äre
15815 zur
ückzulegen vermochten, ein Aufsehen erregt wie kaum ein
15816 anderes Ereignis je zuvor. Der Bericht Grunthes und die von ihm
15817 vorgelegten Beweise lie
ßen keinen Zweifel zu,
überdies
15818 war das Luftschiff in Italien, der Schweiz, Frankreich und England
15819 gesehen worden, ja, die Ankunft Grunthes und das Verschwinden Ells
15820 und Frau Torms waren auf keine andere Weise zu erkl
ären. Die
15821 Schriften Ells, welche jetzt herauskamen, gaben eine hinreichende
15822 Auskunft
über die M
öglichkeit technischer Leistungen, wie
15823 sie von den Martiern vollzogen wurden.
</p>
15824 <p>Als daher Kapit
än Keswick, sobald er mit der
15825 ›Prevention
‹ die erste Telegraphenstation
15826 ber
ührte, seinen Bericht an die englische Regierung abgab und
15827 Torm nach Friedau telegraphierte, da
ß er gl
ücklich
15828 gerettet sei, erregten diese Nachrichten schon nicht mehr die
15829 Verwunderung, die man auf der
›Prevention
‹ erwartet
15830 hatte. Wohl aber wurde in England die anf
änglich f
ür die
15831 Martier vorhandene Begeisterung stark abgek
ühlt und machte
15832 einer in der Presse sich
äu
ßernden, etwas
15833 bramarbasierenden Entr
üstung Platz, da
ß man diesen Herrn
15834 vom Mars doch etwas mehr Respekt vor der britischen Flagge
15835 beibringen m
üsse. Indessen fehlte es nicht an Stimmen, die zur
15836 äu
ßersten Vorsicht rieten und die Gefahren ausmalten,
15837 welche den Nationen des Erdballs von einer au
ßerirdischen
15838 Macht drohten, der so ungew
öhnliche und unbegreifliche Mittel
15839 zur Durchsetzung ihres Willens zu Gebote st
änden wie den
15841 <p>Diese Sorge, die Bedrohung durch eine unbestimmte Gefahr,
15842 beherrschte das Verhalten der Regierungen aller zivilisierter
15843 Staaten. Man wu
ßte weder, was man zu erwarten habe, noch wie
15844 man einem etwaigen weiteren Vorgehen der Martier begegnen solle.
15845 Ein
äu
ßerst lebhafter Depeschenwechsel fand statt, man
15846 erwog den Plan, einen allgemeinen Staatenkongre
ß zu berufen,
15847 und konnte sich vorl
äufig nur noch nicht
über das
15848 vorzulegende Programm und den Ort des Zusammentritts einigen.
15849 W
ährend man sich auf der einen Seite einer gewissen
15850 Solidarit
ät der politischen Interessen aller Staaten
15851 gegen
über den Martiern bewu
ßt war, zeigten sich doch auf
15852 der andern Seite sehr verschiedene Auffassungen
über den zu
15853 erwartenden kulturellen Einflu
ß der Martier. Die Presse aller
15854 Nationen besch
äftigte sich aufs eifrigste mit der Mars-Frage,
15855 und eine un
übersehbare Menge von Meinungen und abenteuerlichen
15856 Hypothesen erf
üllte die Bl
ätter und erhitzte die
15858 <p>Die Quelle aller dieser Erw
ägungen war das Buch von Ell
15859 über die Einrichtungen der Martier und die Erkl
ärungen,
15860 welche Grunthe aus seinen Erfahrungen am Nordpol dazu geben konnte.
15861 Ein Verst
ändnis derselben, wenigstens im gr
ößeren
15862 Publikum, war jedoch nicht zu erreichen. Der Sprung von der
15863 technischen und sozialen Kultur der Menschen zu der Entwicklung,
15864 welche diese bei den Martiern erreicht hatte, war zu gro
ß,
15865 als da
ß man sich in letztere h
ätte finden k
önnen.
15866 Gerade die ersten Mahnungen Grunthes, man m
öge sich unter
15867 keinen Umst
änden in einen Konflikt mit den Martiern einlassen,
15868 weil ihre Macht alle menschlichen Begriffe
überstiege, fanden
15869 am wenigsten Geh
ör; dazu waren sie schon viel zu
15870 wissenschaftlich in der Form.
</p>
15871 <p>Man stellte sich wohl vor, da
ß sich die Martier durch
15872 wunderbare Erfindungen eine ungeheure Macht
über die Natur
15873 angeeignet h
ätten, aber man hatte keinerlei Verst
ändnis
15874 daf
ür, wie ihre ethische und soziale Kultur sie den Gebrauch
15875 dieser Macht benutzen, m
äßigen und einschr
änken
15876 lie
ß. Vor allem blieb das eigentliche Wesen ihrer staatlichen
15877 Ordnung trotz der Erl
äuterungen in Ells Buch ein R
ätsel.
15878 Die individuelle Freiheit war so
überwiegend, die Entscheidung
15879 des einzelnen in allen Lebensfragen so ausschlaggebend und so wenig
15880 von staatlichen Gesetzen
überwacht, da
ß vielfach die
15881 Ansicht ausgesprochen wurde, das Gemeinschaftsleben der Martier sei
15882 durchaus anarchistisch. In der Tat, die Form des Staates war auf
15883 dem Mars an kein anderes Gesetz gebunden als an den Willen der
15884 Staatsb
ürger, und so gut ein jeder seine
15885 Staatsangeh
örigkeit wechseln konnte, so konnte auch die
15886 Majorit
ät, ohne in den Verdacht der Staatsumw
älzung oder
15887 der Staatsfeindschaft zu kommen, von monarchischen zu
15888 republikanischen Formen und umgekehrt
übergehen. Keine Partei
15889 nahm das Recht in Anspruch, die alleinige Vertreterin des
15890 Gemeinschaftswohls zu sein, sondern in der gegenseitigen, aber nur
15891 auf sittlichen Mitteln beruhenden Messung der Kr
äfte sah man
15892 die dauernde Form des staatlichen Lebens. Es gab keinen regierenden
15893 Stand, so wenig es einen allein wirtschaftlich oder allein bildend
15894 t
ätigen Stand gab. Vielmehr war zwischen diesen Berufsformen
15895 ein stetiger
Übergang, so da
ß ein jeder, ganz nach
15896 seinen F
ähigkeiten und Kr
äften, diejenige
15897 Bet
ätigungsform erreichen konnte, wozu er am besten tauglich
15898 war. Dies war freilich nur m
öglich infolge des hohen ethischen
15899 und wissenschaftlichen Standpunktes der Gesamtbev
ölkerung,
15900 wonach die Bildungsmittel jedem zug
änglich waren, aber von
15901 jedem nur nach seiner Begabung in Anspruch genommen wurden.
15902 Nat
ürlich bedeutete das nicht die Herrschaft des
15903 Dilettantismus, sondern jede T
ätigkeit setzte
15904 berufsm
äßige Schulung voraus, der Eintritt in
15905 h
öhere politische Stellen vor allem eine tiefe philosophische
15906 Bildung. Aber der F
ähige konnte sie erwerben. Und dies beruhte
15907 wieder darauf, da
ß die Beherrschung der Natur durch
15908 Erkenntnis die unmittelbare Quelle des Reichtums in der
15909 Sonnenstrahlung erschlossen hatte.
</p>
15910 <p>Andere wieder behaupteten, die Staatsform der Martier sei
15911 durchaus kommunistisch. Auch hierf
ür schien manches zu
15912 sprechen. Denn wenn auch, was Ell nicht gen
ügend hervorgehoben
15913 hatte, die Verwaltung der gro
ßen Betriebe der
15914 Strahlungssammlung, des Verkehrs und so weiter tats
ächlich in
15915 der Hand von Privatgesellschaften lag, so war doch das
15916 Anlagekapital Staatseigentum. Es existierte auch eine staatliche
15917 Konzentration der wirtschaftlichen T
ätigkeit, obwohl diese der
15918 Arbeit des einzelnen v
öllig freie Hand lie
ß und
15919 keineswegs die G
üterproduktion durch Vorschriften regelte.
15920 Aber die Zentralregierung, deren Mitglieder auf eine
15921 zwanzigj
ährige Amtsdauer erw
ählt wurden, setzte unter
15922 Einwilligung des Parlaments einen
›Strahlungsetat
‹
15923 fest, das hei
ßt, es war dadurch f
ür ein Jahr im voraus
15924 bestimmt, welches Maximum von Energie der Sonne entnommen, also
15925 auch welches Maximum mechanischer Arbeit auf dem Planeten geleistet
15926 werden konnte. Sie setzte auch ein bestimmtes Kapital fest, das
15927 jeder als ein zinsloses Darlehen in Anspruch nehmen konnte, falls
15928 seine eignen Arbeitsmittel durch ung
ünstige Verh
ältnisse
15929 in Verlust geraten waren. Im
übrigen aber war ein jeder auf
15930 seinen eigenen Flei
ß angewiesen.
</p>
15931 <p>Auf dem Kulturstandpunkt der Menschheit erschienen die
15932 Einrichtungen des Mars als Utopien, und mit Recht; denn sie setzten
15933 eben Staatsb
ürger voraus, die in einer
15934 hunderttausendj
ährigen Entwicklung sich sittlich geschult
15935 hatten und theoretisch an der rechten Stelle alle die Mittel
15936 gleichzeitig zu benutzen wu
ßten, deren Gebrauch im Lauf der
15937 sozialen Lebensformen nach irgendeiner Seite erprobt worden war.
15938 Ein Teil der Regierungen der Erdstaaten bef
ürchtete nun,
15939 da
ß das Beispiel der Martier die Veranlassung zu
15940 übereilten Reformen, vielleicht zu gewaltsamen
15941 Umw
älzungen geben w
ürde. Die agrarische Bev
ölkerung
15942 geriet in Best
ürzung
über die drohende Konkurrenz der
15943 Lebensmittelfabrikation ohne Vermittlung der Landwirtschaft. Auf
15944 der anderen Seite begr
üßten die Arbeiterschaft und alle
15945 f
ür schnellen Kulturfortschritt enthusiasmierten Gem
üter
15946 die Martier als die Erl
öser aus der Not, deren Erscheinen nun
15947 bald bevorst
ünde. Durchweg aber war man im unklaren, was
15948 geschehen w
ürde und was geschehen solle.
</p>
15949 <p>Als im Oktober die Parlamente der meisten Staaten
15950 zusammentrafen, gab es
überall Interpellationen an die
15951 Regierungen
über die Marsfrage. Und
überall lautete die
15952 Antwort ausweichend dahin, es f
änden Erw
ägungen statt
15953 über einen allgemeinen Staatenkongre
ß, wor
über man
15954 indessen N
äheres noch nicht mitteilen k
önne.
Überall
15955 sprachen dann die F
ührer der verschiedenen Parteien die
15956 Ansichten
über den Mars aus, die sie vorher in ihren
15957 Bl
ättern hatten drucken lassen. Einige wollten die Martier
15958 enthusiastisch aufnehmen, andere sie dilatorisch behandeln, andere
15959 sie
überhaupt von der Erde zur
ückweisen. Wie man das
15960 machen solle, wu
ßte freilich niemand zu sagen. Der Erfolg war
15961 jedoch in allen Staaten der gleiche: neue Bewilligungen zur
15962 Vermehrung des Heeres und der Flotte.
</p>
15963 <p>Zum Gl
ück f
ür die Regierungen, die dadurch Zeit zur
15964 Beratung gewannen, h
örte man nun nichts mehr von den Martiern.
15965 Das Luftschiff lie
ß sich nicht wieder sehen, die Martier
15966 schienen verschwunden.
</p>
15967 <p>Da pl
ötzlich kam im Januar die Nachricht vom
15968 Wiedererscheinen eines Luftschiffs in Sydney. Am
2. Januar
15969 telegraphierte der Gouverneur von Neus
üdwales nach London,
15970 da
ß in Sydney mehrere Luftschiffe eingetroffen seien,
15971 bestimmt, eine au
ßerordentliche Gesandtschaft der Marsstaaten
15972 nach London zu bringen, falls die englische Regierung sich bereit
15973 erkl
äre, mit derselben wie mit der bevollm
ächtigten
15974 Gesandtschaft einer anerkannten Gro
ßmacht zu unterhandeln.
15975 Die Martier hatten sofort in Sydney einen ber
ühmten
15976 Rechtsanwalt als Agenten engagiert, der die Verhandlungen mit den
15977 Beh
örden f
ührte. Da
ß sie vom Mars mehr als
2.000
15978 Kilogramm Gold in Barren mitgebracht und bei der Bank of New South
15979 Wales deponiert hatten, war eine so vorz
ügliche Empfehlung,
15980 da
ß ganz Neus
üdwales f
ür sie eingenommen war.
</p>
15981 <p>Die diplomatischen Verhandlungen waren inzwischen nicht
15982 weitergekommen. Auf Englands erneute Anregung einigte man sich
15983 jetzt endlich dahin, da
ß man die Marsstaaten als politische
15984 Macht anerkennen wolle, wenn sie gewisse Garantien g
äben,
15985 da
ß sie sich dem auf der Erde geltenden V
ölkerrecht
15986 unterw
ärfen. Daraufhin beantwortete die englische Regierung
15987 die Depesche der Marsstaaten im Prinzip bejahend, kn
üpfte aber
15988 verschiedene Bedingungen an die Bewilligung weiterer diplomatischer
15989 Verhandlungen. Sie verlangte von den Martiern au
ßer der
15990 Anerkennung der v
ölkerrechtlichen Gewohnheiten der
15991 zivilisierten Erdstaaten, da
ß genau festgesetzt werde,
15992 wor
über mit der Gesandtschaft verhandelt werden solle, und
15993 da
ß kein anderer Punkt zur Verhandlung k
äme, nachdem man
15994 die Martier in London zugelassen habe. Ihrerseits versprach
15995 nat
ürlich die Regierung der Gesandtschaft den
15996 v
ölkerrechtlichen Schutz auf der Erde.
</p>
15997 <p>Der Bevollm
ächtigte der Marsstaaten, Kal, ging hierauf ohne
15998 weiteres ein und stellte folgende Forderungen zur Verhandlung in
15999 einer Depesche vom
22. Januar:
</p>
16000 <p>1) Formelle Entschuldigung der englischen Regierung wegen des
16001 Angriffs, den die Mannschaft des Kanonenboots auf die beiden
16002 Martier und der Kapit
än auf das Luftschiff unternommen
16004 <p>2) Bestrafung des Kapit
äns Keswick und des Leutnants
16006 <p>3) Entsch
ädigung f
ür die beiden Martier von je
16007 hunderttausend Pfund.
</p>
16008 <p>4) Anerkennung der Hoheitsrechte der Marsstaaten auf die
16009 Polargebiete der Erde jenseits des
87. Grades n
ördlicher und
16010 s
üdlicher Breite.
</p>
16011 <p>5) Anerkennung der Gleichberechtigung der Martier mit allen
16012 andern Nationen in bezug auf Niederlassung, Verkehr, Handel und
16014 <p>Gleichzeitig depeschierte Kal an die Regierungen aller
16015 gr
ößeren Staaten den Wunsch der Marsstaaten,
über
16016 die beiden letzten Punkte in Verhandlung zu treten.
</p>
16017 <p>Die Antworten lie
ßen auf sich warten. Die Regierungen der
16018 Erde verhandelten zun
ächst untereinander, da sie in ihren
16019 vorangegangenen Verabredungen
übereingekommen waren, gemeinsam
16020 vorzugehen, falls die Martier mit allgemeinen Fragen des
16021 internationalen Verkehrs an sie herantreten sollten. Die
16022 Vereinigten Staaten, Frankreich, Italien und Japan traten
16023 daf
ür ein, den Martiern entgegenzukommen, Deutschland,
16024 Österreich- Ungarn und andere z
ögerten noch,
16025 Ru
ßland verhielt sich ablehnend. Die englische Regierung war
16026 zuerst geneigt, Verhandlungen einzuleiten. Aber sobald die
16027 Forderungen der Martier in der Bev
ölkerung bekannt geworden
16028 waren, erhob sich ein allgemeiner Entr
üstungssturm. Das
16029 Nationalgef
ühl forderte ungest
üm die Ablehnung des
16030 Ansinnens der Martier, das britische Selbstbewu
ßtsein lasse
16031 nicht zu, da
ß man mit einem Haufen Abenteurer in
16032 Verhandlungen
über Entschuldigungen und Entsch
ädigungen
16033 trete. Es kam zu einer bewegten Parlamentssitzung, in welcher das
16034 friedlich gestimmte Ministerium gest
ürzt wurde. Ein
16035 Toryministerium, zu entschiedenem Vorgehen geneigt, trat an die
16036 Stelle und erkl
ärte sofort, da
ß es jede weitere
16037 Unterhandlung mit den Marsstaaten zur
ückweise. Die ablehnende
16038 Note, welche nach Sydney zur Mitteilung an den Gesandten der
16039 Marsstaaten geschickt wurde, war in sehr k
ühlem und
16040 herablassendem Ton gehalten.
</p>
16041 <p>Die
übrigen Staaten hatten jetzt, nachdem England
16042 eigenm
ächtig vorgegangen war, keine Veranlassung, sich
16043 gegenseitig zu binden, und erkl
ärten nunmehr s
ämtlich im
16044 Prinzip sich zu Unterhandlungen bereit, indem sie sich jedoch
16045 v
öllige Freiheit ihrer weiteren Entschlie
ßungen
16047 <p>Sobald die Martier in Sydney aus den Zeitungen, die sie aufs
16048 sorgf
ältigste verfolgten, entnommen hatten, da
ß sie in
16049 England vermutlich auf kein Entgegenkommen rechnen durften, sandte
16050 Kal nach dem Mars die Lichtdepesche, derzufolge die verabredeten
16051 Verst
ärkungen abzusenden seien. Ein Luftschiff vermittelte
16052 t
äglich den Verkehr zwischen Sydney und dem S
üdpol, von
16053 dessen Au
ßenstation die Lichtdepeschen abgingen. Aber auch
16054 schon vorher hatte sich eine ansehnliche Macht am S
üdpol
16055 angesammelt. Es waren drei neue Raumschiffe angelangt, nachdem die
16056 fr
üheren, um ihnen Platz zu machen, zur
ückgegangen waren,
16057 und hatten neue Luftschiffe und Mannschaften gelandet.
16058 Gegenw
ärtig befanden sich bereits vierundzwanzig Luftschiffe
16059 am S
üdpol, s
ämtlich mit Nihilitpanzern,
16060 Repulsitgesch
ützen und Telelyten ausger
üstet, eine
16061 furchtbare Macht, deren milit
ärischen Oberbefehl ein
16062 energischer Martier aus dem Norden namens Dolf f
ührte. Es
16063 lie
ß sich berechnen, da
ß binnen vier Wochen die
16064 Streitmacht der Martier auf
48 Fahrzeuge angewachsen sein
16065 w
ürde. Mit dem letzten der Raumschiffe, dessen Ankunft im
16066 M
ärz zu erwarten war, wollte Ill selbst eintreffen, um die
16067 Leitung der Erdangelegenheiten zu
übernehmen. Inzwischen hatte
16068 man Kal eine Anzahl anderer bedeutender M
änner zur Seite
16069 gestellt, die als Gesandte an die Regierungen der
16070 Gro
ßm
ächte gehen sollten.
</p>
16071 <p>Als die Note der gro
ßbritannischen Regierung Kal
16072 übermittelt war, telegraphierte sie dieser sofort nach dem
16073 Mars. Die Antwort traf noch denselben Tag ein. Sie besagte nur,
16074 da
ß Kal genau nach den Instruktionen verfahren solle, welche
16075 f
ür den Fall einer ablehnenden Haltung Englands festgesetzt
16076 seien. Am
15. M
ärz sei das Hauptquartier nach dem Nordpol zu
16077 verlegen, woselbst im Laufe des M
ärz nach und nach noch
16078 vierundzwanzig Raumschiffe mit durchschnittlich je sechs
16079 Luftschiffen eintreffen w
ürden. Damit w
ürde die Macht der
16080 Martier auf der Erde auf
144 gro
ße und eine Anzahl kleinerer
16081 Luftschiffe mit
3.456 Mann gebracht sein, eine Flotte, die den
16082 Martiern gen
ügend schien, den Kampf im Notfall mit der
16083 gesamten Erde aufzunehmen.
</p>
16084 <p>Die Note der englischen Regierung war vom
18. Februar datiert.
16085 Am zwanzigsten erfolgte die Antwort Kals. Sie besagte, da
ß
16086 die Regierung der Marsstaaten hiermit an die gro
ßbritannische
16087 Regierung das Ultimatum richte, bis zum
1. M
ärz s
ämtliche
16088 gestellte Forderungen zuzugestehen, widrigenfalls sich die
16089 Marsstaaten als im Kriegszustand mit England betrachten
16090 w
ürden. Diese Erkl
ärung wurde gleichzeitig allen andern
16091 Regierungen mitgeteilt.
</p>
16092 <p>Am
23. Februar dr
ängte sich in Berlin auf der
16093 Wilhelmstra
ße, Unter den Linden und vor dem k
öniglichen
16094 Schlo
ß eine ungeheure Menschenmenge. Es hatte sich das
16095 Ger
ücht verbreitet, eine Gesandtschaft der Martier sei
16096 eingetroffen, sie befinde sich im Palais des Reichskanzlers und
16097 werde vom Kaiser empfangen werden. Die Schaulust der Menge sollte
16098 jedoch nicht befriedigt werden, dagegen wurde der gesamten
16099 Bev
ölkerung eine andere
Überraschung zuteil durch eine
16100 Nachricht, welche der Reichsanzeiger in einer Extraausgabe brachte.
16101 Es wurde darin mitgeteilt, da
ß sich allerdings in der Nacht
16102 eine Gesandtschaft der Martier in Berlin befunden, die Stadt aber
16103 bereits am Morgen verlassen habe. Die Beziehungen zur Regierung der
16104 Marsstaaten seien
äu
ßerst freundliche, und man hoffe,
16105 da
ß auch ein Einvernehmen mit England hergestellt werden
16106 w
ürde. Bald darauf teilte der Telegraph aus allen
16107 Hauptst
ädten
ähn- liche Nachrichten mit.
</p>
16108 <p>In aller Stille n
ämlich hatten die Martier mit den
16109 M
ächten einzeln verhandelt, und in der Nacht vom
22. zum
23.
16110 Februar waren gleichzeitig in Washington, Paris, Berlin, Wien, Rom
16111 und Petersburg Gesandtschaften der Martier heimlich eingetroffen,
16112 um durch m
ündlichen Verkehr mit den leitenden
16113 Staatsm
ännern die Lage zur Kl
ärung zu bringen. In Berlin
16114 hatte ein Luftschiff mehrere Stunden im Garten des
16115 Reichskanzlerpalais gelegen, und der martische Gesandte hatte sich
16116 mit dem Reichskanzler besprochen. Aber weder aus Deutschland noch
16117 aus irgendeinem andern Staat konnte man erfahren, was der
16118 Gegenstand und das Resultat dieser Unterredungen gewesen sei. Man
16119 vermutete, da
ß es sich um Erkl
ärungen der Martier
16120 über ihre Absichten und um die Vermittlung der M
ächte
16121 zwischen den Marsstaaten und Gro
ßbritannien handle. Man
16122 bezweifelte nicht, da
ß die Martier friedliche Versicherungen
16123 gemacht h
ätten, aber man setzte kein Vertrauen darauf,
16124 da
ß die Vermittlungsvorschl
äge der M
ächte bei
16125 England g
ünstige Aufnahme finden w
ürden.
</p>
16126 <p>Sie waren wohl auch haupts
ächlich in der Absicht zugesagt,
16127 die Gesch
äftswelt einigerma
ßen zu beruhigen; denn auf
16128 die erste Nachricht vom Ultimatum der Martier hatten die
16129 B
örsen aller L
änder mit einem gewaltigen Sturz aller
16130 englischen Werte geantwortet, und die dadurch eingerissene Panik
16131 dauerte fort. Die Nachrichten aus England aber wurden nicht
16132 g
ünstiger. Die Stimmung war kriegerisch. Nur wenige
16133 Bl
ätter wagten einem Nachgeben gegen die Martier das Wort zu
16134 reden, und sie wurden tumultuarisch
überschrien. Krieg gegen
16135 den Mars war die Losung geworden. Krampfhaft r
üstete man in
16136 Heer und Flotte, obwohl man nicht wu
ßte, in welcher Form man
16137 einen Angriff zu gew
ärtigen habe. Fieberhafte T
ätigkeit
16138 herrschte in den Arsenalen und Werkst
ätten, wo man
16139 haupts
ächlich damit besch
äftigt war, die Konstruktion der
16140 Gesch
ütze so umzu
ändern, da
ß sie eine
16141 gr
ößere Elevation gestatteten. Denn man erwartete, den
16142 Kampf mit einem Gegner f
ühren zu m
üssen, der sich in der
16143 Luft befand. Man tr
östete sich mit der Sicherheit, da
ß
16144 die Martier jedenfalls nicht imstande seien, au
ßerhalb ihrer
16145 Luftschiffe irgend etwas auszurichten, weil ihre K
örper unter
16146 dem Einflu
ß der Erdschwere zu Kraftleistungen, ja zur
16147 einfachen Bewegung untauglich seien. Man hoffte daher, wenn man
16148 sich nur die Luftschiffe vom Halse halten konnte, nichts
16149 Ernstliches zu bef
ürchten zu haben und den auf der Erde
16150 fremden Gegner bald zu erm
üden.
</p>
16151 <h2>40 - Ismas Leiden
</h2>
16153 <p>Inzwischen war man auf dem Mars recht ungeduldig. Nachdem die
16154 Abreise des ersten Raumschiffs sich bereits verz
ögert hatte,
16155 vergingen weitere f
ünfundzwanzig Tage, bis die erste kurze
16156 Lichtdepesche die gl
ückliche Ankunft desselben auf der
16157 Au
ßenstation am S
üdpol der Erde meldete. Dann dauerte es
16158 wieder einige Tage, bis man erfuhr, da
ß die
übrigen
16159 Raumschiffe ebenfalls angelangt und die Luftschiffe in Betrieb
16160 gesetzt seien. Die Verz
ögerung der Antwort seitens der
16161 britischen Regierung wirkte verstimmend. Man war daher angenehm
16162 überrascht, als man vernahm, da
ß die Regierung zu einem
16163 tatkr
äftigen Vorgehen entschlossen war, und als das Ultimatum
16164 an England bekannt wurde, wurden dem Zentralrat und insbesondere
16165 Ill lebhafte Ovationen dargebracht. Die nach der Erde mit
16166 Verst
ärkung abgehenden Schiffe wurden mit begeisterten
16167 Abschiedshuldigungen gefeiert. Man bedauerte nur, da
ß die
16168 Nachrichten von der Erde so kurz und sp
ärlich waren, weil man
16169 auf den schwierigen Verkehr durch Lichtdepeschen angewiesen
16171 <p>Mit Spannung sah man der R
ückkehr des ersten Raumschiffes
16172 entgegen, welches ausf
ührlichere Nachrichten bringen
16173 mu
ßte. Aber da die Planeten jetzt von Tag zu Tag sich weiter
16174 voneinander entfernten, dauerte die
Überfahrt l
änger.
16175 Jetzt war seine Ankunft indessen jeden Tag zu erhoffen. Ill wollte
16176 nur dieses Ereignis abwarten, um sich selbst nach der Erde zu
16178 <p>Niemand aber ersehnte die Ankunft des Schiffes ungeduldiger als
16179 Isma. Sollte es ihr doch Nachrichten von der Erde bringen. Sie
16180 wu
ßte zwar, da
ß sie mit diesem Schiff noch keinen Brief
16181 von ihrem Mann erhalten konnte, denn es hatte die Erde verlassen,
16182 ehe eine Antwort auf ihr Schreiben in Sydney eintreffen konnte.
16183 Aber sie hoffte auf Zeitungen, die ja
über die R
ückkehr
16184 Torms Auskunft geben mu
ßten.
</p>
16185 <p>Isma lebte einsam und traurig in Ills Haus, und alle
16186 Bem
ühungen der guten Frau Ma, sie zu erheitern, waren
16187 vergeblich. Ell begleitete Ill auf seinen h
äufigen Reisen nach
16188 dem S
üdpol und der Schiffsbaust
ätte. Bei Isma lie
ß
16189 er sich nicht mehr sehen, und heimlich bereute sie ihre
16190 leidenschaftliche Trennung von dem alten Freund. La war in der
16191 Ferne. Zu andern Martiern vermochte sie in kein vertrauteres
16192 Verh
ältnis zu kommen. Ihr einziger n
äherer Umgang war
16193 Saltner, der seinen Sprachunterricht in Kla wieder aufgenommen
16194 hatte. Aber auch er war nicht mehr der
überm
ütige,
16195 lustige Mann wie fr
üher, und Isma bemerkte wohl, da
ß ihn
16196 noch eine andere Sorge dr
ückte als das Heimweh und der Kummer
16197 um das Schicksal der Menschen. Und doch war es schon schwer genug,
16198 hier in der Verbannung zu leben, w
ährend das Vaterland in
16199 drohendster Gefahr schwebte.
</p>
16200 <p>Und endlich, heute war die Depesche gekommen, da
ß das
16201 Raumschiff in der Nacht gelandet sei. Kaum vermochte Isma ihre
16202 Aufregung zu beherrschen. Doch die Aufgaben des Tages mu
ßten
16203 erledigt werden, sie zwang sich zur Ruhe, obwohl sie bei jedem
16204 Ger
äusch hoffte, man bringe die ersehnten Nachrichten.
</p>
16206 <p>Die franz
ösische Konversationsstunde war beendet. Isma
16207 schlo
ß die Klappe des Fernsprechers und setzte sich an ihren
16208 Schreibtisch. Er war ein Geschenk Ells, der ihn nach dem Muster
16209 ihres Schreibtisches in Friedau aus der Erinnerung so gut wie
16210 m
öglich hatte herstellen lassen, weil er wu
ßte,
16211 da
ß Isma die Schreibmaschine und die M
öbel der Martier
16212 nicht sehr liebte. Sie zog wieder ihr Tagebuch hervor. Die
16213 Zeitrechnung machte ihr Schwierigkeiten, denn der Marstag war um
37
16214 Minuten l
änger als der Erdentag, da sie aber stets einen
16215 Marstag gleich einem Erdentag in ihrem Buch gerechnet hatte, so
16216 mu
ßte sie alle neununddrei
ßig Tage einen Erdentag
16217 überspringen, um nicht gegen den Kalender der Erde zu weit
16218 zur
ückzubleiben. Das war nun jetzt zum viertenmal der Fall
16219 – so lange weilte sie auf dem Mars! Sie fand, da
ß heute
16220 auf der Erde der
27. Februar sei, ein Sonntag! Und der Geburtstag
16221 ihres Mannes! Wie gl
ücklich hatte sie diesen Tag sonst
16222 verlebt, und mit welchen Hoffnungen im vorigen Jahr! Und wo mochte
16223 Hugo jetzt weilen? Der Trost, den seine Rettung ihr gew
ährte,
16224 hatte nur auf kurze Zeit angehalten. Die Unm
öglichkeit, sich
16225 mit ihm so zu verst
ändigen, wie es ihr Herz verlangte,
16226 erh
öhte nur ihre Sehnsucht und ihre Sorge. Was hatte er von
16227 ihr geh
ört, in welchem Licht mu
ßte sie ihm erscheinen,
16228 wie w
ürde er ihre Handlungsweise beurteilen? Konnte er ihr
16229 Glauben schenken? Wie entt
äuscht und einsam mu
ßte er
16230 sich f
ühlen wenn er das Haus leer fand, wo er sein Gl
ück
16231 wiederzufinden hoffte!
</p>
16232 <p>Das Herabfallen der Fernsprechklappe schreckte sie aus ihren
16234 <p>»Liebe Isma, sind Sie da? Ja? Ich bringe Ihnen
16235 etwas!
« Es war die Stimme von Frau Ma. Im Augenblick war Isma
16236 aufgesprungen. Schon erschien Ma an der T
ür.
</p>
16237 <p>»Da, Frauchen
«, rief sie,
»da haben Sie die
16238 ganze Post f
ür Sie. Ein gro
ßes Paket, nicht wahr? Ill
16239 hat alle deutschen Zeitungen aufkaufen lassen, die in Sydney zu
16240 haben waren. Und nun
ängstigen Sie sich nicht, es wird alles
16241 gut werden. Ich will Sie jetzt nicht st
ören.
« Sie
16242 k
üßte Isma auf die Stirn und ging.
</p>
16243 <p>Das Paket, von einem leichten Korbgeflecht umh
üllt, lag auf
16244 dem Tisch. Ismas H
ände zitterten, als sie den Verschlu
ß
16245 auseinanderbog. Ein Haufen Zeitungen lag vor ihr. Sie setzte sich
16246 und zwang sich zur Ruhe. Systematisch nahm sie ein Blatt nach dem
16247 andern zur Hand, sah nach dem Datum und entfaltete es. Die
16248 Bl
ätter waren offenbar schon von einer kundigen Hand geordnet.
16249 Das erste war vom
24. September vorigen Jahres. Gleich nach dem
16250 Leitartikel enthielt es in fettem Druck die Nachricht, da
ß
16251 das englische Kanonenboot
›Prevention
‹ auf der
16252 R
ückkehr begriffen sei. Es habe in der N
ähe von Grinnell-
16253 Land einen siegreichen Kampf mit einem Luftschiff, angeblich den
16254 Bewohnern des Planeten Mars geh
örig, bestanden. An Bord
16255 befinde sich der Leiter der deutschen Nordpolexpedition, Torm, der
16256 von wandernden Eskimos dahin gebracht sei
– –
16258 <p>Isma las nicht weiter. Sie ergriff ein neues Blatt.
»Torm
16259 in London.
« Sie
überflog nur die Zeilen.
16260 »Tiefergreifend wirkten auf den k
ühnen Forscher die
16261 Nachrichten
über das Schicksal der
übrigen
16262 Expeditionsmitglieder, insbesondere die gl
ückliche Heimkehr
16263 Grunthes und die Rettung der wissenschaftlichen Resultate. Aber
16264 alles tritt im Augenblick in den Hintergrund gegen
über der
16265 Tatsache, da
ß die Martier
–« – Weiter
16266 – »Der Festabend der geographischen Gesellschaft litt
16267 unter der getr
übten Stimmung des Gefeierten, den traurige
16268 Familiennachrichten niederdr
ückten
–«</p>
16269 <p>Isma seufzte tief. Sie vermochte kaum zu lesen. Jeden Augenblick
16270 f
ürchtete sie auf ihren Namen zu sto
ßen und die
16271 Verleumdung
öffentlich ausgesprochen zu sehen. Aber es war
16272 nichts weiter gesagt. Ein anderes Blatt!
»Torm in Hamburg.
16273 Begeisterter Empfang.
« – Weiter!
»Torm in Berlin.
16274 – R
ührendes Wiedersehen von Torm und Grunthe.
–
16275 Allgemein bedauerte man die Abwesenheit Friedrich Ells, des
16276 geistigen und pekuni
ären Vaters der Expedition, der sich
16277 bekanntlich nach dem Mars begeben hat.
– Wie wir h
ören,
16278 beabsichtigt Torm, seinen Wohnsitz vorl
äufig in Berlin zu
16279 nehmen
–«</p>
16280 <p>Isma atmete auf. Diese Zeitung wenigstens schien diskret zu sein
16281 – man wollte offenbar den verdienten Forscher schonen.
</p>
16282 <p>Und sie, sie sollte schuld sein, da
ß man ihn schonen
16283 mu
ßte? Was mochten andere von ihr sagen? Und warum sagte man
16284 nicht offen, weshalb sie fortgegangen war
– Grunthe
16285 wu
ßte es doch, er konnte sie rechtfertigen.
</p>
16286 <p>»Es glaubt ihm niemand!
« Wie ein Schrei entrang es
16287 sich Isma. Mechanisch bl
ätterte sie weiter. Da haftete ihr
16288 Auge auf einer Stelle.
</p>
16289 <p>»Infolge der geh
ässigen Angriffe, die von gewissen
16290 Bl
ättern gegen den Martier-Sohn Friedrich Ell gerichtet werden
16291 und die sich bem
ühen, die Gattin unseres gro
ßen
16292 Landsmanns Torm zu verleumden, sehen wir uns gezwungen, von unserm
16293 Grundsatz abzugehen, wonach wir um pers
önlichen Klatsch uns
16294 nicht k
ümmern. Wir sind jedoch in der Lage, aus bester Quelle
16295 jene schamlosen Hetzereien zur
ückzuweisen, die, soviel wir
16296 wissen, ihren Ursprung aus einem Artikel des Friedauer
16297 Intelligenzblattes genommen haben. Es war dort gesagt, jedermann in
16298 Friedau wisse, da
ß zwischen Ell und Frau Torm intime
16299 Beziehungen seit Jahren bestanden h
ätten. Die Polarexpedition,
16300 so deutete man an, sei von Ell angeregt, um Torm zu entfernen. Auf
16301 die Nachricht von seiner zu erwartenden R
ückkehr habe Frau
16302 Torm ihr Haus verlassen und sei aus Friedau verschwunden. Man
16303 vermute, da
ß sie mit ihrem Freund nach dem Mars gegangen sei,
16304 und so weiter.
– Dies alles ist erb
ärm- liche L
üge.
16305 Herr Dr. Karl Grunthe, der Begleiter Torms, an dessen
16306 Wahrhaftigkeit wohl selbst das Friedauer Intelligenzblatt nicht zu
16307 zweifeln wagen wird, schreibt uns, da
ß Frau Torm in seiner
16308 Gegenwart in einer mit Ell gef
ührten Unterredung sich
16309 entschlossen habe, das Luftschiff der Martier zu benutzen, um auf
16310 demselben Nachforschungen nach dem Verbleib ihres verschollenen
16311 Gemahls anzustellen und die Rettung desselben zu betreiben. Ohne
16312 Zweifel ist es dasselbe Luftschiff, welches in Konflikt mit dem
16313 englischen Kanonenboot
›Prevention
‹ geraten ist, zu
16314 einer Zeit, als sich Torm noch bei den Eskimos befand. Nicht
16315 aufgekl
ärt bleibt nur, warum das Luftschiff Friedau eher als
16316 geplant, mitten in der Nacht, verlassen hat und warum es dann,
16317 entgegen der Zusage des Befehlshabers, nicht nach Friedau
16318 zur
ückgekehrt ist. Man kann hieraus die Bef
ürchtung
16319 ziehen, da
ß ihm irgendein Ungl
ücksfall zugesto
ßen
16320 ist, und dies um so mehr, als der Kapit
än Keswick versichert,
16321 durch seine Beschie
ßung das Luftschiff besch
ädigt zu
16322 haben. Alle andern Schl
üsse aber sind als Verleumdungen
16323 zur
ückzuweisen. Der heldenm
ütige Entdecker des wahren
16324 Nordpols, den der unerkl
ärliche Verlust seiner geliebten
16325 Gattin tief niederdr
ückt, verdiente wohl, da
ß man ihn im
16326 eigenen Vaterland nicht noch in seinem Teuersten
16327 beschimpft.
«</p>
16328 <p>Die Nummer der Zeitung war bereits vom November des vorigen
16329 Jahres. Die folgenden Nummern, die bis zum Anfang Januar dieses
16330 Jahres reichten, schienen nichts weiter
über diese
16331 Angelegenheit zu enthalten. Wenigstens fand Isma beim eiligen
16332 Durchbl
ättern keine dahinzielende Notiz, und sie hoffte schon,
16333 die Erkl
ärung habe ihre Wirkung getan.
</p>
16334 <p>Isma sa
ß lange unf
ähig ihre Gedanken zu ordnen, den
16335 Kopf in die H
ände gest
ützt. Dann begann sie
16336 weiterzusuchen. Es folgten jetzt Exemplare anderer Zeitungen, sogar
16337 einige Witzbl
ätter. Da sah sie mit Abscheu und Entsetzen,
16338 da
ß man offenbar im gro
ßen Publikum sich nicht an die
16339 gegebene Aufkl
ärung kehrte. Wo von Ell die Rede war
–
16340 und sein Buch
über die Martier wurde
überall erw
ähnt
16341 – da fand sich auch irgendeine h
ämische oder witzelnde
16342 Bemerkung. Was mu
ßte Torm dabei f
ühlen! Isma wollte
16343 nichts mehr sehen, sie ballte die H
ände zusammen. Da erblickte
16344 sie auf der halbgebrochenen Seite eines Witzblattes unverkennbar
16345 das Gesicht Torms
– sie schlug das Blatt auf. Es war eine
16346 Karikatur
– Torm in einem Luftballon auf dem Nordpol,
16347 über ihm ein Luftschiff der Martier, worin Ell und Isma ihm
16348 lange Nasen drehen
– – Sie las nicht, was darunter
16349 stand, sie sprang auf und ergriff den Rest der noch nicht
16350 durchbl
ätterten Papiere, um sie fortzuschleudern.
</p>
16351 <p>Da, was f
ällt da herab? Ein zusammengelegtes, geschlossenes
16352 Papier
– eine telegraphische Depesche
– ein Formular
16353 des Telegraphenamts in Sydney
– die Adresse ist in englischer
16354 Sprache geschrieben
– ›An die Gesandtschaft der
16355 Marsstaaten f
ür Frau Torm
‹.
</p>
16356 <p>Isma rei
ßt das Papier auf. Der Inhalt ist deutsch, mit
16357 lateinischen Buchstaben von einer englischen Hand geschrieben. Die
16358 Buchstaben tanzen vor ihren Augen, sie kann sie kaum
16360 <p>»Berlin, den
6. Januar. Herzlichen Dank f
ür die
16361 Aufkl
ärung durch dein langes, liebes Telegramm! Das
16362 Mi
ßgeschick, das dich fernh
ält, schmerzlich betrauernd,
16363 sende ich innige Gr
üße in treuer Liebe und erhoffe
16364 baldiges, ungetr
übtes Wiedersehen. Dein Torm!
«</p>
16365 <p>Das Telegramm entsank ihrer Hand, und ihre nerv
öse Spannung
16366 l
öste sich in einem schluchzenden Weinen. Eine direkte
16367 Nachricht hatte sie nicht erwartet. Sie wu
ßte, da
ß die
16368 Martier am
2. Januar nach Sydney gekommen waren und das Raumschiff
16369 bereits Mitte Januar die Erde wieder verlassen hatte. In dieser
16370 Zeit konnte kein Brief nach Berlin gelangen. Dein langes, liebes
16371 Telegramm! Also man war so aufmerksam gewesen, ihren ganzen Brief
16372 an Torm zu telegraphieren. Ein leichter Schreck durchzog ihr
16373 sparsames Hausfrauenherz, wenn sie an die ungeheuren Kosten dieses
16374 Riesentelegrammes dachte. Aber es vers
öhnte sie
16375 einigerma
ßen mit der Hartn
äckigkeit der Martier, nur
16376 offene Briefe zuzulassen. Sie war gl
ücklich
über das
16377 Telegramm, das kein Wort des Vorwurfs enthielt, und doch wie wenig
16378 sagte es! Aber was kann man auch in einem Telegramm sagen! Sie las
16379 die wenigen Zeilen immer wieder.
</p>
16380 <p>Ma trat in das Zimmer.
</p>
16381 <p>»Sitzen Sie nun schon zwei Stunden
über den
16382 Bl
ättern, Frauchen? Und geweint haben Sie auch?
Ärgern
16383 Sie sich nur nicht. Was gibt es denn?
«</p>
16384 <p>Isma versuchte zu l
ächeln.
»H
ätte ich nur das
16385 Telegramm eher gefunden
«, sagte sie,
»so h
ätten
16386 mich die dummen Menschen weniger gekr
änkt.
«</p>
16387 <p>»Aber Sie haben ja den Korb auf der falschen Seite
16388 ge
öffnet
– es hat doch wahrscheinlich obenauf gelegen.
16389 Und nun kommen Sie gleich einmal mit mir! Saltner ist da, er hat
16390 auch Nachrichten, von seiner Mutter und von Grunthe. Und Ell hat
16391 die Depesche hergeschickt, die er von Ihrem Mann bekommen hat. Es
16392 ist doch nett von Ell, da
ß er alle euere Briefe an ihre
16393 Adresse hat telegraphieren lassen und sofortige telegraphische
16394 Antwort bestellt hat.
«</p>
16395 <p>Isma erhob sich.
»Ich komme sogleich
«, sagte
16397 <p>Also Ell hatte sie es zu verdanken, da
ß sie schon eine
16398 Antwort bekommen hatte! W
ährend sie ihre Augen k
ühlte und
16399 ihr Haar ordnete, bedr
ückte sie der Gedanke, da
ß ihr
16400 Brief zwanzig Seiten, eng beschrieben
– das waren gewi
ß
16401 an die viertausend Worte
– enthalten hatte. Wenn Ell das
16402 alles telegraphieren lie
ß, das war ja eine Depesche f
ür
16403 zwanzigtausend Mark! Fr
üher h
ätte sie bei Ell
16404 überhaupt nicht daran gedacht, da
ß zwischen ihnen ein
16405 Abw
ägen des Gebens oder Nehmens bestehen k
önne, aber
16406 jetzt war es ihr peinlich, sich so verpflichtet zu f
ühlen.
</p>
16407 <p>Bei ihrem Eintritt in das Empfangszimmer hielt ihr Saltner
16408 zuerst freudestrahlend ein Telegramm entgegen, das sie gar nicht zu
16409 entziffern vermochte. Es war von seiner Mutter. Aus den
16410 abgebrochenen, nicht ganz dialektfreien S
ätzen, welche die
16411 gute Frau in der Absicht, recht kurz zu sein, gebaut hatte, war
16412 durch den englischen Telegraphisten ein unm
ögliches
16413 Kauderwelsch geworden. Saltner aber gen
ügte es
16414 vollst
ändig, daraus die Freude der Mutter
über sein
16415 Wohlbefinden zu ersehen, und jedes verst
ümmelte Wort machte er
16416 mit r
ührender Sorgfalt zu einem besonderen Studium.
</p>
16417 <p>Grunthe hatte nur kurz an Saltner telegraphiert, da
ß die
16418 pl
ötzliche Abreise Ells sehr st
örend f
ür die
16419 Stimmung der Bev
ölkerung in bezug auf die Martier sei, da er
16420 selbst die gegen Ells Schriften erhobenen Bedenken nicht
16421 gen
ügend widerlegen k
önne. Die politischen
16422 Verh
ältnisse bezeichnete er als ziemlich trostlos; seine
16423 Ansicht, da
ß man alle von den Martiern gestellten Forderungen
16424 bewilligen m
üsse, um ihnen jede Veranlassung zu nehmen, sich
16425 in die menschlichen Angelegenheiten einzumischen, finde wenig
16426 Anh
änger. Man untersch
ätze die Macht der Martier und baue
16427 auf ihre Unf
ähigkeit, sich au
ßerhalb ihrer Schiffe auf
16428 der Erde zu bewegen, w
ährend doch r
ückhaltloses Vertrauen
16429 und reiner Wille die einzigen Mittel sein w
ürden, den
16430 Einflu
ß der Nume zum Besten zu lenken.
</p>
16431 <p>Isma hatte die Zeilen nur durchflogen, um nun in Ruhe Torms
16432 langes Telegramm an Ell zu lesen. Es trug das Datum vom
8. Januar.
16433 Zun
ächst war es rein gesch
äftlich gehalten, ein Bericht
16434 des Leiters der Nordpolexpedition an deren Veranstalter. Was Isma
16435 am meisten interessierte, die pers
önlichen Schicksale Torms,
16436 war nur kurz geschildert. Dann aber hie
ß es:
</p>
16437 <p>»Ich bedauere tief, da
ß Sie den heldenm
ütigen,
16438 aber
übereilten Entschlu
ß meiner Frau unterst
ützten
16439 und Friedau unter so ungew
öhnlichen Umst
änden
16440 verlie
ßen. Mir pers
önlich, wie dem allgemeinen Interesse
16441 entstehen dadurch Schwierigkeiten, die sich noch gar nicht absehen
16442 lassen. Bieten Sie allen Einflu
ß auf, um Ismas R
ückkehr
16443 zu erm
öglichen, und kommen Sie selbst, um Ihre Sache zu
16444 f
ühren. Wirken Sie darauf hin, da
ß die Marsstaaten keine
16445 anderen Bestrebungen verfolgen, als ganz allm
ählich einige
16446 ihrer technischen Fortschritte uns zug
änglich zu machen. Von
16447 jeder direkten Einwirkung bef
ürchte ich Unheil f
ür die
16448 Menschen. Ich bleibe vorl
äufig in Berlin. Leider scheint in
16449 den ma
ßgebenden Kreisen Entschlu
ßlosigkeit zu
16450 herrschen. Ich best
ätige dankend den Empfang der von Ihnen
16451 f
ür die nachtr
äglichen Kosten der Expedition angewiesenen
16452 Summe von
100.000 Mark. Torm.
«</p>
16453 <p>Isma lie
ß das Blatt sinken. Sie f
ühlte sich
16454 uns
äglich elend. Um ihren Mann zu retten, hatte sie sich zur
16455 Reise entschlossen, und was hatte sie erreicht! Welche Qualen hatte
16456 sie ihm bereitet! Und den Freund abgezogen von seiner h
öchsten
16457 Pflicht, f
ür den Frieden der Planeten zu wirken! Und sie
16458 selbst, einsam, machtlos, verbannt
– –</p>
16459 <p>Sie sprang auf und fa
ßte Mas H
ände.
</p>
16460 <p>»Lassen Sie mich fort
«, rief sie leidenschaftlich.
16461 »Ich mu
ß nach der Erde, ich mu
ß zu meinem Mann!
16462 Ich mu
ß Ell sprechen. Wo ist er?
«</p>
16463 <p>»Aber Frauchen, was ist Ihnen? Zu Ell k
önnen Sie
16464 jetzt nicht, er ist nach dem Pol gereist, um mit Ill zu
16465 konferieren. Aber beruhigen Sie sich. Die n
ächsten Tage werden
16466 alles entscheiden. Ich darf ihnen sagen, wir verhandeln mit den
16467 M
ächten, auch mit ihrem Vaterland. Sobald der Frieden
16468 gesichert ist, sollen Sie nach Hause.
«</p>
16469 <p>»Ich gehe nat
ürlich mit
«, rief Saltner.
16470 »Auf Ell rechnen Sie nicht, f
ür ihn ist es jetzt zu
16471 sp
ät, oder noch zu zeitig. Was er vers
äumt hat, kann er
16472 jetzt nicht einholen. Er h
ätte mit dem ersten Raumschiff nach
16473 dem S
üdpol gehen und sich sofort nach Deutschland begeben
16474 m
üssen. Das wollte er nicht. Es war ein gro
ßes
16475 Unrecht.
«</p>
16476 <p>»Und wann
«, seufzte Isma,
»wann kommt endlich
16477 die Befreiung.
«</p>
16478 <p>Ma sprach einige tr
östende Worte, als sie pl
ötzlich
16479 abberufen wurde. Schon nach wenigen Minuten kehrte sie
16481 <p>»Weinen Sie nicht mehr
«, sagte sie zu Isma,
16482 »ich bringe Wichtiges f
ür sie, hoffentlich Gutes:
16483 Nachricht von Ill. Er hat telegraphiert, weil es vertraulich ist,
16484 und beim Sprechen wei
ß man nie, wer zuh
ört. Nun, ich
16485 lese ja schon, h
ören Sie nur: Soeben meldet Lichtdepesche,
16486 da
ß s
ämtliche Gro
ßm
ächte, falls England unser
16487 Ultimatum nicht annimmt, Neutralit
ät erkl
ärt haben. Wir
16488 verpflichten uns gegen Verkehrsfreiheit, jeder Einmischung in
16489 politische Angelegenheiten uns zu enthalten. Leider Annahme des
16490 Ultimatums durch England aussichtslos.
«</p>
16491 <p>Saltner sprang auf.
»Das ist doch etwas! So wird der Krieg
16492 wenigstens lokalisiert, wenn man so sagen darf. England geht es
16493 freilich an den Kragen, es ist ja traurig. Aber wir haben Frieden,
16494 Gott sei Dank! Nun d
ürfen wir zur
ück, nicht
16496 <p>»Ich zweifle nicht
«, sagte Ma.
»Gibt England
16497 nicht nach, so geht
übermorgen, sobald Ihr zweiter M
ärz
16498 anf
ängt, Raumschiff auf Raumschiff nach dem Nordpol, und Sie
16499 d
ürfen sicher mitreisen. In vier bis f
ünf Wochen
16500 k
önnen Sie daheim sein. Aber Frauchen, was machen Sie, wie
16501 sehen Sie aus? Gleich kommen Sie mit mir, Sie m
üssen in Ihr
16502 irdisches Schwerek
ämmerchen!
«</p>
16503 <p>Die Aufregung, die Sorge und nun die pl
ötzliche Aussicht
16504 auf Heimkehr hatten Ismas Widerstandskraft gel
ähmt. Alles Blut
16505 war aus ihrem Gesicht entwichen, mit bleichen Wangen, einer
16506 Ohnmacht nahe, lag sie auf ihrem Sessel. Ma umfa
ßte sie und
16507 f
ührte sie schonend auf ihr Zimmer.
</p>
16508 <h2>41 - Die Schlacht bei Portsmouth
</h2>
16509 <p>England hatte das Ultimatum abgelehnt. Hierauf ging an den
16510 Befehlshaber der martischen Streitkr
äfte auf dem S
üdpol
16511 der Erde die Weisung, mit Gewaltma
ßregeln unnachsichtlich,
16512 doch ohne Blutvergie
ßen vorzugehen.
</p>
16513 <p>Am zweiten M
ärz erfolgte die Kriegserkl
ärung.
</p>
16514 <p>Eine Mitteilung an die Regierungen und eine Proklamation an alle
16515 V
ölker der Erde besagte, da
ß vom sechsten M
ärz
16516 mittags zw
ölf Uhr an England und Schottland von jedem Verkehr
16517 abgeschnitten sein w
ürden. Von diesem Zeitmoment an werde die
16518 Blockade
über die K
üste dieser L
änder effektiv sein,
16519 und zwar in der Art, da
ß es keinem Schiff gestattet sein
16520 solle, die Zone von f
ünf bis zu zehn Kilometer Abstand von der
16521 K
üste weder landw
ärts noch seew
ärts zu
16522 überschreiten. Alle fremden Schiffe m
üßten bis
16523 dahin die englischen H
äfen verlassen haben.
</p>
16524 <p>Man lachte in England dar
über als
über eine
16525 Aufschneiderei der Martier. Doch als es sich in der Nacht vom
16526 zweiten zum dritten M
ärz herausstellte, da
ß
16527 s
ämtliche Kabel, welche England mit dem Kontinent und mit
16528 Irland verbanden, unterbrochen waren und die telegraphische
16529 Verbindung somit aufgehoben war, ohne da
ß eines der vor der
16530 K
üste kreuzenden Kriegsschiffe bemerkt hatte, wie die hierzu
16531 erforderlichen Arbeiten ausgef
ührt worden seien, beeilten sich
16532 die in den H
äfen befindlichen fremden Schiffe, sich zu
16533 entfernen. Die in England weilenden Ausl
änder ergriffen
16534 scharenweise die Flucht.
</p>
16535 <p>Am Morgen des sechsten M
ärz hatten alle fremden Schiffe,
16536 die es irgend erm
öglichen konnten, England verlassen. Auch die
16537 Postdampfer legten nicht mehr in den englischen H
äfen an. Die
16538 Flotte war, soweit sie nicht in den Kolonien gebraucht wurde, vor
16539 Portsmouth versammelt. Von allen Schiffen, von allen Befestigungen
16540 am Land, von den Anh
öhen und den Landh
äusern auf Wight
16541 sp
ähte man nach dem Gegner aus, der sich anheischig gemacht
16542 hatte, ein Land von
230.000 Quadratkilometern Fl
äche mit einer
16543 Bev
ölkerung von
35 Millionen, gesch
ützt von der
16544 st
ärksten Flotte der Erde, vom Weltverkehr abzusperren. Nichts
16545 war zu sehen. Die zw
ölfte Stunde r
ückte heran. Einige
16546 Schiffe, die von der Blockade noch nichts geh
ört hatten,
16547 passierten ungehindert die zu sperrende Zone. Besonders lebhaft war
16548 der Verkehr nach der Insel Wight. Zahlreiche Personendampfer waren
16549 hier unterwegs, Boote aller Art belebten das Wasser. Noch fehlten
16550 wenige Minuten zu zw
ölf Uhr. Die Kriegsflotte im Hafen ging
16551 unter Dampf. Majest
ätisch verlie
ß, allen voran, das neue
16552 Riesenpanzerschiff
›Viktor
‹ von
15.000 Tonnen mit
16553 seinen
30.000 indizierten Pferdekr
äften die Hafeneinfahrt. Die
16554 Kanonen donnerten ihren Salut.
</p>
16555 <p>Nichts Verd
ächtiges zeigte sich nach der Seeseite zu. Aber
16556 eine Minute vor zw
ölf Uhr erschienen pl
ötzlich
über
16557 dem Land sechs dunkle Punkte, die sich schnell
16558 vergr
ößerten. Im Fernrohr erkannte man sie als
16559 Luftboote. In eine Reihe aufgel
öst hatten sie im Augenblick
16560 alle Schiffe
überholt und senkten sich dem Wasser zu. Es
16561 schlug zw
ölf Uhr. In demselben Augenblicke wurde die bis dahin
16562 ruhige See lebhaft bewegt. Am
östlichen Ausgang der
16563 Spithead-Bucht, dort wo der Abstand zwischen Wight und der
16564 englischen K
üste die Breite von zehn Kilometern erreicht,
16565 erschien eine gewaltige Brandung, wie durch ein Seebeben
16566 aufgew
ühlt. Die Schiffe, welche sich in der N
ähe
16567 befanden, beeilten sich, den Wogen zu entgehen, indem sie nach dem
16568 Land zur
ückkehrten.
</p>
16569 <p>Nahe
über der Oberfl
äche des Meeres schwebend,
16570 markierte ein Luftschiff der Martier den Punkt, bis zu welchem der
16571 Absperrungsg
ürtel sich in die Bucht von Spithead hinein zog.
16572 Die
übrigen verteilten sich in der N
ähe auf der
16573 S
üdseite von Wight und
östlich von Portsmouth. Die
16574 Martier hatten, indem sie das Wasser durch eine Reihe von
16575 Repulsitsch
üssen aufregten, nur die weiter als f
ünf
16576 Kilometer von der K
üste befindlichen Schiffe vertreiben
16577 wollen. Weiter durfte sich von jetzt ab kein Schiff vom Land
16578 entfernen und keines n
äher als zehn Kilometer sich der
16579 K
üste n
ähern. Indessen blieb der Verkehr westlich von dem
16580 markierten Punkt zwischen Wight und der K
üste ungehindert, die
16581 Insel geh
örte mit in den blockierten Bezirk.
</p>
16582 <p>Ein gro
ßer englischer Dampfer, von Le Havre nach
16583 Southampton zur
ückkehrend, wurde sichtbar. Schneller als ein
16584 Pfeil durch die Luft schie
ßend, erreichte ihn eines der
16585 Marsschiffe und rief ihm, dicht an Bord hinschwebend, den Befehl
16586 zu, umzukehren. Wohl wu
ßte der englische Kapit
än,
16587 da
ß er sein Schiff aufs Spiel setze, wenn er dem Gebot nicht
16588 folge. Aber von dem Ausguck haltenden Matrosen war ihm bereits
16589 gemeldet, da
ß die Kriegsflotte in der Bucht unter Dampf sei
16590 und auf ihn zuhalte. Schon n
äherte sich der
16591 ›Viktor
‹ dem Luftschiff, welches die Sperrgrenze
16592 markierte; eine Granate sauste unter dem schnell aufsteigenden
16593 Luftschiff fort. Unter diesen Umst
änden glaubte der
16594 Kapit
än, dem Befehl des Marsschiffes Trotz bieten zu
16595 k
önnen, und setzte seinen Kurs fort. Aber sofort richtete ein
16596 Schlag, der das Schiff an seinem Vorderteil traf, eine starke
16597 Verw
üstung auf dem Deck an, und von dem Marsschiff wurde ihm
16598 zugerufen, da
ß, wenn er nicht sofort wende, sein Schiff auf
16599 der Stelle in Grund gebohrt werden w
ürde. Nun z
ögerte der
16600 Kapit
än nicht l
änger und entfernte sich wieder vom Land,
16601 in der Hoffnung, die Flotte werde den Weg bald freimachen.
</p>
16602 <p>Inzwischen begann sich die Kriegsflotte in einer St
ärke von
16603 gegen dreihundert Schiffen, darunter zwanzig Panzerschiffe erster
16604 Klasse, in der Bucht von Spithead zu entwickeln und schickte sich
16605 an, die blockierte Linie zu forcieren, auf der man nichts bemerkte
16606 als drei langsam hin- und hergleitende Luftschiffe der Martier. Auf
16607 diese konzentrierte sich jetzt das Feuer von vielleicht
16608 f
ünfzig Gesch
ützen st
ärksten Kalibers. Gescho
ß
16609 auf Gescho
ß flog gegen die in m
äßiger H
öhe
16610 schwebenden Ziele. Aber seltsam! Nicht ein einziges Gescho
ß
16611 schien zu treffen. V
öllig ruhig, als existierte f
ür sie
16612 der Angriff gar nicht, lie
ßen die Martier die Flotte
16613 herankommen. Allen voran dampfte die Riesenmasse des
16614 ›Viktor
‹. Sein gepanzertes Verdeck war, in
16615 R
ücksicht auf die Erfahrungen der
›Prevention
‹
16616 mit dem martischen Luftschiff, mit einer besonderen Konstruktion
16617 von Schie
ßscharten versehen, um einen in der H
öhe
16618 befindlichen Gegner mit Gewehrkugeln begr
üßen zu
16619 k
önnen. Aber das Marsschiff, gegen welches sich jetzt die
16620 Handfeuerwaffen richteten, schien gegen dieselben gefeit zu sein.
16621 Unheimlich erschien diese Ruhe des Feindes, den man bald direkt
16622 über sich erblicken mu
ßte.
</p>
16623 <p>Jetzt konnte man an einem der aus dem Hafen dampfenden Schiffe
16624 die Admiralsflagge unterscheiden. Sofort hi
ßte auch eines der
16625 Marsschiffe, um sich den Engl
ändern, dem menschlichen Gebrauch
16626 folgend, kenntlich zu machen, die Flagge, welche die Anwesenheit
16627 des obersten Befehlshabers an Bord bezeichnete. Es war dasselbe
16628 Schiff, das den von Le Havre kommenden Dampfer eben
16629 zur
ückgewiesen hatte. In noch nicht einer Minute hatte es die
16630 zehn Kilometer zur
ückgelegt, die es vom englischen
16631 Admiralsschiff trennten, und hier legte es sich direkt zur Seite
16632 des Kommandoturmes, in welchem sich der Admiral, ein
16633 k
öniglicher Prinz, neben dem Kapit
än des Schiffes befand.
16634 Vergeblich richtete sich ein Hagel von Geschossen gegen das
16635 k
ühne Luftschiff. Es schien in einem leichten Nebel zu
16636 schwimmen, in welchem Granaten wie Langblei wirkungslos zerrannen.
16637 Und nun geschah etwas ganz Unerwartetes. Immer n
äher
16638 r
ückte das Luftschiff dem Kommandoturm, und lautlos, ein
16639 unerh
örtes Wunder, l
östen sich die st
ählernen
16640 Platten des Panzerturms auf der Seite des Luftschiffs und
16641 verdampften oder verschwanden in der Luft. Schutzlos sahen sich die
16642 Befehlshaber dem schwebenden Feind gegen
über. Aber kein
16643 Angriff auf sie erfolgte. Durch den Donner der Gesch
ütze der
16644 in der Front befindlichen Schiffe geschw
ächt, aber deutlich
16645 verst
ändlich vernahmen sie die englischen Worte:
»Der
16646 Oberbefehlshaber der martischen Luftflotte, Dolf, beehrt sich an
16647 Ew. kgl. Hoheit die Bitte zu richten, s
ämtlichen unter Ihren
16648 Befehlen stehenden Schiffen die Weisung zu erteilen, die Flagge zu
16649 streichen und sich binnen einer Stunde in den Hafen von Portsmouth
16650 zur
ückzuziehen. Ich w
ürde mich sonst gezwungen sehen,
16651 jedes Schiff, das nach zehn Minuten noch seine Flagge zeigt oder
16652 einen Schu
ß abgibt und das nach einer Stunde sich nicht im
16653 Hafen befindet, zu versenken, und m
üßte Ew. kgl. Hoheit
16654 f
ür die entstehenden Verluste verantwortlich
16656 <p>Ohne eine Antwort abzuwarten, war das Luftschiff verschwunden.
16657 Aber ehe es noch in die Linie der Marsschiffe zur
ückgekehrt
16658 war, hatte der
›Viktor
‹ den Punkt erreicht, den nach
16659 der Instruktion der Martier kein Schiff
überschreiten durfte.
16660 Da ging das dort befindliche Luftschiff aus seiner Wartestellung.
16661 Es senkte sich direkt hinter dem Panzerschiff bis dicht
über
16662 die Oberfl
äche des Wassers und dr
ängte sich an seine
16663 R
ückseite. Die Nihilith
ülle des Luftschiffes, die es
16664 gegen jeden Angriff sch
ützte, zersetzte die f
ünfzig
16665 Zentimeter dicken Panzerplatten binnen ebensoviel Sekunden. Ein
16666 Repulsitschu
ß zerst
örte das Steuer, ein zweiter schlug
16667 schr
äg von oben nach unten durch das Schiff und zerbrach eine
16668 Schraubenwelle. Das Riesenschiff war unf
ähig, sich zu bewegen.
16669 Jetzt erhob sich das Luftschiff wieder und schmolz das Dach des
16670 Kommandoturms ab. Mit Entsetzen sah der Kapit
än das Schiff
16671 über sich schweben, w
ährend die von seiner Mannschaft auf
16672 dasselbe gerichteten Sch
üsse nicht die geringste Wirkung
16673 zeigten. Ratlos starrte er in die H
öhe. Diese Art des Kampfes
16674 mit einem unverletzbaren Gegner mu
ßte auch den Tapfersten
16676 <p>Aus dem Marsschiff kam eine Stimme:
»Die gesamte Besatzung
16677 in die Boote. Das Schiff wird versenkt. Wir m
üssen ein Exempel
16678 statuieren, damit unsre Befehle k
ünftig besser befolgt
16680 <p>Der Kapit
än sah, da
ß er verloren war. Er lie
ß
16681 die Boote bemannen und absto
ßen. Er selbst blieb im
16682 Kommandoturm, entschlossen, mit dem Schiffe, dessen Flagge im Winde
16683 flatterte, unterzugehen. Die Boote entfernten sich. Das Marsschiff
16684 dr
ängte seinen Nihilitpanzer an die Seite des Panzerschiffes,
16685 dicht
über der Wasserlinie. Die eisernen W
ände
16686 öffneten sich, w
ährend sich das Marsschiff in die Luft
16687 erhob. Es wandte sich nach dem Kommandoturm, um den Kapit
än an
16688 seiner Selbstaufopferung zu verhindern. Aber schon neigte sich der
16689 Kolo
ß ›Viktor
‹ zur Seite. Mit wehender Flagge
16690 sank er in die Flut, die sich weitaufbrausend
über ihm und
16691 seinem F
ührer schlo
ß.
</p>
16692 <p>Der Kommandant des Marsschiffes trieb sein Boot dicht
über
16693 den sch
äumenden Wirbel hin, um nach dem Kapit
än des
16694 ›Viktor
‹ zu suchen. Die Woge brachte ihn nicht
16695 zur
ück. Die Augen der Martier verd
üsterten sich, und
16696 finsterer Ernst lagerte
über ihren Z
ügen. Noch einmal
16697 umkreiste das Boot langsam die Stelle.
</p>
16698 <p>»Wir sollen den Willen der Menschen brechen
«, sagte
16699 der Anf
ührer, den Gedanken der Seinigen Worte leihend,
16700 »aber kein Menschenleben soll mit unserem Willen zugrunde
16701 gehen. Doch der Wille dieses Tapfern war st
ärker als der
16702 unsere. Er konnte nicht leben, der das st
ärkste Schiff der
16703 Erde nicht weiter als drei Seemeilen
über den Hafen
16704 hinausgebracht hatte. Gott verzeihe uns, wir wollten nicht
16705 t
öten.
«</p>
16706 <p>Ein Signal weckte die Mannschaft aus ihrer Stimmung, die mehr
16707 der eines Besiegten als eines Siegers glich. Das Luftboot des
16708 Oberbefehlshaber Dolf war zur
ückgekehrt.
16709 »Vorw
ärts!
« rief er dem ersten Marsschiff zu,
16710 »drei andere Panzerschiffe durchbrechen die Linie. In den
16711 Grund mit ihnen!
«</p>
16712 <p>Der Offizier gehorchte schweigend.
»Wir sind keine
16713 M
örder
«, murmelte es in der Mannschaft. Aber das
16714 Luftboot st
ürzte sich auf ein zweites Panzerschiff und
16715 zerschmetterte ihm das Steuer und die Maschine. Ein Gleiches taten
16716 die
übrigen Boote mit den englischen Schiffen, welche die
16717 Grenze der Blockade
überschritten. Als ein steuerloses,
16718 hilfloses Wrack trieben bereits sieben Panzerschiffe erster Klasse
16719 auf den Wellen. Aber die Martier versenkten sie nicht, weil sie
16720 jeden Augenblick erwarteten, da
ß der englische Admiral das
16721 Signal zur Ergebung und zum R
ückzug der Flotte geben
16723 <p>Doch nichts dergleichen geschah. Die zehn Minuten waren
16724 l
ängst abgelaufen. Die Flotte r
ückte weiter vor. Der
16725 Admiral konnte sich nicht entschlie
ßen, so ruhmlos die Waffen
16726 zu strecken, obwohl ihn ein Grauen vor dem unerreichbaren Gegner
16728 <p>Das Verderben nahm seinen Fortgang. Die Martier begn
ügten
16729 sich
überall damit, die Maschinen und Steuervorrichtungen zu
16730 zerst
ören. Obwohl sie ihre sicheren Repulsitstr
öme nur
16731 auf das Material wirken lie
ßen, traten trotzdem hier und da
16732 Explosionen und Zerschmetterungen ein, denen auch Menschenleben zum
16733 Opfer fielen. Doch waren die Verluste der Engl
änder an
16734 Mannschaft gering, ihre Schiffe aber kampfunf
ähig. Bleiches
16735 Entsetzen bem
ächtigte sich allm
ählich der Offiziere und
16736 Matrosen, als sie sahen, da
ß sie dem Feind schutzlos
16737 preisgegeben waren. Ihre herrlichen Fahrzeuge waren ein Spiel der
16738 Wellen. Von den Luftschiffen der Martier, die unverletzlich
16739 blieben, verlie
ß nur von Zeit zu Zeit eines den Kampfplatz,
16740 um von einem in gro
ßer H
öhe schwebenden Munitionsschiff
16741 seinen Vorrat an Nihilit und Repulsit zu erg
änzen. Eine halbe
16742 Stunde mochte dies nutzlose Ringen gedauert haben, als auch das
16743 Admiralsschiff man
övrierunf
ähig wurde. Ein Luftschiff
16744 übersegelte seine Masten, und die Flagge verschwand. Was sich
16745 von Schiffen noch bewegen konnte, suchte in den Hafen zu fliehen.
16746 Aber dies n
ützte nun nichts mehr. Ein gro
ßer Teil der
16747 Schlacht war direkt unter den Kanonen der Festungswerke geschlagen
16748 worden. Sie konnten die Vernichtungsarbeit der Martier nicht
16749 beeintr
ächtigen. Die Luftschiffe gingen in den Hafen und
16750 zerst
örten systematisch die Bewegungsmechanismen
16751 s
ämtlicher Schiffe.
</p>
16752 <p>Nun wurde von den Engl
ändern die Parlament
ärflagge
16753 aufgezogen. Die Martier verlangten als erste Bedingung, da
ß
16754 die Mannschaft der kampfunf
ähigen Schiffe geborgen werde.
16755 Alles, was an Handelsschiffen und Booten aufzutreiben war, wurde
16756 darauf nach der Reede entsandt und brachte die Mannschaft der
16757 au
ßer Bewegung gesetzten Schiffe ans Land.
</p>
16758 <p>Die Engl
änder hatten jetzt eingesehen, da
ß es ganz
16759 nutzlos sei, ihr Pulver zu verschie
ßen. Sie konnten nur noch
16760 darauf bedacht sein, das Leben der Seeleute zu schonen und weiteren
16761 Materialschaden zu vermeiden. Als alle Menschen und die
16762 Hilfsflottille wieder im Hafen angelangt waren, legten sich zwei
16763 der Marsschiffe vor die M
ündung und erkl
ärten den Hafen
16764 f
ür gesperrt. Die herrenlosen Schiffe trieben unter einem
16765 leichten Westwind allm
ählich in den Kanal hinaus und wurden
16766 nach und nach von franz
ösischen, holl
ändischen und
16767 deutschen Dampfern geborgen, die sich in gro
ßer Anzahl in
16768 sicherer Entfernung von der Blockadelinie angesammelt hatten und
16769 Zeugen des r
ätselhaften Vernichtungskampfes geworden
16771 <p>Ähnliche Vorg
änge wie bei Portsmouth, nur in kleinerem
16772 Ma
ßstab, spielten sich
überall ab, wo sich Kriegsschiffe
16773 an der englischen K
üste vorfanden. Die Martier hatten Punkt
12
16774 Uhr am
6. M
ärz die gesamte K
üste von England und
16775 Schottland in ihrer Ausdehnung von fast
4.800 Kilometer mit ihren
16776 Luftschiffen besetzt, deren sie vorl
äufig
48 zur
16777 Verf
ügung hatten. So kam im Durchschnitt eine
16778 K
üstenl
änge von
100 Kilometer auf jedes Schiff. Doch
16779 dehnte sich diese Strecke, je nach der Beschaffenheit der
16780 K
üste, f
ür manche Schiffe auf
500– 600 Kilometer
16781 aus, w
ährend sich die Marsschiffe vor den besuchten H
äfen
16782 dichter gruppierten. Wo ein Schiff sich zeigte, st
ürzte sofort
16783 ein Luftschiff der Martier herbei und zwang es zur Umkehr oder
16784 vernichtete es im Fall des Ungehorsams auf eine solche Weise,
16785 da
ß sich die Mannschaft gerade noch nach der K
üste
16786 retten konnte. Von au
ßen kommende fremde Schiffe wurden
16787 einfach durch einen ins Wasser abgegebenen Repulsitschu
ß
16788 zur
ückgetrieben. Tats
ächlich gelangte au
ßer den
16789 einheimischen, kleineren Fischerbooten, die man passieren
16790 lie
ß, kein Schiff mehr vom
6. M
ärz an nach der
16791 englischen K
üste, keines gelangte ins Ausland.
</p>
16792 <p>An diesem Tage ward die Macht Englands gebrochen. Die Flotte war
16793 vernichtet. Wut und Best
ürzung herrschten im ganzen Land. In
16794 London war man ratlos. Niemand wu
ßte, wie man sich gegen
16795 einen solchen Feind verhalten solle. Das Ministerium trat
16796 zur
ück, aber es fanden sich keine Nachfolger. Man wollte um
16797 Frieden bitten, aber die aufgeregte Volksstimme rief nach Rache.
16798 Endlich entschlo
ß man sich, den Widerstand fortzusetzen, in
16799 der Hoffnung, da
ß sich Hilfe von ausw
ärts finden werde
16800 oder da
ß man irgendein Mittel entdecke, die Blockade zu
16801 brechen. So vergingen Wochen, in denen man nichts h
örte, als
16802 da
ß die Martier in diesem oder jenem Hafen noch ein armiertes
16803 Schiff entdeckt oder versenkt, da
ß sie hier eine Werft, dort
16804 ein Dock vernichtet h
ätten. Alle Versuche, den gesperrten
16805 G
ürtel heimlich im Schutz der Nacht zu passieren, blieben
16806 vergeblich. Die Marsschiffe, einen Weg von hundert Kilometern in
16807 sieben bis acht Minuten durchsausend, beleuchteten mit ihren
16808 Scheinwerfern den gesperrten Streifen taghell, und ehe ein Schiff
16809 sich weit genug entfernen konnte, war es aufgefunden. Selbst der
16810 Nebel sch
ützte nicht vor Entdeckung. Denn nach einigen Tagen
16811 hatten die Martier einen gro
ßen Teil der K
üste mit einem
16812 d
ünnen, schwimmenden Kabel umzogen, dessen Ber
ührung
16813 durch ein Schiff ihnen sofort die getroffene Stelle anzeigte. Und
16814 keine Nachricht von au
ßen! Der Handel unterbrochen, alle
16815 Arbeiter, deren Besch
äftigung von der Schiffahrt abhing, ohne
16816 T
ätigkeit. Und schon begann die mangelnde Einfuhr der
16817 Lebensmittel in einer dr
ückenden Erh
öhung der Preise sich
16819 <p>England war aus der Welt gestrichen. Aber die Welt ging weiter.
16820 Neue Raumschiffe kamen an mit neuen Luftbooten. Diese gingen nicht
16821 zur Verst
ärkung der Blockade ab, sondern sie suchten die
16822 englischen Kriegsschiffe in den Kolonien auf und bedrohten sie mit
16823 Vernichtung, soweit nicht die Befehlshaber sich in den Dienst der
16824 Kolonien stellten. Letztere sahen sich pl
ötzlich auf sich
16825 selbst angewiesen. Indien, Kanada, die australischen Kolonien und
16826 das Kapland erkl
ärten sich f
ür unabh
ängig und
16827 setzten selbst
ändige Regierungen ein. Dasselbe tat Irland. Die
16828 Marsstaaten erkannten sie als souver
äne und neutrale Staaten
16829 an, und so gewaltig war der Eindruck, den die Vernichtung der
16830 englischen Flotte auf der ganzen Erde gemacht hatte, da
ß kein
16831 Staat Einspruch gegen diese Ver
änderungen erhob. Keine Hand
16832 r
ührte sich f
ür England. Die anderen Nationen beeilten
16833 sich vielmehr, die bisherigen Handelsgebiete Gro
ßbritanniens
16834 f
ür sich zu sichern. Von den kleineren Kolonien zog jede Macht
16835 an sich, was sie zur Abrundung oder zur besseren Verbindung ihres
16836 Besitzes f
ür n
ötig hielt. Die Beute war vorl
äufig so
16837 reich, da
ß man sich an diejenigen Gebiete noch nicht machte,
16838 die zu Streit unter den Erbteilern h
ätten Anla
ß geben
16839 k
önnen. Im stillen verhandelten die europ
äischen
16840 Gro
ßm
ächte
über eine Teilung des englischen
16841 Besitzes am Mittelmeer und eine Aufl
ösung der T
ürkei.
</p>
16842 <p>Jetzt erst lie
ßen die Martier Zeitungen der
16843 ausw
ärtigen Staaten nach England gelangen. Was man dort
16844 l
ängst bef
ürchtet hatte, war eingetroffen. Die
16845 V
ölker teilten sich in die englische Erbschaft, ohne sich viel
16846 darum zu bek
ümmern, ob der Erblasser wirklich tot sei. Das gab
16847 den Ausschlag. Die Furcht, auch das Letzte zu verlieren,
16848 b
ändigte den englischen Nationalstolz. Man bat um Frieden.
</p>
16849 <p>Alles, was die Martier verlangt hatten, wurde zugestanden, nur
16850 den Kapit
än Keswick und den Leutnant Prim konnte man nicht
16851 mehr bestrafen. Sie waren bei einem Versuch, die Blockade zu
16852 brechen, mit ihrem Schiff untergegangen, von den Martiern aber
16853 gerettet worden. Sie befanden sich als Gefangene bereits am
16854 Nordpol. Aber auch den gegenw
ärtigen Zustand in den Kolonien
16855 und die Abmachungen der M
ächte
über die T
ürkei
16856 mu
ßte England anerkennen. Daf
ür erkl
ärten die
16857 Marsstaaten, das nun wehrlose England gegen alle etwaigen weiteren
16858 Angriffe auf seinen nunmehrigen Bestand sch
ützen zu wollen.
16859 England hatte einen Protektor.
– –</p>
16860 <p>Nach einer durch ungeheuren Repulsitverbrauch beschleunigten
16861 Fahrt von nur siebzehn Tagen war Ill auf dem Nordpol der Erde
16862 eingetroffen. Am f
ünften April war der Pr
äliminarfriede
16863 geschlossen und die Blockade aufgehoben worden.
</p>
16864 <p>Aber nicht nur das gedem
ütigte England beugte sich dem
16865 Sieger, der unter den Kanonen von Portsmouth dreihundert
16866 Kriegsschiffe binnen drei Stunden durch ein halbes Dutzend
16867 Luftschiffe mit nur
144 Mann Besatzung vernichtet hatte. Was die
16868 Nachrichten
über die hohe Kulturaufgabe der Martier nicht
16869 vermocht hatten, das Entgegenkommen der zivilisierten Erdstaaten zu
16870 gewinnen, das brachte die Bezwingung Englands durch Nihilit und
16871 Repulsit alsbald zustande. Es begann ein f
örmlicher Wetteifer
16872 der Regierungen, die Gunst des martischen Machthabers zu gewinnen,
16873 der aus dem reichen englischen Besitz L
änder und Meere
16874 verschenkte. Die Marsstaaten waren unter dem Namen
›Polreich
16875 der Nume
‹ nicht nur als ein Faktor im Rat der
16876 Gro
ßm
ächte anerkannt, sie nahmen bereits
16877 tats
ächlich die f
ührende Stellung ein. Unter dem Titel
16878 eines Pr
äsidenten des Polreichs und Residenten von England und
16879 Schottland
übte Ill die Regierungsgewalt im Auftrag der
16880 Marsstaaten aus. Alles dies war geschehen, ohne da
ß ein
16881 Martier sein Luftschiff verlassen hatte. in dem gro
ßen, in
16882 einem Park Londons auf weiter Wiesenfl
äche ruhenden Luftschiff
16883 empfing Ill die Minister Englands und die Gesandten der fremden
16884 Staaten. Es erregte daher trotz allem Ungew
öhnlichen, das man
16885 im letzten Jahr erlebt hatte, nicht geringe Spannung und
16886 Befriedigung, da
ß der Pr
äsident des Polreichs bei den
16887 H
öfen und Regierungen in Berlin, Wien, Petersburg, Rom, Paris
16888 und Washington um einen pers
önlichen Empfang nachsuchen
16889 lie
ß. Es verlautete, da
ß sich daran die Einsetzung
16890 st
ändiger Botschafter in diesen Hauptst
ädten und ein von
16891 den Martiern einzurichtender regelm
äßiger
16892 Luftschiffverkehr mit dem Pol anschlie
ßen werde. Im stillen
16893 hoffte man, da
ß das geheimnisvolle Grauen, welches die
16894 Personen der Martier f
ür die Menschen umh
üllte,
16895 verschwinden werde, sobald man Gelegenheit haben w
ürde, sie
16896 au
ßerhalb des Schutzes ihrer Luftschiffe unter der
16897 nat
ürlichen Schwerkraft der Erde sich beugen zu sehen.
</p>
16898 <p>Der einzige Mensch auf der Erde, der diese Hoffnung nicht
16899 teilte, war vielleicht Grunthe. Er war
überzeugt, da
ß
16900 Ill diesen Schritt nicht getan h
ätte, wenn nicht die Martier
16901 zuvor ein Mittel entdeckt h
ätten, sich auch au
ßerhalb
16902 ihrer Schiffe vom Druck ihres K
örpergewichts zu befreien.
</p>
16903 <h2>42 - Das Protektorat
über die Erde
</h2>
16904 <p>Torm bewohnte in Berlin zwei bequem eingerichtete Zimmer in
16905 einem Hotel garni der K
öniggr
ätzer Stra
ße. Nach
16906 seiner R
ückkehr war er
überall der Held des Tages
16907 gewesen, den man nicht genug feiern konnte und um so mehr feierte,
16908 als Grunthe sich sehr geschickt von der
Öffentlichkeit
16909 zur
ückzuziehen wu
ßte. Seit der Ankunft der Martier in
16910 Australien und dem Ausbruch ihres Krieges mit England waren aber
16911 die beiden Polarforscher, deren Reise die eigentliche Veranlassung
16912 war, da
ß die Martier mit den Staaten der Erde in Verbindung
16913 traten, ziemlich in Vergessenheit geraten. Das
öffentliche
16914 Interesse hatte sich jetzt wichtigeren Gegenst
änden
16916 <p>Am
20. M
ärz, dem Tag nach der Ankunft Ills am Pol, hatte
16917 Torm zwei in Calais aufgegebene Depeschen erhalten, datiert aus Kla
16918 auf dem Mars, vom
2. M
ärz. Die erste enthielt nur die Worte:
16919 »Ich komme mit dem n
ächsten Raumschiff. Deine
16921 <p>Die zweite war von Saltner und besagte, da
ß Frau Torm und
16922 er selbst die Erlaubnis zur Heimreise erhalten h
ätten, da sie
16923 aber zum Abgang des Regierungsschiffes nicht mehr zurechtkommen
16924 k
önnten, erst mit dem n
ächsten Schiff reisen und daher
16925 vor Mitte April nicht bei ihm eintreffen w
ürden. Auch Ell habe
16926 sich entschlossen, sie zu begleiten. Seitdem hatte Torm keine
16927 Nachricht mehr erhalten und konnte auch keine erwarten. Denn kein
16928 anderes Raumschiff als der
›Glo
‹ legte, wie Grunthe
16929 erkl
ärte, bei der jetzigen Planetenentfernung den Weg unter
16930 f
ünf Wochen zur
ück.
</p>
16931 <p>Heute schrieb man den
12. April. Es war ein Festtag in Berlin,
16932 das in verschwenderischem Schmuck prangte. Die Gesandtschaft des
16933 Mars sollte vom Kaiser empfangen werden. Unter Glockengel
äut
16934 und Kanonendonner dr
ängte sich eine jubelnde Menge in den
16935 Stra
ßen. In goldigem Eigenlicht wie die Morgenr
öte
16936 strahlend, mit nie gesehenen Verzierungen geschm
ückt, bewegte
16937 sich ein gl
änzender Zug kleiner Luftgondeln, in Mannsh
öhe
16938 über dem Boden schwebend, durch die Stra
ßen; von den
16939 Fenstern aus
übersch
ütteten die Damen den Zug, trotz der
16940 fr
ühen Jahreszeit, mit kostbaren Blumen. Brausende Hurrarufe
16941 bet
äubten das empfindliche Ohr der Martier.
</p>
16942 <p>Torm hatte seinen Platz auf der Trib
üne im Lustgarten nicht
16943 benutzt. Ihm waren diese Martier verha
ßt. Hatten sie ihm doch
16944 den Haupterfolg seiner Expedition und nun auch die Freude der
16945 Heimkehr ins eigene Haus geraubt. Unruhig ging er in seinem Zimmer
16946 auf und ab. Es klopfte, und Grunthe trat ein.
</p>
16947 <p>»Sie sind auch nicht drau
ßen bei den Narren, ich
16948 dachte es mir
«, empfing ihn Torm.
</p>
16949 <p>Grunthe runzelte die Stirn und blickte finster vor sich hin.
</p>
16950 <p>»Es ist eine Schmach
«, sagte er,
»die Menge
16951 bejubelt ihre Unterdr
ücker. Aber das tut sie immer. Morgen
16952 wird sie ebenso in Paris,
übermorgen in Rom jubeln, und noch
16953 viel
ärger. Wenn man das sieht, so kann man nur sagen, diese
16954 Menschen verdienen es nicht besser, als von den Martiern vernichtet
16955 zu werden. Sie werfen sich ihnen zu F
üßen, und so werden
16956 sie als Mittel ihrer Zwecke zertreten werden.
«</p>
16957 <p>Torm zuckte die Achseln.
»Was sollen sie tun? Nihilit ist
16958 kein Spa
ß.
«</p>
16959 <p>»Und ich sage Ihnen
«, entgegnete Grunthe fast
16960 heftig,
»kein Martier vermag den Griff des Nihilitapparates
16961 zu drehen, keiner einem Menschen seinen Willen aufzuzwingen, wenn
16962 ihm der Mensch mit festem, sittlichem Willen gegen
übertritt,
16963 mit einem Willen, in dem nichts ist als die reine Richtung auf das
16964 Gute. Aber jene Engl
änder
– und wir sind nicht besser
16965 – hatten nur das eigene Interesse, ihren spezifisch
16966 nationalen Vorteil, nicht aber die W
ürde der Menschheit im
16967 Auge, und so sind sie Wachs in den H
änden der Martier. Sie
16968 k
önnen mir glauben, denn ich habe jenem Ill getrotzt, vor dem
16969 jetzt Kaiser und K
önige sich neigen. Ich wei
ß es
16970 freilich, da
ß wir verloren sind. Ich habe Ill gesehen, wie er
16971 mit seinen Martiern nur einige Schritte durch den Garten der
16972 Sternwarte von Friedau schlich, auf Kr
ücken gest
ützt und
16973 zusammenbrechend unter der Erdschwere. Und ich habe ihn heute
16974 gesehen, durch den Garten des Kanzlerpalais schreitend,
16975 aufgerichtet wie ein F
ürst, im schimmernden Panzerkleid; unter
16976 den Knien sch
ützten ihn weit nach den Seiten ausgebogene
16977 Sch
äfte und
über dem Haupt, auf kaum sichtbaren
16978 St
äben, von der Schulter gest
ützt, der gl
änzende
16979 diabarische Glockenschirm gegen die Schwere. So haben sie es
16980 verstanden, sich von dem Druck der Erde unabh
ängig zu machen.
16981 Aber dies alles w
ürde ihnen nichts n
ützen, wenn wir
16982 selbst w
üßten, was wir wollen.
«</p>
16983 <p>Auf der Treppe entstand L
ärm. Man vernahm eine helle
16985 <p>»Sakri, lassens mich los! Ich kenn
’ mich schon
16987 <p>»Das ist Saltner
«, rief Torm. Er st
ürzte zur
16988 T
ür. Sie flog auf.
</p>
16989 <p>»Da bin ich halt wieder! Gr
üß Gott viel
16990 tausendmal!
«</p>
16991 <p>Er sch
üttelte beiden die H
ände.
</p>
16992 <p>»Und meine Frau?
« war Torms erste Frage.
</p>
16993 <p>»Machens sich keine Sorge!
« sagte Saltner.
16994 »Die Frau Gemahlin wird bald nachkommen, es geht ja jetzt
16995 alle paar Tage ein Schiff nach der Erde.
«</p>
16996 <p>»So ist sie nicht mitgekommen?
« rief Torm
16998 <p>»Sie hat halt nicht gekonnt. Sie ist ein bisserl
16999 bettl
ägrig, aber
’s hat weiter nichts auf sich, nur
17000 da
ß sie der Doktor nicht gerad wollt
’ reisen
17002 <p>»So hat sie geschrieben?
«</p>
17003 <p>»Schreiben konnte sie nicht. Aber gr
üßen tut
17004 sie gewi
ß vielmals.
«</p>
17005 <p>»So haben Sie sie gar nicht gesprochen?
«</p>
17006 <p>»Das war mir gerad in den Tagen nicht m
öglich, weil
17007 sie noch zu schwach war. Aber der Doktor sagt, sie wird bald soweit
17008 sein, da
ß sie reisen kann. Sie brauchen sich wirklich nicht
17009 zu
ängstigen.
«</p>
17010 <p>Torm setzte sich.
</p>
17011 <p>»Und Ell?
« fragte er finster.
»Wo ist
17013 <p>»Er ist zur
ückgeblieben, bis die Frau Gemahlin reisen
17014 kann. Er wollte sie nicht allein lassen. Es ist vielleicht unrecht,
17015 da
ß ich allein gereist bin und nicht gewartet hab. Aber
17016 schauen Sie, die Sehnsucht, und dann dacht
’ ich, es w
är
17017 doch besser, ich br
ächte Ihnen selbst die Auskunft, als
17018 da
ß wir blo
ß schreiben sollten.
«</p>
17019 <p>»Es ist recht, da
ß Sie kamen
«, sagte Torm,
17020 sich erhebend,
»verzeihen Sie, da
ß ich zuerst an mich
17021 dachte, ich habe Ihnen ja soviel und herzlich zu danken. Und jetzt
17022 komme ich sogleich wieder mit einer Bitte. Sie sollen mir einen
17023 Platz auf dem n
ächsten Raumschiff erwirken, ich will nach dem
17025 <p>Saltner und Grunthe blickten ihn erstaunt an.
</p>
17026 <p>»Das werden Sie doch nicht tun!
« rief Saltner.
17027 »Sie w
ürden sich mit der Frau Gemahlin
17028 verfehlen.
«</p>
17029 <p>»Das werde ich nicht. Ill ist hier. Grunthe wird mir die
17030 Bitte nicht verweigern, er wird mit ihm sprechen, uns eine
17031 Lichtdepesche zu gew
ähren. Wir werden erfahren, ob Isma noch
17032 dort ist, wir werden uns verst
ändigen. Und wenn ihre Krankheit
17033 noch anh
ält, so werde ich reisen. Ich werde.
«</p>
17034 <p>»Das Reisen l
äßt sich schon machen. Ich bin
17035 jetzt mit der Gesandtschaft, das hei
ßt heute im Nachtrab,
17036 angekommen, daher wei
ß ich
’s. Von jetzt ab geht alle
17037 Wochen ein Luftschiff von hier nach dem Pol, und von dort an jedem
17038 15. des Monats ein Raumschiff nach dem Mars, das Menschen als
17039 Passagiere mitnimmt. Man will den Planetenverkehr er
öffnen. Es
17040 kostet hin inklusive Verpflegung blo
ß 500 Thekel
–
17041 5.000 Mark wollte ich sagen.
«</p>
17042 <p>Torm sah ihn verwundert an.
»Blo
ß?
« fragte
17044 <p>»Ja, wir haben Geld. F
ünftausend Mark sind die
17045 W
ährungseinheit.
«</p>
17046 <p>Torm ergriff seine Hand.
»Setzen Sie sich erst und
17047 erz
ählen Sie dann.
«</p>
17048 <p>Saltner nahm Platz und begann zu sprechen. Grunthe fragte
17049 mitunter dazwischen. Torm aber h
örte nur halb, seine Gedanken
17050 waren auf dem Mars. Sie war krank! Und immer wieder kam ihm die
17051 Frage, wie konnte Saltner dessen sicher sein? War sie auch wirklich
17052 krank? Und wenn sie nicht krank war?
</p>
17053 <p>»Ich mu
ß reisen!
« rief er pl
ötzlich.
</p>
17054 <p>»Nun, nun
«, sagte Saltner beruhigend.
»Im
17055 Moment k
önnen Sie nichts tun. Ill ist jetzt gerade im
17056 Schlo
ß.
«</p>
17057 <p>Torm sank auf seinen Platz zur
ück.
</p>
17058 <p>Erneuter Kanonendonner verk
ündete, da
ß sich der
17059 Kaiser neben dem Pr
äsidenten des Polreichs vor dem jubelnden
17061 <p>Grunthe stand auf und schlo
ß das Fenster.
</p>
17063 <p>Isma lag bleich und angegriffen auf ihrem Sofa. Langsam genas
17064 sie von der schweren nerv
ösen Krankheit, die sie unter dem
17065 Zusammenwirken der ungewohnten Lebensverh
ältnisse und der
17066 seelischen Aufregungen ergriffen hatte.
</p>
17067 <p>Hil trat bei ihr ein.
</p>
17068 <p>»Wann kann ich reisen?
« war, wie immer, ihre erste
17070 <p>»Nun, nun
«, sagte er,
»sobald wir kr
äftig
17071 genug sind.
«</p>
17072 <p>»Ach, Hil, das sagen Sie nun schon seit vierzehn Tagen.
17073 Lassen Sie es mich doch versuchen!
«</p>
17074 <p>»Erst m
üssen wir einmal einen Versuch machen, wie es
17075 Ihnen bekommt, wenn Sie hier in Ihrem Zimmer anfangen, wieder ein
17076 wenig mit der Welt zu verkehren. Es wartet da schon lange einer,
17077 der Sie gern einmal sprechen und sehen m
öchte, aber ich habe
17078 bis jetzt nicht erlaubt
–«</p>
17079 <p>»Und heute darf er kommen, ja?
« unterbrach ihn Isma
17081 <p>Hil l
ächelte.
»Es ist ein gutes Zeichen, da
ß
17082 Sie selbst danach verlangen. Aber h
übsch ruhig, Frau Isma, und
17083 h
öchstens ein Viertelst
ündchen! So will ich es ihm sagen
17085 <p>Er verabschiedete sich.
</p>
17086 <p>Es dauerte nur wenige Minuten, bis Ell eintrat.
</p>
17087 <p>Eine leichte Blutwelle dr
ängte sich in Ismas Wangen, als
17088 sie ihm langsam die schlanke Hand entgegenstreckte, die er
17089 leidenschaftlich k
üßte. Lange hielt er die Hand fest,
17090 bis sie sie ihm sanft entzog.
</p>
17091 <p>»Sie sind schon lange zur
ück?
« sagte sie
17092 endlich verlegen.
</p>
17093 <p>»Auf die Nachricht, da
ß Sie reisen d
ürften, kam
17094 ich hierher. Ich h
ätte Sie nicht allein reisen lassen, obwohl
17095 – doch sprechen wir von Ihnen. Ich fand Sie erkrankt. Es war
17096 unm
öglich, Sie wiederzusehen.
«</p>
17097 <p>»Und Sie sind mir nicht mehr b
öse?
«</p>
17098 <p>»Isma!
«</p>
17099 <p>»Ich habe es eingesehen, ich war ungerecht gegen Sie. Und
17100 ich war doch schuld, da
ß Sie Ihren Posten auf der Erde
17101 verlie
ßen
–«</p>
17102 <p>»Sie wollten das Beste. Ich aber habe eine Schuld auf mich
17103 geladen
– und ich werde sie b
üßen m
üssen.
17104 Jetzt ist f
ür mich auf der Erde nichts mehr zu tun, aber die
17105 Zeit wird wieder kommen. Dann soll es nicht an mir
17107 <p>»Und Sie wollen mich begleiten?
«</p>
17108 <p>»Wenn Sie reisen d
ürfen. Aber
–«</p>
17109 <p>»Was haben Sie, Ell? Seien Sie aufrichtig, ich
17110 beschw
öre Sie
– sagen Sie mir die Wahrheit! Sie glauben,
17111 ich werde nie wieder
–«</p>
17112 <p>»Um Gottes willen, Isma, wenn Sie so sprechen, darf ich
17113 nicht hierbleiben. Sie d
ürfen sich nicht erregen. Sicherlich
17114 ist Ihr Gesundheitszustand in kurzer Zeit so vorgeschritten,
17115 da
ß Sie die Reise antreten d
ürfen. Nein, ich dachte nur
17116 an Verz
ögerungen, die m
öglicherweise aus anderen
17117 Gr
ünden eintreten k
önnten, falls sich der Antritt der
17118 Reise nicht bald erm
öglichen l
äßt
17120 <p>»Verbergen Sie mir nichts. Man sagt mir sehr wenig von der
17121 Erde. Ich denke, Ill ist mit so gro
ßartigem Jubel in Berlin
17122 aufgenommen worden. Und mein Mann ist gesund
–«</p>
17123 <p>»Dar
über k
önnen Sie beruhigt sein. Ich darf
17124 Ihnen noch mehr sagen, Hil hat es jetzt erlaubt. Sollten Sie aus
17125 irgendeinem Grund an der Reise verhindert sein, so werden Sie Ihren
17126 Mann doch bald wiedersehen. Er ist an der Nordpolstation und
17127 erwartet dort die Nachricht, ob Sie kommen oder ob er nach dem Mars
17128 reisen soll.
«</p>
17129 <p>»Nach dem Mars will er kommen! Und das wissen Sie? Und ich
17130 –?
«</p>
17131 <p>»Briefe k
önnen noch nicht hier sein. Es kam nur eine
17132 Lichtdepesche von Ill. Aber Hil wollte Sie mit der Nachricht nicht
17133 aufregen
– nun seien Sie auch vern
ünftig und zeigen Sie,
17134 da
ß Sie die Probe bestehen und uns nicht wieder kr
änker
17136 <p>»Er will kommen! Aber wozu? Ich m
öchte doch lieber
17137 nach der Erde!
«</p>
17138 <p>»Das sollen Sie ja auch. Nur f
ür den Fall
17140 <p>»Was f
ür einen Fall?
«</p>
17141 <p>»Wenn zum Beispiel die Verh
ältnisse auf der Erde in
17142 der n
ächsten Zeit sehr unruhig werden sollten
17144 <p>»Ich denke, alles ist jetzt friedlich.
«</p>
17145 <p>»Die letzten Nachrichten sind weniger
17146 erfreulich.
«</p>
17147 <p>»Erz
ählen Sie, schnell! Unsre Viertelstunde ist bald
17149 <p>»Die M
ächte sind in Streit geraten. Was soll ich Sie
17150 mit den politischen Einzelheiten erm
üden, die ich selbst nur
17151 mangelhaft hier kenne, weil bisher erst Lichtdepeschen hergelangt
17152 sind. Es ist der Streit um die englische Erbschaft. Frankreich und
17153 Italien, Deutschland und Frankreich,
Österreich und
17154 Ru
ßland rechten um ihre Grenzen im Kolonialbesitz in Afrika,
17155 Asien und der T
ürkei. Am Mittelmeer gibt es kaum einen Punkt,
17156 über den man sich einigen kann. England ist ohnm
ächtig,
17157 die Marsstaaten sch
ützen es in einigen Punkten, und gerade
17158 diese m
öchten die andern haben. Die Staaten r
üsten
17159 gegeneinander, schon sind an den Kolonialgrenzen Sch
üsse
17160 gefallen, man mu
ß darauf gefa
ßt sein, da
ß ein
17161 Weltkrieg ausbricht. Dies werden die Martier auf keinen Fall
17162 zugeben, und so steht zu bef
ürchten, da
ß wir zu neuen
17163 Gewaltma
ßregeln gegen die Menschen, diesmal auch gegen
17164 Deutschland, getrieben werden. Deshalb w
äre es gut, wenn Sie
17165 bald reisen k
önnten, ehe vielleicht wieder eine Sperrung
17166 eintritt. Auf jeden Fall aber w
ürde Torm hierherkommen
17167 d
ürfen. Das hat Ill ihm zugesichert.
«</p>
17168 <p>Isma sch
üttelte den Kopf.
»Was Sie da alles sagen,
17169 verwirrt mich,
ängstigt mich
–« Und nach kurzem
17170 Schweigen fuhr sie fort:
»Aber ich will gesund sein! Ich will
17171 gar nicht dar
über nachdenken. ich f
ühle, da
ß ich
17172 Ruhe brauche. Ich danke Ihnen herzlich, Ell, da
ß Sie gekommen
17173 sind. Nun wei
ß ich doch wieder, da
ß ich nicht verlassen
17175 <p>Sie reichte ihm die Hand.
</p>
17176 <p>»Leben Sie wohl, Isma. Sie k
önnen ganz ruhig sein.
17177 Sie werden bald gesund sein.
«</p>
17178 <p>Er sah sie an mit den alten, treuen Augen und ging. Sie
17179 l
ächelte m
üde und lehnte sich zur
ück. Die Lider
17181 <p>»Ich will gesund sein
«, dachte sie. Aber sie
17182 h
örte schon nicht mehr, da
ß Hil bei ihr eintrat und sie
17183 teilnahmsvoll betrachtete.
</p>
17185 <p>Eine Woche sp
äter, es war ein herrlicher Maitag, tobte eine
17186 aufgeregte Volksmenge in den Stra
ßen der europ
äischen
17187 St
ädte.
Überall h
örte man Beschimpfungen der
17188 Martier. Wo man vor vier Wochen gejubelt hatte und Hurra geschrien,
17189 ert
önte jetzt:
»Nieder mit dem Mars!
« Die
17190 Gesch
äfte mit Marsartikeln, die wie Pilze in die H
öhe
17191 geschossen waren, sahen sich gen
ötigt, ihre L
äden zu
17192 schlie
ßen.
»Nieder mit den Glockenjungens
«,
17193 hie
ß es in Berlin, wo man die Martier ihrer diabarischen
17194 Helme wegen mit diesem geschmackvollen Titel beehrte. Die Menge
17195 demonstrierte vor dem Geb
äude, das die Marsstaaten f
ür
17196 ihre Botschaft gemietet hatten. Auf dem flachen Dach ruhten die
17197 Luftschiffe, bereit, in der n
ächsten Stunde die Hauptstadt zu
17199 <p>Aber nicht weniger erregt, vielmehr erf
üllt von einem
17200 heiligen Zorn, war die Stimmung auf dem Mars. Die Nachricht von
17201 einem ungeheuren Blutvergie
ßen der Menschen untereinander war
17202 angelangt. In der T
ürkei und in Kleinasien, wo man
17203 haupts
ächlich nur aus Furcht vor England sich soweit im Zaume
17204 gehalten hatte, da
ß die europ
äischen Fremden sich sicher
17205 f
ühlen durften, war jetzt diese Schranke gefallen. Der
17206 mohammedanische Fanatismus flutete
über. Auf einen heimlichen
17207 Wink der t
ürkischen Regierung erhoben sich die Massen. Ein
17208 entsetzliches Gemetzel begann gegen die Christen. Die Geb
äude
17209 der Botschaften wurden erst
ürmt, M
änner, Kinder und
17210 Frauen binnen einer Nacht in gr
äßlicher Weise gemordet.
17211 Und furchtbar war die Rache. So weit die Kanonen der fremden
17212 Kriegsschiffe reichten, wurden am andern Tag die bl
ühenden
17213 K
üsten, Pal
äste und Moscheen Konstantinopels in
17214 Tr
ümmerhaufen verwandelt. Und nicht genug damit. Zwischen den
17215 europ
äischen Staaten selbst entbrannte die Eifersucht, wer die
17216 Tr
ümmer mit seinen Truppen besetzen sollte. Der Krieg war so
17217 gut wie ausgebrochen, ehe er formell erkl
ärt war.
</p>
17218 <p>Tiefe Emp
örung ergriff die Bev
ölkerung der
17219 Marsstaaten. Der Antibatismus gewann die Oberhand. Das Parlament
17220 forderte von der Regierung die sofortige Unterdr
ückung der
17221 Greuel und die Herstellung des Friedenszustandes auf der Erde. Am
17222 12. Mai beschlo
ß das Parlament unter Zustimmung des
17223 Zentralrats folgendes:
</p>
17224 <p>»Da die Menschen nicht f
ähig sind, aus eigener Macht
17225 unter sich einen friedlichen Kulturzustand zu erhalten, sieht sich
17226 die Regierung der Marsstaaten gezwungen, hiermit das Protektorat
17227 über die gesamte Erde zu erkl
ären und jede politische
17228 Aktion der Erdstaaten untereinander, ohne vorherige Zustimmung der
17229 Marsstaaten, zu verbieten. Der Pr
äsident des Polreichs der
17230 Nume auf der Erde wird beauftragt und bevollm
ächtigt, alle
17231 Ma
ßregeln sofort anzuordnen, die er f
ür notwendig
17232 erachtet, um dem ausgesprochenen Willen der Marsstaaten auf der
17233 Erde, und zwar zun
ächst in Europa, Geltung zu
17234 verschaffen.
«</p>
17235 <p>Es war dieser Beschlu
ß der Marsstaaten und die von Ill
17236 hinzugef
ügte Erkl
ärung, wodurch die Bev
ölkerung
17237 aller zivilisierten Staaten in so au
ßerordentliche Aufregung
17238 geraten war. Die Mitteilung an die Regierungen war gleichzeitig in
17239 Form einer Bekanntmachung in den europ
äischen Staaten von den
17240 Martiern verbreitet worden. Man zerri
ß jetzt die
17241 Bl
ätter, die sie enthielten, man entfernte die Plakate von den
17242 H
äusern. Die Bekanntmachung lautete folgenderma
ßen:
</p>
17243 <p>»Indem ich den vorstehenden Beschlu
ß der Marsstaaten
17244 zur allgemeinen Kenntnis bringe,
übernehme ich mit dem
17245 heutigen Tage in ihrem Namen die Schutzherrschaft
über alle
17246 Staaten der Erde und bestimme wie folgt:
</p>
17247 <p>Alle Regierungen und Nationen werden bis auf weiteres in ihren
17248 verfassungsm
äßigen Rechten best
ätigt und sind in
17249 ihren inneren Angelegenheiten frei, mit Ausnahme der unten
17250 angegebenen Bestimmung
über das Heerwesen.
</p>
17251 <p>Alle internationalen Vertr
äge und Kundgebungen
17252 bed
ürfen zu ihrer G
ültigkeit der durch mich zu
17253 vollziehenden Best
ätigung der Marsstaaten.
</p>
17254 <p>Alle Kriegsr
üstungen sind verboten. Die von den
17255 europ
äischen Regierungen ausgegebenen Mobilisierungsbefehle
17256 sind aufzuheben. Die Friedenspr
äsenzst
ärke ihrer Heere
17257 wird auf die H
älfte der bisherigen herabgesetzt. Die
17258 Hauptwaffenpl
ätze werden unter Oberaufsicht eines von mir zu
17259 ernennenden Beamten gestellt.
</p>
17260 <p>Alle Regierungen werden eingeladen, bevollm
ächtigte
17261 Vertreter zu der Weltfriedenskonferenz zu entsenden, die am
30. Mai
17262 unter meinem Vorsitz am Nordpol der Erde wird er
öffnet
17264 <p>Von der Bev
ölkerung der Erde erwarte ich, da
ß sie die
17265 Bem
ühungen der Marsstaaten, ihr die vollen Segnungen des
17266 Friedens und der Kultur zu bringen, mit allen Kr
äften
17267 unterst
ützen wird.
</p>
17268 <p>Gegeben am Nordpol der Erde, den
15. Mai
</p>
17270 <p>Pr
äsident des Polreichs der Nume.
</p>
17271 <p>Bevollm
ächtigter Protektor der Erde.
«</p>
17272 <p>Mit klingendem Spiel und von der Menge mit Hochrufen
17273 begr
üßt r
ückten zwei Kompagnien der Garde vor das
17274 Geb
äude der Botschaft der Marsstaaten, um dasselbe gegen
17275 etwaige
Übergriffe der aufgeregten Bev
ölkerung zu
17276 sch
ützen. Ein Adjutant begab sich in das Haus, um dem
17277 Botschafter zu melden, da
ß die Regierung Seiner Majest
ät
17278 dem Pr
äsidenten des Polreichs nach dem bereits telegraphisch
17279 übermittelten Protest nichts weiter mitzuteilen habe.
</p>
17280 <p>Eine Viertelstunde sp
äter erhoben sich die Luftschiffe der
17281 Martier und richteten unter dem tobenden Gejohle der Menge ihren
17282 Flug nach Norden.
</p>
17283 <h2>43 - Die Besiegten
</h2>
17284 <p>Es war an einem regnerischen Augustabend des Jahres, das auf die
17285 tumultuarische Abreise der Gesandtschaft der Marsstaaten aus Berlin
17286 gefolgt war, als ein Mann, in einen Reisemantel geh
üllt,
17287 hastig die menschenleere Stra
ße hinaufstieg, die nach der
17288 Sternwarte in Friedau f
ührte. Ein dichter Bart und der tief
17289 ins Gesicht ger
ückte Hut lie
ßen wenig von seinen
17290 Z
ügen erkennen. Hin und wieder warf er aus scharfen Augen
17291 einen scheuen Blick nach der Seite, als f
ürchtete er,
17292 beobachtet zu werden. Aber niemand bemerkte ihn. Die Laternen waren
17293 noch nicht angez
ündet, und der leise niederrieselnde Regen
17294 verschluckte das letzte Licht der D
ämmerung.
</p>
17295 <p>Je n
äher der Fremde dem eisernen Gittertor der Sternwarte
17296 kam, um so mehr verz
ögerte sich sein Schritt, als suche er
17297 einen Augenblick hinauszuschieben, den er noch eben so eilig
17298 erstrebte. Vor dem Tor stand er eine Weile still. Er sp
ähte
17299 nach den dunkeln Fenstern des Geb
äudes. Er nahm den Hut ab und
17300 trocknete die Stirn. Sein Gesicht war tief gebr
äunt und trug
17301 die Spuren harter Entbehrungen und schwerer Sorgen, die ihm das
17302 Haar gebleicht hatten. Mit einem pl
ötzlichen Entschlu
ß
17303 zog er die Klingel.
</p>
17304 <p>Es dauerte lange, ehe sich ein Schritt h
ören lie
ß.
17305 Ein junger Hausbursche
öffnete die T
ür.
</p>
17306 <p>»Ist der Herr Direktor zu sprechen?
« fragte der
17307 Fremde mit tiefer Stimme.
</p>
17308 <p>»Der Herr Doktor Grunthe ist ausgegangen
«,
17309 antwortete der Diener.
»Aber um halb neun kommt er
17311 <p>»Ist denn Herr Dr. Ell nicht mehr hier?
«</p>
17312 <p>»Den kenne ich nicht. Oder
– Sie meinen doch nicht
17313 etwa
– aber das wissen Sie ja
–«</p>
17314 <p>»Ich meine den Herrn Dr. Ell, der die Sternwarte gebaut
17316 <p>»Ja
– der Herr Kultor residieren doch in Berlin
17318 <p>Der Fremde sch
üttelte den Kopf.
»Ich werde in einer
17319 Stunde wiederkommen
«, sagte er dann kurz.
</p>
17320 <p>Er wandte sich um und ging. Der Herr Kultor? Was sollte das
17321 hei
ßen? Er wu
ßte es nicht. Gleichviel, er w
ürde
17322 ihn finden. Also Grunthe war hier. Das war ihm lieb, bei ihm konnte
17323 er Auskunft erhalten. Aber wohin inzwischen?
</p>
17324 <p>Einige H
äuser weiter, in einem Nebeng
äßchen,
17325 leuchtete eine rote Laterne. Er f
ühlte das Bed
ürfnis nach
17326 Speise und Trank. Er wu
ßte, die Laterne bezeichnete ein
17327 untergeordnetes Vorstadtlokal; von den G
ästen, die dort
17328 verkehrten, kannte ihn gewi
ß niemand, w
ürde ihn niemand
17329 wiedererkennen. Dorthin durfte er sich wagen.
</p>
17330 <p>Er trat ein und nahm in einer Ecke Platz. Das Zimmer war fast
17331 leer. Er bestellte sich etwas zu essen.
</p>
17332 <p>»W
ünschen Sie gewachsen oder chemisch?
« fragte
17334 <p>»Was ist das f
ür ein Unterschied?
«</p>
17335 <p>Der Wirt sah den Fremden erstaunt an. Dieser bedauerte seine
17336 Frage, da er sah, da
ß er dadurch auffiel, und sagte schnell:
17337 »Geben Sie mir nur, was das Beste ist.
«</p>
17338 <p>»Das ist Geschmackssache
«, sagte der Wirt.
17339 »Das Gewachsene ist teurer, aber wer nicht f
ür das Neue
17340 ist, zieht es doch vor.
«</p>
17341 <p>»Was essen Sie denn?
« fragte der Fremde.
</p>
17342 <p>»Immer chemisch, ich habe eine gro
ße Familie. Und
17343 – es schmeckt auch besser. Aber, wissen Sie, man will es mit
17344 keinem verderben
– und das Gewachsene gilt f
ür
17345 patriotischer. Ich habe sehr patriotische G
äste.
«</p>
17346 <p>»Vor allen Dingen bringen Sie mir etwas, ich habe nicht
17347 viel Zeit. Also chemisch.
«</p>
17348 <p>»Kohlenwurst, Retortenbraten, Mineralbutter, Kunstbrot,
17349 alles modern, aus der besten Fabrik,
à la Nume.
«</p>
17350 <p>»Was Sie wollen, nur schnell.
«</p>
17351 <p>Der Wirt verschwand, und der Fremde griff eifrig nach einer
17352 Zeitung, die auf dem Nebentisch lag. Es war das
›Friedauer
17353 Intelligenzblatt
‹. Mit einer pl
ötzlichen Regung des
17354 Ekels wollte er das Blatt wieder beiseite schieben, aber er
17355 überwand sich und begann zu lesen. Zuf
ällig haftete sein
17356 Blick auf
›Gerichtliches
‹.
</p>
17357 <p>»Wegen mangelhaften Besuchs der Fortbildungsschule
17358 f
ür Erwachsene wurden achtundzwanzig Personen mit Geldstrafen
17359 belegt; eine Person wurde wegen dauernder Vers
äumnis dem
17360 psychologischen Laboratorium auf sechs Tage
überwiesen. Dem
17361 psychophysischen Laboratorium wurden auf je einen Tag
17362 überwiesen: drei Personen wegen Bettelns, eine Person wegen
17363 Tierqu
älerei, f
ünf Personen wegen Klavierspielens auf
17364 unged
ämpften Instrumenten. Die Klaviere wurden eingezogen. Der
17365 ehemalige Leutnant v. Keltiz, welcher seinen Gegner im Duell
17366 verwundete, wurde zu zehnj
ähriger Dienstleistung in Kamerun,
17367 die beiden Kartelltr
äger zu einj
ähriger Deportation nach
17368 Neu-Guinea verurteilt. Allen wurden die b
ürgerlichen
17369 Ehrenrechte aberkannt. Der vom Schwurgericht zum Tode verurteilte
17370 Raubm
örder Schlack wurde zu zehnj
ähriger Zwangsarbeit in
17371 den Strahlenfeldern von Tibet begnadigt.
«</p>
17372 <p>Kopfsch
üttelnd sah der Fremde nach einer andern Stelle und
17373 las:
»Die Petition, welche mit mehreren tausend
17374 Unterschriften aus Friedau an den Verkehrsminister gerichtet war
17375 und die Bitte aussprach, unserer Stadt eine Haltestelle f
ür
17376 das Luftschiff Nordpol-Rom zu gew
ähren, hat wieder keine
17377 Beachtung gefunden. Unsere Leser wissen wohl, warum unsere Stadt
17378 bei gewissen einflu
ßreichen Numen schlecht angeschrieben
17379 steht. Wir werden uns trotzdem nicht abhalten lassen, immer wieder
17380 darauf hinzuweisen, da
ß das r
ätselhafte Verschwinden
17381 unseres gro
ßen Mitb
ürgers und Ehrenb
ürgers Torm im
17382 Mai vorigen Jahres noch immer nicht aufgekl
ärt worden ist, wie
17383 unangenehm die Erinnerung daran auch f
ür manche sein
17385 <p>Das Blatt zitterte in der Hand des Fremden. Seine Augen
17386 überflogen noch einmal die Stelle. Da trat der Wirt mit den
17387 Speisen herein. Der Gast legte die Zeitung m
öglichst
17388 unbefangen beiseite.
</p>
17389 <p>»Der Retortenbraten ist leider ausgegangen
«, sagte
17390 der Wirt.
»Aber die Kohlenwurst ist zu empfehlen, von
17391 richtiger Friedauer Schweinewurst gar nicht zu unterscheiden.
17392 Bestes Mineralfett darin, nicht etwa Petroleum, die Kohle ist aus
17393 atmosph
ärischer Kohlens
äure gezogen, der Wasserstoff aus
17394 Quellwasser, der Stickstoff ist vollst
ändig argonfrei, die
17395 Zellbildung nach neuester martischer Methode im organischen
17396 Wachstumsapparat hergestellt mit absoluter Verdaulichkeit
17398 <p>»Es ist wirklich sehr gut
«, sagte der Gast, mit
17399 gro
ßem Appetit essend.
»Aber wo haben Sie denn Ihre
17400 Chemie her?
«</p>
17401 <p>»Ich? Was meinen Sie denn? Mu
ß ich nicht jeden Tag
17402 zwei Stunden in der Fortbildungsschule sitzen? Denken Sie, ich gehe
17403 nur hin, um meine zwei Mark Lern-Entsch
ädigung einzustreichen?
17404 Da war neulich einmal so ein K
önig oder Herzog vom Mars hier
17405 durchgereist, der sich die Erde beschauen wollte, der wollte mich
17406 durchaus als chemischen K
üchenchef mitnehmen, habe es aber
17407 abgeschlagen, weil es auf dem Mars keine H
ühner gibt. Und ein
17408 richtiges R
ührei, das ist das einzige Erdengut, wovon ich mich
17409 nicht trennen kann. Soll ich Ihnen vielleicht eins machen
17411 <p>»Ich danke, geben Sie mir noch ein Glas Bier.
«</p>
17412 <p>»Sofort. Nicht wahr, das ist fein? Das exportieren wir
17413 sogar nach dem Mars. So was haben sie dort noch gar nicht gekannt,
17414 wie das Friedauer Batenbr
äu.
«</p>
17415 <p>»Verkehren denn auch Martier bei Ihnen?
«</p>
17416 <p>»Nume meinen Sie? Oh, ich k
önnte sie schon aufnehmen,
17417 habe ein paar Extrazimmer. Gewi
ß verkehren sie hier, ich
17418 meine, sie werden noch verkehren, ich werde auf dem Mars
17419 annoncieren lassen. Fritz, noch ein Bier f
ür den Herrn! Das
17420 ist mein Oberkellner. Ist so vornehm da
ß er erst abends um
17421 acht Uhr antritt. Sie werden gleich sehen, wie voll mein Lokal
17422 wird, jetzt ist n
ämlich die Fortbildungsschule aus, dann
17423 kommen die Herren hierher.
«</p>
17424 <p>»Wo ist denn die Fortbildungsschule?
«</p>
17425 <p>»Die Kaserne ist gleich nebenan, in der n
ächsten
17426 Stra
ße.
«</p>
17427 <p>»Das wei
ß ich, aber die Schule?
«</p>
17428 <p>Der Wirt machte wieder ein erstauntes Gesicht.
17429 »Entschuldigen Sie
«, sagte er,
»sind Sie denn
17430 nicht aus Europa? Dann m
üßten Sie doch wissen, da
ß
17431 die Kasernen so ziemlich alle in Schulen umgewandelt
17433 <p>»Ich war allerdings zwei Jahre verreist, in China und
17434 Indien
–«</p>
17435 <p>»Zwei Jahre! Ei, da wissen Sie wohl gar nicht
–.
17436 Milit
är haben wir ja nicht mehr, bis auf f
ünf Prozent der
17437 fr
üheren Pr
äsenzst
ärke. Daf
ür bekommt jeder
17438 eine Mark pro Stunde, die er in der Fortbildungsschule sitzt. Ich
17439 sage Ihnen, gelehrt sind wir schon, das ist kolossal.
17440 N
ächstens gebe ich ein philosophisches Buch heraus, auf das
17441 will ich Stadtrat werden, oder vielleicht Regierungsrat.
17442 N
ämlich wegen der Schwerkraft. Auf dem Mars ist doch alles
17443 leichter. Nun schlage ich vor, wenn man schwer von Begriffen ist,
17444 so geht man auf den Mars, und dort
– ah, guten Abend, Herr
17445 von Schnabel, guten Abend, Herr Doktor, guten Abend, Herr Direktor
17446 –, entschuldigen Sie, ich will nur die Herren bedienen
17448 <p>Der Wirt wandte sich zu den eingetretenen G
ästen, die sich
17449 an ihren Stammtisch setzten.
</p>
17450 <p>Der Fremde hatte seine Mahlzeit beendet. Er sah nach der Uhr, es
17451 war noch zu fr
üh, um Grunthe zu treffen. Er r
ückte sich
17452 tiefer in die Ecke, blickte in die Zeitung und wandte den
17453 G
ästen den R
ücken zu. Sie waren ihm bekannt. Seltsam,
17454 dachte er im stillen, w
ährend er, scheinbar in seine
17455 Lekt
üre vertieft, auf ihre Stimmen h
örte, wie kommen die
17456 Leute in diese Vorstadtkneipe? Fr
üher hatten sie ihren
17457 Stammtisch im
›F
ürst Karl Sigmund
‹, dieser
17458 Schnabel f
ührte da das gro
ße Wort. Er scheint auch jetzt
17459 wieder zu schimpfen.
</p>
17460 <p>Die halblauten Stimmen der Stammg
äste waren deutlich
17461 vernehmbar, insbesondere das hohe, quetschige Organ Schnabels.
</p>
17462 <p>»Haben Sie wieder den Knicks von der Warsolska
17463 gesehen
«, sagte Schnabel,
»wie der Kerl, der Dor,
17464 rausging? Und wie die Anton die Augen verdrehte? Und die haben am
17465 allermeisten geschimpft, als die ersten Instruktoren herkamen. Und
17466 jetzt fletschen sie vor Vergn
ügen die M
äuler.
«</p>
17467 <p>»Und bei Ihnen war
’s umgekehrt, lieber
17468 Schnabel
«, sagte Doktor Wagner, mit einem Auge blinzelnd.
17469 »Jetzt schimpfen Sie, aber ich kenne einen, der an den ersten
17470 Instruktor Wol einen gro
ßen Rosenkorb geschickt hat mit den
17471 sch
önen Versen:
</p>
17472 <p>Sei mir gegr
üßt, erhabner Nume,
</p>
17473 <p>Dich kr
änzet zu der Erde Ruhme
</p>
17474 <p>Ein Bat mit seiner sch
önsten Blume
–«</p>
17475 <p>»Ach, h
ören Sie auf
«, rief Schnabel
17476 ärgerlich.
»ich hatte mir die Geschichte anders gedacht.
17477 Ich bin von den Numen entt
äuscht worden
–«</p>
17478 <p>»Und die Warsolska ist wahrscheinlich nicht
17479 entt
äuscht worden.
«</p>
17480 <p>»Die verdammten Kerle. Aber die Anton ist doch eigentlich
17481 über die Jahre hinaus
–«</p>
17482 <p>»Pst! meine Herren, Vorsicht!
« sagte der
17483 Fabrikbesitzer Pellinger, den der Wirt mit Herr Direktor angeredet
17484 hatte.
»Das Klatschgesetz ist bereits in erster Lesung
17485 angenommen.
§ 1: Wer unberufenerweise das Privatleben
17486 abwesender Personen beurteilt, wird mit psychologischem
17487 Laboratorium nicht unter zw
ölf Tagen bestraft.
« Und sein
17488 kahles Haupt
über den Tisch beugend, richtete er seine
17489 schwarzen Augen auf Schnabel und fuhr fort:
»Wie sagt doch
17491 <p>Denn herrlicher als Kant und Hume
</p>
17492 <p>Hebt uns die Weisheit hoher Nume
</p>
17493 <p>Empor zu freiem Menschentume.
«</p>
17494 <p>Darauf brach er in ein kr
äftiges Lachen aus.
</p>
17495 <p>»Seien Sie endlich still mit Ihren Versen, es ist gar
17496 nicht zum Lachen
«, brummte Schnabel.
</p>
17497 <p>»Es sind ja auch gar nicht meine Verse.
«</p>
17498 <p>»Na, meine auch nicht.
«</p>
17499 <p>»Ei, ei
«, sagte Wagner,
»von wem haben Sie sie
17500 denn machen lassen?
«</p>
17501 <p>»Ich glaube, Sie wollen mich beleidigen!
« rief
17503 <p>Ȥ 2 des Klatschgesetzes!
« sagte Pellinger:
17504 »Der Begriff der Beleidigung ist aufgehoben. Eine Minderung
17505 der Ehre kann nur durch eigene unw
ürdige Handlungen, niemals
17506 durch die Handlungen anderer erfolgen.
«</p>
17507 <p>»Das ist die richtige dumme Martiermoral. Wie kann der
17508 Reichstag sich auf solche Gesetze einlassen? Die Demokraten haben
17509 ja freilich die Majorit
ät. Aber die Regierung! Sie d
ürfte
17510 sich nicht von den Martiern einsch
üchtern lassen.
«</p>
17511 <p>»Die Regierung hei
ßt Ell, Kultor der Numenheit
17512 f
ür das deutsche Sprachgebiet in Europa
«, sagte
17514 <p>»Dieser Schuft
«, rief Schnabel.
»Der Kerl hat
17515 elend vor meiner Pistole gekniffen und ist auf den Mars
17516 ausgerissen. Und jetzt spielt er hier den Diktator. Ich werde den
17517 Burschen
–«</p>
17518 <p>»Pst, meine Herren, Vorsicht!
« fl
üsterte
17519 Pellinger.
»Schimpfen k
önnen Sie, soviel Sie wollen,
17520 Herr von Schnabel. Sehen Sie, das ist eben das Gute an der
17521 Numenherrschaft, das m
üßten Sie doch dankbar anerkennen,
17522 es kann Sie niemand wegen Beleidigungen verantwortlich machen. Aber
17523 um Himmels willen nicht vom Fordern reden. Seien Sie froh, wenn Ell
17524 Gr
ünde hat, nicht auf Ihre Aff
äre vor zwei Jahren
17525 zur
ückzukommen. mit dem Laboratorium ist es dann nicht
17526 abgetan, Sie kommen nach Neu-Guinea oder auf die neuen
17527 Strahlungsfelder in der Libyschen W
üste.
«</p>
17528 <p>»Sie besch
önigen nat
ürlich alles, Herr
17529 Pellinger.
«</p>
17530 <p>»Wieso?
«</p>
17531 <p>»Wie war denn das, als wir neulich von Leipzig
17532 zur
ückkamen und gem
ütlich in unserm Wagenabteil
17533 schliefen. In
– Dingsda
– auf einmal wird die T
ür
17534 aufgerissen
– steht so ein Nume da in abarischen Stiefeln mit
17535 seiner K
äseglocke
über dem Kopf und winkt blo
ß mit
17536 der Hand. Im Augenblick ist alles hinaus, und der Kerl setzt sich
17537 allein in unsern sch
önen Wagen. Wir mu
ßten in die
17538 vollgepfropfte dritte Klasse kriechen. Da haben Sie auch gesagt:
17539 Das ist ganz in der Ordnung, als Nume kann der Mann ein
17540 Coup
é f
ür sich allein beanspruchen.
«</p>
17541 <p>»Wo soll er denn sonst mit seinem Helm hin? Und wenn kein
17542 anderes frei ist? Wir sind doch einmal die Besiegten!
«</p>
17543 <p>»Deswegen brauchen wir nicht so feig zu sein. Aber Sie
17544 haben ja auch damals den Kerl, den Ell, verteidigt
17546 <p>»Das m
öchte ich wirklich wissen
«, fiel Wagner
17547 ein,
»ob er an dem Verschwinden von Torm unschuldig ist. Man
17548 sagt doch, Torm habe ihn gefordert und sei deshalb von den Martiern
17549 beseitigt worden.
«</p>
17550 <p>»Das ist nicht m
öglich
«, rief Pellinger.
17551 »Damals existierte das Duellgesetz noch nicht.
«</p>
17552 <p>»Aber es war Krieg, und die Martier brauchten unsere
17553 Gesetze nicht anzuerkennen.
«</p>
17554 <p>»Da sehen Sie wieder einmal, wie ungerecht Sie
17555 urteilen
«, sagte Pellinger.
»Torm ist verschwunden, ehe
17556 Ell
überhaupt auf die Erde zur
ückkam. Ich wei
ß es
17557 ganz genau. Ell ist erst nach dem Friedensschlu
ß am
21. Juni
17558 vorigen Jahres zur
ückgekehrt, Torm ist aber schon beim
17559 Ausbruch des Krieges im Mai verschwunden. Die Sache mu
ß also
17560 anders liegen. Und Grunthe ist auch der Ansicht, da
ß Ell
17561 unschuldig ist.
«</p>
17562 <p>»Ach, Grunthe!
« rief Schnabel.
»Das ist ein
17563 Mathematikus, der sich den Teufel um Weiberangelegenheiten
17564 k
ümmert. Davon versteht er nichts. Und da
ß die Frau hier
17565 dahintersteckt, da will ich meinen Kopf verwetten. Warum
17566 s
äße sie denn sonst jetzt in Berlin?
«</p>
17567 <p>Der Fremde hatte sich pl
ötzlich auf seinem Stuhl bewegt,
17568 sich aber sogleich wieder hinter seine Zeitung zur
ückgezogen.
17569 Doch war Pellinger dadurch auf ihn aufmerksam geworden, er
17570 bedeutete Schnabel, seine Stimme zu m
äßigen.
</p>
17571 <p>»Erhitzen Sie sich nicht
«, sagte er,
»die
17572 Sache geht uns eigentlich gar nichts an. Ich m
öchte auch nicht
17573 gern nach dem neuen Klatschgesetz ins Laboratorium
17574 wandern.
«</p>
17575 <p>»Sie w
ürden sich aber ausgezeichnet zu
17576 Durchleuchtungsversuchen des Gehirns eignen
«, sagte Wagner.
17577 »Das Opfer w
ären Sie eigentlich der Wissenschaft
17578 schuldig. Sie brauchen sich den Sch
ädel nicht erst rasieren zu
17580 <p>»Mein Gehirn ist zu normal
«, antwortete Pellinger.
17581 »Aber Sie m
üssen ja wissen, Herr Doktor, wie
’s
17582 dort zugeht, Sie sind ja wohl schon einen Tag drin gewesen. Haben
17583 Sie nicht
Übungen machen m
üssen
über die
17584 Erm
üdung beim Kopfrechnen? Was hatten Sie denn eigentlich
17585 verbrochen?
«</p>
17586 <p>»Was Sie alles wissen wollen!
« sagte Wagner etwas
17587 verlegen.
»Ich wollte mir die Apparate einmal ansehen. Ich
17588 sage Ihnen, da habe ich ein Instrument gesehen, mit dem kann man
17589 die Tr
äume photographieren.
«</p>
17590 <p>»Ach was
«, rief Schnabel,
»flunkern Sie doch
17591 nicht so, ich war ja auch
–«</p>
17592 <p>»Ei, Sie waren auch schon einmal drin? Prosit, da
17593 gratuliere ich.
«</p>
17594 <p>Beide gerieten in ein Wortgefecht, w
ährend Pellinger
17595 aufmerksam den Fremden am Nebentisch beobachtete. Dieser beglich
17596 jetzt seine Rechnung mit dem Wirt, stand dann auf, setzte den Hut
17597 auf den Kopf und verlie
ß das Zimmer, ohne sich
17599 <p>»Den Mann sollte ich kennen
«, sagte Pellinger vor
17601 <p>»Wie meinen Sie?
«</p>
17602 <p>»Oh, nichts. Es kam mir nur so vor, als w
äre der
17603 Herr, der eben fortging, ein alter Bekannter. Aber ich habe mich
17604 wohl geirrt. Sie wollten ja erz
ählen, wie Sie sich im
17605 Laboratorium am
üsiert haben. Hahaha!
«</p>
17606 <h2>44 - Torms Flucht
</h2>
17607 <p>Der Fremde war inzwischen auf die Stra
ße getreten, wo
17608 jetzt der Schein der sp
ärlichen Laternen auf dem feuchten
17609 Pflaster glitzerte. Bald war er wieder vor der Sternwarte angelangt
17610 und wurde in das Haus gef
ührt. Im Vorflur trat ihm Grunthe
17612 <p>»Was w
ünschen Sie?
« fragte dieser, den
17613 sp
äten Gast mi
ßtrauisch musternd.
</p>
17614 <p>»Ich m
öchte Sie in einer Privatangelegenheit
17615 sprechen
«, sagte der Fremde mit einem Blick auf den
17617 <p>Beim Klang der Stimme zuckte Grunthe zusammen.
</p>
17618 <p>»Bitte, treten Sie in mein Zimmer.
«</p>
17619 <p>Der Fremde schritt voran. Grunthe schlo
ß die T
ür.
17620 Beide blickten sich eine Weile wortlos an.
</p>
17621 <p>»Erkennen Sie mich wieder?
« fragte der Fremde
17623 <p>»Torm?
« rief Grunthe fragend.
</p>
17624 <p>»Ich bin es. Zum zweiten Male von den Toten erstanden. Ja,
17625 ich habe noch zu leben, bis
–«</p>
17626 <p>Er schwankte und lie
ß sich auf einen Stuhl nieder.
</p>
17627 <p>»Wo ist meine Frau?
« fragte er dann.
</p>
17628 <p>»In Berlin.
«</p>
17629 <p>»Und Ell?
«</p>
17630 <p>»In Berlin.
«</p>
17631 <p>Torm erhob sich wieder. Seine Augen funkelten unheimlich.
</p>
17632 <p>»Und wie
– wovon lebt sie dort?
« sagte er
17633 stockend.
»Was wissen Sie von ihr?
«</p>
17634 <p>»Ich
– ich bitte Sie, legen Sie zun
ächst ab,
17635 machen Sie es sich bequem. Was ich wei
ß, ist nicht viel. Ihre
17636 Frau Gemahlin ist vollst
ändig selbst
ändig und lebt in
17637 gesicherten Verh
ältnissen. Sie hat alle Anerbietungen von der
17638 Familie Ills und von Ell zur
ückgewiesen und nur die Stelle als
17639 Leiterin einer der martischen Bildungsschulen angenommen. Sie
17640 m
üssen wissen, da
ß sich vieles bei uns ge
ändert hat
17642 <p>»Ich meine, was wissen Sie sonst? Was sagt man
17644 <p>Er brach ab. Nein, er konnte nicht von dem sprechen, was ihm am
17645 meisten am Herzen lag, am wenigsten mit Grunthe.
</p>
17646 <p>»Was sagt man von mir?
« fragte er.
»Meinen
17647 Sie, da
ß ich mich zeigen darf, da
ß ich wagen darf, nach
17648 Berlin zu reisen?
«</p>
17649 <p>»Ich w
üßte nicht, was Sie abhalten sollte.
17650 Allerdings wei
ß ich ja auch nicht, was mit Ihnen geschehen
17651 ist, wie es kam, da
ß Sie pl
ötzlich verschwunden waren
17653 <p>»Werde ich denn nicht verfolgt? Bin ich nicht von den
17654 Martiern, die ja jetzt die Gewalt in H
änden zu haben scheinen,
17655 verurteilt? Hat man keine Bekanntmachung erlassen?
«</p>
17656 <p>»Ich wei
ß von nichts
– ich w
ürde es doch
17657 aus den Zeitungen erfahren haben, oder sicherlich von Saltner, von
17658 Ell selbst
– ich wei
ß wohl, da
ß Ell sich
17659 bem
üht hat, Ihren Aufenthalt ausfindig machen zu lassen, aber
17660 ich habe das als pers
önliches Interesse aufgefa
ßt, es
17661 ist niemals eine
Äu
ßerung gefallen, da
ß man Sie
17662 – sozusagen
– kriminell sucht. ...
«</p>
17663 <p>»Das verstehe ich nicht. Dann m
üssen besondere
17664 Gr
ünde vorliegen, weshalb die Martier schweigen
– ich
17665 vermute, man will mich sicher machen, um mich alsdann dauernd zu
17666 beseitigen. ...
«</p>
17667 <p>»Aber ich bitte Sie, ich habe nie geh
ört, da
ß
17668 Sie Feinde bei den Numen haben.
«</p>
17669 <p>Torm lachte bitter.
»Es k
önnte doch jemand ein
17670 Interesse haben
–«</p>
17671 <p>Grunthe runzelte die Stirn und zog die Lippen zusammen. Torm
17672 sah, da
ß es vergeblich w
äre, mit Grunthe von diesen
17673 Privatangelegenheiten zu sprechen.
</p>
17674 <p>»Ich bin in der Tat
« sagte er leise,
»in den
17675 Augen der Martier ein Verbrecher, obwohl ich von meinem Standpunkt
17676 aus in einer berechtigten Notlage gehandelt habe. Und in diesem
17677 Gef
ühl bin ich hierhergekommen und schleiche umher wie ein
17678 B
ösewicht, in der Furcht, erkannt zu werden. Ich wei
ß
17679 nichts von den Verh
ältnissen in Europa. Ich bin
17680 hierhergekommen, weil ich glaubte, Ell sei hier, und mit ihm wollte
17681 ich ab
–, wollte ich sprechen, gleichviel, was dann aus mir
17682 w
ürde. Mein einziger Gedanke war, nicht eher von den Martiern
17683 gefa
ßt zu werden, bis ich Ell pers
önlich
17684 gegen
übergetreten war. Und das werde ich auch jetzt
17685 ausf
ühren. Ich gehe morgen nach Berlin. Ich habe noch Gelder
17686 auf der hiesigen Bank, aber ich habe nicht gewagt, sie zu erheben,
17687 weil ich
überzeugt war, man warte nur darauf, mich bei dieser
17688 Gelegenheit festzunehmen.
«</p>
17689 <p>»Ich stehe nat
ürlich zu Ihrer Verf
ügung, aber
17690 ich glaube, da
ß Ihre Bef
ürchtungen v
öllig grundlos
17691 sind. Und, wenn ich das sagen darf, da
ß Sie auch Ell
17692 irrt
ümlich f
ür Ihren Feind halten. Er hat sich stets
17693 gegen Ihre Frau Gemahlin so r
ücksichtsvoll, freundschaftlich
17694 und f
ürsorgend verhalten, da
ß ich wirklich nicht
17695 wei
ß, worauf sich Ihr Argwohn st
ützt
–«</p>
17696 <p>»Lassen wir das, Grunthe, lassen wir das. Sagen Sie mir
17697 vor allem, wie ist das alles gekommen, wie sind diese Martier hier
17698 Herren geworden, wie sind die politischen
17699 Verh
ältnisse?
«</p>
17700 <p>»Sie sollen alles erfahren. Aber ich bitte Sie,
17701 erkl
ären Sie mir zun
ächst, worauf Ihre Besorgnis gegen
17702 die Martier sich gr
ündet
– ich bin ja v
öllig
17703 unwissend
über Ihre Erlebnisse. Wir hatten die Hoffnung
17704 aufgegeben, Sie wiederzusehen. Wo kommen Sie her, wo waren Sie,
17705 da
ß Sie so ohne jeden Zusammenhang blieben mit den
17706 Ereignissen, welche die ganze Welt umgest
ürzt
17708 <p>»Nun gut, h
ören Sie zuerst, was mir geschehen ist.
17709 Ich kann mich kurz fassen. Sie wissen, da
ß ich die Absicht
17710 hatte, selbst nach dem Mars zu reisen, falls meine Frau nicht
17711 kr
äftig genug war, die Reise nach der Erde
17712 anzutreten.
«</p>
17713 <p>»Gewi
ß. Ill bewilligte Ihnen eine Lichtdepesche, und
17714 Sie erfuhren daraus, da
ß Sie nicht abreisen sollten, da Ihre
17715 Frau Gemahlin mit einem der n
ächsten Raumschiffe nach der Erde
17716 k
äme. Sie gingen darauf Anfang Mai nach dem Nordpol, um Ihre
17717 Frau dort zu erwarten. Ich erhielt noch am
10. Mai einen Brief von
17718 Ihnen, in welchem Sie die Hoffnung aussprachen, bald mit Ihrer
17719 Frau, die in den n
ächsten Tagen zu erwarten sei, nach
17720 Deutschland zur
ückzukehren. Am
12. war dann jener unselige Tag
17721 der Protektoratserkl
ärung
– und seitdem war jede Spur
17722 von ihnen verschwunden.
«</p>
17723 <p>»So ist es
«, sagte Torm.
»An dem Tag, dem
12.
17724 Mai kam das Raumschiff, aber es brachte weder meine Frau noch Ell,
17725 sondern die Nachricht, da
ß der Arzt die Reise f
ür die
17726 n
ächste Zeit noch untersagt h
ätte. Ich geriet dadurch in
17727 eine gereizte Stimmung, die sich noch steigerte, als ich erfuhr,
17728 da
ß die politischen Verh
ältnisse sich bis zum Abbruch
17729 der friedlichen Beziehungen zugespitzt hatten. Meine Pflicht rief
17730 mich nun unbedingt nach Deutschland zur
ück; denn obwohl seit
17731 diesem Tag der Verkehr mit Deutschland aufgehoben war, mu
ßte
17732 ich doch annehmen und erfuhr es auch bald aus ausl
ändischen
17733 Bl
ättern, da
ß das gesamte Heer mobilisiert werde. Wie
17734 aber sollte ich in die Heimat gelangen? Die Luftboote nach
17735 Deutschland verkehrten nicht mehr, und auf meine direkte Bitte um
17736 Bef
örderung nach einem englischen Platz wurde mir erwidert,
17737 da
ß ich in meiner Eigenschaft als Offizier der Landwehr
17738 w
ährend der Dauer des Kriegszustandes zur
ückgehalten
17739 werden m
üßte, es sei denn, da
ß ich mich
17740 ehrenw
örtlich verpflichtete, mich nicht zu den Waffen zu
17741 stellen. Das konnte ich selbstverst
ändlich nicht tun. Nach dem
17742 Mars zu gehen, war mir gestattet, aber damit war mir nun nicht mehr
17743 gedient. Ich mu
ßte nach Deutschland. Wiederholte unangenehme
17744 Dispute mit den Offizieren der Martier, von denen die Insel jetzt
17745 wimmelte, machten mir den Aufenthalt unertr
äglich. Ich erwog
17746 hundert Pl
äne zur Flucht, selbst an unsern alten Ballon, der
17747 noch immer dort lagert, dachte ich. Endlich beschlo
ß ich auf
17748 eigene Faust die Wanderung
über das Eis zu versuchen, die mir
17749 ja schon einmal gelungen war. Im Fall der vorzeitigen Entdeckung
17750 konnte doch, wie ich meinte, meine Lage nicht verschlimmert werden.
17751 Nat
ürlich wurde ich entdeckt und zur
ückgebracht. Man
17752 k
ündete mir an, da
ß ich wegen Verdachts der Spionage die
17753 Insel Ara nicht mehr verlassen d
ürfe
– vorher hatte man
17754 meinen Besuchen auf den benachbarten Inseln nichts in den Weg
17755 gelegt
– und da
ß ein Kriegsgericht oder dergleichen
17756 über mein weiteres Schicksal beschlie
ßen w
ürde.
17757 Schon glaubte ich, da
ß man mich nach dem Mars bringen
17758 w
ürde; dann konnte ich wenigstens hoffen, meine Frau zu
17759 treffen. Aber ich erfuhr bald, da
ß ich jedenfalls auf der
17760 Au
ßenstation interniert werden w
ürde, von wo jede Flucht
17761 f
ür mich unm
öglich war. In dieser Zeit dort unt
ätig
17762 als Gefangener zu sitzen, war mir ein entsetzlicher Gedanke. Ich
17763 fa
ßte einen Entschlu
ß der Verzweiflung. Jetzt sehe ich
17764 ein, da
ß es eine Torheit war. Doch Sie m
üssen sich in
17765 meine damalige Stimmung versetzen
– wenn Sie es k
önnen.
17766 Ich bildete mir au
ßerdem ein, man werde mich daheim f
ür
17767 einen fahnenfl
üchtigen Feigling halten, wenn ich nicht vom Pol
17768 zur
ückkehrte. Ich hatte auch keine Zeit zur
Überlegung,
17769 denn am n
ächsten Tag sollte das Kriegsgericht sein, worauf ich
17770 sofort in den Flugwagen gebracht worden w
äre.
– Kurzum,
17771 ich beschlo
ß, die Zeit zu benutzen, w
ährend der ich mich
17772 noch auf der Insel frei bewegen durfte. Die Luftschiffe zu betreten
17773 und zu studieren, war mir immer erlaubt gewesen, ich kannte jetzt
17774 ihre Einrichtung genau und erinnerte mich an das Abenteuer, das
17775 Saltner auf dem Mars erlebt hatte, als er sich in dem Luftschiff
17776 des Schie
ßstandes versteckte. Ich wu
ßte, welches Schiff
17777 im Lauf der n
ächsten Stunden abgehen w
ürde, denn sowohl
17778 nach dem Schutzstaat England als auch nach andern Teilen der Erde
17779 fand lebhafter Verkehr statt. So glaubte ich, wenn es mir
17780 gel
änge, mich in dem nach England gehenden Schiffe zu bergen,
17781 von den Martiern selbst fortbef
ördert zu werden. Ich wollte es
17782 wagen. Ich versah mich mit etwas Proviant, denn ich war
17783 entschlossen, im Notfall zwei Tage in meinem Versteck zu
17784 verbleiben. Da fiel mir ein, da
ß ich ohne Sauerstoff apparat
17785 unm
öglich in der H
öhe aushalten k
önnte, in der die
17786 Schiffe zu fahren pflegen. Hier blieb mir nichts anderes
17787 übrig, als zu stehlen. Ich eignete mir zwei von den
17788 Absorptionsb
üchsen der Martier an, mehr konnte ich nicht
17789 fortschaffen. Tr
übes Wetter
– wir hatten ja freilich
17790 keine Nacht
– beg
ünstigte mein Vorhaben durch ein
17791 starkes Schneegest
öber, so da
ß kein Martier, der nicht
17792 durch sein Amt gezwungen war, sich auf dem Dach der Insel sehen
17793 lie
ß. So gelang es mir leichter, als ich glaubte, mich in das
17794 noch g
änzlich unbesetzte Schiff einzuschleichen, dessen
17795 W
ächter in einer der Kaj
üten besch
äftigt war. Es war
17796 ein ausnehmend ger
äumiges Boot, und ich fand meine Zuflucht,
17797 wie damals Saltner, zwischen und hinter dem Stoff, den Saltner
17798 f
ür Heu hielt, der aber, wie Sie jetzt wissen werden, den
17799 besondern Zwecken der Diabarieverteilung dient. Bei gutem
17800 Gl
ück rechnete ich, da noch drei Stunden bis zur Abfahrt des
17801 Schiffes waren, in acht oder neun Stunden in England zu sein und
17802 dann das Schiff ebenso unbemerkt verlassen zu k
önnen. Und
17803 wirklich hatte man mich noch nicht vermi
ßt oder nicht im
17804 Schiff gesucht
– das Schiff erhob sich. Stunde auf Stunde
17805 verging, und ich schlummerte von Zeit zu Zeit in meinem dunklen
17806 Gef
ängnis ein. Nun sagte mir meine Uhr, da
ß wir in
17807 England sein m
üßten. Aber aufs neue verging Stunde auf
17808 Stunde, ohne da
ß das Schiff zur Ruhe kam. Ich bemerkte die
17809 Bewegung nat
ürlich nur an dem leichten Ger
äusch des
17810 Reaktionsapparats und dem Zischen der Luft. So oft ich aus
17811 Sparsamkeit mit dem Sauerstoffatmen aufh
örte, f
ühlte ich
17812 alsbald, da
ß wir noch immer in sehr hohen Schichten sein
17813 m
üßten, und ich geriet in gro
ße Sorge, ob mein
17814 Vorrat ausreichen w
ürde. Endlich, nach mehr als
17815 zehnst
ündiger Fahrt, als ich schon
überlegte, ob ich mich
17816 nicht, um dem Erstickungstod zu entgehen, den Martiern ergeben
17817 sollte, erkannte ich zu meiner unbeschreiblichen Freude an der
17818 Ver
änderung der Luft, da
ß das Schiff sich senke. Bald
17819 h
örte ich auch aus dem ver
änderten Ger
äusch,
17820 da
ß es mit Segelflug arbeite. Ich schlo
ß daraus,
17821 da
ß man eine Landungsstelle suche und sich also nicht einem
17822 der gewohnten Anlegepl
ätze n
ähere.
</p>
17823 <p>K
önnen Sie sich meinen Zustand, meine nerv
öse Erregung
17824 vorstellen? Seit zehn Stunden im Finstern eingeschlossen, zuletzt
17825 unter Atemnot, in fortw
ährender Gefahr, entdeckt zu werden,
17826 ohne zu wissen, wohin die Reise geht, wo ich das Licht des Tages
17827 wieder erblicken werde und wie es mir m
öglich werden wird,
17828 unbemerkt dem Schiff zu entfliehen! Ich suchte mir einen Plan zu
17829 machen
– aber wo w
ürde ich mich dann befinden? Der Zeit
17830 nach zu schlie
ßen, mu
ßten wir sechs- bis siebentausend
17831 Kilometer zur
ückgelegt haben. Ich konnte in Alexandria sein
17832 oder in New-Orleans, ebensogut auch in der Sahara oder in China.
17833 Wie sollte ich dann weiterkommen, falls ich den Martiern entfliehen
17834 konnte? Ich mu
ßte alles vom Augenblick abh
ängig
17836 <p>Endlich verstummte das Ger
äusch der Fahrt, ich f
ühlte
17837 den Landungssto
ß, das Schiff ruhte. Es kam nun darauf an, ob
17838 es die Martier verlassen w
ürden. Wenn ich wenigstens
17839 gewu
ßt h
ätte, ob es Tag oder Nacht war. Aber das hing ja
17840 ganz davon ab, nach welcher Himmelsrichtung wir gefahren waren. Aus
17841 der Landung selbst konnte ich nichts schlie
ßen, da ich nichts
17842 von der Bestimmung des Schiffes wu
ßte, f
ür welche
17843 ebensogut die Nacht als der Tag die passende Ankunftszeit sein
17844 konnte, je nach den Absichten der Martier. Noch eine Stunde
17845 vielleicht h
örte ich
über mir Tritte und Stimmen, dann
17846 wurde es still. Ich schlich aus meinem Versteck nach der
17847 Dreht
ür. Ger
äuschlos
öffnete sich eine Spalte. Es
17848 war Nacht! Denn nur ein ganz schwaches Fluoreszenzlicht schimmerte
17849 durch das Innere des Schiffes. Man hatte also Grund, nach
17850 au
ßen hin kein Licht zu zeigen, man wollte nicht bemerkt
17851 sein. Nun
öffnete ich die Dreht
ür vollends und
17852 sp
ähte in den Raum. Die Martier lagen in ihren
17853 H
ängematten und schliefen. Wachen befanden sich jedenfalls
17854 au
ßerhalb des Schiffes, aber nach innen konnten sie nicht gut
17855 blicken und hatten auch dort nichts zu suchen. Ich konnte also ohne
17856 Bedenken aus dem untern Raum heraussteigen und zwischen den
17857 H
ängematten nach dem Ausgang schreiten; selbst wenn mich
17858 jemand hier bemerkte, h
ätte er mich doch f
ür einen von
17859 der Besatzung gehalten. So gelangte ich ungef
ährdet bis an die
17860 Treppe, die aufs Verdeck und von dort ins Freie f
ührte. Die
17861 Luke stand offen, aber auf der obersten Stufe der Treppe sa
ß
17862 ein Martier, der, von seinem Helm gegen die Schwere gesch
ützt,
17863 nach au
ßen hin Wache hielt. An ihm mu
ßte ich
17864 vor
über. Ich stieg m
öglichst unbefangen und ohne mein
17865 Nahen verbergen zu wollen die Stufen hinauf und dr
ängte mich
17866 an ihm vor
über, indem ich die geb
ückte Haltung der
17867 Martier ohne Schwereschirm annahm. Ich hatte keine andre Wahl,
17868 durch List h
ätte ich nichts erreicht. So stand ich schon auf
17869 dem Verdeck, als der Martier mich anrief, wo ich hinwollte. Ich
17870 antwortete nicht, sondern suchte nur nach der abw
ärts
17871 f
ührenden Treppe. Sie war aber eingezogen. Da fa
ßte der
17872 W
ächter mich an und rief:
›Das ist ja ein Bat. Was
17873 willst du?
‹</p>
17874 <p>Zugleich dr
ückte er die Alarmglocke. Was im n
ächsten
17875 Augenblick geschah, wei
ß ich nicht mehr deutlich. Ich
17876 h
öre nur einen Schmerzensschrei, den der Martier
17877 ausstie
ß, als er, von meinem Faustschlag gegen die Stirn
17878 getroffen, die Treppe hinabst
ürzte. Ich selbst f
ühle mich
17879 das gew
ölbte Dach des Schiffes hinabgleiten, doch ich komme
17880 auf die F
üße und laufe auf gut Gl
ück vom Schiff
17881 fort, so schnell meine Beine mich tragen wollen. Die Nacht war
17882 klar, aber nur vom Sternenlicht erhellt. Der Boden senkte sich,
17883 denn das Luftschiff war, wie nicht anders zu erwarten, auf einem
17884 H
ügel gelandet. Eine endlose Ebene schien sich vor mir
17885 auszudehnen; ich f
ühlte kurzes Gras unter mir. Als ich es
17886 wagte, mich einen Augenblick r
ückw
ärts zu wenden,
17887 bemerkte ich, da
ß hinter mir sich eine H
ügellandschaft
17888 befand, die zu einem schneebedeckten Gebirge aufstieg. Ich hoffte,
17889 irgendwo ein Versteck zu finden, das mich vor den ersten
17890 Nachforschungen der Martier verbarg, um mich dann im Lauf der Nacht
17891 noch m
öglichst weit zu entfernen und bei den unbekannten
17892 Bewohnern des Landes Schutz zu suchen. Da pl
ötzlich tauchte,
17893 wie aus der Erde gestiegen, eine Reihe dunkler Gestalten vor mir
17894 auf, die sich sofort auf mich st
ürzten und mich niederwarfen.
17895 Ich sah Messer vor meinen Augen blitzen und glaubte mich
17897 <p>In diesem furchtbaren Augenblick wurde die Nacht mit einem
17898 Schlag zum Tag. Das Marsschiff hatte seine Scheinwerfer
17899 ergl
ühen lassen. Wie eine Sonne in blendendem Licht strahlend
17900 erhob es sich langsam in die Luft, jedenfalls um mich zu suchen.
17901 Dieser Anblick versetzte die Eingeborenen, die mich
überfallen
17902 hatten, in einen unbeschreiblichen Schrecken. Zun
ächst warfen
17903 sie sich auf den Boden, dann krochen sie, ohne sich um mich zu
17904 k
ümmern, auf diesem fort und waren in wenigen Augenblicken
17905 ebenso pl
ötzlich verschwunden, wie sie gekommen waren. Ich war
17906 frei. Aber was sollte ich tun? Wenn ich hier blieb, so mu
ßte
17907 ich in wenigen Minuten von den Martiern entdeckt werden. Ich sagte
17908 mir, da
ß sich dort, wo die Eingeborenen verschwunden waren,
17909 auch ein Versteck f
ür mich finden w
ürde. In der Tat,
17910 wenige Schritte vor mir zog eine trockene Erdspalte quer durch die
17911 Steppe. Ich stieg hinab und schmiegte mich in den tiefen Schatten
17912 eines Risses. Von oben konnte ich hier nicht gesehen werden. Die
17913 Martier hatten nat
ürlich bald die Spalte bemerkt und schwebten
17914 langsam
über derselben hin, aber ich wurde nicht entdeckt.
17915 Noch mehrfach sah ich das Licht aufleuchten, endlich verschwand es.
17916 Auch von den Eingeborenen sah ich nichts mehr.
</p>
17917 <p>Etwa eine Stunde mochte ich so gelegen haben
– es war
17918 unangenehm kalt
–, als der erste Schimmer der D
ämmerung
17919 den Anbruch des Tages verk
ündete. Ich verzehrte den Rest
17920 meines Proviants, und als es hell genug geworden war, lugte ich
17921 vorsichtig
über die Ebene. Das Schiff mu
ßte sich
17922 entfernt haben, es war keine Spur mehr zu sehen. Ich wanderte nun
17923 am Rande des Spaltes weiter. Nicht lange, so bemerkte ich,
17924 da
ß mir eine gro
ße Schar von Bewohnern des Landes
17925 entgegenkam. Ich blieb stehen und suchte durch Bewegungen der Arme
17926 meine friedlichen Absichten verst
ändlich zu machen. Erst
17927 glaubte ich, das Schlimmste bef
ürchten zu m
üssen, denn
17928 die Leute liefen unter lautem Geschrei auf mich zu und schossen
17929 ihre langen Flinten ab, aber sie zielten nicht auf mich. Bald
17930 erkannte ich, da
ß dies eine Freudenbezeugung sein sollte.
17931 Einige
ältere M
änner, offenbar die Anf
ührer, traten
17932 an mich heran und verbeugten sich mit allen Zeichen der Ehrfurcht.
17933 Dann kauerten sie sich im Halbkreis um mich nieder, und ich setzte
17934 mich ebenfalls auf den Boden. Allm
ählich verst
ändigten
17935 wir uns durch Pantomimen, und ich folgte ihrer Einladung, sie zu
17936 begleiten. Nach einer langen Wanderung erweiterte sich die Spalte
17937 zu einem kleinen Tal, und hier fand sich eine Niederlassung, wo ich
17938 mit allen Ehren eines angesehenen Gastes aufgenommen wurde. Ich
17939 blieb einige Tage dort und wurde dann von meinen Gastfreunden nach
17940 S
üden geleitet. Nach mehreren Tagereisen erreichten wir eine
17941 ausgedehnte Stadt. Jetzt erst wurde mir nach und nach klar, wo ich
17942 hingeraten war. Die Stadt war Lhasa, die Hauptstadt von Tibet, der
17943 Sitz des Dalai-Lama. Die Tibetaner waren durch die
17944 überirdische Erscheinung des lichtstrahlenden Luftschiffes in
17945 ihrer Gesinnung v
öllig umgewandelt. Sie hielten mich f
ür
17946 ein wunderbares Wesen, das in einem leuchtenden Wagen direkt vom
17947 Himmel gekommen war. Ich wurde auch in Lhasa sehr ehrenvoll
17948 aufgenommen, aber alle Bem
ühungen, von hier weiterzureisen,
17949 waren vergebens. Man gestattete nicht, da
ß ich mich aus der
17950 Stadt entferne. Und so war ich fast ein Jahr in dieser allen
17951 Fremden verschlossenen Stadt. Aber auch dies hatte
17952 schlie
ßlich ein Ende.
</p>
17953 <p>Sie werden wahrscheinlich wissen, da
ß die Martier jetzt
17954 auf dem Hochplateau von Tibet gro
ße Strahlungsfelder angelegt
17955 haben, um w
ährend des Sommers die Sonnenenergie zu sammeln.
17956 Die Trockenheit des Klimas bei der hohen Lage von
5.000 Meter
17957 überm Meer sagt ihrer Konstitution am meisten zu von allen
17958 L
ändern der Erde. Das Schiff, mit welchem ich hingekommen war,
17959 stellte die ersten Nachforschungen an, und bald hatten mehr und
17960 mehr Schiffe eine gro
ße Anzahl der Martier, vornehmlich die
17961 Bewohner ihrer W
üsten, die Beds, dahin gebracht. Die Tibetaner
17962 f
ühlten sich dadurch beunruhigt und wandten sich an die
17963 chinesische Regierung. Zugleich aber glaubten sie, da
ß meine
17964 Anwesenheit, die sie
übrigens sorgf
ältig geheimhielten,
17965 Ursache sei, weshalb die wunderbaren Fremden durch die Luft in ihr
17966 Land k
ämen. So erhielt ich die Erlaubnis, mich einer Karawane
17967 anzuschlie
ßen, die
über den Himalaja nach Indien ging.
17968 Nach mannigfachen Abenteuern, mit denen ich Sie nicht aufhalten
17969 will, gelang es mir schlie
ßlich, mich bis nach Kalkutta
17970 durchzuschlagen. Ich besa
ß noch eine nicht unbedeutende Summe
17971 deutschen Geldes, durch das ich mich hier wieder in einen
17972 europ
äischen Zustand versetzen konnte. Indessen wagte ich
17973 nicht, mich bei den Beh
örden zu melden oder mich zu erkennen
17974 zu geben, da ich f
ürchtete, von den Martiern verfolgt zu
17975 werden. Aus den Zeitungen ersah ich, da
ß das Luftschiff,
17976 welches von Kalkutta allw
öchentlich nach London geht, in
17977 Teheran, Stambul, Wien und Leipzig anlegt. Von Leipzig benutzte ich
17978 den n
ächsten Zug nach Friedau. Und mein erster Gang war
17979 hierher. Ich habe es vermieden, mit jemand zu sprechen. Ich bin
17980 entsetzt
über die Ver
änderung der Verh
ältnisse. Nun
17981 sagen Sie mir vor allem, was war unser Schicksal im Krieg mit dem
17983 <p>Grunthe hatte ohne eine Miene zu verziehen zugeh
ört. Jetzt
17984 sagte er bed
ächtig, ohne auf Torms letzte Frage zu achten:
</p>
17985 <p>»Hatten Sie Ihren Chronometer und unsern Taschenkalender
17987 <p>»Ja, aber
–«</p>
17988 <p>»So haben Sie doch wohl einige Ortsbestimmungen machen
17989 k
önnen? Ich meine nach dem Harzerschen Fadenverfahren, mit
17990 blo
ßem Auge?
«</p>
17991 <p>Torm l
ächelte tr
üb.
»Ich hatte freilich Zeit
17992 dazu
«, sagte er,
»und habe es auch getan. Sie
17993 k
önnen sie berechnen. Aber zuerst
–«</p>
17994 <p>»Oh, entschuldigen Sie
«, unterbrach ihn Grunthe.
17995 »Sie wissen, ich bin ein sehr unaufmerksamer Wirt. Ich
17996 h
ätte ihnen doch zuerst ein Abendessen anbieten sollen.
17997 Allerdings habe ich nichts zu Hause, doch
– wir k
önnten
17998 vielleicht
–«</p>
17999 <p>Seine Lippen zogen sich zusammen. Das Problem schien ihm sehr
18000 schwer.
»Ich danke herzlich
«, sagte Torm.
»Ich
18001 habe gegessen und getrunken.
«</p>
18002 <p>»Um so besser
«, rief Grunthe erleichtert.
18003 »Aber logieren werden Sie bei mir. Das l
äßt sich
18005 <p>»Das nehme ich an, weil ich mich nicht gern hier in den
18006 Hotels sehen lassen m
öchte. Morgen fahre ich ja nach
18008 <p>»Wollen Sie denn nicht an Ihre Frau Gemahlin
18009 telegraphieren, da
ß Sie kommen? Ich habe die Adresse, da ich
18010 wegen der Abrechnungen
– warten Sie, es mu
ß hier stehen
18011 – ich kann unsern Burschen nach der Post schicken
</p>
18012 <p>»Das ist nicht n
ötig
«, sagte Torm.
»Ich
18013 werde
– doch die Adresse k
önnen Sie mir immerhin
18015 <p>Grunthe suchte unter seinen B
üchern.
</p>
18016 <p>»Ach, sehen Sie
«, sagte er,
»da finde ich doch
18017 noch etwas
– im Fr
ühjahr hat mich Saltner einmal besucht
18018 – da lie
ß ich Wein holen, und hier ist noch eine
18019 Flasche. Gl
äser habe ich von Ell. Sie m
üssen da irgendwo
18020 stehen. Das trifft sich gut
– wissen Sie denn, was heute
18021 f
ür ein Tag ist? Der neunzehnte August. Heute vor zwei Jahren
18022 kamen wir am Nordpol an. Wie schade, da
ß Saltner nicht hier
18023 ist, er k
önnte wieder ein Hoch ausbringen
–«</p>
18024 <p>Torm fuhr aus seinem Nachsinnen empor.
</p>
18025 <p>»Erinnern Sie mich nicht daran
«, sagte er finster.
18026 »Mit jener Stunde begann mein Ungl
ück. Wie kam denn
18027 jener Flaschenkorb
–« Er schlug mit der Hand auf den
18028 Tisch und sprang auf. Er unterbrach sich und murmelte nur noch
18029 f
ür sich:
»Ich sto
ße nicht mehr an.
«</p>
18030 <p>»Geben Sie nur die Gl
äser her
«, sagte er darauf
18031 ruhiger.
»Ja, wir wollen uns setzen. Und nun sind Sie daran
18032 zu berichten.
«</p>
18033 <p>Grunthe blickte starr vor sich hin.
</p>
18034 <p>»Wir sind in der Gewalt der Nume
«, begann er nach
18035 einer Pause.
»Ganz Europa, au
ßer Ru
ßland. Wir
18036 beugen uns vor unserm Herrn. Wir sind Kinder geworden, die in die
18037 Schule geschickt werden. Man hat sogenannte Kultoren eingesetzt
18038 über die verschiedenen Sprachgebiete. Der gr
ößte
18039 Teil des Deutschen Reichs, die deutschen Teile von
Österreich
18040 und der Schweiz stehen unter Ell. Man will uns erziehen,
18041 intellektuell und ethisch. Die Absicht ist gut, aber
18042 undurchf
ührbar. Das Ende wird entsetzlich sein
– wenn es
18043 nicht gelingt
–, doch davon sp
äter.
«</p>
18044 <p>Grunthe schwieg.
</p>
18045 <p>»Ich begreife noch nicht
«, sagte Torm,
»wie
18046 war es m
öglich, da
ß wir in diese Abh
ängigkeit
18047 gerieten? Warum unterwarfen wir uns?
«</p>
18048 <p>»Entschuldigen Sie mich
«, antwortete Grunthe.
18049 »Ich bin nicht imstande, von diesen schmerzlichen Ereignissen
18050 zu sprechen. Ich bringe es nicht
über die Lippen. Lassen wir
18051 es lieber. Ich werde Ihnen eine Zusammenstellung der Ereignisse in
18052 einer Brosch
üre geben
– hier sind mehrere. Lesen Sie
18053 selbst, f
ür sich allein. Sie werden auch m
üde sein. Lesen
18054 Sie morgen fr
üh. Reden wir von etwas anderm.
«</p>
18055 <p>Aber sie redeten nicht. Der Wein blieb unber
ührt. Das Herz
18056 war beiden zu schwer. Einmal sagte Grunthe vor sich hin:
»Es
18057 ist nicht der Verlust der politischen Macht f
ür unser
18058 Vaterland, der mich am meisten schmerzt, so weh er mir tut.
18059 Schlie
ßlich m
üßte es zur
ückstehen, wenn es
18060 bessere Mittel g
äbe, die W
ürde der Menschheit zu
18061 verwirklichen. Was mir unm
öglich macht, ohne die tiefste
18062 Erregung von diesen Dingen zu reden, ist die dem
ütigende
18063 Überzeugung, da
ß wir es eigentlich nicht besser
18064 verdienen. Haben wir es verstanden, die W
ürde des Menschen zu
18065 wahren? Haben nicht seit mehr als einem Menschenalter alle
18066 Berufsklassen ihre politische Macht nur gebraucht, um sich
18067 wirtschaftliche Vorteile auf Kosten der andern zu verschaffen?
18068 Haben wir gelernt, auf den eigenen Vorteil zu verzichten, wenn es
18069 die Gerechtigkeit verlangte? Haben die f
ührenden Kreise
18070 sittlichen Ernst gezeigt, wenn es galt, das Gesetz auch ihrer
18071 Tradition entgegen durchzuf
ühren? Haben sie ihre Ehre gesucht
18072 in der absoluten Achtung des Gesetzes, statt in
18073 äu
ßerlichen Formen? Haben wir unsern Gott im Herzen
18074 verehrt, statt in Dogmen und konventionellen Kulten? Haben wir das
18075 Grundgesetz aller Sittlichkeit gewahrt, da
ß der Mensch
18076 Selbstzweck ist und nicht blo
ß als Mittel gebraucht werden
18077 darf? Oh, das ist es ja eben, da
ß die Nume in allem
18078 vollst
ändig recht haben, was sie lehren und an uns verachten,
18079 und da
ß wir doch als Menschen es nicht von ihnen annehmen
18080 d
ürfen, weil wir nur frei werden k
önnen aus eigener
18081 Arbeit. Und so ist es unser tragisches Schicksal, da
ß wir uns
18082 auflehnen m
üssen gegen das Gute! Und es ist das tragische
18083 Geschick der Nume, da
ß sie um des Guten willen schlecht
18084 werden m
üssen!
«</p>
18085 <p>Er stand auf und trat an das Fenster.
</p>
18086 <p>»Es scheint sich aufzukl
ären. Vielleicht kann ich
18087 noch eine Beobachtung machen. Wollen Sie mitkommen? Ich zeige Ihnen
18088 dabei Ihr Zimmer.
«</p>
18089 <p>Torm ergriff die Brosch
üren und folgte ihm.
</p>
18090 <h2>45 - Des Ungl
ück des Vaterlands
</h2>
18092 <p>Torm ging unruhig in seinem Zimmer auf und ab. Seine Liebe zu
18093 Isma, das alte, feste Vertrauen, das sich wieder
18094 hervordr
ängte, die Mitteilungen Grunthes
über Ells
18095 freundschaftliches Verhalten, das alles k
ämpfte in seinem
18096 Innern mit dem feindlichen Argwohn, in den er sich in der
18097 Einsamkeit seiner Verbannung immer fester hineingelebt hatte. Die
18098 stets erneute Verz
ögerung der Heimkehr Ismas und das
18099 gleichzeitige Zur
ückbleiben Ells, wof
ür er keinen Grund
18100 einzusehen vermochte, hatten allm
ählich in ihm den Verdacht
18101 erweckt, da
ß es Ell doch nicht ehrlich mit ihm meine. Von nun
18102 ab glaubte er
überall die Hand Ells im Spiele zu sehen. Die
18103 Verhinderung seiner Heimreise vom Pol schob er ebenfalls auf einen
18104 Einflu
ß Ells. Wer konnte wissen, welche Lichtdepeschen
18105 zwischen den Planeten, zwischen Neffe und Oheim, gewechselt wurden?
18106 Zu seiner verzweifelten Flucht hatte er sich in einem Moment der
18107 Erregung entschlossen, der noch einen andern Grund hatte, als er
18108 Grunthe gegen
über aussprechen wollte. Bei seinen Disputen mit
18109 den Martiern am Pol hatte er aus der hingeworfenen Bemerkung eines
18110 der martischen Offiziere entnommen, da
ß man nach den Gesetzen
18111 der Nume ihm
überhaupt keinerlei Recht zuerkannte, die
18112 R
ückkehr seiner Frau zu verlangen. Die formale G
ültigkeit
18113 seiner Ehe war auf dem Mars nicht anerkannt. Niemand h
ätte es
18114 unter den vorliegenden Umst
änden Isma verdacht, wenn sie sich
18115 als frei erkl
ärt h
ätte. Dies hatte Torm in die
18116 h
öchste Aufregung versetzt, und ein nagendes Gef
ühl der
18117 Eifersucht hatte ihm einen Teil seiner ruhigen Besinnung
18119 <p>Jetzt freilich mu
ßte ihm Isma in anderm Licht erscheinen.
18120 Hatte er denn irgendeinen bestimmten Vorwurf gegen sie zu erheben?
18121 Sie war ja zur
ückgekehrt, und sie hatte sich damit offenbar zu
18122 ihm bekannt. Sollte er nun zu Ell r
ücksichtslos vordringen und
18123 sich vielleicht rettungslos der Gewalt der Martier ausliefern? War
18124 Ell unschuldig, so war dieses Opfer ganz unn
ötig gebracht. War
18125 Ell aber schlecht, so gab er sich in seine Hand. Als er seinen
18126 Entschlu
ß gefa
ßt hatte, zuerst zu Ell zu gehen,
18127 wu
ßte er ja noch nicht, da
ß sich dieser in einer so
18128 unerreichbaren Machtstellung befand. So schien es ihm jetzt doch
18129 als das richtige, sich mit Isma in Verbindung zu setzen.
</p>
18130 <p>Aber wie konnte das ohne Gefahr geschehen? Und vor seinem Geist
18131 stieg die furchtbare Anklage auf, einen Nume bei der Aus
übung
18132 seiner Pflicht verletzt, vielleicht get
ötet zu haben
–
18133 –. Was ihm das Mittel werden sollte, Isma wiederzugewinnen,
18134 die r
ücksichtslose Flucht, nun erschien es ihm als ein
18135 verh
ängnisvolles Schicksal, das ihn f
ür immer von ihr
18136 trennen sollte. Unter dem Druck der schweren Anklage, die auf ihm
18137 lastete, durfte er vor ihre Augen treten? Was sollte er tun?
18138 Mechanisch griff er nach einer der Brosch
üren, an die er nicht
18139 mehr gedacht hatte. Sein Auge fiel auf die
Überschrift:
18140 »Das Ungl
ück vom
30. Mai.
« Er begann zu lesen. Und
18141 der Schmerz um das Vaterland dr
ängte die eigene Sorge
18143 <p>»Ihr sollt es einst wissen, Kinder und Enkel
«, so
18144 hie
ß es,
»was uns geschehen ist, damit ihr weinen
18145 k
önnt und z
ürnen wie wir. Darum schreiben wir das
18146 Traurige auf, obwohl die Hand unwillig sich str
äubt.
</p>
18147 <p>Es war der Tag der gro
ßen Parade, an dem der oberste
18148 Kriegsherr sein herrliches Heer musterte, das um die Hauptstadt
18149 zusammengezogen war. Von der zahllosen, begeisterten Menge der
18150 Zuschauer umgeben, waren die gl
änzenden Regimenter
18151 vor
übermarschiert an der
›einsamen Pappel
‹. So
18152 hie
ß die Stelle nach einem Baum, der sich einstmals hier
18153 befunden hatte, wo der Monarch, umringt von der Mehrzahl der
18154 deutschen F
ürsten und seinen Gener
älen, die Heerschau
18155 hielt. Nun hatten sich die Truppen weiter auseinandergezogen und
18156 die Gewehre zusammengestellt, w
ährend der Kriegsherr den
18157 F
ührern seine Anerkennung aussprach.
</p>
18158 <p>Und da geschah es.
</p>
18159 <p>Vor der Hauptstadt des Reiches, an dessen Grenzen man nirgends
18160 die Spur eines Feindes hatte beobachten k
önnen.
</p>
18161 <p>Im Augenblick der gr
ößten Machtentfaltung des
18162 st
ärksten Landheeres.
</p>
18163 <p>Wie ein Schwarm von Raubv
ögeln scho
ß es vom Himmel
18164 hernieder, ger
äuschlos, gl
änzende, glatte Unget
üme.
18165 Und im Moment, da man sie bemerkte, waren sie auch schon da und
18166 hatten die Schar der Anf
ührer umringt.
</p>
18167 <p>›Zu den Truppen!
‹ hie
ß es.
</p>
18168 <p>Die Kommandierenden stoben auseinander.
</p>
18169 <p>›Zur
ück! Ergebt euch! Der Weg ist gesperrt!
‹
18170 t
önte es ihnen aus den feindlichen Luftschiffen entgegen.
</p>
18171 <p>Die Offiziere k
ümmerten sich nicht darum, sie sprengten
18172 weiter. Aber nicht lange. Keiner passierte den Kreis, den die
18173 Schiffe absperrten. Von einer unsichtbaren Macht
18174 zur
ückgeworfen, st
ürzten Ro
ß und Reiter zusammen.
18175 Enger schlo
ß sich der Ring der Schiffe, die nur wenige Meter
18176 über dem Boden schwebten, um die F
ürsten und ihre
18177 Begleitung, so da
ß die gest
ürzten Offiziere jetzt
18178 au
ßerhalb des gesperrten Kreises lagen.
</p>
18180 <p>Die Truppen, soweit sie nahe genug waren, um den Vorgang zu
18181 beobachten, waren sofort unter das Gewehr getreten. Als die
18182 Bataillonsf
ührer bemerkten, da
ß ihre Kommandierenden
18183 nicht zu ihnen gelangen konnten, als sie sahen, da
ß die
18184 pl
ötzlich erschienenen Schiffe einen feindlichen Angriff
18185 bedeuteten, dem der oberste Kriegsherr selbst mit allen
18186 F
ürsten und Gener
älen ausgeliefert war, da bebte ihnen
18187 wohl das Herz in der Brust unter der Verantwortung, die sie auf
18188 sich gelegt f
ühlten. Aber nun bew
ährte sich der Geist
18189 unseres Heeres in erhebender Weise. Nicht ein Augenblick der
18190 Verwirrung, nicht ein Moment des Schreckens trat ein. Die Truppen
18191 einer andern Nation, falls sie sich nicht in zuchtlose Flucht
18192 aufgel
öst h
ätten, w
ären vielleicht in wahnsinnigem
18193 Todesmut zur Befreiung ihres Feldherrn vorgest
ürzt, um in den
18194 Repulsitstrahlen und Nihilitsph
ären der Marsschiffe ihren
18195 Untergang zu finden, ohne da
ß sie auch das Geringste
18196 h
ätten ausrichten k
önnen. Die deutschen Offiziere
18197 indessen verloren ihre Instruktion auch in diesem schrecklichen
18198 Moment nicht aus den Augen. Nach den Erfahrungen, die man in
18199 England gemacht hatte, war es von der deutschen Heeresleitung als
18200 erster Grundsatz ausgesprochen worden, unter keinen Umst
änden
18201 Munition und Menschenleben gegen ein mit Nihilitsph
äre
18202 versehenes Marsschiff zu verschwenden, da man wu
ßte,
18203 da
ß dies ein v
öllig fruchtloses Beginnen sei. Die
18204 Truppen waren
überhaupt nicht zusammengezogen worden, um sich
18205 irgendwo in offenem Kampf mit den Martiern zu versuchen. Man hatte
18206 vielmehr ein ganz anderes System der Verteidigung aufgestellt, und
18207 von diesem auch im Moment der
äu
ßersten
18208 Überraschung nicht abzuweichen, das war die h
öchste
18209 Aufgabe, welche die Disziplin zu leisten hatte.
</p>
18210 <p>Man sagte sich, da
ß den Machtmitteln der Martier
18211 gegen
über eine Armee im freien Feld wie in den Forts der
18212 Festungen ohnm
ächtig und dem Untergang geweiht war, da
ß
18213 aber ihrerseits die Martier machtlos sein w
ürden, wenn sie
18214 verhindert w
ürden, sich der Organe der Regierung zu
18215 bem
ächtigen. Man hatte deswegen die Truppen lediglich zum
18216 Schutz der Hauptst
ädte als der Zentralpunkte der
18217 Staatsverwaltung zusammengezogen. Hier sollten sie verhindern,
18218 da
ß die
öffentlichen Geb
äude von den Martiern
18219 besetzt und in Beschlag genommen w
ürden. Man nahm mit Recht
18220 an, da
ß in den St
ädten, mitten zwischen den H
äusern
18221 der friedlichen B
ürger, die Martier von gewaltsamen
18222 Zerst
örungen absehen w
ürden; da
ß sie, wenn sie
18223 einen Einflu
ß auf die Regierung gewinnen wollten, gezwungen
18224 sein w
ürden, ihre sch
ützenden Schiffe zu verlassen und
18225 den festen Boden zu betreten. Und hier sollte dann die starke
18226 milit
ärische Besatzung es unm
öglich machen, da
ß die
18227 Kassen, die B
üros, die Archive und die leitenden Amtspersonen
18228 selbst in feindliche Gewalt gerieten. Deswegen hatte jedes einzelne
18229 Bataillon bereits seine bestimmte Instruktion, wohin es sich beim
18230 ersten Erscheinen der Feinde sofort zu begeben habe. Dies allein
18231 war auszuf
ühren.
</p>
18232 <p>Die gro
ße Parade war zum Verderben ausgeschlagen. Aber in
18233 Erinnerung an hergebrachte und liebgewordene Gewohnheiten hatte der
18234 oberste Kriegsherr geglaubt, dieselbe ohne Gefahr anordnen zu
18235 k
önnen, weil trotz des sorgf
ältigsten Nachrichtendienstes
18236 noch keinerlei Spur einer feindlichen Ann
äherung gefunden
18238 <p>Nun war der Feind dennoch da. Jeder sah ein, da
ß man
18239 nichts tun konnte, als der urspr
ünglichen Anordnung zu folgen.
18240 Auf die feindlichen Luftschiffe schie
ßen oder gegen sie
18241 anst
ürmen w
äre Unsinn gewesen. Das ganze gro
ße Feld
18242 war noch von Zuschauern
überflutet, die sich jetzt in eiliger
18243 Flucht nach der Stadt zur
ückw
älzten. Auf den Chausseen
18244 dr
ängten sich die Wagen, darunter die Equipagen, welche die
18245 f
ürstlichen Gemahlinnen und Prinzessinnen vom Paradefeld
18246 fortf
ührten. So taten die Truppen ihre einfache Pflicht. Sie
18247 marschierten, so schnell sie konnten, auf den im voraus
18248 festgesetzten Wegen nach ihren Bestimmungsorten. Nur das erste
18249 Gardegrenadierregiment und das Gardek
ürassierregiment blieben
18250 zur pers
önlichen Bedeckung des Kriegsherrn zur
ück.
</p>
18251 <p>Der Monarch blickte mit finsterem Ernst auf seine Umgebung, auf
18252 die feindlichen Schiffe und die bet
äubt oder tot am Boden
18253 liegenden Offiziere, um welche jetzt
Ärzte und
18254 Krankentr
äger bem
üht waren. Dann ri
ß er den Degen
18255 aus der Scheide und rief:
</p>
18256 <p>›Meine Herren! Hier gibt es nur einen Weg
18257 hindurch!
‹</p>
18258 <p>Er spornte sein Pferd an. Seine Begleitung warf sich ihm
18259 entgegen und beschwor ihn, sich dem sichern Verderben nicht
18260 auszusetzen. Er wollte nicht h
ören.
</p>
18261 <p>›Nun denn
‹, rief da der greise General von Dollig,
18262 ›zuerst wir!
‹</p>
18263 <p>Und einen Teil der Offiziere mit sich fortrei
ßend, jagte
18264 er im Galopp gegen die unsichtbare Schranke, die sich nur durch
18265 eine Staubschicht
über dem Boden verriet.
</p>
18266 <p>Sobald man bei den au
ßerhalb des Ringes der Marsschiffe
18267 haltenden Schwadronen der Gardek
ürassiere die Bewegung in der
18268 Begleitung des Feldherrn wahrgenommen hatte, lie
ßen sie sich
18269 nicht l
änger zur
ückhalten. Unter brausendem Hurraruf
18270 sprengten die gl
änzenden Reitermassen heran, um ihren
18271 Feldherrn aufzunehmen oder mit ihm unterzugehen. Es war ein
18272 furchtbarer Moment. Starres Entsetzen fa
ßte alle, die den
18273 Vorgang zu bemerken vermochten. Und als ob die K
ühnheit des
18274 Entschlusses den
überm
ächtigen Feind bezw
änge, so
18275 kam jetzt neue Bewegung in seine Schiffe. Sie erhoben sich, als
18276 wollten sie den Weg freigeben. Gleichzeitig aber senkte es sich von
18277 oben herab wie eine dunkle, langgestreckte Masse, die eben erst auf
18278 dem Feld erschien. Wie ein breites, schwebendes Band, von den
18279 Luftschiffen begleitet, dehnte sich diese Masse jetzt in den kurzen
18280 Sekunden aus, welche die heranst
ürmende Kavallerie zur
18281 Ann
äherung brauchte. Und nun kam die erste Reihe der Reiter in
18282 den Bereich ihrer Wirkung, und gleich darauf zog die seltsame
18283 Maschine
über das ganze Regiment hinweg.
</p>
18284 <p>Die Wirkung war so ungeheuerlich, da
ß die Schar der
18285 ansprengenden F
ürsten und Generale stockte und ein Schrei des
18286 Entsetzens vom weiten Feld her her
überhallte. Kein einziges
18287 Pferd mehr stand aufrecht. Ro
ß und Reiter w
älzten sich
18288 in einem weiten, wirren Kn
äuel, eine Wolke von Lanzen,
18289 S
äbeln, Karabinern erf
üllte die Luft, flog donnernd gegen
18290 die Maschine in der H
öhe und blieb dort haften. Die Maschine
18291 glitt eine Strecke weiter und lie
ß dann ihre eiserne Ernte
18292 herabst
ürzen, wo die Waffen von den Nihilitstr
ömen der
18293 Luftschiffe vernichtet wurden. Noch zweimal kehrte die Maschine
18294 zur
ück und m
ähte gleichsam das Waffenfeld ab. Keine Hand
18295 vermochte S
äbel oder Lanze festzuhalten, und wo die
18296 Befestigung an Ro
ß und Reiter nicht nachgab, wurden beide
18297 eine Strecke fortgeschleift. Die Hufeisen wurden in die H
öhe
18298 gerissen, und dadurch waren s
ämtliche Pferde zum Sturz
18299 gebracht worden. Jene Maschine war die neue, gewaltige Erfindung
18300 der Martier, eine Entwaffnungsmaschine von unwiderstehlicher Kraft
18301 f
ür jedes eiserne Ger
ät
– ein magnetisches Feld von
18302 kolossaler St
ärke und weiter Ausdehnung. Mit Hilfe dieses in
18303 der Luft schwebenden Magneten entrissen die Martier ihren Gegnern
18304 die Waffen, ohne sie in anderer Weise zu besch
ädigen, als es
18305 durch das Umrei
ßen unvermeidlich war.
</p>
18306 <p>W
ährend die Kavallerie aus ihrer Verwirrung sich
18307 aufzuraffen versuchte, war der Luftmagnet schon weitergezogen und
18308 hatte sich der Infanterie gen
ähert. Vergeblich umklammerten
18309 die Soldaten mit beiden H
änden ihre Gewehre, eine
18310 unwiderstehliche Gewalt zerrte sie in die H
öhe, und mancher,
18311 der nicht nachgeben wollte, wurde ein St
ück in die Luft
18312 geschleudert, um dann schwer zu Boden zu st
ürzen. In wenigen
18313 Minuten war das
1. Garderegiment entwaffnet. Die Maschine flog
18314 weiter, um die auf dem Marsch befindlichen Regimenter einzuholen
18315 und dasselbe Man
över an ihnen vorzunehmen. Binnen kurzem
18316 mu
ßte so selbst die st
ärkste Armee kampfunf
ähig
18317 gemacht sein. Auch die Gesch
ütze der Artillerie wurden
18319 <p>W
ährend der Monarch und seine Begleitung in tiefer
18320 Ersch
ütterung auf das Unfa
ßliche starrten, senkte sich
18321 aus der H
öhe dicht vor ihnen ein schlankes Schiff hernieder,
18322 das ein leuchtender Stern als das Admiralsschiff bezeichnete.
18323 Demselben entstieg, w
ährend die
übrigen die Absperrung
18324 aufrecht erhielten, der Befehlshaber der Martier. Zwei Adjutanten
18325 begleiteten ihn.
Über ihren K
öpfen gl
änzten die
18326 diabarischen Helme. So traten sie langsam einige Schritte vor, die
18327 gro
ßen Augen scharf auf die Offiziere gerichtet.
18328 Unwillk
ürlich wichen alle zur Seite, eine Gasse
öffnete
18329 sich, und der Nume stand dem Monarchen gegen
über.
</p>
18330 <p>Der Martier gr
üßte mit einer ehrfurchtsvollen
18331 Handbewegung und sagte:
</p>
18332 <p>›Mein Auftraggeber, der Protektor der Erde, l
ädt Ew.
18333 Majest
ät und Ihre hohen Verb
ündeten zu einer Besprechung
18334 ein und bittet, zu diesem Zwecke dieses Schiff allergn
ädigst
18335 besteigen zu wollen. Ich bemerke, da
ß es unm
öglich ist,
18336 diesen von unserer Repulsitzone umgebenen Platz auf andere Weise zu
18337 verlassen.
‹</p>
18338 <p>Niemand wagte sich zu bewegen. Lange blickte der F
ürst mit
18339 strenger Miene in das Auge des Numen, der den Blick ruhig
18340 erwiderte; keiner zuckte mit einer Wimper. Dann steckte der Monarch
18341 mit einer entschlossenen Bewegung den Degen in die Scheide und
18342 sprach nachdr
ücklich:
</p>
18343 <p>›Sie haben einen General gefangengenommen, nichts weiter.
18344 Seine Majest
ät, mein Herr Sohn, befindet sich nicht unter
18346 <p>›Ew. Majest
ät werden ihn im Schiffe finden
‹,
18347 sagte der Nume mit einer Verbeugung.
</p>
18348 <p>Der Feldherr schwang sich vom Pferd. Hoch aufgerichtet, die Hand
18349 auf dem Griff des Degens, stieg er die herabgelassene Schiffstreppe
18351 <p>Das Luftschiff, das bereits vor einer Stunde die Kommandierenden
18352 der Armeekorps in K
önigsberg, Breslau und Posen aufgehoben
18353 hatte, entfernte sich nach Westen
– –«</p>
18354 <p>Torm lie
ß die Bl
ätter aus seiner Hand sinken.
</p>
18355 <p>Das also war das Ungl
ück vom drei
ßigsten Mai!
</p>
18356 <p>Er nahm die Brosch
üre wieder auf, er bl
ätterte weiter,
18357 er blickte auch in die
übrigen Hefte.
</p>
18358 <p>An demselben Tag waren die Festungswerke von Spandau durch die
18359 Martier zerst
ört, die Kriegsvorr
äte unbrauchbar gemacht
18360 worden. Man hatte die F
ürsten nach Berlin gef
ührt, die
18361 ganze Stadt wurde jetzt zerniert. Wo sich Truppen im Freien
18362 zeigten, erschienen alsbald die Elektromagnete der Martier und
18363 entrissen ihnen die Waffen. Nach drei Tagen waren alle
18364 gr
ößeren Waffenpl
ätze au
ßer Funktion
18366 <p>Jetzt liefen die Nachrichten aus Wien, Paris, Rom ein. Die
18367 Martier waren
überall in
ähnlicher Weise vorgegangen.
18368 Zuerst hatten sie sich der Personen der F
ürsten,
18369 Pr
äsidenten und Minister bem
ächtigt. Man hatte den Kaiser
18370 von
Österreich auf der Jagd, den K
önig von Indien
18371 w
ährend eines gro
ßen Empfanges aufgehoben, der
18372 Pr
äsident der franz
ösischen Republik spielte gerade mit
18373 dem Kriegsminister eine Partie Billard, als er in das Luftschiff
18374 der Martier eingeladen wurde. Die Kammer wurde im Palais Bourbon
18375 eingeschlossen, bis der Friedensvertrag unterzeichnet war. Die
18376 gefangenen F
ürsten dankten zugunsten ihrer Thronerben ab, und
18377 die jungen Nachfolger konnten zuletzt nichts anderes tun, als in
18378 die Friedensbedingungen der Martier willigen, da ihre Armeen
18379 machtlos waren und ein l
ängerer Widerstand nur zu einer
18380 Aufl
ösung der staatlichen Ordnung gef
ührt h
ätte.
</p>
18381 <p>Ru
ßland allein war vorl
äufig von einem Angriff der
18382 Martier verschont geblieben. Die Gr
ünde daf
ür wu
ßte
18383 man nicht, doch nahm man allgemein an, da
ß die Martier nur
18384 eine g
ünstige Gelegenheit abwarteten, bis ihnen die
18385 Zust
ände in den westlichen Staaten mehr freie Hand
18386 lie
ßen. Das Protektorat
über die Erde blieb
18387 erkl
ärt, war aber zun
ächst nur f
ür die westlichen
18388 Staaten Europas durchgef
ührt. Hier wartete in jeder Hauptstadt
18389 ein Resident der Marsstaaten und ein Kultor seines Amtes. Zwar war
18390 die Freiheit der Verwaltung im Innern garantiert, doch
18391 tats
ächlich war auch in bezug auf Gesetzgebung und
18392 Regierungsma
ßregeln der Wille der Marsstaaten im letzten
18393 Grunde ausschlaggebend. Die allgemeine Entwaffnung bis auf eine
18394 Pr
äsenzst
ärke von ein halb Promille der Bev
ölkerung
18395 war eine der Friedensbedingungen gewesen. Trotz allen
18396 Str
äubens mu
ßten die F
ürsten sie annehmen, da es
18397 tats
ächlich unm
öglich gewesen w
äre, den technischen
18398 Machtmitteln der Martier gegen
über ohne ihren Willen eine
18399 Truppe auszubilden.
</p>
18400 <p>Eine Reihe von Vorteilen in volkswirtschaftlicher Beziehung
18401 wurde nun angebahnt. Produkte des Mars wurden eingef
ührt, neue
18402 Betriebsformen von Fabriken, vor allem die Herstellung
18403 k
ünstlicher Nahrungsmittel. Die Landwirte wurden
18404 vorl
äufig damit beruhigt, da
ß ihnen aus den Fonds der
18405 Marsstaaten gro
ße unverzinsliche Darlehen gegeben wurden, um
18406 die Kosten der Umwandlung des Fruchtbetriebs in Maschinenbetrieb
18407 durch Sonnenstrahlung zu bestreiten. Ingenieure der Martier
18408 leiteten die Einrichtung der Strahlungsfelder, zu denen
18409 vorl
äufig nur unfruchtbarer Boden benutzt wurde. Alles dies
18410 aber waren blo
ß vorbereitende Schritte, die eigentlich mehr
18411 erziehen als wirtschaftlich n
ützen sollten. Die Ausbeutung der
18412 Sonnenenergie suchten die Martier auf den gro
ßen W
üsten
18413 und Steppen Asiens, Afrikas und Nordamerikas. Sie hatten deshalb
18414 mit Ru
ßland und den Vereinigten Staaten neue Verhandlungen
18415 angekn
üpft.
</p>
18416 <p>Inzwischen erstrebten sie in Europa rein ideale Ziele.
18417 Kriegskostenentsch
ädigung verlangte man nicht, die
18418 gro
ßen Summen, die f
ür das Milit
är erspart wurden,
18419 kamen den Fortbildungsschulen zugute. Die Martier wollten die
18420 Menschheit f
ür ihre h
öhere Auffassung der Kultur und
18421 Sittlichkeit erziehen, und dem sollte die Einsetzung der Kultoren,
18422 die Einrichtung obligatorischer Fortbildungsschulen dienen.
</p>
18423 <p>Torm war zu abgespannt, um weiterzulesen. Er legte die Papiere
18424 beiseite. Ein einzelnes Blatt schob sich vor. Er sah alsbald,
18425 da
ß es ein Flugblatt sei, zu irgendeinem bestimmten Zweck
18426 verbreitet, und sein Blick richtete sich nur noch einmal darauf,
18427 weil er mit fetten Lettern die Worte gedruckt sah:
»Glaubt
18428 nicht an ihren Edelmut
«,
»Die M
örder von
18429 Podgoritza
«,
»Aber auch sie sind sterblich
«. Er
18430 las das Blatt jetzt durch, einmal, zweimal. Es handelte von der
18431 sogenannten
›Bestrafung
‹ von Podgoritza in
18432 Montenegro. Diese Stadt war tats
ächlich von den Martiern dem
18433 Erdboden gleichgemacht worden. Allerdings hatte man den Einwohnern
18434 Zeit gelassen, sie zu r
äumen, aber nicht alle hatten gehorcht;
18435 da waren die Nume zum erstenmal auf der Erde schonungslos
18436 vorgegangen und hatten ohne R
ücksicht auf Menschenleben ihre
18437 Drohung ausgef
ührt. Es waren wohl einige hundert Personen
18438 dabei umgekommen, w
ütende M
änner, die sich den
18439 Luftschiffen entgegengeworfen hatten. Aber warum war dieses
18440 ungew
öhnliche Strafgericht ergangen? Es war kurz nach der
18441 Unterwerfung der westeurop
äischen Staaten gewesen, als ein
18442 gro
ßes Luftschiff der Martier, das von einer
18443 wissenschaftlichen Expedition zur
ückkam und zum Zweck einer
18444 kleinen Ausbesserung in der N
ähe von Podgoritza anlegte, in
18445 der Nacht unvermutet von bewaffneten Bewohnern der Stadt und
18446 Umgegend
überfallen worden war. Die Martier waren
18447 überrascht und bis auf den letzten Mann, zum gro
ßen Teil
18448 im Schlaf, niedergemacht worden. Es war der einzige Verlust, den
18449 die Nume bisher auf der Erde erlitten hatten und die Emp
örung
18450 in den Marsstaaten war ungeheuer. Man war nahe daran, die ganze
18451 Menschheit f
ür die Bluttat unzivilisierter Albaner
18452 verantwortlich zu machen. Etwas Derartiges war den Martiern bisher
18453 undenkbar gewesen; und so wurde bestimmt, da
ß die Strafe
18454 ausnahmsweise nach menschlicher Art, das hei
ßt durch
18455 Vernichtung des Gegners, vollzogen werde, weil man glaubte, sonst
18456 bei der barbarischen Bev
ölkerung keinen Eindruck zu erzielen.
18457 Diese Handlungsweise der Martier wurde nun in Europa ausgebeutet,
18458 um sie in
üblem Licht darzustellen.
</p>
18459 <p>Aber warum machte die Tat auf Torm einen so tiefen Eindruck?
18460 Immer und immer wieder besch
äftigte ihn die Frage, welches
18461 Schiff es wohl gewesen sei, von dem kein Lebender zu den Martiern
18462 zur
ückkehrte. Und eine Vermutung stieg in ihm auf, an die er
18463 kaum zu glauben wagte.
</p>
18464 <h2>46 - Der Kultor der Deutschen
</h2>
18465 <p>»Unm
öglich, Herr Kultor, unm
öglich
«, sagte
18466 der Justizminister Kreuther, indem er seine hohe Stirn mit dem
18467 Taschentuch tupfte.
»In dieser Form, welche der Reichstag dem
18468 Gesetzentwurf zum Schutz der individuellen Freiheit gegeben hat,
18469 ist er f
ür uns unannehmbar. Sie m
üssen das selbst
18470 zugeben. Es w
ürden die Paragraphen
95 bis
101 des
18471 Strafgesetzbuches hinf
ällig werden.
«</p>
18472 <p>»Und was schadet dies?
« fragte der Kultor k
ühl.
18473 Er lehnte sich bequem in seinen Stuhl zur
ück und lie
ß
18474 seine gro
ßen Augen ruhig von einem der beiden ihm
18475 gegen
übersitzenden Herrn zum andern wandern.
</p>
18476 <p>Der Justizminister blickte ihn fassungslos an. Sein Begleiter,
18477 der Minister des Innern, von Huhnschlott, richtete sich gerade auf
18478 und zerrte an seinem grauen Backenbart.
</p>
18479 <p>»Was das schadet?
« sagte er mit m
ühsam
18480 zur
ückgehaltener Emp
örung.
»Das hei
ßt, die
18481 Majest
ät schutzlos machen, das hei
ßt, jeder
18482 p
öbelhaften Gemeinheit einen Freibrief ausstellen, das
18483 hei
ßt, unsre heiligsten, angestammten Gef
ühle angreifen
18484 und die Autorit
ät untergraben.
«</p>
18485 <p>»Sie irren, Exzellenz
«, antwortete der Kultor mit
18486 einem
überlegenen L
ächeln.
»Es hei
ßt nur, die
18487 Wahrheit festlegen, da
ß die Majest
ät ebensowenig durch
18488 Äu
ßerungen anderer beleidigt werden kann, wie die
18489 Vernunft
überhaupt, da
ß die sittliche
18490 Pers
önlichkeit dadurch nicht ber
ührt wird. Die
18491 Verleumdung bleibt strafbar wie jede Sch
ädigung, und die
18492 Autorit
ät ist gen
ügend gesch
ätzt durch die
18493 Unverletzlichkeit der Person der F
ürsten. Wir k
önnen es
18494 aber als keine Sch
ädigung der Person erachten, wenn jemand
18495 ohne seine Schuld lediglich beschimpft wird. Das ist eben die
18496 Grundanschauung, die wir durchf
ühren wollen, da
ß es
18497 keine solche Beleidigung gibt, da
ß die Injurie nicht
18498 denjenigen ver
ächtlich macht und in der
öffentlichen
18499 Meinung herabsetzt, den sie treffen soll, sondern denjenigen, der
18500 sie ausspricht. Wir erstreben mit diesem Gesetz, einen Teil unsres
18501 allgemeinen Erziehungsplanes durchzuf
ühren. Die Menschen
18502 sollen lernen, ihre Ehre allein zu finden in dem Bewu
ßtsein
18503 ihres reinen sittlichen Willens, und sie sollen verachten lernen
18504 den
äu
ßern Schein, der dem Schlechten ebenso zugute
18505 kommt wie dem Ehrenmann. Wir wollen die Erziehung zur innern
18506 Wahrheit, indem wir den Schutz des Gesetzes dem entziehen, was dazu
18507 verleitet, die Ehre im Urteil oder Vorurteil der Menge zu sehen.
18508 Alle unsre Ma
ßregeln, die volkswirtschaftlichen wie die
18509 ethischen, haben nur das eine Ziel, den Menschen das h
öchste
18510 aller G
üter zu verschaffen, die innere Freiheit.
«</p>
18511 <p>Der Justizminister sch
üttelte den Kopf.
»Das ist ein
18512 kindlicher Idealismus
«, dachte er, aber er wu
ßte nicht
18513 gleich, wie er dies, was er f
ür beleidigend hielt,
18514 h
öflich ausdr
ücken solle.
</p>
18515 <p>»Herr Kultor
«, sagte von Huhnschlott,
»das
18516 bedeutet eine g
änzlich von der unsrigen abweichende
18517 Weltanschauung, das kann nur die Umsturzideen f
ördern. Wir
18518 bitten Sie inst
ändig
–«</p>
18519 <p>»Das ist keine neue Weltanschauung
«, unterbrach ihn
18520 der Kultor streng,
»es ist nur der Kern der Religion, zu
18521 deren
äu
ßeren Formen Sie sich so eifrig bekennen. Es ist
18522 die innere Freiheit im Sinne des Christentums, nur da
ß sein
18523 Begr
ünder, im Zusammensturz der antiken Welt, machtlos im
18524 r
ömischen Weltreich, sie allein finden konnte in der
18525 Verachtung und Flucht der Welt und da
ß seine angeblichen
18526 Nachfolger sie blo
ß verstanden als den Verzicht des
18527 Armseligen zugunsten des M
ächtigen. Wir aber sind die Herren
18528 der Natur und der Welt und wollen nun der Pflicht nicht vergessen,
18529 f
ür jeden diese innere Freiheit zu erm
öglichen, ohne
18530 da
ß er auf die G
üter dieses Lebens zu verzichten
18531 braucht. Und darum, meine Herren, ist es ganz vergeblich, da
ß
18532 Sie sich weiter bem
ühen. Sie werden dem Gesetz die Zustimmung
18533 der Regierung geben.
«</p>
18534 <p>Der Kultor erhob sich.
</p>
18535 <p>Die Minister standen sogleich auf und sahen sich verlegen
18537 <p>»Verzeihen Sie, Herr Kultor
«, begann der
18538 Justizminister nach einer Pause,
»wir haben diese Unterredung
18539 als eine private nachgesucht; ich sehe, da
ß sie leider
18540 erfolglos war. Was werden Sie tun, wenn das Gesamtministerium Ihnen
18541 eine offizielle Vorstellung macht?
«</p>
18542 <p>»Ich werde auf der Sanktionierung des Gesetzes
18543 bestehen.
«</p>
18544 <p>»Und wenn der Bundesrat dennoch ablehnt?
«</p>
18545 <p>»Er wird es nicht.
«</p>
18546 <p>»Ich w
ürde eher meine Demission einreichen, als die
18547 Annahme empfehlen
«, sagte Kreuther mit Haltung.
</p>
18548 <p>»Das Ministerium ist darin einig
«, f
ügte
18549 Huhnschlott hinzu.
</p>
18550 <p>»Das t
äte mir leid, meine Herren, aber es w
ürden
18551 sich andere Minister finden.
«</p>
18552 <p>»Und wenn nicht?
« rief Huhnschlott auffahrend.
</p>
18553 <p>»Dann wird Ihnen der Herr Resident die Antwort erteilen.
18554 Bem
ühen Sie sich nur zu ihm, ich wei
ß, was er Ihnen
18555 antworten wird. H
ätten Sie sich der Protektoratserkl
ärung
18556 vom
12. Mai vorigen Jahres unterworfen, so w
äre eine
18557 Einmischung in innere Angelegenheiten ausgeschlossen. So aber wird
18558 er sie auf Artikel
7 des nordpolaren Friedensvertrages vom
21. Juni
18559 verweisen. Die Garantien f
ür den Rechtsbestand der Verfassung
18560 sind aufgehoben, wenn sich die Regierung weigert, diejenigen
18561 Ma
ßregeln zu unterst
ützen, welche die Marsstaaten
18562 f
ür notwendig zur wirtschaftlichen, intellektuellen oder
18563 ethischen Erziehung der Menschheit h
ält.
«</p>
18564 <p>»Die Entscheidung des Kultors und des Residenten ist noch
18565 nicht ma
ßgebend
«, erwiderte Huhnschlott finster.
18566 »Es steht uns der Appell an den Protektor der Erde
18568 <p>»Appellieren Sie
«, sagte der Kultor.
</p>
18569 <p>Die Minister verbeugten sich f
örmlich und verlie
ßen
18570 das Zimmer. Langsam stiegen sie die breite Treppe hinab. In der
18571 Vorhalle standen zwei riesenhafte Beds unter ihren diabarischen
18572 Glockenhelmen Posten und senkten salutierend ihre Telelytrevolver.
18573 Die Minister gr
üßten mechanisch und stiegen in den vor
18574 der T
ür haltenden elektrischen Wagen. Er rollte aus der
18575 bedeckten Auffahrt auf den regennassen Asphalt der breiten
18576 Stra
ße. Huhnschlott warf einen Blick r
ückw
ärts auf
18577 das flache Dach des Geb
äudes, wo die glatten R
ücken
18578 dreier Marsschiffe durch den grauen Schleier des herabrieselnden
18579 Regens gl
änzten und ihre Repulsitrohre nach drei Richtungen
18580 drohend der Hauptstadt entgegenstreckten. Kreuther war dem Blick
18581 gefolgt und seufzte tief.
</p>
18582 <p>»Zum Kanzlerpalais
«, rief Huhnschlott dem
18583 Wagenf
ührer zu und murmelte einen Fluch zwischen den
18585 <p>Der Kultor war an eines der hohen Fenster des Gemaches getreten
18586 und blickte hin
über auf den Verkehr der Stra
ße. Seine
18587 Stirn zog sich finster zusammen. Das tut
’s freilich nicht, so
18588 gingen seine Gedanken, aber die G
ängelb
änder m
üssen
18589 fort, wenn die Kinder allein und aufrecht zu gehen lernen sollen.
18590 Und diese Huhnschlotts sind die gef
ährlichsten Feinde der
18591 Selbstzucht; doch ihre Macht ist gebrochen. Sie werden nicht wagen,
18592 sich zu widersetzen.
</p>
18593 <p>In seinen Augen leuchtete es triumphierend auf. Es mu
ß
18594 gelingen! Er wandte sich nach seinem Arbeitszimmer.
</p>
18595 <p>»Die Berichte der Herren Instruktoren!
« sprach er
18597 <p>Der Aufzug bef
örderte ein dickes Aktenb
ündel herauf.
18598 Er begann darin zu bl
ättern und sich Notizen zu machen. Sein
18599 Auge verfinsterte sich wieder. Die Bestrafungen wegen
18600 Vers
äumnis der Fortbildungsschulen vermehrten sich von Monat
18601 zu Monat. Auf dem Land hatte man jetzt w
ährend der Erntezeit
18602 die Einrichtung
überhaupt pausieren lassen m
üssen. Und
18603 wie oft waren die Lehrpl
äne falsch aufgestellt! Nicht wenige
18604 Instruktoren lie
ßen Dinge lehren, zu denen die Vorkenntnisse
18605 fehlten. Aber es fanden sich doch auch erfreuliche Erfolge. In
18606 manchen Landesteilen, besonders bei der industriellen
18607 Bev
ölkerung, dr
ängte man sich nach den
18608 Bildungsst
ätten. Merkw
ürdigerweise zeigte sich auch in
18609 S
üddeutschland, sogar in Tirol, ein Fortschritt in der
18610 Popularit
ät der Schulen. Hier stand den Bestrebungen der Nume
18611 die feste Organisation der kirchlichen Macht feindlich
18612 gegen
über; es schien zuerst, als w
ürde es unm
öglich
18613 sein, gegen den Fanatismus der von der Geistlichkeit gelenkten
18614 Bev
ölkerung aufzukommen. Aber gerade in diesen Gegenden wurde
18615 der Besuch, trotz der lokalen Schwierigkeiten in den Gebirgen,
18616 immer lebhafter, es gr
ündeten sich selbst
ändige Vereine,
18617 zahlreich wurden Lehrer verlangt.
</p>
18618 <p>Der Kultor sann lange
über die Ursache dieser Erscheinung
18619 nach. War es die nat
ürliche Opposition gegen die Macht, die
18620 bisher das Nachdenken geflissentlich vom Volk ferngehalten hatte?
18621 Brauchte man dem menschlichen Geist nur die Freiheit und die
18622 Gelegenheit des Denkens zu geben, um sicher zu sein, da
ß er
18623 seinen Aufflug gewinnen werde? Oder waren die Instruktoren hier
18624 geschickter? Der Kultor las einige der Einzelberichte, und er sah
18625 mit Vergn
ügen, wie gut es die Sendboten der Numenheit
18626 verstanden hatten, sich vollst
ändig nach den kirchlichen
18627 Gewohnheiten der Bev
ölkerung zu richten. Nirgends suchten sie
18628 Zweifel zu erwecken, nirgends gegen die traditionelle Form zu
18629 versto
ßen. Sie beschr
änkten sich zun
ächst auf rein
18630 praktische Kenntnisse, deren Wirkung sich sofort in der Hebung des
18631 wirtschaftlichen Lebens zeigte. So gewannen sie Vertrauen. Der Weg
18632 ist lang, dachte der Kultor, aber er ist der einzig
18634 <p>Der Kultor blickte auf seine Notizen und sprach eifrig in den
18635 vom Mars eingef
ührten Phonographen, der ihm zum Festhalten
18636 seiner Gedanken diente. Er entwarf eine Erl
äuterung zur
18637 Instruktion der einzelnen Bezirkskultoren. Die s
üddeutschen
18638 Erfolge sollten zum Vorbild genommen werden. Als er einiges aus der
18639 Statistik anf
ühren wollte, stutzte er bei einer Zahl, die von
18640 den
übrigen auffallend abwich. Wie kam es, da
ß in dem
18641 Bezirk von Bozen die Resultate so ung
ünstig waren? Er suchte
18642 in den Akten den Bericht des Instruktors. Es war die erste Arbeit
18643 eines neu hingekommenen Beamten. Die Instruktoren mu
ßten sehr
18644 h
äufig wechseln, das war ein gro
ßer
Übelstand; sie
18645 vertrugen das Erdklima nicht.
</p>
18646 <p>Eben begann der Kultor den Bericht zu lesen, als ihm gemeldet
18647 wurde, da
ß der Vorsteher des Gesundheitsamtes von seiner
18648 Inspektionsreise zur
ückgekehrt sei und anfrage, ob er ihn
18649 sprechen k
önne.
</p>
18650 <p>»Ich bitte, sogleich
«, war die Antwort.
</p>
18651 <p>Die T
ür
öffnete sich, und ein
älterer Herr trat
18652 ein. Trotz der diabarischen Glocke, die
über seinem Haupt
18653 schwebte, ging er geb
ückt und m
ühsam.
</p>
18654 <p>Der Kultor sprang auf und eilte ihm entgegen.
</p>
18655 <p>»Mein lieber, teurer Freund
«, sagte er, seine
18656 H
ände fassend,
»was ist Ihnen? Sie sehen angegriffen
18657 aus, sind Sie nicht wohl? Machen Sie es sich bequem. Legen Sie den
18658 Helm ab, und setzen Sie sich hier auf das Sofa unter dem Baldachin,
18659 dieses Eckchen ist auf Marsschwere eingerichtet. Ihre Reise hat Sie
18660 gewi
ß sehr angestrengt?
«</p>
18661 <p>»Es mu
ß meine letzte sein. Sobald ich meinen
18662 offiziellen Bericht abgegeben habe, sp
ätestens in zwei bis
18663 drei Wochen, komme ich um Urlaub ein. Ich hoffe, Sie werden mir
18664 keine Schwierigkeiten machen.
«</p>
18665 <p>»Sie erschrecken mich, Hil! Selbstverst
ändlich
18666 k
önnen Sie reisen, sobald Sie wollen, sollen Sie reisen, wenn
18667 es Ihre Gesundheit erfordert. Aber mir tut es von Herzen leid. Und
18668 wie sollen Sie ersetzt werden? In diesem unausgesetzten Wechsel der
18669 Beamten
– wir haben nun schon den vierten Residenten
–
18670 waren Sie mir die festeste St
ütze. Indessen, ich hoffe, es
18671 handelt sich nur um eine vor
übergehende Indisposition. Das
18672 feuchte Wetter
–«</p>
18673 <p>»Ja das Wetter! Sehen Sie, Ell
– ich spreche im
18674 Vertrauen
–, an dem Wetter wird unsre Kunst zuschanden. Der
18675 Winter l
äßt sich allenfalls ertragen, aber gegen diese
18676 feuchte W
ärme kommen wir nicht auf. Oft habe ich geglaubt,
18677 wenn unsre Beamten schon nach wenigen Wochen um Urlaub einkamen, es
18678 liege an ihrer Willensschw
äche. Ich habe jetzt auf meiner
18679 Reise durch die Tiefebene und durch die feuchten Waldt
äler der
18680 Gebirge gesehen, da
ß dieses Klima f
ür den Numen, der
18681 sich wenigstens einen Teil des Tages im Freien aufhalten mu
ß,
18682 wie es doch auf Reisen unvermeidlich ist, in gef
ährlichster
18683 Weise wirkt. Der Regen, der Regen! Wer diese Himmelsplage erfunden
18684 hat! Bald prickelt es von allen Seiten in mikroskopischen
18685 Wassertr
öpfchen, bald braust es in Sturzg
üssen hernieder,
18686 bald f
ällt es mit jener eint
önigen, hypnotisierenden,
18687 t
ödlichen Langeweile herab wie heute. Die Luft, mit Dampf
18688 ges
ättigt, l
ähmt die T
ätigkeit der Haut und
18689 l
äßt uns ersticken. Ich war manchmal wie verzweifelt.
18690 Wir d
ürfen niemand l
änger als ein halbes Jahr im Winter
18691 oder ein Vierteljahr im Sommer hier lassen, oder wir bringen Lungen
18692 und Herz nicht wieder gesund nach dem Nu. Was nutzen uns die
18693 trefflichen antibarischen Apparate, wenn das infame Wasser uns im
18694 wahren Sinne des Wortes ers
äuft? Da oben am Pol war das nicht
18695 so merklich, wir lebten ja auch mehr nach unsrer eignen Weise. Aber
18696 hier in Deutschland
–. Warum mu
ßten Sie sich auch
18697 gerade dieses Volk zu Ihrem Experiment ausersehen? Es gibt doch
18698 Gegenden, in denen wir einigerma
ßen besser fortkommen
18699 w
ürden, zum Beispiel die gro
ßen Steppen im Osten, und
18700 überall, wo es trocken ist
–«</p>
18701 <p>»Aber mein verehrter Hil! Unsre Kulturbestrebungen
18702 k
önnen wir doch nur dort betreiben, wo wir die
18703 Bev
ölkerung am besten vorbereitet finden, also wo die
18704 Volksbildung die vorgeschrittenste ist. Deswegen mu
ßte ich
18705 Deutschland w
ählen, und vornehmlich darum, weil ich es am
18706 besten kenne. H
öchstens an England h
ätte ich, aus andern
18707 Gr
ünden, denken k
önnen, aber dort ist es noch viel
18708 feuchter. Und aus allen andern Staaten klagen die Kultoren und
18709 Residenten ebenso. Hier liegt ein ganzer Sto
ß von Urlaubs-
18710 und Entlassungsgesuchen von Leuten, die noch keine drei Monate im
18711 Lande sind. Doch Sie setzten ja so viele Hoffnung auf das
18712 Anthygrin. Hat sich denn dieses Heilmittel nicht
18713 bew
ährt?
«</p>
18714 <p>»Das Anthygrin ist in der Tat ein ausgezeichnetes
18715 Spezifikum gegen das Erdfieber, und mit dem Chinin zusammen
18716 h
ält es uns einige Zeit aufrecht. Aber es wird nicht lange
18717 vertragen, andere Organe werden ruiniert. Ich habe es jetzt sehr
18718 stark anwenden m
üssen, und nun bin ich haupts
ächlich
18719 deswegen so schwach, weil ich nichts mehr essen kann.
«</p>
18720 <p>»Sie sollten sich an Menschenkost gew
öhnen. Man
18721 mu
ß sich eben nach dem Land richten. Im
übrigen
18722 m
üssen wir uns damit abfinden, da
ß unsre Beamten schnell
18723 wechseln. Wir wollen versuchen, ihnen
öfter einen
18724 k
ürzeren Urlaub in g
ünstigere klimatische
18725 Verh
ältnisse, etwa nach Tibet, zu geben. Dort hat sich ja
18726 jetzt eine vollst
ändige Marskolonie entwickelt. Und wissen
18727 Sie, Sie brauchen Ihren Bericht nicht hier abzufassen, Sie
18728 k
önnen das tun, wo Sie sich wohler f
ühlen, vielleicht in
18729 den Alpen, oder auch weiter fort. Ich stelle Ihnen ein
18730 Regierungsschiff zur Verf
ügung.
«</p>
18731 <p>»Ja, wenn wir in der Lage w
ären, jedem ein Luftschiff
18732 mitzugeben
– das w
äre freilich das beste Mittel.
18733 Zehntausend Meter in die H
öhe, das kuriert besser als
18734 Anthygrin und alle Mittel.
«</p>
18735 <p>»Das k
önnen wir freilich uns vorl
äufig nicht
18736 leisten, aber in einigen Jahren, wenn wir die Energiestrahlung auf
18737 der Erde besser ausnutzen k
önnen, wird es hoffentlich
18738 m
öglich sein. Etwas lie
ße sich inzwischen schon tun. Man
18739 k
önnte einige Schiffe zu einer H
öhen-Luftstation
18740 einrichten und so doch abwechselnd den einzelnen Erleichterung
18741 schaffen.
«</p>
18742 <p>»Tun Sie darin bald, was Sie tun k
önnen.
«</p>
18743 <p>»Ich kann jetzt nicht gr
ößere Geldmittel
18744 verlangen. Der Etat f
ür dieses Jahr ist ersch
öpft. Wir
18745 haben kolossale Anlagekosten gehabt.
«</p>
18746 <p>»Ganz gleich, m
ögen es die Menschen
18747 bezahlen.
«</p>
18748 <p>Ell sah den Arzt erstaunt an.
</p>
18749 <p>»Nun ja
«, lenkte Hil ein,
»es klingt etwas
18750 roh. Schlie
ßlich wird es doch darauf hinauskommen. Doch
18751 entschuldigen Sie meine
– meine Ausdrucksweise. Ich
18752 f
ühle selbst, da
ß ich jetzt so leicht heftig,
18753 nerv
ös gereizt bin. Man lernt ja die Menschen nicht gerade
18754 sehr hoch sch
ätzen
– übrigens ist das die
18755 allgemeine Ansicht bei unsern Beamten, da
ß es ganz gut
18756 w
äre, lieber Steuern zu erheben als Entsch
ädigungsgelder
18757 zu zahlen.
«</p>
18758 <p>»Ich verstehe Sie gar nicht mehr, lieber Freund. Das
18759 w
äre die Ansicht bei unsern Beamten? Dagegen w
ürde ich
18760 mich doch recht ernstlich erkl
ären.
«</p>
18761 <p>»Da es mir einmal so
– wie man hier redet
–
18762 herausgefahren ist, so mag es denn auch gesagt sein
«,
18763 erwiderte Hil,
»obwohl ich erst in meinem Bericht davon
18764 sprechen wollte, weil ich ihnen erst darin die formellen Belege
18765 f
ür meine Beobachtungen geben kann. Es ist allerdings eine
18766 Gefahr da, eine moralische, die Ihnen in der Auswahl der Beamten
18767 ganz besondere Vorsicht auferlegen wird. Es ist mir im allgemeinen
18768 aufgefallen, da
ß die Instruktoren nach einigen Monaten nicht
18769 mehr die Ruhe und das heitere Gleichma
ß der Gesinnung haben,
18770 die wir an den Numen gewohnt sind. Der Umgang mit den Menschen,
18771 wenigstens in der autokratischen Stellung, die sie einnehmen, wirkt
18772 – verzeihen Sie den Ausdruck
– gewisserma
ßen
18773 verrohend, und das
äu
ßert sich zun
ächst in der
18774 Sprechweise, in einer Geringsch
ätzung der
ästhetischen
18775 Form, weiterhin in einer
Übersch
ätzung der eigenen
18776 Bedeutung, schlie
ßlich in einer schon das ethisch Statthafte
18777 überschreitenden Selbstherrlichkeit. Ja, ich habe leider
18778 einzelne F
älle beobachtet, wo man direkt von einer Psychose
18779 sprechen kann, ich m
öchte sie geradezu den
18780 ›Erdkoller
‹ nennen.
«</p>
18781 <p>»Aber ich bitte Sie, da mu
ß sofort eingeschritten
18782 werden. Dar
über werden Sie mir eingehend berichten.
«</p>
18783 <p>»Als Arzt, gewi
ß. Das andere wird Sache der
18784 revidierenden Unterkultoren sein, wenn nicht gar des Residenten.
18785 Denn es k
önnen politische Verwicklungen entstehen. Bis jetzt
18786 ist die Sache noch verh
ältnism
äßig harmlos, und ich
18787 werde die betreffenden Herren schon morgen zur Beurlaubung
18788 vorschlagen. Da komme ich zum Beispiel
– ich wei
ß den
18789 Namen nicht auswendig
– auf eine Kreuzungsstation, wo ich
18790 umsteigen mu
ß. Aber der neue Zug kommt nicht und kommt nicht
18791 – er hat
über eine halbe Stunde Versp
ätung. Ich
18792 erkundige mich dann bei dem Zugf
ührer und h
öre: Ja, der
18793 Herr Bezirksinstruktor ist ein St
ück mitgefahren. Ich frage,
18794 warum das so lange aufgehalten habe. Der Herr Bezirksinstruktor
18795 habe einen eigenen Wagen verlangt, der mu
ßte erst geholt
18796 werden. Dann k
önne er aber den L
ärm und Dampf der
18797 Maschine nicht vertragen, und so mu
ßte man den Wagen erst an
18798 das Ende des Zuges bringen und noch einige leere Wagen
18799 dazwischenschalten. Und endlich mu
ßte man mitten auf der
18800 Strecke an einem Dorf halten, weil es ihm beliebte, dort
18801 auszusteigen.
«</p>
18802 <p>»Und sagten Sie nicht, da
ß die Bahnbeamten solchem
18803 unberechtigten Verlangen nicht nachgeben durften?
«</p>
18804 <p>»Die zuckten die Achseln und meinten, was will man tun?
18805 Man darf sich den nicht zum Feind machen.
«</p>
18806 <p>»Die feigen Toren! Aber der Instruktor mu
ß sofort
18807 von seinem Amt suspendiert und vor das Disziplinargericht gestellt
18808 werden. Das ist ja unerh
ört, wenn sich diese Angaben
18809 best
ätigen, ich werde aufs genaueste untersuchen lassen. Wie
18810 kann ein Nume seine Berechtigungen so
18811 überschreiten!
«</p>
18812 <p>»Es w
ürde ihm auf dem Nu nie einfallen. Hier achtet
18813 er niemand als seinesgleichen. Die Theorie, da
ß Bate keine
18814 Numenheit bes
äßen, ist ja sehr verbreitet.
«</p>
18815 <p>»Ich werde daf
ür sorgen, da
ß sich meine Beamten
18816 ihrer Pflicht erinnern, die Gesetze dieses Staates als die ihrigen
18817 zu betrachten, so lange sie hier sind, und sich keine privaten
18818 Vorrechte anzuma
ßen. Wie sollen die Menschen lernen, sich dem
18819 Gesetz zu f
ügen, wenn Nume solche Beispiele geben? Ich
18820 h
ätte das nicht geglaubt. Warum aber beschwert sich niemand?
18821 Sobald die Presse
über einen derartigen Fall berichtete,
18822 w
ürde ich sofort untersuchen lassen.
«</p>
18823 <p>Hil zuckte mit den Achseln.
»Die Untersuchung ist nicht
18824 immer sehr angenehm. Es ist schwer, alle Einzelheiten zu beweisen.
18825 Übrigens sind solche F
älle gl
ücklicherweise noch
18826 vereinzelt. Sollten sie sich wiederholen, so w
ürde die Presse
18827 nicht schweigen. Das sehen Sie ja an dem Fall Stuh.
«</p>
18828 <p>»Was meinen Sie da?
«</p>
18829 <p>»Haben Sie denn die heutigen Mittagsbl
ätter nicht
18830 gelesen?
«</p>
18831 <p>»Es war mir bis jetzt unm
öglich. Aber ich w
ürde
18832 nat
ürlich nachher
–. Doch was ist denn geschehen? Sie
18833 meinen doch nicht Stuh in Frankfurt?
«</p>
18834 <p>»Die Sache spielt in der N
ähe von Frankfurt. Der
18835 Bezirksinstruktor ist vier Stunden im Regen gefahren
–
18836 beachten Sie das
–, kommt in einen kleinen Ort und ist sehr
18837 hungrig. Er l
äßt vor dem Wirtshaus halten. Es ist
18838 Sonntag, alle Zimmer sind
überf
üllt, der Wirt hat selbst
18839 Taufe im Hause. Stuh geht in das Gastzimmer und bestellt sich
18840 Essen. Die Bauern r
ücken auch zusammen und machen ihm eine
18841 Ecke frei. Nun kommt das Essen. Stuh sagt dem Wirt, die Leute
18842 m
öchten jetzt das Zimmer verlassen, er wolle essen. Der Wirt
18843 stellt ihm vor, das k
önne er nicht verlangen, es sei kein Raum
18844 im ganzen Hause frei; selbst der Hausflur war besetzt, und
18845 drau
ßen regnete es in Str
ömen. Da wird Stuh von Hunger
18846 und Regen w
ütend und herrscht die Leute an, sie m
öchten
18847 sich hinausscheren, wenn ein Nume esse, habe kein Bat zuzusehen.
18848 Die Bauern haben keine Ahnung, da
ß es uns nicht m
öglich
18849 ist, so
öffentlich den Hunger zu stillen. Sie halten die
18850 Anforderung f
ür eine Unversch
ämtheit und lachen Stuh
18851 einfach aus. Ganz n
üchtern waren sie auch nicht mehr. Kurzum,
18852 es kommt zum Streit. Stuh will nun hinaus, jetzt aber
18853 verh
öhnen ihn die Bauern und klopfen ihm mit ihren
18854 St
öcken auf den Glockenhelm. Ungl
ücklicherweise hat Stuh
18855 an seiner Uhr ein kleines Telelytstiftchen. Er nimmt die Uhr
18856 heraus, h
ält sie den Umstehenden entgegen und sagt:
18857 ›Wenn ihr jetzt nicht macht, da
ß ihr hinauskommt, so
18858 lasse ich hier einen Feuerregen heraus, da
ß ihr alle
18859 verbrennen m
üßt.
‹ Das war ja nat
ürlich eine
18860 Aufschneiderei, mit dem Stiftchen konnte er h
öchstens einem
18861 die Kleider versengen. Und da nun nicht gleich Platz wird, so
18862 l
äßt er die Funkengarbe aus dem Stiftchen spr
ühen.
18863 Nun denken die Leute wirklich, das Haus mu
ß anbrennen, und
18864 dr
ängen sich zur T
ür. Es entsteht ein Gew
ühl, und
18865 eine Menge Verwundungen kommen vor. Das ganze Haus ger
ät in
18866 Aufruhr. Stuh verriegelt die T
ür und setzt sich ruhig zum
18867 Essen. Als nun die Bauern sahen, da
ß weiter nichts geschehen
18868 war und sie sich nur selbst gesto
ßen und getreten hatten,
18869 wurden sie w
ütend und wollten die T
ür einschlagen, um
18870 Stuh zu verhauen. Zum Gl
ück war inzwischen Polizei
18871 herbeigekommen und brachte Stuh unversehrt zum Ort hinaus. Aber Sie
18872 k
önnen sich denken, welche Emp
örung jetzt in dem
18873 St
ädtchen herrscht.
«</p>
18874 <p>»Das ist unangenehm, sehr unangenehm
«, sagte Ell.
18875 »Und ich kenne doch Stuh als einen ruhigen,
18876 menschenfreundlichen Mann.
«</p>
18877 <p>»Der Regen, Ell! Fahren Sie einmal vier Stunden im Regen
18878 – mit Pferden, entsetzlicher Gedanke! Schon der Geruch kann
18879 einen wahnsinnig machen. Aber freilich, das k
önnen Sie nicht
18880 so nachf
ühlen
–«</p>
18881 <p>Ell war aufgestanden und auf und ab gegangen. Er blieb nun
18882 stehen und sprach:
»Aber das sind Zwischenf
älle, die
18883 sich nicht vermeiden lassen. Man mu
ß sie korrigieren, ihnen
18884 jedoch kein gro
ßes Gewicht beilegen. Unsere Aufgabe werden
18885 wir trotzdem erf
üllen.
«</p>
18886 <p>»Ich zweifle nicht. Aber es sind Symptome. M
öchten
18887 sie sich nicht h
äufen! Indessen, sie sind nicht das
18888 Schlimmste. Es gibt eine viel gr
ößere Gefahr. Deswegen
18889 kam ich her. Eine Gefahr f
ür die Menschen.
«</p>
18890 <p>»Sprechen Sie, Hil.
«</p>
18891 <p>»Wissen Sie, was bei uns Gragra ist?
«</p>
18892 <p>»Das ist, wenn ich mich recht erinnere, eine
18893 Kinderkrankheit auf dem Mars, die ohne jede Bedeutung
18895 <p>»Ganz richtig, das ist sie jetzt, seit einigen tausend
18896 Jahren. Die Kinder sind ein paar Tage m
üde, bekommen einen
18897 leichten Ausschlag, und dann ist die Sache vor
über. Aber es
18898 war nicht immer so. Im agrarischen Zeitalter war die Gragra eine
18899 furchtbare Plage, eine entsetzliche Pest, welche ganze Landstriche
18900 bei uns entv
ölkerte, nicht durch einen akuten Verlauf, sondern
18901 durch eine langsame, chronische Vergiftung. Wir sind ihrer Herr
18902 geworden, teils durch unsre Impfungen, teils durch die
18903 allm
ähliche Ver
änderung der Ern
ährung. Und nun
18904 – die ersten Spuren dieser chronischen Form
–, doch
18905 setzen Sie sich her zu mir, ich mu
ß leise
18906 sprechen.
«</p>
18907 <p>Ell lie
ß sich neben Hil nieder. Dieser sprach lange mit
18908 ihm. Ells Gesicht war tiefernst geworden.
</p>
18909 <p>»Das ist ja furchtbar
«, sagte er.
»Und was
18910 k
önnen wir tun?
«</p>
18911 <p>»Noch wei
ß kein Mensch von der drohenden Gefahr. Die
18912 menschlichen
Ärzte sind noch nicht einmal auf diese leichten,
18913 ihnen unbekannten ersten Symptome aufmerksam geworden. Und wenn die
18914 Krankheit allm
ählich st
ärker unter den Menschen auftreten
18915 sollte, werden Jahre vergehen, ehe sie erkennen werden, da
ß
18916 es sich um eine f
ür sie ganz neue Form von Bakterien handelt.
18917 Denn diese sind so klein, da
ß sie nur durch unsere besonderen
18918 Strahlungsmethoden nachweisbar sind. Ich habe die
Überzeugung,
18919 da
ß die Krankheit in ihrer milden Form vom Mars eingeschleppt
18920 worden ist und da
ß die Bazillen unter den auf der Erde,
18921 respektive im menschlichen K
örper herrschenden
18922 Verh
ältnissen so g
ünstige Bedingungen f
ür ihre
18923 Vermehrung gefunden haben, da
ß die alte pernizi
öse Form,
18924 die bei uns ausgestorben war, wieder auftritt. In einigen Jahren
18925 werden wir die Verheerungen sehen.
«</p>
18926 <p>»So m
üssen wir sofort die
Ärzte auf diese
18927 Krankheit aufmerksam machen
–«</p>
18928 <p>Ȇberlegen Sie das sehr sorgf
ältig, Ell. Wie
18929 gesagt, von selbst w
ürde kein Mensch auf Jahre hinaus auf die
18930 Ursachen der Erscheinungen kommen, die sich zweifellos mit der Zeit
18931 zeigen werden. Und bisher sind die Symptome selbst erst f
ür
18932 uns wahrnehmbar. Wollen Sie jetzt den Menschen sagen, wir haben
18933 Euch ein furchtbares
Übel auf die Erde gebracht, schlimmer
18934 vielleicht als die Tuberkulose? W
äre das nicht der sichere
18935 Weg, unsern Einflu
ß aufzuheben? W
ürde das nicht zu einem
18936 allgemeinen Aufstand f
ühren, den wir nur mit neuen Greueln
18937 unterdr
ücken k
önnten? Nein, es darf kein Mensch ahnen,
18938 da
ß wir ihm nicht blo
ß Heilsames auf der Erde
18939 verbreiten.
«</p>
18940 <p>»Aber wir m
üssen die Menschen vor dem drohenden
18941 Unheil sch
ützen.
«</p>
18942 <p>»Es ist, wie ich
überzeugt bin, m
öglich, aber es
18943 ist sehr schwierig. Zun
ächst m
üssen die Nume sich jeder
18944 unmittelbaren Ber
ührung mit dem K
örper der Menschen
18945 enthalten, es sei denn unter den besonderen
18946 Vorsichtsma
ßregeln, wie sie der Arzt bei einer Untersuchung
18947 anwenden kann. Und es fragt sich, ob alle der Unseren in dieser
18948 Hinsicht zuverl
ässig sein werden. F
ür die Menschen aber
18949 ist zweierlei notwendig: Ern
ährung durch chemische
18950 Nahrungsmittel und allgemein durchgef
ührte Impfung. Unter
18951 diesen Umst
änden w
ürde auch die Ber
ührung mit den
18952 Numen nichts schaden k
önnen. Aber diese Mittel werden nicht
18953 anwendbar sein.
«</p>
18954 <p>»Die allgemeine Verbannung der agrarischen Nahrungsmittel
18955 ist jetzt noch nicht m
öglich, sie wird sich nur nach und nach
18956 einf
ühren lassen. Und bis dahin k
önnte schon viel Schaden
18957 geschehen sein. Die Impfung lie
ße sich ja zwangsweise
18958 durchsetzen, aber man m
üßte doch den Grund mindestens
18959 andeuten, und wir w
ürden jedenfalls auf Widerstand
18960 sto
ßen und Unwillen erregen. Indessen, geschehen mu
ß
18961 etwas. Ich erwarte baldigst die eingehenden Belege f
ür die
18962 Richtigkeit Ihrer Ansicht und werde dann mit dem Residenten und dem
18963 Protektor konferieren. Es m
üßte wohl sicher
18964 international vorgegangen werden. Ach Hil, was f
ür eine neue
18965 gro
ße Sorge haben Sie mir da gemacht!
«</p>
18966 <p>»Es war meine Pflicht.
«</p>
18967 <p>»Gewi
ß, mein verehrter Freund. Und vergessen Sie
18968 nicht bei Ihren Besprechungen mit den Kollegen, da
ß es sich
18969 um ein Numengeheimnis handelt. Es ist zu abscheulich! Nichts ist
18970 mir unangenehmer als der Zwang, mit der vollen Wahrheit
18971 zur
ückzuhalten. Und doch mu
ß hier aufs
18972 sorgf
ältigste
überlegt werden, ob wir reden d
ürfen.
18973 Darin haben Sie leider recht.
«</p>
18974 <p>Ell trat an das Fenster und blickte, in Nachsinnen verloren,
18976 <p>Hil erhob sich, um sich zu verabschieden.
</p>
18977 <p>Pl
ötzlich zuckte Ell, wie von einem innern Schreck
18978 ergriffen, zusammen. Er drehte sich schnell nach Hil um und
18980 <p>»Noch eins, Hil, noch eine Frage. Schenken Sie mir noch
18981 einen Augenblick. Ich m
öchte wissen
–: Was halten Sie
18982 von der Gefahr, die der Aufenthalt auf dem Mars f
ür die
18983 Menschen bietet? Glauben Sie, da
ß diejenigen, die dort waren,
18984 zum Beispiel unsre Freunde, den Keim der Krankheit in sich
18985 aufgenommen haben k
önnten?
«</p>
18986 <p>Ein leichtes L
ächeln spielte um Hils Z
üge, als er
18988 <p>»F
ür Ihre Person k
önnen Sie ganz unbesorgt sein.
18989 Bei Ihrem Numenblut und Ihrer Bevorzugung der chemischen
18990 Nahrungsmittel
–«</p>
18991 <p>Ell winkte mit der Hand.
»Nicht doch, ich dachte wirklich
18992 nicht an mich, ich dachte
– zum Beispiel Saltner
– und
18993 die Forschungs- und Vergn
ügungsreisenden. Wir k
önnen ja
18994 jetzt kaum Raumschiffe genug stellen. Glauben Sie, da
ß wir
18995 den Verkehr beschr
änken m
üßten?
«</p>
18996 <p>»In dieser Frage haben wir noch keine Erfahrung. Indessen
18997 k
önnte es kein Bedenken erregen, wenn man die Impfung zum
18998 Beispiel f
ür das Betreten der Raumschiffe unter irgendeinem
18999 Vorwand zur Bedingung machte.
«</p>
19000 <p>»Aber diejenigen, die nun schon zur
ück
19002 <p>»Saltner ist auf der Reise nach dem Mars geimpft worden,
19003 weil ihm sonst das Ehrenrecht als Nume nicht h
ätte erteilt
19004 werden k
önnen. Und was
– was Frau Torm betrifft, so kann
19005 ich Sie ebenfalls beruhigen. Ich habe es f
ür gut gehalten,
19006 w
ährend ihrer Krankheit nach und nach die bei uns
19007 vorgeschriebenen Impfungen zu vollziehen, und ich halte sie jetzt
19008 überhaupt f
ür vollst
ändig
19009 wiederhergestellt.
«</p>
19010 <p>Ell, der Hil gespannt angeblickt hatte, atmete auf. Er sagte
19011 jetzt l
ächelnd:
»Und halten Sie mich selbst f
ür
19012 einen Ansteckungsherd?
«</p>
19013 <p>»Nein, ich halte Sie in dieser Hinsicht f
ür ganz
19014 ungef
ährlich.
«</p>
19015 <p>»Ich danke Ihnen. Und wir wollen den Mut nicht verlieren.
19016 Ich will nachdenken, was wir tun k
önnen. Leben Sie wohl, und
19017 schonen Sie sich. Bestimmen Sie, wann Sie H
öhenluft
19018 sch
öpfen wollen, das Luftschiff soll zu Ihrer Verf
ügung
19020 <p>Er begleitete Hil bis an die T
ür und sch
üttelte ihm
19021 die Hand. Dann kehrte er zur
ück. Ein Seufzer entrang sich
19022 seiner Brust. Lange schritt er im Zimmer auf und ab.
»Nur den
19023 Mut nicht verlieren!
« sagte er zu sich selbst. Dann glitt ein
19024 stilles L
ächeln
über seine Z
üge.
»Ja, das wird
19025 mir gut tun
«, dachte er.
</p>
19026 <p>»Den Wagen!
« rief er ins Telephon.
</p>
19028 <p>Die Martier besa
ßen ein Verfahren zur Herstellung von
19029 Akkumulatoren, die nur ein sehr geringes Gewicht hatten. Diese
19030 waren sehr bald auf der Erde eingef
ührt worden und hatten das
19031 Fuhrwesen umgestaltet. In Berlin waren die Pferde vollst
ändig
19032 aus dem Verkehr geschwunden. Die N
ähe gr
ößerer
19033 Tiere war den Martiern wegen der damit verbundenen Unreinlichkeit
19034 und des Geruches ein Abscheu, und der Umgang der Menschen mit ihren
19035 Haustieren erschien ihnen als einer der barbarischsten Z
üge im
19036 Leben der Erde. In der Hauptstadt waren jetzt nur noch elektrische
19037 Wagen und Droschken im Gebrauch.
</p>
19038 <p>Der elegante Wagen des Kultoramts f
ührte Ell durch einen
19039 gro
ßen Teil der Stadt, vom fernen S
üdwest bis zum
19040 S
üdost. Als Ziel hatte er die Bildungsanstalt
27 angegeben,
19041 die sich in der ehemaligen Kaserne des dritten
19042 Garde-Infanterieregiments befand. Vor einer Nebenpforte des
19043 gro
ßen Geb
äudes verlie
ß Ell den Wagen, der dort
19044 warten sollte. Er trat in das Haus, aber er durchschritt nur einige
19045 Korridore und H
öfe und verlie
ß es wieder durch einen
19046 Ausgang nach der Zeughofstra
ße. Von hier kehrte er in die
19047 Wrangelstra
ße zur
ück und trat nach wenigen Minuten in
19048 eines der dortigen Mietsh
äuser, wo er in dem nach dem Garten
19049 zu liegenden Fl
ügel drei Treppen hinaufstieg.
</p>
19050 <p>Hier wohnte Isma. Sie sa
ß an dem weitge
öffneten
19051 Fenster, aus welchem ihr Blick
über die regenfeuchten
19052 B
äume des Gartens nach den dahinter anfragenden
19053 H
äusermassen und Schornsteinen schweifte. Das Buch, in dem sie
19054 gelesen hatte, lag neben ihr. Von Zeit zu Zeit, wenn sie ein
19055 Ger
äusch von Tritten zu vernehmen glaubte, blickte sie nach
19056 der T
ür, als erwartete sie, da
ß sie sich
öffnen
19058 <p>Und nun klingelte es drau
ßen. Sie stand auf und strich
19059 sich das Haar aus den Schl
äfen. Dann ging sie auf die T
ür
19060 zu, aus welcher ihr Ell entgegentrat.
</p>
19061 <p>»Endlich
«, sagte er, ihre Hand ergreifend,
19062 »endlich wieder einmal bei Ihnen. Es tat mir zu leid,
19063 da
ß ich unsern letzten Abend nicht einhalten konnte, aber ich
19064 durfte die Einladung da oben nicht ablehnen. F
ühlen Sie sich
19065 auch ganz wohl?
«</p>
19066 <p>Sein Blick ruhte mit z
ärtlicher Besorgnis auf ihren
19068 <p>»Es geht mir besser wie je
«, sagte Isma
19070 <p>»F
ühlen Sie gar keine Beschwerden?
« fragte er
19071 weiter.
»Kein Kopfweh, keine M
üdigkeit?
«</p>
19072 <p>»Gar nichts. Sie fragen ja gerade, als wenn Sie Hil
19073 w
ären. Was haben Sie denn? Ich kann Ihnen wirklich nicht die
19074 Freude machen, mich pflegen zu lassen. Aber wissen Sie, Ell,
19075 da
ß Sie mir eigentlich gar nicht gefallen? Sie strengen sich
19076 offenbar zu sehr an, Sie sehen angegriffen aus und sollten sich
19077 mehr schonen.
«</p>
19078 <p>»Ach, Isma, davon kann keine Rede sein
«, erwiderte
19079 Ell, indem er sich neben ihr niederlie
ß.
»Mir ist
19080 manchmal zumute, als w
üchse mir die Arbeit
über den Kopf.
19081 Und dann die Sorge! Doch nichts davon! Dann gibt es kein andres
19082 Heilmittel f
ür mich, als hier die drei Treppen hinaufzusteigen
19084 <p>»Das freut mich, da
ß Ihnen das Treppensteigen so gut
19085 bekommt. Ich k
önnte ja auch noch eine Stiege h
öher
19087 <p>»Oh, es gen
ügt. Wenn ich nur die schmale Hand fassen
19088 und Ihnen in die lieben Augen sehen kann! Dann m
öchte ich
19089 wieder an die Menschen glauben und wieder hoffen!
«</p>
19090 <p>»Sie d
ürfen so nicht sprechen, Ell, Sie
19091 ängstigen mich. Auf dem Weg zu Ihrem hohen Ziel darf es kein
19092 Schwanken geben. Dazu waren unsre Opfer zu gro
ß, zu
19093 schmerzlich.
«</p>
19094 <p>Sie hob die Augen, die mit Tr
änen k
ämpften, wie
19095 bittend zu ihm empor.
</p>
19096 <p>»Verzeihen Sie mir, Isma. Ich wei
ß es l
ängst,
19097 da
ß ich f
ür mich kein Gl
ück beanspruchen darf, der
19098 ich mir anma
ßte, es der Menschheit zu bringen. Aber wenn ich
19099 hier bei Ihnen sitze
– und Sie wissen, da
ß ich die neue
19100 Kraft hier sch
öpfe
–, ach, dann ist es auch so unendlich
19101 schwer, auf das einzige zu verzichten, was ich je vom Leben
19102 f
ür mich ersehnte. Und immer fester wird mir die
19103 Überzeugung, da
ß beides zusammengeh
ört, wenn ich
19104 meinen Lauf erf
üllen soll.
«</p>
19105 <p>»Noch ist die Zeit nicht da, von uns zu sprechen. O Ell,
19106 sagen Sie, was qu
ält Sie, was ist geschehen? Ich kenne Sie
19107 kaum wieder, noch vor kurzem waren Sie so
19108 siegesgewi
ß.
«</p>
19109 <p>»Es geht wohl vor
über. Gerade heute haben sich
19110 allerlei Nachrichten geh
äuft, die mir Schwierigkeiten machen.
19111 Die neuen Verh
ältnisse wirken ung
ünstig auf die Nume, das
19112 ruhige Gleichgewicht, das sie in den festen Kulturzust
änden
19113 des Mars haben, wird zerst
ört, es entstehen Konflikte, und das
19114 Ende vom Liede wird sein, da
ß ich von beiden Seiten f
ür
19115 alles verantwortlich gemacht werde.
«</p>
19116 <p>»Das m
üssen Sie tragen. Und Sie wu
ßten es im
19117 voraus, Ell, als Sie das verantwortliche Amt annahmen, da
ß
19118 Sie angefeindet werden w
ürden. Erinnern Sie sich noch? Es war
19119 kurz nach meiner Krankheit, als ich wieder den ersten
19120 gr
ößeren Ausflug mit ihnen unternahm, zur Probe, wie Hil
19121 sagte, ob ich das Reisen vertr
üge. Wir waren nach den
19122 gro
ßen Schleusen der Emm- Kan
äle gefahren, dort zeigten
19123 Sie mir, wie das Wasser auf das zweihundert Meter hohe
19124 W
üstenplateau gehoben wird. Und da sagten Sie mir, da
ß
19125 der Zentralrat Ihren Vorschlag
über die Einsetzung von
19126 Kultoren angenommen habe und da
ß Ihnen das Kultoramt f
ür
19127 den deutschen Sprachbezirk angetragen sei. Sie waren im Zweifel, ob
19128 Sie es annehmen durften, und Sie sprachen ja ganz klar ihre
19129 Bef
ürchtung aus. Ihre Landsleute, sagten Sie, werden auf jeden
19130 Fall unzufrieden sein, weil sie die Bildungsanstalten als einen
19131 Zwang empfinden werden, den die Resultate doch erst nach Jahren
19132 rechtfertigen w
ürden. Die Nume aber w
ürden es Ihnen nicht
19133 vergeben, da
ß ein Heer von Beamten unter Ihnen stehen solle,
19134 der Sie auf der Erde geboren sind.
«</p>
19135 <p>»Ich wei
ß es, Isma, ich sehe Sie noch dort an dem
19136 Gel
änder lehnen und in Nachsinnen verloren hinabblicken auf
19137 die Baumwipfel, und ich h
öre Ihr Wort: Wenn ich glaube,
19138 da
ß die Nume solchen Vorurteilen zug
änglich sind, so sei
19139 es nicht notwendig, da
ß die Menschen von ihnen lernen. Dann
19140 h
ätte ich meinen gro
ßen Kulturplan
überhaupt nicht
19141 fassen d
ürfen. Wenn ich aber an den Beruf der Nume glaube, die
19142 Menschheit vom Druck ihrer Geschichte zu erl
ösen, so
19143 d
ürfe ich auch keinen Zweifel hegen, da
ß die Nume um der
19144 Sache willen sich gern und frei unterordnen w
ürden. Wenn mich
19145 der Zentralrat zu einem Amt beriefe, wie es noch niemals auf Erden
19146 ausge
übt worden, so geschehe es, weil jeder wei
ß,
19147 da
ß ich der geeignetste, gewisserma
ßen der geborene
19148 Vermittler sei zwischen den Planeten und da
ß ich mein ganzes
19149 Leben lang auf eine solche Aufgabe mich vorbereitet habe. Und
19150 darauf
–«</p>
19151 <p>»Oh, ich habe es nicht vergessen, Ell
«, fiel Isma
19152 ein.
»Ich erinnere mich an jedes Wort. Denn in all meinem
19153 eignen Leid steht mir jener Moment vor Augen als der
19154 gr
ößte meines Lebens. Unter mir schwand mein eignes
19155 Dasein vor dem erhabenen Gef
ühl, da
ß wir der Menschheit
19156 dienen m
üssen, und ich war stolz und gl
ücklich, in dem
19157 Augenblick bei Ihnen sein zu d
ürfen, da von Ihrem
19158 Entschlu
ß der Beginn eines neuen Zeitalters abhing. Sie
19159 wiesen hinab, wo zwischen dem Laub die weiten Wasserfl
ächen
19160 schimmerten, und sagten: Da unten, wo die Schmelzwasser des Pols in
19161 ihrem nat
ürlichen Bett sich sammeln, sind sie klar und ruhig
19162 und versiegen nimmer. Aber wir heben sie mit unsern Maschinen in
19163 den Sonnenbrand der W
üste, und tr
übe verrinnen sie
19164 allm
ählich in dem Bett, das Tausende von Kilometern sich
19165 hinzieht. Wer sagt uns, wie der heitere Seelenspiegel des Numen
19166 sich tr
übt, wenn wir ihn k
ünstlich auf die Erde versetzen
19167 und auf un
übersehbare Jahre seine Reinheit im Schlamm der
19168 Menschheit vergraben? Und da erwiderte ich Ihnen: So weit die
19169 Kan
äle sich f
üllen, spro
ßt das Leben in der
19170 W
üste, und die Kultur des Mars beruht auf diesen sich selbst
19171 verzehrenden Adern.
– W
ürden die Nume diese Riesenlasten
19172 von Wasser heben und verrinnen lassen, wenn sie nicht glaubten,
19173 da
ß es seine begebende Kraft auch beh
ält in dem
19174 k
ünstlichen Bett? Und wer schafft es herauf? Es ist doch die
19175 Vernunft, die die Natur leitet. Glauben Sie nicht an die Vernunft?
19176 Und als ich dies sagte, da blitzte es drunten auf
über den
19177 B
äumen, und helle Strahlen stiegen in die H
öhe und
19178 mehrten sich, und so weit der Blick reichte, zitterten die
19179 Lichtfont
änen in der Luft, und die Leute liefen durcheinander
19180 und riefen sich zu:
›Der Friede ist geschlossen! Die Erde
19181 geh
ört uns
– –‹ Und Sie fa
ßten meine
19182 Hand und sagten:
›Ja, ich glaube an die Vernunft!
‹
19183 Und sehen Sie, Ell, ich glaube! An die Vernunft und an Sie! Und
19184 wenn ich das nicht mehr k
önnte
–«</p>
19185 <p>Sie brach ab. Ell aber ergriff ihre Hand und rief:
</p>
19186 <p>»Sie k
önnen es, Isma, Sie k
önnen es! Mein Glaube
19187 an die Vernunft ist nicht ersch
üttert, und mich sollen Sie
19188 nicht weichen sehen aus feiger Schw
äche. Aber die Vernunft ist
19189 ewig, ich bin ein verg
änglicher Zeuge ihres zeitlichen
19190 Gesetzes, und ich mu
ß gefa
ßt sein, da
ß sie
19191 über mich hinwegschreitet. Denn ich habe mir angema
ßt zu
19192 beginnen, was zu vollenden Geschlechter geh
ören. Wenn ich mich
19193 nun t
äuschte in den Mitteln, die ich f
ür die richtigen
19195 <p>»Es wird nicht sein. Es werden Fehler gemacht werden, das
19196 ist nat
ürlich. Aber die Grundlagen werden sich bew
ähren.
19197 Sie m
üssen Geduld haben.
«</p>
19198 <p>»Wie danke ich Ihnen, Isma, f
ür Ihr Vertrauen, das
19199 mich vor mir selbst rechtfertigt. Einen Fehler habe ich begangen
19200 von Anfang an, der mehr ist als ein Fehler, da
ß ich eine
19201 Zeitlang die Erde verga
ß –«</p>
19202 <p>»O mein Freund, den b
üße ich f
ür Sie
19203 –, davon nichts mehr
–«</p>
19204 <p>»Und das andere, wenn es ein Fehler ist, so wei
ß ich
19205 nicht, wie ich ihn h
ätte vermeiden sollen. Wenn ich auf die
19206 Menschen wirken wollte, konnte ich es anders als durch die Mittel,
19207 an die sie gew
öhnt sind, durch die Autorit
ät der Macht?
19208 Und doch wei
ß ich, da
ß hier ein Widerspruch liegt mit
19209 dem Zweck, den ich erstrebe, der inneren Freiheit. Den Zustand will
19210 ich aufheben, da
ß irgendeine Klasse der Bev
ölkerung ihre
19211 Macht dazu mi
ßbraucht, durch Einsch
üchterung und
19212 Beherrschung der
übrigen die freie Entwicklung aller
19213 Kr
äfte und Meinungen zu verhindern, und was tue ich? Ich
19214 übe einen neuen Zwang aus, ohne zu wissen, ob ich die
19215 eingewurzelten Vorurteile zu brechen vermag. Ich hoffe es, doch ob
19216 ich es erlebe? Und was dann? Droht nicht eine neue B
ürokratie
19217 über der alten?
«</p>
19218 <p>»Ell, vergessen Sie nicht den Glauben an die Nume! Es sind
19219 nicht Menschen, es sind Nume, welche die Menschheit erziehen. Sie
19220 werden ihre Z
öglinge als freie M
änner aus der Schule
19221 entlassen, sobald sie sehen, da
ß ihre Lehrarbeit getan
19223 <p>»Das ist meine Hoffnung. Das ist ja das absolut Neue an
19224 der Umw
älzung der Verh
ältnisse. Die zur Macht gekommen
19225 sind, sind es nicht, wie die Geschlechter der Menschen, in der
19226 Absicht, die Macht um ihrer selbst, ihrer Klasse und Nachkommen
19227 willen zu erhalten, sondern um sie als freies Gut der Menschheit,
19228 der gel
äuterten Menschheit zur
ückzugeben.
«</p>
19229 <p>»Sie werden es.
«</p>
19230 <p>»Sie werden es, wenn sie Nume bleiben. Wenn aber die
19231 Ber
ührung mit der Erde sie ihrer Numenheit entkleidet und die
19232 Menschen sie anstecken mit ihrem Eigennutz? Wenn die alte Kultur
19233 zur
ückschl
ägt in die Barbarei der Erde und aus den
19234 Kultoren gew
öhnliche Despoten werden, wie P
äpste aus
19235 Aposteln?
«</p>
19236 <p>Isma sch
üttelte den Kopf.
</p>
19237 <p>»Ich wei
ß nicht, Ell, was Sie im Sinn haben
«,
19238 sagte sie.
»Es m
ögen auch solche F
älle vorkommen.
19239 Aber dr
üben, jenseits der Erde, kreist der Mars mit seinen
19240 drei Milliarden Bewohnern. Diese sind der feste Kern der Kultur,
19241 der jede Entartung wieder aufheben wird.
«</p>
19242 <p>Ell blickte schweigend vor sich hin. Er dachte daran, ob nicht
19243 in den Menschen der Widerstand der Natur zu gro
ß sein
19244 w
ürde. Aber er sprach es nicht aus. Seine Augen wandten sich
19245 auf Isma. Sie hatte sich in ihrem Sessel zur
ückgelehnt und die
19246 H
ände auf dem Scho
ß gefaltet. Ein einfaches schwarzes
19247 Kleid umschlo
ß ihre Gestalt, und das feine Profil hob sich
19248 wie eine Silhouette gegen das Fenster ab, vor welchem der Tag
19249 bereits in D
ämmerung
überging. Er wollte ihr nicht neue
19250 Sorgen erwecken. Und doch, sie jetzt schon verlassen? Es schien ihm
19251 unm
öglich. Oh, wenn er sie immer so neben sich h
ätte, wie
19252 ganz anders m
üßte sich der schwere Kampf des Lebens
19253 aufnehmen lassen! Sie erschien ihm begehrenswerter wie je, so lieb
19254 in ihrer treuen Freundschaft, so gro
ß in ihrem einfachen
19256 <p>»Isma
«, kam es fast unbewu
ßt
über seine
19258 <p>Sie reichte ihm ihre Hand hin
über mit dem milden, ernsten
19259 L
ächeln, das ihre Z
üge mitunter in seiner N
ähe
19260 verkl
ärte.
</p>
19261 <p>»Mein Freund
«, sagte sie.
</p>
19262 <p>»Isma
«, sprach er leise,
»wollen Sie nicht bei
19263 mir bleiben?
«</p>
19264 <p>Sie dr
ückte seine Hand, ohne sie ihm zu entziehen.
</p>
19265 <p>»Sie wissen, Ell
«, antwortete sie ebenso leise,
19266 »da
ß ich es nicht darf, ja auch nicht will, so lange
19267 noch eine M
öglichkeit ist
–«</p>
19268 <p>»Aber wenn einmal die Zeit kommt, da
ß keine
19269 M
öglichkeit mehr ist?
«</p>
19270 <p>»Dann sprechen wir wieder davon. Bis dahin
–. Sie
19271 kennen meine Bitte.
– Wo ist die Grenze zwischen Gedanke und
19272 Wunsch? Und das ist Frevel.
«</p>
19273 <p>»Aber ich darf annehmen, Isma
–«</p>
19274 <p>»Nehmen Sie an, was Sie wollen. Wenn mein Leben keinem
19275 andern geh
ört, wem k
önnte es geh
ören als der Idee,
19276 der wir dienen? Und dann m
ögen Sie nachdenken, wie das am
19277 besten geschehen kann.
«</p>
19278 <p>Sie entzog ihm sanft ihre Hand und trat an das Fenster. Er
19279 stellte sich neben sie. Schweigend blickten sie hinaus, dann begann
19281 <p>»Die Nachforschungen ruhen niemals, und alles, was sich
19282 hat ermitteln lassen, weist jetzt auf eine Vermutung hin, die jede
19283 Hoffnung fast mit Sicherheit ausschlie
ßt.
«</p>
19284 <p>Isma zuckte zusammen. Ell schwieg.
</p>
19285 <p>»Sprechen Sie weiter
«, sagte sie dann gefa
ßt.
19286 »Ich habe mir ja soviel hundertmal gesagt, da
ß ich
19287 nicht mehr hoffen darf. Und doch ist das Wort der Gewi
ßheit
19288 wie ein Stahl, der ins Herz trifft. Aber
– sprechen Sie
19290 <p>»Er konnte die Insel Ara nur verlassen durch Schwimmen
19291 nach einer der Nachbarinseln, das war unsere Annahme. Dann
19292 mu
ßte er in der Umgebung des Pols aufgefunden werden; es ist
19293 jetzt dort kein Fleckchen mehr ununtersucht, wo Menschen existieren
19294 k
önnen. Demnach nahmen wir an, da
ß er unter das Eis
19295 geraten sei
–«</p>
19296 <p>Isma bedeckte die Augen mit der Hand.
</p>
19297 <p>»Eine M
öglichkeit aber war noch da, so
19298 unwahrscheinlich, da
ß man erst sp
ät daran gedacht hat.
19299 Wenige Stunden, bevor man ihn vermi
ßte, ging ein Luftschiff
19300 ab, das nach Tibet bestimmt war, um dort Vermessungen zur Anlegung
19301 von Strahlungsfeldern zu machen. Wenn er sich unbemerkt in diesem
19302 versteckt h
ätte obwohl ich nicht begreife, wie das geschehen
19303 konnte
–«</p>
19304 <p>»Ell
«, rief Isma,
»warum haben Sie mir das
19305 nicht gesagt!
«</p>
19306 <p>»Weil ich Ihnen keine Hoffnungen erwecken wollte, die nur
19307 zu neuen Bef
ürchtungen f
ühren konnten. Jetzt haben Sie
19308 sich damit vertraut gemacht, da
ß wir ihn verloren haben, und
19309 Gewi
ßheit wird besser sein als die Angst. Denn dieses
19310 Luftschiff
– der Zusammenhang ist mir selbst erst vor kurzem
19311 durch neue Untersuchungen klar geworden
– als das
19312 Ungl
ück geschah, war ich selbst noch nicht auf der Erde, die
19313 Akten
über Torm waren abgeschlossen, und die Vermutung,
19314 da
ß er sich auf dem Schiff befand, ist erst durch meine
19315 erneute Aufnahme des Falles aufgetaucht
–, jenes Luftschiff
19316 war dasselbe, das im Juni vorigen Jahres bei Podgoritza von den
19317 Albanern zerst
ört und dessen Besatzung bis auf den letzten
19318 Mann ermordet wurde. Also auch diese Spur, wenn sie
überhaupt
19319 eine war, blieb hoffnungslos. Sind Sie mir b
öse, da
ß ich
19320 jetzt davon gesprochen habe?
«</p>
19321 <p>Isma seufzte tief.
»Nein, Ell, Sie m
üssen mir alles
19322 sagen, und ich mu
ß es zu ertragen wissen.
«</p>
19323 <p>Sie blickte wieder stumm in den Abend hinaus. Pl
ötzlich
19324 ergriff sie mit einer krampfhaften Bewegung Ells Arm.
</p>
19325 <p>»Aber wenn er auf dem Schiff war, Ell, wenn er darauf war
19327 <p>»Es ist ja nicht sicher, Isma, ich bitte Sie, beruhigen
19328 Sie sich. Niemand wei
ß es, es ist nur die einzige noch
19329 denkbare Vermutung
–«</p>
19330 <p>»Wenn er darauf war, wer sagt Ihnen, da
ß er auch
19331 noch in Podgoritza darauf war? Konnte er nicht in Tibet das Schiff
19332 verlassen haben?
«</p>
19333 <p>»Wie sollte er es unbemerkt im fremden Land, in der
19334 W
üste verlassen? Und wenn man ihn bemerkte, h
ätte man ihn
19335 gefangen genommen, und das ist auch, falls die erste Vermutung
19336 überhaupt zutrifft, das Wahrscheinliche. Er wird bei einem
19337 Fluchtversuch vom Schiff entdeckt und als Gefangener unter der
19338 Besatzung
–«</p>
19339 <p>»Dann aber kann er bei dem
Überfall entkommen
19340 sein
«, unterbrach Isma hastig.
»Das ist sehr leicht
19341 m
öglich. O Ell, ich habe noch Hoffnung. Er wird sich unter
19342 jene Halbwilden gefl
üchtet haben, dort mu
ß er gesucht
19343 werden. Das m
üssen Sie tun, Ell! Und wenn wir ihn finden
19344 – o Gott!
«</p>
19345 <p>Sie warf sich auf einen Sessel und schluchzte. Endlich wurde sie
19347 <p>»Er hat ja nichts mehr zu bef
ürchten
«, sagte
19348 sie,
»nicht wahr? Mit dem Frieden ist die Amnestie f
ür
19349 alles ausgesprochen, was w
ährend des Krieges geschehen
19351 <p>»Nicht gerade f
ür alles.
«</p>
19352 <p>»Aber f
ür seine Flucht kann er nicht mehr bestraft
19354 <p>»Nein, Isma. Aber ich bitte Sie, klammern Sie sich nicht
19355 wieder an diese Unm
öglichkeit. Oh, h
ätte ich doch nicht
19356 davon gesprochen! Fassen Sie sich! Ich kann Sie so nicht
19357 verlassen.
«</p>
19358 <p>»Sie haben recht
«, sagte sie endlich.
»Ich bin
19359 so t
öricht.
« Sie stand auf, schlo
ß das Fenster und
19360 schaltete das Licht ein.
</p>
19361 <p>»Setzen wir uns noch ein wenig
«, sagte sie dann.
19362 »Es ist ja alles so unwahrscheinlich, bei ruhiger
19363 Überlegung. Aber wer klammert sich nicht an einen
19364 Strohhalm?
«</p>
19365 <p>»Sehen Sie, Isma, Sie m
üssen sich mit dem Geschehenen
19366 abfinden, wie Sie es bisher getan. W
äre er in Podgoritza
19367 entflohen, so w
äre er l
ängst hier, oder wir h
ätten
19368 Nachricht. Er hatte ja nun nichts mehr von den Martiern zu
19369 bef
ürchten. Es ist seitdem
über ein Jahr vergangen,
19370 deshalb glaubte ich dar
über sprechen zu
19371 d
ürfen.
«</p>
19372 <p>Sie reichte ihm wieder die Hand.
»Ich wei
ß
19373 ja
«, sagte sie,
»da
ß Sie es gut meinten. Aber
19374 eins m
üssen Sie mir doch noch sagen. Bei wichtigen Ereignissen
19375 wenden Sie sonst das Retrospektiv an, um den Vorgang zu beobachten.
19376 Warum ging es denn nicht
– der
Überfall von Podgoritza
19377 zum Beispiel ist doch wichtig genug
–, warum wurde er nicht
19378 vorn Mars aus
–?
«</p>
19379 <p>»Glauben Sie mir, Isma, ich h
ätte es durchgesetzt, um
19380 Ihretwillen, das Retrospektiv anzuwenden, wenn ich mir den
19381 geringsten Erfolg h
ätte versprechen k
önnen. Aber an dem
19382 Tag der Flucht lagen dichte Wolken
über dem Pol, die Landung
19383 des Schiffes in Tibet ist, vermutlich wenigstens, in der Nacht
19384 erfolgt, jedenfalls aber wird Torm, wenn er entfliehen wollte, die
19385 Nacht dazu benutzt haben. Auch wissen wir gar nicht, in welcher
19386 Gegend des weiten Hochasien das Schiff angelegt hat, und es ist
19387 doch unm
öglich, diese gro
ßen Landgebiete mit dem
19388 Retrospektiv abzusuchen. Der
Überfall von Podgoritza endlich
19389 fand ebenfalls in der Nacht statt, und ehe wir etwas davon
19390 erfuhren, hatten die R
äuber alle Spuren vernichtet. Die Tat
19391 kam erst sp
äter durch den Verrat eines feindlichen Stammes an
19392 den Tag. Da war also nicht die geringste Aussicht, etwas in den
19393 Lichtspuren des Weltraums zu lesen.
«</p>
19394 <p>»Ich sehe es ein, Ell. Und es war recht, da
ß Sie
19395 sprachen. Was haben wir auch Besseres in unsrer Freundschaft, als
19396 das volle Vertrauen? Und nun
–«</p>
19397 <p>»Ich soll gehen?
«</p>
19398 <p>»Nein, nein, im Gegenteil. Sie sollen noch bleiben, und
19399 wir wollen von gleichg
ültigeren Dingen reden, von
19400 gegenw
ärtigen, mein
’ ich. Sie haben mir noch nichts von
19401 der Politik erz
ählt. Wie steht es mit dem Klatschgesetz? Was
19402 sagt denn Herr von Huhnschlott dazu?
«</p>
19403 <p>Jetzt l
ächelte Ell.
»Er speit Feuer und
19404 Flammen
«, sagte er.
»Nat
ürlich, diese Herren haben
19405 nie gelernt, da
ß sich die Welt auch anders regieren lasse als
19406 mit Polizeivorschriften. Ich w
ünschte, Sie h
ätten das
19407 Gesicht unsres geschmeidigen Kreuther sehen k
önnen, als ich
19408 ihm meine Auffassung der Lage auseinandersetzte. Ich bin
19409 überzeugt, morgen bekommen wir die Sanktion. Sie werden nicht
19410 an Ill appellieren, wenn sie klug sind, denn er ist viel
19411 r
ücksichtsloser gegen die Vorurteile unsrer Regierungen als
19412 ich, der ich ihren historischen Zusammenhang besser kenne. Ich
19413 gelte ja nat
ürlich bei den Konservativen als ein roter
19414 Revolution
är, auf dem Mars sehen sie mich als einen
19415 schwachm
ütigen Leisetreter an.
«</p>
19416 <p>»Ich wei
ß wohl
«, sagte Isma.
»Ich lese
19417 ja die Marsbl
ätter, namentlich die
›Ba
‹. Solche
19418 Dinge wie Zweikampf, Beleidigungsklagen und dergleichen kommen den
19419 Numen gerade so vor, wie uns etwa die Menschenfresserei oder die
19420 Blutrache bei den Wilden, und sie meinen, das m
üsse man
19421 einfach mit Gewalt ausrotten.
«</p>
19422 <p>Ell erz
ählte, da
ß Hil von seiner Reise zur
ück
19423 sei, und schilderte sein Entsetzen
über den Regen. Mit stiller
19424 Freude sah er, da
ß Isma ihre Ruhe wiedergewonnen hatte.
</p>
19425 <p>Es waren wohl zwei Stunden vergangen, als Ell sich endlich
19426 herzlich von Isma verabschiedete. Als er auf die Stra
ße trat,
19427 war es bereits vollst
ändig Nacht, und die Laternen brannten.
19428 Er schritt eilig die Stra
ße entlang und bestieg wieder seinen
19429 vor der T
ür der Bildungsanstalt haltenden Wagen. Er hatte den
19430 in einen Mantel geh
üllten Mann nicht bemerkt, der wie
19431 z
ögernd vor der T
ür des Hauses gestanden hatte, wo Isma
19432 wohnte. Bei Ells Erscheinen hatte er pl
ötzlich kehrtgemacht,
19433 dann aber schien es, als wolle er ihm eilig nachgehen, um ihn
19434 anzureden. Doch bald blieb er wieder z
ögernd zur
ück und
19435 blickte nur dem Wagen nach, der Ell schnell von dannen
19437 <h2>48 - Der Instruktor von Bozen
</h2>
19438 <p>Durch die engen Felsschluchten des Eisacktales brauste der von
19439 Wien kommende Schnellzug nach S
üden und
überholte die
19440 sch
äumenden Fluten des wild dahinst
ürmenden Baches. Der
19441 gr
ößere Teil der Fahrg
äste dr
ängte sich an den
19442 Fenstern, um das von der klaren Septembersonne vergoldete
19443 Naturschauspiel zu genie
ßen. Einer jedoch, offenbar kein
19444 Fremder in dieser Gegend, k
ümmerte sich wenig darum. Er
19445 sa
ß in eine Ecke gelehnt, mit geschlossenen Augen in seine
19446 Gedanken versunken, unter denen seine Stirn sich von Zeit zu Zeit
19447 zu sorgenvollen Falten zusammenzog. Dann blickte er nach seiner
19448 Uhr, als ob der Zug ihn nicht schnell genug seinem Ziel
19450 <p>»Noch zehn Minuten
«, murmelte er.
</p>
19451 <p>Aus der Brusttasche seiner Joppe zog er einige Papiere, ein
19452 Telegramm und eine Zeitung. Er hatte sie schon oft gelesen, dennoch
19453 blickte er wieder hinein, als k
önnten sie ihm noch etwas Neues
19455 <p>Das Telegramm war von einem seiner Freunde und enthielt nur die
19456 Worte:
»Komme sofort zu Deiner Mutter, sie bedarf
19458 <p>Die Zeitung war, wie das Telegramm, schon einige Tage alt. Aber
19459 er hatte sie erst zu Gesicht bekommen, als er gestern von einer
19460 vierzehnt
ägigen Studienreise in einsamen Gebirgsgegenden nach
19461 Lienz zur
ückgekehrt war. Sie enthielt die neuen Verordnungen,
19462 welche das Kultoramt in Berlin mit Erm
ächtigung der Residenten
19463 in Berlin, Wien und Bern und unter Best
ätigung der Regierungen
19464 in der vorigen Woche erlassen hatte.
</p>
19465 <p>Die Schwierigkeiten, auf welche die Martier bei der deutschen
19466 Regierung in bezug auf das Gesetz zum Schutz der individuellen
19467 Freiheit gesto
ßen waren, hatten den Protektor der Erde darauf
19468 gef
ührt, sie in k
ünftigen F
ällen auf eine sehr
19469 einfache Weise zu umgehen. Er hatte gefunden, da
ß
19470 Bestimmungen
über Beziehungen der Menschen zu den Numen und
19471 Einrichtungen der Nume gar keiner Gesetzgebung durch die Erdstaaten
19472 bed
ürfen, sondern auf dem Verordnungsweg durch die Residenten
19473 erlassen werden k
önnen. Die Regierungen aber mu
ßten, wie
19474 gern sie es auch abgelehnt h
ätten, sich der Macht beugen und
19475 ihr Ja dazu geben. Sie taten es immerhin lieber, als sich einem
19476 Beschlu
ß der Opposition in den Parlamenten zu f
ügen.
</p>
19477 <p>Die Verordnung hatte im allgemeinen Mi
ßstimmung
19478 hervorgerufen. Sie bestimmte n
ämlich, da
ß jeder Mensch,
19479 ohne Unterschied des Alters, sich einer von den Bezirksinstruktoren
19480 zu beaufsichtigenden Impfung unter Leitung martischer
Ärzte zu
19481 unterziehen habe. Bis diese vollzogen sei, d
ürfe kein
19482 Ungeimpfter sich einem Numen bis zu einer gewissen Distanz
19483 n
ähern, keine von Numen bewohnte R
äume betreten und die
19484 Luftschiffe und Fahrzeuge der Martier nicht benutzen.
19485 Zuwiderhandlungen waren mit strengen Strafen bedroht.
</p>
19486 <p>Die Bestimmungen waren lediglich in R
ücksicht auf die
19487 Menschen getroffen, um sie vor den drohenden Verw
üstungen der
19488 Gragra zu sch
ützen. Aber man hatte sich gescheut, diesen Grund
19489 anzugeben, weil man f
ürchtete, dadurch eine gr
ößere
19490 Beunruhigung und Unzufriedenheit zu erregen als durch die
19491 Ma
ßregel selbst; man hatte die Impfung nur durch einen
19492 allgemeinen Hinweis auf Besserung des Gesundheitszustandes
19493 begr
ündet. Der Beschlu
ß war von den europ
äischen
19494 Residenten gegen Ells Stimme gefa
ßt worden, der eindringlich
19495 vor einem derartigen despotischen Eingriff gewarnt hatte. Doch
19496 hatte sich bei den ma
ßgebenden Numen auf der Erde mehr und
19497 mehr die Ansicht herausgebildet, da
ß man die Menschen nur
19498 durch Anwendung von Zwang zu ihrem Besten leiten k
önne. Ell
19499 f
ühlte sich durch den Beschlu
ß sehr bedr
ückt, hatte
19500 sich aber der Majorit
ät f
ügen m
üssen.
</p>
19501 <p>Saltner steckte das Blatt kopfsch
üttelnd wieder ein.
</p>
19502 <p>»Es mu
ß da noch etwas im Hintergrund liegen,
19503 wor
über sie nicht mit der Sprache herauswollen
«, dachte
19504 er bei sich.
»Aber eine sakrische Dummheit bleibt
’s
19505 doch, die ich dem Ell nicht zugetraut h
ätte. Oder vielleicht
19506 doch. Wie er sich damals aussprach
–«</p>
19507 <p>Er dachte an jene Stunde bei La, in der er sich gegen Ells
19508 Pl
äne zur gewaltsamen Erziehung der Menschen aufgelehnt hatte.
19509 Und er sah die Geliebte wieder vor sich mit der feinen Stirn unter
19510 dem schimmernden Haar, er sah den tiefen Blick der dunklen Augen in
19511 z
ärtlicher Achtung auf sich gerichtet und f
ühlte die
19512 unverge
ßlichen K
üsse auf seinen Lippen. Wo mochte sie
19513 weilen? Ob sie seiner gedachte? Ob sie wu
ßte von dem Leid,
19514 das
über die Menschen gekommen war, ob sie es mit ihm
19515 f
ühlte? Verloren! Verloren!
</p>
19516 <p>Aus seinen Tr
äumen weckte ihn der Pfiff der Maschine. Die
19517 Berge waren zur
ückgewichen, gr
üne H
ügel, auf denen
19518 Trauben und Kastanien reiften, zogen sich zur Seite. Die Passagiere
19519 suchten ihr Handgep
äck zusammen, und der Zug hielt auf dem
19520 Bahnhof in Bozen.
</p>
19521 <p>Saltner stieg aus und dr
ängte sich eilig durch die Menge.
19522 Am Ausgang fiel ihm ein Plakat auf, das durch seine gelbrote Farbe
19523 schon weithin als eine amtliche Bekanntmachung des martischen
19524 Bezirksinstruktors kenntlich war. Er blieb stehen und las. Zuerst
19525 war die allgemeine Verordnung
über die Impfung mitgeteilt, die
19526 er schon kannte. Daran aber schlossen sich spezielle Bestimmungen
19527 über den hiesigen Bezirk, Er traute seinen Augen nicht. Nach
19528 Angabe von Einzelheiten
über die Ausf
ührung der Impfung,
19529 die in den und den n
äher bezeichneten Lokalen stattfinde,
19530 stand da: Die als Bescheinigung der vollzogenen Impfung erteilte
19531 Marke ist sichtbar an der Kopfbedeckung zu tragen. Wer sich ohne
19532 dieselbe einem Numen auf mehr als sechs Schritt ann
ähert, wird
19533 mit f
ünfhundert Gulden Geldbu
ße oder entsprechendem
19534 Aufenthalt im psychologischen Laboratorium bestraft. Unterredungen
19535 mit dem Instruktor finden nur noch telephonisch statt. Jeder
19536 Anordnung eines Numen gleichviel, worauf sie sich beziehe, ist ohne
19537 Widerspruch Folge zu leisten. Den Numen steht das Recht zu,
19538 Menschen, welche sich ihnen ohne Erlaubnis n
ähern, mit der
19539 Telelytwaffe zur
ückzuweisen. Das Halten von Haustieren in
19540 menschlichen Wohnungen wird nochmals aufs strengste untersagt.
</p>
19541 <p>Saltner ballte die Faust. Er wandte sich an einen neben ihm
19542 stehenden Herrn und sagte:
»Der hiesige Instruktor ist wohl
19543 verr
ückt geworden?
«</p>
19544 <p>»Das ist schon recht
«, antwortete der ernsthaft.
</p>
19545 <p>»Und das lassen Sie sich gefallen? Wie hei
ßt denn
19546 der Kerl?
«</p>
19547 <p>»Der hei
ßt O
ß.
«</p>
19548 <p>»Der Name kommt mir bekannt vor. Haben Sie sich denn noch
19549 nicht in Berlin beim deutschen Kultor beschwert?
«</p>
19550 <p>»Das wird geschehn. Aber es dauert halt eine Weile, und
19551 die Verordnung ist erst von gestern.
«</p>
19552 <p>»Aber wenn Sie telegraphieren oder
19553 telephonieren?
«</p>
19554 <p>»Das wird nicht zugelassen. Es ist schon einer nach
19555 Innsbruck gereist, aber sie haben
’s auch dort nicht
19556 zugelassen. Sie meinen, die Nume stecken halt alle unter einer
19557 Decke, und wenn es auch der Kultor erf
ährt, so wird es doch
19558 nichts nutzen.
«</p>
19559 <p>»Es wird nutzen, das k
önnen Sie mir glauben. So etwas
19560 hat sich keiner herauszunehmen und nimmt sich auch keiner woanders
19561 heraus. Das ist nur eine Verr
ücktheit von diesem O
ß, und
19562 der wird sehr bald abgesetzt sein.
«</p>
19563 <p>»Das mag schon sein, so lange halten wir
’s wohl aus.
19564 Aber die Hauptverordnung bleibt doch bestehen, und dagegen ist
19565 nichts zu machen. Ich mein
’ so, den O
ß werden sie schon
19566 wegjagen, vielleicht gar bald, denn der Herr Bezirkshauptmann reist
19567 heute nach Wien und wenn n
ötig nach Berlin. Aber inzwischen
19568 m
üssen wir folgen. Denn wenn sich einer was gegen den O
ß
19569 herausn
ähme und es ginge auch nachher dem O
ß schlecht,
19570 so ginge es uns doch noch schlechter. Wir w
ürden wegen Aufruhr
19571 nach Afrika oder sonstwohin geschickt. Also lassen wir
’s
19572 lieber. Habe die Ehre!
«</p>
19573 <p>Damit l
üftete er den Hut und wollte sich entfernen. Gleich
19574 darauf wandte er sich jedoch zur
ück und sagte mit einem
19575 fragenden Blick:
»Verzeihen Sie, ich irre mich doch wohl
19576 nicht, sind Sie nicht der Herr von Saltner?
«</p>
19577 <p>»Mein Name ist Saltner.
«</p>
19578 <p>»Dann nehmen Sie
’s nicht
übel, wenn ich mir
19579 einen Rat erlaube
– Sie sind ja doch auf dem Mars gewesen,
19580 und da mu
ß wohl irgend etwas passiert sein
–, nehmen
19581 Sie sich nur vor dem O
ß in acht, ich wei
ß, da
ß
19582 der sich schon mehrfach erkundigt hat, ob Sie nicht hier sind
19583 – der mu
ß irgend etwas gegen Sie haben. Lassen Sie sich
19584 lieber nicht hier sehen, es kann ja nur ein paar Tage dauern, bis
19585 der Mann abgesetzt ist.
« Und vertraulicher fuhr er fort:
19586 »Sie haben ja vollst
ändig recht, ich wei
ß,
19587 da
ß diese Bekanntmachung zu Unrecht besteht und der O
ß
19588 den Erdkoller hat
– ich bin n
ämlich der Doktor
19589 Schauthaler.
«</p>
19590 <p>»Ach, jawohl
«, sagte Saltner,
»ich erinnere
19591 mich jetzt sehr wohl, entschuldigen Sie, da
ß ich Sie nicht
19592 gleich erkannte.
«</p>
19593 <p>»Bitte sehr. Nun also, solche Ausschreitung wird ja
19594 rektifiziert werden. Aber lassen wir uns dadurch zu irgendeiner
19595 eigenm
ächtigen Handlung hinrei
ßen, so w
ürde uns das
19596 trotzdem sehr schlecht bekommen. Deswegen versuch ich mein
19597 M
öglichstes, unsre Mitb
ürger zu beruhigen. Wenn Sie
19598 indessen etwas tun wollen, so bringen Sie sich selbst in
19599 Sicherheit, bis der Mann hier keine Gewalt mehr hat; vorl
äufig
19600 hat er sie nun einmal, und Sie sind dagegen ohnm
ächtig. Sie
19601 sind ja doch mit dem Herrn Kultor befreundet, reisen Sie sofort zu
19602 ihm
– in zehn Minuten kommt der Blitzzug von Venedig
–,
19603 das Luftschiff d
ürfen Sie jetzt nicht benutzen
– aber
19604 auch so sind Sie morgen in Berlin
–«</p>
19605 <p>»Ich danke Ihnen sehr f
ür den Rat, Herr Doktor, nur
19606 kann ich ihn leider nicht sogleich befolgen. Ich habe hier
19607 zun
ächst unaufschiebbare Gesch
äfte
–. Aber ich
19608 werde dann
–«</p>
19609 <p>»Dann, Herr von Saltner, dann? Sie wissen nicht, ob Sie
19610 dann noch ein freier Mann sind
–«</p>
19611 <p>»Das wollen wir doch sehen! Da k
önnen Sie ganz
19612 unbesorgt sein!
«</p>
19613 <p>»Was n
ützt es Ihnen, wenn der O
ß in ein paar
19614 Tagen vor das Disziplinargericht gestellt wird, und Sie sind
19615 inzwischen irgendwie verungl
ückt?
«</p>
19616 <p>»Ich verungl
ücke nicht so leicht. Aber was will denn
19617 der Mann von mir?
«</p>
19618 <p>»Ich wei
ß es nicht. Ich wei
ß nur privatim
19619 durch den Bezirkshauptmann, da
ß Sie gesucht werden, aber
19620 amtlich ist es nicht. Es mu
ß irgend etwas sein, wor
über
19621 der O
ß vorl
äufig nicht reden will.
«</p>
19622 <p>Saltner runzelte die Stirn.
</p>
19623 <p>»Nun, wie gesagt, ich danke Ihnen und will mich vorsehen.
19624 Jetzt entschuldigen Sie mich, ich darf nicht l
änger
19625 z
ögern.
«</p>
19626 <p>Er schritt eilend durch die Stra
ßen der Stadt, ohne auf
19627 die Umgebung zu achten. Was konnte dieser O
ß von ihm wollen?
19628 Wo hatte er ihn gesehen? O
ß war ja der Name des Kapit
äns
19629 gewesen, auf dessen Raumschiff
›Meteor
‹ Saltner die
19630 Reise nach dem Mars gemacht hatte, und dann war er ihm manchmal in
19631 Frus Haus begegnet. Sollte es derselbe sein? Er hatte sich mit ihm
19632 ganz gut unterhalten, und der t
üchtige, wenngleich etwas
19633 selbstbewu
ßte Mann war mit La und Se immer sehr vertraut
19634 gewesen. Mit Se? Sein Gewissen schlug ihm. Das war das einzige, was
19635 er sich hatte zuschulden kommen lassen, die Belauschung der
19636 Schie
ßversuche und die Flucht aus dem als Ziel dienenden
19637 Schiff. Aber dann h
ätte ihn Se verraten m
üssen, das war
19638 unm
öglich, ganz unm
öglich.
</p>
19639 <p>Saltner hatte die Stadt durchschritten und betrat die
19640 Br
ücke, welche
über die Talfer f
ührt. Dr
üben,
19641 jenseits des Flusses, wohnte seine Mutter. Sie war diesmal schon
19642 fr
üher als sonst von dem kleinen H
äuschen, das sie oben
19643 in den Bergen besa
ß, in die Stadt herabgezogen, er selbst
19644 hatte noch den Umzug mit ihr besorgt und war dann auf eine
19645 Studienreise gegangen. Was war nun geschehen?
</p>
19646 <p>Es fiel ihm auf, wie leer die Br
ücke war, auf der sonst um
19647 diese Zeit, gegen Abend, ein reger Verkehr herrschte. Als er die
19648 Mitte
überschritten hatte, blieb er stehen und wandte sich
19649 nach alter Gewohnheit r
ückw
ärts, um einen Blick auf das
19650 entz
ückende Panorama zu werfen. Freudig hing sein Auge,
19651 über die altert
ümlichen Giebel der Stadt wegschweifend,
19652 an den r
ötlich schimmernden Zacken und Zinnen der Dolomiten,
19653 die der Rosengarten k
ühn in die Luft streckte, und seine Seele
19654 schwebte
über den freien H
öhen. Aber er durfte nicht
19655 lange weilen. Die Sorge um die Mutter trieb ihn vorw
ärts.
</p>
19656 <p>Wenige Schritte hatte er zur
ückgelegt, als ihm einige Leute
19657 entgegenkamen, die eilend an ihm vor
über der Stadt zuschritten
19658 und ihn durch Winke zur Umkehr aufforderten. Er achtete nicht
19659 darauf, sondern richtete seine Aufmerksamkeit auf einen seltsamen
19660 Aufzug, der jetzt aus den Talfer-Anlagen herauskommend die
19661 Br
ücke betrat. Eine Anzahl Neugierige, halbw
üchsige
19662 Jungen, liefen voran, hielten sich aber immer in respektvoller
19663 Entfernung. Dann folgte auf einem Akkumulator- Dreirad ein Martier
19664 mit seinem diabarischen Glockenhelm, ein riesiger Bed oder
19665 W
üstenbewohner, der hier
ähnliche Dienste verrichtete wie
19666 die Kawassen der Konsuln in der T
ürkei. Er schwang ein langes
19667 Rohr mit einem F
ähnchen in der Hand, womit er die Begegnenden
19668 bedeutete, schleunigst zur Seite zu weichen. Darauf folgte ein
19669 vierr
ädriger elektrischer Wagen, auf dessen Polster in
19670 bequemer Stellung der Instruktor und zur Zeit Tyrann von Bozen, der
19671 Nume O
ß, ruhte, ebenfalls von dem Glockenhelm gegen die
19672 Erdschwere gesch
ützt. Den Beschlu
ß bildete wieder ein
19673 Bed auf seinem Dreirad.
</p>
19674 <p>Saltner erkannte auf den ersten Blick, da
ß er wirklich
19675 seinen alten Bekannten, den ehemaligen Kapit
än des Raumschiffs
19676 ›Meteor
‹, vor sich hatte. Er trat zur Seite in die
19677 halbkreisf
örmige Ausbuchtung eines Br
ückenpfeilers, um
19678 den Zug an sich vor
überzulassen. Dem voranfahrenden Bed
19679 erschien jedoch die Entfernung noch nicht gen
ügend, er winkte
19680 mit seiner Fahne und rief sein eint
öniges:
»Entfernt
19681 euch!
« Saltner blieb ruhig stehen. Er streckte den linken Arm
19682 gegen den Bed aus und wandte ihm die Handfl
äche mit
19683 gespreizten Fingern zu. Der Bed stutzte. Das war ein nur bei den
19684 Numen gebr
äuchliches Zeichen und bedeutete ungef
ähr
19685 soviel als:
»Dein Auftrag geht mich nichts an, ich besitze
19686 eine weitergehende Vollmacht.
« Dann rief er ihm auf martisch
19687 in entschiedenem Ton zu:
»Fahr zu, ich bin ein alter Freund
19688 deines Herrn.
«</p>
19689 <p>Der Bed wu
ßte nicht recht, was er davon denken sollte,
19690 lie
ß sich jedoch in der Meinung, es vielleicht mit einem
19691 Numen zu tun zu haben, einsch
üchtern und fuhr weiter. Saltner,
19692 den sein Stolz verhindert hatte, sich fortweisen zu lassen, wollte
19693 doch lieber die Begegnung mit O
ß vermeiden und blickte
19694 über das Gel
änder der Br
ücke in die Landschaft,
19695 indem er dem Wagen den R
ücken zukehrte. O
ß dagegen
19696 hemmte den Wagen und herrschte Saltner an:
</p>
19697 <p>»Kann der Bat nicht gr
üßen!
«</p>
19698 <p>Saltner trat jetzt ohne weiteres auf den Wagen von O
ß zu,
19699 gr
üßte h
öflich nach martischer Sitte und sagte,
19700 ebenfalls martisch sprechend, ganz unbefangen:
</p>
19701 <p>»Es freut mich sehr, einem alten Bekannten zu begegnen.
19702 Wie geht es Ihnen, O
ß?
«</p>
19703 <p>Dabei sah er ihn, die Augen soweit wie m
öglich
19704 aufrei
ßend, unverwandt an.
</p>
19705 <p>O
ß hatte Saltner sofort erkannt. In seinen Augen blitzte
19706 es unheimlich, indem er seinen Blick auf Saltner richtete, als ob
19707 er ihn niederschmettern wolle. Aber Saltner kannte die Augen der
19708 Nume. Dieses unruhige Funkeln war nicht der reine Blick des Numen,
19709 aus dem der sittliche Wille sprach, er war getr
übt von etwas
19710 Krankhaftem, Selbstischem und besa
ß nicht mehr die Kraft, den
19711 des Rechts sich bewu
ßten Menschenwillen zu beugen. Er hielt
19712 den Blick aus, w
ährend O
ß in hochm
ütigen Worten ihn
19714 <p>»Was f
ällt dem Bat ein? Wer sind Sie? Wissen Sie
19715 nicht, da
ß Sie sich sechs Schritt entfernt zu halten und
19716 überhaupt nicht mit mir zu reden haben? Entfernen Sie sich
19717 sofort, oder
–«</p>
19718 <p>Er griff nach dem Telelytrevolver in seiner Tasche.
</p>
19719 <p>Saltner trat jede Bewegung von O
ß genau im Auge behaltend,
19720 vorl
äufig einen Schritt zur
ück und sagte laut, jetzt auf
19721 deutsch, von dem er wu
ßte, da
ß O
ß, wie jeder
19722 Instruktor im deutschen Sprachgebiet, es verstand, so laut,
19723 da
ß es bis zu den Neugierigen vor und hinter dem Zug
19725 <p>»Sie scheinen mich nicht mehr kennen zu wollen. Gestatten
19726 Sie, da
ß ich Ihrem Ged
ächtnis nachhelfe. Mein Name ist
19727 Josef Saltner, Ehrengast der Marsstaaten auf Beschlu
ß des
19728 Zentralrats mit allen Rechten des Numen, und hier ist mein
19729 Pa
ß, lautend auf zwei Marsjahre, unterzeichnet von Ill, zur
19730 Zeit Protektor der Erde. Bitte, mit dem geh
örigen Respekt zu
19731 betrachten.
«</p>
19732 <p>Er zog aus seiner Tasche das nach Art der Marsb
ücher an
19733 einem Griff befindliche T
äfelchen und lie
ß es
19735 <p>»Der Pa
ß ist noch nicht abgelaufen
«, sagte er
19736 darauf leiser,
»ich denke, Sie lassen jetzt das Ding stecken.
19737 Erkennen Sie mich nun wieder?
«</p>
19738 <p>Dabei trat er unmittelbar an den Wagen heran. Er sah, welche
19739 Überwindung es O
ß kostete, sich zu bezwingen, aber
19740 diesem Dokument gegen
über blieb ihm kein anderer Ausweg.
19741 O
ß versuchte jetzt m
öglichst unbefangen zu l
ächeln
19743 <p>»Ach, Sie sind Sal
– entschuldigen Sie, da
ß
19744 ich Sie nicht gleich erkannte. Das ist etwas anderes. Es freut mich
19745 sehr, Sie zu sehen. Aber warum beehren Sie mich nicht in meinem
19746 Haus? Hier auf der Stra
ße bin ich gezwungen, sehr vorsichtig
19747 zu sein, Sie werden ja wissen
–«</p>
19748 <p>»Die Begegnung
überraschte mich, entschuldigen Sie
19749 daher diese formlose Begr
üßung auf der Stra
ße. Ich
19750 konnte nicht annehmen, da
ß der Unterzeichner jener Verordnung
19751 identisch sei mit dem O
ß, den ich
–«</p>
19752 <p>»Herr, Sie sprechen in einem Ton, den ich
19753 zur
ückweise.
«</p>
19754 <p>»Das n
ützt Ihnen nichts. Sie wissen so gut wie ich,
19755 da
ß derartigen Befehlen niemand Folge zu leisten
19756 braucht.
«</p>
19757 <p>»Ich verbitte mir alle Einmischung in meine
19758 Angelegenheiten. Ich bin hier der alleinige Befehlshaber und werde
19759 Ihren Widerspruch b
ändigen. Wenn Sie auch durch Ihren
19760 Pa
ß dagegen gesch
ützt sind, von meiner bisherigen
19761 Verordnung getroffen zu werden, so hindert mich doch nichts,
19762 über Sie selbst einen speziellen Befehl auszusprechen, so
19763 lange Sie sich in dem mir unterstellten Bezirk befinden. Merken Sie
19764 sich das. Ich habe Sie im Verdacht, gegen amtliche Anordnungen
19765 aufzuwiegeln. Sie werden sich deshalb noch heute zu verantworten
19767 <p>Ohne Saltner Zeit zu einer Antwort zu lassen, hatte O
ß
19768 bereits seinen Wagen in Gang gesetzt und fuhr davon. Saltner
19769 blickte ihm sp
öttisch nach und schritt dann eilig weiter.
19770 Wenige Minuten sp
äter stand er vor dem Haus seiner Mutter. Es
19771 war ein altes, nicht gro
ßes Haus. Im unteren Stockwerk wohnte
19772 Frau Saltner mit ihrer Bedienung, einer
älteren Frau. Das
19773 obere wurde im Winter an Kurg
äste vermietet, war aber jetzt
19774 noch unbesetzt. Saltner hatte den Hausflur schnell durchschritten
19775 und die T
ür des Wohnzimmers ge
öffnet. Es war leer. Der
19776 Platz an dem nach dem Garten sich
öffnenden Fenster, an dem
19777 seine Mutter den gr
ößten Teil des Tages zu sitzen
19778 pflegte, war unbesetzt. Saltner erschrak. Sollte sie krank sein und
19779 zu Bett liegen? Er schaute vorsichtig, um nicht zu st
ören, in
19780 das Schlafzimmer, aber auch hier war niemand. Besorgt durchsuchte
19781 er nun das ganze Haus, weder seine Mutter noch ihre alte Magd und
19782 Gehilfin, die Kathrin, waren zu finden. Aber auch der Karo, der
19783 Hund, war nicht da, der sonst jeden Kommenden durch sein Gebell
19784 anmeldete und ihm sicher zuerst entgegengesprungen w
äre.
19785 W
ären die Frauen beide ausgegangen, so h
ätten sie
19786 gewi
ß das Haus verschlossen. Doch vielleicht waren sie nur
19787 auf einen Augenblick in den Garten gegangen. Eben wollte sich
19788 Saltner Gewi
ßheit holen, als sich die Hintert
ür des
19789 Hauses
öffnete und die Kathrin hereintrat. Der Korb mit Obst,
19790 den sie trug, entfiel fast ihren H
änden, so schnell setzte sie
19791 ihn zu Boden, als sie Saltner erblickte.
</p>
19792 <p>»Gelobt sei die heilige Jungfrau!
« rief sie aus.
19793 »Da ist ja der Herr Josef.
«</p>
19794 <p>»Gr
üß Gott, Kathrin
«, sagte Saltner.
19795 »Wo ist denn die Mutter? Es fehlt ihr doch nichts?
«</p>
19796 <p>Die Dienerin brach sogleich in einen Tr
änenstrom aus.
</p>
19797 <p>»Sie haben sie ja, sie haben sie ja!
« rief sie unter
19799 <p>»Was haben sie denn? So reden Sie doch schon! Kommen Sie
19800 hier herein, Kathrin, und reden Sie vern
ünftig.
«</p>
19801 <p>Die Frau trat in das Zimmer, aber aus ihrem von Weinen
19802 unterbrochenen Redeschwall konnte Saltner zun
ächst nichts
19803 verstehen als unzusammenh
ängende Worte, wie
»mit dem
19804 Karo hat
’s angefangen
«,
»in den Arm wollen sie
19805 stechen
«,
»den Hund haben
’s genommen
«,
19806 »mich wollen
’s auch impfen
«,
»sie haben
19807 sie
«,
»im Laboratorium
« und
»wenn sie der
19808 Herr Josef nicht schnell herausholt, so werden sie sie doch noch
19809 braten
« und
»f
ünfhundert Gulden sollt
’ sie
19810 zahlen
«. Endlich beruhigte sie sich soweit, da
ß Saltner
19811 über den Zusammenhang allm
ählich klar wurde.
</p>
19812 <p>»Mit dem Karo hat
’s angefangen.
« Die Hunde
19813 waren den Numen ein Greuel. War ihnen schon die Ber
ührung mit
19814 Tieren
überhaupt ein Zeichen der Barbarei, so waren ihnen die
19815 Hunde wegen ihres ekelhaften Treibens auf der Stra
ße und
19816 ihres abscheulichen Gekl
äffs ganz besonders verha
ßt. Sie
19817 machten ihnen den Aufenthalt auf der Erde um so unleidlicher, als
19818 sie auch ihrerseits gegen die Martier eine besondere Abneigung zu
19819 haben schienen und sie
überall mit ihrem Gebell verfolgten. Es
19820 waren deswegen schon
überall einschr
änkende Bestimmungen
19821 über das Herumtreiben der Hunde auf der Stra
ße ergangen.
19822 O
ß aber hatte kurzen Proze
ß gemacht, nachdem er einmal
19823 von einem Hund angefallen worden war, und die T
ötung aller
19824 Hunde befohlen. Dies war kurz nach Saltners Abreise geschehen, und
19825 das erste Zeichen der bei O
ß im Ausbruch begriffenen
19826 nerv
ösen
Überreizung gewesen. Die Polizeimannschaften
19827 f
ührten den Befehl m
öglichst langsam und absichtlich
19828 ungeschickt aus und wu
ßten es so einzurichten, da
ß
19829 viele ihre Lieblinge rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten. Das
19830 Haus von Frau Saltner hatte sich aber O
ß einmal zeigen lassen
19831 und dabei den Hund bemerkt, ja, er hatte dann gefragt, ob denn das
19832 Vieh noch nicht totgeschossen sei. So mu
ßte der arme Karo als
19833 ein Opfer zur Zivilisation der Menschheit fallen. Das hatte nun die
19834 Frauen, die innigst an dem Hund hingen, in gr
ößte
19835 Aufregung versetzt. Frau Saltner war ganz melancholisch geworden
19836 und wurde von einer krankhaften
Ängstlichkeit ergriffen,
19837 sobald jemand in das Haus trat.
</p>
19838 <p>Nun war die Verordnung
über das Impfen gekommen.
19839 Ungl
ücklicherweise war ihr Stra
ßenviertel das erste
19840 gewesen, in welchem die Impfung vollzogen wurde. Sie stellte sich
19841 dies als eine f
ürchterliche Operation vor und schickte zu
19842 einem Freund Saltners, um sich Rat zu holen, was sie tun solle.
19843 Alle seine Vorstellungen waren vergebens, sie lie
ß sich nicht
19844 bereden, ebensowenig wie Kathrin, zu dem Termin zu gehen, und der
19845 Freund wu
ßte nichts Besseres zu tun, als an Saltner zu
19846 telegraphieren. Inzwischen war der Termin verfallen, und Frau
19847 Saltner wie ihre Dienerin wurden zu je f
ünfhundert Gulden
19848 Strafe verurteilt. Nun gab es erst recht ein gro
ßes
19849 Wehklagen, das Geld war, zumal in Saltners Abwesenheit, nicht zur
19850 Stelle zu schaffen, und die beiden Frauen sollten in das
19851 psychophysische Laboratorium zur Abb
üßung der Strafe und
19852 zur Vollziehung der Impfung abgeholt werden.
</p>
19853 <p>Die Beamten, welche die Anordnungen des Instruktors nur
19854 widerwillig vollzogen, h
ätten es gern gesehen, wenn die Frauen
19855 sich auf irgendeine Weise unsichtbar gemacht h
ätten. Und als
19856 sie endlich in das Haus traten, hatte sich auch Kathrin versteckt
19857 und war nicht zu finden. Frau Saltner aber sa
ß auf ihrem
19858 Platz und sagte nur:
»Ich bin eine alte Frau und geh nicht
19859 eher hier fort, bis mein Sohn kommt. Ihr k
önnt machen, was ihr
19861 <p>Da sie keine andre Antwort erhielten und gegen die alte Frau,
19862 noch dazu die Mutter eines in der ganzen Umgegend gekannten und
19863 beliebten Mannes, keine Gewalt brauchen wollten, entfernten sie
19864 sich wieder und brachten irgendeine Entschuldigung vor. Es war
19865 aber, als ob der Instruktor alles heraussuchte, womit er Saltner
19866 Kr
änkungen bereiten konnte, so da
ß er sich
19867 pers
önlich um die Einzelheiten k
ümmerte, wenn Saltner in
19868 Frage kam. Er schickte einen der Assistenten des Laboratoriums,
19869 einen jungen Nume, der hier seine Studien machte, mit seinen beiden
19870 Beds ab, und Frau Saltner wurde in einem Krankenstuhl in das
19871 Laboratorium geschafft.
</p>
19872 <p>»Sie haben es gewagt, diese Schufte?
« rief Saltner
19874 <p>»Eine fast siebzigj
ährige Frau! Und das nennt sich
19875 Nume! Und was hat denn die Mutter gesagt?
«</p>
19876 <p>»Gar nichts hat sie gesagt
«, antwortete Kathrin
19877 unter neuem Schluchzen,
»als nur immer, mein Josef, mein
19878 armer Josef, und, ich
überleb
’s nimmer, und geweint hat
19879 sie, aber gesagt hat sie nichts mehr.
«</p>
19880 <p>Saltner stand stumm und
überlegte, was zu tun sei. Die
19881 Tr
änen traten ihm in die Augen, wenn er an die Angst dachte,
19882 die seine Mutter ausstand. Er wu
ßte ja, da
ß ihr
19883 tats
ächlich nichts geschehe, da
ß man sie als eine Kranke
19884 behandeln w
ürde und sie vielleicht sicherer aufgehoben sei als
19885 zu Hause. Denn wenn auch O
ß unzurechnungsf
ähig war, der
19886 Leiter des Laboratoriums war ein Arzt, ein wohlwollender Mann, der
19887 seine Aufgabe ernst im Sinn von Ell nahm, und die Strafanstalt, als
19888 welche das Laboratorium diente, mit R
ücksicht auf jeden
19889 individuellen Fall leitete. Aber die Angst, die Furcht, die
19890 Vorstellungen, die sich seine Mutter machen mochte, und die
19891 Kr
änkung! Das konnte wirklich ihr Tod sein. Nicht eine Stunde
19892 l
änger wollte er sie in dieser Besorgnis allein lassen, er
19893 mu
ßte sie herausholen.
</p>
19894 <p>Kathrin begann aufs neue zu jammern.
</p>
19895 <p>»Ist es denn wahr, Herr Josef, im Laboratorium, da
ß
19896 die Leute da gebraten werden
–«</p>
19897 <p>»Reden Sie nicht so dummes Zeug, Kathrin, gar nichts
19898 geschieht ihnen, als da
ß sie ein bi
ßchen beobachtet
19899 werden, wie der Puls geht, wenn sie so oder so liegen, oder wenn
19900 sie kopfrechnen
–«</p>
19901 <p>»Kopfrechnen, Jesus Maria, das k
önnt
’ ich nun
19902 schon gar nicht.
«</p>
19903 <p>»Jedenfalls seien Sie still, und h
ören Sie, was ich
19904 sage, aber passen Sie genau auf. Ich werde jetzt gleich die Mutter
19906 <p>»Ach Herr Josef, Sie werden sich doch nicht dahin
19908 <p>Aber Saltner sprach nicht sogleich weiter. Er ging im Zimmer auf
19909 und ab, w
ährend Kathrin lamentierte, und dachte seinen
19910 Entschlu
ß genau durch. Er dachte an die Warnung Schauthalers
19911 und an die Begegnung mit O
ß und sagte sich, da
ß er
19912 selbst keinen Augenblick sicher sei. Aber die Mutter durfte er
19913 nicht ohne die gr
ößte Gefahr f
ür ihre Gesundheit
19914 l
änger in ihrer Angst und Einsamkeit lassen. Er mu
ßte
19915 sie und zugleich sich in Sicherheit bringen. Er war in Sicherheit,
19916 sobald er das Gebiet verlassen hatte, das O
ß unterstellt war.
19917 Die Instruktoren der Nachbargebiete w
ürden solchen
19918 ungesetzlichen Forderungen nicht nachgeben, au
ßerdem konnte
19919 er sich auch einige Zeit im verborgenen halten. Er mu
ßte sich
19920 nur h
üten, etwas zu tun, was von der Oberbeh
örde der Nume
19921 aus verboten war, denn dadurch h
ätte er sich auf der ganzen
19922 Erde der Verfolgung ausgesetzt. Sonst aber kam es allein darauf an,
19923 den Bezirk von O
ß zu vermeiden, bis dieser abgesetzt war.
19924 Dieser Bezirk erstreckte sich
über das westliche
19925 S
üdtirol, fiel aber nicht mit der
österreichischen
19926 Landesgrenze zusammen, sondern reichte nur bis an die Grenzen des
19927 deutschen Sprachgebiets. Diese lief in wenigen Stunden Entfernung
19928 im Westen, S
üden und Osten
über die Berge. Dahinter war
19929 italienisches Sprachgebiet, das einem Kultor in Rom unterstand.
19930 Über diese Grenze mu
ßte er zun
ächst und auf der
19932 <p>Saltner ging an die Haust
ür, die er verschlo
ß, ebenso
19933 verschlo
ß er, soweit dies Kathrin nicht schon getan hatte,
19934 die Fensterl
äden. Aus einer Kassette in seinem Schreibtisch
19935 nahm er Papiere, die er zu sich steckte. Dann ging er in den Garten
19936 und rief die Dienerin zu sich.
</p>
19937 <p>»Kathrin
«, sagte er,
»nun seien Sie ganz still
19938 und tun Sie genau, was ich sage. Ich werde die Mutter und Sie in
19939 Sicherheit bringen, aber wenn Sie nicht genau alles tun, kommen Sie
19940 doch noch ins Laboratorium. Schon gut! Jetzt gehen Sie
– aber
19941 hier hinten zum Garten hinaus
– zum Rieser und sagen ihm, er
19942 m
öchte sogleich einspannen und mit dem Wagen hinten am Tor,
19943 wo
’s nach der Meraner Stra
ße geht, warten. In einer
19944 halben Stunde ist
’s dunkel, dann komme ich. Es w
äre aber
19945 eine wichtige und geheime Sache, er wird sich
’s schon denken.
19946 Dann laufen Sie schnell
– ist der Palaoro zu Haus, der Sohn,
19947 mein ich?
«</p>
19948 <p>»Er wird schon zu Haus sein. Es gibt jetzt wenig
19950 <p>»Er soll mit zwei zuverl
ässigen Leuten und zwei
19951 Maultieren mit Frauens
ätteln sogleich nach Andrian aufbrechen,
19952 und wenn ich noch nicht da bin, mich dort erwarten. Er soll auch
19953 den Schl
üssel zur kleinen H
ütte mitnehmen. Dann laufen
19954 Sie gleich wieder nach Hause, aber von hinten herein, und nehmen
19955 die Decken und etwas Zeug f
ür die Mutter und f
ür sich,
19956 aber nur ein kleines B
ündel
– etwas zu essen soll der
19957 Rieser besorgen
–, und kommen wieder zum Rieser, wo der Wagen
19958 h
ält. Und das weitere wird sich finden. Haben Sie alles
19959 verstanden?
«</p>
19960 <p>»Ganz genau, Herr Josef, ich laufe bald.
«</p>
19961 <h2>49 - Die Flucht in die Berge
</h2>
19962 <p>Saltner verlie
ß durch die Hintert
ür des Gartens seine
19963 Wohnung. In wenigen Minuten stand er vor der Kaserne, die jetzt den
19964 Martiern als Laboratorium, Schule und Strafanstalt diente. Er trat
19965 in das Wartezimmer und verlangte den dirigierenden Arzt oder dessen
19966 Stellvertreter zu sprechen.
</p>
19967 <p>Beide hatten bereits die Anstalt verlassen und sich in die Stadt
19968 begeben. Der zweite Assistent, ein ganz junger Mann, der erst vor
19969 kurzem vom Mars gekommen war, empfing ihn. Saltner stellte sich vor
19970 und legitimierte sich durch seinen Pa
ß. Der junge Nume wurde
19971 au
ßerordentlich h
öflich und etwas verlegen. Er sagte
19972 sogleich:
»Sie kommen gewi
ß wegen Ihrer Frau Mutter.
19973 Ich mu
ß gestehen, ich wei
ß nicht recht, wie es
19974 zusammenh
ängt, da
ß Ihre Frau Mutter hier festgehalten
19975 wird, wir wissen ja doch alle, mit welchen Ehren Sie als der erste
19976 Bat auf dem Nu empfangen wurden
– aber es liegt ein
19977 ausdr
ücklicher Befehl des Instruktors vor.
«</p>
19978 <p>»Das h
ängt einfach so zusammen
«, sagte Saltner,
19979 »da
ß ich verreist war und meine Mutter mit den
19980 Verh
ältnissen nicht Bescheid wu
ßte, auch w
ährend
19981 meiner Abwesenheit nicht
über die Mittel verf
ügte, die
19982 geforderte Geldstrafe wegen des vers
äumten Termins zu
19983 bezahlen. Ich komme jetzt, um meine Mutter abzuholen, und deponiere
19984 hier Obligationen im Betrag von tausend Gulden f
ür meine
19985 Mutter und unsere Dienerin Katharina Wackner, mit dem Vorbehalt,
19986 die G
ültigkeit der Verordnung auf dem Rechtswege zu
19987 bestreiten. Wollen Sie die G
üte haben, meine Mutter holen zu
19989 <p>»Ich bin sehr gern bereit, Sie zu Ihrer Frau Mutter zu
19990 f
ühren, aber das Geld kann ich nicht annehmen, Sie m
üssen
19991 dasselbe auf der Bezirkskasse deponieren, auf den erhaltenen Schein
19992 wird die Entlassung verf
ügt werden. Ich bin dazu nicht
19993 erm
ächtigt.
«</p>
19994 <p>»Das ist aber
äu
ßerst fatal. Ich kann meine
19995 Mutter keinen Augenblick l
änger hier lassen, sie wird dadurch
19996 im h
öchsten Grade deprimiert, und es steht f
ür ihre
19997 Gesundheit das Schlimmste zu bef
ürchten.
«</p>
19998 <p>»Ich mu
ß zugeben, es w
äre sehr
19999 w
ünschenswert, da
ß Ihre Frau Mutter zu Ihnen k
äme
20000 – unsrerseits w
ürden wir ja gern sofort
–, wenn
20001 nicht
–« Er zuckte mit einem bedeutungsvollen Blick die
20002 Achseln.
»Indessen, es wird sie beruhigen, wenn ich Sie
20003 inzwischen zu ihr f
ühre. Ich m
öchte Ihnen gern in jeder
20004 Hinsicht gef
ällig sein und Ihnen daher folgendes vorschlagen.
20005 Um zehn Uhr kommt der Direktor zur
ück, es sind dann noch
20006 einige Schlaf- und Traumversuche anzustellen. Inzwischen fahre ich
20007 mit dem Geld nach der Kasse, vielleicht treffe ich noch einen
20008 Beamten, ich besorge Ihnen den Schein, und darauf wird der Direktor
20009 die Entlassung verf
ügen.
«</p>
20010 <p>»Sie sind au
ßerordentlich liebensw
ürdig
«,
20011 sagte Saltner.
»Es ist nur fraglich, ob es nicht schon zu
20012 sp
ät am Tage ist
– wollen Sie mir nicht auf Ihre
20013 Verantwortung meine Mutter anvertrauen?
«</p>
20014 <p>»Das ist mir ganz unm
öglich, so gern ich
20015 m
öchte.
«</p>
20016 <p>»Nun
«, sagte Saltner mit einem Gesicht, das wenig
20017 Freude verriet,
»dann bleibt mir nichts anderes
übrig,
20018 als ihr freund- liches Anerbieten anzunehmen.
«</p>
20019 <p>»Sehr gern. Sobald ich Sie zu Ihrer Mutter gebracht habe,
20020 fahre ich, und in einer halben Stunde bin ich wieder
20022 <p>Saltner war in verzweifelter Stimmung. Er konnte das Anerbieten
20023 des Numen nicht ablehnen, aber er konnte auch unm
öglich diese
20024 Entwicklung der Angelegenheit abwarten. Denn abgesehen davon,
20025 da
ß sich heute vielleicht
überhaupt nichts mehr
20026 erreichen lie
ß, so mu
ßten doch noch gegen zwei Stunden
20027 vergehen, ehe die Entlassung vom Direktor zu erhalten war. Das war
20028 f
ür Saltner so gut als die Vereitelung seiner Rettung. Denn
20029 selbst wenn, was keineswegs ausgeschlossen war, O
ß von der
20030 Zahlung nichts erfuhr, so mu
ßte doch Saltner mit
20031 Gewi
ßheit annehmen, da
ß noch in dieser Stunde O
ß
20032 seine Drohung ausf
ühren und ihn pers
önlich zur
20033 Rechenschaft ziehen w
ürde. Vermutlich war sein Haus jetzt
20034 schon besetzt; wenn er nicht zur
ückkehrte, so w
ürde man
20035 ihn sicher bei seiner Mutter suchen; er konnte jeden Augenblick
20036 erwarten, da
ß man ihn auf Grund einer besonderen Order, die
20037 der Instruktor durchsetzen w
ürde, hier verhaften werde. Jede
20038 Minute war ihm kostbar. Das ging ihm durch den Kopf, w
ährend
20039 er mit dem Assistenten durch die Korridore nach dem Zimmer seiner
20040 Mutter schritt.
</p>
20041 <p>Der Nume blieb vor einer T
ür stehen.
</p>
20042 <p>»Hier ist es
«, sagte er,
»gehen Sie allein
20043 hinein. Ich will inzwischen in Ihrem Interesse eilen.
«</p>
20044 <p>Saltner scho
ß ein Gedanke durch den Kopf.
</p>
20045 <p>»Gestatten Sie noch eine Frage
«, sagte er.
20046 »Wer vertritt Sie in Ihrer Abwesenheit von hier?
«</p>
20047 <p>»Dr. Frank, der fr
ühere Stabsarzt.
«</p>
20048 <p>»Ich kenne ihn. Ich m
öchte mit ihm
über meine
20049 Mutter sprechen; w
ürden Sie die G
üte haben, ihm sagen zu
20050 lassen, da
ß er sich hierher bem
ühe?
«</p>
20051 <p>»Sehr gern.
« Der Nume verabschiedete sich.
</p>
20052 <p>Saltner blieb kurze Zeit pochenden Herzens vor der T
ür
20054 <p>Leise klopfte er an. Es erfolgte keine Antwort. Er
öffnete
20055 die T
ür ger
äuschlos und trat in das Zimmer. Es war fast
20056 dunkel, nur ein letzter Schein der D
ämmerung lie
ß noch
20057 einen unsichern
Überblick zu.
Über einem Betstuhl in der
20058 Ecke brannte eine ewige Lampe. Davor kniete Frau Saltner, in
20059 inbr
ünstigem Gebet begriffen. Er h
örte sie leise Worte
20061 <p>Saltner wagte kaum zu atmen. Seine Augen f
üllten sich mit
20062 Tr
änen. Und doch hing vielleicht alles an einer Minute.
</p>
20063 <p>»Mutter
«, sagte er leise.
</p>
20064 <p>Ihre Lippen verstummten. Ihr Blick richtete sich wie
20065 verz
ückt nach oben.
</p>
20066 <p>»Mutter
«, wiederholte er.
»ich bin
’s,
20067 der Josef.
«</p>
20068 <p>Sie blieb in ihrer Stellung, als f
ürchtete sie, durch eine
20069 Bewegung die Erscheinung zu verscheuchen.
</p>
20070 <p>»Es ist seine Stimme
«, fl
üsterte sie.
20071 »Die heilige Jungfrau hat mein Gebet erh
ört.
«</p>
20072 <p>Er kniete neben ihr nieder und umschlang sie mit seinem Arm.
20073 Jetzt erst wandte sie ihm das Gesicht zu. Mit einem Freudenschrei
20074 fiel sie ihm um den Hals.
</p>
20075 <p>»Steh auf, Mutter
«, sagte er,
»und komm
20076 schnell, ich bin hier, um dich abzuholen. Wir m
üssen sogleich
20078 <p>Er zog sie empor. Sie k
üßte ihn z
ärtlich. Sie
20079 sprach kein Wort. Nun er da war, nun war es ihr wie
20080 selbstverst
ändlich, da
ß sie fortgehen konnte. Sie suchte
20081 ihre Sachen zusammen.
</p>
20082 <p>»La
ß nur alles liegen
«, sagte er,
»es
20083 wird alles geholt werden. Nur dein Tuch nimm um, es wird k
ühl.
20084 So, nun komm!
«</p>
20085 <p>Ihre Knie zitterten, er mu
ßte sie st
ützen. Langsam
20086 gingen sie zur T
ür und betraten den Korridor.
</p>
20087 <p>Nach wenigen Schritten kam ihnen Doktor Frank entgegen.
</p>
20088 <p>»Guten Abend, Saltner
«, sagte er herzlich.
20089 »Nun werden Sie ja hoffentlich bald die liebe Frau Mutter
20090 wieder haben. Kommen Sie mit mir in mein Zimmer, und essen Sie mit
20091 mir zu Abend, dort k
önnen Sie alles gem
ütlich
20092 abwarten.
«</p>
20093 <p>»Lieber Freund
«, antwortete Saltner,
»ich
20094 danke Ihnen innig, aber ich mu
ß Ihnen eine
Überraschung
20095 bereiten. Ich gehe jetzt mit meiner Mutter sogleich fort. Ich habe
20096 Gr
ünde, weshalb ich nicht warten kann.
«</p>
20097 <p>»Haben Sie denn den Schein und das Attest vom
20098 Direktor?
«</p>
20099 <p>»Nein, das brauche ich nicht, wir gehen so.
«</p>
20100 <p>»Aber ich bitte Sie, bester Freund, das ist
20101 unm
öglich, das darf ich ja leider nicht zulassen
20103 <p>»Sie m
üssen es.
«</p>
20104 <p>»Es geht nicht. Sie bringen mich in Teufels K
üche. Es
20105 geht mir an den Kragen.
«</p>
20106 <p>»Ihnen kann gar nichts passieren. Kennen Sie die
20107 Verordnung von O
ß, wo es hei
ßt:
›Jeder Anordnung
20108 eines Numen, gleichviel, worauf sie sich beziehe, ist ohne
20109 Widerspruch Folge zu leisten
‹, von den Menschen
20110 n
ämlich?
«</p>
20111 <p>»Leider ja, ich kenne den Unsinn, mu
ß mich aber
20112 danach richten.
«</p>
20113 <p>»Nun denn, f
ühren Sie uns in Ihr Zimmer, ich will
20114 Ihnen etwas zeigen.
«</p>
20115 <p>Sie traten in das Sprechzimmer des Arztes.
</p>
20116 <p>»K
önnen Sie martisch lesen?
« fragte
20118 <p>»Ich habe es einigerma
ßen lernen
20119 m
üssen.
«</p>
20120 <p>»Dann sehen Sie sich das an.
« Er zeigte seinen
20122 <p>»Erkennen Sie an, da
ß mir danach alle Rechte eines
20123 Numen ausnahmslos zuerkannt sind?
«</p>
20124 <p>»Ich mu
ß es anerkennen.
«</p>
20125 <p>»Demnach befehle ich Ihnen, meine Mutter und mich sogleich
20126 aus diesem Hause zu entlassen.
«</p>
20127 <p>Der Arzt sah ihn verdutzt an. Dann blinzelten die Augen unter
20128 seiner Brille, und ein vergn
ügtes Schmunzeln ging
über
20129 sein ganzes Gesicht. Endlich lachte er und rieb sich die
20131 <p>»Das ist gut!
« rief er.
»Das nenne ich den
20132 J
äger in seiner eignen Falle gefangen. Ja, wenn Eure Numenheit
20133 befehlen, so mu
ß ein armer Bat ja folgen. Aber um meiner
20134 Sicherheit willen m
öchte ich mir den Befehl doch schriftlich
20135 ausbitten.
«</p>
20136 <p>Er r
ückte Papier und Feder zurecht.
</p>
20137 <p>Saltner schrieb eilig in martischer Sprache:
»Auf Grund
20138 der Verordnung des Instruktors von S
üdtirol vom
18. September
20139 kommt Dr. Frank, in Vertretung des Direktors des Laboratoriums,
20140 meinem Befehl nach, Frau Marie Saltner aus der Anstalt zu
20141 entlassen. Josef Saltner, Ehrenb
ürger der Marsstaaten. Bozen,
20142 am
20. September.
«</p>
20143 <p>Frank verbeugte sich und nahm das Papier in Empfang. Er
20144 sch
üttelte Saltner die Hand und sagte:
»Nun w
ünsche
20145 ich recht gl
ückliche Reise, denn Sie werden sich wohl auf
20146 einige Zeit aus der N
ähe verziehen. Ich begleite Sie bis vors
20148 <p>Langsam stiegen sie die Treppe hinab, denn Frau Saltner fiel das
20149 Gehen noch immer schwer. Da kam ihnen ein Diener eilig
20151 <p>»Herr Doktor
«, rief er,
»eben kommt der
20152 Instruktor vor die T
ür gefahren. Er wird gleich hier
20154 <p>Saltner stand erstarrt. Im letzten Augenblick sollte er
20156 <p>»Haben Sie nicht einen Nebenausgang, durch den Sie uns
20157 f
ühren k
önnen?
« fragte er schnell.
</p>
20158 <p>Frank verstand.
»Kommen Sie
«, sagte er. Und zu dem
20159 Diener:
»Sagen Sie dem Herrn Instruktor, ich w
ürde
20160 sofort zur Stelle sein. Sie sehen, ich bin eben bei einer
20161 Kranken.
«</p>
20162 <p>Damit fa
ßte er Frau Saltner unter den andern Arm, und sie
20163 gingen schnell durch einen Korridor nach einer Nebentreppe und
20164 durch einige Wirtschaftsr
äume in den Hof. Hier f
ührte
20165 eine kleine T
ür auf einen schmalen Weg, der sich hinter dem
20166 Haus zwischen den Weing
ärten hinzog. Schnell schlo
ß
20167 Frank die T
ür hinter Saltner und seiner Mutter zu und eilte
20168 ins Haus zur
ück.
</p>
20169 <p>Jetzt tat Eile not.
</p>
20170 <p>»Wir m
üssen uns eilen, Mutter
«, sagte er,
20171 »damit wir fortkommen, denn in unserm Haus d
ürfen wir
20172 nicht bleiben. Ich habe einen Wagen bestellt, wir wollen
über
20173 die Berge, wo der O
ß nichts mehr zu sagen hat. Ich will dich
20174 deshalb das St
ückchen tragen.
«</p>
20175 <p>»Du wirst es schon recht machen
«, sagte sie.
</p>
20176 <p>Er nahm sie auf den Arm wie ein Kind und schritt rasch und ohne
20177 Beschwerden zwischen den Mauern dahin. Der Weinh
üter kam ihm
20178 entgegen. Als er ihn erkannte, gr
üßte er ehrerbietig und
20179 öffnete ihm die T
üren. So kam er schnell an die Stelle,
20180 wo der Wagen hielt. Kathrin sa
ß schon darin, Rieser stand
20181 selbst bei den Pferden. Saltner hob seine Mutter hinein, Kathrin
20182 wickelte sie in eine Decke und bot ihr Wein an.
</p>
20183 <p>Saltner schwang sich auf den Bock. Der Weinh
üter war
20184 herangetreten. Hier kannte ihn jeder und liebte ihn, keiner
20185 h
ätte ihn verraten. Saltner beugte sich zu dem Mann herab und
20186 sagte:
»Die Nume sind hinter uns her, sie d
ürfen uns
20187 nicht kriegen.
«</p>
20188 <p>»Schon recht
«, sagte der H
üter,
»ich habe
20189 nichts gesehen, hier ist niemand gewesen.
« Damit tauchte er
20190 wieder in das Dunkel der Mauern. Die Pferde zogen an, der Wagen
20191 rollte auf der Stra
ße nach Meran davon.
</p>
20192 <p>Saltner sprach zur
ück in den halbgedeckten Wagen. Er
20193 erkundigte sich, wie Kathrin ihre Auftr
äge ausgerichtet habe.
20194 Palaoro war zu Hause gewesen, er hatte gesagt, zwei
20195 zuverl
ässige Leute, die besten, die da seien, w
ürden gern
20196 mit ihm kommen, weil es f
ür den Herrn Saltner sei. Aber ob er
20197 die Maultiere gleich bekommen w
ürde, w
üßte er
20198 nicht, doch werde er sein M
öglichstes tun. Der Herr Saltner
20199 m
öge sich nur nicht sorgen, wenn es etwas sp
ät in der
20200 Nacht w
ürde. Dann w
äre sie nach Hause gelaufen und
20201 h
ätte die Sachen zusammengepackt. Als sie gerade wieder hinten
20202 zum Hause hinausgewollt, h
ätte es vorn gepocht. Da hat sie das
20203 Licht schnell ausgel
öscht und zum Guckfenster hinausgeschaut.
20204 Dort ist der Wagen des Herrn Instruktor gestanden, und noch eine
20205 Menge von Fahrr
ädern mit den gro
ßen elektrischen Lampen
20206 sind dagewesen und wohl zehn Leute mit Glockenhelmen, die haben ins
20207 Haus gewollt. Da ist sie schnell hinten hinaus und hat die T
ür
20208 verschlossen und ist zum Rieser gelaufen, und der ist auch gerade
20209 mit dem Wagen gekommen.
</p>
20210 <p>Die H
äuser des Ortes lagen hinter den Fl
üchtlingen.
20211 Die Nacht war klar, und eine Spur von D
ämmerung erleuchtete
20212 den Weg. Saltner besprach sich mit dem Besitzer des Fuhrwerks und
20213 setzte ihm auseinander, worauf es ank
äme. Sobald O
ß die
20214 Entf
ührung aus dem Laboratorium erfahren haben w
ürde, und
20215 das war jetzt nat
ürlich schon geschehen, w
ürde er sie
20216 jedenfalls verfolgen lassen. Er konnte zwar nicht wissen, ob sie
20217 sich nicht in Gries versteckt hielten, aber er w
ürde
20218 jedenfalls auch seine fahrenden Gendarmen die Hauptstra
ßen
20219 entlangschicken. Diese mu
ßten mit ihren schnellen
20220 elektrischen R
ädern auf den glatten Chausseen den Wagen bald
20221 einholen. Sie durften also nicht auf der Chaussee bleiben, wenn
20222 auch die Fahrt auf diese Weise viel l
änger dauern mu
ßte.
20223 Hatte O
ß nach den umliegenden Ortschaften telephonisch den
20224 Befehl gesandt, sie aufzuhalten, so war ihnen die Nachricht doch in
20225 jedem Fall vorangeeilt. Man mu
ßte dann sehen, wie man
20227 <p>»In der Hinsicht
«, sagte Rieser,
»brauchen Sie
20228 nichts zu bef
ürchten, wenn nicht gerade ein Nume in Andrian
20229 ist. Aber wie sollte da einer hinkommen? Der Vorsteher sieht gern
20230 durch die Finger, wenn er den Numen ein Schnippchen schlagen kann.
20231 Sie setzen sich dann in den Wagen, und wenn ich mit dem Mann
20232 gesprochen habe, wird er Sie gar nicht erkennen.
«</p>
20233 <p>Sie hatten jetzt die Stra
ße verlassen und verfolgten einen
20234 schlechten Feldweg, zwischen Obst- und Weing
ärten oder
20235 Rohrfeldern. Die Schwierigkeit lag aber darin,
über die
20236 Eisenbahn und die Etsch hin
überzukommen. Dazu mu
ßten sie
20237 bis Sigmundskron heran, und hier galt es vorsichtig sein. Die Mitte
20238 des Bozener Bodens war noch nicht erreicht, als sie hinter sich, wo
20239 die Stra
ße nach Meran sich etwas erh
öht am Berg
20240 hinzieht, die unverkennbaren Lichter der Martier sich in schneller
20241 Fahrt in der Richtung nach Terlan hinbewegen sahen. Gleich darauf
20242 bemerkten sie auch vor sich Lichter, die in derselben Richtung wie
20243 sie auf den dunkel vorspringenden Felsen von Sigmundskron
20244 hineilten. Sie waren aber auf der Chaussee ihnen bereits voraus und
20245 verschwanden bald hinter den B
äumen und Baulichkeiten des
20247 <p>»Nun so schnell wie m
öglich ihnen nach
«, rief
20248 Saltner.
»Die fahren sicher den Berg hinan, um zu sehen, ob
20249 wir
über die Mendel wollen. Bis sie zur
ückkommen,
20250 mu
ß der Weg frei sein.
«</p>
20251 <p>»Sie werden aber nicht weit fahren
«, sagte Rieser.
20252 »Denn das wissen sie doch, da
ß sie uns in der ersten
20253 halben Stunde einholen m
üssen, wenn sie auf dem richtigen Weg
20255 <p>»Wir m
üssen unser Gl
ück versuchen.
«</p>
20256 <p>Ohne aufgehalten zu werden, passierten sie den Ort und den
20257 Flu
ß und waren gl
ücklich an der Stelle vor
über, wo
20258 links die Stra
ße nach dem Mendelpa
ß abgeht. Sie wandten
20259 sich rechts, um am Gebirge entlang ihr Ziel zu erreichen. Jetzt
20260 durften sie hoffen, keinem Verfolger mehr zu begegnen. Die
20261 Stra
ße f
ührte hier ein gro
ßes St
ück
20262 geradeaus, das sie schon zur
ückgelegt hatten, und Saltner
20263 sp
ähte vorsichtshalber noch einmal r
ückw
ärts. Da
20264 bemerkte er pl
ötzlich, wie hinter ihnen das elektrische Licht
20265 eines Rades auftauchte. Es n
äherte sich nur langsam, da der
20266 Weg kein schnelles Fahren gestaltete. Sie wurden verfolgt.
</p>
20267 <p>Saltner verlor die Geistesgegenwart nicht. Er sah, da
ß es
20268 nur ein einzelner Bed war, der diese Stra
ße einschlug;
20269 vielleicht hatte man ihm gesagt, da
ß ein Wagen diesen Weg
20270 gefahren sei. Er durfte es nicht darauf ankommen lassen, da
ß
20271 der Wagen erkannt wurde. Der Bed h
ätte Hilfe herbeigeholt, und
20272 man h
ätte ihn jedenfalls noch in Andrian erreicht. Er
20273 f
ühlte nach der Telelytwaffe, die er vom Mars mitgebracht und
20274 heute zu sich gesteckt hatte. Ohne Rieser etwas von dem Verfolger
20275 zu sagen, rief er ihm nur zu:
»Fahren Sie weiter, ich komme
20276 gleich nach!
«und sprang w
ährend der Fahrt vom Wagen.
</p>
20277 <p>Er mu
ßte den Bed abhalten, ihnen zu folgen, aber er durfte
20278 ihn auch nicht zur
ückkehren lassen, um zu melden, da
ß er
20279 durch einen
Überfall verhindert worden sei, die Verfolgung
20280 fortzusetzen; vielmehr mu
ßte er es so einrichten, da
ß
20281 der Bed an einen zuf
älligen Unfall glaubte. Und er hatte schon
20282 unterwegs daran gedacht, wie er das einrichten k
önne. Saltner
20283 sprang hinter einen Baum, der ihn gegen das Licht der Laterne
20284 deckte. Die Telelytwaffe lie
ß sich ausziehen, da
ß man
20285 wie mit einem Gewehr genau zielen konnte. Das Rad mit dem Bed
20286 n
äherte sich hell beleuchtet und mochte noch etwa hundert
20287 Schritt entfernt sein. Saltner setzte eine kleine Sprengpatrone ein
20288 und zielte an die Stelle, wo der diabarische Glockenhelm von den
20289 beiden d
ünnen St
ützen getragen wird, die ihn mit der
20290 Fu
ßbekleidung verbinden. Wird diese Verbindung unterbrochen,
20291 so ist die Diabarit
ät aufgehoben, da der zu sch
ützende
20292 K
örper nach beiden Seiten gegen die Richtung der Schwerkraft
20293 gedeckt sein mu
ß. Es kommt beim Gebrauch des Telelyts nicht
20294 wie bei einem Schu
ß auf eine einzige Entladung an, sondern
20295 man kann die Wirkung, die sich wie das Licht in
Ätherwellen
20296 fortpflanzt, einige Zeit wirken lassen. Saltner war daher sicher,
20297 wenn er auch bei den Schwankungen des Helms einigemal das Ziel
20298 verlor, doch den Sprengerfolg zu erreichen. Und in der Tat, nach
20299 f
ünf bis sechs Sekunden begann der Helm sich zu neigen, und
20300 die eine St
ütze brach. Der Bed hielt erschrocken sein Rad an.
20301 Diesen Moment der Ruhe benutzte Saltner, um auch die andere
20302 St
ütze zu sprengen. Der Helm fiel herab, und der Bed
20303 b
ückte sich sichtlich unter dem Druck der Erdschwere. Er
20304 konnte jedenfalls so bald weder vorw
ärts noch
20305 r
ückw
ärts weit gelangen und war mit seinem Unfall so
20306 besch
äftigt, da
ß er nicht mehr auf den Weg achtete.
</p>
20307 <p>In schnellen Spr
üngen eilte Saltner dem Wagen nach. Ohne
20308 ein Wort zu sagen, schwang er sich wieder auf den Bock. Eine Stunde
20309 sp
äter traf der Wagen in Andrian ein. Rieser ging voraus und
20310 überzeugte sich, da
ß hier noch keine Nachforschungen
20311 angestellt seien. Der Wirt brachte die Frauen in seiner eignen
20312 Wohnung unter, und auch Saltner legte sich einige Stunden zur Ruhe,
20313 um die Ankunft der F
ührer abzuwarten.
</p>
20314 <p>Um drei Uhr wurde er geweckt. Palaoro war mit zwei F
ührern
20315 und den Maultieren eingetroffen. Alles wurde sogleich zum Aufbruch
20316 vorbereitet. Frau Saltner f
ühlte sich vollkommen kr
äftig,
20317 die Befreiung von ihrer Angst hatte ihr aufgeholfen. Nur die
20318 F
üße konnte sie nicht gut gebrauchen, aber auf dem
20319 bequemen Sattel des Maultiers hatte sie keinerlei Beschwerden. Es
20320 war noch finster, als der kleine Zug aufbrach und auf schmalen
20321 Pfaden durch eine enge Schlucht zur Stufe des Mittelgebirges
20322 hinaufklomm. Sie waren erst ein kurzes St
ück vorw
ärts
20323 gekommen, als Palaoro in seine Tasche griff und zu Saltner
20325 <p>»Da habe ich doch noch etwas vergessen. Gehen Sie nur
20326 ruhig vorw
ärts, ich hole Sie bald wieder ein.
«</p>
20327 <p>Er schritt gem
ächlich den Weg zur
ück. Der Wirt, der
20328 zugleich Ortsvorsteher war, trat eben ins Haus, um sich noch ein
20329 wenig aufs Ohr zu legen, als Palaoro herankam.
</p>
20330 <p>Er
überreichte ihm eine Depesche und sagte:
»Das hat
20331 mir diese Nacht der Postmeister in Terlan mitgegeben. Er hatte nach
20332 allen Richtungen Boten ausschicken m
üssen, so da
ß er
20333 keinen mehr an euch hatte; da hab ich gesagt, ich wolle das
20334 Telegramm mitnehmen. Beinahe h
ätt
’ ich
’s
20335 vergessen. B
’h
üt euch Gott.
«</p>
20336 <p>Und schon war er mit raschen Schritten in der Dunkelheit
20337 verschwunden. Der Wirt ging langsam ins Zimmer und entfaltete beim
20338 Schein der Laterne das Telegramm. Es lautete:
</p>
20339 <p>»Josef Saltner mit Frau Marie Saltner und Katharina
20340 Wackner sind, wo sie auch auf diesseitigem Gebiet betroffen werden,
20341 zu verhaften und sogleich der hiesigen Gerichtsstelle
20342 zuzuf
ühren.
«</p>
20343 <p>Der Ortsvorsteher faltete das Papier zusammen und sprach:
20344 »Das h
ätte halt nachher schon vorher kommen
20345 gesollt.
« Dann ging er wieder zu Bett.
</p>
20346 <p>Die Fl
üchtenden hatten das Mittelgebirge
überschritten
20347 und kletterten jetzt auf halsbrecherischen Pfaden die steilen
20348 Abst
ürze des Gantkofels hinauf. Immer mit gleicher Sicherheit
20349 ging Palaoro voran, die Saumtiere folgten an der Hand ihrer
20350 F
ührer mit festem Tritt, und Saltner beschlo
ß den Zug.
20351 Die Sonne ging auf und vergoldete die Bergspitzen. Ohne Rast, den
20352 Abgrund zur einen, die Felswand zur andern Seite, setzten die
20353 Reisenden ihren Anstieg fort. Nach vier Stunden war der R
ücken
20354 erreicht, mit welchem das Mendelgebirge steil gegen das Etschtal
20355 abbricht. Dieser R
ücken ist die deutsch-italienische
20356 Sprachgrenze und das Ende des O
ß’schen
20358 <p>Menschen und Tiere blieben stehen und erholten sich. Der Blick
20359 hatte sich nach S
üden und Westen ge
öffnet. Auf den
20360 schlanken Pyramiden der Presanella, auf den ewigen Schneemassen der
20361 Ortler-Alpen gl
änzte strahlend das Sonnenlicht. Drunten im Tal
20362 zogen Nebelstreifen, und
über ihnen ruhten dunkel die bizarren
20363 Formen der Dolomiten.
</p>
20364 <p>Saltner winkte einen Gru
ß zur
ück ins Tal.
</p>
20365 <p>»Auf Wiedersehen
«, rief er,
»wenn die Nebel
20366 vergangen sind. Jetzt sind wir frei!
«</p>
20367 <p>Noch eine Viertelstunde m
äßig bergab. Dann tat eine
20368 gr
üne, schmale Talschlucht sich auf, von einem frischen
20369 Gebirgsb
ächlein durchrieselt. Auf dem Rasen winkte eine
20370 Schutzh
ütte auf einem verborgenen, selten besuchten Platz.
20371 Palaoro schlo
ß auf.
</p>
20372 <p>»Hier werden wir wohnen
«, sagte Saltner, indem er
20373 seine Mutter vom Maultier hob,
»bis das Recht wieder
20374 eingezogen ist in unser Land.
«</p>
20375 <p>»Wo k
önnte es sch
öner sein?
« sagte sie.
20376 »Und du bist hier.
«</p>
20377 <h2>50 - Die Luft-Yacht
</h2>
20378 <p>Die Strahlen der aufgehenden Sonne vergoldeten ein prachtvolles
20379 Luftschiff, das aus den
äu
ßersten H
öhen des
20380 Luftmeers von Norden her herabschie
ßend jetzt seine
20381 Geschwindigkeit m
äßigte und seine gl
änzenden
20382 Schwingen ausbreitend langsam und majest
ätisch, in geringer
20383 H
öhe
über den Wogen, der n
ördlichen K
üste von
20384 R
ügen entgegenschwebte.
</p>
20385 <p>Die Fischer in ihren Booten und die Badeg
äste, die am
20386 Strand lustwandelten, verfolgten das Schiff mit erstaunten Blicken.
20387 An den Anblick von Luftschiffen waren sie gew
öhnt, denn der
20388 direkte Weg vom Nordpol nach Berlin f
ührte hier vor
über,
20389 wenn auch freilich diese Schiffe in viel gr
ößeren
20390 H
öhen zu ziehen pflegten. Aber ein derartiges Fahrzeug hatten
20391 sie noch nicht gesehen. Es war keines der furchtbaren
20392 Kriegsschiffe, deren farblose Einfachheit nur die drohenden
20393 Öffnungen der Repulsitgesch
ütze unterbrach, es war auch
20394 keines der langen und breiten Postschiffe, die den Personenverkehr
20395 vermittelten. F
ür eines der Boote, die den h
öheren
20396 Beamten der Nume zur Verf
ügung standen, war es zu gro
ß
20397 und pr
ächtig. Es war in der Tat ein Schiff, wie es bisher auf
20398 der Erde nicht verkehrt hatte, eine Privatyacht, von einem reichen
20399 Numen zu Vergn
ügungsreisen erbaut. Seine glatte
20400 Oberfl
äche schimmerte rot und golden, auf beiden Seiten wie
20401 auf den jetzt ausgebreiteten Fl
ügeln gl
änzte weithin
20402 sichtbar der Name des Schiffes, als w
äre er von riesigen
20403 Edelsteinen gebildet, ein nach rechts offener Halbkreis. Wer
20404 martisch zu lesen verstand, erkannte darin den Namen
20405 ›La
‹.
</p>
20406 <p>In der Mitte des Schiffes, auf dessen unterer Seite, befand sich
20407 ein kleiner Salon, ausgestattet in einer ebenso kostbaren als
20408 einfach wirkenden Eleganz und mit jeder Bequemlichkeit, die
20409 martische Kunst zu erdenken vermochte. Eine hier zum erstenmal
20410 angewandte Konstruktion lie
ß nach beiden Seiten erkerartige
20411 Ans
ätze so hervortreten, da
ß sie, ohne die Bewegung des
20412 Schiffes zu verhindern, eine freie Aussicht nach den Seiten und
20413 nach unten gestatteten. Auf einem freih
ängenden Polster, wie
20414 auf einer Schaukel halb liegend, ruhte hier eine grazi
öse
20415 weibliche Gestalt in bequemem Morgenanzug, den der mit
20416 gl
änzenden Deli-Kristallen bedeckte Lisschleier umh
üllte.
20417 Es war Se. Sie beugte den schlanken Hals herab, um das Meer zu
20418 betrachten. Sobald sie den Kopf bewegte, spielten die braunen
20419 Locken in den lichten Farben des Regenbogens. Von Zeit zu Zeit
20420 betrachtete sie Einzelheiten durch ein Glas, dann lie
ß sie
20421 wieder den Blick r
ückw
ärts
über die
20422 schaumgekr
önten Wogen in die uferlose Ferne schweifen. Sie
20423 konnte sich an diesem Schauspiel nicht sattsehen. Da
ß es so
20424 viel Wasser gab, Wasser und immer Wasser auf dieser Erde, wie
20425 wunderbar kam es ihr vor, die bis jetzt nur das eisschollenbedeckte
20426 und beschr
änkte Meer am Nordpol erblickt hatte.
</p>
20427 <p>Eine leise Ber
ührung ihrer Schulter lie
ß sie
20428 aufblicken. Die Herrin dieses fliegenden Wunderbaus stand vor
20430 <p>»Da bist du ja, La
«, rief sie, sich aufrichtend, der
20431 ihr zunickenden Freundin entgegen.
»Hast du endlich
20432 ausgeschlafen?
«</p>
20433 <p>»Ich bin auch nicht so fr
üh eingeschlafen wie du. Ich
20434 glaube, du tr
äumtest schon, als wir gestern vom Pol
20435 abreisten.
«</p>
20436 <p>»Ich war furchtbar m
üde. Ich hatte ja den ganzen Tag
20437 gearbeitet, um mich noch rechtzeitig f
ür dich freizumachen.
20438 Ach, La, das war doch einer deiner gescheitesten Gedanken, mich zu
20439 dieser Reise einzuladen. Aber diese Eile! In der Nacht kommst du
20440 mit dem
›Glo
‹ an, ganz unerwartet. Fr
üh
20441 l
äßt mich dein Vater nach dem Ring holen, und abends
20442 mu
ß ich schon mit dir fort nach Deutschland. Ich habe noch
20443 gar keine Zeit gehabt, dich irgend etwas zu fragen.
«</p>
20444 <p>»Weil du gestern gleich eingeschlafen bist.
«</p>
20445 <p>»Ich bin ganz starr
über diesen fabelhaften Luxus,
20446 das hei
ßt f
ür ein Luftschiff. Sonst ist es ja gerade so
20447 wie zu Hause, aber das auf einem Schiff zu haben, das ist eben das
20448 Überraschende. Wie bist du nur dazu gekommen?
«</p>
20449 <p>»Das hat mir alles der Vater geschenkt.
«</p>
20450 <p>»Und das konnte er?
«</p>
20452 <p>»Aber du siehst gar nicht so vergn
ügt aus, wie es
20453 sich f
ür eine solche Prinzessin schickt. Komm, setz dich her
20454 und gestehe! Was ist eigentlich mit euch vorgegangen? Ich versuchte
20455 vorhin in dein Zimmer zu kommen, aber ich glaube gar, du hast es
20456 mit einer akustischen T
ür geschlossen, die nur auf das
20457 Stichwort aufgeht.
«</p>
20458 <p>La lehnte sich auf die schwebenden Polster und blickte zur Erde
20459 hinab. Dann sagte sie:
</p>
20460 <p>»Du siehst, wir sind reiche Leute geworden. Der Vater hat
20461 eine wichtige Erfindung gemacht, eine Verbesserung am
20462 Fortbewegungsmechanismus der Raumschiffe.
«</p>
20463 <p>»Das wei
ß ich nat
ürlich, den Fru
’schen
20464 Gleitrepulsor, der das Repulsit noch einmal so stark ausnutzen
20465 l
äßt. Das erspart dem Staat Hunderte von Millionen im
20467 <p>»Nun ja, und einige davon haben wir als Ehrengabe
20468 bekommen. Daf
ür hat mir der Vater dies sch
öne Schiff
20469 geschenkt und ein Reisejahr f
ür die Erde. Ich freue mich sehr
20470 dar
über.
«</p>
20471 <p>»Wenn du es nicht sagtest, w
ürde man es kaum glauben.
20472 Was hast du also noch f
ür Sorgen?
«</p>
20473 <p>»Wei
ßt du, Se, schreiben oder in die Ferne sprechen
20474 kann man solche Sachen nicht. Drum hab ich dich vor allen Dingen
20475 abgeholt, denn das mu
ßt du doch erfahren, da
ß wir mit
20476 O
ß nicht mehr verkehren.
«</p>
20477 <p>»Aber O
ß ist doch an der Erfindung deines Vaters
20478 beteiligt, er war ja sein Assistent bei den Versuchen?
«</p>
20479 <p>»Ja, leider. Er hat auch vom Staat seine Million bekommen,
20480 und das ist eben das Ungl
ück, das ist ihm in den Kopf
20481 gestiegen.
«</p>
20482 <p>»Wieso? Ein bi
ßchen exzentrisch freilich war er ja
20483 immer. Wei
ßt du noch? Damals am Pol, als Ill die Versammlung
20484 abhielt und Grunthe und Saltner fortgegangen waren, da beantragte
20485 er doch, den Menschen die pers
önliche Freiheit abzusprechen.
20486 Aber was hat er denn getan?
«</p>
20487 <p>»Es war damals nach dem Friedensschlu
ß mit der Erde,
20488 als der Vater die Versuche machte, und O
ß war deshalb viel
20489 bei uns, wir hielten uns auf der Au
ßenstation am Nordpol des
20490 Mars auf. Und da wollte er mich binden.
«</p>
20491 <p>»Im Spiel? Ja? Nun, das ist doch noch kein
20492 Gr
ößenwahnsinn. Wer war denn dabei?
«</p>
20493 <p>»Ich wollte aber nicht.
«</p>
20494 <p>»Und das hat er
übelgenommen, das kannst du ihm nicht
20495 verdenken. Warum wolltest du nicht?
«</p>
20496 <p>»Ich
– ich war nicht in der Stimmung. Aber er hat
20497 das falsch verstanden. Ich machte mir eben gar nichts aus ihm, und
20498 er bildete sich ein, mir w
äre das Spiel zu wenig. Er kam mit
20500 <p>»Im Ernst?
«</p>
20501 <p>La bewegte den Kopf bejahend. Ihre Augen blickten in die Ferne
20502 hinaus, aber sie sah nichts von der anmutigen Landschaft, den
20503 buchengekr
önten Kreidefelsen zu ihren F
üßen.
</p>
20504 <p>»Und du hast ihn abgewiesen? La! Das ist freilich schlimm.
20505 Das geht doch nicht. Du mu
ßtest das Spiel annehmen und dann
20506 so unausstehlich sein, da
ß er von selber
–. Aber La, du
20507 Liebling, ich glaube gar, du weinst?
«</p>
20508 <p>Sie zog sie an sich und streichelte ihr die Wangen.
</p>
20509 <p>»Warum regt dich das so auf, macht dich so traurig? Du
20510 bereust? Du liebst ihn? Darf ich es wissen?
«</p>
20511 <p>»Wirklich nicht
«, sagte La mit so ruhiger Stimme,
20512 da
ß Se an ihrem Wort nicht zweifeln konnte.
»Ich konnte
20513 nicht anders, ich mochte nichts von ihm wissen.
«</p>
20514 <p>»Ach so!
« Se fa
ßte ihre Hand und dr
ückte
20515 sie leise.
»Also ein anderer.
«</p>
20516 <p>Und bei sich dachte sie:
»Also Ell!
« Aber das sagte
20517 sie nicht. Vor solchen Gewissensfragen blieb auch die Freundschaft
20519 <p>La erhob sich heftig.
»Lassen wir das nun
«, sagte
20520 sie.
»Es ist nichts daran zu
ändern. Ich h
ätte auch
20521 jeden andern abgewiesen
– das zu deiner Beruhigung. Ich
20522 wollte dir das nur mitteilen, damit du dich nicht wunderst, wenn
20523 ich von O
ß nichts mehr h
ören mag.
«</p>
20524 <p>»Und wo ist er denn jetzt?
«</p>
20525 <p>»Ich wei
ß es nicht, ich habe mich nicht darum
20526 gek
ümmert. Der Nu ist gro
ß. Er ist aus unserer Umgebung
20527 verschwunden.
«</p>
20528 <p>»Und deine Reise nach der Erde, nach Berlin? H
ängt
20529 die damit zusammen?
« fragte Se etwas neugierig.
</p>
20530 <p>»Indirekt ja. Ich habe mich
über die ganze Sache
20531 ge
ärgert. Ich war, ich wei
ß nicht warum, in diesem Jahr
20532 recht wenig zufrieden mit mir. Die
Ärzte schickten mich hier-
20533 und dahin, aber ich war gar nicht krank, ich war nur
– ich
20534 wei
ß nicht. Da kam der Vater auf die Idee, mich nach der Erde
20535 kommen zu lassen. Er mu
ßte wieder hierher zu den
20536 Erweiterungsbauten an der Au
ßenstation. Und da schenkte er
20537 mir vorher das sch
öne Schiff. Ich wollte die Mutter gern
20538 mitnehmen, aber es w
äre f
ür sie zu anstrengend gewesen.
20539 Da dachte ich an dich. Und nun hab ich dich ja.
«</p>
20540 <p>Sie k
üßte Se auf den Mund und sprach weiter:
20541 »Sei mir gut und tu mir den einen Gefallen, wundere dich
20542 nicht
über mich, ich wei
ß, was ich tue, auch wenn es dir
20543 seltsam vorkommt. Ich will n
ämlich einmal versuchen, wie es
20544 sich auf der Erde lebt, ob man
überhaupt hier leben
20546 <p>Se l
ächelte still f
ür sich.
</p>
20547 <p>»In einem solchen Luftschiff l
äßt es sich schon
20548 leben
«, sagte sie.
»Und im Palast des Kultors wird es
20549 sich wohl auch leben lassen. Dort wirst du sicherlich diese La, ich
20550 meine die fliegende, in der wir sitzen, unterbringen.
«</p>
20551 <p>»Nein, das werde ich nicht, ich will dir
’s gleich
20552 verraten. Ich habe nur dem Vater nicht widersprochen, als er es
20553 vorschlug. Aber ich habe ganz andre Dinge vor. Ich will mir einmal
20554 die Bate in ihrer Heimat ansehen, nicht als Nume, sondern wie ein
20555 Mensch m
öchte ich unter Menschen verkehren. Wir wollen nicht
20556 in dem Schiff wohnen, sondern in einem Hotel wie gew
öhnliche
20557 Menschen.
«</p>
20558 <p>Se sah die Freundin erstaunt an.
</p>
20559 <p>»Was f
ür Ideen du da ausheckst
«, sagte sie.
20560 »Zur Abwechslung w
äre es vielleicht nicht
übel, und
20561 ich w
äre ganz gern dabei
– wenn es nur ginge. Aber die
20562 Schwere, La, die Schwere! Wenn wir als Menschen auftreten wollen,
20563 k
önnen wir doch nicht mit den Helmen
über dem Kopf
20564 herumlaufen.
«</p>
20565 <p>»K
önnten wir uns nicht ein bi
ßchen an die
20566 Erdschwere gew
öhnen? Ein bi
ßchen nur?
« fragte La,
20567 indem sie Se schelmisch ansah.
</p>
20568 <p>»Nein
«, rief Se abwehrend,
»dazu bekommst du
20569 mich nicht! Es ist ja gar nicht dein Ernst!
«</p>
20570 <p>»H
öre einmal
«, sagte La, indem sie sich neben
20571 Se setzte und den Arm um sie schlang.
»Ich habe mir etwas
20572 ausgedacht und mir in Kla in aller Stille anfertigen lassen. Darauf
20573 bin ich gekommen, wie ich in einem Blatt die neuesten Moden auf der
20574 Erde gesehen habe. Sieh einmal her.
«</p>
20575 <p>Sie holte vom B
ücherbrett ein Journal der Erde und schlug
20577 <p>»Siehst du
«, sagte sie,
»man tr
ägt jetzt
20578 diese merkw
ürdigen H
üte mit breiten Krempen, die bis
20579 über die Schultern hinausragen, und an beiden Seiten fallen
20580 B
änder herab. Ich vermute, da
ß unsre diabarischen
20581 Glockenhelme das Muster dazu geliefert haben, unsch
ön genug
20582 sind sie dazu. Da dachte ich mir, so ein Hut m
üßte sich
20583 diabarisch herstellen lassen, und ich lie
ß einige Modelle aus
20584 Stellit anfertigen. Ich werde sie dir dann zeigen. Sie sehen aus
20585 wie diese H
üte. Die Verbindung geht durch diese B
änder,
20586 die allerdings an der Schulter befestigt werden m
üssen. Von
20587 dort geht sie an den Seiten unter den Kleidern fort bis an die
20588 Stiefel, die man aber unter den langen menschlichen Frauenkleidern
20589 nicht sieht. Dieser Anzug sch
ützt zwar nicht so gut wie der
20590 übliche Erdanzug mit Helm, aber in der Hauptsache gen
ügt
20591 er v
öllig. Nur die Oberkleider und die Arme bleiben ohne
20592 Schutz, indessen das kann man schon aushalten, es ist nicht so
20593 schwer; wir brauchen ja die Arme nicht zu bewegen, sondern
20594 k
önnen sie meist am G
ürtel oder an einem
20595 Seitent
äschchen aufst
ützen. Au
ßerdem habe ich auch
20596 diabarische Schirme gegen Sonne und Regen, die wir durch eine
20597 Stellitkette mit dem Anzug verbinden k
önnen. Auf der
20598 Stra
ße k
önnen wir also
überall ohne Beschwerde
20599 gehen, nur d
ürfen wir die H
üte nicht abnehmen. Aber bei
20600 den menschlichen Damen ist es ja Sitte, bei vielen Gelegenheiten
20601 auch im Zimmer die H
üte aufzubehalten.
«</p>
20602 <p>»Das ist fein. Man wird zwar gr
äßlich aussehen,
20603 doch wir sind ja auf der Erde, da nimmt man es nicht so genau. Aber
20604 ich bitte dich, wir k
önnen doch nicht zu Hause immer in
20605 H
üten sitzen und damit zu Bett gehen.
«</p>
20606 <p>»Nein, das ist nicht zu verlangen. Trotzdem, im Schiff
20607 m
öchte ich nicht wohnen, es braucht vorl
äufig niemand zu
20608 wissen, da
ß wir da sind. Aber es gibt ja in Berlin Hotels
20609 f
ür Nume, mit Zimmern, die abarisch gemacht werden
20610 k
önnen. Dort mieten wir uns ein, da
ß wir uns zu Hause
20611 erholen k
önnen. Das Schiff geht sofort weiter, da
ß die
20612 Leute meinen, wir sind mit irgendeinem Mietschiff angekommen. Die
20613 Schiffer nehmen mit dem Schiff in einem der Vororte Quartier, so
20614 da
ß wir sie jederzeit herbeirufen k
önnen.
«</p>
20615 <p>»Das hast du alles sehr h
übsch ausgedacht. Aber wie
20616 kommen wir denn zu der n
ötigen menschlichen
20617 Toilette?
«</p>
20618 <p>»Das ist das wenigste! Es gibt doch in Berlin gro
ße
20619 Magazine, wo man alles haben kann, was Menschen brauchen. Sobald
20620 wir im Hotel angekommen sind, lassen wir uns von dort jemand
20621 kommen, und ich bin
überzeugt, in einer Stunde sind wir aufs
20622 Eleganteste ausstaffiert.
«</p>
20623 <p>»Du bist gelungen! Was hast du f
ür Ansichten von
20624 meinem Geldbeutel!
«</p>
20625 <p>»Sei doch nicht t
öricht, Liebling. Du bist mein Gast,
20626 und ich habe f
ür dich zu sorgen. Das ist ganz
20627 selbstverst
ändlich.
«</p>
20628 <p>»Nun, meinetwegen. Ich will dir deine Freude nicht
20629 verderben.
«</p>
20630 <p>»Ich danke dir, gute Se. Und nun komm, ich will dir die
20631 H
üte zeigen. Wir wollen sie einmal probieren. Auf dem Verdeck
20632 ist Erdschwere, und wir sind dennoch gegen den Luftzug
20633 gesch
ützt.
«</p>
20634 <p>Die Probe wurde unter Lachen und Necken gemacht. Es ging alles
20635 nach Wunsch, und Se erkl
ärte, da
ß sie es wohl wagen
20636 w
ürde, so spazieren zu gehen. Aber Gesicht und Haar
20637 m
üßten unter einem Schleier verborgen werden, und wenn
20638 sie so ein bi
ßchen geb
ückt einherhumpelten, werde man
20639 sie ja wohl f
ür zwei alte Erdm
ütterchen halten.
</p>
20640 <p>»Aber wenn wir Ell besuchen
«, sagte sie fragend zu
20641 La,
»da wirst du doch nicht in diesem Aufzug
20642 hingehen?
«</p>
20643 <p>Sie waren wieder in den Salon getreten, und La war gerade damit
20644 besch
äftigt, ihren Hut abzulegen. W
ährenddessen
20645 antwortete sie unbefangen:
»Ell zu besuchen ist gar nicht
20646 meine Absicht. Wenigstens nicht eher, als es die H
öflichkeit
20647 unbedingt erfordert. Wei
ßt du, wen wir zuerst aufsuchen
20649 <p>»Nun dann vielleicht Grunthe?
«</p>
20650 <p>La lachte.
»Das ist wahr
«, sagte sie,
»den
20651 m
üßten wir eigentlich auch einmal heimsuchen. Aber im
20652 Ernst, ich will zuerst zu Isma. Wir haben uns einigemal
20653 geschrieben.
«</p>
20654 <p>»Mir ist alles recht
«, antwortete Se. Und nach einer
20655 Pause begann sie ein wenig z
ögernd, indem sie La nur
20656 verstohlen betrachtete:
»Hast du denn eigentlich wieder
20657 einmal etwas von Saltner geh
ört? Er ist doch so ohne Abschied
20658 vom Mars verschwunden.
«</p>
20659 <p>La ergriff das neben ihr liegende Fernglas und richtete es auf
20660 die Landschaft. Dabei sagte sie mit m
öglichst
20661 gleichg
ültiger Stimme:
</p>
20662 <p>»Nur indirekt, hin und wieder. Er lebt, soviel ich
20663 wei
ß, bei seiner Mutter da irgendwo in den Bergen.
20664 Übrigens hat er sich bei mir verabschiedet, aber, du
20665 wei
ßt ja, er hat sich damals auch mit Ell
überworfen
20666 wegen der Briefe
–«</p>
20667 <p>Se sah, wie Las Hand, die das Glas hielt, leise zitterte. Es war
20668 unm
öglich, da
ß sie etwas durch das Glas zu erkennen
20670 <p>»Ach ja
«, sagte Se,
»ich
20671 wei
ß.
«</p>
20672 <p>Beide schwiegen. La sah wieder angelegentlich nach der
20673 Landschaft. Se blickte zu ihr hin
über. Sie konnte aus der
20674 Freundin nicht klug werden. Endlich sagte sie:
20675 Ȇbrigens, wenn wir ihn wiedersehen sollten, die Bindung
20676 ist aufgehoben. Ich will nicht mehr.
«</p>
20677 <p>La antwortete nicht. Es war ganz still, man h
örte das leise
20678 Zischen der treibenden Maschine.
</p>
20679 <p>Pl
ötzlich unterbrach der laute Pfiff einer Lokomotive die
20680 Stille. Hundegebell wurde vernehmbar.
</p>
20681 <p>»Oh
«, rief Se,
»das ist L
ärm, das ist die
20683 <p>»Ich glaube, wir m
üssen schon weit
über dem
20684 Binnenland sein. Ich sagte dem Schiffer, er solle von Sonnenaufgang
20685 an ganz tief und langsam fahren. Aber wir wollen nun etwas
20686 schneller vorw
ärts, die Landschaft da unten ist recht
20687 eint
önig.
«</p>
20688 <p>La rief den Schiffer.
»K
önnen wir in einer Stunde am
20689 Ziel sein?
«</p>
20690 <p>»In einer Viertelstunde, wenn Sie wollen.
«</p>
20691 <p>»Eine Stunde gen
ügt.
« Der Schiffer ging.
</p>
20692 <p>»Wir wollen fr
ühst
ücken und Toilette machen,
20693 ganz einfach
«, sagte sie zu Se.
</p>
20694 <p>Das Schiff zog die Fl
ügel ein. Wie ein Pfeil
20695 durchscho
ß es die Luft.
</p>
20696 <h2>51 - Martierinnen in Berlin
</h2>
20698 <p>In der gl
änzend ausgestatteten Vorhalle des neuen
20699 ›Marshotels
‹ an der Stra
ße
›Unter den
20700 Linden
‹ in Berlin standen zwei elegant gekleidete Damen. In
20701 ihren gemessenen Bewegungen, mit denen sie die Einrichtungen des
20702 Hotels aufmerksam musterten, machten sie einen ebenso vornehmen
20703 Eindruck, als er dem Reichtum ihrer Toilette entsprach. Ihr Gesicht
20704 war von einem dichten Schleier bedeckt, so da
ß es schwer war,
20705 über ihr Alter ein Urteil zu gewinnen.
</p>
20706 <p>Als sie im Begriff waren, auf die Stra
ße zu treten,
20707 n
äherte sich ihnen ein Kellner und fragte ehrerbietig:
20708 »Befehlen die Damen Pl
ätze zur Table
20709 d
’h
ôte?
«</p>
20710 <p>Se trat, entsetzt
über diese Zumutung, einen Schritt
20711 zur
ück. Schnell gefa
ßt sagte La:
</p>
20712 <p>»Wir k
önnen dar
über noch nicht
20713 entscheiden.
«</p>
20714 <p>»Wagen gef
ällig?
« fragte der Portier.
</p>
20715 <p>La sch
üttelte nur den Kopf und ging vor
über.
</p>
20716 <p>Der Kellner und der Portier tauschten einen Blick, aus dem wenig
20717 Hochachtung f
ür die beiden G
äste sprach.
</p>
20718 <p>Die Damen schritten die Stra
ße entlang nach dem Opernplatz
20719 zu. Sie spannten ihre Sonnenschirme auf, und ihre Bewegungen wurden
20720 sichtlich freier und lebhafter.
</p>
20721 <p>»Du hast doch nicht etwa die Absicht
«, sagte Se
20722 leise,
»wirklich mit diesen Baten essen zu wollen? Das ist
20723 doch unm
öglich.
«</p>
20724 <p>»Mit dem Hut und dem Schleier wird es nicht gehen, sonst
20725 aber
– man mu
ß sich an alles gew
öhnen.
«</p>
20726 <p>»Aber das ist doch zu unanst
ändig.
«</p>
20727 <p>»Wir sind auf der Erde. In irgendeine der Restaurationen,
20728 die hier, wie es scheint, in jedem Hause sind, wollen wir
20729 jedenfalls einmal eintreten. Sieh nur, wo man hinblickt, sitzen
20730 Leute und trinken Bier. Das nennen sie
20731 Fr
ühschoppen.
«</p>
20732 <p>Sie schritten weiter durch das Gew
ühl der Menschen,
20733 über breite Pl
ätze, dann in engere, noch dichter belebte
20734 Stra
ßen hinein. Ihre Blicke schweiften
über Geb
äude
20735 und Denkm
äler,
über die begegnenden Personen und Wagen
20736 oder verweilten auf den gl
änzenden Auslagen in den
20738 <p>»Es gef
ällt mir gar nicht
«, sagte Se.
20739 »Alles ist n
üchtern, klein und eng. Man sieht
20740 f
örmlich, wie die Schwere die Geb
äude
20741 zusammendr
ückt, die D
ächer herabklappt. Die W
ände,
20742 die Erker, alles ist vertikal gezogen, eine horizontale Schwingung
20743 ins Freie scheint es gar nicht zu geben. Sieh nur, wie dieser
20744 Balkon m
ühsam von unten gest
ützt ist! Und wie
20745 ärmlich und geschmacklos all dies Zeug in den L
äden! Und
20746 das ist nun die Hauptstadt! Wie mag es auf dem Lande aussehen? Denn
20747 diese ganze Herrlichkeit reicht nicht weit, selbst wenn man zu
20748 Fu
ß geht, ist sie in ein paar Stunden zu Ende.
«</p>
20749 <p>»Du mu
ßt doch nicht immer unsre Verh
ältnisse
20750 zum Vergleich heranziehen
«, entgegnete La.
»Im ganzen
20751 ist es staunenswert, was die Leute f
ür ihre Kulturstufe
20752 leisten. Sie haben doch eine Industrie. Nat
ürlich m
üssen
20753 sie sich nach der Schwere richten und k
önnen nicht wie wir in
20754 die Luft hinausbauen. Aber wie angenehm kann man daf
ür hier im
20755 warmen Sonnenschein gehen, ohne verbrannt zu werden. Und sieh nur,
20756 diese entz
ückenden wei
ßen W
ölkchen, wie sie
20757 über den blauen Grund ziehen. Das gef
ällt mir besser als
20758 unser ewiger gr
üner Baumschimmer oder der fast schwarze Himmel
20759 dar
über.
«</p>
20760 <p>»Mir scheint, du willst dich zur Erdschw
ärmerin
20761 ausbilden. Mich st
ößt schon dieser entsetzliche
20762 L
ärm ab. Die Leute unterhalten sich ja so laut, da
ß man
20763 es auf mehrere Schritte h
ört. Und dort zanken sich gar zwei
20764 auf offener Stra
ße. Auch die Wagen sind unausstehlich
20765 ger
äuschvoll, man h
ört das Rollen der R
äder auf
20766 weithin. Wie mu
ß das erst gewesen sein, als noch Pferde vor
20767 die Wagen gespannt waren. H
öre nur das unanst
ändige Rufen
20768 der Wagenf
ührer: He! He! Das Klingeln und Pfeifen! Ich
20769 m
öchte mir die Ohren verstopfen.
«</p>
20770 <p>»Man gew
öhnt sich daran.
«</p>
20771 <p>»Was kommt denn dort? Hoch oben sitzen Menschen, und unten
20772 ist ein Tier mit vier Beinen. So was habe ich noch nie gesehen, das
20773 m
üssen wir uns betrachten.
«</p>
20774 <p>»Es sind Reiter
«, sagte La.
»Sie sitzen auf
20775 Pferden. Es sieht gut aus.
«</p>
20776 <p>»O nein, abscheulich! Diese Tiere, wie h
äßlich.
20777 Und wie das riecht! O pfui! Komm, komm, das halte ich nicht
20779 <p>Aus der T
ür eines Hauses trat ein Nume, mit dem
20780 gro
ßen, gl
änzenden Glockenhelm
über dem Kopf. Er
20781 schritt bis in die Mitte der Stra
ße, um sich nach seinem
20782 Wagen umzusehen. Ein Teil der Vor
übergehenden wich ihm in
20783 einem Bogen aus, andre, die gelbe Marken an der Kopfbedeckung
20784 trugen, gingen zwar dicht an ihm vor
über, blickten aber
20785 finster nach der andern Seite. Gerade jetzt waren die Reiter bis
20786 hierher gelangt. Das Pferd des ersten scheute vor dem Helm des
20787 Martiers, der, ohne an ein Ausweichen zu denken, in der Mitte der
20788 Stra
ße stand. Kerzengerade stieg es in die H
öhe. Der
20789 gewandte Reiter behauptete sich im Sattel, er wollte das Pferd an
20790 dem Martier vor
überbringen. In unregelm
äßigen
20791 S
ätzen sprang es hin und her und schlug aus. So dr
ängte
20792 es in die Zuschauermenge hinein, die sich schnell angesammelt
20793 hatte. Diese stob erschrocken auseinander, auch La und Se wurden
20794 gesto
ßen, allgemeines Geschrei entstand. Schreckensbleich
20795 sahen sie, in die Ecke einer Haust
ür gedr
ückt, der Szene
20796 zu. Von den Sporen des Reiters getroffen, machte jetzt das Pferd
20797 einen gewaltigen Satz nach vorn. Es streifte den Helm des Martiers
20798 und ri
ß diesen zu Boden. Die Reiter galoppierten davon, und
20799 ein Hohngeschrei der angesammelten Stra
ßenjugend begleitete
20800 die Niederlage des Numen.
</p>
20801 <p>W
ütend sprang der Nume in die H
öhe, das Publikum
20802 beeilte sich, aus seiner N
ähe zu kommen. Ein Schutzmann hatte
20803 sich inzwischen eingefunden und war dem Numen behilflich, in seinen
20804 Wagen zu steigen.
</p>
20805 <p>»Wer waren die Reiter?
« fragte der Martier.
</p>
20806 <p>»Es waren Herren vom Rennklub.
«</p>
20807 <p>»Gut, diesem Unfug mu
ß gesteuert werden.
«</p>
20808 <p>Der Nume fuhr davon.
</p>
20809 <p>»Das geht ja hier entsetzlich zu
«, sagte Se
20810 schaudernd.
»Man ist seines Lebens nicht sicher. Ich gehe
20811 nicht weiter.
«</p>
20812 <p>»Nur noch bis an jene Ecke. Dort in der Restauration
20813 hinter den gro
ßen Scheiben sehe ich Damen in H
üten
20814 sitzen, da wollen wir uns ein wenig erholen. Und dann fahren wir
20815 direkt zu Isma.
«</p>
20816 <p>Sie traten in das reich ausgestattete Lokal ein und schritten
20817 zwischen den Tischen, die G
äste musternd, hindurch, bis sie
20818 neben einem der Fenster an einem noch unbesetzten kleinen Tisch
20819 Platz fanden. Obwohl ihnen alle Verh
ältnisse fremd und
20820 ungewohnt waren, so machte sie das doch in keiner Weise befangen;
20821 es waren ja nur
›Bate
‹, die hier ihren barbarischen
20822 Sitten huldigten, und sie wollten sich das nur einmal ansehen. So
20823 dachte wenigstens Se. Sie r
ümpfte das N
äschen und
20825 <p>»Eine furchtbare Luft! Diese Ger
üche und dieser
20826 L
ärm
– wie kannst du es nur hier aushalten.
«</p>
20827 <p>Das Gemisch von D
üften nach Bier, Tabak und
20828 ger
äucherten W
ürstchen, in Verbindung mit dem
20829 Ger
äusch der Stimmen, war f
ür martische Sinne
20830 bet
äubend.
</p>
20831 <p>»Wir k
önnen hier ein wenig das Fenster
20832 öffnen
«, sagte La.
</p>
20833 <p>Sie befanden sich in dem gro
ßen Ausschank einer
20834 s
üddeutschen Brauerei. Ein Kellner setzte unaufgefordert zwei
20835 Glas Bier vor sie hin, und eine Kellnerin brachte ihnen die
20837 <p>Se am
üsierte sich.
»Diesen Topf soll man
20838 austrinken?
« sagte sie.
»Aber wie macht man denn das,
20839 es ist ja kein Saugrohr dabei?
«</p>
20840 <p>La warf einen etwas verzweifelten Blick umher, dann hob sie das
20841 Glas und sagte:
»Wir m
üssen eben trinken wie die
20842 Menschen.
« Und sie nahm einen t
üchtigen Zug.
</p>
20843 <p>Se versuchte es gleichfalls, aber sie kam nicht recht damit zu
20844 Rande.
»Woher kannst du das nur?
« fragte sie lachend.
20845 »Ich glaube, du hast dich auf deine Erd-Expedition
20846 vorbereitet!
«</p>
20847 <p>»Ich habe es wirklich einge
übt
«, antwortete La.
20848 »ich habe mir nun einmal vorgenommen, unter den Menschen so
20849 wenig wie m
öglich aufzufallen.
«</p>
20850 <p>»Und das sagst du so ernsthaft
– man m
öchte es
20851 wirklich glauben. Nun, was steht denn auf dieser wunderbaren
20852 Speisekarte, die man mit beiden H
änden halten
20853 mu
ß?
«</p>
20854 <p>»Ich werde nicht klug daraus. Doch, da
–« sie
20855 hielt inne,
»– ich werde mir
– dies da
20857 <p>Ein wehm
ütiges L
ächeln ging fl
üchtig
über
20858 ihre Z
üge, dann wandte sie den Kopf ab und blickte sinnend zum
20859 Fenster hinaus.
</p>
20860 <p>Se las die Stelle, die La mit dem Finger bezeichnet hatte, und
20861 warf dann einen verwunderten Blick auf die Freundin. Sie suchte in
20862 ihrem Ged
ächtnis, und nun hatte sie es gefunden. Ihre Augen
20863 blitzten schelmisch auf, und pl
ötzlich sagte sie, ganz mit
20864 Saltners Akzent:
</p>
20865 <p>»Ein Paar Geselchte mit Kraut, die wenn i
’
20866 h
ätt
’,
’s w
är
’ schon recht.
«</p>
20867 <p>La zuckte zusammen. Sie sah Se mit einem flehenden Blick an.
20868 Diese ergriff ihre Hand und sagte, ihr Lachen unterdr
ückend:
20869 »Sei nicht b
öse, liebe La, aber eine Nume, der bei der
20870 Erinnerung an
›ein Paar Geselchte
‹, die sie noch dazu
20871 nie mit ihren Augen gesehen hat, die Tr
änen in diese
20872 sch
önen Augen treten, das ist doch ein Anblick, um G
ötter
20873 zum Lachen zu bringen. Aber es ist wahr, diesen w
ürdigen
20874 Gegenstand m
üssen wir kennenlernen, aus Dankbarkeit an die
20875 lustigen Zeiten. Und heute habe ich schon viel daraus
20876 gelernt
«, setzte sie im stillen f
ür sich dazu.
</p>
20877 <p>Se bestellte. Und wieder mu
ßte sie leise lachen. Sie sah
20878 sich mit La und Saltner auf der Aussichtsbr
ücke des
20879 Raumschiffs stehen, als sich die leuchtenden Fl
ächen des Mars
20880 zum erstenmal vor den Ankommenden im Sonnenschein ausbreiteten, und
20881 der Kapit
än O
ß, der zu Saltners
Ärger La nicht von
20882 der Seite wich, sagte:
»Morgen werden wir landen. Es ist ein
20883 h
übscher Raumschifferglaube, da
ß der Wunsch in
20884 Erf
üllung geht, den man bei der Landung ausspricht; es
20885 mu
ß aber etwas Praktisches und etwas Kleines sein. Was werden
20886 Sie denn sagen?
« Er blickte La schmachtend an, die aber nicht
20887 antwortete. Da tat Saltner in seinem trockenen Ton den klassischen
20888 Ausspruch von den W
ürstchen. La und Se hatten lange gefragt,
20889 was denn dies sei, und er hatte sie immer mit diesem Geheimnis
20890 geneckt, bis er es ihnen einmal erkl
ärte, und dann war es eine
20891 scherzhafte Redensart geworden.
</p>
20892 <p>»Das sind ein paar patente Frauenzimmer
«, sagte ein
20893 Herr am Nebentisch zu seinem Nachbar.
</p>
20894 <p>»Es sind Tirolerinnen, ich hab
’ vorhin die eine
20895 sprechen h
ören
«, sagte der andre.
»Sie sind
20896 gewi
ß von der St
ürzerschen
20897 S
ängergesellschaft.
«</p>
20898 <p>Das Essen war gebracht worden. Die W
ürstchen dampften
20899 verlockend auf den Tellern, nur nicht f
ür die Freundinnen. Sie
20900 tauschten verzweifelte Blicke miteinander.
</p>
20901 <p>»Es ist keine Waage unter dem Teller
«, sagte La,
20902 »man wei
ß nicht, wieviel man eigentlich zu sich nimmt.
20903 Willst du dir vielleicht lieber etwas Chemisches geben
20905 <p>»Ich bringe es
überhaupt nicht fertig, vor allen
20906 diesen Leuten zu essen. Ich sch
äme mich halbtot.
«</p>
20907 <p>»Es kommt ja kein Nume herein, und niemand kennt uns. Ich
20908 will dir etwas sagen
– entweder, oder! In dem Schleier
20909 k
önnen wir
überhaupt nicht essen. Wir drehen dem Publikum
20910 den R
ücken zu und nehmen die Schleier ab. Ich stelle mir jetzt
20911 vor, ein Mensch zu sein!
«</p>
20912 <p>Und mit einem k
ühnen Entschlu
ß l
öste La den
20913 Schleier von ihrem Gesicht und begann zu essen.
</p>
20914 <p>»Es ist wirklich gut
«, sagte sie.
»Es ist fett
20915 und schmeckt wie Al-Keht. Versuch es nur!
«</p>
20916 <p>Se sah ihr gespannt zu. Sie bewunderte die
20917 Seelengr
öße der Freundin, aber sie konnte sich nicht zu
20918 dem gleichen Opfer f
ür die Menschheit entschlie
ßen.
</p>
20919 <p>»Es ist zu viel
«, sagte La.
</p>
20920 <p>»So wollen wir gehen. Die Leute sehen uns zu. Himmel, da
20921 drau
ßen geht ein Nume vor
über.
«</p>
20922 <p>Se drehte sich schnell um, indem sie den Schleier zu befestigen
20923 suchte. Indessen bezahlte La, und sie verlie
ßen das
20926 <p>Die beiden Herren waren ihnen gefolgt. Als Se und La auf der
20927 Stra
ße stehen blieben, um sich nach einer Droschke
20928 umzublicken, trat einer der Herren an sie heran.
</p>
20929 <p>»Die Damen sind fremd und wissen den Weg nicht
«,
20930 sagte er, den Hut l
üftend,
»d
ürfte ich vielleicht
20931 die Ehre haben
–«</p>
20932 <p>Ohne ihn einer Antwort zu w
ürdigen, wendeten sie ihm den
20933 R
ücken zu und setzten ihren Weg fort. Sie bemerkten alsbald,
20934 da
ß die beiden ihnen unter anz
üglichen Bemerkungen
20936 <p>»Das ist ja eine unversch
ämte Gesellschaft
«,
20937 sagte Se,
»es ist wirklich recht nett hier unter den Baten,
20938 man kann sich nicht einmal frei bewegen.
«</p>
20939 <p>»Du mu
ßt bedenken
«, bemerkte La
20940 entschuldigend,
»das sind ungebildete Leute, die nichts zu
20941 tun haben, sonst w
ürden sie um diese Zeit nicht im Gasthaus
20942 sitzen. Dort dr
üben stehen
übrigens Wagen.
«</p>
20943 <p>»Ich werde ihnen aber erst eine kleine Ermahnung geben.
20944 Pa
ß auf, wie sie verschwinden werden.
«</p>
20945 <p>Se nestelte an ihrem Schleier und blieb dann stehen. Als sich
20946 die beiden Herren dicht hinter ihr befanden, drehte sie sich
20947 pl
ötzlich um und ri
ß den Schleier herab. Der Glanz ihrer
20948 m
ächtigen Augen und das Gebietende ihres Blickes zeigte den
20949 Abenteuerlustigen sofort, da
ß sie vor einer Nume standen.
20950 Erschrocken prallten sie zur
ück.
</p>
20951 <p>»Macht, da
ß ihr in die Schule kommt!
« rief sie
20953 <p>Beide entfernten sich aufs schleunigste.
</p>
20954 <p>Se lachte.
»Aber nun habe ich wirklich Hunger
«,
20955 sagte sie.
»Isma mu
ß mir etwas zum Fr
ühst
ück
20956 verschaffen.
«</p>
20957 <p>Eine Droschke brachte sie vor das Haus, wo Isma wohnte.
20958 Entt
äuscht sahen sie sich um, nachdem sie den Hof
20959 überschritten hatten. Kein Aufzug im Haus, und drei Treppen!
20960 Es war eine m
ühsame Partie. Se seufzte wiederholt.
</p>
20961 <p>»Man braucht ja nicht in einem solchen Haus zu wohnen oder
20962 nicht so hoch
«, sagte La beg
ütigend.
</p>
20963 <p>»Man braucht gl
ücklicherweise
überhaupt nicht
20964 auf der Erde zu wohnen, sollte ich denken.
«</p>
20965 <p>»Nun ja, ich meinte nur, wenn man
– zum Beispiel
20966 amtlich
–«</p>
20967 <p>»Ach so.
«</p>
20968 <p>Endlich standen sie vor der T
ür, welche die Aufschrift
20969 ›Isma Torm
‹ trug. Sie hatten nun ihre Schleier
20970 abgenommen. Auf ihr Klingeln
öffnete sich die
20971 gegen
überliegende T
ür, und eine
ältere, freundliche
20972 Dame sagte, Frau Torm sei nicht zu Hause. Jetzt erkannte sie,
20973 da
ß sie zwei Damen vom Mars vor sich habe und ersch
öpfte
20974 sich in Entschuldigungen. Frau Torm werde sogleich nach Hause
20975 kommen, es sei jetzt ihre Zeit, und die Damen m
öchten nur
20976 einen Augenblick warten, es sei alles geimpft im Haus, und sie
20977 werde sie sogleich in Frau Torms Zimmer f
ühren. Das geschah
20978 denn, und die unterhaltende Dame lie
ß sie nun allein.
</p>
20979 <p>Die beiden Martierinnen sahen sich sorgf
ältig in dem
20980 freundlichen und ger
äumigen Zimmer um. In dem
20981 lebensgro
ßen Portr
ät an der Wand erkannte Se sogleich
20982 Ismas Gatten, dessen Bild ihr in allen Schriften
über die Erde
20983 begegnet war. Mit besonderem Interesse betrachtete La die
20984 Einrichtung im einzelnen, nur irrte sie sich, wenn sie glaubte,
20985 etwa hier den Typus des Wohnzimmers einer deutschen Hausfrau vor
20986 sich zu haben. Denn wenn auch die T
ätigkeit der weiblichen
20987 Hand unverkennbar war, so enthielt doch die Einrichtung nicht nur
20988 viele Z
üge des Studierzimmers eines Mannes, sondern auch
20989 allerlei, was von den landes
üblichen Gewohnheiten abwich und
20990 an den Einflu
ß des Mars erinnerte. Da waren zahlreiche
20991 Kleinigkeiten, die von Ismas Planetenreise erz
ählten, eine
20992 Fluoreszenzlampe
über dem Schreibtisch hing an einem Lisfaden,
20993 so da
ß sie in der Luft zu schweben schien, ein
20994 B
ücherbrett war ganz nach martischem Muster eingerichtet, und
20995 es fehlte sogar nicht der Phonograph, ein Geschenk Ells.
</p>
20996 <p>Unter den Drucksachen, die auf dem Tisch lagen, fiel La ein
20997 Flugblatt auf, das in mehreren Exemplaren vorhanden war. Es trug
20998 die
Überschrift:
›An die Menschheit!
‹ und begann
20999 mit den Worten:
»Numenheit ohne Nume! Das sei der Wahlspruch
21000 des allgemeinen Menschenbundes, den wir aufrichten wollen unter
21001 allen Kulturv
ölkern der Erde.
«</p>
21002 <p>La las weiter. Der Inhalt fesselte sie. In feurigen Worten war
21003 die ideale Kultur der Martier gepriesen, aber ebenso entschieden
21004 eifriger Protest erhoben gegen die Form, welche ihre Herrschaft auf
21005 der Erde angenommen hatte.
»Ergreifen wir
«, so
21006 hie
ß es,
»was sie uns bieten, mit klarer Einsicht und
21007 offenem Herzen, so werden wir ihrer selbst nicht mehr
21008 bed
ürfen. Zeigen wir, da
ß wir das gro
ße Beispiel
21009 ihres Planeten begriffen haben, eine Gemeinschaft freier
21010 Vernunftwesen zu bilden, in der die Ordnung herrscht nicht durch
21011 die egoistische Gewalt einzelner Klassen, sondern durch das
21012 lebendige Gemeinschaftsgef
ühl aller. Das neue Zeitalter ist
21013 vorbereitet. Der Mars hat uns den gewaltigen Dienst geleistet, uns
21014 zu zeigen, wie die Not des Daseins bezwungen werden kann durch eine
21015 reichere Ausbeutung der Natur und eine gr
ößere
21016 Selbstbeherrschung der Menschen. Er hat die historischen Fesseln
21017 gebrochen, die uns verhinderten, die neuen Ideen in der Menschheit
21018 lebendig zu machen. Er hat die V
ölker geeint in dem
21019 gemeinsamen Bewu
ßtsein, da
ß sie als Kinder der Erde
21020 zusammengeh
ören und ihre h
äuslichen Streitigkeiten zu
21021 begraben haben, um die Kr
äfte des Planeten zusammenzufassen;
21022 er hat uns gezeigt, da
ß es gilt, dem
überlegenen und
21023 geeinten Planeten zu begegnen, nicht um ihn zu bek
ämpfen als
21024 einen Feind, sondern um seiner Freundschaft w
ürdig zu werden
21025 und ihn als Bundesgenossen zu begreifen. Menschliche Wissenschaft
21026 und menschliche Arbeit m
öge unser Leben mit dem
21027 Bewu
ßtsein durchdringen, da
ß es nur n
ötig ist, dem
21028 Gesetz der Vernunft zu folgen, um auch unsern Willen auf der
21029 H
öhe des sittlichen Ideals zu halten. Wagen wir es zu denken
21030 und an uns selbst zu glauben! Fahren wir fort zu lehren und zu
21031 lernen, damit wir verstehen, was menschliche Freiheit erfordert!
21032 Und aus der Vertiefung des befreiten Menschengef
ühls heraus
21033 einigen wir uns in einem gro
ßen geistigen Bund, da
ß wir
21034 von uns sagen k
önnen: Hier ist die Menschheit, hier ist die
21035 Gemeinschaft des Willens, uns frei unterzuordnen dem Gesetz der
21036 Vernunft, hier ist die Erde, um dem Mars die Bruderhand zu reichen!
21037 Und dann, das la
ßt uns mit Gewi
ßheit glauben, wird der
21038 ältere Bruder uns ebenso frei die Hand entgegenstrecken und
21039 sprechen: Ihr seid w
ürdig der Freiheit, die Ihr Euch gewonnen
21040 habt, nehmt sie hin, wir verzichten freiwillig auf unsre
21041 Herrschaft. Unser Ziel ist erreicht, wenn Ihr Menschen seid.
«
21042 – Daran waren Mitteilungen
über die Organisation des
21043 Bundes gekn
üpft.
</p>
21044 <p>Indessen hatte Se in den Zeitungen gebl
ättert, als sie
21045 pl
ötzlich ausrief:
»H
öre, La, hier steht etwas, das
21046 dich interessieren wird, von O
ß und Saltner
21048 <p>La griff nach dem Blatt. Noch hatte sie kaum die Stelle
21049 gefunden, als die T
ür sich
öffnete und Isma eintrat.
</p>
21050 <p>Ihre
Überraschung war gro
ß und die
21051 Begr
üßung lebhaft. Und doch f
ühlte sich Isma
21052 befangen. Warum hatte ihr Ell nichts von dem bevorstehenden Besuch
21053 gesagt? Sie f
ühlte sich freier, als sie im Lauf des
21054 Gespr
äches vernahm, da
ß Ell gar nichts von dem
21055 Eintreffen Las wu
ßte, und gewann bald die
Überzeugung,
21056 da
ß es nicht der Wunsch war, Ell wiederzusehen, der La nach
21057 der Erde gef
ührt habe. La erz
ählte von ihren
21058 Eindr
ücken und Erlebnissen auf dem Weg vom Hotel zu Isma, und
21059 Se erhielt die ersehnte Kr
äftigung. Dann brachte Se das
21060 Gespr
äch auf den Zeitungsartikel
über O
ß und
21062 <p>Es war darin gesagt, da
ß auf Veranlassung des Instruktors
21063 f
ür Bozen, O
ß, der bekannte Forschungsreisende Saltner
21064 steckbrieflich verfolgt werde wegen
öffentlicher Anreizung zum
21065 Ungehorsam gegen die Gesetze, Widerstands gegen den vorgesetzten
21066 Numen, Bedrohung des Instruktors, Mi
ßbrauchs amtlicher
21067 Papiere und Befreiung von Gefangenen. Es war noch hinzugef
ügt,
21068 da
ß hoffentlich die Schwere der Anklage sich nicht
21069 best
ätigen werde, da es bekannt sei, da
ß gegen den
21070 Instruktor O
ß selbst eine Untersuchung wegen
21071 Überschreitung der Amtsgewalt schwebe und seine Abberufung
21072 bevorstehe. Saltners Aufenthalt sei unbekannt, doch werde von allen
21073 Beh
örden aufs angelegentlichste nach ihm geforscht.
</p>
21074 <p>La sagte kein Wort. Sie suchte ihre Erregung zu beherrschen.
21075 Aber das Herz schlug ihr in Angst und Sorge. Gewi
ß hatte
21076 O
ß Saltner gereizt, um seine Rache an ihm nehmen zu
21077 k
önnen. Und sie f
ühlte sich schuldig als die geheime
21078 Ursache dieser Gegnerschaft. Sie horchte mit Bangigkeit auf die
21079 Erkl
ärungen, die Isma jetzt auf Ses Frage gab.
</p>
21080 <p>Ell hatte Isma am Tag vorher besucht, an demselben Tag, an
21081 welchem er genauere Nachricht
über die Vorg
änge in Bozen
21082 erhalten hatte und auch die ersten Mitteilungen an die Zeitungen
21083 gelangt waren. Die Klagen
über O
ß waren zuerst beim
21084 Unterkultor in Wien erhoben worden. Dieser befand sich in der
21085 schwierigen Stellung, da
ß er amtlich dem Kultor des gesamten
21086 deutschen Sprachgebiets in Berlin verantwortlich, in der
21087 Durchf
ührung seiner Anordnungen aber an die Zustimmung der
21088 politischen Oberbeh
örde, n
ämlich an das
21089 österreichische Ministerium gebunden war. Infolgedessen konnte
21090 er nicht ohne weiteres die Suspendierung des O
ß von seinem
21091 Amt verf
ügen, sondern es wurden Verhandlungen mit der Wiener
21092 Regierung notwendig. Von dort aus konnte erst an Ell berichtet
21094 <p>So waren mehrere Tage seit der Flucht Saltners vergangen, ehe
21095 Ell von derselben erfuhr. Nun wurde auf Grund der Klage der
21096 Beh
örden und der Einwohner des Bozener Instruktionsbezirks die
21097 Disziplinaruntersuchung gegen O
ß erhoben und der Unterkultor
21098 in Wien angewiesen, sich pers
önlich nach Bozen zu begeben. Man
21099 konnte annehmen, da
ß er heute daselbst eintreffen w
ürde.
21100 Aber f
ür Saltner wurde der Stand der Sache dadurch nicht
21101 gebessert. Seine Selbsthilfe war vom Standpunkt der Martier aus
21102 eine Gesetzesverletzung, die eine eindringliche strafrechtliche
21103 Verfolgung erforderte, weil man die Autorit
ät der Nume
21104 unbedingt aufrechterhalten wollte. Ell konnte daher nicht anders
21105 handeln, als die Ma
ßregeln zu best
ätigen, durch welche
21106 die Verhaftung Saltners erzielt werden sollte. Isma berichtete
21107 ausf
ührlicher
über die Beschuldigung, die von dem
21108 Instruktor gegen Saltner erhoben wurde. Danach erschien es, als
21109 h
ätte Saltner den Instruktor auf offner Stra
ße
21110 insultiert, die Einwohner zum Widerstand aufgefordert, seine Mutter
21111 und die Magd endlich durch einen raffinierten Betrug aus dem
21112 Laboratorium entf
ührt.
</p>
21113 <p>Se dachte im stillen: Wie gut, da
ß man nicht wei
ß,
21114 was er schon auf dem Mars verbrochen hat! La jedoch sagte mit
21115 k
ünstlicher Ruhe:
»Man wird doch erst h
ören
21116 m
üssen, wie sich die Sache von Saltners Seite aus
21117 ansieht.
«</p>
21118 <p>»Gewi
ß«, erwiderte Isma
»und ich kann
21119 Ihnen auch dar
über Auskunft geben. Ell hat n
ämlich
21120 gestern einen Brief von Saltner selbst erhalten, worin er ihm offen
21121 seine Handlungsweise darlegt und ihn um Hilfe gegen die ihm
21122 drohende Verfolgung angeht.
«</p>
21123 <p>»Einen Brief? So wei
ß man also, wo er sich
21124 aufh
ält? So ist er in Sicherheit?
«</p>
21125 <p>»Das kann man nicht sagen. Der Brief ist auf einer Station
21126 zwischen Bozen und Trient aufgegeben. Die dortigen Einwohner sind
21127 nat
ürlich alle auf Saltners Seite und werden ihn nicht
21128 verraten. Jedenfalls hat einer der F
ührer oder Tr
äger,
21129 die ohne Zweifel bei Saltners Flucht beteiligt waren, den Brief zur
21130 Station gebracht. Saltner selbst h
ält sich wahrscheinlich im
21131 Hochgebirge auf irgendeiner versteckt liegenden H
ütte
21133 <p>Isma erz
ählte nun, was Saltner getan hatte, nach seiner
21134 eigenen Schilderung in dem Brief, den Ell ihr gestern vorgelesen
21136 <p>Se sch
üttelte den Kopf und sagte:
»Das sieht alles
21137 Saltner ganz
ähnlich. Aber die Sache steht doch recht schlimm.
21138 Wenn man ihn bekommt, wird es ihm sehr
übel
21139 ergehen.
«</p>
21140 <p>»Warum?
« fuhr La pl
ötzlich auf.
»Ich
21141 glaube jedes Wort, was Saltner schreibt, und dann hat er sich gar
21142 nichts zuschulden kommen lassen. Er hat O
ß nicht angegriffen
21143 und sich seinen Befehlen nicht widersetzt, denn es waren ihm noch
21144 keine zur Kenntnis gekommen; und die Befreiung seiner Mutter hat er
21145 auf einem Weg bewirkt, der rein formell nicht anzugreifen
21147 <p>»Ell ist doch anderer Ansicht
«, erwiderte Isma.
21148 »Er entschuldigt zwar Saltner, der in seiner Lage und nach
21149 seinem Charakter nicht wohl anders handeln konnte, aber er glaubt
21150 doch, da
ß man ihn verurteilen wird. Und jedenfalls mu
ß
21151 er dem Gesetze freien Lauf gestatten, und, so leid es ihm tut,
21152 Saltner aufheben lassen.
«</p>
21153 <p>La erbla
ßte in heimlicher Angst.
»Und wie glaubt man
21154 seiner habhaft zu werden?
« fragte sie.
</p>
21155 <p>»Ganz leicht wird es ja nicht sein, aber in einigen Tagen
21156 bekommt man ihn sicher. Nur wenige der dortigen F
ührer kennen
21157 seinen Aufenthalt, und von ihnen verr
ät ihn keiner. Auch die
21158 Kenner der dortigen Berge werden sich nicht dazu hergeben. Nume
21159 k
önnen
überhaupt nicht auf diese H
öhen steigen und
21160 die verborgenen Schluchten durchsuchen. Aber der Wiener Unterkultor
21161 hat ein Luftboot zur Verf
ügung, und auch Ell w
ürde nicht
21162 anders k
önnen, als ein solches bereitzustellen. Dann lassen
21163 sich die Berge mit Leichtigkeit absuchen, und es ist nicht denkbar,
21164 wie Saltner entkommen sollte.
«</p>
21165 <p>»Wenn er aber doch entk
äme?
«</p>
21166 <p>»Wohin reichte die Macht der Nume nicht?
«</p>
21167 <p>»Es handelt sich zuerst nur um die Beh
örden des Mars
21168 auf der Erde. Auf dem Nu selbst h
ört jede obrigkeitliche
21169 Gewalt der Kultoren oder Residenten auf. Dann m
üßte erst
21170 der Zentralrat selbst die Auslieferung beschlie
ßen. Und
21171 selbst dieser k
önnte nicht in den Privatbesitz, in das Haus
21172 eindringen, um den Besitzer zu verhaften.
«</p>
21173 <p>»Ich wei
ß wohl, aber wie sollte Saltner auf den Nu
21174 gelangen? Und wenngleich, die Frage ist ja eben, ob man dem
21175 Pa
ß, den Saltner besitzt, die Bedeutung zuerkennt, da
ß
21176 ihm auch jetzt noch die Rechte eines Numen zukommen. Man
21177 k
önnte ihn f
ür ung
ültig erkl
ären.
«</p>
21178 <p>»Es gibt ein unverletzliches Asyl
«, sagte La leise,
21179 den Blick wie in weite Ferne gerichtet.
</p>
21180 <p>Isma verstand sie nicht. Se sah die Freundin an, als traute sie
21181 ihren Ohren nicht. Dann legte sie ihr liebkosend die Hand auf die
21182 Schulter und sagte l
ächelnd:
</p>
21183 <p>»Ich glaube, du siehst nun wieder zu schwarz. Saltner kann
21184 überhaupt nur so weit verfolgt werden, als das martische
21185 Schutzgebiet auf der Erde effektiv ist. Er w
äre also in
21186 au
ßereurop
äischen Staaten schon sicher, denn um von dort
21187 eine Auslieferung zu erzwingen, w
ären Ma
ßregeln
21188 erforderlich, die man um einer solchen Kleinigkeit willen nicht
21189 ergreifen wird. Und was Ell nicht geradezu tun mu
ß, das wird
21190 er auch nicht tun.
«</p>
21191 <p>»Das glaube ich ja
«, sagte Isma.
»Unter uns
21192 gesagt, Ell
äu
ßerte sich gestern: ich w
ünschte
21193 nichts mehr, als da
ß wir Saltner nicht f
änden, dann wird
21194 der Proze
ß in absentia gef
ührt, und in einem Jahr kann
21195 bei der Amnestie die Sache eingeschlossen werden.
«</p>
21196 <p>»Nun denn, so wollen wir uns nicht weiter Sorge machen.
21197 Saltner wird sich schon zu helfen wissen. Sagen Sie uns lieber, was
21198 wir bei dem sch
önen Wetter hier machen sollen.
«</p>
21199 <p>»Ich m
öchte doch wissen
«, sagte La
21200 z
ögernd,
»wann etwa die Verfolgung Saltners durch die
21201 Luftschiffe aufgenommen werden k
önnte.
«</p>
21202 <p>»Heute und morgen sicher noch nicht, das wei
ß
21203 ich
«, entgegnete Isma.
»Denn Ell sagte, da
ß der
21204 Kultor erst die Verhandlung gegen O
ß zu f
ühren hat, und
21205 solange beh
ält er sein Schiff bei sich. Soll ich noch einmal
21206 bei Ell anfragen?
« Sie wies auf das Telephon.
</p>
21207 <p>»Ach nein
«, sagte La,
»wir wollen uns noch gar
21208 nicht beim Herrn Kultor melden. Nun machen Sie Ihre
21209 Vorschl
äge.
«</p>
21210 <p>»Das Wetter ist eigentlich zu sch
ön f
ür
21212 <p>»Ach ja
«, rief Se.
»Wir wollen lieber hinaus.
21213 Haben Sie heute nachmittag f
ür uns Zeit?
«</p>
21214 <p>»Bis heute abend, gewi
ß.
«</p>
21215 <p>»Was meinst du, La, dann sehen wir uns einmal Ihren
21216 deutschen Wald dort in der N
ähe von Friedau an, den Sie uns so
21217 sch
ön geschildert haben.
«</p>
21218 <p>La sann nach. Dann nickte sie und sagte:
»Das ist mir sehr
21220 <p>»Aber wohin denken Sie
«, rief Isma.
»Dazu
21221 brauchen wir ja allein f
ünf bis sechs Stunden Eisenbahnfahrt,
21222 um nur bis hin zu kommen.
«</p>
21223 <p>Jetzt l
ächelte La.
»In zwanzig, in f
ünfzehn
21224 Minuten, wenn Sie wollen, sind wir da. Machen Sie sich nur zurecht,
21225 Sie sollen sogleich unsre Reisegelegenheit sehen.
«</p>
21226 <p>»Sie haben ein Luftschiff?
«</p>
21227 <p>»Und was f
ür eins!
« l
ächelte Se.
21228 »Wenn wir wollen, holt uns das gr
ößte Kriegsschiff
21229 nicht ein.
«</p>
21230 <h2>52 - Im Erdgewitter
</h2>
21231 <p>Aus den Wipfeln des weiten Bergwaldes ragt ein Felsvorsprung und
21232 blickt hinab auf das gr
üne Tal und die sanften
21233 H
öhenz
üge, die es gegen die Ebene abschlie
ßen.
21234 Hier, zwischen dem bl
ühenden Heidekraut, hatten La und Se sich
21235 gelagert, w
ährend Isma, auf den Ast einer verkr
üppelten
21236 Fichte gelehnt, tr
äumerisch in das Land hinausblickte.
</p>
21237 <p>»Dies gef
ällt mir am besten von allem, was ich bis
21238 jetzt auf der Erde gesehen habe
«, sagte Se, die violetten
21239 Bl
üten der Erika zu einem Kranz zusammenf
ügend.
21240 »Und zwar darum, weil es so still, ganz still ist, fast wie
21241 auf dem Nu.
«</p>
21242 <p>»Und vieles ist noch sch
öner
«, f
ügte La
21243 hinzu.
»Da
ß wir im milden Sonnenschein hier sitzen
21244 k
önnen,
über uns das wunderbare Licht des Himmels! Wie
21245 leichte Federn ziehen die wei
ßen Wolkenstreifen dort oben
21246 ihre zierlichen Figuren, und wie seltsam es sich da hinten ballt
21247 über der dunklen Wand, die der sinkenden Sonne entgegensteigt.
21248 Ach, seht doch, was ist das, dr
üben auf der Wiese am Rande des
21249 Waldes? Ein vorsintflutliches Gesch
öpf.
«</p>
21250 <p>»Es ist ein Hirsch
«, sagte Isma,
»der auf die
21251 Wiese tritt. Sehen Sie, wie er den Kopf hebt und die Luft einzieht,
21252 ob alles sicher ist. Ach, er verschwindet wieder, vielleicht hat er
21253 uns bemerkt.
Übrigens, die Wolken gefallen mir am wenigsten.
21254 Es sieht aus, als sollten wir ein Gewitter bekommen.
«</p>
21255 <p>»Ein Gewitter? Oh, davon haben wir gelesen. Das
21256 m
öchte ich einmal erleben. Ich kann mir keine Vorstellung
21257 davon machen. Aber was blicken Sie denn immer dort hin
über in
21258 die Ebene?
« fragte La.
</p>
21259 <p>»Sehen Sie dort hinten jenen dunklen Streifen?
«
21260 erwiderte Isma.
»Links davon erblicken Sie zwei T
ürme,
21261 das ist das Schlo
ß von Friedau. Und
über dem Streifen
21262 – es ist ein bewaldeter H
ügelr
ücken
–
21263 gl
änzt ein heller Punkt in der Sonne. Das ist die Sternwarte
21264 Ells
– –«</p>
21265 <p>»Wo?
« rief La eifrig, nach ihrem Glas greifend.
21266 »Ja, ich sehe es ganz deutlich. Den Turm und die Plattform
21267 des Hauses. Das m
öchte ich einmal in der N
ähe sehen. Es
21268 ist ja gar nicht weit.
«</p>
21269 <p>»Doch mehr als zwanzig Kilometer.
«</p>
21270 <p>»In drei Minuten sind wir dr
üben. H
ätten Sie
21271 nicht Lust, Ihre Heimat wieder einmal zu besuchen?
«</p>
21272 <p>»Jetzt?
« sagte Isma.
»Was sollte ich dort?
21273 Alles w
ürde mich nur traurig stimmen. Nein, auf keinen Fall.
21274 Und noch dazu mit dem Luftschiff, bei welchem die ganze Stadt
21275 zusammenlaufen w
ürde. Oh, Sie wissen nicht, wie man in Friedau
21276 über mich denkt.
«</p>
21277 <p>»Das ist schade. Ich m
öchte so gern
–« La
21278 z
ögerte einen Augenblick und fuhr dann fort:
»Ich
21279 m
öchte, offen gestanden, gern einmal mit Grunthe sprechen. Wir
21280 hatten uns eigentlich vorgenommen, ihn zu besuchen, nicht wahr,
21282 <p>»Nat
ürlich
«, sagte Se l
ächelnd.
»Wir
21283 wollen einmal sehen, was er f
ür Augen macht. Und vielleicht
21284 wei
ß er, wo Sal
–«</p>
21285 <p>Sie unterbrach sich auf einen Blick von La.
</p>
21286 <p>»Ich aber mu
ß, wie Sie wissen
«, sagte Isma,
21287 »gegen sieben Uhr wieder in Berlin sein, ich habe noch eine
21288 Vorlesung heute abend
– und jetzt
– es ist schon
21289 f
ünf Uhr vor
über.
«</p>
21290 <p>»Nun, dann m
üssen wir Sie freilich nach Hause
21291 bringen. Oder noch einfacher, wir k
önnen ja beides vereinigen
21292 – das Schiff f
ührt Sie nach Berlin und holt uns dann
21293 wieder hier ab. Es ist so sch
ön hier, und ich sitze sehr gern
21294 noch ein St
ündchen im Freien.
«</p>
21295 <p>Isma
überlegte.
»Aber dann ist es doch besser
«,
21296 sagte sie,
»Sie suchen einen gesch
ützteren Ort auf,
21297 da
ß Sie eine Unterkunft finden k
önnen, falls das
21298 Gewitter heraufkommt. Hier w
äre es auch f
ür das Schiff
21299 nicht m
öglich, Sie w
ährend des Unwetters aufzunehmen,
21300 denn dann ist alles dicht in Wolken geh
üllt. Wollen Sie denn
21301 überhaupt mit diesem auffallenden Schiff bei Grunthe
21302 ankommen?
«</p>
21303 <p>»Sie haben recht
«, sagte La,
»er ist imstande
21304 und macht sich vor uns aus dem Staub, wenn wir ihn nicht
21305 überraschen. Sie kennen die Gegend, geben Sie uns einen Rat,
21306 wo wir uns am besten wieder abholen lassen k
önnen.
«</p>
21307 <p>»Sobald es dunkel ist
«, antwortete Isma nach einigem
21308 Nachsinnen,
»findet Sie das Schiff nirgends besser als im
21309 Garten der Sternwarte selbst. Dort hat sich Ill, als er Grunthe vom
21310 Pol zur
ückbrachte und dann mit mir
–, dort hat das
21311 Luftschiff Ills zwei Tage unbemerkt von den neugierigen Friedauern
21312 gelegen.
«</p>
21313 <p>»Aber wie kommen wir dahin?
«</p>
21314 <p>»Wir fahren jetzt nach einer Stelle im Wald, von wo Sie in
21315 wenigen Minuten nach einem bekannten Aussichtspunkt zu Fu
ß
21316 gelangen k
önnen. Von dort f
ährt die Bahn nach Friedau,
21317 jede Viertelstunde geht ein Wagen. In f
ünfundvierzig Minuten
21318 kommen Sie damit nach der Stadt bis dicht an die Sternwarte.
21319 Da
ß auf der Sternwarte noch abends Fremdenbesuch eintrifft,
21320 ist ja nichts Ungew
öhnliches.
«</p>
21321 <p>»Gut, so wollen wir es machen. Von halb neun Uhr an soll
21322 mein Schiff f
ür uns im Garten der Sternwarte bereitliegen.
21323 Wenn Sie dem Schiffer bei der R
ückfahrt von weitem die Stelle
21324 zeigen und die Lokalit
ät ein wenig beschreiben, findet er sich
21325 zurecht. Er ist ein sehr geschickter Mann. Nun lassen Sie uns zum
21326 Schiff gehen.
«</p>
21327 <p>Ein schmaler Fu
ßweg zwischen dichtem, jungem
21328 Fichtengeb
üsch, auf dem nur eine Person hinter der andern
21329 schreiten konnte, f
ührte die drei Damen nach einer Lichtung,
21330 wo die schimmernde Luftyacht
›La
‹ ruhte. Kaum hatten
21331 sie diese betreten, als sie sich in die L
üfte erhob und nach
21332 Ismas Weisung einem der bewaldeten H
ügel zuflog, mit denen der
21333 H
öhenzug nach der Ebene hin abfiel. Hier fand sich wieder eine
21334 Waldwiese, auf welcher das Schiff sich bequem niederlassen konnte.
21335 Isma f
ührte La und Se durch den Wald bis nach einem
21336 sorgf
ältig gebauten Promenadenweg.
</p>
21337 <p>»Wenn Sie nun in dieser Richtung weitergehen
«, sagte
21338 sie,
»so sind Sie in f
ünf Minuten an dem gro
ßen
21339 Gasthaus
›Zur sch
önen Aussicht
‹, und unmittelbar
21340 unter demselben liegt die Haltestelle der Bahn. Sie k
önnen
21341 nicht mehr fehlen. Halten Sie sich aber nicht auf, denn das
21342 Gewitter kommt n
äher, und auch ich mu
ß mich eilen, damit
21343 ich vor seinem Ausbruch fortkommen
</p>
21344 <p>»Seien Sie unbesorgt und reisen Sie gl
ücklich!
«
21345 sagte La.
»Wir sehen uns bald wieder. Sind Sie einmal im
21346 Schiff, so kann Ihnen kein Wetter etwas anhaben. Sie sind im
21347 Augenblick dar
über oder so weit, als Sie wollen.
«</p>
21348 <p>Nach herzlichem Abschied ging Isma durch den Wald zur
ück,
21349 w
ährend La und Se auf dem bequemen Weg sanft bergab stiegen.
21350 Bald gelangten sie an eine Bank, von welcher sich ein lieblicher
21351 Blick
über den Wiesengrund des Tales mit seinen Villen und
21352 kleinen Teichen und weit in die Ebene hinaus er
öffnete. La
21353 lie
ß sich nieder und sagte:
»Hier wollen wir so lange
21354 warten, bis wir das Schiff erblicken und sehen, da
ß Isma
21355 gl
ücklich abgereist ist.
«</p>
21356 <p>L
ängere Zeit sa
ßen sie schweigend, w
ährend ihre
21357 Blicke bald
über das Land, bald
über den Himmel
21358 schweiften. Der Sonnenglanz
über der Ebene war verschwunden.
21359 Nur die fernen H
öhen im Osten leuchteten noch in gelblichem
21360 Licht. Vergebens suchte La die T
ürme von Friedau aus dem
21361 Gewirr der dunklen Flecken und Streifen herauszuerkennen. Der
21362 Himmel hatte sich mit einer gleichm
äßigen Schicht von
21363 Grau
überzogen, unter welcher jetzt von Westen her
21364 dunkelbraune Wolkenmassen sich heranschoben.
</p>
21365 <p>»Das Schiff m
üßte l
ängst sichtbar sein
21366 – ich glaube, wir d
ürfen nicht l
änger
21367 warten
«, sagte Se
ängstlich, indem sie den drohenden
21368 Himmel musterte.
</p>
21369 <p>»Ich glaube auch, wir warten vergebens
«, antwortete
21370 La.
»Sie werden gleich bis
über die Wolken gestiegen
21371 sein, und wir k
önnen sie daher nicht sehen. Horch, was ist
21373 <p>Ein dumpfes Rollen wurde vernehmlich, verst
ärkte sich und
21374 kehrte, von den Bergen zur
ückgeworfen, mit erneuter
21375 Sch
ärfe wieder.
</p>
21376 <p>Se fa
ßte Las Arm.
»Komm, komm
«, sagte sie
21378 <p>La f
ühlte, wie ihr Herz lebhafter schlug, sie zwang sich,
21379 ruhig zu bleiben.
</p>
21380 <p>»Wie wunderbar
«, sagte sie,
»das mu
ß der
21381 Donner sein. La
ß uns noch lauschen.
«</p>
21382 <p>»Nein, nein, das ist nichts f
ür mich.
«</p>
21383 <p>Ein Rauschen und Brausen kam durch den Wald. Pl
ötzlich
21384 beugten sich die B
äume unter der Gewalt eines
21385 Windsto
ßes, ringsumher wirbelten Tannennadeln und d
ürre
21386 Zweige in einer Wolke von Staub. Die Martierinnen griffen nach
21387 ihren H
üten und banden sie fester. Sie zogen ihre fast
21388 unsichtbaren List
ücher aus dem kleinen Futteral, warfen sie
21389 über den Kopf und h
üllten sich hinein. Lauter warnte der
21391 <p>Von oben her ert
önten eilende Schritte. Ein Herr, den Hut
21392 in die Stirn gedr
ückt, mit einem Wettermantel um die
21393 Schultern, kam schnell den Weg herab. Er gr
üßte, ohne
21394 die Damen genauer zu beachten. Einige Schritte nachher drehte er
21395 sich noch einmal um. Er wollte sie zur Eile mahnen, aber jetzt
21396 erkannte er, da
ß er Martierinnen vor sich habe, und setzte
21397 seinen Weg ohne zu sprechen fort.
</p>
21398 <p>Der Wind hinderte La und Se an der Bewegung. Jetzt h
örte er
21399 pl
ötzlich auf, und sie schritten schnell aus. Der Weg zog sich
21400 in engen Windungen bergab; an der Stelle, an welcher sie sich
21401 befanden, hatten sie jetzt das Wetter mit seinen finstern
21402 Wolkenmassen vor sich.
</p>
21403 <p>»Das sieht schrecklich aus
«, sagte Se.
</p>
21404 <p>Sie hatte noch nicht ausgesprochen, als sie sich mit einem
21405 leichten Schrei zur
ückwarf und an Las Arm klammerte, die
21406 ebenfalls erschrocken stehenblieb. Ein blendender Blitzstrahl war
21407 dr
üben jenseits des Tales niedergefahren. W
ährend sie
21408 noch ersch
üttert standen, begannen einige gro
ße Tropfen
21409 zu fallen, und nun kam der Donner mit knatternden Schl
ägen,
21410 die sich in ein langes Rollen aufl
östen, und ehe noch der
21411 Widerhall geendet, zuckte ein neuer Blitz, n
äher und
21412 st
ärker
– –</p>
21413 <p>Sie sprachen nicht mehr, sie liefen den Weg hinab. Jetzt brach
21414 der Regen in m
ächtigem Gu
ß los, im Augenblick war der
21415 Weg mit rieselnden B
ächlein bedeckt.
</p>
21416 <p>»Ich kann nicht mehr!
« st
öhnte Se.
</p>
21417 <p>La blieb stehen und sah sich um.
»Da, dort!
« rief
21419 <p>Der Weg machte wieder eine Windung. Hier stand, mit dem Blick
21420 ins Tal, ein kleiner Pavillon, nur aus Fichtenst
ämmchen
21421 kunstlos aufgezimmert und mit Baumrinde bedeckt; aus den
21422 ausgesparten Fenstern hatte man dieselbe Aussicht wie oben, nur
21423 beschr
änkter, jetzt aber blickte man auf nichts als
21424 str
ömende Wassermassen. Hier fand man wenigstens einen
21425 notd
ürftigen Schutz gegen den Regen. Die Freundinnen eilten in
21426 die H
ütte.
</p>
21427 <p>Als sie eintraten, erhob sich von der Bank an der einzigen
21428 Seite, die gegen den Regen und Wind gesch
ützt war, der Herr,
21429 der vorhin an ihnen vor
übergegangen war.
</p>
21430 <p>»Oh, ich bitte
«, sagte La,
»lassen Sie sich
21431 nicht st
ören, wir finden schon Platz.
«</p>
21432 <p>Der Herr verbeugte sich nur h
öflich, verlie
ß aber die
21433 H
ütte. Er stellte sich vor derselben neben die T
ür unter
21434 das vorspringende Dach.
</p>
21435 <p>Ein Blitz, dem bet
äubender Donner im Moment folgte,
21436 lie
ß die Martierinnen zusammenschrecken, sie sanken
21437 ersch
öpft auf die h
ölzerne Bank.
</p>
21438 <p>»Das ist schrecklich
«, sagte Se mit bebender Stimme.
21439 »ich zittere am ganzen K
örper. Ich will nichts mehr
21440 wissen von dieser Erde!
«</p>
21441 <p>La nahm ihre H
ände zwischen die ihrigen.
</p>
21442 <p>»Zage nicht
«, sagte sie.
»Es ist leicht, ein
21443 freier Nume sein, wo wir herrschen
über die Natur und
21444 m
ächtig leben wie die G
ötter. Aber hier, in der Gewalt
21445 der sinnlosen M
ächte, die uns fremd sind und ungewohnt,
21446 m
üssen wir den Mut des Willens erweisen. Sieh, dieser Mensch
21447 hat uns seinen Platz einger
äumt, uns, die er vielleicht
21448 ha
ßt, und er steht drau
ßen im Sturm und blickt
21449 furchtlos in das tobende Wetter. Was der Mensch kann, mu
ß
21450 auch ich k
önnen, oder ich bin nicht wert der Erde. Und das
21451 will ich sehen!
«</p>
21452 <p>Sie erhob sich und trat an die Br
üstung des offenen
21453 Fensters, unter welcher der Fels ins Tal abfiel, so da
ß
21454 gerade nur noch die Wipfel der hohen Tannen bis herauf reichten.
21455 Wind und Regen schlugen von der Seite herein, La k
ümmerte sich
21456 nicht darum. Die Schulter an die Pfosten des Fensters gelehnt,
21457 stand sie hochaufgerichtet, den Elementen trotzend, in ihren
21458 Lisschleier geh
üllt, dessen Zipfel der Sturm zerzauste. Ihre
21459 gro
ßen Augen richteten sich gegen den Himmel, als wollte sie
21460 den Wetterstrahl herausfordern. Und wie z
ürnend
über die
21461 Verwegenheit der Nume
öffnete sich die Wolke, und die feurigen
21462 Schlangen z
üngelten nach dem Talgrund, und gleichzeitig
21463 dr
öhnte ein Donnerschlag, der die Luft erzittern machte.
</p>
21464 <p>Geblendet und bet
äubt hatten alle einen Moment die Augen
21466 <p>»La, La
«, rief dann Se,
»was f
ällt dir
21467 ein, was soll das hei
ßen?
«</p>
21468 <p>La stand aufgerichtet wie zuvor an ihrem Platz. Sie
21469 sch
üttelte stolz das Haupt und sprach heiterer als vorher,
21471 <p>»Ich kann es, ich kann
’s!
«</p>
21472 <p>»Wozu das alles!
« rief Se.
»Komm her zu mir,
21473 du wirst v
öllig na
ß.
«</p>
21474 <p>»Ich will es. Dieser junge Planet tobt wie ein
21475 J
üngling in Launen und
Übermut, nicht achtend der
21476 Gesch
öpfe, die er beh
üten soll. Unser Nu ist ein Greis,
21477 der uns verw
öhnt hat in seiner sicheren Ruhe. So
21478 verw
öhnt, da
ß wir die Gefahr suchen mu
ßten
21479 drau
ßen im Weltraum. Auf der Erde ist die Jugend mit ihrem
21480 Wetterunfug, mit ihrer blinden Torheit, mit ihrem schwankenden
21481 Wechsel von Leid und Gl
ück. Zum Leid ward sie mir, zum
21482 Gl
ück soll sie mir werden!
«</p>
21483 <p>Sie schwieg, noch einmal vom Rollen des Donners unterbrochen.
21484 Aber sie hatte den Blitz nicht mehr gesehen, das Wetter war
21485 über ihrem Haupt hinweggezogen. Se antwortete nicht. Das
21486 Geschick der Freundin stand vor ihrer Seele wie eine Frage, deren
21487 Antwort m
ächtiger und immer deutlicher sich ihr
21488 aufdr
ängte und die sie sich dennoch nicht zu geben wagte.
21489 Jetzt lauschte sie wieder auf den Donner, dessen St
ärke sich
21490 verringert hatte. Sie f
ühlte sich freier. Der Nachla
ß
21491 der elektrischen Spannung oder die Entfernung der Gefahr, sie
21492 wu
ßte nicht, was es war, aber sie atmete auf. Ihr Blick
21493 richtete sich nach dem Weg, wo sie das Knirschen von Tritten
21494 vernahm. Der Fremde entfernte sich. Er hatte den Hut in die Hand
21495 genommen, deutlich sah sie sein Profil, als er jetzt, einen Blick
21496 nach den Wolken werfend, um die Ecke des Weges bog. Und wie ein
21497 Aufleuchten der Erinnerung durchzuckte es sie. Das Bild hatte sie
21498 gesehen, oft gesehen, und erst heute, die gro
ße
21499 Kreidezeichnung
über Ismas Schreibtisch
– nur freilich,
21500 älter sah dieser Mann aus, abgeh
ärmter und dennoch, es
21501 konnte nicht anders sein ... doch es war ja nicht m
öglich
21502 – –</p>
21503 <p>Sie wollte etwas zu La sagen. Aber diese stand ganz in den
21504 Anblick der Gegend versunken. Und nun fing La aufs neue zu sprechen
21505 an, nur mit ihrem eigenen Gedankengang besch
äftigt. Und Se
21506 wandte wieder der Freundin allein ihre Aufmerksamkeit zu.
</p>
21507 <p>Wie in einer stillen Freude begann La:
</p>
21508 <p>»Sieh, der Regen wird sanfter, dr
üben
über dem
21509 Wald wird
’s hell. Und dort
über dem Land, o welch ein
21510 frohes Wunder, in bunten Farben flammt der Bogen
über den
21511 Himmel, und grollend zieht der Donner unter ihm hinweg.
«</p>
21512 <p>Se stand auf und trat neben La. Die Schritte des Fremden waren
21513 l
ängst verhallt. Sie schlang den Arm um die Freundin und
21514 fragte:
»Was ist es mit dir, La? Ich verstehe dich
21516 <p>La blickte schweigend in die Ferne, wo die untergehende Sonne
21517 und der abziehende Regen in wundersamer Farbenschlacht sich
21518 bek
ämpften. Dann zog sie Se an sich und sagte:
»Ich
21519 liebe die Erde.
«</p>
21520 <p>Se blickte ihr in die Augen.
»Es wird wohl nicht die ganze
21521 Erde sein
«, sagte sie mit stillem L
ächeln.
»Komm,
21522 wir wollen uns auf diese Bank setzen
– der Regen rieselt noch
21523 immer im Gebirge
–, bis die Wasser von dem Weg sich ein wenig
21524 verlaufen haben, und du wirst mir beichten, was du darfst, oder
21525 wenigstens, was du vorhast; denn ich ahne wohl, was du f
ühlst,
21526 aber das Ganze, Ungeheure, was du zu wollen scheinst, vermag ich
21527 nicht zu begreifen.
«</p>
21528 <p>»Du vermagst es wohl nicht zu begreifen
«, sprach La
21529 mit kaum h
örbarer Stimme, indem sie Se folgte.
»So hab
21530 ich auch eine, es ist die der Vernunft im zeitlosen Willen,
21531 da
ß ich sein soll und da
ß wir das eine, dasselbe Ich
21532 sein sollen
– das ist die oft zu mir gesagt, und wer
21533 verm
öcht
’ es wohl, der es nicht erlebt? Aber nun
21534 wei
ß ich, da
ß es so sein mu
ß. Glaube nicht, ich
21535 h
ätte vergessen, da
ß ich eine Nume bin. Ich habe
21536 gek
ämpft um meine Freiheit, um meine W
ürde, und mit
21537 bittern Tr
änen hab ich sie mir errungen, glaubt
’ ich sie
21538 mir errungen mit jenem Abschiedsku
ß in Sei. Ein Marsjahr ist
21539 dahingegangen seitdem, zweimal hat die Erde ihren Sonnenlauf
21540 vollbracht, aber frage nicht, wie ich die Zeit durchlebte!
–
21541 Ich habe mich aufgerieben in diesem nutzlosen Kampf. Ich hatte ja
21542 nicht gesiegt, ich war geflohen vor mir selbst. Freiheit und
21543 W
ürde hatte ich nicht gewonnen in meiner Seele, nur Weltraum
21544 und Sonne, die trennenden M
ächte der Planeten, hielten mich in
21545 dem leeren Schein, da
ß der Nu meine Heimat und ich eine Nume
21546 sei. So lebt
’ ich, mich selbst betr
ügend und verzehrend,
21547 bis der Morgenstern wieder leuchtete. Da trieb es mich her.
21548 W
ürde des Numen! Ist sie noch W
ürde, wenn sie erhalten
21549 wird durch den
äu
ßeren Zwang? Nein, Se, es wurde mir
21550 klar, W
ürde wie Freiheit wiedergewinnen konnte ich nur, wenn
21551 ich selbst mich hingab, um sie in dieser Welt des Scheines zu
21552 verlieren. Und wie ein Zeichen heiliger Bestimmung wurden mir die
21553 Mittel der Macht, die in meine H
ände gegeben war. Versuchen
21554 wollt
’ ich, ob ich auf der Erde das sein kann, was der
21555 Geringsten Eine unter den Menschen ihm hier sein k
önnte. Ihm!
21556 Se, dies eine Wort verstehst du nicht
– ihm? Warum ihm? Das
21557 ist das Geheimnis, das unaufl
ösliche, das weder Menschen noch
21558 Nume wissen. Ihm, weil ich bin, weil wir so wollten, ehe noch Mars
21559 und Erde vom uralten Sonnenscho
ß sich trennten. Ein
21560 l
ächerlicher Zufall, da
ß ihm der Leib gebildet ward in
21561 diesem, mir in jenem Abstand vom Sonnenball! Die Bestimmung ist nur
21562 Liebe. Dieser Bestimmung folgen ist Freiheit. Dieser Bestimmung
21563 gen
ügen ist W
ürde. Ich habe die Erde versucht, ich kann
21564 ich gehe jetzt hin, ich hole ihn und rede zu ihm, hier bin ich, und
21565 anders kann ich nicht sein. Als Nume oder als Mensch, wie du mich
21566 haben willst, ich bin La, deine La. Und nun, meine Se, schilt
21567 nicht, l
ästre nicht, es nutzt nichts. Komm mit, la
ß uns
21568 zur Station hinabsteigen, Grunthe soll mir sagen, wo er ist.
«
21569 ihren M
ächten trotzen. Und damit du
’s wei
ßt, was
21570 ich will
–</p>
21571 <p>»Ja, wer denn?
«</p>
21572 <p>»Wer? Es gibt nur einen Menschen.
«</p>
21573 <h2>53 - Schwankungen
</h2>
21574 <p>Die Wohnung Torms auf der Gartenstra
ße in Friedau stand
21575 noch immer verschlossen, die Jalousien vor den Fenstern waren
21576 herabgelassen, niemand betrat die R
äume. Isma hatte sich nicht
21577 entschlie
ßen k
önnen, die Wohnung aufzugeben, es war ihr,
21578 als g
äbe sie damit die letzte Hoffnung auf, noch einmal in
21579 ihre H
äuslichkeit zur
ückzukehren, als raubte sie ihrem
21580 Mann das Heim, das er vielleicht in Schmerz und Elend suchte und
21582 <p>Und dennoch lebte Torm in Friedau in tiefster Verborgenheit. Er
21583 wohnte bei Grunthe. Es war nichts Ungew
öhnliches, da
ß
21584 fremde Gelehrte sich l
ängere Zeit auf der Friedauer Sternwarte
21585 zu Studien aufhielten und dann Ells G
äste waren. So fiel es
21586 auch den wenigen nicht auf, die darum wu
ßten, da
ß bei
21587 Grunthe ein ausl
ändischer Astronom wohnte, der sich nirgends
21588 in der Stadt sehen lie
ß.
</p>
21589 <p>Torm war am Tag, nachdem er von Grunthe die ersch
ütternden
21590 Nachrichten
über die Umwandlung der Verh
ältnisse in
21591 Europa erhalten hatte, nach Berlin gereist. Die Sehnsucht trieb
21592 ihn, zu Isma zu eilen, ihr die Sorge, die Trauer um den
21593 Verschollenen zu nehmen, gl
ücklich bei ihr zu sein und mit ihr
21594 vereint dann zu erwarten, was sein Geschick
über ihn bestimmen
21595 werde, wenn seine R
ückkehr bekannt geworden sei. Das war ja
21596 doch das Nat
ürliche, zu ihr geh
örte er, um zu ihr zu
21597 gelangen hatte er sich in die neuen Gefahren gest
ürzt und
21598 – in die Schuld. Seine Zweifel waren zerstreut, sein
21599 Vertrauen zur
ückgekehrt. Wenn sie ihn nicht liebte, wenn sie
21600 nicht fest an ihm hielt, was h
ätte sie gehindert, ihn zu
21601 verlassen, um den m
ächtigen Freund zu w
ählen? Was sie
21602 offen tun konnte, warum h
ätte sie es heimlich tun sollen?
21603 Nein, sie hatte es nicht getan, und da sie es nicht getan, was ging
21604 Ell ihn an? Nicht zu Ell wollte er, sondern zu ihr. Aber ohne
21605 vorherige Nachricht. Erst mu
ßte er mit ihr besprechen, was zu
21606 tun sei, wie sie es halten wollten, ehe jemand erfahren durfte,
21607 da
ß er gerettet sei, wo er sich aufhalte. Und in diesem Sinne
21608 hatte er Grunthe gebeten, das Geheimnis seiner Wiederkehr zu
21610 <p>Wie w
ürde er Isma antreffen, wie w
ürde sie ihm
21611 begegnen? Er konnte sich kein Bild davon machen, vergebens
21612 versuchte er sich im Beginn seiner Fahrt das Wiedersehen
21613 auszumalen. Noch immer lag der Gedanke, als ein Ge
ächteter zu
21614 reisen, wie ein Druck auf ihm, unwillk
ürlich sah er die
21615 Mitreisenden darauf an, ob sie ihn wohl erkannten. Mitunter
21616 erschien er sich als ein Fremder, der sich eine Entschuldigung
21617 ersinnen m
üsse, um seinen Besuch zu rechtfertigen, und er
21618 mu
ßte sich erst daran erinnern, da
ß er als der Gatte zu
21619 seiner Frau fahre, die seit zwei Jahren seine Wiederkehr erhoffte.
21620 Dazwischen stellte er Betrachtungen
über das Verhalten der
21621 Passagiere an. Es fiel ihm eine
Änderung darin auf, die seit
21622 seiner letzten Fahrt durch Deutschland auf der Eisenbahn vor sich
21623 gegangen war. Das war vor dem Antritt seiner Entdeckungsreise
21624 gewesen, denn bei seiner Wiederkehr war er als Triumphator
21625 empfangen,
überall in Extraz
ügen eingeholt worden und
21626 nicht als einfacher Passagier gereist. Ein Typus der Reisenden war
21627 ganz verschwunden, der anspruchsvolle, geringsch
ätzig auf die
21628 andern herabblickende, hochm
ütige Elegant. Man sah vornehme
21629 Leute, aber keine
Überhebung; nicht nur ein h
öflicher,
21630 fast ein kameradschaftlicher Ton herrschte
überall; die
21631 verschiedenen Berufsarten und St
ände hatten sich unter dem
21632 allgemeinen Druck n
äher aneinander geschlossen, suchten sich
21633 besser zu verstehen. Und ebenso auffallend war das Fehlen aller
21635 <p>In Halle kaufte sich Torm eine Zeitung, er gedachte, sich den
21636 übrigen Teil der Fahrt damit zu unterhalten. Aber alsbald
21637 stie
ß er auf eine Nachricht, die ihm neue Sorgen erweckte.
21638 Die Zeitung brachte die erste Mitteilung
über den
›Fall
21639 Stuh
‹ bei Frankfurt, wo die Bauern in einem Ort sich an dem
21640 durchreisenden Instruktor vergriffen hatten. Es war
21641 hinzugef
ügt, da
ß bereits vier der Tumultuanten als
21642 R
ädelsf
ührer verhaftet seien und der Instruktor die
21643 Überweisung an den Numengerichtshof verlangt habe. In diesem
21644 Fall f
ürchte man sehr strenge Strafen f
ür die Schuldigen.
21645 Im Anschlu
ß hieran behandelte ein Artikel die Frage nach der
21646 Gerichtsbarkeit, sofern in einer Streitfrage Nume in Betracht
21647 k
ämen. In dem Friedensvertrag war festgesetzt, da
ß Nume
21648 überhaupt nur von martischen Richtern abgeurteilt werden
21649 konnten, aber es war nicht ganz klar, in welchen F
ällen
21650 Menschen, die sich gegen Nume vergingen, vor die martischen statt
21651 vor die Landesgerichte k
ämen. Sicher war dies in politischen
21652 Prozessen, aber ob ein Tumult, wie gegen Stuh, zu den politischen
21653 zu z
ählen sei, war fraglich. Es wurde nun darauf hingewiesen,
21654 da
ß der Protektor der Erde, als oberste Instanz in
21655 Kompetenzkonflikten, in einem
ähnlichen Fall entschieden
21656 hatte, da
ß es sich um eine Auflehnung gegen martische
21657 Anordnungen zur Kulturleitung der Menschen und somit um ein
21658 hochverr
äterisches Unternehmen handle, das vor das
21659 Numengericht geh
öre.
</p>
21660 <p>Es handelte sich um einen jungen Mann namens Erbelein, der wegen
21661 Vers
äumnis der Fortbildungsschule ins psychophysische
21662 Laboratorium geschickt worden war und sich hier den Anordnungen
21663 nicht gef
ügt hatte. Aus einem Schrank mit Chemikalien hatte er
21664 eine Flasche mit einem Narkotikum entwendet, seinen Beobachter
21665 eingeschl
äfert und sich entfernt. Von zwei Beds verfolgt und
21666 eingeholt, hatte er dieselben pl
ötzlich
überrumpelt und
21667 einen von ihnen nicht unbedenklich verletzt. Dies war als offene
21668 Emp
örung angesehen und mit der schwersten Strafe belegt
21669 worden, mit lebensl
änglicher Deportation nach einem Dorf der
21670 Beds in einer der
ödesten W
üstengegenden des Mars.
</p>
21671 <p>Durch diesen Pr
äzedenzfall, der in den Hauptsachen ganz mit
21672 seiner eigenen Verschuldung
übereinstimmte, f
ühlte sich
21673 Torm schwer betroffen. Das alles und noch mehr hatte er sich ja
21674 auch zuschulden kommen lassen. Er hatte sich dem Spruch des
21675 Kriegsgerichts entzogen, Sauerstoff entwendet, ohne Befugnis ein
21676 Luftschiff benutzt, endlich einen W
ächter bei Aus
übung
21677 seines Berufes niedergeschlagen. Er konnte sich nun die Frage
21678 beantworten, was ihm bevorstand, wenn er f
ür seine
21679 Handlungsweise zur Verantwortung gezogen wurde.
</p>
21680 <p>Und nun entdeckte er in demselben Blatt eine weitere Notiz, die
21681 ihn stutzen lie
ß. Es war darin gesagt, da
ß die
21682 Regierung des Polreichs der Nume auf der Erde infolge der
21683 allgemeinen Teilnahme, die das Verschwinden des hochverdienten
21684 Forschers Torm hervorgerufen habe, nochmals in allen Teilen der
21685 Erde sorgf
ältige Nachforschungen nach seinem Verbleib
21686 anstellen lie
ße. Es l
äge die M
öglichkeit vor,
21687 da
ß er auf eine noch nicht aufgekl
ärte Weise doch im Mai
21688 vorigen Jahres den Pol verlassen habe und sich vielleicht in
21689 unzug
änglichen Gegenden oder bei wilden V
ölkerschaften
21691 <p>Es war nicht gesagt, da
ß er eines Verbrechens wegen
21692 verfolgt w
ürde. Aber war das nicht vielleicht blo
ß eine
21693 Vorsichtsma
ßregel, sollte ihm nicht eine Falle gestellt
21694 werden? Und wenn er nun pl
ötzlich auftauchte, w
ürde man
21695 dann nicht die Anklage gegen ihn erheben? Die Flucht vor dem
21696 Kriegsgericht mochte durch die Amnestie beim Friedensschlu
ß
21697 von der Anklage ausgeschieden sein, die Gewalt
ätigkeit bei der
21698 Flucht in Tibet aber jedenfalls nicht. Wenn diese neuen
21699 Nachforschungen jetzt erst geschahen, weil vielleicht diese seine
21700 Tat erst jetzt den Martiern bekannt geworden war?
</p>
21701 <p>Torm lie
ß sein leichtes Gep
äck auf dem Bahnhof und
21702 trat unschl
üssig in den leise herabrieselnden Regen hinaus. Zu
21703 Fu
ß verfolgte er den weiten Weg nach Ismas Wohnung, gleichsam
21704 als wollte er dem Zufall noch eine Bestimmung
über sein
21705 Schicksal einr
äumen. Dabei musterte er die eilend
21706 einherschreitenden Fu
ßg
änger, und je n
äher er dem
21707 Osten der Stadt kam, um so unruhiger f
ühlte er sein Herz
21708 schlagen. So oft eine schlanke Frauengestalt ihm begegnete, immer
21709 durchzuckte ihn der Gedanke, ob es nicht Isma sein k
önnte, und
21710 wenn er die fremden Z
üge erkannte, wu
ßte er kaum, ob er
21711 sich entt
äuscht oder befreit f
ühlte.
</p>
21712 <p>Es war bereits dunkel geworden, als er die Wrangelstra
ße
21713 erreichte und nach den Hausnummern sp
ähte. Jetzt stand er vor
21714 Ismas Haus. Er mu
ßte sich entscheiden. Er sch
ämte sich
21715 seiner selbst. So kam er nach Hause, den die gebildete Welt als den
21716 Entdecker des wahren Nordpols gefeiert hatte? Heimlich wie ein
21717 Fl
üchtling, der das Licht des Tages scheut, der die Schwelle
21718 des Hauses zu betreten z
ögert? War es denn sein Haus? Nein,
21719 auch sie war ja gefl
üchtet
–. Und seine Frau? War sie es
21720 denn noch? Nicht mehr nach dem Gesetz des Nu
– wenn sie nicht
21721 wollte! Aber sie wollte doch wohl! Nein, nein, nicht mehr diesen
21722 Zweifel! Aber er! Was brachte er ihr? Den sonnigen Schein des
21723 Ruhmes, darin er vor sie zu treten hoffte, um mit ihr auf den
21724 H
öhen des Lebens zu wandeln? Konnte er sie
21725 zur
ückf
ühren in das verlassene Haus, in die friedliche
21726 Heimat? Brachte er ihr den Frieden und die Ruhe, und nicht vielmehr
21727 neue Sorge und rastlose Flucht? Ri
ß er sie nicht heraus aus
21728 einem stillen Gl
ück, aus einer sich begn
ügenden
21729 T
ätigkeit, um sie in un
übersehbares Leid zu st
ürzen?
21730 Das alles zog noch einmal, in einen Moment sich
21731 zusammendr
ängend, vor seinem Bewu
ßtsein vor
über,
21732 und schon wandte er den Fu
ß, um wieder in das Dunkel der
21733 Stra
ße zur
ückzutreten.
</p>
21734 <p>Da
öffnete sich die T
ür. Der Portier hatte ihn durch
21735 sein Fenster vor der Haust
ür stehen sehen.
»Zu wem
21736 w
ünschen Sie?
« fragte er mi
ßtrauisch.
</p>
21737 <p>»Wohnt Frau Torm hier?
« fragte Torm heiser.
</p>
21738 <p>»Jawohl, im hinteren Fl
ügel, drei Treppen.
«</p>
21739 <p>»Wissen Sie vielleicht, ob sie zu Hause ist?
«</p>
21740 <p>»Jawohl, es ist eben Besuch nach oben.
«</p>
21741 <p>Einen Moment z
ögerte Torm. Dann sagte er:
</p>
21742 <p>»Ich will wiederkommen.
«</p>
21743 <p>Die T
ür schlo
ß sich hinter ihm. Langsam schritt er
21744 die Stra
ße hinauf. Besuch? Wer war es? Gleichviel
– sie
21745 mu
ßte allein sein, wenn er sie wiedersehen wollte. Besuch!
21746 Und er, der totgeglaubte, nach drei Jahren heimkehrende, der
21747 überall gesuchte Gatte, er lie
ß sich abschrecken durch
21748 das W
örtchen Besuch! Das trennte ihn von ihr, der
21749 Hei
ßersehnten. Warum? Er schauderte vor sich selbst.
</p>
21750 <p>Warum? Weil er nicht sagen konnte, hier bin ich, dein Hugo, mit
21751 dem das Gl
ück wieder einkehrt am Herd! Weil sie nicht sagen
21752 konnte, hier ist er, den ihr jubelnd bewillkommt habt, hier ist
21753 mein Gatte! Weil er vor ihr stehen mu
ßte als ein Verbrecher,
21754 über welchem das Schwert h
ängt, die lebensl
ängliche
21755 Verbannung. Weil er seinen Blick niederschlagen mu
ßte vor
21756 ihr, als ein unbesonnener Verletzer des Gesetzes! Weil er wieder
21757 fort mu
ßte von ihr auf immer, oder sie mit sich ziehen ins
21758 Elend, wenn sie ihm folgte in die W
üsten des feindlichen
21759 Planeten
–. Nein, nein, dann lieber diesen Schmerz ihr
21760 ersparen! Dann lieber sie in dem Glauben lassen, da
ß er
21761 verschollen sei, unter dem Eis, oder wo auch immer
–
21763 <p>Und so schritt er die Stra
ße hinab und wieder hinauf, und
21764 fragte sich nochmals, welcher Besuch? Und die T
ür
öffnete
21765 sich jetzt, und der heraustrat
– – es war Ell. Ja, er
21766 durfte bei ihr sein, er, der ihn hinausgelockt in die Gefahren des
21767 Pols, er
–. Und nun war es ihm, als m
üsse er sich auf
21768 ihn st
ürzen
–. Doch der sah ihn nicht, er schritt ruhig,
21769 aufgerichtet voran, ein gl
änzender Wagen hielt in der
21770 N
ähe, er stieg hinein.
</p>
21771 <p>Torm wandte sich um. Wieder suchte er durch den Regen den Weg
21772 nach dem Bahnhof. Der Nachtzug f
ührte ihn nach Friedau
21774 <p>Er sagte Grunthe, da
ß er erst noch n
ähere
21775 Aufkl
ärung
über die Absichten der Martier und das
21776 Schicksal des nach Tibet gegangenen Schiffes abwarten wolle, ehe er
21777 es wage, sich zu erkennen zu geben. Solange wolle er versuchen,
21778 verborgen zu bleiben. Bereitwillig bot ihm Grunthe das abgelegene
21779 stille Asyl der Sternwarte zum Aufenthalt an. Hier weihte er Torm
21780 in seine schon l
ängst vorbereiteten Bestrebungen ein, einen
21781 allgemeinen Menschenbund zu gr
ünden, der durch eine
21782 freiwillige Aufnahme der von den Martiern gebotenen Kulturmittel
21783 sich von der Fremdherrschaft der Martier unabh
ängig zu machen
21784 suchen sollte. Von hier aus reichten die F
äden der durchaus
21785 nicht geheimgehaltenen Verbindung zu den f
ührenden Geistern
21786 aller Kulturstaaten. Hier entwarf Grunthe mit Torm den Aufruf mit
21787 dem Motto:
›Numenheit ohne Nume!
‹</p>
21788 <p>Und sie trafen damit einen Ton, der in der Seele der V
ölker
21789 widerhallte. In Millionen und Abermillionen K
öpfen und Herzen
21790 waren dieselben Gedanken, dieselben Gef
ühle m
ächtig, es
21791 bedurfte nur der Anregung, um sie zur lebendigen Bewegung
21792 auszul
ösen. Das Wort war gefunden und gesprochen. Die Menschen
21793 waren ja einig, weil sie es sein mu
ßten; es war nur
21794 erforderlich, da
ß sie es nun auch freiwillig sein wollten.
21795 Nicht Verbr
üderung aus Schw
ärmerei, sondern gleiche Ziele
21796 aus Vernunft. Zahllos str
ömten die Zustimmungen in den
21797 organisierten Zentren der Vereinigung zusammen. Es war klar,
21798 da
ß der Menschenbund bald eine Macht werden mu
ßte, mit
21799 der man zu rechnen hatte. Alle politischen und wirtschaftlichen
21800 Parteien konnten sich an der gro
ßen Kulturaufgabe beteiligen,
21801 die er sich gestellt hatte, mit Ausnahme einer extremen Gruppe,
21802 deren oligarchische Interessen vor dem blo
ßen Gedanken der
21803 Gleichberechtigung aller zur
ückscheuten. Aber ihr Grollen war
21804 unsch
ädlich, weil ihr Einflu
ß auf die Regierung
21805 gebrochen war und die Verlockung fortfiel, welche so viele nach
21806 Macht und Karriere strebende Kreise der Bev
ölkerung verleitet
21807 hatte, die kulturfremden, kavalierm
äßigen Gewohnheiten
21809 <p>Und selbst Anh
änger von Lebensanschauungen, denen der
21810 Gedanke des Menschenbundes anf
änglich h
öchst
21811 unsympathisch gewesen war, begannen sich damit zu befreunden. Der
21812 Fabrikbesitzer Pellinger, der sich leicht f
ür alles
21813 begeisterte, was einem vers
öhnenden Ausgleich dienen konnte,
21814 hatte sich den Bestrebungen des Bundes eifrig gewidmet und
21815 geh
örte bald zu den Vertrauensm
ännern Grunthes. Seine
21816 Vermutung, da
ß der Fremde, der auf der Sternwarte wohnte,
21817 niemand anders wie Torm sei, war ihm bald zur Gewi
ßheit
21818 geworden, als er ihm bei Grunthe begegnete. Er verbarg dies Grunthe
21819 nicht, und dieser hielt es f
ür das beste, ihm gegen
21820 Zusicherung der Verschwiegenheit zu sagen, da
ß Torm
21821 allerdings hier sei, aber aus politischen Gr
ünden sich
21822 versteckt halten m
üsse.
</p>
21823 <p>Herr von Schnabel setzte Pellingers Bem
ühungen, ihn
21824 f
ür den Menschenbund zu gewinnen, zuerst hartn
äckigen
21825 Widerstand entgegen. Mit Leuten, die auf dem Standpunkt eines Ell
21826 st
änden, k
önne er sich nicht befreunden. Er liebte es,
21827 sich als einen besonderen Verteidiger der Ehre des verschollenen
21828 Torm aufzuspielen, indem er behauptete, da
ß Frau Torm durch
21829 Ell kompromittiert sei, der sich der Verantwortung in feiger Weise
21830 entzogen habe. Und da Torm nicht gegen Ell vorgehen k
önne, so
21831 m
üsse wenigstens, seiner Ansicht nach, jeder anst
ändige
21832 Mensch sich von Bestrebungen fernhalten, die darauf
21833 hinf
ührten, da
ß niemand mehr f
ür seine Ehre mit der
21834 eignen Person eintreten k
önne. Die Ger
üchte
über
21835 Frau Torm seien noch immer nicht verstummt, und wenn Torm da
21836 w
äre, so m
üsse er, ob es nun verboten sei oder nicht,
21837 durch irgendeine Herausforderung Ruhe schaffen.
</p>
21838 <p>Pellinger lachte ihn aus. Er k
önne ihn versichern,
21839 da
ß alle diese Ger
üchte auf g
änzlicher Unkenntnis
21840 der Verh
ältnisse beruhten. Das sei ganz gleichg
ültig,
21841 meinte Schnabel, man d
ürfe eben die Ger
üchte nicht
21843 <p>»So?
« sagte Pellinger.
»Und was, meinen Sie,
21844 w
ürde dadurch gebessert werden, wenn Sie zum Beispiel
21845 dergleichen behaupteten und Torm Sie forderte? Ich will jetzt
21846 einmal gar nicht von dem unentschuldbaren Frevel sprechen, der in
21847 der kulturwidrigen Einrichtung des Zweikampfes selbst liegt,
21848 sondern die Sache rein praktisch betrachten. Wird denn dadurch
21849 irgend etwas bewiesen? W
ürde man nicht erst recht sagen, es
21850 mu
ß doch etwas Wahres dran sein?
«</p>
21851 <p>»Jedenfalls w
ürde man Achtung vor dem Mann
21852 bekommen.
«</p>
21853 <p>»Meiner Ansicht nach m
üßte man ihn verachten;
21854 denn er h
ätte eine unsittliche Handlung begangen. Ein Mann wie
21855 Torm kann auf die Achtung derer verzichten, die sie an so
21856 verwerfliche Bedingungen kn
üpfen. Und so jeder Mann von
21857 sittlichem Ernst. Der schiene mir verachtungswert, der nicht seine
21858 eigne W
ürde und das Bewu
ßtsein seines Rechts so
21859 hochsch
ätzte, da
ß sie nicht gekr
änkt werden
21860 k
önnen durch das Gerede des P
öbels in
21861 Glac
éhandschuhen.
«</p>
21862 <p>»Na, na, Sie sprechen da in einer Weise, die
– die
21863 etwas eigent
ümlich
–«</p>
21864 <p>»Ja, Herr von Schnabel, ich habe mich auch
überzeugt,
21865 da
ß wir alle mehr auf unsern eignen Wert und unser freies
21866 Urteil bauen m
üssen als auf die sogenannte Ansicht der
21867 Gesellschaft, die sich auf Irrt
ümern aufbaut. Dadurch sind wir
21868 im Begriff, den Wert dieser Gesellschaft zu heben. Es m
üssen
21869 sich diejenigen zusammenfinden, die der Unabh
ängigkeit ihres
21870 Urteils sich freuen. Das allein sind die Gentlemen. Ich bin
21871 überzeugt, auch Sie werden sich noch bei uns einfinden, wenn
21872 Sie sich die Sache
überlegen. Da
ß Torm ebenso denkt,
21873 darauf kann ich Ihnen mein Wort geben.
«</p>
21874 <p>Herr von Schnabel ging einige Tage in verdrie
ßlichen
21875 Gedanken umher. Auch Dr. Wagner war dem Menschenbund beigetreten.
21876 Die Zahl derer, die seinen Ansichten beistimmte, wurde immer
21877 kleiner. Er w
älzte Pellingers Worte hin und her. Endlich
21878 suchte er Grunthe auf.
</p>
21879 <p>Es war ein langes Gespr
äch, das sie f
ührten.
21880 Vornehmlich drehte es sich um die Pers
önlichkeit von Ell und
21881 die Ziele des Menschenbundes.
</p>
21882 <p>Als Herr von Schnabel die Sternwarte verlie
ß, war er
21883 Mitglied geworden. Nicht irgendein besonderes, durchschlagendes
21884 Ereignis hatte seine Sinnes
änderung bewirkt. Der Sieg des
21885 Idealismus
übte eine assimilierende Kraft der Veredelung
21887 <h2>54 - Auf der Sternwarte
</h2>
21888 <p>Es begann bereits zu dunkeln, als die beiden Freundinnen nach
21889 kurzer Wanderung bergab die Haltestelle der elektrischen Bahn
21890 erreichten. Sie nahmen sogleich in dem bereitstehenden Wagen Platz,
21891 der sich nach wenigen Minuten in Bewegung setzte. Die helle
21892 Beleuchtung im Innern des Wagens verhinderte sie, etwas von der
21893 anmutigen Gegend, durch die sie fuhren, zu erkennen. Trotzdem
21894 verging ihnen die Zeit rasch, denn La war gl
ücklich, zum
21895 erstenmal von der leidenschaftlichen Liebe und Sehnsucht sprechen
21896 zu k
önnen, die sie so lange stillschweigend und duldend hatte
21897 im Herzen verbergen m
üssen. Se h
örte ihr teilnehmend zu,
21898 manchmal sch
üttelte sie leise den Kopf, immer aber mu
ßte
21899 sie wieder mit Bewunderung auf die Freundin blicken, die mutig und
21900 entschlossen den unerh
örten Schritt vom Nu zur Erde wagen
21901 wollte. Wenn sie dann ihre Augen gl
ückstrahlend leuchten sah,
21902 so konnte sie nicht zweifeln, da
ß sie alle Hindernisse
21903 siegreich zu
überwinden wissen werde. Sie sa
ßen allein
21904 in ihrem Wagenabteil und konnten darum ungest
ört miteinander
21905 plaudern. Und dabei fragte Se:
</p>
21906 <p>»Eines, liebste La, ist mir doch noch bedenklich. Du
21907 sagst, zwei Jahre lang, zwei Menschenjahre, hast du ihn nicht
21908 gesehen, nicht direkt mit ihm verkehrt. Das ist lange Zeit f
ür
21909 einen Mann. Deiner bist du sicher, aber wei
ßt du denn, wie es
21910 mit ihm steht? Ob er dich denn noch will? Hast du nie diesen
21911 Zweifel gehabt?
«</p>
21912 <p>»Niemals
«, sagte La entschieden.
»Niemals seit
21913 jenem Augenblick, da ich ihn unter Tr
änen in meinen Armen
21914 hielt, da ich ihm gestand, da
ß ich sein bin. Das war kein
21915 Spiel, das waren keine K
üsse und Liebesworte, die wie
21916 Fr
ühlingsblumen im Sonnenschein sprie
ßen und
über
21917 Nacht im Strau
ß verwelken. Das wissen wir beide, die unser
21918 Wissen um das Gl
ück mit dem Wissen um das Elend erkauften,
21919 da
ß wir uns nie geh
ören k
önnen. O Se, du
21920 Kleinm
ütige, du wei
ßt nicht, wie stolz die Liebe macht;
21921 ich wei
ß jetzt, wie man es werden kann. Glaubst du, da
ß
21922 der vergessen kann, um den diese Augen aus Liebe weinten? Nein, ich
21923 bin La, ich bin seine La, und das denken wir beide zu jeder Stunde,
21924 denken
’s und f
ühlen
’s in tausend Schmerzen, und ob
21925 wir es uns auch niemals wieder sagen, wir zweifeln
21927 <p>La schwieg und versank in Tr
äumerei. Sie schlo
ß die
21928 Augen und wollte sich nach ihrer Gewohnheit im Sitz
21929 zur
ücklehnen. Aber der unbequeme Hut erinnerte sie sogleich,
21931 <p>Se l
ächelte.
»Ich habe mich schon lange dar
über
21932 ge
ärgert
«, sagte sie,
»da
ß diese Bahn so
21933 unbequeme Sitze hat. Bei mir gehen die kleinen Erdenleiden in
21934 keinem gro
ßen auf, und ich merke unter anderm auch, da
ß
21935 die heutigen Strapazen und Erregungen uns ganz schwach zur
21936 Friedauer Sternwarte werden kommen lassen. Aber ich habe mich nicht
21937 wie heute fr
üh auf die Erde verlassen, sondern mir eine ganze
21938 Schachtel Energiepillen eingesteckt.
«</p>
21939 <p>»Ich auch
« sagte La und zog das B
üchschen aus
21940 ihrem Reiset
äschchen.
</p>
21941 <p>»Ach sieh doch
«, neckte sie Se.
»Also hat das
21942 Zutrauen zu den
›Geselchten
‹ doch seine
21943 Grenzen.
«</p>
21944 <p>»N
ärrchen, wozu haben wir denn unsre Vernunft? Doch
21945 nicht, um das Kleine
über dem Gro
ßen zu vergessen,
21946 sondern alles in seinem richtigen Verh
ältnis als Zweck und
21947 Mittel abzuw
ägen.
«</p>
21948 <p>»Aha, du sprichst schon im Grunthe-Ton. Da werden wir wohl
21949 bald da sein, hier sieht man bereits erleuchtete Stra
ßen. Nun
21950 schnell die Pillen geschluckt.
«</p>
21951 <p>Nicht lange darauf hielt der Wagen an der Endstation. Die
21952 Fahrg
äste in den
übrigen Abteilen des Wagens waren alle
21953 schon unterwegs ausgestiegen. Die beiden Martierinnen standen
21954 allein auf der Stra
ße und sahen sich ziemlich ratlos um. Der
21955 Wagenf
ührer schaltete seine Lichter um und verschwand in der
21956 benachbarten Restauration, um sich in seiner kurzen Ruhepause zu
21957 st
ärken. Kein Mensch war auf der Stra
ße sichtbar.
</p>
21958 <p>Der Boden war noch feucht und teilweise mit den Resten des
21959 Gewitterregens bedeckt. Die breite, von Vorg
ärten begrenzte
21960 Stra
ße endete hier in einem kleinen, mit B
äumen
21961 besetzten Platz, von welchem dunkle Alleen nach drei Seiten
21962 ausgingen. Man konnte nicht erkennen, wo sie hinf
ührten, denn
21963 zwischen den dichtbelaubten B
äumen verschwand das Licht der
21964 sp
ärlichen Gasflammen, die sie erhellten, und nur so weit
21965 konnte man sehen, als die Strahlen der elektrischen Bogenlampen an
21966 der Endstation der Stra
ßenbahn reichten.
</p>
21967 <p>»So also sieht es in Friedau aus
«, seufzte Se.
21968 »Und das ist noch eine Residenzstadt! Wie mag es da erst auf
21969 dem Lande sein, wo
–«</p>
21970 <p>»Halte keine Reden
«, unterbrach sie La,
21971 »sondern komm, die Sternwarte wird schon zu finden
21973 <p>Sie sp
ähte nach jemand aus, den sie nach dem Weg fragen
21974 k
önnte. Eine Laterne tauchte in der Hauptstra
ße auf, es
21975 war die eines Radfahrers, der in eine der Alleen einbog.
</p>
21976 <p>»Dort hinaus mu
ß also noch irgend etwas liegen, denn
21977 es fahren noch Menschen hin
«, sagte La in
21978 unverw
üstlicher Laune.
</p>
21979 <p>»Wei
ßt du, wer das war?
« rief Se.
»Als
21980 er bei der Bogenlampe vor
überfuhr, erkannte ich ihn. Es ist
21981 derselbe Mensch, der w
ährend des Gewitters bei dem Pavillon
21982 stand. Und
– ich bin vorhin nicht dazu gekommen, mit dir
21983 dar
über zu sprechen
– ist dir nicht eine seltsame
21984 Ähnlichkeit aufgefallen?
«</p>
21985 <p>»Mit wem? Ich habe kaum auf ihn geachtet.
«</p>
21986 <p>»Mit Ismas Mann. Nach den Bildern. Ich bilde mir ein, es
21987 ist Torm.
«</p>
21988 <p>»Wie t
öricht. Das w
ürde doch Isma zuerst wissen
21990 <p>»Wenn er aber Gr
ünde h
ätte, sich zu verbergen?
21991 Du hast ja geh
ört
–«</p>
21992 <p>»Dann w
äre er doch nicht nach Friedau gegangen, wo
21993 ihn jeder Mensch kennt.
«</p>
21994 <p>»Und niemand sucht. Er sieht jetzt nicht mehr so aus, wie
21995 er damals ausgesehen hat. Ich glaube gern, da
ß ihn kein
21996 Mensch wiedererkennt. Der Bart ist anders, das Haar ergraut, die
21997 Gesichtsfarbe gebr
äunt, die Wangen eingefallen
– aber
21998 ich habe den Blick f
ür den Charakter der Physiognomie, ich
21999 sehe durch alle Ver
änderungen hindurch
–«</p>
22000 <p>»Aber warum sollte er sich vor seiner Frau
22001 verbergen?
«</p>
22002 <p>»Es ist mir auch ein R
ätsel. Immerhin w
äre es
22003 sonderbar, wenn es zwei so
ähnliche Individuen g
äbe. Doch
22004 sieh, da kommt jemand.
«</p>
22005 <p>Der Wagenf
ührer trat aus der Restauration. Seine
22006 Abfahrtszeit war gekommen. Auf Las Frage gab er den Damen
22007 bereitwillig Auskunft. Die Allee rechts, immer bergan, in ein paar
22008 Minuten kommt man an das Gitter.
</p>
22009 <p>»Also die Allee, die dein Geistertorm hinaufgefahren ist.
22010 W
ären wir ihm nur gleich nachgegangen. Nun
22011 vorw
ärts
«, sagte La.
</p>
22012 <p>Die Steigung war f
ür die beiden Martierinnen beschwerlich.
22013 Sie spannten jedoch ihre Schirme auf, und so kamen sie bald vor das
22014 eiserne Gittertor, das von einer Gl
ühlampe beleuchtet
22016 <p>Niemand war ihnen begegnet.
</p>
22017 <p>»Es ist furchtbar einsam hier
«, sagte La.
</p>
22018 <p>»Das ist noch das Beste dabei
«, sagte Se.
»Es
22019 ist wenigstens auch still. Wie sp
ät ist es denn
22020 eigentlich?
«</p>
22021 <p>»Da oben leuchtet ja das Zifferblatt der Sternwartenuhr.
22022 Es ist acht Uhr vor
über. Wir wollen schellen.
«</p>
22023 <p>Grunthe sa
ß mit Torm, der soeben von seinem Ausflug
22024 zur
ückgekommen war, bei ihrem frugalen Abendessen, als ihm der
22025 Besuch zweier Damen gemeldet wurde. Sein Assistent, der sonst die
22026 Besucher der Sternwarte herumzuf
ühren pflegte, war nicht
22027 anwesend, und es war ihm sehr unangenehm, jetzt sich st
ören zu
22028 lassen, zumal durch Damen. Er lie
ß daher sagen, er bedauere,
22029 aber die Sternwarte k
önne heute nicht gezeigt werden.
</p>
22030 <p>Der Diener ging hinaus, kam jedoch nach einer Minute in
22031 gro
ßer Aufregung wieder herein.
</p>
22032 <p>»Was gibt es denn?
« fragte Grunthe.
</p>
22033 <p>»Zwei Damen vom Mars
«, stammelte der Diener, indem
22034 er Grunthe ehrfurchtsvoll eine schmale, zierliche Karte
22035 überreichte. Sie war mit einer Nadel durchstochen, an der eine
22036 kleine goldene Medaille hing. Diese Medaille war es, die den Diener
22037 in Aufregung versetzt hatte. Jeder kannte diesen Weltpa
ß der
22038 Nume, das Wappen des Mars auf der einen Seite, auf der andern die
22039 Worte:
›Im Schutze des Nu.
‹ Sie
öffnete dem
22040 Besitzer alle T
üren.
</p>
22041 <p>»Nume?
« sagte Grunthe verwundert zu Torm. Er
22042 betrachtete die Karte. Sie trug keinen Namen, sondern nur die
22043 fl
üchtig hingeschriebenen martischen Zeichen:
»Die
22044 Pflegerinnen von Ara bringen sich in Erinnerung.
«</p>
22045 <p>Grunthes Stirn zog sich zusammen. Seine Lippen bildeten das in
22046 Klammern gesetzte Minuszeichen. So las er noch einmal die Karte.
22047 Dann l
östen sich seine Z
üge wieder zu einem
22048 h
öflicheren Ausdruck, und er sagte zu dem Diener:
»Ich
22049 bitte in die Bibliothek. Ich werde gleich kommen.
«</p>
22050 <p>»Es sind La und Se
«, sagte er dann zu Torm,
22051 »die beiden Nume, die Saltner und mich nach unserm Sturz
22052 gepflegt haben. Ich bin ihnen zu gro
ßem Dank verpflichtet.
22053 Ich mu
ß sie empfangen. Wollen Sie mitkommen?
«</p>
22054 <p>»Es w
ürde mich interessieren. Diese La war sehr
22055 freundlich gegen meine Frau w
ährend ihres Aufenthalts auf dem
22056 Mars. Aber sie ist auch eine Freundin Ells. Man wei
ß nicht,
22057 was sie herf
ührt. H
ören Sie erst, was sie
22059 <p>»Sie k
önnen nun einmal Ihr Mi
ßtrauen nicht
22060 loswerden. Doch wie Sie w
ünschen.
«</p>
22061 <p>Torm warf einen Blick durchs Fenster.
»Es ist klar
22062 geworden
«, sagte er.
»Ich will versuchen, am
22063 gro
ßen Refraktor einige Platten zu exportieren. Die Damen
22064 kennen mich nicht, dort im Dunkeln k
önnen sie mich
22065 überhaupt nicht erkennen. Wenn Sie sie herumf
ühren,
22066 k
önnte ich sie mir dort einmal
–;
übrigens, nun
22067 f
ällt mir ein, vielleicht habe ich die Damen schon gesehen,
22068 heute, an der sch
önen Aussicht bei Tannhausen
–. Dort
22069 waren zwei Martierinnen, und kurz vorher sah ich ein
22070 merkw
ürdiges Luftschiff aufsteigen
–; nun aber gehen
22071 Sie, wir werden ja sehen.
«</p>
22072 <p>Grunthe betrat die Bibliothek mit einem m
öglichst
22073 liebensw
ürdigen Gesicht, sogar ein L
ächeln machte einen
22074 Anlauf zum Erscheinen, verungl
ückte aber in seinen ersten
22075 Z
ügen. La und Se enthoben ihn der Schwierigkeit, ihnen die
22076 Hand zu reichen, indem sie ihn auf martische Weise
22077 begr
üßten.
</p>
22078 <p>Es gab bald ein lebhaftes Gespr
äch und kurze Erkundigungen
22079 und Erkl
ärungen her
über und hin
über. Grunthe wollte
22080 ausf
ührlich auf die wissenschaftlichen Ergebnisse zu sprechen
22081 kommen, die er mit Hilfe der Mitteilungen gewonnen hatte, die ihm
22082 La vom Mars aus hatte zukommen lassen, aber La ging nicht darauf
22083 ein, sie fragte direkt nach Saltner.
</p>
22084 <p>»Ich will Ihnen mitteilen, was wir wissen
«, sagte
22085 sie.
»Er ist in Bedr
ängnis, man wird ihn dieser Tage mit
22086 Hilfe von Luftschiffen suchen und gefangennehmen. Ich bin aber von
22087 seiner Unschuld
überzeugt.
«</p>
22088 <p>Grunthe wurde sehr ernst. Er wagte es sogar, La jetzt anzusehen
22089 und erkannte in ihren Z
ügen die Aufrichtigkeit der Teilnahme
22090 und die herzliche Sorge um den Freund.
</p>
22091 <p>»Es ist f
ür Saltners Freunde
«, sagte er,
22092 »eine Freude, ein solches Wort zu h
ören. Ich wei
ß,
22093 da
ß auch Ell ihm gerne helfen w
ürde, wenn er
22094 d
ürfte, aber er ist durch seine Amtspflicht gebunden. Leider
22095 kann Ihre
Überzeugung, selbst wenn sie nachtr
äglich vom
22096 Gericht geteilt werden sollte was ich bezweifle, Saltner nichts
22097 n
ützen. Ich mu
ß Ihnen gestehen, da
ß seine Lage
22098 eine verzweifelte ist. Er selbst w
ürde sich ja
22099 schlie
ßlich auch
über die Verhaftung und das Urteil
22100 hinwegzusetzen wissen. Aber Sie wissen, wie er an seiner Mutter
22101 h
ängt. Und damit verkn
üpft sich sein Geschick. Die alte
22102 Dame w
ürde eine nochmalige Gefangennahme nicht
überleben,
22103 das ist Saltners Sorge. Und ihr Zustand gestattet ihm nicht, seinen
22104 Zufluchtsort aufzugeben und etwa, was ihm sonst vielleicht gelingen
22105 k
önnte, sich am Tag in den W
äldern zu verbergen und in
22106 der Nacht auf unwegsamen Kletterpfaden in Sicherheit zu bringen.
22107 Wir sehen daher keinen Weg vor uns, wie diese Gefahr vermieden
22108 werden k
önnte. Vielleicht schon morgen geschieht das
22109 Traurige.
«</p>
22110 <p>»Morgen?
« unterbrach ihn La erschrocken.
»Was
22111 wissen Sie?
«</p>
22112 <p>»Ich erhielt heute eine Depesche von einem seiner Freunde.
22113 Zwei Luftschiffe sind zu seiner Aufsuchung ausgeschickt. Sie sollte
22114 schon heute beginnen. Das Wetter, das die Berge in Wolken
22115 h
üllt, verhinderte sie jedoch. Wenn es morgen klar wird
22116 – und die Wetterkarte l
äßt es vermuten
22118 <p>»K
önnen Sie mir sagen, wo Saltner sich
22119 aufh
ält?
«</p>
22120 <p>»Genau wissen es nur wenige Eingeweihte. Wir wissen nur,
22121 was auch den andern bekannt ist, in den Bergen, die sich
22122 s
üdlich vom Etschtal oberhalb Bozen, etwa nach dem Nonsberg,
22123 hinziehen, in einer der dort befindlichen H
ütten
– hier
22124 k
önnen Sie die Spezialkarte sehen.
« La lie
ß sich
22125 die Karte erkl
ären.
</p>
22126 <p>»K
önnen Sie mir die Karte leihen?
« fragte
22128 <p>»Recht gern. Aber was wollen Sie damit?
«</p>
22129 <p>»Ich sagte Ihnen schon, ich bin mit meiner Freundin auf
22130 einer Reise durch Europa. Vielleicht sehe ich mir diese Gegend
22131 einmal an.
Übrigens war ich so frei, mein Luftschiff hierher
22132 zu bestellen, um uns abzuholen. Es m
üßte eigentlich
22133 schon hier sein. Frau Torm sagte uns, da
ß Sie selbst hier im
22134 Garten gelandet seien, so glaubte ich
–«</p>
22135 <p>La hatte ruhig gesprochen. Jetzt trafen sich ihre Blicke mit
22136 denen Grunthes, sie ruhten eine Weile ineinander. Dann legte
22137 Grunthe schweigend die Karte zusammen und
überreichte sie
22139 <p>»W
ünschen Sie eine Empfehlung an einen Kenner der
22140 dortigen Gegend?
« fragte er.
»Sie d
ürften dort als
22141 Nume wenig Entgegenkommen finden.
«</p>
22142 <p>»Wir brauchen keinen F
ührer
«, erwiderte La.
22143 »Wir schweben ja
über den H
öhen, da gen
ügt uns
22144 die Karte. Ich danke Ihnen.
«</p>
22145 <p>Sie erhob sich.
</p>
22146 <p>»Wollen Sie nicht einen Gang durch unsere
22147 Arbeitsr
äume tun? Von der Plattform aus w
ürden wir die
22148 Ankunft Ihres Schiffes am besten bemerken.
«</p>
22149 <p>Sie durchschritten mehrere Zimmer und betraten den Rundgang.
22150 Hier und da sprach Grunthe einige erkl
ärende Worte.
</p>
22151 <p>»Sie sehen
«, sagte er,
»wie wir uns M
ühe
22152 geben, von Ihnen zu lernen. Vieles hatte Ell bereits eingerichtet,
22153 ehe wir etwas von den Numen wu
ßten. Ich habe mich freilich
22154 schon damals gewundert, wie er auf so viele neue Feinheiten hatte
22155 kommen k
önnen.
«</p>
22156 <p>An einer Stelle war die Seitenwand weit auseinandergeschoben. An
22157 dem dort befindlichen, auf den Sternenhimmel gerichteten Instrument
22158 war Torm besch
äftigt. Er verbeugte sich fl
üchtig, ohne
22159 sich st
ören zu lassen.
</p>
22160 <p>Se beobachtete ihn scharf, soweit es die matte Beleuchtung
22161 gestattete, w
ährend sie scheinbar das Werk einer in der
22162 N
ähe stehenden Uhr studierte.
</p>
22163 <p>»Wissen Sie
«, sagte sie pl
ötzlich laut zu
22164 Grunthe,
»da
ß wir Frau Torm beinahe mitgebracht
22165 h
ätten? Wir waren mit ihr im Wald, nur mu
ßte sie leider
22166 nach Berlin zur
ück. Haben Sie denn etwas von den
22167 Ger
üchten geh
ört, da
ß Torm wirklich
22168 zur
ückgekehrt sei und sich nur, man wei
ß nicht warum,
22169 hier verborgen halte? Wir haben mit Frau Torm nat
ürlich nicht
22170 davon gesprochen, aber Sie k
önnen wir ja doch
22172 <p>Torm hatte sich bei Ses Worten tief auf das Instrument gebeugt,
22173 und Se sah deutlich, wie seine Hand an der Schraube des Apparats
22175 <p>»Welches Ger
ücht?
« fragte Grunthe, als
22176 h
ätte er nicht recht geh
ört. In diesem Augenblick
22177 erhellte sich die Gegend pl
ötzlich wie von Sonnenlicht, und
22178 durch die ge
öffnete Wand drang auf kurze Zeit ein tagheller
22180 <p>»Das Luftschiff
«, rief La und blickte zum Fenster
22181 hinaus, w
ährend Se ihren Blick auf Torm gerichtet hielt, der
22182 sich schnell entfernte.
</p>
22183 <p>»Der Schiffer beleuchtet seinen Landungsplatz.
«</p>
22184 <p>»Und meinem Assistenten hat er die Aufnahme
22185 verdorben
«, setzte Grunthe hinzu.
</p>
22186 <p>»Das tut mir sehr leid
«, sagte La.
»Aber wir
22187 wollen Sie auch nicht l
änger st
ören. W
ürden Sie
22188 jetzt die G
üte haben, uns in den Garten zu
22189 f
ühren?
«</p>
22190 <p>Als La und Se mit Grunthe den Garten betraten, lag das Schiff
22191 schon auf dem Rasenplatz. Nur zwei kleine Lichter machten es im
22192 Dunkel kenntlich. Grunthe konnte die freundliche Einladung nicht
22193 abschlagen, die Yacht zu besichtigen und einen Augenblick im Salon
22194 Platz zu nehmen.
</p>
22195 <p>Se setzte sich ihm gegen
über, und ihn offen anblickend
22197 <p>»Nun will ich Ihnen auch einmal etwas auf den Kopf
22198 zusagen, Grunthe. Dieser Mann, den sie Ihren Assistenten nannten,
22199 war Hugo Torm, und Sie wissen es. Warum steckt er hier im
22200 Verborgenen? Warum ist er nicht bei seiner Frau, die ihn f
ür
22201 tot h
ält? Warum l
äßt er sie in ihrem Harm sitzen?
22202 Und das dulden Sie? Das ist ja ganz unerh
ört. Und nun reden
22203 Sie die Wahrheit.
«</p>
22204 <p>Grunthe sa
ß stumm mit eingezogenen Lippen.
</p>
22205 <p>»Sie wollen nicht reden?
« fragte Se.
</p>
22206 <p>»Ich darf nicht. Es sind nicht meine
22207 Geheimnisse.
«</p>
22208 <p>»Ach, also Torms! Das Zugest
ändnis gen
ügt. Und
22209 billigen Sie dies Verhalten?
«</p>
22210 <p>»Nein.
«</p>
22211 <p>»Warum benachrichtigen Sie nicht Frau Torm?
«</p>
22212 <p>»Das geht mich nichts an. Davon verstehe ich nichts. Das
22213 mu
ß ich Torm
überlassen.
«</p>
22214 <p>»Und seine Gr
ünde? Er mu
ß Ihnen doch
22215 Gr
ünde angegeben haben.
«</p>
22216 <p>»Ich kann nichts sagen.
«</p>
22217 <p>»So werde ich Isma
–«</p>
22218 <p>»Ich bitte Sie
«, unterbrach sie Grunthe,
»Sie
22219 k
önnen nicht wissen, ob das gut w
äre. Nehmen Sie an, er
22220 st
ünde unter dem Druck einer Schuld, oder glaubte es
22221 wenigstens
– er w
ürde seine Frau nur ins Ungl
ück
22222 st
ürzen, wenn er jetzt k
äme, oder er scheue sich, vor sie
22223 als ein Ausgesto
ßener zu treten, aber er hoffe, da
ß der
22224 Makel noch von ihm genommen werden k
önnte, in einiger Zeit
22225 –. Nehmen Sie an, er warte nur noch Nachrichten ab. Eine
22226 vorzeitige Mitteilung k
önnte alles verderben
22228 <p>»Nehmen wir an, was wir wollen
« hub jetzt La an,
22229 »hier gibt es gar keine andre Wahl, als die Frau in dieses
22230 Geheimnis zu ziehen, und sie kann dann entscheiden
–. Ihr
22231 haltet das wahrscheinlich f
ür besonders edel, da
ß der
22232 Mann die inneren K
ämpfe in sich ausficht und die Frau aus
22233 Schonung in der Angst der Ungewi
ßheit l
äßt, weil
22234 ihr denkt, sie k
önnte sich wieder durch r
ücksichtsvolle
22235 Gef
ühle bestimmen lassen, das zu tun, was sie eigentlich nicht
22236 will. Zartgef
ühl nennt ihr
’s, und Hochmut ist es, weiter
22237 nichts. Der Hochmut, da
ß ihr allein so au
ßerordentlich
22238 f
ähig seid zu beurteilen, wo und wieweit man sich aufopfern
22239 darf. Das kommt aber alles davon, weil ihr nicht wi
ßt, was
22240 Freiheit ist; Freiheit, die das Gef
ühl anerkennt, wie es
22241 wirklich ist, aber nicht es zurechtstutzt, wie es euch
22242 verst
ändig scheint. Und weil eure Vernunft zu bl
öde ist,
22243 um dieses ganze Gewirr von Gef
ühl und Berechnung zu
22244 durchschauen so verderbt ihr das Leben aus lauter Edelmut in der
22245 sch
önsten Selbstl
üge.
«</p>
22246 <p>»Ich verstehe nichts davon
«, sagte Grunthe
22247 wiederholt, indem er aufstand.
»Ich will nichts damit zu tun
22248 haben, das sind Sachen, die sich nicht berechnen lassen. Ich bitte
22249 nur, wahren Sie ein Geheimnis, das nicht das Ihrige ist, wie auch
22250 ich es tue.
«</p>
22251 <p>»Das versteht sich von selbst
«, erwiderte Se.
22252 »Wir k
önnen nur von dem Gebrauch machen, was wir mit
22253 eignen Augen gesehen haben.
«</p>
22254 <p>»Leben Sie wohl
«, sagte Grunthe.
»Und
22255 m
öge Ihre Reise zum Ziel f
ühren.
«</p>
22256 <p>»Sie werden uns in jedem Fall n
ächste Nacht wieder
22257 hier sehen. D
ürfen wir in Ihrem Garten
22258 übernachten?
«</p>
22259 <p>»Selbstverst
ändlich. Indessen
– ich kann mich
22260 nicht darum k
ümmern.
«</p>
22261 <p>»Das beanspruchen wir nicht
«, sagte La
22262 l
ächelnd.
»Wenn wir aber vielleicht G
äste
22263 mitbringen, die mit Ihnen sprechen m
öchten, wie k
önnen
22264 wir Sie von unsrer Ankunft benachrichtigen?
«</p>
22265 <p>»An der T
ür, die vom Garten nach dem Haus f
ührt,
22266 ist eine Klingel. Wir werden wahrscheinlich die n
ächste Nacht
22267 durcharbeiten, wenn es klar ist.
«</p>
22268 <p>»Es wird klar werden
«, sagte La, indem sie jetzt
22269 Grunthe die Hand reichte.
</p>
22270 <p>Er nahm sie, er dr
ückte sie sogar ein wenig. Dann ging er
22271 mit steifen Schritten aus der T
ür.
</p>
22272 <p>La sah ihm nach.
</p>
22273 <p>»Ich f
ürchte
«, scherzte Se,
»den hast du
22274 auch erobert. Er hat dir ja beinahe die Hand
22275 gedr
ückt.
«</p>
22276 <p>»Ja
«, sagte La,
»er hat sich gebessert. Aber
22277 im Ernst, er ist einer von den Menschen, die wert w
ären, auf
22278 dem Nu geboren zu sein. O Se, wenn es Gott g
äbe, da
ß wir
22279 morgen hier alle zusammen sind!
«</p>
22280 <p>»La
ß uns hoffen und ruhen. Wir haben einen schweren
22281 Tag vor uns.
«</p>
22282 <p>»Ich will nur noch mit dem Schiffer sprechen. Eine Stunde
22283 vor Sonnenaufgang wollen wir aufbrechen.
«</p>
22284 <p>Alle Luken wurden geschlossen, die Lichter gel
öscht. Dunkel
22285 und verschwiegen lag das Schiff auf dem Rasen, verborgen von den
22286 hohen B
äumen des Parks. Ein fernes Wetterleuchten zuckte
22287 zuweilen im Norden, im S
üden aber, alle Sterne
22288 überstrahlend, zog der r
ötliche Mars seine Bahn in
22290 <h2>55 - In h
öchster Not
</h2>
22291 <p>Der getreue Palaoro war in der Nacht auf das Gebirge gestiegen,
22292 um Saltner die Nachricht zu bringen, da
ß zwei Luftschiffe in
22293 Bereitschaft seien, ihn zu suchen. Diese Nachforschung konnte nur
22294 dadurch geschehen, da
ß die Luftschiffe Tal f
ür Tal und
22295 Berghalde f
ür Berghalde absuchten und jedes einzelne
22296 H
äuschen, jede H
ütte anliefen, um sich die Insassen
22297 anzusehen. Dies war allerdings eine umst
ändliche Sache, doch
22298 war das Gebiet, um das es sich handelte, in bestimmter Weise
22299 eingeschr
änkt. Denn alle T
äler, die den Gebirgsstock
22300 umgaben oder aus ihm herausf
ührten, waren sogleich am Tag nach
22301 Saltners Flucht abgesperrt worden, die hier zerstreut liegenden
22302 Ortschaften waren besetzt, und es w
äre nicht m
öglich
22303 gewesen, sie unentdeckt zu passieren. Ein einzelner Gebirgssteiger,
22304 wie Saltner, h
ätte sich wohl vor
überschleichen
22305 k
önnen, nicht so eine Gesellschaft, in der Saltners Mutter
22306 sich befand. Denn diese mu
ßte entweder reiten oder getragen
22307 werden, war also auf die gangbaren Wege angewiesen. Die
22308 H
ütten, welche in Betracht kamen, waren entweder
22309 Unterstandsh
ütten f
ür Touristen, oder es waren
22310 Sennh
ütten oder Zufluchtsorte f
ür Hirten. Sie lagen stets
22311 an hervorragenden Punkten oder offen auf Wiesen und Almen, so
22312 da
ß sie von der H
öhe aus leicht wahrgenommen werden
22313 konnten. Wollte Saltner f
ür ein Luftschiff unentdeckbar
22314 bleiben, so konnte es nur dadurch geschehen, da
ß er sich in
22315 den Wald fl
üchtete, der die Abh
änge der Bergr
ücken
22317 <p>Da am ersten Tag nach Palaoros Ankunft des dichten Nebels wegen
22318 auf den Bergen noch keine Gefahr der Entdeckung vorlag, brach
22319 Saltner mit dem F
ührer auf, um in den W
äldern eine
22320 passende Unterkunft zu suchen. Die H
ütten, die sich hier
22321 f
ür K
öhler und Holzschl
äger errichtet fanden, waren
22322 allerdings h
öchst primitiver Art. Es gelang ihnen aber, doch
22323 einen Bau aufzufinden, der sich durch einige Arbeit wenigstens
22324 f
ür den Notfall bewohnbar machen lie
ß. Sie setzten diese
22325 ärmliche Wohnung, so gut es ging, instand und kehrten abends
22326 nach der sogenannten Kleinen H
ütte zur
ück. In der Nacht
22327 w
äre es nicht m
öglich gewesen, Frau Saltner in das
22328 abgelegene Tal durch den Wald zu transportieren, da sie getragen
22329 werden mu
ßte. Sie beschlossen also, es am Tag zu wagen.
22330 Gef
ährlich f
ür die Entdeckung war dies freilich, denn es
22331 mu
ßte ein weites, baumloses Plateau, dann eine steile
22332 Schutthalde und ein Felsabstieg passiert werden, ehe man in den
22333 Wald gelangte. Sie hofften, da
ß der Nebel noch anhalten
22335 <p>Vor Sonnenaufgang verlie
ß Saltner die H
ütte und
22336 bestieg den Bergr
ücken, der den Blick nach Norden und Westen
22337 gestattete. Hinter den Zacken der Dolomiten strahlte der Himmel in
22338 leuchtendem Rot. Ein Meer von wei
ßen Nebeln wogte in den
22339 T
älern, und nur die Gipfel der Berge blickten wie Inseln aus
22340 ihm hervor. Rosig gl
ühten die Schneeriesen im Westen, und ihre
22341 h
öchsten H
äupter gl
änzten bereits im Sonnenlicht.
22342 Saltner sp
ähte nach der Gegend, wo Bozen unter Nebeln
22343 verborgen lag. Und da
– siehe
–, aus den wei
ßen
22344 Wolken tauchten zwei dunkle Punkte auf, deutlich hoben sie sich
22345 jetzt gegen den hellen Himmel ab. Er richtete sein Fernglas darauf.
22346 Es war kein Zweifel, es waren die beiden Luftschiffe, die sich zu
22347 seiner Verfolgung aufmachten. Er eilte den Berg hinab.
</p>
22348 <p>»Wir m
üssen fort
«, sagte er zu Palaoro.
22349 »Sie suchen uns, und der Tag wird klar werden. Aber sie
22350 fahren nach S
üdost, wir werden also noch Zeit haben, ehe sie
22351 bis hierher kommen. F
ür den Anfang steigen auch die Nebel noch
22352 herauf, wir m
üssen sehen, da
ß wir zur rechten Zeit
22353 Deckung finden.
«</p>
22354 <p>Der Zug setzte sich in Bewegung. Saltner und Palaoro trugen den
22355 Tragstuhl mit Frau Saltner. Katharina schritt, ebenfalls mit
22356 Gep
äck beladen, hinterher. Es ging die Bergwand im
22357 S
üdwesten hinauf, dann
über ein weites Plateau. Man kam
22358 nur langsam vorw
ärts. Oft mu
ßte geruht werden. Endlich
22359 waren die Felsen am Rande des Plateaus erreicht, das sich von hier
22360 mit einer steilen Schutthalde in ein Tal hinabsenkte. Dieses
22361 mu
ßte passiert werden, um den Bergr
ücken auf der
22362 gegen
überliegenden Seite zu gewinnen. Von dort f
ührte der
22363 Weg durch eine Scharte zwischen zwei Gipfeln nach einem zweiten,
22364 engeren Tal, dessen waldbedeckte Abh
änge sicheren Schutz
22365 boten. In dem ersten Tal zogen sich die Nebel jetzt bis dicht an
22366 den Rand des Plateaus. Ehe die kleine Expedition den schmalen, aber
22367 verh
ältnism
äßig leicht gangbaren Pfad betrat, der
22368 hier hinabf
ührte, sp
ähte Saltner noch einmal nach den
22369 Schiffen aus, ohne eine Spur von ihnen bemerken zu k
önnen.
22370 Dann bedeckten die Nebel die Fl
üchtigen. Bevor der neue
22371 Aufstieg begann, wurde eine Ruhepause gehalten und dann mit neuen
22372 Kr
äften vorw
ärts geschritten. Es waren gegen vier Stunden
22373 seit dem Aufbruch vergangen, als sie aus den Talnebeln
22374 herausstiegen und sich anschickten, die H
öhe zu passieren. Man
22375 hatte hier wieder einen weiten Umblick nach Westen und S
üden.
22376 Pl
ötzlich blieb Palaoro stehen.
</p>
22377 <p>»Sie kommen
«, rief er aus.
</p>
22378 <p>Er hatte in der Ferne, im S
üden, einen dunkeln Punkt
22379 bemerkt, den nun Saltners Glas als Luftschiff nachwies.
»Sie
22380 n
ähern sich
«, sagte Saltner,
»aber sie haben sich
22381 getrennt
– es ist nur ein Schiff.
«</p>
22382 <p>»Sie werden von zwei verschiedenen Seiten anfangen. Diese
22383 wollen wahrscheinlich hin
über nach den H
ütten am Laugen.
22384 Hier k
önnen wir nicht weiter, in wenigen Minuten m
üssen
22385 sie uns sehen. Wir m
üssen den Berg zwischen uns bringen. Sie
22386 werden vorl
äufig jedenfalls auf der S
üdseite
22387 bleiben.
«</p>
22388 <p>Man bog nach rechts ab und war bald durch die aufsteigenden, mit
22389 Rasen und verkr
üppelten Fichten bedeckten Felsabh
änge des
22390 Bergr
ückens gegen das herannahende Schiff gedeckt, so lange es
22391 sich nicht
über den Gipfel erhob. Es war aber anzunehmen,
22392 da
ß die Martier zun
ächst die Abh
änge im S
üden
22393 absuchen w
ürden. Der beschwerliche Weg f
ührte nun bergab
22394 nach einem Felsriegel zu, von dem aus sich eine Schlucht in das Tal
22395 hinabzog. Doch war es fraglich, ob diese von einem Wildbach
22396 durchstr
ömte, in steilen Abst
ürzen niedergehende Schlucht
22397 passierbar sein w
ürde. Dies mu
ßte zun
ächst
22398 untersucht werden. Das Ende des Felsriegels, der nach Norden fast
22399 senkrecht etwa hundert Meter abst
ürzte, war mit hohen,
22400 flechtenbedeckten Fichten bestanden und bot unter diesen und
22401 zwischen den Felstr
ümmern einen vorl
äufigen Zufluchtsort.
22402 Hier wollte Saltner die Frauen verbergen, w
ährend Palaoro
22403 einen Weg nach dem Tal auskundschaften sollte. Es galt nur noch die
22404 kurze Strecke
über den kahlen R
ücken bis zum Beginn des
22405 Waldes zu durchqueren.
</p>
22406 <p>Vielleicht noch hundert Schritte bergab trennten die
22407 Fl
üchtigen von dem sch
ützenden Dickicht, als sie vor
22408 sich, nach Norden,
über den dort hervorragenden Berggipfeln
22409 ebenfalls einen Punkt bemerkten, der unzweifelhaft ein Luftschiff
22411 <p>»Dort ist das andere Schiff
«, rief Palaoro.
</p>
22412 <p>So schnell, als es m
öglich war, durchliefen sie die kurze
22413 Strecke und suchten einen gesch
ützten Platz unter den hohen
22414 St
ämmen. Die Sonne schien warm auf die harzduftenden Nadeln,
22415 in langen B
ändern hingen die graugr
ünen Flechten von den
22416 Ästen, und der aus Felstr
ümmern bestehende Boden war mit
22417 weichem Moos bedeckt. Man hob Frau Saltner aus dem Stuhl, und die
22418 Frauen ruhten an gesch
ützter Stelle in der stillen,
22419 sonnendurchw
ärmten Luft, w
ährend Saltner und Palaoro bis
22420 an den Rand des Absturzes vorgingen, um vorsichtig nach dem
22421 vermuteten Feind auszusp
ähen.
</p>
22422 <p>»Es ist mir nicht recht erkl
ärlich
«, sagte
22423 Saltner,
»warum dieses Schiff einen so seltsamen Weg
22424 eingeschlagen hat, da
ß es jetzt von Norden kommt. Aber
22425 gleichviel, wenn sie uns nicht auf dem Weg hierher erkannt haben,
22426 sind wir vorl
äufig sicher.
«</p>
22427 <p>»Sie k
önnen uns schon gesehen haben. Sie kommen ja
22428 gerade auf uns zu.
«</p>
22429 <p>»Leider. Sie haben die urspr
üngliche Richtung
22430 ge
ändert. Man m
öchte wirklich glauben, da
ß sie
22431 hierher wollen. Ach, sie steigen in die H
öhe und spannen die
22432 Fl
ügel auf, sie werden eine Landung versuchen.
«</p>
22433 <p>»Wenn sie wirklich uns gesehen haben und hier in das
22434 W
äldchen wollen, so k
önnen sie nur drau
ßen auf dem
22435 Bergr
ücken landen, von wo wir gekommen sind. Sonst k
önnen
22436 sie nirgends heran, das verhindern die B
äume.
«</p>
22437 <p>»Kommt, Palaoro. Wir wollen nach der andern Seite gehen,
22438 hier ist nichts zu tun und nichts zu bef
ürchten. Das Schiff
22439 ist so hoch, da
ß man es nicht mehr sehen kann, ohne zu weit
22440 aus den B
äumen zu treten. Was tun wir nun, wenn sie
22442 <p>»Wir steigen in die Schlucht hinunter, so weit es geht.
22443 Nachklettern werden sie uns nicht. Bleiben Sie bei der Frau Mutter,
22444 und ziehen Sie sich inzwischen nach der Schlucht zu. Kathrin kann
22445 hier den Stuhl ein St
ück tragen. Ich sehe inzwischen nach dem
22447 <p>Saltner brachte seine Mutter mit Hilfe der Magd bis an die
22448 Stelle, wo die Schlucht begann. Hier kletterte er selbst weiter, um
22449 den Weg zu untersuchen. Es ging zun
ächst steil bergab, aber es
22450 schien ihm m
öglich, doch noch hier herabzukommen. Nach einer
22451 kurzen Strecke erweiterte sich die Schlucht zu einem kleinen, von
22452 fast senkrechten W
änden umgebenen Felskessel. Den nahezu
22453 ebenen Boden, auf dem ein kleines B
ächlein entsprang, bedeckte
22454 kurzer Rasen. Im Sonnenschein funkelten die Wassertropfen auf den
22455 Halmen, kleine blaue Schmetterlinge und wei
ßschimmernde
22456 gro
ße Apollofalter spielten in diesem stillen Winkel. Die
22457 Quelle rieselte als schmales Rinnsal der Felswand zu, die sie in
22458 einer kleinen Klamm durchbrach. Aber die Neigung war gering,
22459 Saltner schritt durch das seichte Wasser und
überzeugte sich,
22460 da
ß sich dahinter der Boden des Tales erweiterte. War man
22461 einmal bis hierher vorgedrungen, so mochte der weitere Abstieg wohl
22462 gelingen. Nun beeilte er sich zur
ückzukehren.
</p>
22463 <p>Er hatte etwa zwei Drittel des Aufstiegs kletternd
22464 zur
ückgelegt, als er zu seinem Erstaunen von Baum zu Baum ein
22465 Seil nach oben hin ausgespannt fand. Bald begegnete ihm Palaoro,
22466 der Frau Saltner auf einem Arm trug, w
ährend er sich mit Hilfe
22467 des Seiles vorsichtig den steilen Abhang hinabarbeitete. Ihm folgte
22468 Katharina. Ohne ein Wort zu sprechen unterst
ützte Saltner den
22469 Abstieg, bis sie das Ende des Seils erreicht hatten. Hier setzte
22470 Palaoro Frau Saltner nieder und sagte zu ihr beruhigend:
22471 »Hier sind sie ganz sicher, die drei
ßig Meter
22472 k
önnen die Herren Martier nicht herabkraxeln. Wir wollen nur
22473 das Seil holen.
«</p>
22474 <p>Er winkte Saltner und beide stiegen wieder den Berg hinauf.
</p>
22475 <p>Kurz vor der H
öhe blieb Palaoro stehen und berichtete
22476 Saltner das Geschehene. Als er vorhin den Rand des Waldes erreicht
22477 hatte und die kahle Berglehne nach oben
übersehen konnte, habe
22478 er das von Norden gekommene Luftschiff bemerkt, das mit
22479 ausgebreiteten Schwingen im Segelflug langsam
über der
22480 H
öhe schwebte. Es sei ein ganz besonders gro
ßes,
22481 sch
önes Schiff gewesen. Da sei von der andern Seite das kleine
22482 Regierungsschiff, das er als das Schiff des Unterkultors in Wien
22483 erkannte, schnell herbeigekommen und h
ätte dem andern Schiff
22484 Signale gemacht, die er nicht verstand. Darauf hat das gro
ße
22485 Schiff die Fl
ügel eingezogen, und er hat nicht sehen
22486 k
önnen, was aus ihm geworden, da es hinter den B
äumen
22487 verschwunden ist. Das kleine aber ist dicht vor dem Wald auf dem
22488 Bergr
ücken gelandet. Nun ist der Pitzthaler, der
22489 Grenzj
äger, aus dem Schiff geklettert und nach dem Wald
22490 gegangen. Wie er gesehen hat, da
ß es der Pitzthaler ist, hat
22491 er sich langsam zur
ückgezogen, und wie die vom Schiff aus den
22492 Pitzthaler hinter den B
äumen nicht mehr sehen konnten, ist er
22493 ihm so wie zuf
ällig entgegengegangen. Hat ihn nun der
22494 Pitzthaler gefragt, ob er nicht hier herum den Herrn Saltner
22495 gesehen hat, der sollt
’ mal gleich auf das Schiff kommen,
22496 denn sie h
ätten von oben bemerkt, wie er um den Berg
22497 herumgegangen sei, und da k
önnt
’ er jetzt nirgends
22498 anders stecken als hier im Wald. Da h
ätte er geantwortet, das
22499 wollte er dem Herrn Saltner schon sagen, wenn er ihn halt
22500 zuf
ällig hier treffen t
äte, wenn aber der Herr Saltner
22501 nicht k
äme, was sie dann wohl tun w
ürden. Dann
22502 w
ürden sie den Wald hier besetzen, da
ß er nicht
22503 herausk
önnte, und er und der Verpailer, der auch mit
22504 w
äre, die m
üßten ihm halt nachgehen und ihn
22505 herausholen, denn sonst k
ämen sie um ihr Brot. Er h
ätte
22506 sich aber am Fu
ß was vertreten und k
önnte nur langsam
22507 den Berg heruntersteigen. Und darauf w
äre der Pitzthaler
22508 wieder zur
ückgegangen. Nun sei er erst wieder bis an den
22509 Waldrand geschlichen und habe gesehen, wie der Herr Unterkultor und
22510 vier Beds mit Glockenhelmen aus dem Schiff gekraxelt und mit den
22511 beiden Grenzj
ägern nach dem Wald zu gegangen seien. Da sei er
22512 rasch zur
ückgesprungen, habe das Seil ausgespannt und sei mit
22513 den Frauen herabgestiegen. Und er hat noch gesehen, wie die
22514 Grenzj
äger mit den Martiern erst nach der andern Seite
22516 <p>W
ährend des Berichts l
östen Saltner und Palaoro das
22517 Seil und stiegen die Schlucht wieder hinab. Sie beschlossen, sich
22518 bis in den Felskessel hinabzuziehen und dort des weiteren zu
22519 warten. Beide hofften, da
ß ihnen die Grenzj
äger nicht
22520 sogleich folgen, sondern die Martier unter irgendeiner Ausrede mit
22521 der Verfolgung hinhalten w
ürden.
</p>
22522 <p>Mit vielen Beschwerden gelang es, den
übrigen Teil des
22523 Weges zur
ückzulegen. Sobald sie hinter dem n
ächsten
22524 Felsblock hervortraten, befanden sie sich am Rand der kleinen
22525 Wiese. Saltner trug jetzt seine Mutter, Palaoro ging voran. Er
22526 stand am Eingang zum Kessel. Da sprang er zur
ück. Erschrocken
22527 winkte er Saltner. Dieser setzte seine Mutter sanft nieder und
22529 <p>»Was gibt es?
« fragte er leise.
</p>
22530 <p>»Das gro
ße Luftschiff liegt auf der Wiese
«
22531 fl
üsterte Palaoro.
</p>
22532 <p>»Um Gottes willen! So sind wir verloren. Wir sind von
22533 beiden Seiten eingeschlossen.
«</p>
22534 <p>Er warf einen Blick auf die seitlichen Abst
ürze der
22535 Schlucht, der ihn belehrte, da
ß hier ein Entkommen mit den
22536 Frauen nicht denkbar sei. Ratlos blickten die M
änner sich
22538 <p>»Habt Ihr Leute bei dem Schiff gesehen?
« fragte
22540 <p>»Ich hab mir gar nicht Zeit genommen
«, antwortete
22541 Palaoro.
»Sie m
üssen von oben gesehen haben, da
ß
22542 hier der einzige Ausweg ist, und haben ihn verlegt. Wenn sie sich
22543 jetzt hier umschauen, m
üssen sie uns finden, auch wenn die von
22544 oben nicht herabkommen. Bergauf werden die Nume nicht steigen, aber
22545 vielleicht haben sie auch Grenzj
äger bei sich. Wir wollen
22546 wenigstens das kleine St
ückchen zur
ück bis dort zwischen
22547 die beiden Felsen.
«</p>
22548 <p>»Es ist auch nur f
ür den Augenblick
«, sagte
22549 Saltner,
»aber wir wollen es tun. M
öglich w
äre es
22550 ja, da
ß die Grenzj
äger nicht sehen wollen und
22551 vorbeiziehen, wahrscheinlich freilich nicht, es ist zu klar,
22552 da
ß wir hier stecken m
üssen. Ich werde mir dann das
22553 Schiff ansehen, und wenn es nicht anders ist
–«</p>
22554 <p>»Ergeben?
« stammelte Palaoro.
</p>
22555 <p>»Ihr nicht, das hat keinen Zweck. Ihr k
önnt hier an
22556 der Seite hinaufklettern. Ich aber kann die Frauen nicht
22557 verlassen.
«</p>
22558 <p>Er lehnte einen Augenblick wie gebrochen an dem Felsen.
</p>
22559 <p>»O meine Mutter!
« fl
üsterte er. Dann ging er
22560 zur
ück zu den Frauen.
</p>
22561 <p>»Ich mu
ß euch noch ein paar Minuten
22562 hierlassen
«, sagte er.
»Dort zwischen den Felsen wirst
22563 du besser sitzen. Es ist noch ein Hindernis drunten, hoffentlich
22564 l
äßt es sich beseitigen.
«</p>
22565 <p>»Du mein lieber Josef, was ich dir f
ür M
ühe
22566 mache. Aber wenn sie uns wieder fangen, das ist zu
22567 schrecklich
«, antwortete Frau Saltner.
</p>
22568 <p>Bald waren die Frauen untergebracht.
</p>
22569 <p>»Ich gehe jetzt
«, sagte Saltner, sich beherrschend.
22570 Ȁngstige dich nicht, Mutter.
«</p>
22571 <p>Er k
üßte sie.
</p>
22572 <p>»Aber du kommst bald wieder?
«</p>
22573 <p>»Gott wird helfen.
«</p>
22574 <p>Saltner warf noch einen Blick zur
ück. Dann schlich er bis
22575 an den Felsblock, der den Eingang zur Waldbl
öße deckte.
22576 Von oben konnte man ihn nicht mehr sehen. Ein moosbedeckter
22577 Vorsprung am Felsen bildete eine nat
ürliche Bank. Hier
22578 lie
ß er sich einen Augenblick nieder, um noch einmal zu
22579 bedenken, was er tun solle. Es war nichts zu tun. Hierbleiben
22580 konnte er nicht. Vor
über konnte er auch nicht. Er mu
ßte
22581 sich gefangengeben. Auch das w
äre ihm zuletzt
22582 gleichg
ültig gewesen. Aber die Mutter! Sie
überlebte den
22583 Schrecken nicht. Das war das Ende! Und nun war alles verloren.
22585 <p>»Gn
ädiger Gott, hilf uns
«, sagte er leise.
22586 »Doch Dein Wille geschehe.
«</p>
22587 <p>Er erhob sich, er wollte um die Ecke des Felsens nach dem Schiff
22588 aussp
ähen. Da war es ihm, als h
örte er leises Rascheln
22589 der d
ürren Zweige, die den Moosboden bedeckten. War es eine
22590 Eidechse? Kam jemand? Er z
ögerte einen Augenblick. Die Spalte
22591 neben dem Felsen, durch welche das Sonnenlicht in den Wald blickte,
22592 verdunkelte sich. Eine Gestalt stand vor ihm.
</p>
22593 <p>Er richtete sich hoch auf. Das Herz schlug ihm, wie ein Nebel
22594 legte es sich vor seinen Blick. Wer war das? Unter dem Schatten
22595 eines breiten Hutes leuchteten ihm zwei Augen entgegen,
22596 gl
ückstrahlend, sonnenhaft. Schweigend standen sich beide
22597 gegen
über, bis es leise; z
ögernd, als f
ürchte er,
22598 aus einem Traum zu erwachen,
über Saltners Lippen kam, eine
22600 <p>»La!
«</p>
22601 <p>Es war ihm, als m
üsse er zu Boden sinken. Da bewegte sich
22602 die Gestalt. Zwei Arme umschlangen ihn, eine weiche Wange
22603 f
ühlte er an der seinigen. La barg ihren Kopf an seiner
22604 Schulter und fl
üsterte:
»Sal! mein Sal!
«</p>
22605 <p>Er sank auf die Moosbank nieder und zog sie mit sich. Ihre
22606 Lippen gl
ühten aufeinander.
</p>
22607 <p>»Du bist es, du bist es
«, sagte La selig.
</p>
22608 <p>Er zog sie aufs neue an sich.
</p>
22609 <p>Endlich stammelte er:
»Und du, wie kommst du
– O du
22610 mein Gl
ück, wei
ßt du denn
–«</p>
22611 <p>»Ja, ja! Ich komme, um dich zu fangen und nie wieder
22612 freizugeben. Ich komme vom Nu, und ich will bei dir bleiben auf der
22613 Erde, oder wo du willst
– nur nicht allein, nicht l
änger
22614 allein. Ich kann es nicht!
« Sie sank aufs neue an seine
22615 Brust. Dann sprang sie auf.
</p>
22616 <p>Von oben h
örte man das Klingen des Bergstocks. Palaoro
22617 wurde sichtbar. Er prallte zur
ück, als er La erblickte. Dann
22618 rief er:
»Sie steigen von oben herab.
«</p>
22619 <p>Saltner blickte auf La.
»Du kommst zu mir,
22620 Geliebte
«, sagte er hastig.
»Aber ich bin gefangen und
22621 eingeschlossen. Du kommst, nur zu sehen, wie ich dir entrissen
22623 <p>La l
ächelte gl
ücklich.
»Das ist
22624 unm
öglich
«, sagte sie.
»Geh und hole deine Mutter,
22625 und du wirst sehen.
«</p>
22626 <p>Saltner wirbelte der Kopf, aber er nahm sich keine Zeit, zu
22627 überlegen, wie das alles m
öglich sei. Er pr
üfte
22628 nicht, er zweifelte nicht, Las Wort glaubte er. Weiter bedurfte es
22629 nichts. Er sprang mit Palaoro den Felsen hinauf.
</p>
22630 <p>»Wir sind gerettet, gerettet!
« rief er seiner Mutter
22631 zu.
»F
ürchte dich nicht vor den Numen, zu denen ich dich
22632 bringe, es sind unsre Freunde.
«</p>
22633 <p>»Wenn du es sagst, so ist es gut.
«</p>
22634 <p>In wenigen Minuten standen sie wieder bei La, die an dem Felsen
22635 gewartet hatte.
</p>
22636 <p>»Das ist unsre Retterin
«, sagte Saltner, auf La
22638 <p>La fa
ßte ehrfurchtsvoll die Hand von Saltners Mutter und
22639 sprach:
»Sie sollen bald zufrieden sein.
«</p>
22640 <p>»Gott segne Sie
«, antwortete die Mutter.
</p>
22641 <p>La schritt voran. Die nachfolgenden Menschen stutzten bei dem
22642 Anblick, der sich ihnen bot. Kathrin stie
ß einen Schrei der
22643 Verwunderung aus.
</p>
22644 <p>Wie eine goldene Schale in der Sonne leuchtend lag die Luftyacht
22645 auf der Waldwiese. Niemand war zu sehen als am Fu
ß der
22646 breiten, bequemen Schiffstreppe der Schiffer in seinem Glockenhelm,
22647 der salutierend die Herrin des Schiffs erwartete. La eilte voran.
22648 Als sie das Gel
änder erfa
ßte, flammte ein Funkenbogen
22649 über dem Eingang, der die Aufschrift zeigte:
»Willkommen
22650 im Schutze der La.
«</p>
22651 <p>Am Eingang zum Schiff blieb sie stehen und wiederholte die
22652 Worte. Man stieg in das Schiff, der Schiffer folgte, im Augenblick
22653 war die Treppe eingezogen.
</p>
22654 <p>Palaoro blieb vorl
äufig auf dem Verdeck. Saltner
22655 f
ührte seine Mutter und die Magd in den Raum, dessen T
ür
22656 La
öffnete.
</p>
22657 <p>»Hier ist Ihr Zimmer
«, sagte sie,
»und daneben
22658 das f
ür Katharina. Nun ruhen Sie sich recht aus. Und was Sie
22659 w
ünschen, sprechen Sie in diese
Öffnung, so wird es da
22661 <p>Frau Saltner war sprachlos. Ein weicher Polsterstuhl am Fenster
22662 nahm sie auf. Sie blickte sich im Zimmer um.
</p>
22663 <p>»Das ist ja gerade wie daheim in unsrer
22664 Sommerwohnung
«, sagte sie endlich.
»Die T
äfelung
22665 ringsum, und die Gardine in der Ecke, und dort, das Kruzifix und
22666 das L
ämpchen
–. Nur die Bilder, und die Kissen, und die
22667 Teppiche das ist alles viel kostbarer
– wie kommt das nur
22668 – –«</p>
22669 <p>»Das ist die Zauberin, die es gemacht hat
« sagte
22670 Saltner, ger
ührt Las Hand ergreifend.
»Sie hat nichts
22671 vergessen von allem, was ich ihr von unserm Heim schildern
22672 mu
ßte. Ihr geh
ört dieses Wunder von einem
22673 Luftschiff.
«</p>
22674 <p>La sah dem geliebten Mann in die Augen.
</p>
22675 <p>»Uns beiden!
« sagte sie dann.
</p>
22676 <p>»Du willst? Du willst es wirklich?
« rief Saltner
22677 jubelnd und schlo
ß sie in seine Arme. Doch wie in einem
22678 tiefen Schreck verstummte er pl
ötzlich.
»Aber ich bin
22679 ein Mensch
«, sagte er tonlos.
</p>
22680 <p>»Sei, was du willst, ich bin dein, deine La.
«</p>
22681 <p>Er blickte auf die Herrliche, K
önigliche, deren Blick wie
22682 bittend zu ihm aufgeschlagen war. Er wu
ßte nicht, was mit ihm
22683 vorging. Der pl
ötzliche
Übergang von der Verzweiflung zum
22684 h
öchsten Gl
ück, von der Not zur Sicherheit, vom
22685 Unerreichbaren zum Wirklichen verwirrte ihn. Er sch
üttelte den
22686 Kopf, und sein Antlitz strahlte dabei von Freude.
</p>
22687 <p>»Ich wei
ß ja nicht, was ich bin, wer ich bin, wo ich
22688 bin. Ich wei
ß nur, da
ß ich namenlos gl
ücklich bin.
22689 Schau, Mutter, das ist sie, die ich liebe, der ich alles verdanke.
22690 Ich wei
ß nicht, wie man das bei euch auf dem Mars macht, wenn
22691 man eine Frau haben will, und es ist mir auch ganz egal, und du
22692 bist halt die La! Da, Mutter, gib ihr einen Ku
ß, ich
22693 mu
ß einmal einen Juchzer tun.
«</p>
22694 <p>Und mit einem Sprung war er aus dem Zimmer, und w
ährend die
22695 alte Frau ihre H
ände zitternd auf das von Liebe und
22696 Sch
önheit strahlende Haupt der gl
ücklichen Nume legte,
22697 schallte drau
ßen ein Jodler laut und jubelnd zu den Bergen
22698 empor, und das Echo der Felsen gab ihn zur
ück
–
22700 <h2>56 - Selbsthilfe
</h2>
22702 <p>Kaum war der Widerhall verklungen, als noch eine andere,
22703 unerwartete Antwort ert
önte.
»Holla! Wer da?
« Die
22704 Grenzj
äger traten aus dem Wald. Sie waren nicht wenig
22705 erstaunt, hier Saltner und Palaoro auf dem Verdeck des fremden
22706 Schiffes zu sehen.
</p>
22707 <p>»Gr
üß Gott, Herr Saltner
«, rief
22708 Pitzthaler, sich auf sein Gewehr lehnend.
»Da sind
’s
22709 wohl gar schon gefangen?
«</p>
22710 <p>»Das bin ich schon
«, rief Saltner lustig.
»Es
22711 tut aber nichts. Es ist ganz sch
ön hier.
«</p>
22712 <p>»Aber um die Belohnung haben
’s mich gebracht. Es
22713 sind hundert Gulden ausgesetzt.
«</p>
22714 <p>»Darum sollt Ihr nicht kommen. Da habt
’s an
22715 Hunderter, und da noch einen.
« Die Scheine flatterten
22717 <p>Von innen rief eine Stimme:
»Wollen die Herren ins Schiff
22718 kommen? Wir werden bald aufsteigen.
«</p>
22719 <p>Saltner und Palaoro verschwanden. Die Luken schlossen sich.
</p>
22720 <p>La zog Saltner in den Salon.
»Du sollst deine La
22721 sehen
«, sagte sie, sich an ihn schmiegend,
»die
22722 fliegende und die wandelnde, denn beide haben ihren Herren
22723 gefunden.
«</p>
22724 <p>Er blickte um sich, und von dem zarten Schmuck der W
ände,
22725 von dem Reichtum der Ausstattung schweiften seine Blicke nach der
22726 wonnigen Gestalt, die ihn umschlungen hielt.
</p>
22727 <p>»Es ist ein M
ärchen
«, sagte er.
»Eine Fee
22728 hat mich in ihr Zauberschlo
ß gef
ührt, und ich wundre
22729 mich
über nichts mehr. Und ich w
ürde es nicht glauben,
22730 wenn ich nicht diese Lippen
– –«</p>
22731 <p>»Glaubst du es nun?
« fragte La, sich endlich aus
22732 seiner Umarmung l
ösend.
</p>
22733 <p>»Was du willst. Aber ich habe dich so unendlich viel zu
22734 fragen. Wie konntest du mich finden? Wie kamst du auf diese Stelle?
22735 Wie kamst du
überhaupt zu diesem Schiff? Und zu diesem
22736 Menschen? Und doch habe ich noch keine Ruhe. Die Mutter wird sich
22737 ängstigen, sie ist noch nie in einem Luftschiff aufgestiegen.
22738 Ich glaube, wir m
üssen zu ihr gehen.
«</p>
22739 <p>»Sei ganz ruhig. Ich verlie
ß sie, die H
ände auf
22740 dem Scho
ß gefaltet, mit geschlossenen Augen im Lehnstuhl
22741 liegend. Ich schob den Fenstervorhang vor und schickte die Magd zu
22742 ihr. Sie wird jetzt schlafen und merkt nichts von der Fahrt. Doch
22743 ich will schnell sehen.
«</p>
22744 <p>Im Augenblick war sie zur T
ür geschl
üpft und wieder
22746 <p>»Sie schl
äft
«, sagte sie.
»Und nun kannst
22747 du fragen. Doch ich will es dir sagen.
«</p>
22748 <p>Und sie begann zu erz
ählen, von ihrem Kampf mit sich
22749 selbst, von ihrem Entschlu
ß, von ihrer Pr
üfungsreise auf
22750 der Erde
– und inzwischen l
öste sich das Schiff von
22751 seinem Lager, langsam sanken die Felsw
ände hinab, heller
22752 strahlte die Sonne
–</p>
22753 <p>»Wir steigen
«, sagte La, sich unterbrechend.
</p>
22754 <p>»Und sieh
«, rief Saltner,
»das
22755 N
ächstliegende hab ich vergessen in der
Überraschung,
22756 dich zu haben. Was hast du mit dem Schiff des Unterkultors
22757 abgemacht? Was tust du jetzt, wenn sie von dir unsere Auslieferung
22758 verlangen? Wie kannst du
überhaupt uns befreien?
«</p>
22759 <p>»Sie riefen mich an, als ich hierherkam, weil sie
22760 wu
ßten, da
ß ich deinen Zug und die Verfolgung gesehen
22761 hatte, und verlangten durch Signale, da
ß ich sie
22762 unterst
ützen sollte. Ich ging darauf ein, um bei der Hand zu
22763 sein, und besetzte den unteren Ausgang. Ich dachte mir, da
ß
22764 du hier herabkommen w
ürdest, wenn der Weg oben versperrt ist.
22765 Und so hab ich dich gefangen. Aber ans Ausliefern denke ich nicht,
22766 wenn du
– du
– bei mir bleiben willst.
«</p>
22767 <p>»Und wenn sie dich zwingen? Das Gesetz ist auf ihrer
22769 <p>»Gesetz gegen Gesetz
– wenn du willst, wenn du
22770 bestimmst, da
ß ich dein bin und du mein nach dem Gesetz der
22771 Numenheit
– dann darf ich dir das Geheimnis sagen des
22772 unverletzlichen Asyls. Doch wisse, du darfst es nur bestimmen, wenn
22773 es dein freier Wille ist, um deinet- und meinetwillen, nicht aber
22774 um deiner Rettung willen. Darum darfst du nicht sorgen; ich rette
22775 dich vor jeder Gefahr, auch wenn du frei bleiben willst ohne mich
22776 – ich mu
ß es dir sagen, damit kein fremder Gedanke,
22777 keine Sorge dich beeinflu
ßt. Dieses Schiff ist das schnellste
22778 das je gebaut worden. Niemand kann es einholen. Ich bringe dich mit
22779 der Mutter hin
über
über den Ozean, wo du sicher bist, und
22780 auch auf den Unterhalt brauchst du nicht zu denken. Denn ich bin
22781 nicht zur Erde gekommen, um Freiheit aufzuheben, sondern Freiheit
22782 zu bringen, dir und mir.
«</p>
22783 <p>Er hatte ihr zugeh
ört, den Blick tief in ihre Augen
22784 versenkt und ihre H
ände in den seinen haltend, und dann
22786 <p>»Ich wei
ß nicht, ob ich alles verstehe, aber
22787 wenn
’s darauf hinauskommt, ob es mein freier Wille ist,
22788 da
ß du mein Weib sein sollst
–. O La, die du das getan
22789 hast, von der H
öhe deines Nu herabzusteigen zu diesem
22790 Jammertal, um diesem Menschen das Leben zur
ückzugeben
–.
22791 Wie kannst du das fragen, meine La, mein Gl
ück und mein alles
22792 – freilich will ich
’s, bestimm
’ ich
’s, ich,
22793 Josef Saltner, so wahr ich hier sitze und dich in meine Arme ziehe,
22794 ich will
’s.
«</p>
22795 <p>»Und ich
«, sagte La feierlich,
»auch ich will.
22796 Und nun ist es Gesetz, und ich bin dein. Und damit du es beweisen
22797 kannst, so komm, Ohr an Mund, und h
öre, was niemand wissen
22798 darf, au
ßer uns beiden.
«</p>
22799 <p>Sie fl
üsterte in sein Ohr, und dann barg sie das Gesicht an
22800 seiner Schulter.
</p>
22801 <p>Da klopfte es am Telephon.
</p>
22802 <p>»Das ist der Schiffer
«, sagte La. Sie warf einen
22803 Blick aus dem Fenster.
»Ah, dort ist das Regierungsschiff.
22804 La
ß uns h
ören.
«</p>
22805 <p>Als sich der Unterkultor
überzeugt hatte, da
ß Saltner
22806 mit seiner Begleitung unter Zur
ücklassung des Tragstuhls und
22807 Gep
äcks in die Schlucht hinabgestiegen war und somit entweder
22808 den Feldj
ägern oder dem von ihm zu Hilfe gezogenen Luftschiff
22809 nicht entgehen konnte, begab er sich mit seinen Beds wieder nach
22810 seinem Schiff zur
ück. Sobald Las Schiff
über der
22811 Berglehne erschien, signalisierte er ihm, da
ß es sich zu ihm
22812 begeben solle, um die Gefangenen, die er dort vermutete, an ihn
22813 auszuliefern. La wollte sich dieser gesetzlich begr
ündeten
22814 Forderung nicht entziehen und lie
ß daher ihr Schiff in der
22815 N
ähe des Kultorschiffes sich niedersenken. Unmittelbar darauf
22816 erschien der Beamte selbst an Bord der
›La
‹ und wurde
22817 vom Schiffer in den Salon gewiesen, in welchem er La und Saltner
22819 <p>Der Unterkultor war ein vornehmer Mann mit entschiedenem Wesen.
22820 Ohne Saltner weiter zu beachten, begr
üßte er La
22821 h
öflich und sagte, da
ß er den Kommandierenden des
22822 Schiffes zu sprechen w
ünsche.
</p>
22823 <p>»Er steht vor Ihnen
«, sagte La, ihn mit ruhiger
22824 W
ürde anblickend.
»Ich war bis vorhin Besitzerin dieser
22825 Privatyacht, habe aber jetzt das Eigentum und das Kommando
22826 derselben abgetreten an meinen Gemahl, Josef Saltner, dessen Name
22827 Ihnen bekannt ist und den ich mir hiermit vorzustellen
22828 erlaube.
«</p>
22829 <p>Der Beamte machte eine Bewegung des Unwillens und der
22830 Überraschung. Seine Augen wanderten pr
üfend
über La
22831 und Saltner. Dann sagte er k
ühl:
»Die H
öflichkeit
22832 verbietet mir, Zweifel in Ihre Worte zu setzen. Doch mu
ß ich
22833 Sie bitten, mir die Papiere des Schiffes und Ihre eigene
22834 Legitimation vorzuweisen.
«</p>
22835 <p>La trat an den Wandschrank und reichte ihm die Papiere, die er
22836 sorgf
ältig pr
üfte. Sie enthielten die Schenkungsurkunde
22837 Frus
über die Luftyacht
›La
‹, die zu Las
22838 vollkommen freier Verf
ügung gestellt war; ferner einen
22839 Freipa
ß vom Verkehrsministerium des Mars, g
ültig
22840 f
ür das ganze Sonnensystem und best
ätigt f
ür die
22841 Erde von Ill, dem Protektor der Erde, und alles, was f
ür die
22842 Legitimation Las erforderlich war.
</p>
22843 <p>Der Beamte gab die Papiere ehrfurchtsvoll zur
ück.
</p>
22844 <p>»Die Legitimation ist unanfechtbar
«, sagte er.
22845 »Ich freue mich, in Ihnen die Tochter eines Mannes
22846 begr
üßen zu k
önnen, dessen technischer
22847 T
ätigkeit bei der Besitzergreifung der Erde wir zu so
22848 gro
ßem Dank verpflichtet sind. Doch
«, setzte er sehr
22849 ernst hinzu,
»ich habe, wie Sie hier sehen, den Auftrag von
22850 den Residenten der europ
äischen Staaten, aufgrund der
22851 gesetzm
äßig gef
ührten Untersuchung, Josef Saltner
22852 von Bozen nebst seiner Mutter Marie und der Magd Katharina Wackner
22853 zu verhaften. Es ist nichts dar
über bekannt, noch aus Ihren
22854 Papieren zu entnehmen, da
ß Saltner ihr Gemahl sei; auch kann
22855 weder dieser Umstand, der
überdies zu beweisen w
äre, noch
22856 der Aufenthalt auf diesem Schiff die Verhaftung aufheben oder
22857 verhindern. Ich bedauere daher, dazuschreiten zu m
üssen
22859 <p>Er wandte sich zu Saltner, der an der gegen
überliegenden
22860 Wand des Salons stand, und wollte auf ihn zuschreiten, um ihn zum
22861 Zeichen der Verhaftung zu ber
ühren. Doch La trat dazwischen,
22862 und auf einen Wink von ihr fl
üsterte Saltner einige leise
22863 Worte gegen ein kleines Schild, das rosettenartig in der Wand
22864 angebracht war. Sofort wich die Wand an dieser Stelle auseinander
22865 und schlo
ß sich wieder hinter ihm.
</p>
22866 <p>»Die Verhaftung ist jetzt nicht mehr m
öglich
«,
22868 <p>Der Beamte warf einen finsteren Blick auf sie.
»Ich
22869 mu
ß Sie bitten
«, sprach er,
»mir dieses Zimmer zu
22870 öffnen, oder ich m
üßte die
Öffnung
22871 erzwingen.
«</p>
22872 <p>La blickte ihn stolz an.
</p>
22873 <p>»Das werden Sie niemals wagen
«, rief sie.
22874 »Haben Sie nicht gesehen, da
ß die T
ür eine
22875 akustische ist, die sich nur auf das Losungswort
öffnet? Und
22876 wenn ich Ihnen sage, da
ß dieses Wort niemand wissen darf,
22877 au
ßer mir und
– ihm? Werden Sie nun glauben, wer er
22879 <p>»So ist es
«, rief der Unterkultor
22880 zur
ückweichend,
»das ist
– Ihr
–«</p>
22881 <p>»Mein Zimmer.
«</p>
22882 <p>»Dann allerdings. Der Beweis ist gef
ührt. Dieser Raum
22883 ist unverletzlich.
«</p>
22884 <p>Er l
ächelte gezwungen.
</p>
22885 <p>»Und ich glaube, unsere Unterhandlungen sind damit
22886 erledigt
«, sagte La kalt.
</p>
22887 <p>»Nicht ganz
«, erwiderte der Beamte nach kurzem
22888 Schweigen.
»Doch f
ürchten Sie nicht, da
ß ich Sie
22889 aufhalte. Geben Sie nur Auftrag, mich zu Frau Saltner und ihrer
22890 Magd zu f
ühren. Diese Personen k
önnen Sie nicht
22891 sch
ützen.
«</p>
22892 <p>La wollte entr
üstet erwidern. Doch erschrocken hielt sie
22893 inne. Jetzt war das Gesetz auf seiner Seite. Sie stand stumm.
</p>
22894 <p>»Sie werden sich nicht weigern
«, sagte er.
</p>
22895 <p>»Und wenn ich es tue?
«</p>
22896 <p>»So mu
ß ich Gewalt gebrauchen. Ich werde das Schiff
22897 durchsuchen lassen.
«</p>
22898 <p>Er schritt nach der T
ür, um die Beds zu rufen, die vor dem
22899 Schiff auf seine Befehle warteten. Zu diesem Zweck mu
ßte er
22900 auf das Verdeck steigen, von wo die Landungstreppe nach au
ßen
22902 <p>La klopfte das Herz. Was sollte sie tun? Bis jetzt hatte sie die
22903 Gesetze nicht verletzt. Aber wie sollte sie die Mutter
22906 <p>Da
öffnete sich die T
ür ihres Zimmers. Saltner stand
22907 neben ihr. Rasche Worte best
ätigten die Vermutung, die ihn
22908 ohne R
ücksicht auf seine Sicherheit herausgetrieben hatte, um
22909 La und der Mutter zu Hilfe zu eilen.
</p>
22910 <p>»Wir werfen die Leute hinaus!
« rief er.
</p>
22911 <p>»Beim Nu, ich bitte dich, das d
ürfen wir
22913 <p>»Warum nicht? Ich darf mich ja doch nicht mehr hier sehen
22915 <p>»Aber Gewalt, das ist etwas anderes. Es versperrt uns die
22916 R
ückkehr zum Nu, es beraubt dich deines
22917 B
ürgerrechts.
«</p>
22918 <p>»Und doch sehe ich keinen andern Ausweg. Den Nu oder mich!
22919 Wenn der Mann nicht freiwillig geht, wirst du w
ählen
22920 m
üssen.
«</p>
22921 <p>La blickte ihn an, die H
ände zusammenpressend. Dann warf
22922 sie die Arme um seinen Hals.
</p>
22923 <p>»Dich, dich!
« rief sie.
</p>
22924 <p>»Habe ich das Kommando?
«</p>
22925 <p>»Ja, ja.
«</p>
22926 <p>Saltner sprang dem Beamten nach. La folgte pochenden Herzens.
22927 Der Unterkultor stand auf dem Verdeck, er winkte den Beds.
</p>
22928 <p>»Wie wird die Treppe aufgezogen?
« fragte Saltner La
22930 <p>»Vom Steuerraum aus automatisch.
«</p>
22931 <p>»Sage dem Schiffer, da
ß er sich bereith
ält.
22932 Hoffentlich verl
äßt der Kultor das Schiff. Wenn nicht,
22933 bleibt doch nichts
übrig, als ihn hinauszuwerfen.
«</p>
22934 <p>»Sal
– er ist bewaffnet
– ich bitte dich
22936 <p>Leise stieg Saltner die Treppe zum Verdeck hinauf.
</p>
22937 <p>Die Beds hatten nicht sogleich die Winke des Beamten bemerkt,
22938 weil sie ihre Aufmerksamkeit nach der entgegengesetzten Seite in
22939 die Luft gerichtet hatten. Dort zeigte sich in gro
ßer
22940 H
öhe von S
üdosten her ein dunkler Punkt, das andre Schiff
22941 der Martier, das jetzt die beiden Schiffe auf dem Bergr
ücken
22942 bemerkt hatte und, ohne sich zu
übereilen, auf sie zuhielt. Es
22943 war ein Stationsschiff aus Rom, eines jener gro
ßen und
22944 furchtbar schnellen Kriegsschiffe, mit allen Waffen
22945 ausger
üstet, wie sie in den Hauptst
ädten der Erde den
22946 obersten Beamten zur Erh
öhung der Autorit
ät des Nu
22947 beigegeben waren.
</p>
22948 <p>Ein paar rasche Schritte brachten Saltner hinter den Kultor.
22949 Dieser wandte sich nach ihm um, aber in demselben Augenblick hatte
22950 Saltner ihm mit einem raschen Griff den Telelytrevolver aus der
22951 Tasche gerissen und ihn weit hinweggeschleudert.
</p>
22952 <p>»Was wagen Sie?
« rief der Kultor.
»ich
22953 verhafte Sie
–«</p>
22954 <p>»Bedaure sehr
– verlassen Sie sofort das Schiff,
22955 wenn Sie nicht eine unfreiwillige Spazierfahrt machen wollen
22957 <p>Auf den Ruf des Kultors waren die Beds aufmerksam geworden, sie
22958 blickten her. Saltner durfte ihnen keine Zeit lassen, sich mit dem
22959 Kultor zu verst
ändigen, denn wenn sie von ihren Telelytwaffen
22960 Gebrauch machten, war er verloren. Er kommandierte:
»Die
22961 Treppe herauf! Aufsteigen! Schnell!
«</p>
22962 <p>Im Augenblick schlug sich die Treppe in die H
öhe und schob
22963 sich auf dem Verdeck ineinander, w
ährend das Schiff in die
22964 H
öhe scho
ß. Die Beds sahen ihm erstaunt nach,
22965 wu
ßten aber nicht, was sie tun sollten, da Palaoro
22966 gleichzeitig auf einen Wink Saltners den Kultor ins Innere des
22967 Schiffes gezogen hatte. Sein Protest wurde nicht beachtet.
</p>
22968 <p>»Was machen wir mit dem Mann?
« sagte Saltner.
22969 »Wir wollen ihn doch nicht mitschleppen. Dort hinter dem
22970 Felsvorsprung k
önnen uns die Beds und das kleine Schiff nicht
22971 sehen. Dort setzen wir ihn ab. Mag er schauen, wie er
22972 heimkommt.
« Saltner erteilte dem Schiffer die n
ötigen
22973 Befehle. Nach zwei Minuten lag das Schiff wieder still.
</p>
22974 <p>Der Kultor stieg in stummem Ingrimm die Schiffstreppe hinab, die
22975 sich sofort wieder hob.
</p>
22976 <p>»Nehmen Sie
’s nicht
übel, Herr Kultor
«,
22977 rief ihm Saltner nach.
»Aber es ging nicht anders. Habe die
22979 <p>Der Kultor wandte sich um.
»Ich warne Sie
«, rief er
22980 w
ütend.
»Ergeben Sie sich noch jetzt. Ich lasse Sie
22981 sonst r
ücksichtslos durch das Kriegsschiff verfolgen und
22982 vernichten.
«</p>
22983 <p>»Tut mir leid
«, antwortete Saltner.
»Mu
ß
22984 jetzt notwendig auf meine Hochzeitsreise. B
’h
üt euch
22986 <p>Man konnte nicht mehr verstehen, was der Kultor erwiderte, die
22987 ›La
‹ war schon wieder zu hoch gestiegen. Aber man
22988 sah, da
ß das Kriegsschiff auf den Ort zuhielt, wo es den
22989 Kultor bemerkt hatte, der ihm mit den Armen winkte. Auch das
22990 kleinere Schiff erschien jetzt.
</p>
22991 <p>La war neben Saltner getreten.
»Komm herab
«, sagte
22993 <p>»wir m
üssen die Luken schlie
ßen und uns
22994 beeilen. Das Schiff dort ist ein schnelles Kriegsschiff, wir
22995 k
önnen ihm nur durch schleunigste Flucht entgehen.
«</p>
22996 <p>Saltner warf einen Blick zur
ück, dann umfa
ßte er La
22997 und sprang, sie in die H
öhe hebend, die Treppe hinab, auf der
22998 jetzt Marsschwere herrschte.
</p>
22999 <p>»Wenn wir ausrei
ßen m
üssen, so
übernimm du
23000 wieder den Oberbefehl. Ich wei
ß ohnehin nicht, wohin wir
23001 eigentlich wollen.
«</p>
23002 <p>»Die Luken zu!
« befahl La.
»Volle
23003 Diabarie!
«</p>
23004 <p>Die
›La
‹ scho
ß senkrecht in die H
öhe.
23005 Schnell war sie bedeutend h
öher als das niedrig schwebende
23006 Kriegsschiff. Aber dieses erhob sich jetzt schr
äg und gewann,
23007 da es in voller Fahrt war, bald einen Vorsprung nach Norden. Es
23008 kehrte nun in einem Bogen zur
ück, um der
›La
‹
23009 den Weg abzuschneiden. Es hatte gar nicht angelegt, um den Kultor
23010 aufzunehmen, da inzwischen dessen eigenes Schiff eingetroffen war,
23011 von dem aus er sich mit dem Kriegsschiff durch Signale
23012 verst
ändigte.
</p>
23013 <p>Die
›La
‹ stieg weiter kerzengerade empor,
23014 w
ährend das Kriegsschiff ihr in immer engeren Spiralen folgte.
23015 Der Horizont erweiterte sich schnell, schon lagen die Bergriesen
23016 der Alpen tief unten, die Eish
äupter der Ortlergruppe
23017 erschienen als flache Schneeh
ügel; im Norden und S
üden
23018 tauchten die Ebenen auf und verschwammen mit der Luft des Himmels.
23019 Palaoro war bei dem zweiten Schiffer im Steuerraum. In den drei
23020 R
äumen, in denen sich Menschen befanden, wurden die
23021 Sauerstoffapparate in T
ätigkeit gesetzt, um die Luft atembar
23022 zu erhalten. Die H
öhe von zw
ölf Kilometern war erreicht.
23023 Fern im Westen schien der Himmel von Wolken bedeckt zu sein.
23024 »Dort m
üssen wir hin
«, sagte La.
»Im Nebel
23025 k
önnen wir die Richtung
ändern, ohne da
ß es bemerkt
23026 wird. Wir m
üßten sonst vielleicht die Flucht so weit
23027 fortsetzen, bis wir in den Erdschatten kommen, und das f
ührt
23028 uns zu weit vom Ziel ab.
«</p>
23029 <p>»Und welches ist das Ziel?
«</p>
23030 <p>»Berlin.
«</p>
23031 <p>»Aber La?
«</p>
23032 <p>»Du sollst alles h
ören. Erst aber wollen wir einmal
23033 sehen, ob das Kriegsschiff uns nachkommen kann. Richtung nach West!
23034 Voll Repulsit!
« sagte sie zum Schiffer.
</p>
23035 <p>Das Schiff wandte seine Spitze nach Westen mit einer sanften
23036 Neigung nach oben. Der Reaktionsapparat wirkte. Es sauste durch den
23037 luftverd
ünnten Raum. Die Geschwindigkeit steigerte sich
23038 allm
ählich auf
400 Meter in der Sekunde.
</p>
23039 <p>Das Kriegsschiff war der
›La
‹ gefolgt. Sobald es
23040 erkannt hatte, in welcher Richtung die
›La
‹ zu
23041 entkommen suchte, schlug es ebendieselbe ein. Aber nun zeigte sich
23042 die
Überlegenheit der Yacht. Die Entfernung von dem Verfolger
23043 wuchs schnell. Nach f
ünfundzwanzig Minuten hatte das Schiff
23044 einen Weg von
600 Kilometern zur
ückgelegt. Von der Erde
23045 erblickte man nichts, eine dichte Wolkendecke lagerte hier unten.
23046 Das Kriegsschiff war nur noch als ein Punkt zu erkennen. Nach
23047 weiteren f
ünf Minuten umh
üllten Wolken die Yacht. Alsbald
23048 wurde der Lauf gem
äßigt.
»Wenden Sie
23049 sofort
«, sagte La zum Schiffer,
»und benutzen Sie die
23050 Wolken soweit wie m
öglich nach Nordost. Kommen wir aus den
23051 Wolken heraus, und ist dann das Kriegsschiff nicht mehr sichtbar,
23052 so fahren Sie so schnell wie m
öglich nach Berlin. Dort wird
23053 man uns zun
ächst auf keinen Fall suchen.
«</p>
23054 <p>»Das scheint mir doch fraglich
«, sagte Saltner.
23055 »Sobald das Kriegsschiff sieht, da
ß wir ihm entkommen,
23056 wird es nach der n
ächsten Stadt hinabgehen und nach allen
23057 Richtungen telegraphieren. Man wird uns, wo wir hingelangen, sofort
23059 <p>Es wird wohl also nichts
übrig bleiben, als bis
über
23060 Europa hinauszugehen.
«</p>
23061 <p>»Das ist wahr. Wir k
önnen erst in der Dunkelheit nach
23062 Berlin. Aber wo bleiben wir so lange? Wir wollen doch nicht
23063 immerfort hier in den Wolken herumfahren?
«</p>
23064 <p>»Warum willst du nicht sogleich nach Amerika?
«</p>
23065 <p>»Ich werde es dir dann erkl
ären.
«</p>
23066 <p>»Wo sind wir denn eigentlich?
«</p>
23067 <p>»Wir m
üssen mitten in Frankreich sein. Wir wollen
23068 hinab und uns einmal umsehen.
«</p>
23069 <p>»Dann la
ß uns doch lieber nach irgendeinem
23070 abgelegenen Gebirge gehen, wo es einsam ist und so bald keine
23071 Nachrichten hinkommen, dort k
önnen wir warten, bis es Zeit
23072 ist, nach Berlin zu reisen.
«</p>
23073 <p>»Du hast recht. Fahren Sie also weiter nach S
üdwest,
23074 mit m
äßiger Geschwindigkeit, und suchen Sie auf den
23075 Pyren
äen einen guten Landeplatz. Dort warten wir bis gegen
23076 Abend. Dann gelangen wir gerade zur rechten Zeit nach Berlin. Und
23077 jetzt komm! Wir wollen einmal nach der Mutter sehen, und dann
23078 – ich habe dir noch soviel zu erz
ählen. Und es ist auch
23079 noch jemand hier, den du begr
üßen mu
ßt.
«</p>
23080 <p>Se trat ihnen im Salon entgegen.
</p>
23081 <p>»Sind wir endlich in Sicherheit?
« fragte sie. Und
23082 Saltner die Hand reichend, fuhr sie l
ächelnd fort:
23083 »Sobald man mit Ihnen zusammenkommt, ist man seines Lebens
23084 nicht sicher.
«</p>
23085 <p>»Seien Sie mir nicht b
öse. Ich werde von nun ab ganz
23086 vern
ünftig werden.
«</p>
23087 <p>»Bei soviel Gl
ück?
«</p>
23088 <p>»Ja, es macht mich bescheiden.
«</p>
23089 <h2>57 - Das Spiel verloren
</h2>
23091 <p>Die letzte Woche war f
ür Ell im h
öchsten Grad
23092 aufregend gewesen. Er arbeitete von fr
üh bis sp
ät in die
23093 Nacht und konnte doch die Last verantwortungsvoller Entscheidungen
23094 nicht bew
ältigen, die ihn bedr
ückte und seine ganze
23095 Tatkraft in Anspruch nahm. Er f
ühlte, wie eine nerv
öse
23096 Abspannung sich seiner bem
ächtigte, deren er nicht Herr zu
23097 werden vermochte. Selbst zu einem Besuch bei Isma, nach welchem er
23098 sich sehnte, hatte er noch nicht Zeit finden k
önnen.
</p>
23099 <p>Die
Übergriffe der Beamten hatten sich wiederholt. Es war
23100 nicht immer ein krankhafter Zustand, ausgesprochener Erdkoller, wie
23101 bei O
ß, der dazu Veranlassung gab, sondern eine
23102 sch
ärfere Tonart begann Platz zu greifen, die leicht zu
23103 Konflikten f
ührte. Und dies kam daher, da
ß die auf der
23104 Erde angestellten Nume eine starke Partei auf dem Mars hinter sich
23105 wu
ßten. Die Antibaten, welche auf ein h
ärteres und
23106 entschiedeneres Vorgehen gegen die Menschen als eine untergeordnete
23107 und nur durch Gewalt zu z
ügelnde Rasse drangen, hatten im
23108 Parlament wie im Zentralrat an Einflu
ß gewonnen. Ells
23109 T
ätigkeit bot ihnen einen willkommenen Angriffspunkt, auf den
23110 sie zun
ächst ihre Kr
äfte richteten. Die Strenge, mit
23111 welcher Ell jedem
Übergriff der Instruktoren und Beamten
23112 entgegentrat, wurde in der Presse in
übertriebener Weise
23113 er
örtert und als eine Voreingenommenheit f
ür die Menschen
23114 hingestellt und getadelt. Die Absetzung von O
ß, die sofort
23115 nach der vom Wiener Unterkultor vorgenommenen Untersuchung
23116 verf
ügt worden war, wurde besonders aufgebauscht, da O
ß
23117 eine angesehene und als Techniker um den Staat verdiente
23118 Pers
önlichkeit war. Schon da
ß sich Saltner durch die
23119 Flucht auf die Berge der Strafe entzogen hatte, war als ein Zeichen
23120 von Nachl
ässigkeit gedeutet und Ell zum Vorwurf gemacht
23121 worden. Unter diesem Druck, auf den Ell nicht R
ücksicht nehmen
23122 wollte, hatte der italienische Kultor das Kriegsschiff zur
23123 Verf
ügung gestellt, um Saltner aufzusuchen.
</p>
23124 <p>Die gegen die Menschen gerichtete Str
ömung auf dem Mars war
23125 ja nichts Neues. Ell hatte stets mit ihr rechnen m
üssen, und
23126 er hatte ihr Anwachsen mit Besorgnis verfolgt. Doch vertraute er
23127 fest auf die Macht der Vernunft in den Numen und die Reinheit
23128 seiner eigenen Absichten, und in diesem Glauben hatte ihn Isma aus
23129 innerstem Herzen best
ärkt. Jetzt aber begannen die direkten
23130 Angriffe auf ihn offener hervorzutreten, und er hatte zu seinen
23131 übrigen Arbeiten seine Verteidigung in der Presse zu
23132 f
ühren. Ein lebhafter Wechsel von Lichtdepeschen, die alle
23133 über den Nordpol nach dem Mars gingen, fand zwischen Berlin
23135 <p>Aber ganz ohne Einflu
ß auf Ell war dieser vom Mars, das
23136 hei
ßt von einem Teil seiner Bev
ölkerung ausge
übte
23137 Druck doch nicht geblieben. Er sah sich veranla
ßt, die ihm zu
23138 Gebote stehenden Machtmittel r
ücksichtsloser zu gebrauchen,
23139 und je mehr ihn das Mi
ßverst
ändnis und der Tadel seiner
23140 Handlungen verdro
ß, um so mehr gew
öhnte er sich, auf
23141 seine eigenen Entscheidungen und Entschl
üsse zu vertrauen und
23142 jede anderweitige Beratung abzulehnen. Mit Erschrecken sagte er
23143 sich zuweilen im stillen, da
ß die Furcht, er werde dahin
23144 kommen, sein Kultoramt in autokratischer Weise zu handhaben, nicht
23145 unberechtigt sei. Und immer wieder nahm er sich vor, unter keinen
23146 Umst
änden sich dazu dr
ängen zu lassen, als
23147 Selbstherrscher zu verfahren oder den antibatischen Forderungen
23150 <p>Der einflu
ßreichste Teil der Martier ging ja, wie bei der
23151 Besitznahme, so auch bei der Behandlung der Erde von rein idealem
23152 Gesichtspunkt aus. Die Kultur des Mars, den Geist der Numenheit auf
23153 der Erde zu verbreiten, war ihr Ziel; eine Beherrschung der
23154 Menschheit, soweit sie notwendig schien, nur ein
23155 vor
übergehendes Mittel, eine Art notwendigen
Übels. Aber
23156 gerade hier verstimmte es vielfach, da
ß die Menschen im
23157 gro
ßen und ganzen so wenig Entgegenkommen und
23158 Verst
ändnis f
ür das zeigten, was die Martier ihnen
23159 bringen wollten. Man erkannte wohl Ells T
ätigkeit in gewisser
23160 Hinsicht an, aber man hielt seinen Weg doch f
ür etwas
23161 umst
ändlich. Die Hebung der Bildung konnte nat
ürlich nur
23162 allm
ählich geschehen, und sie war die notwendige Vorbedingung
23163 f
ür das Gelingen des zivilisatorischen Werkes, das die Nume an
23164 der Erde ausf
ühren wollten. Aber man meinte, da
ß eine
23165 entschiedenere Wegr
äumung der Hindernisse hinzukommen
23166 m
üsse. Ein solches Hindernis sah man in Deutschland noch immer
23167 vor allem in der politischen
Übermacht der reaktion
ären
23168 Parteien. Man verlangte einen entschiedenen Bruch mit den
23169 oligarchischen Traditionen, die sich von dem Gedanken einer
23170 bevorzugten und herrschenden Klasse nicht trennen konnten. Man
23171 w
ünschte hier ein entschiedenes Vorgehen, das aber wieder ohne
23172 Anwendung von Gewaltma
ßregeln, die Ell verh
üten wollte,
23173 nicht m
öglich gewesen w
äre.
</p>
23174 <p>Ein weiterer Grund zur Unzufriedenheit, der sich allerdings
23175 gegen die Regierung der Zentralstaaten selbst und gegen Ill als den
23176 Protektor der Erde wendete, war die bisherige Beschr
änkung der
23177 Kulturt
ätigkeit auf die westeurop
äischen Staaten. Man
23178 verlangte die effektive Ausdehnung des Protektorats auf die ganze
23179 Erde, vor allem die Einbeziehung Ru
ßlands und der Vereinigten
23180 Staaten von Nordamerika. Ill sah voraus, da
ß dies zu neuen
23181 schweren K
ämpfen gef
ührt h
ätte; er hoffte, sie zu
23182 vermeiden, wenn man es der Zeit
überlie
ß, von selbst den
23183 Einflu
ß zu gewinnen, der bei der kulturellen
23184 Überlegenheit der Martier auf die Dauer nicht ausbleiben
23185 konnte. Aber diese weise Z
ögerung hatte doch zur Folge,
23186 ungeduldigere K
öpfe der antibatischen Str
ömung
23187 zuzuf
ühren. Ihre haupts
ächliche Kraft indessen zog die
23188 Partei der Antibaten aus dem Teil der Bev
ölkerung, in welchem
23189 die idealen Kulturziele von eigenn
ützigen Absichten
23190 getr
übt waren. Zwar hatte man auf dem Mars geglaubt, f
ür
23191 immer der Gefahr enthoben zu sein, da
ß der reine Wille der
23192 Vernunft zum Guten in Kampf geraten k
önne mit selbstischen
23193 Interessen, mit dem Bestreben, wenn auch nicht f
ür den
23194 einzelnen, so doch f
ür den Staat, Vorteile auf Kosten der
23195 Gerechtigkeit gegen alles Lebendige zu gewinnen. Aber sobald mit
23196 der Erschlie
ßung der Erde das Gef
ühl der Macht und die
23197 M
öglichkeit sich eingestellt hatte, Wesen, die man nicht
23198 f
ür seinesgleichen hielt, auszubeuten, erhoben sich in den
23199 weniger hochstehenden Elementen der Bev
ölkerung, an denen es
23200 nicht fehlte, wieder jene niederen Instinkte eines unter dem
23201 sch
önen Namen des Patriotismus sich verbergenden Egoismus. Man
23202 erkl
ärte es f
ür eine nationale Pflicht des Martiers, von
23203 der Erde alles zu gewinnen, was das wirtschaftliche Interesse des
23204 Mars irgend daraus ziehen konnte. Mit einem Worte, was man wollte,
23205 war nichts anderes als die Erh
öhung der Revenuen des Mars,
23206 aber nicht blo
ß durch den berechtigten Handelsverkehr,
23207 sondern durch die direkte Arbeit der Menschen f
ür die Martier.
23208 Zwar hatte man schon bedeutende Energiemengen von der Erde bezogen
23209 durch Anlegung von Strahlungsfeldern in Tibet, in Arabien und in
23210 den
äquatorialen Gegenden von Afrika. Aber diese wurden von
23211 martischen Gesellschaften auf ihre Kosten, obwohl mit hohem Gewinn,
23212 betrieben. Man wollte jedoch von Staats wegen zur Erh
öhung der
23213 Privatrente aller B
ürger eine Besteuerung der Menschen, um
23214 diese zu gr
ößerer Arbeit im Sinne der Martier zu
23215 zwingen. Man f
ührte aus, da
ß die Menschen bei ihrer
23216 nat
ürlichen Indolenz nur dann dazu gebracht werden
23217 k
önnten, sich die Technik der Martier und damit ihre Kultur
23218 anzueignen, wenn man sie durch eine hohe Steuer veranlasse, die von
23219 der Sonne ihnen zustr
ömende Energie unter Anleitung der
23220 Martier auch wirklich auszunutzen.
</p>
23221 <p>Auf Grund dieser popul
ären Erw
ägung wollte jetzt die
23222 Antibatenpartei ihren ersten gr
ößeren Schlag
23223 f
ühren. Er sollte, wie sich wenigstens die Entschiedenen
23224 sagten, nur die Vorbereitung sein, um die den Menschen
23225 zugesprochenen Rechte sittlicher Pers
önlichkeiten
23226 überhaupt in Zweifel zu stellen und schlie
ßlich
23227 aufzuheben. Die Erde sollte zu einer Werkstatt f
ür die
23228 Erhaltung des Mars durch eine Riesenrente erniedrigt werden. Diese
23229 letzten Gesichtspunkte wurden zwar noch verschleiert, aber die
23230 Gegner enth
üllten sie in ihrer ganzen Unsittlichkeit und
23231 Torheit, ohne doch die Anh
änger einer Besteuerung der Menschen
23232 überzeugen zu k
önnen, welche schiefe Bahn sie zu
23233 beschreiten im Begriff waren.
</p>
23234 <p>Gestern hatte Ell die Nachricht erhalten, da
ß der Antrag
23235 eingebracht worden war
– und nicht ohne Aussicht auf Annahme
23236 –, f
ür die westeurop
äischen Staaten eine
23237 vorl
äufige Jahressteuer von
5.000 Millionen Mark anzusetzen,
23238 indem man anf
ührte, da
ß die H
älfte davon bereits
23239 durch die Verminderung der Milit
ärlasten gedeckt sei.
23240 Au
ßerdem sollten von nun ab die Menschen die Kosten der
23241 martischen Verwaltung selbst tragen, was man in R
ücksicht auf
23242 die zu zahlenden Schulgelder auf ebensoviel veranschlagen
23244 <p>Ell sagte sich, da
ß eine solche Ma
ßregel, wenn sie
23245 sich verwirklichen sollte, ihm die Fortf
ührung seines Amtes
23246 unm
öglich machen w
ürde. Sein ganzes Streben war auf die
23247 Vers
öhnung, auf die freiwillige Anpassung der Menschen an die
23248 Kulturwelt des Mars gerichtet. Der Aufruf zur Begr
ündung eines
23249 allgemeinen Menschenbundes, der zwar die Befreiung der Erde von der
23250 Herrschaft des Mars anstrebte, aber durch ein Mittel, das zu
23251 demselben vers
öhnenden Ziel f
ühren sollte, das er
23252 ersehnte, war ihm daher willkommen. Er tat nichts, um diesen Ideen
23253 und ihrer Ausbreitung entgegenzutreten. Bei der Antibatenpartei auf
23254 dem Mars wurden jedoch die Tendenzen des Menschenbundes unter ganz
23255 anderem Gesichtspunkt betrachtet. Hier wollte man ja nicht das
23256 Kulturheil der Erde, sondern ihre Ausnutzung, und man sah daher in
23257 dem Bund eine gro
ße Gefahr, ein revolution
äres
23258 Unternehmen. Die neue Steuerlast, die man den Menschen zudachte,
23259 sollte sie belehren, da
ß sie auf keine freiwillige Aufgabe
23260 der Mars-Herrschaft zu rechnen h
ätten. Siegten die Antibaten
23261 mit ihrem Vorhaben, so mu
ßte dies auf der Erde erneute
23262 Erbitterung hervorrufen und die Menschen
über die Absichten
23263 der Nume entt
äuschen. Es w
ürde also der von Ell
23264 angestrebten Vers
öhnung entgegengewirkt werden, und seine
23265 eigene Arbeit w
äre nicht nur in Frage gestellt, sondern es
23266 w
äre damit auch sein vom Zentralrat gebilligter Plan
23267 gewisserma
ßen zur
ückgewiesen worden. Ell mu
ßte
23268 sich die Frage vorlegen, ob er dann seine T
ätigkeit noch
23269 f
ür nutzbringend halten d
ürfte.
</p>
23270 <p>Heute nun brachten ihm die neuen Zeitungen vom Mars ihn
23271 pers
önlich kr
änkende Nachricht. Man hatte ihm in einer
23272 Parlamentsrede seine Abstammung von den Menschen
23273 m
ütterlicherseits zum Vorwurf gemacht und die Regierung
23274 getadelt, da
ß sie einen Mann in eine so verantwortliche
23275 Stellung eingesetzt habe, dem man als Halb-Numen kein Vertrauen
23276 entgegenbringen k
önne.
</p>
23277 <p>Ell ging entr
üstet in seinem Zimmer auf und ab. Sollte er
23278 nicht diesen Leuten sein Amt vor die F
üße werfen? Aber
23279 das hie
ße die Sache aufgeben, der er sein Leben gewidmet
23280 hatte. Durfte er nicht hoffen, wenn er selbst festhielt, doch seine
23281 Ansicht zum Sieg zu f
ühren und Gutes auf der Erde zu wirken?
23282 Ja, wenn er sich nur selbst sicherer gef
ühlt h
ätte. Wenn
23283 nicht in jenem Vorwurf ein Kern von Wahrheit gelegen h
ätte!
23284 War nicht seine Heimat auf zwei Planeten, und hatte er die Kraft
23285 gehabt, im entscheidenden Moment allein der Stimme der Numenheit zu
23286 folgen, die ihn hie
ß, nichts anderes im Auge zu haben, als
23287 die gro
ße Aufgabe, das Verst
ändnis der Planeten
23288 anzubahnen? Hatte er nicht als ein schwacher Mensch geschwankt in
23289 seiner Pflicht, ganz sich selbst zu vergessen um des Ganzen willen,
23290 hatte er nicht seiner Neigung Geh
ör gegeben und der Freundin
23291 zuliebe die Erde verlassen, wo er h
ätte wirken sollen?
23292 Gewi
ß, es war nicht seine Absicht gewesen, sich dieser
23293 Pflicht zu entziehen,
äu
ßere Umst
ände hatten ihn
23294 verhindert, rechtzeitig zu ihr zur
ückzukehren. Aber eben
23295 diesen Umst
änden durfte er keinen Spielraum des Zufalls
23296 gestatten, er h
ätte sich der Gefahr nicht aussetzen
23297 d
ürfen, die Pflicht zu vers
äumen. Das war seine Schuld.
23298 Er hatte eine Schuld auf sich geladen. Durfte er dann noch sich als
23299 den Mann betrachten, der hoch genug stand, um die Kultur zweier
23300 Planeten zu vermitteln? Durfte er sich die Kraft zutrauen,
23301 gegen
über den Angriffen von beiden Seiten die Verantwortung zu
23302 tragen und die Machtf
ülle nicht durch menschliche
23303 Leidenschaften zu entstellen?
</p>
23304 <p>In solchen Gedanken wandelte sich seine Entr
üstung in
23305 ernste Selbstpr
üfung, und immer wieder erwog er die Frage, ob
23306 er der Sache, die er durchzufechten entschlossen war, auch wohl an
23307 diesem Platz noch die rechten Dienste zu erweisen verm
öge.
</p>
23308 <p>Da wurde ihm der Unterkultor von Wien gemeldet.
</p>
23309 <p>Als das Luftschiff Las, von dem Kriegsschiff verfolgt, den
23310 Blicken der Martier entschwunden war, hatte sich der Beamte sofort
23311 auf den Weg nach Berlin gemacht. Drei Stunden sp
äter war er
23312 dort angelangt. Er wurde sogleich vorgelassen. Emp
ört beklagte
23313 er sich
über die Behandlung, die sich Saltner gegen ihn
23314 herausgenommen, und verlangte die volle Strenge des Gesetzes gegen
23315 den Frevler, an dessen Ergreifung er nicht zweifelte.
</p>
23316 <p>Ell glaubte seinen Ohren nicht trauen zu d
ürfen, so
23317 überraschte ihn das, was er h
ören mu
ßte.
</p>
23318 <p>»La?
« fragte er.
»Sind Sie auch sicher, La,
23319 die Tochter von Fru, des technischen Direktors im Ministerium
23320 f
ür Raumschiffahrt? Sie hat Saltner in aller Form f
ür
23321 ihren Gemahl, nach dem Rechte des Nu, erkl
ärt und ihn in ihrem
23322 Luftschiff entf
ührt?
«</p>
23323 <p>»Es ist kein Zweifel, die Papiere waren in Ordnung, der
23324 Beweis
– wie ich ihnen sagte. Und dieser Bat wagte es, mich
23325 anzufassen, mich mit Gewalt ins Schiff hinabzuziehen, mich
23326 auszusetzen und mir h
öhnische Worte nachzurufen. Aber Sie
23327 werden
–«</p>
23328 <p>»Ich werde dem Gesetz gem
äß verfahren. Ich
23329 bedaure tief dieses Ereignis. Entschuldigen Sie mich jetzt, aber
23330 halten Sie sich, bitte, in der N
ähe, da
ß ich Sie
23331 eventuell noch einmal sprechen kann, ehe Sie nach Wien
23332 zur
ückkehren. Ich danke Ihnen f
ür Ihren Bericht, Sie
23333 haben Ihrerseits korrekt gehandelt, Sie konnten nicht wissen,
23334 da
ß das Luftschiff Freunde und Helfer Saltners barg. Sorgen
23335 Sie daf
ür, da
ß eine etwaige Nachricht von dem
23336 verfolgenden Schiff mir sogleich mitgeteilt wird.
«</p>
23337 <p>Der Beamte hatte noch nicht die T
ür erreicht, als das
23338 Signal am Depeschentisch erklang und zwei Telegramme, die mit eilig
23339 bezeichnet waren, sich auf die Platte desselben schoben.
</p>
23340 <p>Ell ri
ß das erste auf und rief sogleich den Unterkultor
23342 <p>»Aus Lyon, vom Kommandanten des Kriegsschiffs
«,
23343 sagte er.
»Die Luftyacht
›La
‹, mit
23344 unerreichbarer Geschwindigkeit fliegend, ist in einer
23345 un
übersehbaren Wolkendecke verschwunden und konnte nicht mehr
23346 aufgefunden werden.
«</p>
23347 <p>Der Beamte stand starr.
</p>
23348 <p>»Ihrer R
ückkehr nach Wien steht nun vorl
äufig
23349 nichts entgegen
«, sagte Ell.
»Das weitere werde ich
23350 veranlassen. Leben Sie wohl.
«</p>
23351 <p>Sobald Ell allein war, lie
ß er sich auf seinen Stuhl
23352 sinken und st
ützte die H
ände in den Kopf.
</p>
23353 <p>Das hatte La getan! Er konnte es nicht begreifen. Um Saltners
23354 willen! Er sah sie vor sich, wie sie damals, als er auf dem Nu mit
23355 ihm stritt, Saltners mannhaftes Eintreten f
ür das Vaterland
23356 mit einem Ku
ß belohnte, und eine Regung von Neid stieg in ihm
23357 auf, die er gewaltsam zur
ückdr
ängte. Mochte sie! Der
23358 Vorgang hatte f
ür ihn eine ganz andere Bedeutung. Das war
23359 offne Auflehnung gegen die Herrschaft der Nume auf der Erde. Was
23360 Saltner getan hatte, freilich, das sah ihm ganz
ähnlich, das
23361 mochte er selbst verantworten, ja er konnte es ihm nicht einmal
23362 verdenken. Und er h
ätte es ihm herzlich geg
önnt,
23363 da
ß ihm die Flucht gl
ücke. Gegen ihn einschreiten zu
23364 m
üssen, war ihm ein peinlicher Gedanke. Ja, wenn es Saltner
23365 aus eigner Kraft gelungen w
äre, sich der Verfolgung zu
23366 entziehen! Aber da
ß es durch Las Hilfe geschehen mu
ßte!
23367 Da
ß sie sich dazu hergab, den Schuldigen der Macht des
23368 Gesetzes zu entrei
ßen! Wie konnte sie das vor sich selbst
23369 verantworten? Mag sein, da
ß sie sich keines ungesetzlichen
23370 Mittels bedient hatte, mag sein, da
ß sie glaubte, in gutem
23371 Recht bei ihrer Selbsthilfe zu handeln. Aber die Beihilfe zur
23372 Flucht war doch ein Faktum, das blieb. Und diesen Mann band sie in
23373 aller Form an sich
– La, die Tochter Frus
–, was
23374 mu
ßte das wieder auf dem Mars f
ür Aufsehen erregen!
23375 Daraus w
ürden die Gegner Kapital schlagen. Schlie
ßlich
23376 w
ürde man nat
ürlich Ell verantwortlich machen, da
ß
23377 der Geist der Widersetzlichkeit nicht nur bei den Menschen geduldet
23378 werde, sondern sich durch die Ber
ührung mit ihnen sogar auf
23379 die Nume fortpflanze. Und was w
ürde La tun? Wohin wollte sie
23380 sich fl
üchten? Wenn sie nach dem Mars ging oder nach fremden
23381 Teilen der Erde, welch schwierige Auseinandersetzungen,
23382 Verhandlungen, neue Angriffspunkte ergaben sich da?
</p>
23383 <p>Gab es denn heute keine Ruhe f
ür ihn? Er mu
ßte sie
23384 suchen. Wo? Zu Isma! Er wollte zu Isma. Er erhob sich. Da fiel sein
23385 Blick auf das zweite Telegramm. Mochte es liegen bleiben! Doch
23386 nein, das ging nicht, vielleicht war es doch wichtig. Er brach es
23387 auf. Oh, wie lang!
</p>
23388 <p>»Kalkutta. ... Der Kommissar der Marsstaaten hat die Ehre
23389 zu melden, da
ß es gegl
ückt ist, unzweifelhafte Spuren
23390 des gesuchten Hugo Torm aufzufinden und da
ß die Beweise
23391 vorliegen. Torm war der Fremde, der wiederholt in den Verhandlungen
23392 mit Tibet erw
ähnt wurde und sich l
ängere Zeit in Lhasa
23393 aufgehalten hat. Es sind Leute ermittelt worden, die mit ihm die
23394 Reise nach Kalkutta gemacht haben und sich im Besitz von
23395 Gegenst
änden befinden, die sie von Torm erhielten. Hier konnte
23396 festgestellt werden, da
ß Torm am
18. oder
19. August das
23397 Post-Luftschiff nach London benutzt hat. Sein gegenw
ärtiger
23398 Aufenthalt konnte hier nicht ermittelt werden.
«</p>
23399 <p>Ell sank auf seinen Platz zur
ück.
</p>
23400 <p>Torm lebte! Daran war nun kein Zweifel mehr m
öglich.
</p>
23401 <p>Ell f
ühlte, wie sich ihm das Blut in den Kopf dr
ängte,
23402 wie seine Gedanken sich verwirrten
– –. Und jetzt
23403 brauchte er Klarheit, volle, n
üchterne Klarheit!
</p>
23404 <p>Warum freute er sich denn nicht? Er mu
ßte sich doch
23405 freuen, da
ß der bew
ährte Freund, der verdiente Forscher,
23406 der Mensch
überhaupt gerettet war, und vor allem, da
ß
23407 – –</p>
23408 <p>Ja, er wollte ja zu Isma. Er wollte bei ihr Ruhe suchen und
23409 Trost. Jetzt konnte er sie ihr bringen. Jetzt konnte er ihre
23410 H
ände fassen und ihr sagen:
»Freue dich, Isma, er
23411 lebt!
« Und er sah, wie sie die Augen aufschlug und ihn
23412 ungl
äubig ansah und er wieder sagte:
»Er lebt
«,
23413 und wie die blauen Augen sich mit Tr
änen f
üllten und sie
23414 aufschrie:
»Er lebt!
«, und wie sie an seine Brust sank
23415 und den Kopf an seine Schulter lehnte und schluchzte:
»O mein
23416 Freund, mein Freund! Ich bin so gl
ücklich!
« Und es war
23417 ihm, als m
üßte er sie von sich sto
ßen, und doch
23418 war es solche Seligkeit, sie an sich zu pressen und die Lippen auf
23419 ihr Haar zu dr
ücken, und zu sehen, wie dies geliebte Wesen
23420 sich nicht zu fassen wu
ßte im unerhofften Gl
ück
–
23421 –. Warum freute er sich denn nicht? Warum z
ögerte er
23422 auch nur einen Augenblick? Also vorw
ärts!
</p>
23423 <p>Er stand wohl auf, er schritt auf und ab, er blieb vor dem
23424 Telephon stehen, aber er konnte sich nicht entschlie
ßen, nach
23425 dem Wagen zu rufen. Nein, er konnte sich nicht freuen, er wollte
23426 nicht! Das Gl
ück war ihm so nahe, die ertr
äumte Zukunft
23427 so sch
ön
– und es sollte nicht sein? Aber was war denn
23428 geschehen? W
ürde es nicht so sein, wie es immer gewesen war?
23429 W
ürde sie ihn weniger lieb haben? W
ürde er sie nicht
23430 sehen, so oft er wollte? Hatte er sie je anders begehrt?
23431 Wu
ßte er nicht seit Jahren, da
ß sie ihm nie anders
23432 geh
ören w
ürde, und war er nicht gl
ücklich gewesen
23433 trotz alledem mit der treuen Freundin?
</p>
23434 <p>Doch, es war anders, es war eben nicht mehr so wie fr
üher.
23435 Er wu
ßte es, sie selbst hatte sich frei gef
ühlt, sie
23436 hatte sich mit dem Gedanken vertraut gemacht, da
ß sie den
23437 Gatten nie wiedersehen w
ürde, sie hatte den Schmerz durchlebt
23438 und langsam sich gew
öhnt, an den Verschollenen zu denken als
23439 an einen Verlorenen. Und wenn sie je die Zukunft erwog, so sah sie
23440 einen andern neben sich. Und er, Ell, er glaubte nur zu sicher zu
23441 wissen, da
ß diese Zukunft ihm geh
örte, zu fest hatte
23442 sich die Hoffnung in ihm gegr
ündet, da
ß er sie nun bald
23443 sein nennen w
ürde in einem andern Sinne, ganz sein. Er mochte
23444 das namenlose Gl
ück nicht ausdenken, nur das wu
ßte er,
23445 wie viel leichter er dann die Schwere seines Ringens und
23446 K
ämpfens ertragen w
ürde.
– – Ja, es war
23447 anders geworden, er sah schon lange nicht mehr in ihr die Freundin,
23448 der er geschworen hatte zu dienen ohne Verlangen. In verzehrenden
23449 Flammen loderte in ihm die Leidenschaft, sie zu besitzen! Sie
23450 wieder zur
ückkehren zu sehen in die Arme eines andern
–
23451 nein, es war nicht mehr m
öglich. Es konnte nicht mehr so sein,
23452 nimmermehr konnte er neben ihr hergehen in ehrlicher Entsagung.
23453 Wenn er jetzt die Geliebte verlor, so verlor er auch die Freundin,
23454 so hatte er sie ganz und auf immer verloren
–. Dann
23455 mu
ßte er fort, er durfte sie nicht mehr sehen
– sie war
23456 ihm verloren
– verloren
– –</p>
23457 <p>Und das sollte er ertragen? Und das sollte er dulden? Und dabei
23458 wissen, da
ß sie ihn liebte? Wo war denn der Mann? Er war ja
23459 nicht da. Zur
ückgekehrt, ein Totgeglaubter, und der erste
23460 Schritt war nicht zu seiner Frau? Warum kam er nicht und nahm sein
23461 Recht in Besitz? Warum verbarg er sich? Kam er vielleicht doch
23462 niemals wieder? Und w
äre dieser Kampf mit sich selbst und der
23463 Sturm, den die Nachricht in Ismas Herzen erregte, w
ären sie
23464 unn
ütz, zwecklos? Doch nein, die Nachricht war zu sicher. Aus
23465 einem Postluftschiff der Martier steigt man an einer Station aus,
23466 aber man verungl
ückt nicht. Und wenn man in einem der
23467 zivilisierten Staaten ausgestiegen ist, so verschwindet man nicht
23468 spurlos, wenn man nicht will, wenn man nicht gute Gr
ünde dazu
23469 hat. Warum also verbirgt sich Torm? Nur in seinem Gewissen
23470 mu
ß der Grund liegen, er mu
ß etwas getan haben, das ihn
23471 zur Flucht vor der Welt veranla
ßt. Aber warum auch vor Isma?
23472 Also auch vor ihr mu
ß er sich scheuen? Er will vielleicht gar
23473 nicht zu ihr? Offenbar, er will nicht! Und vor diesem Mann, der
23474 vielleicht Ismas nicht mehr w
ürdig ist, der sich vor ihr
23475 verbirgt, sollte er, Ell, das Feld r
äumen? Wenn Torm sich
23476 gegen die Nume vergangen hatte, so war es Ells Pflicht, dies zu
23477 s
ühnen. Welche R
ücksicht sollte er nehmen, wenn Torm
23478 selbst seine Rechte aufgab oder das Recht der Nume sie ihm
23479 absprach? Und deshalb sollte Ell den grausamen Verzicht auf sich
23480 nehmen, der ihm das Liebste, das Teuerste entri
ß, der ihm die
23481 Wurzel im innersten Gem
üt zerst
örte, aus dem seine
23482 Energie, sein Mut, sein Vertrauen, die ganze gro
ße Aufgabe
23483 seines Lebens die besten Kr
äfte zog?
</p>
23484 <p>Ell ballte die Faust.
»Hab ich mein Sein hingegeben
23485 f
ür die Sache, so will ich auch mein Gl
ück mir erobern!
23486 Wo ist er, dem ich sie geben soll, die ich mir verdient habe, die
23487 mir geh
ört? Wo ist er? Verschwunden
–, nun gut
–
23488 er bleibe verschwunden!
«</p>
23489 <p>Er sank in seinen Stuhl zur
ück und verfiel in dumpfes
23490 Br
üten. Tiefe Stille herrschte in dem weiten Raum, nur von
23491 Zeit zu Zeit entrang sich seiner Brust ein Seufzer, ohne da
ß
23492 er darum wu
ßte. Und er wu
ßte nicht, da
ß die Zeit
23493 verging, da
ß das Dunkel des Abends sich
über die Stadt
23494 gelegt hatte
– –</p>
23495 <p>Und wenn Torm doch kam? Ja, verhindern konnte er es wohl, aber
23496 mit diesem Wissen vor Isma treten
– das konnte er nicht. Und
23497 sie sein nennen um den Preis einer Schuld
– das konnte er
23498 nicht, das war ja unm
öglich. Und wer wei
ß – er
23499 hatte Isma mehrere Tage nicht gesehen
–, wenn
– wenn
23500 Torm schon gekommen w
äre? Er fuhr in die H
öhe, von einem
23501 pl
ötzlichen Schrecken aufgejagt. Wenn sie bei ihm w
äre,
23502 und ihm nichts davon gesagt h
ätte, wenn
– –</p>
23503 <p>Jetzt bemerkte er, da
ß es dunkel war. Ein Handgriff
23504 schaltete das Licht ein. Dann stand er vor dem Telephon.
</p>
23505 <p>Wie es auch werden mochte, verbergen durfte er ihr nichts! Er
23506 fragte an, ob Isma zu Hause w
äre. Sie war da. Sie freue sich
23507 sehr, ihn bald zu sehen.
</p>
23508 <p>Wenige Minuten sp
äter sa
ß Ell in seinem Wagen. Er
23509 lie
ß so schnell fahren, als es der Stra
ßenverkehr
23510 erm
öglichte, aber der Weg war weit. Er sah es jetzt ein, er
23511 durfte ihr die Nachricht nicht vorenthalten. Wenn Torm nicht zu ihr
23512 zur
ückkehrte, so mu
ßte sie trotzdem wissen, da
ß er
23513 h
ätte zur
ückkehren k
önnen.
</p>
23514 <p>Aber wie w
ürde dies auf sie wirken? Nun sorgte er sich
23515 wieder um die Freundin. Doch er hatte sich einmal angemeldet
23516 –. Er wollte sie sprechen, er konnte ja vorsichtig sein, die
23517 neue Hoffnung f
ür sie nur andeuten
– –</p>
23518 <p>Der Wagen hielt, diesmal direkt vor der T
ür. Ell eilte die
23519 Treppen hinauf. Die Wirtin
öffnete. Ell wollte mit
23520 fl
üchtigem Gru
ß an ihr vor
über.
</p>
23521 <p>»Der Herr Kultor werden verzeihen
«, sagte sie
23522 verlegen.
»Frau Torm sind nicht zu Hause.
«</p>
23523 <p>Ell prallte zur
ück.
»Nicht zu Hause? Aber ich habe ja
23524 vor einer halben Stunde mich angemeldet.
«</p>
23525 <p>»Ja, Frau Torm haben es mir auch gesagt, wir waren gerade
23526 bei Tisch, aber dann
– dann
–«</p>
23527 <p>»Was war dann?
« fragte Ell ungeduldig und hart.
</p>
23528 <p>»Der Herr Kultor m
ögen verzeihen, ich wei
ß es
23529 ja nicht
–. Es kamen die beiden Damen wieder
23531 <p>»Welche Damen?
«</p>
23532 <p>»Nun die Damen vom Mars, die gestern schon hier waren und
23533 die Partie gemacht haben mit Frau Torm.
«</p>
23534 <p>»Welche Damen? Welche Partie? Sagen Sie alles!
«</p>
23535 <p>»Um Gottes willen, ich wei
ß ja nichts weiter, sie
23536 waren drin im Zimmer, nur kurze Zeit, und auf einmal kam Frau Torm
23537 herausgest
ürzt im Mantel und Hut, ganz eilig, und rief nur
23538 ›Ich mu
ß fort
‹, und die beiden Damen gingen mit
23539 ihr, ich wei
ß ja nicht wohin. Und ich wollte noch fragen, was
23540 ich denn nun sagen sollte, wenn der Herr Kultor k
ämen, aber
23541 weil die beiden fremden Damen vom Mars dabei waren, getraute ich
23542 mich nicht. Und ich bin noch die Treppe hinuntergelaufen und habe
23543 gesehen, es stand ein Wagen vor der T
ür, in dem fuhren sie
23544 alle drei fort
–«</p>
23545 <p>»Wie lange ist das her?
«</p>
23546 <p>»Noch keine zehn Minuten.
«</p>
23547 <p>»F
ühren Sie mich ins Zimmer, ich werde
23549 <p>»Ach, entschuldigen Sie nur, Herr Kultor, das habe ich
23550 noch ganz vergessen, Frau Torm hat mir zugerufen, sie k
äme die
23551 Nacht nicht zur
ück.
«</p>
23552 <p>»So will ich doch nachsehen, ob sie nicht eine Nachricht
23553 f
ür mich hinterlassen hat.
«</p>
23554 <p>Ell sah sich vergeblich im Zimmer um. Kein Zeichen f
ür ihn.
23555 Isma hatte offenbar ganz vergessen, da
ß sie ihn erwartete. Er
23557 <p>Er wu
ßte nicht, was er denken sollte. Mit Torm mu
ßte
23558 dieser pl
ötzliche Aufbruch zusammenh
ängen, das war das
23559 einzige, was er sich sagte, aber weiter kam er nicht. Und so konnte
23560 sie ihn verlassen, ohne auch nur mit einem Wort seiner zu gedenken?
23561 Und die Damen vom Nu?
</p>
23562 <p>V
öllig niedergeschlagen kam er zu Hause an. Neue Depeschen
23563 waren eingetroffen. Er las sie durch
– von Isma war nichts
23564 darunter. Er f
ühlte sich nicht imstande, zu arbeiten.
</p>
23565 <p>Ein Gedanke dr
ängte sich ihm immer wieder vor: Verloren!
23566 Verloren! Das hatte er um sie verdient?
</p>
23567 <p>Es war zehn Uhr geworden. Da klang es noch einmal am
23568 Depeschentisch. Die tiefe Glocke. Das war etwas Besonderes, eine
23569 Lichtdepesche vom Mars.
</p>
23570 <p>Er
öffnete das Stenogramm und sah nach der Unterschrift:
23571 »F
ür den Zentralrat, der Pr
äsident der
23572 Marsstaaten.
«</p>
23573 <p>»Ich habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, da
ß der
23574 Zentralrat Ihnen seine ernste Mi
ßbilligung aussprechen
23575 mu
ß über die Nachsicht, mit welcher im deutschen
23576 Sprachgebiet die
Übergriffe der Menschen gegen unsre Beamten
23577 behandelt werden. Der Zentralrat erwartet von Ihnen sofortige
23578 entschiedene Ma
ßregeln, wodurch den Menschen begreiflich
23579 gemacht wird, da
ß sie der Herrschaft der Nume sich unter
23580 allen Umst
änden ohne Widersetzlichkeit zu beugen haben.
23581 Zugleich m
ögen Sie Vorbereitungen treffen, da
ß die nach
23582 dem n
ächstens zu ver
öffentlichenden Gesetz auf das
23583 deutsche Sprachgebiet fallende Kontribution von einer Milliarde
23584 Mark rechtzeitig erhoben werden kann.
«</p>
23585 <p>Ell schleuderte das Blatt auf den Tisch.
</p>
23586 <p>»Das bedeutet den Sieg der Antibaten!
« rief er
23588 <h2>58 - L
ösung
</h2>
23590 <p>Zu derselben Zeit, als Ell in seinem Wagen nicht schnell genug
23591 durch die Stra
ßen Berlins jagen konnte, sa
ß Torm an
23592 einem der gro
ßen Tische des Bibliothekzimmers in der
23593 Friedauer Sternwarte. Er beugte sich
über seine Arbeit. Wohl
23594 zuckte es h
äufig in seiner Hand, die Bl
ätter mit den
23595 langen Zahlenreihen zur
ückzuschieben, aber er bezwang sich;
23596 denn er wu
ßte, da
ß ihn dann die bohrenden Gedanken nur
23597 noch heftiger qu
älten.
</p>
23598 <p>Durfte er noch l
änger hier z
ögern? Und was sollte er
23599 tun? Grunthe hatte sich an den Protektor Ill selbst gewandt, um zu
23600 erfahren, welche Motive den neuen Nachforschungen nach Torm
23601 zugrunde l
ägen. Aber die Antwort war noch nicht eingetroffen.
23602 Wie die Zeitungen meldeten, hatte sich der Protektor, vom
23603 Zentralrat berufen, zu einer wichtigen Konferenz nach dem Mars
23604 begeben. Ehe er zur
ückkehrte, konnten, trotz der
23605 gegenw
ärtigen g
ünstigen Stellung der Planeten und der
23606 neuerdings erzielten kolossalen Geschwindigkeit der Raumschiffe
23607 doch noch gegen zwei Wochen vergehen. So lange noch hier
23608 auszuhalten, erschien Torm manchmal als eine Unm
öglichkeit.
23609 Und was dann, wenn die Antwort ung
ünstig ausfiel?
</p>
23610 <p>Alle seine Willenskraft bot er auf, um die Sehnsucht nach Isma
23611 zur
ückzudr
ängen. Und doch gr
übelte er immer wieder,
23612 ob es nicht richtiger sei, ihr selbst die Entscheidung zu
23613 überlassen, sich zu ihm zu bekennen oder nicht. Doch nein, das
23614 hie
ße, sie zu einem verh
ängnisvollen Entschlu
ß
23615 treiben. Aber er, er selbst, sollte er nicht f
ür sich auf die
23616 Entscheidung seines Schicksals dringen, indem er Ell
23617 benachrichtigte? Er fand die Antwort nicht und versenkte sich aufs
23618 neue in seine Rechnungen.
</p>
23619 <p>Da klang pl
ötzlich durch die Stille des Raums aus dem
23620 Nebenzimmer, in welchem Grunthe arbeitete
– die T
ür war
23621 nur angelehnt
–, eine helle Stimme, die Torm emporfahren
23623 <p>»Gr
üß Gott, Grunthe!
« erscholl es.
</p>
23624 <p>»Saltner!
« h
örte er Grunthe freudig
23625 überrascht rufen.
</p>
23626 <p>»Ja, ich bin
’s. Und ich will Sie nur ins Schiff
23627 holen, hier getraue ich mich nicht herein. Aber eins, sagen Sie
23628 gleich
– ist Torm hier? Na, machen
’s keine Sperenzen,
23629 ich wei
ß, da
ß er bei Ihnen logiert. Wo ist
23631 <p>»Er arbeitet in der Bibliothek.
«</p>
23632 <p>»Dann heraus mit ihm, rufen Sie ihn. Frau Isma ist hier.
23633 Wir haben sie mitgebracht.
«</p>
23634 <p>Da flog die T
ür auf. Torm stand im Zimmer.
</p>
23635 <p>»Wo?
« fragte er blo
ß. Aber er wartete keine
23636 Antwort ab. Es konnte ja nicht anders sein
– sie war im
23637 Schiff, und das Schiff lag nat
ürlich im Garten. Mit einem Satz
23638 war er an der T
ür der Veranda und ri
ß sie auf.
</p>
23639 <p>Hier lehnte Isma am Gel
änder der Treppe. Pochenden Herzens
23640 wartete sie auf den Erfolg von Saltners Botschaft.
</p>
23641 <p>Einen Moment blieb Torm stehen, als er sie erkannte, nur einen
23642 Moment. Dann hielt er sie in den Armen. Wie lange, sie wu
ßten
23644 <p>»Komm herein!
« sagte er endlich. Noch vermochte er
23645 nichts anderes zu sprechen. Er trug sie fast in das Zimmer. Es war
23646 leer. Grunthe und Saltner hatten es durch eine andere T
ür
23648 <p>Sie hielten sich an den H
änden und blickten sich an. Isma
23649 zitterte. Die Tr
änen dr
ängten sich in ihre Augen. Das war
23650 er! Der von ihr geschieden war in der bl
ühendsten Kraft des
23651 Mannes, hoffnungsfroh und siegesgewi
ß – das Haar war
23652 ergraut, tiefe Falten hatten Anstrengung und Sorge in seine Stirn
23653 gegraben
–, sie h
ätte M
ühe gehabt, ihn
23654 wiederzuerkennen
– aber die blauen Augen strahlten ihr in der
23655 alten Innigkeit entgegen.
</p>
23656 <p>Sie schluchzte.
»Ich habe dich wieder!
«</p>
23657 <p>Wieder warf sie ihre Arme um seinen Hals, er aber l
öste
23658 sich sanft und sah sie nun an mit einem ernsten Blick voll Kummer
23660 <p>»Isma
«, sagte er langsam,
»du wei
ßt
23661 nicht, wen du umarmst.
«</p>
23662 <p>»Ich wei
ß es, Hugo, ich wei
ß es! Die Freunde,
23663 die treuen, die mich hierherbrachten, haben es mir gesagt. Ich
23664 wei
ß, warum du fernbliebst, warum du nicht zu mir eiltest. Es
23665 war nicht recht, doch ich versteh
’ es
– ich aber
23666 geh
öre zu dir, drum bin ich hier
–«</p>
23667 <p>Ȇber mir schwebt das Gericht und die Not, die
23668 Schande, die den Frevler am Gesetz trifft. Du wei
ßt nicht
23669 alles
–. Ich brach das Vertrauen der Nume am Pol, ich nahm
23670 von ihrem Gut, ich floh mit Gewalttat und stie
ß den
23671 W
ächter hinab ins Schiff Ich bin ein Ge
ächteter, solange
23672 die Nume herrschen. An dich aber hab ich kein Recht, du stehst im
23673 Schutze des Nu, du bist frei. Warum kommst du, mich in die
23674 furchtbare Qual zu st
ürzen, wieder von dir fliehen zu
23675 m
üssen, nachdem ich dich gesehen
– oh, es ist
23676 furchtbar!
«</p>
23677 <p>»Nein, nein
«, rief sie, aufs neue sich an ihn
23678 schmiegend.
»Ich lasse dich nicht von mir, jetzt nicht
23679 wieder, und es ist nicht furchtbar. Was du auch getan, du tatest
23680 es, um zu mir zu kommen, nun trag ich mit dir, was geschehen soll.
23681 Aber du brauchst nichts zu f
ürchten. Unsere Freunde
23682 f
ühren uns, wohin der Arm der Nume nicht reicht.
«</p>
23683 <p>Er sch
üttelte den Kopf.
»Das geht nicht
«, sagte
23684 er finster.
»Ich nehme keine Gnade an von denen, die ich als
23685 Feinde der Menschheit betrachte, von den Vernichtern meines
23686 Gl
ücks
– das geht nicht!
«</p>
23687 <p>»Oh, wie kannst du so sprechen! Saltner ist in derselben
23688 Lage, er hat nicht gez
ögert, Las Hilfe anzunehmen, er hat sie
23689 zur Frau genommen nach den Gesetzen des Nu
–«</p>
23690 <p>»Dann kann er es tun, weil er sie liebt. Ich aber hasse
23691 diese Nume. Und wir beide sind geschieden nach dem Gesetz des Nu
23693 <p>»Geschieden, wir? Wer hat das bestimmt? Dieses Gesetz ist
23694 nichts ohne unsern Willen. Es sch
ützt unsern Willen gegen
23695 fremden Eingriff, aber gegen unsern Willen kann es weder fesseln
23696 noch scheiden. Und ich habe niemals und werde niemals
– o
23697 Hugo, wie kannst du glauben, ich w
ürde dich verlassen, ich,
23698 die ich selbst die Schuld trage unsrer Trennung
– hier stand
23699 ich, an dieser Stelle, da beschwor ich Ell, mich mitzunehmen nach
23700 dem Nordpol, denn binnen Tagesfrist gedacht ich dich zu finden, und
23701 es wurden zwei Jahre
– nicht durch meine Schuld
23703 <p>»Erinnere mich nicht an ihn
«, unterbrach er sie
23704 hart.
»Diese zwei Jahre
– oh! Als ich zur
ückkam
23705 und umkehrte vor deiner T
ür, da trat er heraus
23707 <p>»Hugo
«, sagte sie flehend,
»das Leid hat dich
23708 verbittert, sonst w
ürdest du so nicht reden. Ja, er ist mein
23709 Freund, der treueste, beste, das wei
ßt du, und das wird er
23710 uns immer beweisen. Eben sagtest du, ich sei frei, wo aber findest
23711 du mich? In den Prunkzimmern des Kultorpalais oder hier im Asyl des
23712 Ge
ächteten, der mich nicht will?
«</p>
23713 <p>Er blickte sie lange an, dann zog er sie an sich.
</p>
23714 <p>»Verzeih mir
«, sagte er,
»es ist wahr, ich
23715 habe dich ja hier, du geliebte Frau. Was k
ümmert uns der
23716 Menschen Rede? Ich habe gelitten, und das Elend war
über mir.
23717 Aber die Philister sollen nicht
über uns sein. Wie wollen wir
23718 den Numen trotzen, wenn wir nicht uns selbst die Freiheit im
23719 Gef
ühl zu wahren wissen? Mir aber zerrei
ßt es das Herz,
23720 da
ß ich dich nicht halten kann mit offnem Trotz, weil ich
23721 selbst keine St
ätte mehr habe, so weit die Planeten kreisen.
23722 Denn eins will ich bewahren, den Stolz, und Rettung will ich nicht
23723 durch ihre Gnade!
«</p>
23724 <p>Isma beugte sich zur
ück und sah ihm gro
ß in die
23726 <p>»Wenn nicht durch ihre Gnade
«, sagte sie langsam,
23727 »dann gibt es nur eins: durch die Wahrheit!
«</p>
23728 <p>Seine Augen erweiterten sich, als er erwiderte:
»Wenn ich
23729 dich recht verstehe
–«</p>
23730 <p>»Vertraue dich Ell an. Sage ihm alles und h
öre, was
23731 er f
ür richtig h
ält. Und wenn es n
ötig ist, stelle
23732 dich ihrem Gericht. Ich aber werde bei dir sein.
«</p>
23733 <p>Er z
ögerte.
»Das hei
ßt, ich gebe mich in seine
23735 <p>»Er ist edel und gro
ß.
«</p>
23736 <p>Torm runzelte die Stirn. Er dachte lange nach. Endlich sagte er:
23737 »Ich sehe keinen andern Ausweg. Und nun du zu mir kamst, darf
23738 ich nicht l
änger z
ögern, mein Schicksal zu entscheiden.
23739 Ich werde gehen.
«</p>
23740 <p>Sie fiel ihm um den Hals.
»Geh
«, rief sie,
23741 »gehen wir, und sogleich!
«</p>
23742 <p>»Jetzt? Auf der Stelle? Wie meinst du das? Es ist Abend
23743 – und ich, in meiner
Überraschung, ich habe noch nicht
23744 einmal gefragt, wie kamst du her?
«</p>
23745 <p>»Komm mit zu La, und du wirst alles begreifen.
«</p>
23746 <p>Er schlo
ß sie noch einmal in seine Arme. Dann gingen sie
23747 Hand in Hand durch das Zimmer nach der Veranda, in den Garten.
</p>
23748 <p>Sie standen vor dem Luftschiff.
</p>
23749 <p>»Verzeih mir
«, sagte Torm zu Isma,
»aber jetzt
23750 in die Gesellschaft der andern zu gehen, sie zu
23751 begr
üßen, zu reden
– es ist mir unm
öglich
23752 – und es ist doch schon zu sp
ät, um Ell noch zu
23753 sprechen, selbst wenn La uns wirklich so schnell und noch jetzt
23755 <p>»Ich werde La rufen.
«</p>
23756 <p>Die Beratung mit La dauerte nicht lange.
</p>
23757 <p>»Sie, Torm
«, sagte sie,
»wird Ell jederzeit
23758 empfangen, und Sie haben nicht eher Ruhe, bis die Entscheidung
23759 gefallen. F
ür uns aber ist es erw
ünscht, noch heute nacht
23760 alles abzuwickeln, denn der Boden Europas brennt uns unter den
23761 F
üßen, und wenn die Sonne aufgeht, m
öchte ich hoch
23762 über den Wolken sein. In einer halben Stunde k
önnen Sie
23763 in Ells Zimmer stehen.
«</p>
23764 <p>»Ihr Interesse entscheidet
«, sagte Torm.
23765 »Meinetwegen d
ürfen Sie sich nicht aufhalten. Ich bin
23767 <p>La f
ührte Torm und Isma ins Schiff. Sie sahen noch, wie La
23768 mit Grunthe sprach, der das Schiff verlie
ß. Dann blieben sie
23769 allein im kleinen Salon. Was hatten sie nicht alles sich
23770 mitzuteilen! Sie glaubten eben erst begonnen zu haben, als La
23771 eintrat und sagte:
</p>
23772 <p>»Wir sind auf dem Vorbau des Kultorpalais, auf dem
23773 Anlegeplatz f
ür die Luftschiffe, steigen Sie schnell aus und
23774 lassen Sie sich melden. Da Sie an dieser nur f
ür Nume
23775 zug
änglichen T
ür Einla
ß verlangen, wird man keine
23776 Schwierigkeiten machen. Unser Schiff finden Sie am Akazienplatz,
23777 wohin Sie eine der vor dem Palais haltenden Droschken in wenigen
23778 Minuten bringt. Und nun viel Gl
ück auf den Weg!
«</p>
23779 <p>Isma umarmte ihn schweigend, dann stieg Torm die Schiffstreppe
23780 hinab. Von den T
ürmen der Stadt schlug die elfte Stunde, als
23781 der diensttuende Bed Torm nach seinem Begehr fragte. Ein Besuch um
23782 diese Zeit mu
ßte wohl etwas sehr Wichtiges sein, darum
23783 z
ögerte er nicht anzufragen, ob der Kultor noch empfange. Er
23784 arbeitete noch.
</p>
23785 <p>Ell erbleichte, als er die Karte las.
</p>
23786 <p>»In mein Privatzimmer
«, sagte er.
</p>
23787 <p>Die beiden Freunde standen einander gegen
über. Beide
23788 f
ühlten sich nicht frei. Beide hatten gegen die Macht eines
23789 Verh
ängnisses gek
ämpft, das st
ärker war als sie, dem
23790 sie sich nun ergeben mu
ßten. Auch in Ells Z
ügen hatten
23791 Überarbeitung und Sorgen ihre Spuren zur
ückgelassen. Es
23792 war nur ein Moment, da
ß ihre Blicke aufeinander ruhten. Und
23793 jeder sah im andern ein stilles Leid, das an ihm zehrte, und die
23794 Erinnerung stieg auf an die Jahre treuer, gemeinsamer
23795 Freundesarbeit und k
ühner Hoffnung, und die R
ührung des
23796 Wiedersehens umschleierte ihre d
üsteren Blicke mit milder
23797 Freude. Sie eilten aufeinander zu, und ihre H
ände lagen
23799 <p>»Sie werden vor allen Dingen wissen wollen, wo ich
23800 war
«, begann Torm endlich
»ich aber komme, um von Ihnen
23801 zu h
ören
– Sie empfangen mich als Freund, wie aber
23802 empf
ängt mich der Kultor
– was habe ich zu
23803 erwarten?
«</p>
23804 <p>»Ich verstehe Sie nur halb
«, erwiderte Ell
23805 betroffen.
»Was veranla
ßt Sie zu der Frage? Sprechen
23806 Sie offen
–. Kommen Sie aus Tibet
über
23807 Kalkutta?
«</p>
23808 <p>Torm zuckte zusammen.
»Ach, Sie wissen? Doch nun
23809 h
ören Sie erst alles.
«</p>
23810 <p>Er berichtete kurz
über seine Flucht vom Pol und aus dem
23811 Luftschiff und die Ereignisse, die sich dabei zutrugen. Er
23812 verheimlichte nichts. Er erz
ählte, was ihn veranla
ßt
23813 hatte, weder seine Frau noch Ell aufzusuchen, sondern sich in
23814 Friedau verborgen zu halten, wo Se ihn erkannt habe; da
ß ihn
23815 Isma infolgedessen aufgesucht h
ätte und er jetzt hier sei, um
23816 den Rat Ells zu vernehmen und die Folgen seiner Handlungen zu
23818 <p>Ell h
örte schweigend zu, den Kopf sinnend auf die Hand
23819 gest
ützt. Er unterbrach ihn mit keinem Wort, keine Miene
23820 verriet, was in ihm vorging.
</p>
23821 <p>Das hatte er nicht gewu
ßt. Die Tat gegen den W
ächter
23822 des Schiffes war verderblich f
ür Torm. Ell, als oberster
23823 Beamter der Nume hierselbst, mu
ßte sie verfolgen. Der eben
23824 erhaltene Erla
ß hatte ihm seine Pflicht eingesch
ärft.
23825 Wenn er dieser Pflicht folgte, wenn er die Mahnung des Zentralrats
23826 annahm, so war Torm verloren. Torms Schicksal war in seine Hand
23827 gelegt. Ein Druck auf diese Klingel, und er kehrte nicht mehr aus
23828 diesem Zimmer zur
ück, nicht mehr zu Isma
– –. Und
23829 dann? Isma war frei. Aber wo war sie? Ohne ein Wort des Abschieds
23830 hatte sie ihn verlassen und war zu ihrem Mann geeilt. Ein tiefer,
23831 bitterer Schmerz gekr
änkter Liebe durchzuckte ihn. Durch Jahre
23832 hatte sie ihn in hoffnungsfroher Freundschaft gehalten, bis die
23833 Erwartung des nahen Gl
ücks ihn ganz eingenommen, und jetzt
23834 – nun war er ihr nichts mehr. Das war Isma! Ja, er konnte
23835 sich r
ächen. Er konnte auch
– –. Und durfte er
23836 denn schweigen? Durfte er Torm, nun er um sein Verbrechen
23837 wu
ßte, unbehelligt ziehen lassen? Ihn der Gattin
23838 zur
ückgeben und sie in ihrem Gl
ück sch
ützen? Und wie
23839 dann den Gedanken an sie ertragen?
</p>
23840 <p>Torm hatte l
ängst geendet. Ell sa
ß noch immer, den
23841 Kopf in die Hand gest
ützt, die seine Augen beschattete, ohne
23842 zu sprechen. Torm wartete geduldig, obwohl sein Herz pochte. Denn
23843 jetzt mu
ßte sich alles entscheiden.
</p>
23844 <p>Endlich richtete sich Ill auf und blickte Torm an. Er begann
23845 ruhig, fast gleichg
ültig:
</p>
23846 <p>»Ihr Proze
ß am Pol und was damit zusammenh
ängt,
23847 die Entwendung des Sauerstoffs
– wovon
übrigens nichts
23848 bekannt geworden ist
–, die unerlaubte Benutzung des
23849 Luftschiffs zur Flucht
– dar
über k
önnen Sie
23850 beruhigt sein. Ich sehe dies als eine zusammenh
ängende einzige
23851 Handlung an, die unter die Friedensamnestie f
ällt. Sie
23852 k
önnen deswegen nicht verfolgt werden. Ich nehme es auf mich,
23853 diese Akten kassieren zu lassen. Aber das andere! Das ist traurig,
23854 das ist schwer! Wenn es zur Anzeige kommt, sind Sie
23855 verloren.
«</p>
23856 <p>Torm sprang auf.
</p>
23857 <p>»Sie wissen es, so bin ich verloren.
«</p>
23858 <p>Auch Ell erhob sich. Er schritt durch das Zimmer auf und nieder,
23859 noch immer mit sich k
ämpfend. Dann blieb er wieder vor Torm
23861 <p>»Wenn es zur Anzeige kommt, sage ich, und wenn Sie bei
23862 Ihrem Gest
ändnis stehen bleiben.
«</p>
23863 <p>»Wie kann ich anders.
«</p>
23864 <p>»Denn es ist nichts davon bekannt geworden. Es ist etwas
23865 geschehen, was Sie nicht wissen. Das Schiff mit der gesamten
23866 Besatzung ist auf der R
ückkehr bei Podgoritza durch die
23867 Albaner vernichtet worden, ehe irgendeine Nachricht von ihm zu uns
23868 gelangt ist. Niemand wurde gerettet, alle Papiere und
23869 Aufzeichnungen sind verbrannt oder verschwunden. Niemand kann
23870 beweisen, was Sie getan haben, au
ßer Ihnen
– und
23872 <p>»O ich Tor!
« murmelte Torm; bleich und finster
23873 blickte er auf Ell.
</p>
23874 <p>»Wollen Sie widerrufen, was Sie mir gesagt haben? Es war
23875 vielleicht nur eine poetische Ausschm
ückung ihres Abenteuers?
23876 Sie haben den W
ächter nur leicht beiseite
23877 gedr
ängt?
«</p>
23878 <p>»Ich schlug ihn vor die Stirn, ich h
örte ihn mit
23879 einem Aufschrei dumpf auf die Kante der Treppe schlagen. H
ätte
23880 ich gewu
ßt, was ich jetzt wei
ß, ich h
ätte
23881 vielleicht geschwiegen. L
ügen werde ich nicht. Und doch
23882 – komme, was da kommen will, es ist besser so.
23883 Gewi
ßheit konnte ich nicht anders erlangen, als da
ß ich
23884 mit Ihnen sprach. Gewi
ßheit mu
ßte ich erlangen, und die
23885 Wahrheit mu
ßte ich sagen, wenn ich
überhaupt sprach. Und
23886 Sie m
üssen meine Bestrafung einleiten.
«</p>
23887 <p>»Ich mu
ß es, wenn
–«, er unterbrach sich
23888 und ging wieder auf und ab. Dann trat er an das Fenster. Torm
23889 h
örte ihn leise st
öhnen. Nun wandte er sich um. Er
23890 schritt auf Torm zu. Er sah ver
ändert aus. Aus dem geisterhaft
23891 bleichen Gesicht leuchteten seine gro
ßen Augen wie von einem
23892 überirdischen Feuer. Vor Torm blieb er stehen und fa
ßte
23893 seine H
ände.
</p>
23894 <p>»Gehen Sie
«, sagte er mit Bestimmtheit.
»Gehen
23895 Sie, mein Freund, ich werde die Anzeige nicht erstatten. Was Sie
23896 gesprochen haben, der Kultor hat es nicht geh
ört
–
23897 verstehen Sie
–«</p>
23898 <p>Torm sch
üttelte den Kopf.
</p>
23899 <p>»Sie werden es verstehen, binnen einer Stunde. Wohin gehen
23900 Sie? Nach Friedau? Sie haben nichts mehr zu bef
ürchten. Gehen
23901 Sie
– geben Sie sich zu erkennen
– und seien Sie
23902 gl
ücklich
– gehen Sie
–«</p>
23903 <p>Er dr
ängte Torm zur T
ür. Ein Diener nahm ihn in
23904 Empfang und zeigte ihm den Weg durch die Gem
ächer und
23905 über die Treppen.
</p>
23906 <p>Sobald Ell allein war, sank er wie gebrochen auf einen Sessel.
23907 Er schlo
ß die Augen und pre
ßte die H
ände vor die
23908 Stirn. Nur wenige Minuten. Dann stand er auf. Er wu
ßte, was
23910 <p>Mit fester Hand setzte er zwei Depeschen auf. Die eine war in
23911 martischer Kurzschrift, sie war an den Protektor der Erde gerichtet
23912 und trug den Zusatz: Als Lichtdepesche auf den Nu nachzusenden. Die
23913 andre ging an Grunthe: Sofort zu bestellen.
</p>
23915 <p>»Besorgen Sie dies eilends
«, sagte er zu dem Diener.
23916 »Und nun w
ünsche ich nicht mehr gest
ört zu
23918 <p>Torm fand vor der T
ür des Palais bereits einen Wagen
23919 halten, und als er herantrat, winkte ihm Isma entgegen. Sie hatte
23920 keine Ruhe im Schiff gefunden und wollte ihn hier erwarten.
23921 Angstvoll blickte sie ihm entgegen.
</p>
23922 <p>»Alles gut!
« rief er und sprang in den Wagen, der
23923 sogleich sich in Bewegung setzte.
</p>
23924 <p>»Ich bin frei, wir sind sicher! Nun habe ich dich erst
23926 <p>»Gott sei bedankt
«, fl
üsterte Isma, an seine
23927 Schulter gelehnt.
»Und was sagte Ell?
«</p>
23928 <p>»Gehen Sie nach Friedau, seien Sie
23929 gl
ücklich!
«</p>
23930 <p>»Sonst nichts?
«</p>
23931 <p>»Nichts.
«</p>
23932 <p>Nach ihr hatte er nicht gefragt, f
ür sie hatte er keinen
23933 Gru
ß, keinen Gl
ückwunsch, ihr Name war nicht
über
23934 seine Lippen gekommen. So klang es schmerzlich durch ihre Seele,
23935 w
ährend Torm, immer lebhafter werdend, seine Unterredung mit
23936 Ell berichtete.
</p>
23937 <p>Am Akazienplatz verlie
ßen sie den Wagen. Alsbald senkte
23938 sich das Luftschiff auf den menschenleeren Platz und nahm sie
23940 <p>Gegen ein Uhr nachts lie
ß sich das Luftschiff wieder auf
23941 seinen Ankerplatz im Garten der Sternwarte von Friedau nieder.
</p>
23942 <p>Grunthe hatte die R
ückkehr erwartet. Saltner holte ihn
23944 <p>»Es ist zwar schon sp
ät, aber das hilft heute nichts,
23945 und aus den Beobachtungen wird auch nichts. Eine Stunde m
üssen
23946 Sie uns noch schenken. Ich feiere n
ämlich meine Hochzeit,
23947 schauen
’s, da m
üssen Sie schon noch einmal lustig sein.
23948 Ich habe die ganze Expedition eingeladen.
«</p>
23949 <p>Als er in den Salon des Schiffes trat, fand er eine Tafel
23950 f
ür sechs Personen nach Menschensitte gedeckt.
</p>
23951 <p>»Wir sind eigentlich zwei Brautpaare
«, sagte Saltner
23952 zu Grunthe.
»Von Ihnen verlangen wir nicht, da
ß Sie das
23953 dritte abgeben, aber eine Dame haben wir doch f
ür Sie. Meine
23954 Mutter schl
äft freilich, aber hier
– die Se
23955 kennen
’s ja, wir haben uns wieder vers
öhnt.
«</p>
23956 <p>»Ausnahmsweise
«, sagte Se lachend,
»werde ich
23957 mich heute herablassen, mit euch f
ünf Menschen an einem Tisch
23958 zu essen, aber nur zu Ehren der drei Entdecker des
23959 Nordpols.
«</p>
23960 <p>Unter lebhaftem Gespr
äch hatte man an der Tafel Platz
23961 genommen. Torm wandte sich zu Se und sagte, sein Glas erhebend:
23962 »Die Vertreterin der Nume gestatte mir, nach unsrer Sitte ihr
23963 zu danken. Denn ihrem Scharfblick verdanke ich das Gl
ück
23964 dieser Stunde.
«</p>
23965 <p>»Ich danke Ihnen
«, erwiderte Se,
»und ich
23966 freue mich, da
ß Sie nun dem Bild wieder
ähnlich sehen,
23967 nach welchem ich Sie erkannte.
«</p>
23968 <p>»Und jetzt
«, rief Saltner, die Gl
äser neu
23969 f
üllend,
»wie damals, als wir zuerst den Pol erblickten,
23970 bring ich wieder ein Hoch aus auf unsre gn
ädige Kommandantin,
23971 auf Frau Isma Torm, und diesmal st
ößt sie selbst mit an,
23972 und das ist das beste. Und nun, Grunthe, k
önnen Sie wieder
23973 sagen: Es lebe die Menschheit!
«</p>
23974 <p>Grunthe erhob sich steif. Sein Unterarm streckte sich im rechten
23975 Winkel von seinem K
örper aus, und seine m
öglichst wenig
23976 gebogenen Finger balancierten das Weinglas wie ein Lot, mit dem er
23977 eine Messung ausf
ühren wollte.
</p>
23978 <p>»Es lebe die Menschheit
«, sagte er,
»so sprach
23979 ich einst. Ich sage es jetzt deutlicher: Es lebe die Freiheit! Denn
23980 ohne diese ist sie des Lebens nicht wert. Wenn die Freiheit lebt,
23981 so ist es auch kein Widerspruch, wenn ich mich dessen freue, was
23982 meine verehrten Freunde von der Polexpedition f
ür ihre
23983 Freiheit halten, die Vereinigung mit einem Vernunftwesen, das kein
23984 Mann ist. Um aber den abstrakten Begriff der Freiheit durch eine
23985 konkrete Pers
önlichkeit unsrer symbolischen Handlung
23986 zug
änglich zu machen, sage ich, sie lebe, die uns die Freiheit
23987 gebracht hat. Wie sie herabstieg von dem Sitz der Nume und den
23988 Wandel seliger G
ötter tauschte mit dem schwanken Geschick der
23989 Menschen, nur weil sie erkannte, da
ß es keine h
öhere
23990 W
ürde gibt als die Treue gegen uns selbst, so zeigte sie uns,
23991 wie die Menschheit sich erheben kann
über ihr Geschick, wenn
23992 sie nur sich selbst getreu ist. Denn es gibt nur eine W
ürde,
23993 die Numen und Menschen gemeinsam ist, wie der Sternenhimmel
23994 über uns, das ist die Kraft, nachzuleben dem Gesetz der
23995 Freiheit in uns. Sie tat es, und so brachte sie die Freiheit diesen
23996 meinen Freunden, und allen ein Vorbild, wie Nume und Menschen
23997 gleich sein k
önnen. Darauf gr
ündet sich unsre Hoffnung
23998 der Vers
öhnung, der wir entgegenstreben. Ihr aber, die in so
23999 hohem Sinn uns genaht und die Freunde der Not entrissen, ihr gelte
24000 unser Gl
ückwunsch und Hoch. Und so sage ich nun: Es lebe
24002 <p>Er blieb stehen, wie in Nachsinnen verloren, sein Glas starr vor
24003 sich hinhaltend, an das die andern mit Herzlichkeit
24004 anstie
ßen.
</p>
24005 <p>Saltner k
üßte La und fl
üsterte:
»Du kannst
24006 dir aber etwas einbilden, das ist das erste Mal, da
ß er eine
24007 Frau leben l
äßt!
«</p>
24008 <p>»Und das letzte Mal
«, murmelte Grunthe, sich
24010 <p>Saltner aber sprang auf und trat zu Grunthe und umarmte ihn, ehe
24011 er es verhindern konnte.
</p>
24012 <p>Grunthe wand sich verlegen.
»Ich glaube
«, sagte er,
24013 »ich meine ja eigentlich diese La, in der wir sitzen, das
24014 sch
öne Luftschiff
–«</p>
24015 <p>»Oh, oh!
« rief Se,
»das hilft Ihnen nichts
24016 mehr, Sie haben von
›Pers
önlichkeit
‹ gesprochen
24017 – jetzt k
önnen Sie nichts mehr
24018 zur
ücknehmen.
«</p>
24019 <p>»Nein, ich will es ja auch nicht
«, sagte er
24021 <p>Da
öffnete sich die T
ür. Der Schiffer trat ein.
</p>
24022 <p>»Eine Depesche f
ür Herrn Dr. Grunthe ist eben
24023 gebracht worden
«, sagte er.
</p>
24024 <p>Grunthe stand auf und trat beiseite. Er las.
</p>
24025 <p>Dann kehrte er zum Tisch zur
ück. Er sah sehr ernst aus.
</p>
24026 <p>»Es ist etwas Wichtiges geschehen
«, sagte er auf die
24027 fragenden Blicke der andern.
»Ell hat sein Amt
24028 niedergelegt.
«</p>
24029 <p>»Wie? Was? Lesen Sie!
«</p>
24030 <p>Er reichte Saltner das Blatt. Dieser las:
</p>
24031 <p>»Ich benachrichtige Sie hierdurch, da
ß ich soeben
24032 bei Ill um Enthebung vom Kultoramt und um meine Entlassung aus dem
24033 Dienst der Marsstaaten eingekommen bin. Unter den obwaltenden
24034 Umst
änden ist mir die Fortf
ührung unm
öglich. Ich
24035 bitte Sie, meinen Besitz in Friedau als den Ihrigen zu betrachten.
24036 Ich selbst gehe nach dem Mars, um gegen die Antibaten zu wirken.
24037 Sie werden bald von mir h
ören. Gl
ück dem Menschenbund!
24038 Saltner und Torm meinen Gru
ß. Ihr Ell.
«</p>
24039 <p>Isma wu
ßte nicht, wohin sie blicken sollte. Sie
24040 f
ühlte, wie Bl
ässe und R
öte auf ihrem Antlitz
24041 wechselten. In der allgemeinen Erregung achtete man nicht auf
24043 <p>»Also darum
«, sagte Torm,
»darum sagte er, in
24044 einer Stunde werde ich verstehen, warum der Kultor meinen Bericht
24045 nicht geh
ört habe
– –. Lassen Sie uns des edlen
24046 Freundes gedenken!
«</p>
24047 <p>»Auf Ell!
« sagte Saltner.
»Aber Sie
24048 m
üssen mir noch erkl
ären
–«</p>
24049 <p>»Es mu
ß ein politisches Ereignis eingetreten sein
24050 – vielleicht ist der Antrag
über die Steuern
24051 angenommen
«, bemerkte Torm.
»Also auf Ell!
«</p>
24052 <p>Sie erhoben die Gl
äser. Ismas Hand zitterte. Als sie
24053 anstie
ß, entglitt das Glas ihren Fingern und zerbrach.
</p>
24054 <p>La allein hatte gesehen, was in Isma vorging. Kaum klangen die
24055 Scherben auf dem Tisch, als sie auch ihr Glas fallen lie
ß und
24056 mit einem leichten Sto
ß Saltner das seine aus der Hand
24058 <p>»Das ist recht!
« rief sie.
</p>
24059 <p>»Fort alle mit den Gl
äsern und Flaschen! Auch der Nu
24060 will sein Recht haben. Ehe wir Abschied nehmen, meine lieben
24061 Freunde, noch einen Zug vom Nektar des Nu aus den Kellern der
24063 <p>Und dann hinauf in den
Äther!
«</p>
24064 <h2>59 - Die Befreiung der Erde
</h2>
24066 <p>Zum zweiten Mal war es Herbst geworden, seit La und Saltner die
24067 Freunde in Friedau verlassen hatten, um zun
ächst
24068 au
ßerhalb des Machtbereichs der Martier die Entwicklung der
24069 Dinge abzuwarten. Das ganze Gebiet der Vereinigten Staaten von
24070 Nordamerika stand ihnen zur Verf
ügung. Ihr Haus und ihr
24071 Gl
ück f
ührten sie mit sich. Ob in den bl
ühenden
24072 G
ärten des ewigen Fr
ühlings an den Buchten der
24073 kalifornischen K
üste, ob auf den Schneegipfeln der Sierra
24074 Nevada oder unter den Wundern des Yellowstone-Parks, f
ür La
24075 und Saltner galt das gleich, das gl
änzende Luftschiff war ihre
24076 Heimat; ob es in den L
üften schwebte oder unter Palmen ruhte,
24077 treu barg es die Wonne der Vereinten und machte sie unabh
ängig
24079 <p>Nur
über dieses Freigebiet hinaus durften sie sich nicht
24080 wagen. La mu
ßte sich den Wunsch versagen, die Ihrigen auf dem
24081 Mars oder auch nur ihren Vater am Pol der Erde zu besuchen, und
24082 konnte ihn selbst blo
ß zu kurzem Besuch einigemal bei sich
24083 sehen. Se war alsbald nach dem Mars zur
ückgekehrt. Palaoro,
24084 der sich zum geschickten Luftschiffer ausgebildet hatte, war bei
24085 Saltner zur
ückgeblieben. Auch die beiden Martier, die in Las
24086 Diensten standen, blieben ihr treu, selbst als sich das
24087 Verh
ältnis von Martiern und Menschen sch
ärfer
24089 <p>Die Partei der Antibaten auf dem Mars hatte immer deutlicher
24090 ihre Ziele enth
üllt. Den Menschen sollte die W
ürde der
24091 freien Selbstbestimmung abgesprochen, die Menschheit in eine Art
24092 Knechtschaft zum Dienst der Nume gestellt werden. Die Erde wollte
24093 man lediglich als ein Objekt der wirtschaftlichen Ausnutzung
24094 zugunsten des Mars behandeln und das Kultur- interesse der
24095 Menschheit nur insofern ber
ücksichtigen, als es zum Mittel
24096 f
ür die gr
ößere Leistungsf
ähigkeit dieser
24097 tribut
ären Gesch
öpfe dienen konnte. Und diese Auffassung
24098 des Verh
ältnisses zur Erde war jetzt auf dem Mars zum Sieg
24099 gelangt. Sowohl im Parlament als im Zentralrat besa
ßen die
24100 Antibaten die Majorit
ät. Die Abdankung von Ell, die
24101 ungl
ücklicherweise kurz vor die Neuwahlen fiel, durch welche
24102 alle Marsjahre ein Drittel der Volksvertreter neu ernannt wurde,
24103 hatte zum Sieg der Antibaten bedeutsam mitgewirkt. Sie war als der
24104 sichtbare Beweis aufgefa
ßt worden, da
ß die bisherige
24105 Methode in der Regierung der Menschen nicht die richtige sei. Man
24106 verlangte ein r
ücksichtsloses Verfahren, h
öhere Revenuen,
24107 baldige Unterwerfung Ru
ßlands und der Vereinigten Staaten.
24108 Mit dem Sieg der Antibatenpartei begann diese neue Politik.
24109 Ma
ßregel folgte auf Ma
ßregel, um die Erde dem Dienst
24110 des Mars zu unterwerfen.
</p>
24111 <p>O
ß und einige andere h
öhere Beamte der Martier auf
24112 der Erde waren allerdings aus ihren Stellungen abberufen worden, da
24113 sie zweifellos von jener nerv
ösen St
örung befallen waren,
24114 die man vulg
är als Erdkoller bezeichnete. Aber ihre
24115 Ersatzm
änner verfolgten die Politik der Unterdr
ückung nur
24116 mit gr
ößerer Klugheit. An Ells Stelle war der Martier
24117 Lei gekommen, ein ausgesprochener Antibat, ein sehr energischer
24118 Mann, der selbst vor gewaltt
ätigen Eingriffen nicht
24119 zur
ückscheute. Ell war auf den Mars gegangen und hatte dort
24120 mit aller Kraft zugunsten der Erde zu wirken versucht,
24121 vorl
äufig ohne erkennbaren Erfolg. Gleich ihm waren seine
24122 fr
üheren Untergebenen in das Privatleben zur
ückgetreten
24123 und agitierten nun auf dem Mars als seine entschiedenen und
24124 gef
ährlichen Gegner.
</p>
24125 <p>Ells Oheim, der Protektor der Erde und Pr
äsident des
24126 Polreichs, Ill, k
ämpfte noch eine Zeitlang gegen die vom
24127 Zentralrat gew
ünschten Ma
ßregeln. Als man aber gegen
24128 seinen ausdr
ücklichen Rat ihn beauftragte, die Vorbereitungen
24129 zu treffen, um im n
ächsten Fr
ühjahr die russische
24130 Regierung erforderlichenfalls mit Gewalt zu veranlassen, auch in
24131 ihrem Gebiet die Einsetzung martischer Residenten und Kultoren
24132 zuzulassen und einen j
ährlichen Tribut von
30 Milliarden Mark
24133 zu zahlen
– um sie zu zwingen, die ausgedehnten Steppen und
24134 W
üsten im S
üden und Osten mit Strahlungsfeldern zu
24135 bedecken
–, da legte auch Ill mit schwerem Herzen sein Amt
24136 nieder. Die Erde war nun der Gewalt einer den Menschen feindlich
24137 gesinnten Partei ausgeliefert.
</p>
24138 <p>Ru
ßland machte einen Versuch zum Widerstand. Aber der
24139 Geist, der jetzt auf dem Mars herrschte, war weniger
24140 ›human
‹ als in den ersten Kriegen mit den
24141 europ
äischen Staaten. Die Martier scheuten sich nicht, den
24142 Hafen von Kronstadt und das bl
ühende Moskau ohne
24143 R
ücksicht auf Menschenleben zu zerst
ören. Der Zar gab
24144 nach, da er sah, da
ß alles auf dem Spiel stand und seine
24145 Herrschaft zu zerfallen drohte. Es gab keine Mittel f
ür
24146 Ru
ßland, der vernichtenden Gewalt der Luftschiffe zu
24147 widerstehen. Der russische Kaiser wurde Vasall der Marsstaaten. Das
24148 war im Sommer des dritten Jahres nach der Entdeckung des
24150 <p>Schwer lag die Fremdherrschaft
über Europa und den von ihm
24151 abh
ängigen L
ändern. Die Geldsummen, welche in Gestalt von
24152 Energie nach dem Mars flossen, waren ungeheuer. Jedoch nicht diese
24153 Leistungen waren es, die als dr
ückend empfunden wurden. Zwar
24154 erhoben die Staaten, um die auferlegten Tribute zu bezahlen,
24155 Steuern in einer H
öhe, die man vorher f
ür unm
öglich
24156 gehalten h
ätte. Aber dies war nur die Form, in welcher ein
24157 Strom des Reichtums nach dem Mars hin m
ündete, dessen schier
24158 unersch
öpfliche Quelle in der Sonne lag und nun zum erstenmal
24159 von den Menschen bemerkt und benutzt wurde. Es fehlte nicht an
24160 Geld, vielmehr, der Nationalreichtum stieg sichtlich, und zwar in
24161 allen Schichten der Bev
ölkerung, die Lebenshaltung hob sich,
24162 und von wirtschaftlicher Not war nirgends die Rede. Denn zahllose
24163 Arbeitskr
äfte fanden zur Herstellung und Bearbeitung der
24164 Strahlungsfelder Besch
äftigung, und selbst die
24165 gef
ürchtete Entwertung von Grund und Boden trat nicht ein. Mit
24166 dem Fortschritt in der Herstellung billiger chemischer
24167 Nahrungsmittel fanden sich zugleich andere Methoden der
24168 Bodenausnutzung. Der Verkehr bl
ühte. Das Hauptzahlungsmittel
24169 bestand in Anweisungen auf die Energie- Ertr
äge der
24170 gro
ßen Strahlungsfelder. Die aufgespeicherte Energie selbst
24171 kam nur zum kleinen Teil in den Verkehr, die geladenen
24172 Metallpulvermassen, die
›Energieschw
ämme
‹,
24173 wurden zum gr
ößten Teil direkt nach dem Mars exportiert,
24174 die Scheine
über diese Ertr
äge aber wanderten von Hand zu
24175 Hand und in die Regierungskassen als Steuern. Von hier wurden sie
24176 als Tribut an die Marsstaaten verrechnet.
</p>
24177 <p>So hatten die Martier allerdings durch ihre Tributforderungen
24178 die Menschen gezwungen, der neuen Quelle des Reichtums in der
24179 direkten Sonnenstrahlung sich zuzuwenden und der Menschheit einen
24180 ungeahnten wirtschaftlichen Fortschritt verliehen. Aber sie hatten
24181 dies nicht, wie die Menschenfreunde auf dem Mars wollten, durch
24182 allm
ähliche Erziehung zur Freiheit getan, sondern durch Zwang.
24183 Und dieser Zwang war es, der die Menschen des
äu
ßeren
24184 Segens nicht froh werden lie
ß. Es war Fremdherrschaft, die
24185 auf ihnen lag, und je leichter ihnen der Gewinn des Unterhalts
24186 wurde, um so schwerer empfanden sie den Verlust der Freiheit und
24187 Selbst
ändigkeit. Und der gemeinsame Druck ward wider Willen
24188 der Martier ein schnell wirkendes Mittel zur Erziehung des
24189 Menschengeschlechts. Er weckte das Bewu
ßtsein der gemeinsamen
24191 <p>Je schwerer die Hand der Martier auf den V
ölkern ruhte, um
24192 so rascher und m
ächtiger verbreitete sich der allgemeine
24193 Menschenbund. Seine Prinzipien waren noch dieselben: Numenheit ohne
24194 Nume! Erringung der Kulturvorteile, die der h
öhere Standpunkt
24195 der Martier bieten konnte, um die Erde unabh
ängig von ihrer
24196 Herrschaft zu machen
– auf friedlichem Weg.
</p>
24197 <p>Aber was Ill und Ell als das eigene Ziel betrachtet hatten,
24198 darin sahen die neuen Gewalthaber eine gef
ährliche
24199 Überhebung der Menschen, die nur zu Unbotm
äßigkeit
24200 f
ühren w
ürde. Und sie begingen den gro
ßen Fehler,
24201 den Menschenbund zu verbieten.
</p>
24202 <p>Damit wurde aus dem Bund eine geheime Gesellschaft, die nur um
24203 so fester zusammenhing. Er wurde ein wirklicher Bund der Menschen,
24204 der aufkl
ärend und verbr
üdernd wirkte zwischen allen
24205 Nationen und St
ämmen, zwischen allen Gesellschaftsklassen und
24206 Bildungsstufen. Ein jeder f
ühlte nun, da
ß er nicht
24207 blo
ß Franzose oder Deutscher, Handarbeiter oder
24208 K
ünstler, Bauer oder Beamter sei, sondern da
ß er dies
24209 nur sei, um ein Mensch zu sein, um eine Stelle auszuf
üllen in
24210 der gemeinsamen Arbeit, das Gute auf dieser Erde zu verwirklichen.
24211 Die Gegens
ätze milderten sich, das Verbindende trat hervor. In
24212 den Staaten, in denen herrschende Klassen die hergebrachte Scheu
24213 vor der Geltung des Volkswillens noch immer nicht
überwunden
24214 hatten, machte sich nun doch die Einsicht geltend, da
ß allein
24215 in der Einigkeit des ganzen Volkes die Kraft zur Erhebung zu finden
24216 sei. L
ängst erstrebte Forderungen einer volkst
ümlichen
24217 Politik wurden von den F
ürsten zugestanden. Man lernte, jeden
24218 eignen Vorteil dem Wohl des Ganzen unterzuordnen. Und w
ährend
24219 ein ohnm
ächtiger Zorn gegen den Mars in den Gem
ütern
24220 kochte, erhoben sich die Herzen in der Hoffnung auf eine bessere
24221 Zukunft, und ein machtvoller, idealer Zug erf
üllte die
24222 Geister: Friede sei auf Erden, damit die Erde den Menschen
24224 <p>Der Menschenbund war der Tr
äger dieser Ideen, aber man
24225 zweifelte nun, sie auf friedlichem Weg durchf
ühren zu
24226 k
önnen. Rettung, so schien es, war nicht mehr zu hoffen vom
24227 guten Willen der Martier; man mu
ßte sie zu erobern suchen
24228 durch eine allgemeine gewaltsame Erhebung gegen die Bedr
ücker
24229 – »zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr verfangen
24230 will, ist uns das Schwert gegeben
« –. Der Menschenbund
24231 wurde eine stille Verschw
örung zur Absch
üttelung der
24232 Fremdherrschaft. Aber wo war ein Schwert, das nicht vom
24233 Luftmagneten emporgerissen, vom Nihilit nicht zerst
ört wurde,
24234 das hinaufreichte zu den schwerelosen, pfeilgeschwinden,
24235 verderbenbringenden H
ütern der martischen Herrschaft?
</p>
24236 <p>Die herrschende G
ärung konnte den Martiern nicht verborgen
24237 bleiben. Die Partei der Menschenfreunde auf dem Mars machte sich
24238 die Tatsache zunutze, da
ß die Unzufriedenheit auf der Erde
24239 nicht zu leugnen war. Sie wies auf die Gefahren hin, die hieraus
24240 entstehen mu
ßten. Unerm
üdlich war Ell an der Arbeit, die
24241 Tendenzen der Antibaten zu bek
ämpfen und die Nume mit dem
24242 Wesen, der geschichtlichen Entwicklung und den Bestrebungen der
24243 Menschen bekannter zu machen. Und seine Anh
änger wuchsen an
24244 Zahl. Aber gerade weil die Antibaten bemerkten, da
ß sie
24245 Gefahr liefen, an Macht einzub
üßen, wurden sie um so
24246 verblendeter in den Mitteln zu ihrer Erhaltung. Aufs neue gewann
24247 die Absicht deutlichere Gestalt, den Menschen durch ein Gesetz
24248 direkt das Recht der Freiheit als sittliche Personen abzusprechen.
24249 Und gegen den Menschenbund wurde ein System von Verfolgungen in
24250 Szene gesetzt. Die Erbitterung nahm zu. Die Martier aber erkannten,
24251 da
ß die F
äden der Verschw
örung nach den Vereinigten
24252 Staaten hinwiesen. Der Sitz der Zentralleitung des Bundes war nicht
24253 mehr in Europa, er befand sich in einem Land, das ihrer Macht nicht
24254 unterworfen war.
</p>
24255 <p>Es kam zu einer st
ürmischen Sitzung im Parlament und im
24256 Zentralrat des Mars, etwa ein Jahr nach der Unterwerfung
24257 Ru
ßlands. Man verlangte, da
ß nun auch die Vereinigten
24258 Staaten von Nordamerika gezwungen werden sollten, sich der direkten
24259 Regierung durch die Marsstaaten zu f
ügen. Eher werde man vor
24260 den Umtrieben des Menschenbundes und der Widersetzlichkeit der Erde
24261 nicht sicher sein. Und die Antibaten siegten wieder, obwohl mit
24262 geringer Majorit
ät. Den Vereinigten Staaten wurde die
24263 Forderung gestellt, die H
äupter des Menschenbundes, unter
24264 denen man Saltner als eines der gef
ährlichsten bezeichnete,
24265 auszuliefern und Residenten und Kultoren der Marsstaaten in die
24266 Hauptst
ädte der einzelnen Staaten aufzunehmen.
</p>
24267 <p>Der Beschlu
ß fand in einem gro
ßen Teil der
24268 Marsstaaten keineswegs Billigung. Die Ansichten Ells, der bei einer
24269 Nachwahl in das Parlament berufen worden war, wurden in weiten
24270 Kreisen geteilt. Man sagte sich, da
ß ein etwaiger Widerstand
24271 der Vereinigten Staaten zur Niederwerfung viel gr
ößere
24272 Mittel erfordern w
ürde als die Bezwingung des russischen
24273 Reiches. Denn hier war die Sache entschieden, wenn der Zar sich
24274 beugte. In Amerika aber war anzunehmen, da
ß, wenn auch die
24275 zentrale Regierungsgewalt aufgehoben werde, jeder Staat f
ür
24276 sich einen Widerstand leisten k
önne, der bei der weiten
24277 Ausdehnung des Gebietes zu umfangreichster Machtentfaltung und
24278 wahrscheinlich zu traurigen Verheerungen zwingen w
ürde. Aber
24279 der Beschlu
ß war nun gefa
ßt und mu
ßte
24280 durchgef
ührt werden. Das Ultimatum wurde gestellt. Es enthielt
24281 die Drohung, da
ß im Fall irgendeiner Feindseligkeit gegen die
24282 zur Ausf
ührung der verlangten Bestimmungen eintreffenden
24283 Luftschiffe das Gesetz als sanktioniert zu gelten habe, wonach die
24284 gesamte Bev
ölkerung der Erde des Rechts der freien
24285 Selbstbestimmung f
ür verlustig erkl
ärt werde.
</p>
24286 <p>Die Vereinigten Staaten antworteten mit der
24287 Kriegserkl
ärung.
</p>
24288 <p>Drei Tage darauf erfolgte von seiten der Marsstaaten die
24289 Verk
ündigung des angedrohten Gesetzes: Die Bewohner der Erde
24290 besitzen nicht das Recht freier Pers
önlichkeit.
</p>
24291 <p>Es war eine Zeit unbeschreiblicher Aufregung in allen
24292 zivilisierten Staaten. Man empfand die Erkl
ärung als eine
24293 Beschimpfung der gesamten Menschheit. In Europa herrschte eine
24294 ohnm
ächtige Wut. Jeder bangte davor, sich zu
äu
ßern
24295 oder zu widersprechen, weil er den Schutz des Rechtes von sich
24296 genommen f
ühlte. Ein letzter Rest der Hoffnung ruhte noch auf
24297 den Vereinigten Staaten. Aber die Hoffnung war gering. Wie wollten
24298 sie der Macht der Martier widerstehen? Und wirklich
– die
24299 Überflutung der Staaten durch eine Luftschifflotte von gegen
24300 dreihundert Schiffen ging vor sich, ohne da
ß Widerstand
24301 versucht wurde. Die martischen Schiffe verteilten sich auf die
24302 Hauptverkehrspunkte in dem ganzen ungeheuren Gebiet. Eine
24303 merkw
ürdige Ruhe herrschte im Land, ein passiver Widerstand,
24304 der unheimlich war. Die Kultoren und Residenten waren da, aber
24305 au
ßerhalb des Nihilitpanzers ihrer Schiffe wagten sie nichts
24306 zu unternehmen. Die Martier stellten eine dreit
ägige Frist zur
24307 Übergabe der Regierungsgewalt und drohten im Fall der
24308 Weigerung mit Verw
üstungen in gro
ßem Ma
ßstab, vor
24309 allem auch mit Unterbrechung des Verkehrs. Es schien keine Rettung.
24310 Mit Zittern und Bangen verfolgte man auf der ganzen Erde die
24311 Vorg
änge in Nord-Amerika. In dumpfem Schmerz beugten sich die
24312 Gem
üter. Sollte auch das letzte Bollwerk der Freiheit auf der
24313 Erde vernichtet werden? Das war das Ende der
24314 Menschenw
ürde!
</p>
24315 <p>Der gegenw
ärtige Protektor der Erde und Pr
äsident des
24316 Polreichs, Lei, war mit der Exekution gegen die Vereinigten Staaten
24317 beauftragt worden. Sein Admiralsschiff lag auf dem Kapitol zu
24318 Washington. Am
11. Juli sollte die zur Unterwerfung gestellte Frist
24319 ablaufen. Es war am Morgen dieses Tages, der die Geschichte der
24320 Menschheit entscheiden mu
ßte, als der Protektor durch den
24321 Lichtfernsprecher der Au
ßenstation am Nordpol den Auftrag
24322 geben wollte, eine Nachricht durch Lichtdepesche nach dem Mars zu
24323 senden. Vergeblich versuchte der Beamte zu sprechen. Der Apparat
24324 versagte
– man mu
ßte auf der Au
ßenstation den
24325 Anschlu
ß nicht zustande bringen k
önnen. Es wurde nun
24326 nach der Polinsel Ara telegraphiert. Die Leitung war nicht
24327 unterbrochen. Aber lange erhielt man keine Antwort. Endlich kam
24328 eine Depesche:
»Anwesenheit des Protektors sofort
24329 erforderlich.
« Das Schiff des Protektors raste nach dem
24330 Nordpol, von einer kleinen Schutzflottille gefolgt. Im Lauf des
24331 Nachmittags bemerkte man, da
ß die
übrigen in Washington
24332 befindlichen Luftschiffe der Martier ebenfalls nach Norden hin sich
24333 entfernten. Gleiche Nachrichten liefen aus allen
übrigen
24334 St
ädten ein. Sobald das letzte Schiff der Martier die
24335 Hauptstadt verlassen hatte, tauchten vorher in den H
äusern
24336 verborgen gehaltene amerikanische Truppen
überall auf, die
24337 martischen Beamten, die allein den Verkehr mit dem Pol hatten
24338 vermitteln d
ürfen, sahen sich pl
ötzlich f
ür gefangen
24339 erkl
ärt, und die n
ächste Depesche nach dem Pol lautete,
24340 nicht mehr in martischer, sondern in englischer Sprache:
»Wir
24341 sind im Besitz des Telegraphen. Die feindlichen Schiffe sind
24343 <p>Und die Antwort, gezeichnet vom Bundesfeldherrn Miller, lautete:
24344 »Gro
ßer Sieg! Die Au
ßenstation ist erobert,
24345 achtzehn Raumschiffe mit
83 Luftschiffen fielen in unsere
24346 H
ände. Lei gefangen. Von den zur
ückkehrenden Luftschiffen
24347 sind bereits
über f
ünfzig genommen. Ruft alle V
ölker
24348 zum Kampf auf!
«</p>
24349 <p>Das Unglaubliche war geschehen. Was niemand f
ür
24350 m
öglich gehalten hatte
– die Macht der Martier war
24351 gebrochen, die Unbesiegbaren waren gefangen in ihrem eigenen
24352 Bollwerk! Eine Vereinigung von lange vorbereiteter
Überlegung,
24353 von unerh
örter Tatkraft und schlauem Mut hatte es zustande
24354 gebracht. Die Nume waren vollst
ändig
überrascht
24356 <p>Tief verborgen in der Einsamkeit des Urwalds war ein Verein von
24357 Ingenieuren seit Jahr und Tag t
ätig gewesen. Der Opfersinn
24358 amerikanischer B
ürger und die von der ganzen Erde
24359 zusammenstr
ömenden Mittel des Menschenbundes hatten hier eine
24360 mit unbeschr
änktem Kapital arbeitende Werkstatt ins Leben
24361 gerufen. Man hatte auf dem Mars die Technik des Luftschiffbaus
24362 schon l
ängst studieren lassen, und auf der Erde diente das
24363 Luftschiff
›La
‹ als Muster. Es war gelungen, durch
24364 schlaue Operationen gro
ße Quantit
äten von Rob, Repulsit
24365 und Nihilit einzuf
ühren, und der allm
ächtige Dollar hatte
24366 es in Verbindung mit K
ühnheit und Intelligenz fertiggebracht,
24367 da
ß hier in aller Stille eine Flotte von drei
ßig
24368 Luftschiffen hergestellt worden war. Die n
ötige Mannschaft war
24369 einge
übt worden. Das Letztere war haupts
ächlich Saltner
24370 zu verdanken, der diesen Dienst auf seinem eigenen Luftschiff
24371 gr
ündlich erlernt hatte. So war es gekommen, da
ß die
24372 Vereinigten Staaten ohne Wissen der Martier
über
24373 Luft-Kriegsschiffe verf
ügten, die den martischen an
24374 Geschwindigkeit nichts nachgaben.
</p>
24375 <p>Freilich, diese wenigen Schiffe konnten gegen die
Übermacht
24376 der Martier und ihre
überlegene
Übung nichts ausrichten.
24377 Aber General Miller, der Generalstabschef der Union, hatte einen
24378 Plan ausgedacht, zu dessen Durchf
ührung sie ausreichen
24380 <p>Sobald die Flotte der Martier zur Besetzung der Staaten
24381 aufgebrochen war, hatte sich die kleine Unionsflotte unbemerkt in
24382 das n
ördliche Polargebiet begeben.
Äu
ßerlich
24383 besa
ßen die Schiffe ganz das Ansehen und die Abzeichen der
24384 martischen Kriegsschiffe. So n
äherten sie sich unbefangen der
24385 Polinsel Ara. Keiner der hier anwesenden Martier konnte vermuten,
24386 da
ß es sich um feindliche Schiffe handeln k
önne. Die
24387 Insel war
überhaupt nicht eigentlich milit
ärisch besetzt,
24388 denn sie war durch ihre Lage am Nordpol vollst
ändig gegen eine
24389 Überrumpelung gesch
ützt gegen
über einem Feind, der
24390 keine Luftflotte besa
ß. Au
ßerdem lie
ß sich die
24391 ganze Insel auf dem Meer durch einen Nihilit-Kordon gegen jede
24392 Ann
äherung zu Schiff absperren. Es befanden sich daher nur
24393 einige Avisos zum Nachrichtendienst hier. Auf den benachbarten
24394 Inseln waren noch gro
ße Werkst
ätten errichtet, wo die
24395 vom Mars eingef
ührten Luftschiffe montiert und bemannt wurden.
24396 Daneben befanden sich ausgedehnte Werke zur Komprimierung von Luft,
24397 die nach dem Mars verfrachtet wurde. Im ganzen hatte sich so hier
24398 eine Kolonie von einigen tausend Martiern angesiedelt, die aber in
24399 keiner Weise auf einen kriegerischen Angriff eingerichtet war.
</p>
24400 <p>Die
Überrumpelung der Insel gelang vollkommen. Zwei Schiffe
24401 drangen unmittelbar an den inneren Rand des Daches der Insel. Die
24402 Besatzung dieser Schiffe bestand aus lauter Freiwilligen, die
24403 geschulte Ingenieure waren und die Einrichtungen des abarischen
24404 Feldes sorgf
ältig studiert hatten. Ehe man in den
24405 Maschinenr
äumen wu
ßte, was vorging, waren die martischen
24406 Ingenieure
überw
ältigt oder durch die vorgehaltene Waffe
24407 zur Ausf
ührung der Befehle der Amerikaner gezwungen. Sie
24408 wurden verhindert, eine Nachricht durch das abarische Feld nach der
24409 Au
ßenstation zu geben. Den n
ächsten Flugwagen, der zum
24410 Ring der Au
ßenstation auffuhr, bestieg General Miller selbst
24411 mit einer auserw
ählten Schar von Offizieren, Ingenieuren und
24412 Mannschaften. Eine Stunde sp
äter waren sie auf dem Ring. Auch
24413 hier wurden die Ingenieure, welche das abarische Feld bedienten,
24414 ohne Schwierigkeit
überrumpelt und gefesselt. Dann drang man
24415 in die obere Galerie, die gro
ße Landungshalle der Raumschiffe
24416 vor. Hier lag die gr
ößte Schwierigkeit. Mehrere hundert
24417 Martier waren damit besch
äftigt, die Raumschiffe zu entladen,
24418 denn es waren neue Raumschiffe gekommen mit Kriegsmaterial, vor
24419 allem mit neuen Luftschiffen. Dies waren haupts
ächlich
24420 Mannschaften der Kriegsflotte, die mit Telelytrevolvern bewaffnet
24421 waren. Sobald sie die erste
Überraschung
überwunden
24422 hatten, setzten sie sich zur Wehr und zwangen das kleine
24423 H
äuflein der Angreifer, sich schleunigst in das untere
24424 Stockwerk zur
ückzuziehen. Hier erhielten diese zwar nach
24425 einiger Zeit Verst
ärkung durch einen zweiten Flugwagen,
24426 dennoch konnten es beide Teile nicht auf einen Kampf ankommen
24427 lassen
– die Telelytwaffen, die hier gegeneinander wirksam
24428 geworden w
ären, h
ätten binnen wenigen Minuten zur
24429 vollst
ändigen Vernichtung von Freund wie Feind gef
ührt.
24430 Die Menschen aber befanden sich im Besitz des abarischen Feldes und
24431 der Elektromagneten der Insel
– sie drohten, den ganzen Ring
24432 durch Ver
änderung des Feldes zum Sinken zu bringen und die
24433 Au
ßenstation zu zerst
ören, wenn sich die Martier nicht
24434 auf der Stelle erg
äben.
</p>
24435 <p>Die Martier konnten zwar auf ihren Raumschiffen die
24436 Au
ßenstation verlassen, doch h
ätte es mehrere Stunden
24437 gedauert, ehe sie dieselben klar zum Raumflug h
ätten machen
24438 k
önnen. In dieser Zeit konnte, wenn die Menschen ernstmachten,
24439 das Kraftfeld der Station und damit das Gleichgewicht des Ringes
24440 gest
ört werden.
Überhaupt sagten sie sich, da
ß sie
24441 bald Hilfe und Ersatz von den Ihrigen bekommen m
üßten,
24442 und wollten deshalb nicht diese wichtigste ihrer Anlagen auf der
24443 Erde gef
ährden. So blieb ihnen nichts
übrig, als sich
24444 gefangenzugeben.
</p>
24445 <p>Inzwischen hatten die
übrigen amerikanischen Luftschiffe
24446 die gesamte Kolonie auf den Inseln um den Pol eingeschlossen und
24447 r
ücksichtslos mit ihren Nihilitsph
ären und
24448 Repulsitgesch
ützen angegriffen. Die vollst
ändig
24449 überraschten Martier waren wehrlos, die wenigen Schiffe, die
24450 zum Gebrauch fertig waren, wurden sofort durch die Angreifer
24451 zerst
ört, ehe sie soweit bemannt waren, da
ß sie sich
24452 durch den Nihilitpanzer sch
ützen konnten. Andererseits waren
24453 diesmal die Menschen durch das Nihilit gegen einen Angriff durch
24454 die Telelytwaffen gesch
ützt. Auch hier war die
24455 Überrumpelung gelungen, die Martier mu
ßten sich ergeben.
24456 Sie wurden s
ämtlich auf der Insel Ara untergebracht und hier
24458 <p>Sobald die Insel im Besitz der Amerikaner war, wurde nach den
24459 St
ädten der Union telegraphiert, gleich als ob es sich um
24460 Bitten oder Anordnungen der Martier handle. Zun
ächst hatte man
24461 den Protektor um sofortige R
ückkehr gebeten, dann richtete man
24462 ähnliche Ansuchen an die
übrigen Schiffe der Martier.
24463 Einzelne Kapit
äne folgten ohne Bedenken, andere hielten
24464 weitere Umfragen, wodurch eine allgemeine Verwirrung entstand. Es
24465 best
ätigte sich jedoch, da
ß der Protektor selbst mit
24466 einer Flottille nach dem Pol aufgebrochen war. Endlich kam von der
24467 dem Pol zun
ächst gelegenen Station von einem martischen
24468 Kapit
än selbst ein in der amtlichen Geheimschrift aufgegebenes
24469 Telegramm, das den tats
ächlichen Vorgang meldete; die
24470 Polstation sei von einer Luftschifflotte der Union
überfallen.
24471 Hierauf wurden s
ämtliche Schiffe zur Hilfeleistung nach dem
24472 Pol berufen, und auch das letzte Stationsschiff verlie
ß
24473 Washington. Der Telegraph wurde nun von den Beamten der Union in
24474 Besitz genommen, und die Menschen erhielten jetzt die Nachricht von
24475 dem unerh
örten Ereignis.
</p>
24476 <p>Ahnungslos war Lei mit dem schnellen Admiralsschiff allen andern
24477 vorangeeilt, um nur sobald als m
öglich auf der Insel zu
24478 erfahren, was geschehen sei. In seinem raschen Flug bemerkte er die
24479 Zerst
örungen in der Kolonie, konnte aber nichts anderes
24480 glauben, als da
ß es sich um einen Ungl
ücksfall, eine
24481 Explosion handle. Er senkte sich auf das Dach der Insel, wo nichts
24482 Verd
ächtiges zu bemerken war. Aber kaum ber
ührte das
24483 Schiff das Dach, als es im Augenblick erst
ürmt wurde. Der
24484 Protektor der Erde war kriegsgefangen.
</p>
24485 <p>Nun erhob sich die kleine Luftflotte der Amerikaner und flog den
24486 nach und nach eintreffenden martischen Schiffen entgegen. Diese
24487 konnten in den sich n
ähernden Schiffen nichts anderes erwarten
24488 wie entgegenkommende Boten. Sie m
äßigten ihren Flug, um
24489 etwaige Signale zu erkennen. Da zischten die Repulsitgeschosse, und
24490 ehe sich eine Hand nach dem Griff des sch
ützenden
24491 Nihilitapparates ausstrecken konnte, wurden die Robh
üllen
24492 zertr
ümmert, und die Schiffe der Martier st
ürzten in die
24493 Wogen des Meeres oder zerschellten auf den schwimmenden Eismassen.
24494 Es war eine furchtbare, erbarmungslose Zerschmetterung der
24496 <p>Noch mehrfach gelang es, vereinzelt ankommende Schiffe der
24497 Martier durch
Überraschung zum Sinken zu bringen. Dann hatten
24498 einige der nachfolgenden Schiffe den
Überfall bemerkt, die
24499 sp
äter eintreffenden waren gewarnt und n
äherten sich in
24500 ihren Nihilitpanzern. Zwischen zwei mit den Waffen und
24501 Verteidigungsmitteln der Martier ausger
üsteten Schiffen konnte
24502 es keinen Kampf geben, beide waren unverletzlich. Die Amerikaner
24503 zogen sich daher auf die Insel zur
ück, deren Umkreis auf dem
24504 Meer sie durch die Nihilitzone und deren Dach sie durch ihre
24505 Luftschiffe sch
ützten. So war es auch den Martiern, die nun im
24506 Verlauf des Tages ihre ganze Flotte aus den Vereinigten Staaten um
24507 den Pol konzentrierten, nicht m
öglich, einen Angriff zu
24509 <p>W
ährend die Kapit
äne noch berieten, brachte ein Schiff
24510 die Nachricht, da
ß nach einer Depesche vom S
üdpol auch
24511 die Au
ßenstation an diesem Pol in den H
änden der
24512 Menschen sei. Sie war gleichzeitig mit dem Nordpol von zwei
24513 amerikanischen Luftschiffen
überrascht worden, die hier
24514 leichtes Spiel hatten. Der S
üdpol lag in der Nacht des Winters
24515 vergraben, die Station war bis auf eine kleine Anzahl W
ächter
24516 verlassen, die den unerwarteten Besuch ohne Mi
ßtrauen
24517 aufgenommen hatten und sogleich
überw
ältigt worden
24519 <p>Die Nume auf der Erde waren somit von jeder Verbindung mit dem
24520 Mars abgeschnitten.
</p>
24521 <p>Als die Nachricht nach Europa gelangte, brach ein Jubel aus, wie
24522 ihn die Erde noch nicht vernommen. Aber auch hier war alles zu
24523 einer Erhebung vorbereitet.
Überall, wo sich die Beamten der
24524 Martier nicht in ihre Luftschiffe retten konnten, bem
ächtigte
24525 man sich ihrer Personen. Allerdings hielten die Luftschiffe
24526 ihrerseits die Hauptst
ädte besetzt und bedrohten sie mit
24527 vollst
ändiger Vernichtung. Sie unterbrachen die Verbindungen
24528 der L
änder mit dem Pol, und zwei Tage lang schwebte Europa
24529 wieder in banger Sorge. Es war der Rache der Martier schutzlos
24530 ausgesetzt, und die Regierungen waren gezwungen, die eignen
24531 Staatsb
ürger zum Teil mit Anwendung von Gewalt zu veranlassen,
24532 die gefangenen Martier wieder freizugeben. Der erste Jubel verklang
24533 so schnell, wie er gekommen war, und eine tiefe
24534 Niedergeschlagenheit trat an seine Stelle.
</p>
24535 <p>Doch welch Erstaunen ergriff die Bewohner der europ
äischen
24536 Hauptst
ädte, als sie eines Tages die drohenden Kriegsschiffe
24537 auf den D
ächern der Regierungsgeb
äude verschwunden sahen.
24538 Zuerst wollte man an keine g
ünstige Ver
änderung glauben,
24539 man bef
ürchtete irgendeine unbekannte, neue Gefahr. Um Mittag
24540 erst erkl
ärte eine Bekanntmachung der Regierungen allen
24541 V
ölkern, was geschehen sei. Der Waffenstillstand mit dem Mars
24542 war geschlossen worden.
</p>
24543 <p>Die Amerikaner hatten am Pol neben ungeheuren Vorr
äten an
24544 Rob und Kriegsmaterial einige achtzig Luftschiffe erbeutet und
24545 diese durch die gefangenen Martier instand setzen lassen. Dadurch
24546 waren sie in die Lage gesetzt, nicht nur den Pol zu halten, sondern
24547 ihre Macht auch
über die ganze Erde zu erstrecken. Zwar
24548 konnten sie den Schiffen der Martier nichts anhaben, aber
24549 ebensowenig konnten sie von diesen aufgehalten werden. Sie begaben
24550 sich nach allen denjenigen Punkten der Erde, wo die Martier
24551 gro
ße Anlagen zur Verwertung der Sonnenstrahlung geschaffen
24552 hatten, und bedrohten diese mit Vernichtung des martischen
24553 Eigentums. Zugleich drohte man mit der v
ölligen
24554 Zerst
örung der Au
ßenstationen an den Polen. Hierdurch
24555 w
äre nicht nur das Leben von einigen tausend Martiern, sondern
24556 auch ein unerme
ßliches Kapital und die Verbindung zwischen
24557 Erde und Mars zerst
ört worden.
</p>
24558 <p>Der gefangene Protektor korrespondierte von der
24559 Au
ßenstation aus durch Lichtdepeschen mit dem Zentralrat des
24560 Mars. Hier erkannte man alsbald, da
ß die Gefahr ungeheurer
24561 Verluste und Verheerungen nur durch einen friedlichen Ausgleich zu
24562 vermeiden war. Der Zentralrat konnte nicht wagen, einen
24563 Vernichtungskrieg zu beginnen, der zwar schlie
ßlich mit der
24564 Ausrottung der Menschen und ihrer Kultur geendet, aber der
24565 Regierung der Marsstaaten die Verantwortung aufgeb
ürdet
24566 h
ätte. Es wurde daher zwischen den Marsstaaten und dem
24567 Polreich der Erde einerseits, den Vereinigten Staaten, die auf
24568 einmal die f
ührende Macht der Erde geworden waren, und den
24569 Gro
ßm
ächten Europas andererseits ein Waffenstillstand
24570 geschlossen, dessen Bestimmungen im wesentlichen folgende
24572 <p>Das Recht der Menschen auf die Freiheit der Person wird
24573 anerkannt. Die Nume sollen auf der Erde keinerlei Vorrechte
24575 <p>Das Protektorat
über die Erde wird aufgehoben.
24576 S
ämtliche bisherige Beamte der Marsstaaten auf der Erde und
24577 s
ämtliche Kriegsschiffe haben die Erde zu verlassen.
</p>
24578 <p>Die Kriegsgefangenen werden freigegeben.
</p>
24579 <p>Die Stationen der Martier auf den Polen sowie ihr gesamtes auf
24580 der Erde erworbenes Verm
ögen bleibt ihnen erhalten,
24581 desgleichen ihre Raumschiffe auf der Au
ßenstation des
24582 Nordpols. Doch bleiben diese Stationen so lange im Besitz der
24583 Amerikaner, bis durch einen endg
ültigen Friedensvertrag das
24584 k
ünftige Verh
ältnis der beiden Planeten geregelt sein
24585 wird, und zwar nach Ma
ßgabe obiger Grunds
ätze.
</p>
24586 <p>Dieser Friedensvertrag ist innerhalb eines halben Erdenjahres
24587 abzuschlie
ßen und soll den freien Handelsverkehr beider
24588 Planeten als eine Bestimmung enthalten.
</p>
24589 <p>Der Sprung von der Not zur Rettung war so ungeheuer, da
ß
24590 man erst allm
ählich fassen konnte, welches Heil der Menschheit
24591 zuteil geworden. Und nun war die Freude unbeschreiblich.
</p>
24593 <p>Vom Mars kam Raumschiff auf Raumschiff und f
ührte die
24594 Kriegsschiffe der Martier und diese selbst nach dem Nu zur
ück.
24595 Die Staaten ordneten aufs neue ihre Verfassungen und schlossen
24596 untereinander ein Friedensb
ündnis, das die zivilisierte Erde
24597 umfa
ßte. Die Grunds
ätze, welche der Menschenbund
24598 verbreitet und gepflegt hatte, trugen dabei ihre Fr
üchte. Ein
24599 neuer Geist erf
üllte die Menschheit, mutig erhob sie das Haupt
24600 in Frieden, Freiheit und W
ürde.
</p>
24601 <p>Am dritten August verlie
ß das letzte Raumschiff der
24602 Martier die Erde. Erst wenn der definitive Friede geschlossen war,
24603 sollte ein regelm
äßiger, friedlicher Verkehr wieder
24604 beginnen. Bis dahin durften nur Lichtdepeschen gewechselt
24606 <h2>60 - Weltfrieden
</h2>
24607 <p>Saltner hatte sich aus R
ücksicht auf Las Eigenschaft als
24608 Martierin an der kriegerischen Erhebung gegen die Martier nicht
24609 beteiligt. La bedauerte innig die Tr
übung der Beziehungen
24610 zwischen den Planeten, doch stand sie nicht blo
ß als Gattin
24611 ihres Mannes, sondern auch mit ihrem Gerechtigkeitsgef
ühl auf
24612 der Seite der Menschen, die f
ür ihre Unabh
ängigkeit
24613 k
ämpften. Sie h
örte nicht auf zu glauben, da
ß die
24614 Vernunft auf dem Mars siegen und zu einem heilsamen Frieden
24615 f
ühren werde.
</p>
24616 <p>Sobald die Herrschaft der Martier
über Europa
24617 aufgeh
ört hatte, begab sich Saltner mit La und den
24618 übrigen Angeh
örigen des Luftschiffs in seine Heimat
24619 zur
ück. Er gab damit vor allem dem Wunsch seiner Mutter nach,
24620 die von tiefer Sehnsucht nach ihren heimatlichen Bergen befallen
24621 war. In der N
ähe von Bozen, hoch
über dem Tal, erwarb La
24622 eine schlo
ßartige Villa, um den Herbst und Winter in diesem
24623 gesch
ützten s
üdlichen Klima und doch in H
öhenluft
24625 <p>Der Verkehr durch Lichtdepeschen und die Friedensverhandlungen
24626 mit dem Mars gestalteten sich nicht so einfach, wie man gehofft
24627 hatte. Die Beamten, welche den Lichtverkehr zu vermitteln hatten,
24628 waren wenig ge
übt, und als im Herbst die telegraphische
24629 Station auf die Au
ßenstation am S
üdpol verlegt werden
24630 mu
ßte, gelang es nur mit Schwierigkeit, den Apparat hier
24631 überhaupt zur Funktion zu bringen. Eine Zeitlang
24632 f
ürchtete man, damit gar nicht zu Rande zu kommen, und als
24633 dies endlich gegl
ückt war, kamen nicht selten
24634 Mi
ßverst
ändnisse im Depeschenwechsel vor, der
24635 infolgedessen von den Martiern auf das Dringendste
24636 eingeschr
änkt wurde.
</p>
24637 <p>Und doch h
ätte man gerade jetzt auf der Erde, mehr als je,
24638 gern N
äheres
über die Vorg
änge auf dem Mars
24639 erfahren. Denn die letzten Nachrichten waren beunruhigender Natur
24640 gewesen, und als
über ein Vierteljahr vergangen war, ohne
24641 da
ß die entscheidende Friedensnachricht vom Mars eintraf,
24642 begannen be
ängstigende Ger
üchte
über die Absichten
24643 der Martier sich auf der Erde zu verbreiten. Es waren wiederholt in
24644 der N
ähe der Station Raumschiffe beobachtet worden, die sich
24645 allerdings in geh
öriger Entfernung hielten, aber, wie man
24646 f
ürchtete, die Vorboten irgendeiner feindlichen Unternehmung
24648 <p>In der Tat stand das Schicksal der Erde vor einer furchtbaren
24650 <p>Die Niederlage der Martier, der Verlust der Herrschaft
über
24651 die Erde, hatte der Antibaten-Partei zun
ächst einen schweren
24652 Schlag versetzt. Die Vertreter einer menschenfreundlichen Politik
24653 wiesen darauf hin, wie allein das scharfe und ungerechte Vorgehen
24654 gegen die Bewohner der Erde die Schuld trage, da
ß der Nume
24655 nun vor dem Menschen sich dem
ütigen m
üsse. Es sei dies
24656 aber eine gerechte Strafe f
ür die Fehler der Antibaten, die
24657 sich somit als unf
ähig zur F
ührung der
24658 Regierungsgesch
äfte erwiesen h
ätten. Die Idee der
24659 Numenheit, die Gerechtigkeit gegen alle Vernunftwesen verlange als
24660 die allein w
ürdige S
ühne die Best
ätigung der
24661 Freiheit, welche die Menschen sich erk
ämpft h
ätten. Es
24662 g
äbe
überdies kein Mittel, die Menschen, seitdem sie sich
24663 im Besitz der Waffen der Martier bef
änden, auf eine andre
24664 Weise zu bezwingen, als durch eine vollst
ändige Verheerung
24665 ihres Wohnorts; eine solche Barbarei aber k
önne den Numen nie
24666 in den Sinn kommen. Sie seien der Erde genaht, um ihr Frieden,
24667 Kultur und Gedeihen zu bringen, nicht um einen bl
ühenden
24668 Planeten zu vernichten, nur damit sie seine Oberfl
äche zur
24669 Sammlung der Sonnen-Energie ausbeuten k
önnten.
</p>
24670 <p>Obwohl diese Ansicht wieder die
öffentliche Meinung zu
24671 beherrschen begann, war doch die Macht der Antibaten noch
24672 keineswegs gebrochen. Es gab eine gro
ße Anzahl Martier, deren
24673 wirtschaftliche Interessen durch den Verlust der von der Erde
24674 flie
ßenden Kontributionen gesch
ädigt waren und deren
24675 Vernunft durch den Egoismus der Herrschsucht Einbu
ße erlitten
24676 hatte. Sie stellten sich auf den Standpunkt, da
ß die
24677 menschliche Rasse
überhaupt nicht kulturf
ähig im Sinne
24678 der Nume sei und da
ß es daher f
ür die Gesamtkultur des
24679 Sonnensystems besser sei, die Bewohner der Erde zu vernichten,
24680 damit ihr Planet den wahren Tr
ägern der Kultur als
24681 unersch
öpfliche Energiequelle diene. Der Wortf
ührer
24682 dieser Ansicht war O
ß, w
ährend Ell an der Spitze der
24683 Menschenfreunde stand. Man warf ihm vor, da
ß ja gerade durch
24684 seine Amtsf
ührung als Kultor erwiesen w
äre, wie
24685 unf
ähig die Menschen zur Aneignung der martischen Kultur
24686 seien. Habe er doch selbst sein Amt aufgegeben.
</p>
24687 <p>Ell gab zu, da
ß er sich
über die Schnelligkeit
24688 get
äuscht habe, mit der seine Reformen zur Wirkung gelangen
24689 k
önnten. Die Nume seien zu zeitig zur Erde gekommen, die
24690 Menschheit sei allerdings noch nicht reif f
ür die
24691 Lebensf
ührung der Martier. Aber sie habe doch gezeigt,
24692 da
ß sie zu vorgeschritten sei, um als unfrei behandelt zu
24693 werden. Und deshalb sei es nunmehr der richtige Weg, durch einen
24694 friedlichen Verkehr mit der Erde die Vorteile auszunutzen, welche
24695 die Erde als Energiequelle biete, zugleich aber damit der
24696 Menschheit das Beispiel einer
überlegenen Kultur zu geben, die
24697 ihr ein Vorbild sein k
önne. Nicht durch Unterjochung, sondern
24698 durch freien Wetteifer m
üßten die Menschen erst auf die
24699 Stufe gef
ührt werden, die sie f
ür die direkte Aufnahme
24700 martischer Kultur f
ähig mache.
</p>
24701 <p>Diese entgegengesetzten Meinungen, die in den Marsstaaten zu
24702 heftigen politischen K
ämpfen f
ührten, verz
ögerten
24703 die endg
ültige Entscheidung
über den
24704 Friedensschlu
ß. Beide Parteien suchten den Abschlu
ß
24705 immer wieder hinauszuschieben in der Hoffnung, bei den
24706 n
ächsten Wahlen zum Zentralrat eine entscheidende
24707 Majorit
ät zu bekommen. Man wu
ßte dies auf der Erde und
24708 sah daher dem Ausfall dieser Wahl mit Spannung und Furcht entgegen.
24709 Ell und O
ß kandidierten beide f
ür den Zentralrat. Der
24710 Sieg Ells bedeutete den Frieden. Der Sieg von O
ß lie
ß
24711 bef
ürchten, da
ß die Martier f
ür ihre Niederlage vom
24712 11. Juli furchtbare Rache nehmen w
ürden. Anfang Dezember
24713 mu
ßte die Wahl stattfinden, die Entscheidung fallen. Und
24714 gerade jetzt versagte wieder der Lichttelegraph. Seit vierzehn
24715 Tagen hatte man keine Depesche vom Mars erhalten, vergeblich
24716 arbeitete und operierte man an dem Apparat
– die Rechnungen
24717 wollten mit den Beobachtungen nicht stimmen
–, und jeden Tag
24718 depeschierte man vom S
üdpol, da
ß man bestimmt hoffe,
24719 morgen mit der Einstellung fertig zu werden.
</p>
24720 <p>Unheimliche Ger
üchte
über die Absichten der Martier
24721 durchschwirrten die Erde. Eines vor allen nahm immer deutlichere
24722 Gestalt an und erf
üllte die Gem
üter mit Grausen. Man
24723 sagte, da
ß sich in Papieren der Martier, die nach der eiligen
24724 Entfernung der Beamten aufgefunden worden seien, ausgearbeitete
24725 Projekte befunden h
ätten zu einer v
ölligen Vernichtung
24726 der Zivilisation der Erde. Der ehemalige Instruktor von Bozen,
24727 O
ß, der Kandidat der Antibaten f
ür den Zentralrat,
24728 bekannt als ein hervorragender Ingenieur, sollte der Urheber eines
24729 Planes sein, wonach bei einem dauernden Widerstand der Menschen die
24730 Oberfl
äche der Erde unbewohnbar gemacht werden konnte.
24731 Einzelne Bl
ätter brachten detaillierte Ausf
ührungen. Es
24732 handelte sich um nichts Geringeres als die Absicht, die
24733 t
ägliche Umdrehung der Erde um ihre Achse aufzuheben. Diese
24734 Rotation der Erde sollte so verlangsamt werden, da
ß der Tag
24735 allm
ählich immer l
änger wurde und endlich mit dem Umlauf
24736 der Erde um die Sonne zusammenfiele, da
ß also Tag und Jahr
24737 gleich w
ürden. Dann w
ürde die Erde in derselben Lage zur
24738 Sonne sein wie der Mond zur Erde, das hei
ßt, sie w
ürde
24739 der Sonne stets dieselbe Seite zukehren. Es g
äbe keinen
24740 Unterschied mehr von Tag und Nacht, die eine Seite der Erde
24741 h
ätte ewigen Sonnenschein, die andere ewige Finsternis
–
24742 die Sonne bliebe f
ür denselben Ort stets in demselben Meridian
24743 stehen.
– Die Folgen einer solchen Ver
änderung
24744 w
ären furchtbar gewesen. Der Plan der Martier sollte angeblich
24745 dahin gehen, die Erde in eine solche Stellung zu bringen, da
ß
24746 der Stille Ozean in ewiger Sonnenglut, die gro
ßen
24747 Festlandmassen aber, der Hauptsitz der zivilisierten Staaten, in
24748 ununterbrochener Nacht blieben. Dann mu
ßte allm
ählich
24749 eine Verdampfung des gesamten Meeres stattfinden. Denn die
24750 Wasserd
ämpfe w
ürden sich auf der immer k
älter
24751 werdenden Nachtseite der Erde niederschlagen und diese mit ewigem
24752 Schnee und unschmelzbarem Gletschereis
überziehen. Eine
24753 Eiszeit, der kein Leben widerstehen k
önnte, w
ürde auf die
24754 Schattenseite der Erde hereinbrechen, w
ährend die Sonnenseite
24755 in Gluten verdorren w
ürde. Wohl nur auf einer schmalen
24756 Grenzzone k
önnte sich Leben erhalten. Aber wer vermochte zu
24757 sagen, welch andere, verderbliche Umwandlungen bei einer derartigen
24758 Änderung des Gleichgewichts von Luft und Wasser auf der Erde
24759 noch eintreten mochten?
</p>
24760 <p>Wohl versuchte man diesen Plan als ein t
örichtes
24761 Hirngespinst hinzustellen, als ein Schreckmittel, das die Martier
24762 wohl absichtlich den Menschen zur
ückgelassen h
ätten. Doch
24763 konnte man die entschiedenen Bef
ürchtungen nicht gen
ügend
24764 zerstreuen. Das Projekt schien zu gut fundiert. O
ß hatte die
24765 Energiemenge ausgerechnet, die zur Hemmung der Erdrotation
24766 erforderlich ist. Sie ist allerdings so gro
ß als die
24767 Strahlungsenergie, die von der Sonne in
600 Jahren zur Erde
24768 gelangt, wenn man nur die gegenw
ärtig den Menschen auf der
24769 Erdoberfl
äche zug
ängliche Energie in Anschlag bringt.
24770 Viel gr
ößer aber ist die Energiestrahlung unter
24771 Ber
ücksichtigung aller Strahlengattungen. Und wenn die Martier
24772 den von ihnen aufgespeicherten Energieschatz aufbrauchten, so waren
24773 sie sicher, ihn wieder ersetzen zu k
önnen. O
ß hatte eine
24774 Methode ausgedacht
– er nannte sie die
24775 ›Erdbremse
‹ –, wonach die Rotationsenergie der
24776 Erde selbst die Arbeitsquelle sein sollte, um eine Hemmung
24777 erzeugen, sie sollte zur Arbeit benutzt und somit die Erde durch
24778 sich selbst gebremst werden. Zwanzig Jahre gen
ügten seiner
24779 Rechnung nach, um die Erdrotation auf das gew
ünschte Ma
ß
24781 <p>Mit besonderem Bangen sah man dem
11. Dezember entgegen. An
24782 diesem Tag fand die Opposition von Mars und Erde statt, es trat die
24783 Stellung ein, in der die beiden Planeten sich am n
ächsten
24784 befanden. Bei der Opposition am Ende des August vor vier Jahren war
24785 die Anwesenheit der Martier auf der Erde entdeckt worden; die
24786 Opposition im Oktober vor zwei Jahren hatte den Sieg der
24787 Antibatenpartei gebracht; so bildete man sich ein, die n
ächste
24788 Opposition im Dezember dieses Jahres m
üsse wieder durch
24789 irgendein unheilvolles Ereignis sich auszeichnen. Da
ß sich
24790 dieses gerade an den
11. Dezember, als den Tag der Opposition,
24791 kn
üpfen m
üsse, war ja eine Art Aberglaube; da
ß aber
24792 die Zeit der gr
ößten Ann
äherung der Planeten die
24793 g
ünstigste f
ür etwaige Unternehmungen der Martier gegen
24794 die Erde war, lie
ß sich nicht leugnen. Und so fehlte es nicht
24795 an d
üsteren Prophezeiungen f
ür diesen Tag.
</p>
24796 <p>Das Aufh
ören des Depeschenverkehrs mit dem Mars
24797 vergr
ößerte nun die Sorge. Man bef
ürchtete,
24798 da
ß die Antibatenpartei gesiegt habe und die
24799 Unm
öglichkeit, den Apparat einzustellen, auf einer
24800 absichtlichen St
örung durch die Martier beruhe. Wenn das auch
24801 seitens der Union, die im Besitz der Au
ßenstationen war,
24802 nicht zugegeben wurde, so traf man doch Anstalten, im Fall eines
24803 unerwarteten Erscheinens von Raumschiffen der Martier die Station
24804 sperren, ja im Notfall st
ürzen zu k
önnen. Seltsam war es
24805 gewi
ß, da
ß auch auf der Station am Nordpol, wohin man
24806 trotz des Polarwinters ein Luftschiff entsandt hatte, die
24807 Einstellung des Phototelegraphen nicht gelingen wollte.
</p>
24808 <p>Inzwischen war die Entscheidung auf dem Mars gefallen. Ein
24809 aufregender Streit der Meinungen, wie er seit Jahrtausenden in der
24810 politischen Geschichte des Mars unerh
ört war, fand endlich
24811 seine Schlichtung. Die Beweggr
ünde, die Ell zuletzt ins Feld
24812 f
ührte, hatten einen durchschlagenden Erfolg. Der Plan von
24813 O
ß, die Erde zu bremsen, bestand wirklich, und Ell zeigte, zu
24814 welchen unmenschlichen und verwerflichen Folgen diese wahnwitzige
24815 Unternehmung f
ühren m
üsse, deren M
öglichkeit
24816 au
ßerdem durchaus fraglich sei. Und endlich deckte er einen
24817 Umstand auf, der bisher noch immer als Geheimnis behandelt worden
24818 war
– die Gefahr, die den Menschen und vielleicht auch den
24819 Martiern bei einem dauernden Aufenthalt auf der Erde drohte, das
24820 Wiederaufleben der furchtbaren Krankheit Gragra. Selbst auf diese
24821 hatte O
ß in einem geheimen Memorial hingewiesen als auf ein
24822 Mittel, die Menschen zu vernichten. Ell scheute sich nicht, dieses
24823 Aktenst
ück zu ver
öffentlichen. Da erhob sich eine
24824 allgemeine Entr
üstung in dem
überwiegenden Teil der
24825 Martier. Schon die ganze Methode geheimer Pl
äne und
24826 Machinationen, die den Martiern als ein bedenkliches Zeichen
24827 politischen R
ückschritts erschien, noch mehr aber der Verfall
24828 der Gesinnung, die Mi
ßachtung des sittlich Guten und Edlen
24829 emp
örte auch das Gem
üt derer, die sich eine Zeitlang
24830 durch Sondervorteile hatten zu Menschenfeinden machen lassen, und
24831 erweckten sie zum Bewu
ßtsein ihrer W
ürde als Nume. So
24832 brachte der Tag der Wahl ein
überraschendes Resultat. Der
24833 Registrierapparat der telegraphisch abgegebenen Stimmen zeigte
24834 f
ür Ell
über
312 Millionen Stimmen gegen etwa
40
24835 Millionen f
ür O
ß.
</p>
24836 <p>Ell war mit einer erdr
ückenden Mehrheit in den Zentralrat
24837 gew
ählt, mit ihm noch Ill und drei andere F
ührer der
24838 menschenfreundlichen Partei. Die antibatische Bewegung war
24839 hierdurch endg
ültig unterdr
ückt.
</p>
24840 <p>Schon am folgenden Tag genehmigte der Zentralrat den
24841 Friedensvertrag mit den verb
ündeten Erdstaaten in der Fassung,
24842 wie er l
ängst sorgf
ältig ausgearbeitet von der
24843 menschenfreundlichen Partei vorlag.
</p>
24844 <p>Aber ein unerwartetes Hindernis zeigte sich. Schon in den
24845 letzten Tagen waren die Depeschen nicht mehr von der Erde erwidert
24846 worden. Eine St
örung des Apparats war vorhanden, und die
24847 Martier erkannten, da
ß sie auf der Unf
ähigkeit der
24848 Menschen beruhte, ihren Phototelegraphen zur Einstellung zu
24849 bringen. Trotz aller Bem
ühungen war es unm
öglich, die
24850 Friedensbotschaft der Erde durch Lichtdepesche mitzuteilen.
</p>
24851 <p>Der Zentralrat hatte beschlossen, da
ß Ell, in Anerkennung
24852 seiner Verdienste um die Erschlie
ßung der Erde und der nun
24853 erlangten Vers
öhnung der Planeten, an der Spitze der
24854 Kommission nach der Erde gehen sollte, die beauftragt war, den
24855 Friedensvertrag zwischen beiden Planeten zu vollziehen. Aber es war
24856 im Waffenstillstand bestimmt worden, da
ß kein Raumschiff auf
24857 der Erde landen sollte, bis nicht telegraphisch die Annahme des
24858 Friedens durch die Marsstaaten mitgeteilt sei. Und das war nun
24859 vorl
äufig unm
öglich.
</p>
24860 <p>Ein Raumschiff, das man entsandte, um Aufkl
ärung
über
24861 die Ursache der St
örungen zu erhalten, und das mit der
24862 gr
ößten erreichbaren Geschwindigkeit fuhr, kehrte nach
24863 zw
ölf Tagen unverrichteter Sache zur
ück. Es hatte
24864 versucht, sich durch Signale mit der Au
ßenstation am
24865 S
üdpol zu verst
ändigen, war aber nicht verstanden worden.
24866 Und als es Anstalten traf, sich auf die Station hinabzulassen,
24867 wurde es durch Repulsitstrahlen bedroht und an der Landung
24868 verhindert, so da
ß es wieder umkehren mu
ßte. Doch
24869 berichtete es, da
ß, soviel sich bemerken lie
ße, die
24870 Station nicht in richtiger Verfassung zu sein scheine und die
24871 Unm
öglichkeit des telegraphischen Verkehrs vielleicht an einer
24872 Verschiebung der Au
ßenstation liege.
</p>
24873 <p>Hierauf nahm man seine Zuflucht zum Retrospektiv. Dies
24874 gestattete, die Station genau zu beobachten. Und nun stellte sich
24875 f
ür die Gelehrten der Martier unzweideutig heraus, da
ß
24876 der Ring der Au
ßenstation seine Lage ge
ändert habe. Die
24877 Berechnung zeigte, da
ß binnen kurzem das Gleichgewicht des
24878 ganzen Kraftfeldes
überhaupt gest
ört werden
24879 m
üßte, wenn nicht bald eine Korrektur eintrat. Die
24880 Menschen hatten es nicht richtig verstanden, die Korrektionen
24881 vorzunehmen, die zur Erhaltung des Feldes und des Ringes notwendig
24882 waren. Die Karte der Polargegend, die auf dem Dach der unteren
24883 Stationen sich befand und den Entdeckern des Nordpols das erste,
24884 unl
ösbare R
ätsel
über die Einrichtungen der Martier
24885 aufgegeben hatte, diente n
ämlich dazu, eine Kontrolle f
ür
24886 die feinen Bewegungen der Au
ßenstation infolge von
24887 Schwankungen der Erdachse zu haben. Beide Stationen, im Norden wie
24888 im S
üden, schwebten nun in h
öchster Gefahr. Es
24889 mu
ßte, sollte nicht der Verkehr mit der Erde dauernd in Frage
24890 gestellt sein, sofort das Kraftfeld in den richtigen Stand gesetzt
24891 werden, und dies konnte nur durch martische Ingenieure
24893 <p>Wie aber sollten die Martier dies rechtzeitig bewirken, da sie
24894 jetzt kein Mittel hatten, die Menschen zu benachrichtigen, und ihre
24895 Raumschiffe der Gefahr ausgesetzt waren, von den Menschen bei der
24896 Landung zerst
ört zu werden? Und selbst, wenn es gelang, sich
24897 vor der Landung mit den Menschen zu verst
ändigen, so war es
24898 noch immer sehr fraglich, ob bei dem Zustand der Station nicht
24899 diese Landung mit unbekannten Gefahren verbunden sei. Jetzt das
24900 Band mit der Erde neu zu kn
üpfen, indem man sich einem
24901 Raumschiff anvertraute, war ein Unternehmen auf Leben und Tod. Wer
24902 wollte sich daran wagen? Der Wille zum Frieden war auf beiden
24903 Planeten vorhanden, der Beschlu
ß der friedlichen
24904 Übereinkunft auf beiden Seiten gefa
ßt. Und nun sollte
24905 der Weltfrieden daran scheitern, da
ß man die
24906 Friedensbotschaft nicht verk
ündigen, die einzige Br
ücke,
24907 die Au
ßenstation, nicht vor der Vernichtung sch
ützen
24909 <p>Da erbot sich Ell, das Rettungswerk zu unternehmen. Er
24910 wu
ßte, was er wagte. Aber er wu
ßte auch, da
ß,
24911 wenn irgend jemand, so ihm die Pflicht erwachsen war, die
24912 Verbindung zwischen den Planeten herzustellen. Wieder stand er so
24913 nahe an der Erf
üllung seines Lebenszwecks, und noch einmal
24914 sollte seine Hoffnung fehlschlagen? Aber es war auch die einzige
24915 Aufgabe, die er noch zu erf
üllen hatte. War der Friede
24916 geschlossen, so war alles getan, was er tun konnte.
</p>
24917 <p>Eine freiwillige Gruppe ge
übter Ingenieure schlo
ß
24918 sich ihm an. Das Regierungsschiff
›Glo
‹ sollte Ell
24919 mit seinen Genossen binnen sechs Tagen nach der Erde bringen. Man
24920 hatte verschiedene Ma
ßregeln ausgedacht, um den Menschen die
24921 friedliche Absicht kundzutun, insbesondere die
Übermittlung
24922 von direkten Nachrichten durch Hinabwerfen geeigneter
24923 Gegenst
ände auf die Erde. Die Hauptsorge f
ür Ell war, ob
24924 er noch zurecht kommen w
ürde, den Einsturz der
24925 Au
ßenstation zu verhindern. Mit noch nie erlebter
24926 Geschwindigkeit scho
ß der
›Glo
‹ durch den
24928 <p>Die St
örungen des abarischen Feldes und der
24929 Au
ßenstation waren zwar in der letzten Zeit auch von den
24930 Menschen wahrgenommen worden, doch reichten ihre Kenntnisse und
24931 Mittel nicht aus, sie in ihren Ursachen zu erkennen und ihre
24932 Bedeutung zu beurteilen. Man wu
ßte nicht, in wie gro
ßer
24933 Gefahr die Station schwebe, wenn nicht schleunigst eine Korrektur
24934 eintrete. Als sich Ells Raumschiff der Station n
äherte,
24935 bemerkte Fru, der genaueste Kenner dieser Technik, der Ell
24936 freiwillig begleitet hatte, da
ß die Hilfe nur von der
24937 Erdoberfl
äche aus zu bringen sei. Von dorther mu
ßte das
24938 Feld reguliert werden. Er bezweifelte, ob die regelrechte
24939 Bef
örderung im Flugwagen
überhaupt noch m
öglich sei
24940 oder es f
ür die n
ächsten vierundzwanzig Stunden bleiben
24941 werde, und da Ell f
ürchtete, viel kostbare Zeit zu verlieren,
24942 ehe er sich vom Raumschiff aus mit der Au
ßenstation
24943 verst
ändigen k
önne
– denn dies war nur durch
24944 unzureichende Signale m
öglich
–, so beschlo
ß er,
24945 überhaupt vom Anlegen am Ring abzusehen. Er wollte vielmehr
24946 versuchen, sogleich so weit in die Atmosph
äre hinabzusteigen,
24947 bis die Dichtigkeit der Luft das Aussetzen eines Luftschiffes
24948 gestattete, und mit diesem wollte er nach dem Pol direkt sich
24949 begeben. Es war dabei wichtig, der Erdachse so nahe wie
24950 m
öglich zu bleiben, obwohl er allerdings hier bef
ürchten
24951 mu
ßte, von den Menschen angegriffen zu werden, ehe er seine
24952 friedlichen Absichten darlegen konnte.
</p>
24953 <p>Das Raumschiff hatte sich bis auf zwanzig Kilometer der
24954 Erdoberfl
äche gen
ähert und kam nun in die Luftschichten,
24955 die freilich bei ihrer geringen Dichtigkeit den Menschen noch nicht
24956 gestatteten, sich in ihnen ohne Schutz aufzuhalten, aber doch die
24957 Grenze bildeten, bis zu welcher sich dicht verschlossene
24958 Luftschiffe allenfalls erheben konnten. Gern w
äre Ell noch
24959 weiter hinabgestiegen, indessen schon nahten sich Kriegsschiffe der
24960 Menschen, deren Angriff er das schutzlose Raumschiff nicht
24961 aussetzen durfte. Aber diese trauten ihrerseits dem Raumschiff
24962 nicht und hielten sich in so weiter Entfernung, da
ß der
24963 Austausch von Signalen nicht m
öglich war. Die Martier
24964 lie
ßen ihre in Kapseln eingeschlossenen Briefe durch eine
24965 besondere Vorrichtung aus dem hermetisch geschlossenen Raumschiff
24966 herabfallen, doch war nicht darauf zu rechnen, da
ß sie im
24967 Gewirr der Eisschollen des Bodens gefunden werden w
ürden.
24968 Inzwischen dr
ängte Fru auf einen entscheidenden
24969 Entschlu
ß, da jede Stunde die Gefahr f
ür die Erhaltung
24970 der Station vergr
ößerte.
</p>
24971 <p>So entschlo
ß sich Ell, das Raumschiff in einer H
öhe
24972 zu verlassen, zu der die Luftschiffe nicht emporsteigen konnten.
24973 Hier war freilich das Luftschiff der Martier, auf welchem er das
24974 Raumschiff verlassen mu
ßte, selbst der Gefahr ausgesetzt,
24975 sich nicht schwebend halten zu k
önnen. Dennoch war der
24976 Versuch, auf diese Weise zur Erde zu gelangen, die einzige
24977 M
öglichkeit, die
übrig blieb. Und Ill schwankte keinen
24978 Augenblick, die gefahrvolle Landung zu versuchen.
</p>
24979 <p>Um das Luftboot so leicht wie m
öglich zu machen, nahmen
24980 au
ßer Ell und Fru nur noch zwei Ingenieure in demselben
24981 Platz. Dann wurde es verschlossen und die Entladungskammer des
24982 Raumschiffs ge
öffnet. Sobald das Luftschiff von seinem Halt
24983 gel
öst war, st
ürzte es mit gro
ßer Geschwindigkeit
24984 abw
ärts. Sofort wurden die Fl
ügel ausgespannt und der
24985 Fall in eine schiefe Ebene
übergeleitet, die in der Richtung
24986 nach dem Pol hinf
ührte. So gelangte das Luftschiff bis in die
24987 H
öhe von zehn Kilometern hinab und hatte sich damit dem Pol so
24988 weit gen
ähert, da
ß seine Bahn in eine Schraubenlinie
24989 ver
ändert werden mu
ßte, damit es nicht zu weit vom Pol
24990 fortsch
össe. Jetzt hatten die amerikanischen Kriegsschiffe das
24991 martische Schiff bemerkt und n
äherten sich ihm, in ihre
24992 Nihilitpanzer geh
üllt. Es gelang den Martiern, ihr Schiff zu
24993 ruhigem Schweben zu bringen. Wie jedoch sollte man sich bei den
24994 geschlossenen Schiffen verst
ändigen? Und sie zu
öffnen,
24995 verbot die noch viel zu stark verd
ünnte Luft dieser H
öhe.
24996 Fru strebte danach, durch weiteres Sinken um einige tausend Meter
24997 in dichtere Luftschichten zu gelangen. Deshalb zog er die
24998 Fl
ügel des Luftschiffs ein. Nun erst vermochten die
24999 amerikanischen Schiffe die gro
ße wei
ße Fahne zu
25000 erkennen, die das martische Schiff als Friedenszeichen f
ührte.
25001 Sie n
äherten sich trotzdem weiter. Das eine legte sich in die
25002 Fallinie des martischen Schiffes und deutete damit an, da
ß es
25003 ein weiteres Sinken nicht zulassen w
ürde. Das andere zog zum
25004 Zeichen des Verst
ändnisses seinen Nihilitpanzer ein und kam
25005 dem martischen Schiff so nahe, da
ß man die hinter den
25006 sch
ützenden Robscheiben ausgef
ührten Signale verstehen
25008 <p>Ell signalisierte:
»Wir bringen den Friedensvertrag. Ich,
25009 Ell, bin mit dem Abschlu
ß beauftragt. La
ßt uns sofort
25010 nach der Station.
«</p>
25011 <p>Der Kapit
än antwortete:
»Ich bin hocherfreut, darf
25012 Sie aber nicht n
äher heranlassen, bis ich Instruktionen
25013 erhalten habe. Es werden sogleich weitere Schiffe
25014 eintreffen.
«</p>
25015 <p>Darauf erwiderte Ell:
»Es ist h
öchste Gefahr, die
25016 Au
ßenstation ist im Gleichgewicht gest
ört. Lassen Sie
25017 uns sogleich hin.
«</p>
25018 <p>Hierdurch wurde der Kapit
än mi
ßtrauisch. Er
25019 signalisierte:
»Das verstehe ich nicht.
«</p>
25020 <p>Ell war der Verzweiflung nahe. Der z
ähe Amerikaner
25021 antwortete nicht, und alles konnte an einer halben Stunde
25022 h
ängen, um die man zu sp
ät zur Station kam. Auch Fru
25023 wu
ßte nicht, was zu tun sei. Das Signalisieren nahm zu viel
25024 Zeit in Anspruch. Ja, wenn man sprechen k
önnte! Die Schiffe
25025 lagen jetzt dicht nebeneinander. Aber durch die geschlossenen
25026 H
üllen konnte der Schall nicht dringen.
</p>
25027 <p>»Ich spreche hin
über!
« rief Ell.
»Wir
25028 k
önnen nicht l
änger warten.
«</p>
25029 <p>»Unm
öglich
«, rief Fru.
</p>
25030 <p>»Es mu
ß gehen.
«</p>
25031 <p>Ehe ihn die andern hindern konnten, hatte er den
25032 Verschlu
ß, der zum Verdeck f
ührte, ge
öffnet und
25033 wieder geschlossen. Er stand auf dem Verdeck in der eisigen
25034 d
ünnen Luft. Mit Erstaunen sah man vom amerikanischen Schiff
25035 aus ihm zu. Ell winkte und rief durch ein Sprachrohr. Man verstand,
25036 da
ß er sprechen wolle. Der Kapit
än, in seinen Pelz
25037 geh
üllt, den Sauerstoffapparat vor dem Mund, trat ebenfalls
25038 auf das Verdeck. Ell mu
ßte, um zu sprechen, die
25039 Sauerstoffatmung unterbrechen. Er mu
ßte schreien, um in der
25040 d
ünnen Luft geh
ört zu werden. So setzte er dem
25041 Kapit
än die Tatsachen auseinander. Dieser sch
üttelte
25042 einige Male den Kopf, dann begann er zu verstehen, er nickte. Er
25043 h
ütete sich wohl zu sprechen. Mehrere Minuten waren
25044 dar
über vergangen. Ell f
ühlte, wie es ihm im Kopf sauste,
25045 wie sein Herz schlug, wie seine Glieder erstarrten, seine Augen
25046 nichts mehr erkannten. Aber der Amerikaner trat in sein Schiff
25047 zur
ück, und im Augenblick darauf entfernte es sich nach dem
25049 <p>Fru
öffnete den Verschlu
ß und zog Ell in das Innere
25050 des Schiffes. Er fa
ßte den Zusammensinkenden in seine Arme,
25051 ein Blutstrom brach aus Ells Munde. Vergeblich bem
ühten sich
25052 die Martier um den Leblosen, w
ährend ihr Schiff in rasender
25053 Eile dem Amerikaner nach dem Pol folgte.
</p>
25054 <p>- Die Mittagssonne eines klaren, windstillen Dezembertages lag
25055 auf den Bergen, deren helle Landh
äuser
über das Etschtal
25056 und die beschneiten H
öhen weit nach S
üden hin schauten.
25057 Es war warm wie im Fr
ühling auf der Veranda, an deren
25058 Gel
änder La lehnte. Ihre Blicke waren auf den Fu
ßweg
25059 gerichtet, der von der Stadt nach der Villa emporf
ührte. Dort,
25060 wo der Pfad aus dem Tannenwald hervortrat, um in mehrfachen
25061 Windungen den steilen Rasenabhang vor dem Haus zu erklimmen, wurde
25062 jetzt Saltners Gestalt sichtbar. Er kam aus der Stadt. Mit Vorliebe
25063 pflegte er den Weg, obwohl er eine Stunde t
üchtigen Steigens
25064 in Anspruch nahm, zu Fu
ß zur
ückzulegen, um, wie er
25065 sagte, nicht aus der
Übung zu kommen. Sonst vermittelte das
25066 Luftschiff den Verkehr in wenigen Minuten. Als er La erkannte,
25067 schwang er den Hut und sprang schneller den Pfad hinauf. Bald stand
25068 er auf der Veranda.
</p>
25069 <p>»Sind Nachrichten da?
« rief La ihm entgegen.
</p>
25070 <p>»Vom Mars noch nicht, aber vom S
üdpol
«, sagte
25071 er, sie mit einem Ku
ß begr
üßend.
</p>
25072 <p>»So ist die Einstellung noch immer nicht
25073 gelungen?
«</p>
25074 <p>»Nein, aber man hat die Ann
äherung eines Raumschiffes
25075 beobachtet, das der
›Glo
‹ zu sein scheint. Es
25076 vermeidet jedoch die Station und scheint sich unter dieselbe herab
25077 bis in die Atmosph
äre senken zu wollen. Die amerikanischen
25078 Luftschiffe bewachen die gesamte Umgebung des Pols.
«</p>
25079 <p>La atmete auf.
»Das ist ein gutes Zeichen
«, sagte
25080 sie.
»Hoffentlich begegnet man ihm nicht feindlich, ein
25081 einzelnes Raumschiff ist nicht zu f
ürchten, es wird
25082 Nachrichten bringen wollen.
«</p>
25083 <p>»Man kann das nicht wissen. Es ist gar nicht zu sagen, was
25084 die Martier m
öglicherweise sich ausgedacht haben und womit sie
25085 uns
überraschen. Du warst selbst sehr besorgt.
«</p>
25086 <p>»Ja, wenn O
ß gesiegt haben sollte, w
äre
25087 allerdings alles zu bef
ürchten. Die
›Erdbremse
‹
25088 ist nicht blo
ß Phantasie, ich wei
ß, da
ß er solche
25089 Gedanken schon mit sich herumtrug, als er noch Assistent des Vaters
25090 war. Gebe Gott, da
ß das Schiff eine gute Nachricht
25092 <p>»Wir wollen uns nicht vor der Zeit
ängstigen
«,
25093 sagte Saltner, indem er den Arm um ihre Schulter legte, um sie von
25094 der Veranda ins Haus zu f
ühren.
</p>
25095 <p>In diesem Augenblick hallte vom Tal ein Kanonenschu
ß
25096 herauf. Gleich darauf ein zweiter und dritter.
</p>
25097 <p>»Was ist das?
« fragte La erschrocken.
</p>
25098 <p>Beide kehrten um und blickten auf die Stadt hinab. Wieder
25099 ert
önten die Sch
üsse. Sie sp
ähten mit den
25100 Ferngl
äsern hinunter.
</p>
25101 <p>Saltner ergriff Las Hand.
</p>
25102 <p>»Es mu
ß eine gute Nachricht sein
«, rief er.
25103 »Schau dort, an den T
ürmen und auf den Schl
össern
25104 werden die Fahnen aufgezogen. Sollte etwa
–«</p>
25105 <p>»O Sal, wenn es der Friede w
äre!
«</p>
25106 <p>Saltner eilte ans Telephon. Er sprach das Telegraphenamt an.
25107 Eine Weile mu
ßte er warten, weil die Beamten voll
25108 besch
äftigt waren. Dann kam die Antwort.
</p>
25109 <p>»Botschaft vom Mars. Der Friedensvertrag nach Vorschlag
25110 der Erdstaaten vom Zentralrat genehmigt. Ell mit dem Abschlu
ß
25111 des Friedens auf der Erde beauftragt. N
ähere Nachrichten
25112 stehen noch aus.
«</p>
25113 <p>La fiel ihrem Mann um den Hals. Tr
änen der Freude
25114 dr
ängten sich in ihre Augen. Er schlo
ß sie in seine
25115 Arme. Er wu
ßte, was in ihr vorging. Jetzt, erst jetzt fand
25116 sie die volle Ruhe, nun war ihr Bund best
ätigt vom Geschick
25118 <p>»Wollen wir hinab, um die neuen Nachrichten in Empfang zu
25119 nehmen?
« fragte er.
</p>
25120 <p>»La
ß uns hierbleiben. Ich m
öchte jetzt nicht
25121 gerade unter die Menschen. Bleibe bei mir in unserm
25123 <p>»So soll Palaoro mit dem kleinen Schiff hinab, um uns
25124 sogleich die Extrabl
ätter mit neuen Nachrichten
25125 heraufzubringen. Du hast recht, geliebte La!
«</p>
25126 <p>Noch ehe Palaoro zur
ückkehrte, erfuhr Saltner durch ein
25127 telephonisches Gespr
äch mit einem Freund den Hauptinhalt der
25128 neuen Depeschen. Diese waren aber so unklar und zum Teil
25129 widersprechend, da
ß La und Saltner nicht wu
ßten, was
25130 sie davon halten sollten. Es hie
ß, die Gesandtschaft unter
25131 Ells F
ührung sei zum Abschlu
ß des Friedens eingetroffen
25132 und habe die Friedensbotschaft selbst auf die Erde gebracht. Sie
25133 sei aber an der Landung verhindert worden, weil eine
25134 Besch
ädigung des abarischen Feldes vorl
äge. Eine
25135 sp
ätere Depesche besagte, die Au
ßenstation sei im
25136 Begriff, zusammenzust
ürzen, oder sei schon eingest
ürzt.
25137 Die Deputation der Marsstaaten sei dabei verungl
ückt. Die
25138 letzte Nachricht meldete, die Best
ätigung des
25139 Friedensvertrages mit den Marsstaaten sei bereits an die
25140 Regierungen telegraphiert. Der Erbauer der Station, Fru, sei zur
25141 Rettung der Au
ßenstation vom Mars herbeigeeilt.
</p>
25142 <p>La und Saltner tauschten noch ihre Ansichten
über die
25143 Bedeutung dieser Nachrichten aus, als Palaoro mit dem Luftboot
25144 anlangte. Das erste, was er
überreichte, war eine lange
25145 Depesche an La.
</p>
25146 <p>Sie ri
ß den Umschlag auf.
</p>
25147 <p>»Vom Vater
«, rief sie jubelnd.
»Er kommt zu
25148 uns!
« Sie durchflog das Blatt. Ihre Z
üge wurden
25150 <p>»Was ist geschehen?
« fragte Saltner besorgt.
</p>
25151 <p>»Der Vater ist gesund und die Station ist gerettet
25153 <p>»Gott sei Dank!
«</p>
25154 <p>»In der letzten Stunde. Mit M
ühe gelang es dem Vater,
25155 das Unheil noch abzuwenden. Da
ß die Unseren zurechtkamen,
25156 verdanken sie der Aufopferung Ells. Und er
–«</p>
25157 <p>Saltner beugte sich
über das Blatt. La hob ihre
25158 tr
änenfeuchten Augen zu ihm auf, er k
üßte ihre
25160 <p>»Das Andenken dieses Edlen ist unverge
ßlich
«,
25161 sagte er.
»Er war der F
ührer auf dem Weg, den die Welt
25162 nun wandeln kann zu Freiheit und Frieden.
«</p>