War of the Worlds: Fixes after reading
[ccbib.git] / content / Hugo_Bettauer / Die_Stadt_ohne_Juden.html
blobee391b8ae204091cf4d93634e0ee54fd6b715f71
1 <!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN"
2 "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd">
3 <html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" lang="de" xml:lang="de">
4 <head>
5 <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html;charset=utf-8"/>
6 <title>Die Stadt ohne Juden, by Hugo Bettauer&mdash;A Project Gutenberg eBook</title>
7 <style type="text/css">
8 <!--
11 text-align: justify;
12 text-indent: 1.5em;
15 p.center,
16 .center p,
17 .right p,
18 p.drop-cap,
19 p.asterisk-break,
20 #tnote p,
21 #tnote-bottom p
23 text-indent: 0;
26 h1, h2
28 text-align: center;
29 clear: both;
30 font-weight: normal;
35 font-size: x-large;
36 line-height: 1.5em;
37 margin: 6em auto 0.5em auto;
42 margin: 4em auto 0.75em auto;
45 a:link,
46 a:visited
48 text-decoration: none;
51 ins
53 text-decoration: none;
54 border-bottom: 1px dashed #add8e6;
57 .gesperrt
59 letter-spacing: 0.2em;
60 margin-right: -0.2em;
63 em.gesperrt
65 font-weight: normal;
66 font-style: normal;
69 .antiqua
71 font-style: italic;
74 .center,
75 .center p
77 text-align: center;
80 .right p
82 text-align: right;
83 margin-right: 1.5em;
86 .figcenter
88 text-align: center;
89 margin: 2em auto;
92 img
94 max-width: 95%;
97 a[title].pagenum
99 position: absolute;
100 right: 3%;
103 a[title].pagenum:after
105 content: attr(title);
106 border: 1px solid silver;
107 display: inline;
108 font-size: x-small;
109 text-align: right;
110 color: #808080;
111 background-color: inherit;
112 font-style: normal;
113 padding: 1px 4px 1px 4px;
114 font-variant: normal;
115 font-weight: normal;
116 text-decoration: none;
117 text-indent: 0;
118 letter-spacing: 0;
121 p.drop-cap:first-letter
123 font-size: 3.5em;
124 float: left;
125 margin: -0.3em 0.1em -0.3em 0;
128 p.asterisk-break
130 text-align: center;
131 letter-spacing: 1.5em;
132 margin: 1.5em -1em 1.5em 0;
135 #tnote,
136 #tnote-bottom
138 max-width: 90%;
139 border: 1px dashed #808080;
140 background-color: #fafafa;
141 text-align: justify;
142 padding: 0 0.75em;
143 margin: 120px auto 120px auto;
146 #corrections
148 list-style-type: none;
149 margin: 0;
150 padding: 0;
153 #corrections li
155 margin: 0.5em 0.25em;
158 #corrections .correction
160 text-decoration: underline;
163 @page
165 margin: 0.25em;
168 @media screen
170 body
172 width: 80%;
173 max-width: 40em;
174 margin: 120px auto;
179 margin: 0.5em auto;
182 #tnote
184 width: 26em;
187 #tnote-bottom
189 width: 28em;
192 .page-break
194 margin-top: 8em;
198 @media print, handheld
202 margin: 0;
205 #tnote,
206 #tnote-bottom
208 background-color: white;
209 border: none;
210 width: 100%;
211 max-width: 100%;
214 #tnote p,
215 #tnote-bottom p
217 margin: 0.25em 0;
220 #tnote .screen,
221 .pagenum
223 display: none;
228 border: none;
231 a:link,
232 a:visited
234 color: black;
237 #tnote,
238 #tnote-bottom,
240 .page-break
242 page-break-before: always;
245 h2.no-page-break
247 page-break-before: avoid;
250 #tnote-bottom
252 page-break-after: always;
256 @media handheld
258 body
260 margin: 0;
261 padding: 0;
262 width: 95%;
265 .gesperrt
267 letter-spacing: 0;
268 margin-right: 0;
271 em.gesperrt
273 font-style: italic;
277 </style>
278 <!--[if lt IE 8]>
279 <style type="text/css">
280 a[title].pagenum
282 position: static;
284 </style>
285 <![endif]-->
286 </head>
287 <body>
290 <pre>
292 The Project Gutenberg EBook of Die Stadt ohne Juden, by Hugo Bettauer
294 This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
295 almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
296 re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
297 with this eBook or online at www.gutenberg.org
300 Title: Die Stadt ohne Juden
301 Ein Roman von übermorgen
303 Author: Hugo Bettauer
305 Illustrator: Martha von Wagner-Schidrowitz
307 Release Date: March 13, 2011 [EBook #35569]
309 Language: German
311 Character set encoding: UTF-8
313 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE STADT OHNE JUDEN ***
318 Produced by Jana Srna, Norbert H. Langkau and the Online
319 Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. Cover
320 image cleaned up by Sharon Joiner
327 </pre>
331 <div id="tnote">
332 <p class="center"><b>Anmerkungen zur Transkription:</b></p>
333 <p>Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden
334 übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler wurden
335 korrigiert. <span class="screen">Änderungen sind im Text <ins title="so wie hier">gekennzeichnet</ins>,
336 der Originaltext erscheint beim Ãœberfahren mit der Maus.</span> Eine
337 <a href="#tn-bottom">Liste der vorgenommenen Änderungen</a> findet sich
338 am Ende des Textes.</p>
339 </div>
341 <div class="figcenter page-break" style="width: 436px;">
342 <img id="coverpage" src="images/cover.jpg" width="436" height="600" alt="Buchumschlag"/>
343 </div>
345 <h1>Die<br/>
346 Stadt ohne Juden</h1>
348 <p class="center" style="font-size: large;">Ein Roman von übermorgen</p>
350 <p class="center" style="margin-top: 1.5em; line-height: 1.5em;">Von<br/>
351 <big>Hugo Bettauer</big></p>
353 <div class="figcenter" style="width: 172px; margin: 3em auto 1em auto;">
354 <img src="images/logo.png" width="172" height="100" alt=""/>
355 </div>
357 <p class="center">Gloriette-Verlag, Wien</p>
359 <p class="center page-break">Alle Rechte vorbehalten</p>
361 <p class="center antiqua">Copyright by Gloriette-Verlag, Vienna 1922</p>
363 <p class="center" style="margin: 4em auto;">Umschlag-Entwurf von Martha v. Wagner-Schidrowitz</p>
365 <p class="center">Dritte Auflage. 11.&ndash;15. Tausend</p>
367 <div class="figcenter page-break" style="width: 500px;"><a class="pagenum" name="Page_3" title="3"> </a>
368 <img src="images/deco1.png" width="500" height="44" alt=""/>
369 </div>
370 <h2 class="no-page-break">Erster Teil.</h2>
372 <p class="drop-cap">Von der Universität bis zur Bellaria umlagerte das
373 schöne, ruhige und vornehme Parlamentsgebäude
374 eine einzige Menschenmauer. Ganz Wien schien
375 sich an diesem Junitag um die zehnte Vormittagsstunde
376 versammelt zu haben, um dort zu sein, wo sich ein
377 historisches Ereignis von unabsehbarer Tragweite abspielen
378 sollte. Bürger und Arbeiter, Damen und Frauen aus dem
379 Volke, halbwüchsige Burschen und Greise, junge Mädchen,
380 kleine Kinder, Kranke in Rollwagen, alles quoll durcheinander,
381 schrie, politisierte und schwitzte. Und immer wieder
382 fand sich ein Begeisterter, der plötzlich an den Kreis um
383 ihn herum eine Ansprache hielt und immer wieder brauste
384 der Ruf auf:</p>
386 <p>»Hinaus mit den Juden!«</p>
388 <p>Sonst pflegten bei ähnlichen Demonstrationen hier
389 und dort Leute mit gebogener Nase oder besonders
390 schwarzem Haar weidlich verprügelt zu werden; diesmal
391 kam es zu keinem solchen Zwischenfall, denn Jüdisches war
392 weit und breit nicht zu sehen, und zudem hatten die Kaffeehäuser
393 und Bankgeschäfte am Franzens- und Schottenring,
394 in weiser Erkenntnis aller Möglichkeiten, ihre Pforten geschlossen
395 und die Rollbalken herabgezogen.</p>
397 <p><a class="pagenum" name="Page_4" title="4"> </a>Plötzlich zerriß ein einziges Aufbrüllen die Luft.</p>
399 <p>»Hoch Doktor Karl Schwertfeger, hoch, hoch, hoch! Hoch
400 der Befreier Oesterreichs!«</p>
402 <p>Ein offenes Auto fuhr langsam mitten durch die
403 Menschenmassen hindurch, die zurückdrängten und Bahn
404 machten. Im Auto saß ein großer älterer Herr, dessen
405 mächtiger Schädel mit willkürlichen Büscheln weißer Haare
406 bedeckt war.</p>
408 <p>Er nahm den grauen, weichen Schlapphut ab, nickte
409 der jubelnden Menschenmenge zu und verzerrte das Gesicht
410 zu einem Lächeln. Aber es war ein saures Lächeln, das von
411 den zwei Falten, die von den Mundwinkeln abwärts liefen,
412 gewissermaßen dementiert wurde. Und die tiefliegenden
413 grauen Augen blickten eher finster als vergnügt drein.</p>
415 <p>Lachende Mädchen drängten sich vor, schwangen sich
416 auf das Trittbrett, die eine warf dem Gefeierten Blumen
417 zu, eine andere war noch dreister, schlang ihren Arm um
418 seinen Hals und küßte den Doktor Schwertfeger auf die
419 Wange. Als ob der Chauffeur ahnte, wie seinem Herrn bei
420 solchen Gefühlsausbrüchen zumute wurde, ließ er das Auto
421 vorwärts springen, so daß die Mädchen mit jähem Ruck
422 nach rückwärts fielen. Sie taten sich dabei nicht wehe, denn
423 die Menschenmauer fing sie auf.</p>
425 <p>Im Parlamentsgebäude herrschte nicht die laute Begeisterung
426 der Straße, sondern fieberhafte Erregung, zu
427 stark, um Ausdruck nach außen zu finden. Die Abgeordneten,
428 die sich bis zum letzten Mann eingefunden hatten, die Minister,
429 die Saaldiener gingen schweigend und unruhig umher,
430 sogar die überfüllten Galerien verhielten sich lautlos.</p>
432 <p><a class="pagenum" name="Page_5" title="5"> </a>In der Journalistenloge, in der es sonst am ungeniertesten
433 zuzugehen pflegte, wurde nur im Flüsterton gesprochen.
434 Und eine bemerkenswerte räumliche Spaltung
435 hatte sich eingestellt. Die kompakte jüdische Majorität der
436 Berichterstatter drängte ihre Stühle zusammen, die Referenten
437 der christlichsozialen und deutschnationalen Blätter
438 bildeten ihrerseits eine Gruppe. Sonst mischten sich die
439 jüdischen und christlichen Journalisten fröhlich durcheinander,
440 im Berufskreis war man nicht Parteigänger, sondern
441 nur der Herr Kollege, und da die jüdischen Journalisten
442 gewöhnlich mehr Neuigkeiten wußten und sie besser verwerten
443 konnten, standen die antisemitischen zu ihnen in
444 einem starken Abhängigkeitsverhältnis. Heute aber flogen
445 hämische Blicke von der christlichen Ecke in die jüdische, und
446 als der kleine Karpeles von der »Weltpost«, der eben erst
447 eingetreten war, den Doktor Wiesel von der »Wehr« mit
448 »Servus Herr Kollege!« begrüßte, wandte ihm dieser
449 ohne Erwiderung den Rücken.</p>
451 <p>Es drängten immer noch Journalisten herein, darunter
452 Vertreter ausländischer Zeitungen, die heute in Wien angekommen
453 waren.</p>
455 <p>»Nicht rühren kann man sich«, brummte der Herglotz
456 vom christlichen »Tag«, worauf ihm ein Kollege mit kleinem,
457 bärtigem Kopf und mächtigem Bierbauch erwiderte:</p>
459 <p>»Na, ein paar Tage noch und wir werden hier Platz
460 genug haben!«</p>
462 <p>Hüsteln, Lächeln, Lachen auf der einen Seite, gegenseitige
463 bedeutungsvolle Blicke auf der anderen.</p>
465 <p><a class="pagenum" name="Page_6" title="6"> </a>Ein junger blonder Herr mit roten Backen machte nach
466 links und rechts eine leichte Verbeugung.</p>
468 <p>»Holborn vom »London Telegraph«! Bin eben vor
469 einer Stunde angekommen und kenne mich wahrhaftig nicht
470 aus. Vorgestern kam ich aus Sidney nach halbjähriger Abwesenheit
471 in London an, eine Stunde später saß ich wieder
472 im Zug, um nach Wien zu fahren. Unser Managing-Editor,
473 das Kamel, hat mir nichts gesagt, als: In Wien wird es
474 jetzt lustig, da schmeißen sie die Juden hinaus! Fahren
475 Sie hin und berichten Sie, daß das Kabel reißt! Also bitte,
476 wäre sehr nett von Ihnen, wenn Sie mich rasch instruieren
477 wollten.«</p>
479 <p>Das alles war in so drolligem Englisch-deutsch herausgekommen,
480 daß sich die Spannung ein wenig löste. Minkus
481 vom »Tagesboten« bemächtigte sich, heftig gestikulierend,
482 des englischen Kollegen und begann mit den Worten:</p>
484 <p>»Also, ich werde Ihnen alles genau erklären&nbsp;&ndash;.« Aber
485 Doktor Wiesel ließ ihn nicht weitersprechen. »Sie verzeihen,
486 aber diese Aufklärung wird besser von <em class="gesperrt">uns</em> ausgehen.«</p>
488 <p>Tonfall drohend, das »uns« bedeutungsvoll unterstrichen.</p>
490 <p>Und schon befand sich Holborn in der christlichen Ecke,
491 wo Wiesel kurz und sachlich erklärte:</p>
493 <p>»Was geschehen soll, werden Sie sofort aus dem Munde
494 unseres Bundeskanzlers Dr. Karl Schwertfeger erfahren,
495 der das Gesetz zur Ausweisung aller Nichtarier aus Oesterreich
496 eingehend begründen wird. Die Vorgeschichte ist, kurz
497 gesagt, folgende: Als die österreichische Krone auf den Wert
498 <a class="pagenum" name="Page_7" title="7"> </a>
499 eines fünfzigstel Centimes herabgesunken war, begann das
500 Chaos einzutreten. Ein Ministerium nach dem anderen
501 mußte gehen, es entstanden Unruhen, täglich kam es zu
502 Plünderungen der Geschäfte, zu Pogroms, die Wut und
503 Verzweiflung der Bevölkerung kannte keine Grenzen mehr
504 und schließlich mußte zu Neuwahlen geschritten werden.
505 Die Sozialdemokraten traten ohne neues Programm in
506 den Wahlkampf, die Christlichsozialen hingegen scharten
507 sich um ihren geistvollen Führer Dr. Karl Schwertfeger,
508 dessen Losungswort lautete: Hinaus mit den Juden aus
509 Oesterreich! Nun, vielleicht ist es Ihnen bekannt,« &ndash;
510 Holborn nickte, obwohl er keine Ahnung hatte &ndash; »daß
511 die Wahlen den völligen Zusammenbruch der Sozialdemokraten,
512 Kommunisten und Liberalen brachten. Selbst die
513 Arbeitermassen wählten unter der Parole »Hinaus mit den
514 Juden!«, und die sozialistische Partei, vordem relativ die
515 stärkste, konnte knapp elf Mandate retten. Die Großdeutschen
516 aber, die gut abschnitten, hatten sich ebenfalls auf das
517 »Hinaus mit den Juden!« eingestellt.</p>
519 <p>Nun, der Genialität des Doktor Schwertfeger, seiner
520 unerschrockenen Energie, seiner kühnen Impetuosität und
521 Beredsamkeit gelang es, dem Völkerbund, der vor die
522 Alternative Anschluß Oesterreichs an Deutschland oder
523 Gewährenlassen gestellt war, die Zustimmung zur großen
524 Judenausweisung abzuringen. Und jetzt wird Schwertfeger
525 selbst das Gesetz einbringen, das sicher angenommen
526 werden wird. Sie sind also Zeuge eines historischen&nbsp;&ndash;.«</p>
528 <p>»Pst!«-Rufe wurden laut. Wiesel konnte nicht weiterreden,
529 denn der Präsident des Hauses, ein Tiroler mit
530 <a class="pagenum" name="Page_8" title="8"> </a>
531 rötlichem Vollbart, schwang die Glocke und erteilte dem
532 Bundeskanzler das Wort.</p>
534 <p>Grabesstille, in die das Surren der Ventilatoren
535 unheimlich klang. Das leiseste Räuspern, das Rascheln
536 der Papiere in der Journalistenloge wurde gehört und
537 empfunden.</p>
539 <p>Uebergroß, trotz des vorgebeugten Schädels und gewölbten
540 Rückens, stand der Bundeskanzler auf der Rednertribüne,
541 die Hände, zu Fäusten geballt, stützten sich auf das
542 Pult, unter den grauen, buschigen Brauen glitzerten die
543 scharfen Augen über den Saal hinweg. So stand er bewegungslos,
544 bis er plötzlich den Schädel ins Genick warf
545 und mit seiner mächtigen Stimme, die sich in den turbulentesten
546 Versammlungen immer hatte Gehör erzwingen
547 können, begann.</p>
549 <p>»Verehrte Damen und Herren! Ich lege Ihnen jenes
550 Gesetz und jene Aenderungen unserer Bundesverfassung
551 vor, die gemeinsam nichts weniger bezwecken, als die
552 Ausweisung der nichtarischen, deutlicher gesagt, der jüdischen
553 Bevölkerung aus Oesterreich. Bevor ich das tue,
554 möchte ich aber einige rein persönliche Bemerkungen
555 machen.</p>
557 <p>Seit fünf Jahren bin ich der Führer der christlichsozialen
558 Partei, seit einem Jahr durch den Willen der
559 überwiegenden Mehrheit dieses Hauses Bundeskanzler.
560 Und durch diese fünf Jahre hindurch haben mich die sogenannten
561 liberalen Blätter wie die sozialdemokratischen,
562 mit einem Wort alle von Juden geschriebenen Zeitungen,
563 als eine Art Popanz dargestellt, als einen wütenden
564 <a class="pagenum" name="Page_9" title="9"> </a>
565 Judenfeind, als einen fanatischen Hasser des Judentums
566 und der Juden. Nun, gerade heute, wo die Macht dieser
567 Presse ihrem unwiderruflichen Ende entgegengeht, drängt
568 es mich, zu erklären, daß das alles nicht so ist. Ja, ich
569 habe den Mut, heute von dieser Tribüne aus zu sagen,
570 daß ich viel eher Judenfreund als Judenfeind bin!«</p>
572 <p>Ein Murmeln und Surren ging durch den Saal, als
573 flöge eine Schar Vögel aus dem Felde auf.</p>
575 <p>»Ja, meine Damen und Herren, ich bin ein Schätzer
576 der Juden, ich habe, als ich noch nicht den heißen Boden
577 der Politik betreten, jüdische Freunde gehabt, ich saß einst
578 in den Hörsälen unserer <span class="antiqua" lang="la" xml:lang="la">Alma mater</span> zu Füßen jüdischer
579 Lehrer, die ich verehrte und noch immer verehre, ich bin
580 jederzeit bereit, die autochthonen jüdischen Tugenden, ihre
581 außerordentliche Intelligenz, ihr Streben nach aufwärts,
582 ihren vorbildlichen Familiensinn, ihre Internationalität,
583 ihre Fähigkeit, sich jedem Milieu anzupassen, anzuerkennen,
584 ja zu bewundern!«</p>
586 <p>»Hört! Hört!«-Rufe wurden laut, sensationelle Spannung
587 bemächtigte sich der Abgeordneten und des Auditoriums,
588 und der englische Journalist Holborn, der nicht
589 alles verstanden hatte, fragte interessiert den Doktor
590 Wiesel, ob der Mann da unten der Vertreter der Judenschaft
591 sei.</p>
593 <p>Der Kanzler fuhr fort.</p>
595 <p>»Trotzdem, ja gerade deshalb wuchs im Laufe der
596 Jahre in mir immer mehr und stärker die Ueberzeugung,
597 daß wir Nichtjuden nicht länger mit, unter und neben
598 den Juden leben können, daß es entweder Biegen oder
599 <a class="pagenum" name="Page_10" title="10"> </a>
600 Brechen heißt, daß wir entweder uns, unsere christliche
601 Art, unser Wesen und Sein oder aber die Juden aufgeben
602 müssen. Verehrtes Haus! Die Sache ist einfach die,
603 daß wir österreichische Arier den Juden nicht gewachsen
604 sind, daß wir von einer kleinen Minderheit beherrscht,
605 unterdrückt, vergewaltigt werden, weil eben diese Minderheit
606 Eigenschaften besitzt, die uns fehlen! Die Romanen,
607 die Angelsachsen, der Yankee, ja sogar der Norddeutsche
608 wie der Schwabe &ndash; sie alle können die Juden verdauen,
609 weil sie an Agilität, Zähigkeit, Geschäftssinn und Energie
610 den Juden gleichen, oft sie sogar übertreffen. Wir aber
611 können sie nicht verdauen, uns bleiben sie Fremdkörper,
612 die unsern Leib überwuchern und uns schließlich versklaven.
613 Unser Volk kommt zum überwiegenden Teil aus
614 den Bergen, unser Volk ist ein naives, treuherziges Volk,
615 verträumt, verspielt, unfruchtbaren Idealen nachhängend,
616 der Musik und stiller Naturbetrachtung ergeben, fromm
617 und bieder, gut und sinnig! Das sind schöne, wunderbare
618 Eigenschaften, aus denen eine herrliche Kultur, eine
619 wunderbare Lebensform sprießen kann, wenn man sie
620 gewähren und sich entwickeln läßt. Aber die Juden unter
621 uns duldeten diese stille Entwicklung nicht. Mit ihrer
622 unheimlichen Verstandesschärfe, ihrem von Tradition losgelösten
623 Weltsinn, ihrer katzenartigen Geschmeidigkeit,
624 ihrer blitzschnellen Auffassung, ihren durch jahrtausendelange
625 Unterdrückung geschärften Fähigkeiten haben sie
626 uns überwältigt, sind unsere Herren geworden, haben das
627 ganze wirtschaftliche, geistige und kulturelle Leben unter
628 ihre Macht bekommen.«</p>
630 <p><a class="pagenum" name="Page_11" title="11"> </a>Brausende »Bravo!«-Rufe; »Sehr richtig!« »So
631 ist es!«</p>
633 <p>Doktor Schwertfeger führte mit der knochigen Rechten
634 das Glas zu den dünnen Lippen und sein halb spöttischer,
635 halb befriedigter Blick kreiste im Saal.</p>
637 <p>»Sehen wir dieses kleine Oesterreich von heute an.
638 Wer hat die Presse und damit die öffentliche Meinung in
639 der Hand? Der Jude! Wer hat seit dem unheilvollen
640 Jahre 1914 Milliarden auf Milliarden gehäuft? Der
641 Jude! Wer kontrolliert den ungeheuren Banknotenumlauf,
642 sitzt an den leitenden Stellen in den Großbanken, wer
643 steht an der Spitze fast sämtlicher Industrieen? Der Jude!
644 Wer besitzt unsere Theater? Der Jude! Wer schreibt die
645 Stücke, die aufgeführt werden? Der Jude! Wer fährt im
646 Automobil, wer praßt in den Nachtlokalen, wer füllt die
647 Kaffeehäuser, wer die vornehmen Restaurants, wer behängt
648 sich und seine Frau mit Juwelen und Perlen?
649 Der Jude!</p>
651 <p>Verehrte Anwesende! Ich habe gesagt, daß ich den
652 Juden, an sich und objektiv betrachtet, für ein wertvolles
653 Individuum halte und ich bleibe dabei. Aber ist nicht auch
654 der Rosenkäfer mit seinen schimmernden Flügeln ein an
655 sich schönes, wertvolles Geschöpf und wird er von dem
656 sorgsamen Gärtner nicht trotzdem vertilgt, weil ihm die
657 Rose näher steht als der Käfer? Ist nicht der Tiger ein
658 herrliches Tier, voll von Kraft, Mut und Intelligenz?
659 Und wird er nicht doch gejagt und verfolgt, weil es der
660 Kampf um das eigene Leben erfordert? Von diesem und
661 nur von diesem Standpunkt kann bei uns die Judenfrage
662 <a class="pagenum" name="Page_12" title="12"> </a>
663 betrachtet werden. Entweder wir oder die Juden! Entweder
664 wir, die wir neun Zehntel der Bevölkerung ausmachen,
665 müssen zugrunde gehen oder die Juden müssen
666 verschwinden! Und da wir jetzt endlich die Macht in den
667 Händen haben, wären wir Toren, nein, Verbrecher an
668 uns und unseren Kindern, wenn wir von dieser Macht
669 nicht Gebrauch machen und die kleine Minderheit, die
670 uns vernichtet, nicht vertreiben wollten. Hier handelt es
671 sich nicht um Schlagworte und Phrasen, wie Menschlichkeit,
672 Gerechtigkeit, Toleranz, sondern um unsere Existenz, unser
673 Leben, das Leben der kommenden Generationen! Die
674 letzten Jahre haben unser Elend vertausendfacht, wir
675 stehen mitten im vollen Staatsbankrott, wir gehen der
676 Auflösung entgegen, ein paar Jahre noch und unsere
677 Nachbarn werden unter dem Vorwand, bei uns Ordnung
678 schaffen zu müssen, über uns herfallen und unser kleines
679 Land auf Stücke zerreißen &ndash; unberührt von allen Geschehnissen
680 aber werden die Juden blühen, gedeihen, die
681 Situation beherrschen und, da sie ja nie Deutsche im
682 Herzen und im Blut waren, unter den geänderten Verhältnissen
683 Herren bleiben, wenn wir Sklaven sind!«</p>
685 <p>Das ganze Haus geriet jetzt in furchtbare Aufregung.
686 Wilde Rufe wurden ausgestoßen. »Das darf nicht sein!
687 Retten wir uns und unsere Kinder!« Und als Echo klang
688 es von der Straße her aus zehntausend Kehlen: »Hinaus
689 mit den Juden!«</p>
691 <p>Doktor Schwertfeger ließ die Erregung auslaufen,
692 nahm von den Ministerkollegen Händedrücke entgegen
693 und sprach dann über die Durchführung des Gesetzes.
694 <a class="pagenum" name="Page_13" title="13"> </a>
695 Gemäß den Forderungen der Menschlichkeit und den Bedingungen
696 des Völkerbundes würde mit größter Milde
697 und Gerechtigkeit vorgegangen werden. Jeder habe das
698 Recht, sein Vermögen mitzunehmen, soweit es aus Bargeld
699 und Wertpapieren oder Juwelen bestehe, Immobilien
700 zu veräußern, sein Geschäft freihändig zu verkaufen.
701 Unternehmungen, die nicht veräußerlich seien, würden
702 vom Staat übernommen werden, und zwar derart, daß
703 nach dem Steuerbekenntnis des letzten Jahres der Reinertrag
704 fünfprozentig kapitalisiert werden würde. Hätte
705 also zum Beispiel ein Unternehmen im vergangenen Jahr
706 eine halbe Million Reinertrag aufgewiesen, so würde es
707 mit zehn Millionen abgelöst werden. Ein boshaftes Lächeln
708 kräuselte die Lippen des Kanzlers.</p>
710 <p>»Natürlich sind sowohl bei diesen Ablösungen als
711 auch bei der Erlaubnis zur Mitnahme von Bargeld lediglich
712 die Steuerbekenntnisse maßgebend. Hat sich jemand als
713 Vermögensloser bekannt, so darf er kein Geld ausführen,
714 besitzt er trotzdem Vermögen, so wird dieses natürlich konfisziert.
715 Hat jemand den Reinertrag seines Geschäftes mit
716 einer halben Million beziffert, so darf er zehn Millionen
717 mitnehmen, auch wenn sich herausstellen sollte, daß sein
718 wirkliches Einkommen zehnmal so groß war. Auf diese
719 Art wird sich manche Sünde bitter rächen&nbsp;&ndash;«, bemerkte
720 der Redner unter schallender Heiterkeit der Anwesenden.
721 Er fuhr dann fort:</p>
723 <p>»Festbesoldete und geistige Arbeiter, die tatsächlich
724 vermögenslos sind, wie zum Beispiel Aerzte, erhalten vom
725 Staat den Betrag zur Fortreise, den sie als Jahreseinkommen
726 <a class="pagenum" name="Page_14" title="14"> </a>
727 versteuert hatten. Gab also ein Arzt sein Einkommen
728 mit dreihunderttausend an, so erhält er diese
729 Summe. Um jede anderweitige Steuerflucht zu verhüten,
730 enthält das Gesetz die drakonische Bestimmung, daß der
731 Versuch, größere als erlaubte Summen fortzuschleppen,
732 mit dem Tode zu bestrafen sei. Ebenso ist die Todesstrafe
733 über die Juden oder Judenstämmlinge verhängt, die den
734 Versuch machen, sich auch weiterhin heimlich in Oesterreich
735 aufzuhalten.</p>
737 <p>Das Gesetz soll in folgender Weise durchgeführt
738 werden:</p>
740 <p>»Nichtprotokollierte Kaufleute, Händler und sogenannte
741 Agenten müssen innerhalb dreier Monate nach Annahme
742 des Gesetzes die Grenzen verlassen, protokollierte
743 Firmeninhaber, Angestellte, Beamte und manuelle Arbeiter
744 innerhalb von vier Monaten, Künstler, Gelehrte, Aerzte,
745 Rechtsanwälte und so weiter innerhalb von fünf Monaten.
746 Direktoren von Aktienunternehmungen, Banken und Industrien,
747 die im letzten Jahre ein Einkommen von mehr
748 als sechs Millionen versteuert haben, ist eine Frist von
749 einem halben Jahr <ins title="gegeben.">gegeben.«</ins></p>
751 <p>Und nun komme ich zu einem wichtigen Punkt, dem ich
752 die volle Aufmerksamkeit zu schenken bitte. Wie Sie wissen,
753 bezieht sich das Ausweisungsgesetz nicht nur auf Juden
754 und getaufte Juden, sondern auch auf Judenstämmlinge.
755 Als Judenstämmling gelten die Kinder aus Mischehen.
756 Hat also zum Beispiel eine Christin rein deutscharischer
757 Abstammung einen Juden geheiratet, so trifft die Ausweisung
758 ihn und die Kinder aus dieser Ehe, während es
759 <a class="pagenum" name="Page_15" title="15"> </a>
760 der Frau unbenommen bleibt, in Oesterreich zu verweilen.
761 Nach reiflicher Ueberlegung hat die Regierung beschlossen,
762 die Kindeskinder aus Mischehen nicht mehr als Judenstämmlinge,
763 sondern als Arier zu betrachten. Hat also ein
764 Christ eine Jüdin geheiratet, so werden wohl die Kinder
765 ausgewiesen, die Kindeskinder aber, vorausgesetzt, daß die
766 Eltern sich nicht wieder mit Juden gemischt haben, können
767 im Lande bleiben. Dies ist aber auch die absolut einzige
768 Konzession, die das Gesetz macht. Andere Ausnahmen sind
769 nicht zulässig. Von vielen Seiten wurde uns nahegelegt,
770 gewisse Ausnahmen gelten zu lassen. So sollte das Gesetz
771 Leute über ein gewisses Alter hinaus, Kranke, Schwächliche
772 und solche Juden, die besondere Verdienste um den
773 Staat haben, nicht treffen.</p>
775 <p>Meine Damen und Herren! Hätte ich diesen Ratgebern
776 nachgegeben, so würde das ganze Gesetz zur Posse
777 geworden sein. Das jüdische Geld, jüdischer Einfluß hätten
778 Tag und Nacht gearbeitet, zehntausende von Ausnahmsfällen
779 würden konstruiert werden und in fünfzig Jahren
780 wären wir genau so weit wie heute. Nein, es gibt keine
781 Ausnahme, es gibt keine Protektion, es gibt kein Mitleid
782 und kein Augenzudrücken! Für Hinfällige und Kranke
783 wird die Regierung prachtvolle Spitalzüge zur Verfügung
784 stellen, und nur solche Juden, die nach gerichtsärztlichem
785 Gutachten absolut nicht transportfähig sind, werden hier
786 ihre Genesung oder ihren Tod abwarten dürfen.«</p>
788 <p>Doktor Schwertfeger verbeugte sich leicht und ließ
789 sich schwerfällig auf seinem Sitz nieder. Die Wirkung
790 seiner letzten Eröffnung war aber ganz eigenartig gewesen.
791 <a class="pagenum" name="Page_16" title="16"> </a>
792 Nur vereinzelte Bravo-Rufe waren laut geworden,
793 eine gewisse Beklommenheit machte sich fast körperlich
794 fühlbar, auf vielen Gesichtern malte sich deutlich Schrecken
795 und Angst, auf der Galerie entstand Unruhe, eine Frau fiel
796 mit dem Ruf: »Meine Kinder!« ohnmächtig zusammen,
797 und als der Kanzler geendet, erdröhnte zwar starker Beifall,
798 aber die kleine Gruppe der Sozialdemokraten schrie
799 unisono »Unerhört! Pfui! Skandal!«</p>
801 <p>Und nun erteilte der Präsident mit dem roten Bart
802 dem Finanzminister Professor Trumm das Wort. Trumm
803 war klein, verhuzelt wie eine halbgedörrte Pflaume, er
804 sprach im Diskant und mußte sich jedesmal unterbrechen,
805 wenn seine Zunge zwischen dem Gaumen und dem oberen
806 Rand des falschen Gebisses stecken blieb. Unter großer
807 Spannung erörterte er die finanzielle Seite des Ausweisungsgesetzes.
808 Natürlich würde die Ablösung der jüdischen
809 Geschäfte und Immobilien nicht nur das christliche
810 Privatkapital, sondern auch die Mittel des Staates stark
811 in Anspruch nehmen. Hunderte von Milliarden Kronen
812 würden kaum ausreichen, und man dürfe sich nicht verhehlen,
813 daß die Ausweisung der Juden zunächst allerlei
814 finanzielle Schwierigkeiten im Gefolge haben werde.</p>
816 <p>»Aber, gottlob,« &ndash; der Finanzminister bekreuzigte sich
817 &ndash; »wir werden in den kommenden schweren Tagen nicht
818 allein stehen! Ich kann dem hohen Hause die erfreuliche
819 Mitteilung machen, daß sich das echte wahre Christentum
820 der ganzen Welt gesammelt hat, um uns zu helfen. Nicht
821 nur, daß die österreichische Regierung seit Monaten internationale
822 Verhandlungen führt, auch der Piusverein hat
823 <a class="pagenum" name="Page_17" title="17"> </a>
824 in aller Stille eine mächtige Agitation entfaltet, die glänzende
825 Früchte trägt. Der Verband des erwachten Christentums
826 der skandinavischen Länder, dem viele große Bankiers
827 und Kaufleute angehören, stellt uns einen gewaltigen
828 Kredit in dänischer, schwedischer und norwegischer Valuta
829 zur Verfügung, der amerikanische Industriekönig Jonathan
830 Huxtable, einer der reichsten Männer der Welt und ein
831 begeisterter Streiter in Christo, hat sich bereit erklärt,
832 zwanzig Millionen Dollars in Oesterreich anzulegen, der
833 französische Christenbund macht hundert Millionen Francs
834 mobil &ndash; kurzum, es werden Milliarden Kronen ins Ausland
835 wandern müssen und dafür Milliarden in Gold einströmen!«</p>
837 <p>Riesige Begeisterung im ganzen Hause. Einige Dutzend
838 Abgeordnete verließen fluchtartig den Sitzungssaal und
839 stürmten die Telephone, um ihren Banken Verkaufsorders
840 für fremde Valuten zu geben. Die Hauszentrale konnte
841 das stürmische Begehren nach Verbindungen mit »Karpeles
842 &amp; Co.«, »Veilchenfeld &amp; Sohn«, »Rosenstrauch &amp; Butterfaß«,
843 »Kohn, Cohn &amp; Kohen« und wie alle die großen
844 Bankhäuser hießen, kaum bewältigen. Während aber der
845 Finanzminister, der eine volle Minute gebraucht hatte, um
846 seine eingeklemmte Zunge zu befreien, fortfuhr, erzählte
847 der Engländer Holborn in der Journalistenloge grinsend:</p>
849 <p>»Jonathan Huxtable ist ein frommer Kerl! Er spuckt
850 Gift und Galle gegen die Juden, seitdem ihm seine Frau
851 mit einem jüdischen Preisboxer durchgegangen ist. Er ist
852 ein strenger Temperenzler, aber er besauft sich jeden Tag
853 mit Magentropfen, die er aus der Apotheke bezieht. Einmal
854 <a class="pagenum" name="Page_18" title="18"> </a>
855 hat man gesehen, wie er eine ganze Flasche Eau de
856 Cologne auf einen Zug austrank. Und wenn er hier
857 zwanzig Millionen investieren wird, will er sicher fünfzig
858 daran verdienen.«</p>
860 <p>Doktor Wiesel schnitt ein abweisendes Gesicht, während
861 die jüdischen Journalisten sich rasch Notizen machten, um
862 letzte Bosheiten zu publizieren.</p>
864 <p>Die Pro- und Kontra-Redner meldeten sich zum Wort.
865 Die Sozialdemokraten sprachen gegen das Gesetz. Als aber
866 ihr Führer Weitherz in ruhigen und sachlichen Worten
867 seiner Entrüstung Ausdruck gab und den Gesetzentwurf
868 als ein Dokument menschlicher Schmach bezeichnete, entstand
869 ein furchtbarer Tumult, die Galerie warf mit
870 Schlüsseln und Papierknäueln nach den Sozialdemokraten,
871 es kam zu einer Prügelei und die kleine Opposition verließ
872 unter Protest den Saal. Der christlichsoziale Abgeordnete
873 Pfarrer Zweibacher pries Doktor Schwertfeger als
874 modernen Apostel, der würdig sei, dereinst heilig gesprochen
875 zu werden, die großdeutschen Abgeordneten Wondratschek
876 und Jiratschek aber beleuchteten das Gesetz lediglich
877 vom Rassenstandpunkt, und Jiratschek, der stark mit
878 böhmischem Akzent sprach, schluchzte vor Ergriffenheit und
879 schloß mit den Worten:</p>
881 <p>»Wotan weilt unter uns!«</p>
883 <p>Als letzter Redner ergriff unter Hepp! Hepp!-Rufen
884 und höhnischem Aih-Wai!-Geschrei der einzige zionistische
885 Abgeordnete, Ingenieur Minkus Wassertrilling, das
886 Wort. Der schlanke, große und hübsche junge Mann wartete
887 <a class="pagenum" name="Page_19" title="19"> </a>
888 mit verschränkten Armen ab, bis Ruhe eintrat, dann
889 sagte er:</p>
891 <p>»Verehrte Jünger jenes Juden, der sich, um die
892 Menschheit zu erlösen, törichterweise ans Kreuz hatte
893 schlagen lassen!«</p>
895 <p>Stürmische Unterbrechung: »Hinaus mit den Juden!«</p>
897 <p>»Jawohl, meine Herren, ich stimme mit Ihnen in den
898 Ruf: »Hinaus mit den Juden!« ein und werde mit freudigem
899 Herzen dem Gesetz meine Stimme geben. Wir Zionisten
900 begrüßen dieses Gesetz, das ganz unseren Zielen
901 und Tendenzen entspricht. Von der halben Million Juden,
902 die das Gesetz trifft, wird sich wohl die Hälfte unter dem
903 zionistischen Banner vereinigen, die anderen werden, wie
904 ich weiß, in Frankreich und England, in Italien und Amerika,
905 in Spanien und den Balkanländern willig Aufnahme
906 finden. Mir ist um das Schicksal meines Volkes
907 nicht bange, zum Segen wird das werden, was hier gehässige
908 Bosheit und Dummheit als Fluch gedacht hat.«</p>
910 <p>Der Tumult, der sich erhob, verschlang die weiteren
911 Worte und schließlich wurde auch der Zionist aus dem
912 Saal gedrängt.</p>
914 <p>So ergab denn die Abstimmung, die namentlich erfolgte,
915 die einstimmige Annahme des Gesetzes, das noch
916 am selben Tag durch den Ausschuß und die zweite und
917 dritte Lesung gepeitscht wurde.</p>
919 <p>Als die Abgeordneten spät abends endlich das Haus
920 verlassen konnten, sahen sie ein festlich beleuchtetes Wien.
921 Von allen öffentlichen Gebäuden wehten die weiß-roten
922 Fahnen, Feuerwerke wurden abgebrannt, bis lange nach
923 <a class="pagenum" name="Page_20" title="20"> </a>
924 Mitternacht dauerten die Umzüge der Menschenmassen,
925 die immer vor das Kanzlerpalais marschierten, um Doktor
926 Schwertfeger hoch leben zu lassen und als Befreier Oesterreichs
927 zu preisen&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
929 <p class="asterisk-break">* * *</p>
931 <p>Als der Nationalrat, Gemeinderat, Armenrat und
932 Gewerberat Antonius Schneuzel am nächsten Vormittag
933 &ndash; es war ein Sonntag &ndash; infolge der endlosen Siegesfeier
934 arg verkatert am häuslichen Frühstückstisch erschien,
935 fand er eine recht unbehagliche Stimmung vor. Seine
936 Gattin hatte eine nadelspitze Nase, was auf Sturm deutete,
937 seine Tochter, Frau Corroni, saß mit verquollenen Augen
938 da, ihr Gatte, der Prokurist Alois Corroni, lächelte den
939 Schwiegervater impertinent und verächtlich an, und die
940 beiden Enkelkinder Lintschi und Hansl stießen ein furchtbares
941 Geheul aus, als Herr Schneuzel seine kleinen Aeuglein
942 verwirrt und ängstlich um den Tisch kreisen ließ.</p>
944 <p>»Ja, was is denn da los?«</p>
946 <p>Frau Schneuzel stemmte die Arme in die Seite.</p>
948 <p>»Was los is, du Fallot, du? Gar nichts is los, als
949 daß du alter Tepp geholfen hast, deine Tochter und die
950 Enkelkinder aus dem Land zu treiben!«</p>
952 <p>»Ja, wieso denn?« stammelte Herr Schneuzel, aber
953 schon dämmerte ihm grauenhafte Wahrheit. Richtig, er
954 hatte im Laufe der Jahrzehnte total vergessen, daß sein
955 Schwiegersohn, Herr Alois Corroni, in frühester Jugend
956 Sami Cohn geheißen und erst stehend und aufrecht die
957 <a class="pagenum" name="Page_21" title="21"> </a>
958 Taufe empfangen. Also mußte er ja hinaus und mit ihm
959 die beiden Kinder, die Judenstämmlinge waren!</p>
961 <p>»So eine Gemeinheit,« schluchzte Frau Corroni in ihr
962 Taschentuch hinein, »was soll ich jetzt mit den Kindern anfangen?
963 Nach Zion auswandern vielleicht, du Rabenvater,
964 du?«</p>
966 <p>»Jawohl, es ist ein starkes Stückchen,« erklärte nun
967 Herr Corroni mit scharfer Betonung jedes Wortes, »einen
968 Mann wie ich, der behaupten darf, mindestens ein ebenso
969 guter Christ zu sein als tausend andere, die den ganzen
970 Tag im Wirtshaus herumsitzen, einen Mann wie ich, dessen
971 Kinder im christlichen Glauben groß geworden sind, aus
972 dem Lande zu jagen wie einen tollen Hund!«</p>
974 <p>Herr Schneuzel wollte eine Erwiderung machen und
975 murmelte etwas von großer, heiliger Sache, Prinzipien,
976 die auf Einzelfälle keine Rücksicht nehmen können. Aber
977 schon saß die Hand der Gattin in seinen spärlichen Haaren
978 und ließ nicht locker, bevor sie sich mit einem ganzen
979 Büschel des immer rarer werdenden Gewächses zurückziehen
980 konnte.</p>
982 <p>»Viecher seids Ihr alle zusammen! Gestohlen könnts
983 Ihr mir werden mit eurem Christentum! Hat der Loisl
984 unser Annerl nicht immer gut behandelt? Hat sie nicht
985 einen Bisampelz von ihm bekommen, läßt er die Kinder
986 nicht aufwachsen wie die Prinzen? Dem lieben Gott sollst
987 du danken, daß sie einen Juden bekommen hat und nicht
988 einen Kerl, wie dich, einen Saufbruder und Skandalmacher!«</p>
990 <p><a class="pagenum" name="Page_22" title="22"> </a>»I geh' net nach Zion«, heulte Lintscherl, während
991 Hans die Gelegenheit benützte, von Großvaters Teller
992 weg den Sonntagsgugelhupf zu grapsen.</p>
994 <p>Im Moment höchster Aufregung kam die Köchin
995 Pepi herein, räumte resolut den Tisch ab und erklärte
996 seelenruhig:</p>
998 <p>»I geh'! I heirat' mein' Isidor, der was Kommis im
999 Konsumverein is, und wann er auswandern muß, wander'
1000 i mit ihm aus! Von mir aus können sich die Herrn
1001 Nationenräte mitsamt dem Kränzler alle zusammen aufhängen.«</p>
1003 <p>Nachdem sich die Aufregung gelegt, erörterte Herr
1004 Corroni sachlich die Situation.</p>
1006 <p>»Ich denke natürlich gar nicht daran, nach Palästina
1007 auszuwandern, schon deshalb nicht, weil man mich als
1008 getauften Juden gar nicht hineinließe. Nein, ich habe
1009 einen Bruder in Hamburg, den Onkel Eduard, wie Ihr
1010 wißt, und wenn er auch eben meiner Taufe halber bös
1011 mit mir ist, so wird er mich jetzt nicht im Stich lassen &ndash;
1012 Juden haben ja, gottlob, Familiensinn« &ndash; diese Worte begleitete
1013 ein stechender Blick gegen Schneuzel &ndash; »und ich
1014 werde eben dort für mich und meine Familie eine neue
1015 Zukunft aufbauen. Es sei denn, daß Annerl lieber bei
1016 euch bleiben will«.</p>
1018 <p>Worauf Frau Anna, müde und verblüht, wie man es
1019 nach fünfzehnjähriger Ehe zu sein pflegt, rosige Wangen
1020 bekam, ihre Arme zärtlich um den Hals des Alois Corroni,
1021 rekte Sami Cohn, schlang, ihn küßte wie eine Braut
1022 ihren Bräutigam und wirklich wie ein junges Mädchen
1023 <a class="pagenum" name="Page_23" title="23"> </a>
1024 aussah. Und schließlich mußte sich Herr Schneuzel völlig
1025 verstört und verzweifelt verpflichten, dem Schwiegersohn
1026 so gewissermaßen als Fundament für die neue Zukunft
1027 eine Million mit nach Hamburg zu geben.</p>
1029 <p>Nachmittags ging der National-, Gemeinde- und
1030 Armenrat Schneuzel allein zum Heurigen nach Sievering,
1031 fing dort mit einer Gesellschaft, die noch immer »Hinaus
1032 mit den Juden!« schrie, Streit an, zerbrach seine Flasche
1033 an dem Schädel des einen Schreiers und wurde furchtbar
1034 verprügelt.</p>
1036 <p class="asterisk-break">* * *</p>
1038 <p>Gespräch in einer Fensternische des Kaffee Wögerer,
1039 gegenüber der Börse, zwischen Herrn Strauß, Inhaber
1040 eines Bankhauses, und seinem Neffen, dem Mediziner
1041 Siegfried Steiner. Solche und ähnliche Gespräche fanden
1042 aber an allen Tischen statt, es wurde an diesem Tage
1043 nicht lärmend, sondern fast lautlos mit Zuhilfenahme der
1044 Hände geredet.</p>
1046 <p>Der Neffe schüttelte dem Onkel die Hand.</p>
1048 <p>»Lieber Onkel, ich danke dir dafür, daß du mich mit
1049 nach London nehmen wirst. Das ist ein großer Trost für
1050 mich, denn unter uns gesagt &ndash; Zion &ndash; ne, ist nichts für
1051 mich! Nur Juden, nicht auszudenken!«</p>
1053 <p>Der Onkel lächelte behaglich. »Zion kann mir gestohlen
1054 werden. In London werde ich mich mit meinem
1055 alten Freunde Moe Seegward, der dort eine Wechselstube
1056 in bester Lage hat, associieren.«</p>
1058 <p>Siegfried Steiner beugte sich vor und flüsterte:</p>
1060 <p><a class="pagenum" name="Page_24" title="24"> </a>»Aber sag' mir eines, Onkel, du hast doch sicher nicht
1061 der Steuerbehörde dein wirkliches Vermögen und Einkommen
1062 angegeben. Wie wirst du nun dein Geld herüberkriegen,
1063 da doch seit gestern Briefzensur eingeführt ist?«</p>
1065 <p>Der Onkel ließ die Zigarrenasche auf seine Weste
1066 fallen.</p>
1068 <p>»Chammer! Wozu hat man christliche Freunde? Ich
1069 war heute schon bei dem Fabrikanten Schuster, habe ihm,
1070 unter uns gesagt, zwanzig Millionen in Effekten und Bargeld
1071 gebracht und dafür von ihm eine Anweisung auf
1072 eine Londoner Bank bekommen. Natürlich tut es der Ganef
1073 nicht umsonst, sondern er verdient eine koschere Million
1074 dabei.«</p>
1076 <p>Der Neffe nickt befriedigt und an dreißig anderen
1077 Tischen endigten verschiedene Gespräche ebenfalls mit
1078 einem zufriedenen Nicken.</p>
1080 <p>Ein alter Hebräer mit Kaftan und Lockerln kam herein
1081 und sagte von Tisch zu Tisch sein Sprüchlein auf:
1082 »Ein Almosen für einen alten Juden, der beim Pogrom
1083 in Lemberg um Hab und Gut gekommen ist.«</p>
1085 <p>Von einem Tisch wurde er angerufen: »Na, Alter,
1086 wohin werden Sie auswandern?«</p>
1088 <p>Der Jude wackelte mit dem Kopf. »Herrleben, wenn
1089 ich aus dem brennenden Ghetto von Lemberg nach Wien
1090 gekommen bin, wer' ich auch aus Wien wieder irgendwohin
1091 kommen. Ob ich schnorr' in Wien oder in Berlin
1092 oder Paris, ist gleichgültig. Nur wer' ich dann nichts erzählen
1093 mehr vom Pogrom, sondern davon, daß man hat
1094 mich alten Juden ausgewiesen. Aber sagen Sie, Herrleben,
1095 <a class="pagenum" name="Page_25" title="25"> </a>
1096 glauben Sie, man soll noch kaufen vor Torschluß Julisüd
1097 oder is besser Siemens?«</p>
1099 <p class="asterisk-break">* * *</p>
1101 <p>In der Villa des Schriftstellers Herbert Villoner in
1102 Alt-Aussee war der Freundeskreis versammelt. Literaten
1103 von bekanntem Namen, Maler, Bildhauer, Musiker, Verleger.
1104 Sonst pflegten sie erst im Hochsommer die Sommerfrische
1105 aufzusuchen, diesmal hatten sie schon im Juni die
1106 Stadtflucht ergriffen, um von den politischen Schmutzwellen
1107 wenigstens nicht unmittelbar bespritzt zu werden.</p>
1109 <p>Es war nach dem Abendessen, man saß in Korbstühlen
1110 auf der Terrasse, blickte auf den lieblichen See, in dem sich
1111 der Mond spiegelte, der Rauch der Zigaretten kräuselte in
1112 der unbeweglichen Luft empor, jeder war in seine Gedanken
1113 versunken. Villoner unterbrach das tiefe Schweigen.</p>
1115 <p>»So ist denn kein Zweifel mehr, daß die meisten von
1116 uns zum letztenmal den Sommer in Aussee verbringen
1117 werden und daß wir wie vagabundierende Strolche den
1118 Staub von unseren Stiefeln werden schütteln und in die
1119 Fremde gehen müssen. Wie seltsam! Mein Vater, ein berühmter
1120 Kliniker, der nicht wenig zum Ruhm der Wiener
1121 medizinischen Schule beitrug, mein Großvater, schon ein
1122 erbangesessener Kaufmann vom Mariahilfer Grund und
1123 ich selbst &ndash;&nbsp;&ndash; Nun, man behauptet, daß ich in meinen
1124 Dramen und Romanen das Wiener Wesen tief erfaßt und
1125 wie kein anderer die Wiener Jugend, das süße Mädel erkannt
1126 und geschildert habe. Und nun ist das alles nichts
1127 gewesen, ich bin einfach ein fremder Jude, der hinaus
1128 <a class="pagenum" name="Page_26" title="26"> </a>
1129 muß wie irgend ein galizischer Flüchtling, den eine Spekulationswelle
1130 nach Wien verschlagen!«</p>
1132 <p>»Immerhin,« sagte der junge Lyriker Max Seider
1133 leise mit zitternder Stimme, »immerhin, Sie werden auch
1134 fern von der undankbaren Heimat sich wohl fühlen können.
1135 Berlin wird Sie mit offenen Armen aufnehmen, schon
1136 sind dort unter den Intellektuellen besondere Ehrungen
1137 für Sie geplant, und Sie sind so reif und stark, daß Sie
1138 mächtige Zweige werden treiben können, wo immer Sie
1139 sind. Aber was soll ich tun? Ich bin erst am Anfang, und
1140 ich kann nur leben und arbeiten, wenn ich durch das grüne
1141 Gelände des Wienerwaldes schlendere, wenn ich als Wegweiser
1142 die zierliche Silhouette des Kahlenberges vor mir
1143 sehe. Aus Ihnen strömt des Lebens Quelle in unerschöpflichem
1144 Maß, ich muß um jede Zeile, um jeden Vers mit
1145 mir ringen und kämpfen und das kann ich nur in Wien.«</p>
1147 <p>»Ach was,« schrie der Komponist Wallner ergrimmt,
1148 »der Teufel soll dieses Wien mit seiner vertrottelten Bevölkerung
1149 holen! Ich geh' nach Süddeutschland, miete mir
1150 ein Häuschen im Schwarzwald und werde dort mit meiner
1151 Lene herrlich leben. Was, Schatz?«</p>
1153 <p>Seine blonde junge Frau ließ es ruhig geschehen, daß
1154 der Gatte ihr Madonnenköpfchen an seine Schulter zog,
1155 aber ein boshaftes Lächeln huschte über den üppigen Mund
1156 und ihre Blicke kreuzten sich verständnisvoll mit denen des
1157 Schriftstellers Walter Haberer. Diesem schwellte Triumph
1158 die Brust. Er wußte, die Frau des Komponisten blieb hier,
1159 niemand konnte sie zwingen, mit ihrem Gatten ins Exil
1160 zu gehen, und verabredetermaßen würde sie endlich, wenn
1161 <a class="pagenum" name="Page_27" title="27"> </a>
1162 der Mann erst fort, sein werden. Sein würde aber nicht
1163 nur sie werden, sondern ganz Wien, ganz Oesterreich!
1164 Denn sie alle, hinter denen er zurückstehen mußte, sie alle,
1165 deren Theaterstücke aufgeführt wurden, während die seinen
1166 jahrelang in den Schubladen der Dramaturgen schliefen,
1167 sie alle, die gestern noch die großen Modeschriftsteller gewesen
1168 waren, sie alle, der Villoner und der Seider, der
1169 Hoff und der Thal, der Meier und der Marich, sie alle
1170 mußten fort und er blieb allein als Herrscher im Reiche
1171 der Musen!</p>
1173 <p>Frau Lene nickte ihm lächelnd zu, während der Gatte
1174 ihr liebkosend die Wangen streichelte.</p>
1176 <p>Donnernd und polternd lachte der große Schauspieler
1177 Armin Horch auf.</p>
1179 <p>»Meine Herrschaften, nun muß es heraus! Auch ich
1180 werde Oesterreich verlassen müssen! Denn ich, den die
1181 »Wehr« und andere Zeitungen immer als den Verkörperer
1182 des christlichen Schönheitsideals gepriesen haben, ich bin
1183 ein ganz gewöhnlicher Judenstämmling! Mein Vater
1184 stammte aus Brody und hieß nicht Horch, sondern Storch!«</p>
1186 <p>Schallendes Gelächter ringsumher, Galgenhumor quoll
1187 auf, Scherze, die zur Situation paßten, wurden erzählt.</p>
1189 <p>»Na und Sie, Herr Pinkus, wohin werden Sie Ihren
1190 Buchverlag transferieren?« fragte einer den dicken, kleinen
1191 Verleger mit den krummen Beinen und dem prononciert
1192 jüdischen Gesicht.</p>
1194 <p>»Ich? Ich bleibe! Ich bin doch Urchrist!«</p>
1196 <p>Und als alles lachte, sagte er behaglich schmunzelnd:</p>
1198 <p><a class="pagenum" name="Page_28" title="28"> </a>»Spaß beiseite, ich bin ein waschechter Goi! Mein
1199 Großvater Amsel Pinkus war ein Tuchhändler in Frankfurt
1200 am Main und ein braver, frommer Jude. Als er sich
1201 aber in meine Großmutter, Christine Haberle, eine kleine
1202 Sängerin aus Stuttgart, verliebte, ließ er sich, da sie
1203 anders nicht die Seine werden wollte, taufen. Nun, mein
1204 Vater heiratete wieder eine Christin und so bin ich Christ
1205 in dritter Generation, also werde ich nicht ausgewiesen,
1206 obwohl ich in Art und Aeußerem ganz entschieden ein
1207 Duplikat meines Großvaters bin.«</p>
1209 <p>»Es lebe der Urchrist Pinkus,« rief der Hausherr belustigt
1210 und alle hoben lachend die Gläser. Da klang vom
1211 See her ein Knall wie ein Peitschenhieb. Und von seltsamer
1212 Ahnung ergriffen, rief Villoner: »Wo ist Seider?«</p>
1214 <p>Aber schon brachten Leute die Leiche des jungen Lyrikers.
1215 Er hatte sich unten am See erschossen, um seine
1216 müde, empfindsame Seele nicht in der Fremde frieren
1217 lassen zu müssen.</p>
1219 <p class="asterisk-break">* * *</p>
1221 <p>Bei der Lona in der Gumpendorferstraße herrschte
1222 geradezu Panikstimmung. Acht junge Damen, eine schöner
1223 als die andere, waren schon versammelt und immer wieder
1224 mußte die dicke Wirtschafterin, Frau Kathi Schoberlechner,
1225 die Wohnungstür öffnen und ein Fräulein hereinlassen.
1226 Im Salon roch es außerordentlich kräftig nach Houbigant,
1227 Ambre, Coty, Rouge und Zigaretten, und es leuchtete und
1228 funkelte von hellblonden, rotblonden, schwefelgelben und
1229 schwarzen Haaren, Diamanten und Perlen. Alle waren in
1230 <a class="pagenum" name="Page_29" title="29"> </a>
1231 Spitzen und Seide gekleidet, nur die Lona trug einen
1232 duftigen Schlafrock, der vorn offen war, so daß ihr der
1233 schneeweiße Busen fast entquoll, und ihre nackten Füße
1234 steckten in roten Pantöffelchen.</p>
1236 <p>Die schwarze Yvonne weinte zum Herzzerbrechen, die
1237 rote Margit aber schlug auf den Tisch und schrie erbost:</p>
1239 <p>»Mir müssen demonschtrieren! Wann i' so an Nationalpülcher
1240 derwisch, kratz' i eahm die scheangleten Augen
1241 aus!«</p>
1243 <p>»A so a Gemeinheit! Was soll'n mir denn machen,
1244 wann s' die Juden hinausschmeißen?«</p>
1246 <p>Yvonne weinte noch heftiger. »Und grad jetzt, wo mir
1247 der Fredi Pollak a neuches Automobil bestellt hat.«</p>
1249 <p>»Mir gibt der Reizes, mit dem was ich seit zwei
1250 Wochen geh', fünfhundert Fetzen im Monat! Möcht' wissen,
1251 ob die Herren Christen auch so splendid sein wer'n?«</p>
1253 <p>»Ihr wißt ja eh, ich hab' den Zwitterbauch aus
1254 Mährisch-Ostrau, der mich ganz aushält und nur amal
1255 im Monat auf a Wochen nach Wien kummt!«</p>
1257 <p>Eine üppige Juno mit gelben Haaren schlug die
1258 starken, aber schönen Beine übereinander, daß man die
1259 blauseidenen Strumpfhalter sah, leerte ein Gläschen Cointreau
1260 und sagte mit klingender Altstimme:</p>
1262 <p>»Kinder, am meisten Erfahrung habe wohl ich im
1263 Leben! Und ich kann nur sagen, wenn die Juden verschwunden
1264 sind, müssen wir alle verhungern oder uns um
1265 Stellen als Klosettfrauen in Kaffeehäusern umsehen. Geld
1266 lassen tun nur die Juden, die anderen wollen alle viel
1267 Liebe und wenig Spesen! Zehn Jahre bin ich mit dem
1268 <a class="pagenum" name="Page_30" title="30"> </a>
1269 Baron Stummerl vom Auswärtigen Amt gegangen, und
1270 in diesen zehn Jahren hat er mir ein goldenes Armband,
1271 einen Pelzkragen und tausend Gulden geschenkt. Ein Glück,
1272 daß ich dabei noch den Herschmann von der Anglobank
1273 gehabt habe, sonst hätte ich am Ende noch arbeiten müssen.
1274 Seither flieg' ich nur auf die Israeliten!«</p>
1276 <p>Claire spielte nervös mit dem goldenen, diamantbesetzten
1277 Kreuz, das sie an einer Platinkette trug. »Was
1278 wohl der Karl sagen wird, wenn ich vom Doktor Baruch
1279 nichts mehr bekomm'!«</p>
1281 <p>Neue Klagen erhoben sich, Wehrufe wurden laut.
1282 Daran hatte man im Drange der Geschehnisse noch gar
1283 nicht gedacht! Was sollte mit den Freunden werden, die
1284 man liebte und aushielt, wenn die Freunde, die zahlten,
1285 nicht mehr waren?</p>
1287 <p>Da führte die Frau Kathi einen dieser Freunde herein.
1288 Pepi war das Ideal eines feschen Kerls. Tiptop vom
1289 staubgrauen Samthut über die gestrickte Krawatte hinweg
1290 bis zu den gelben Halbschuhen, über denen man sanft getönte,
1291 blaue Seidenstrümpfe sah.</p>
1293 <p>Schluchzend warf sich die reizende schwarze Yvonne
1294 in die Arme ihres Herzensfreundes. Alle begrüßten ihn
1295 stürmisch, ein Hagel von Rufen und Fragen ergoß sich
1296 über ihn. Pepi ließ sich ruhig in einen Fauteuil fallen, zog
1297 Yvonne auf seine Knie, zwickte die neben ihm sitzende
1298 Lona in die nackten Waden und sagte, nachdem er sich eine
1299 Zigarette hatte in den Mund stecken lassen:</p>
1301 <p>»Kinder, da kann man halt nichts machen, als auch
1302 auswandern!«</p>
1304 <p><a class="pagenum" name="Page_31" title="31"> </a>»Ja, woher wirst an' Auslandspaß kriegen und wer
1305 laßt dich denn hinein?«, entgegnete die kluge goldblonde
1306 Carola.</p>
1308 <p>»Sehr einfach«, lachte Pepi. »Morgen geh' ich aufs
1309 Rathaus, werde konfessionslos, übermorgen geh' ich zur
1310 israelitischen Kultusgemeinde, erkläre mich solidarisch mit
1311 dem mißhandelten Judentum und werde Israelit. Hoffentlich
1312 ohne Operation. Dann heiraten wir, bekommen unser
1313 Ablösegeld vom Staat und können nach den Bestimmungen
1314 des Völkerbundes uns anderswo ansiedeln. Wir gehen nach
1315 Paris oder nach Brüssel oder sonst wohin, wo was los ist.«</p>
1317 <p>Yvonne lachte unter Tränen. »Geh', was soll ich denn
1318 in Paris als verheiratete Frau machen?«</p>
1320 <p>»Tschapperl! Braucht ja niemand zu erfahren, daß
1321 wir verheiratet sind! Nimmst dir eine Wohnung, suchst
1322 einen Freund, der dich ordentlich aushält und ich bin so
1323 wie jetzt fürs Herz da!«</p>
1325 <p>In den nächsten Tagen wußten die liberalen Blätter
1326 zu berichten, daß hunderte von wackeren christlichen Jünglingen,
1327 empört über das den Juden angetane Unrecht,
1328 demonstrativ ihren Uebertritt zum Judentum beschlossen
1329 hätten, um das Schicksal dieses schwer geprüften Volkes zu
1330 teilen.</p>
1332 <p class="asterisk-break">* * *</p>
1334 <p><a class="pagenum" name="Page_32" title="32"> </a>Der Bundeskanzler, der auch Minister für auswärtige
1335 Angelegenheiten war und seine Wohnung im Auswärtigen
1336 Amte hatte, stand an einem milden Septembertag an der
1337 offenen Balkontüre und sah über die Straße hinweg auf
1338 das Getriebe des Volksgartens. Aber dieses Treiben schien
1339 ihm weniger lebhaft zu sein als in den vergangenen
1340 Jahren, die weißlackierten Kinderwägelchen rollten nur
1341 vereinzelt durch die Alleen, die Sesselreihen und Bänke
1342 waren trotz des warmen Wetters nur spärlich besetzt.</p>
1344 <p>Es klopfte, der Kanzler rief scharf: »Herein!« und
1345 stand nun seinem Präsidialchef, dem Doktor Fronz, gegenüber.</p>
1347 <p>Schwertfeger war Ende Juni, kurz nach der Annahme
1348 des Ausweisungsgesetzes, nach Tirol gefahren, um seine
1349 unter der Last der Verantwortung und Arbeit fast zusammengebrochenen
1350 Nerven zu erholen. In einem Dorf
1351 am Arlberg blieb er mehr als zwei Monate inkognito, niemand
1352 außer seinem Präsidialchef kannte seinen Aufenthalt,
1353 er ließ sich weder Briefe noch Akten nachschicken, kümmerte
1354 sich nicht um die Zeitereignisse, und nur von ganz eminent
1355 wichtigen Vorfällen durfte ihm Fronz schriftlich Mitteilung
1356 machen. Tatsächlich war ja für alles vorgesorgt, der
1357 Wiener Polizeipräsident wie die Bezirkshauptleute hatten
1358 ihre genauen Instruktionen, das Parlament war bis zum
1359 Herbst vertagt, also fühlte sich Doktor Schwertfeger entbehrlich,
1360 ja er hielt es für seine Pflicht, neue Kräfte zu
1361 sammeln, um der kommenden Arbeit frisch und stark gegenübertreten
1362 zu können. Heute vormittag war er nach Wien
1363 zurückgekehrt und nun mußte ihm Fronz gründlich referieren.
1364 <a class="pagenum" name="Page_33" title="33"> </a>
1365 Nachdem verschiedene Personalangelegenheiten erledigt
1366 waren, ließ sich Schwertfeger schwer und wuchtig
1367 vor seinem Schreibtisch nieder, nahm Papier und Feder,
1368 um sich stenographische Notizen zu machen und sagte äußerlich
1369 ruhig und kalt, während vor Spannung jeder Nerv in
1370 ihm vibrierte:</p>
1372 <p>»Nun, lieber Freund, berichten Sie mir über den bisherigen
1373 Vollzug des neuen Gesetzes und seine sichtbaren
1374 Folgen. Wie ist unsere Finanzlage? Sie wissen, ich bin
1375 völlig unorientiert.«</p>
1377 <p>Doktor Fronz räusperte sich und begann:</p>
1379 <p>»Finanztechnisch verläuft nicht alles so glatt, wie wir
1380 hofften. Zuerst stieg unsere Krone in Zürich sprunghaft
1381 bis auf ein Zwanzigstel Centime, dann traten leise, wenn
1382 auch unbedeutende Schwankungen ein, seit Ende Juli rührt
1383 sich trotz des starken Goldzustromes aus den Tresors der
1384 großen christlichen Vereine und des Bankiers Huxtable
1385 unsere Krone nicht, sie beharrt auf dem Kurs von 0.02.
1386 Merkwürdigerweise erfüllen sich vorläufig unsere Hoffnungen
1387 auf enorme Geldabgaben seitens der Ausgewiesenen
1388 nicht. Es fließen den Steuerämtern weder große Beträge
1389 in Kronen noch in fremden Währungen zu. Es
1390 scheint, daß sich unter unseren christlichen Mitbürgern
1391 tausende von Parasiten befinden, die in gewissenloser
1392 Weise die überschüssigen, der Besteuerung hinterzogenen
1393 Vermögen der Juden an sich nehmen und den Juden dafür
1394 Abstandsummen in Gestalt von Anweisungen an ausländische
1395 Banken geben.«</p>
1397 <p><a class="pagenum" name="Page_34" title="34"> </a>»Das war nicht anders zu erwarten«, sagte der
1398 Kanzler, während ein verächtliches Lächeln um seine zusammengekniffenen
1399 Lippen spielte. »Ob Jud' oder Christ
1400 &ndash; habgierig und selbstsüchtig sind sie alle!«</p>
1402 <p>Das dürften die Judenblätter nicht erfahren, dachte
1403 Fronz und fuhr fort:</p>
1405 <p>»Wie ich aus dem sehr pessimistischen Referat des
1406 Finanzministers Professor Trumm folgern darf, wird uns
1407 die Ausweisung der Juden mit ungeheuren Schulden, in
1408 Gold rückzahlbar, belasten, unseren Banknotenumlauf aber
1409 in keiner nennenswerten Weise vermindern.«</p>
1411 <p>»Geht die Liquidierung und Uebergabe der Finanzinstitute,
1412 Banken und Aktiengesellschaften glatt vor sich?«</p>
1414 <p>»In dieser Beziehung ist alles in vollem Gange, aber
1415 leider zeigt es sich, daß unsere einheimischen Kapitalisten
1416 entweder nicht willens oder nicht in der Lage sind, die
1417 großen Unternehmungen an sich zu reißen, so daß überwiegend
1418 Ausländer als Uebernehmer in Betracht kommen.
1419 Die Länderbank, die Kreditanstalt, die Anglobank, die
1420 Escompte-Gesellschaft und andere Großbanken gehören bereits
1421 Italienern, Engländern, Franzosen, Tschechoslowaken
1422 und so weiter, desgleichen unsere großen Industrieunternehmungen.
1423 Eben hat ein holländisches Konsortium die
1424 Simmeringer Lokomotivfabrik übernommen. Wir passen
1425 natürlich höllisch auf, daß sich auf solchem Umweg nicht
1426 ausländische Juden hier einnisten, und jeder Kaufvertrag
1427 weist nachdrücklich auf die Klausel hin, wonach auch ausländische
1428 Juden keinerlei Aufenthaltsrecht in Oesterreich
1429 genießen, weder dauerndes noch vorübergehendes. Daß
1430 <a class="pagenum" name="Page_35" title="35"> </a>
1431 die Aktionäre und Direktoren der fremden Gesellschaften,
1432 die hier aufkaufen, zum Teile Juden sind, läßt sich aber
1433 nicht vermeiden.«</p>
1435 <p>Der Kanzler stützte die mächtige, gewölbte Stirne in
1436 die knochige Hand, wischte dann peinliche Gedanken mit
1437 einer Handbewegung fort und sagte gleichmütig:</p>
1439 <p>»Uebergangserscheinungen, denen späterhin abzuhelfen
1440 sein wird! Wie vollzieht sich die Ausweisung?«</p>
1442 <p>»Genau nach den Durchführungsbestimmungen des
1443 Gesetzes! Sowohl die Polizei als auch das Verkehrsamt
1444 arbeiten vortrefflich, täglich verlassen ungefähr zehn Züge
1445 mit Ausgewiesenen Oesterreich nach allen Richtungen und
1446 bis heute haben etwa vierhunderttausend Juden das Land
1447 verlassen.«</p>
1449 <p>Schwertfeger blickte überrascht auf. »Wie ist das möglich?
1450 Wir haben an ungefähr eine halbe Million Auszuweisender
1451 gedacht! Also waren jetzt, nach einem Drittel der
1452 präliminierten Zeit, vier Fünftel erledigt?«</p>
1454 <p>Doktor Fronz lächelte dünn. »Wir haben eben die
1455 große Zahl der Konvertiten und Judenstämmlinge unterschätzt!
1456 Heute hat die Staatspolizei mehr Ueberblick und
1457 sie rechnet nun nicht mehr mit einer halben Million, sondern
1458 mit achthunderttausend, vielleicht sogar mit einer
1459 Million Menschen, die unter das Gesetz fallen! Bei dieser
1460 Gelegenheit möchte ich bemerken, daß sich gewisse devastierende,
1461 oft sehr peinliche oder auch nur groteske Folgen
1462 der Ausweisung zeigen. Zehn christlichsoziale Nationalräte
1463 müssen als Judenstämmlinge landesverwiesen werden, beinahe
1464 ein Drittel der christlichen Journalisten wird entweder
1465 <a class="pagenum" name="Page_36" title="36"> </a>
1466 direkt oder in seinen Familienmitgliedern betroffen,
1467 es stellt sich heraus, daß unsere besten christlichen Bürger
1468 vom Judentum durchtränkt sind, uralte Familien werden
1469 auseinandergerissen, ja es hat sich etwas ereignet, was
1470 schallendes Gelächter nicht nur in den Judenblättern, die
1471 ja noch bis zum letzten Augenblick hetzen werden, erregt,
1472 sondern auch in der Presse des Auslandes. Eine Schwester
1473 des Fürsterzbischofs von Oesterreich, Kardinal Rößl, ist
1474 mit einem Juden verheiratet, sein Bruder aber mit einer
1475 Jüdin, so daß seine Eminenz durch das Gesetz sämtlicher
1476 Neffen, Nichten und Geschwister beraubt wird. Vielleicht
1477 wird es sich doch empfehlen, unter solchen Umständen der
1478 Nationalversammlung ein Amendement zu dem Gesetz zu
1479 unterbreiten, durch das die Ausweisung von Judenstämmlingen
1480 unter gewissen Umständen unterbleiben darf&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;.«</p>
1482 <p>Der Bundeskanzler sprang in die Höhe und schlug mit
1483 der geballten Faust auf den Schreibtisch, daß die Tinte
1484 hochspritzte.</p>
1486 <p>»Nie und nimmer, wenigstens nicht, solang ich im
1487 Amte bin! Eine solche Ausnahmebestimmung würde das
1488 ganze Gesetz zum Weltwitz machen, wir wären bis auf die
1489 Knochen blamiert, das internationale Judentum würde
1490 triumphieren wie noch nie in seiner Geschichte, der Korruption,
1491 der Bestechlichkeit wäre Tür und Tor geöffnet!
1492 Sie kennen ja die gewissen Herren Hof- und Sektions- und
1493 Regierungsräte mit den offenen Händen und leeren
1494 Taschen! Nein, es darf keine Ausnahmen geben, das Leid
1495 und der Kummer einzelner Familien darf an den Grundmauern
1496 des Gesetzes nicht rütteln! Im Namen der Habsburger
1497 <a class="pagenum" name="Page_37" title="37"> </a>
1498 wurde ein Krieg geführt, der einer Million Männer
1499 das Leben gekostet hat und man hat nicht zu mucksen gewagt!
1500 Was ist im Vergleich dazu die Tatsache, daß ein
1501 paar tausend oder vielleicht hunderttausend Menschen Unbequemlichkeit
1502 und Aerger verursacht wird? Ich bitte Sie,
1503 in diesem Sinne die christlichen Blätter zu instruieren.
1504 Besser noch, wenn die politische Korrespondenz sofort eine
1505 diesbezügliche Enunziation der Regierung den Blättern
1506 zugehen läßt. Und Sie bitte ich dringend, sich nicht mehr
1507 zum Sprachrohr solcher Einflüsterungen machen zu lassen!«</p>
1509 <p>Doktor Fronz verbeugte sich erblassend.</p>
1511 <p>»Dann ist es ja auch überflüssig, wenn ich Eurer
1512 Exzellenz von furchtbaren Jammerszenen berichte, die sich
1513 täglich bei der Abfahrt der Evakuierungszüge beobachten
1514 lassen und die oft solche Dimensionen annehmen, daß selbst
1515 der Straßenpöbel, der sich zur Abfahrt der Züge mit der
1516 Absicht einzufinden pflegt, die Ausgewiesenen zu beschimpfen,
1517 ergriffen schweigt und Tränen vergießt&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;.«</p>
1519 <p>»Solche Szenen waren vorhergesehen und sind unvermeidlich!
1520 Instruieren Sie sofort die Polizei dahin, daß die
1521 Bahnhöfe abgesperrt werden, die Abfahrt der Züge tunlichst
1522 nur zur Nachtzeit erfolgt und nicht von den Hauptbahnhöfen,
1523 sondern von den außerhalb der Stadt gelegenen
1524 Rangierbahnhöfen. Und nun nur noch eine Frage:
1525 Wie nimmt die Bevölkerung im allgemeinen die Durchführung
1526 des Gesetzes auf?«</p>
1528 <p>»Mit größter Begeisterung natürlich! Die Polizei läßt
1529 hundert geschickte Agenten sich anonym in die Volksmengen
1530 mischen und Beobachtungen sammeln. Nun, die Berichte
1531 <a class="pagenum" name="Page_38" title="38"> </a>
1532 gehen übereinstimmend dahin, daß die christliche Bevölkerung
1533 sich geradezu in einem Freudentaumel befindet, eine
1534 baldige Sanierung der Verhältnisse, Verbilligung der
1535 Lebensmittel und gleichmäßigere Verbreitung des Wohlstandes
1536 erwartet. Auch innerhalb der noch sozialdemokratisch
1537 organisierten Arbeiterschaft ist die Befriedigung über
1538 den Fortzug der Juden groß. Aber anderseits läßt sich
1539 nicht verhehlen, daß die Bevölkerung erregt und unsicher
1540 ist. Niemand weiß, was die Zukunft bringen wird, die
1541 Massen leben in den Tag hinein, eine ganz staunenswerte
1542 Verschwendungssucht in den unteren Klassen macht sich
1543 bemerkbar und die Zahl der Trunkenheitsexzesse mehrt sich
1544 von Tag zu Tag.</p>
1546 <p>Zur Gehobenheit der Stimmung trägt aber sehr
1547 wesentlich der Umstand bei, daß die Wohnungsnot mit
1548 einem Schlage aufgehört hat. Allein in Wien sind seit Beginn
1549 des Monates Juli vierzigtausend Wohnungen, die
1550 bisher Juden inne hatten, frei geworden. Eine direkte
1551 Folge davon ist, daß eine wahre Hochflut von Trauungen
1552 eingesetzt hat und die Priester zehn und zwanzig Paare
1553 gleichzeitig einsegnen müssen.«</p>
1555 <p>Schwertfeger, der Junggeselle geblieben war, nickte
1556 befriedigt lächelnd. »Damit wären wir also für heute
1557 fertig. Ich bin nun halbwegs im Bilde und werde jetzt
1558 die Referate der einzelnen Bundesministerien durchstudieren.«</p>
1560 <p>Ein Kopfnicken und der Präsidialchef war entlassen.
1561 Fronz blieb aber noch stehen und lenkte die Aufmerksamkeit
1562 <a class="pagenum" name="Page_39" title="39"> </a>
1563 des Kanzlers, der schon ein Aktenfaszikel aufgeschlagen
1564 hatte, durch diskretes Räuspern auf sich.</p>
1566 <p>»Ich möchte Exzellenz noch darauf aufmerksam machen,
1567 daß der Wiener Gemeinderat mit großer Stimmenmehrheit
1568 beschlossen hat, den Schottenring in Dr. Karl Schwertfeger-Ring
1569 umzutaufen und daß seitens dreihundert österreichischer
1570 Gemeinden ähnliche Umtaufungen von Plätzen
1571 und Straßen beschlossen wurden. In Innsbruck hat sich
1572 sogar ein Denkmalkomitee gebildet, das Eurer Exzellenz
1573 im nächsten Jahr schon ein Denkmal aus Laaser Marmor
1574 errichten will.«</p>
1576 <p>Der Kanzler stand auf, ging zum Balkon, sah wieder
1577 auf den Volksgarten hinab, schritt mit wuchtigen Tritten
1578 schwer und plump zweimal durch den großen Raum und
1579 sagte dann:</p>
1581 <p>»Inhibieren Sie alle solchen Ehrungen! Sie sollen verschoben
1582 werden bis zum zehnjährigen Jubiläum der Befreiung
1583 Wiens von den Juden!«</p>
1585 <p class="asterisk-break">* * *</p>
1587 <p>Weihnachtsabend im Hause des Hofrates Franz
1588 Spineder. Weit draußen in Grinzing, außerhalb der Endstation
1589 der Straßenbahn, lag das kleine, gelbe Backsteinhäuschen,
1590 das der Hofrat noch von seinem Großvater ererbt
1591 hatte. Von außen sah das einstöckige Haus mit dem
1592 großen grün gestrichenen Holztor und den grünen Jalousien
1593 fast primitiv aus, aber wenn man das Tor öffnete
1594 und in den Hof mit dem altertümlichen Ziehbrunnen trat,
1595 <a class="pagenum" name="Page_40" title="40"> </a>
1596 blieb man überrascht und entzückt stehen. Der Hof ging
1597 in einen sanft ansteigenden Garten über, der schier endlos
1598 war. Im Sommer leuchteten die Levkojen, Tulpen, Rosen
1599 und Nelken in südlicher Pracht, hinter dem Ziergarten
1600 kamen Hunderte von Bäumen, die unter der Last der
1601 Aepfel, Birnen, Aprikosen, Pflaumen und Kirschen sich
1602 tief zur Erde beugten, und wenn man auch die Obstbäume
1603 hinter sich hatte, so war man noch immer nicht am Ende
1604 des Gartens, sondern ging steil durch einen Weinberg, um
1605 endlich ganz oben auf ein altwienerisches Lusthäuschen mit
1606 bunten Scheiben zu stoßen.</p>
1608 <p>Köstlich wie der unvermutete Garten war auch die
1609 Einrichtung der Wohnzimmer. Uralte, behagliche, steife und
1610 graziöse Möbel aus der Barock-, Kongreß- und Biedermeierzeit,
1611 kostbare Stiche und Bilder an den Wänden, zwei
1612 echte Waldmüller, ein Schwind im Salon, bunte, schöne
1613 Gläser, Altwiener Porzellan, funkelndes Silbergerät in
1614 den Vitrinen und Kredenzen, und man brauchte nur die
1615 Augen zu schließen, um die Männer und Frauen im
1616 Kostüm der Maria Theresianischen Zeit und Biedermeierrock
1617 vor sich zu sehen.</p>
1619 <p>Franz Spineder war Beamter, wie es sein Vater und
1620 sein Großvater gewesen, aber er war auf den Gehalt eines
1621 Hofrates im Unterrichtsministerium nicht angewiesen, sondern
1622 recht vermögend, und schon das Haus mit dem riesigen
1623 Garten und der kostbaren Einrichtung repräsentierte heute
1624 einen nach vielen Millionen zählenden Wert. Außerdem
1625 aber war seine Frau eine geborene Halbhuber, deren Urgroßväter
1626 schon als Gerber und Lederfabrikanten soliden
1627 <a class="pagenum" name="Page_41" title="41"> </a>
1628 Reichtum erworben hatten. Und da das Ehepaar Spineder
1629 nur mehr ein Kind, die jetzt knapp achtzehnjährige Lotte,
1630 besaß, so konnte es inmitten der Wirrnisse einer zerrissenen
1631 Zeit und aller Teuerung zum Trotz sein behagliches Leben
1632 führen.</p>
1634 <p>Schweigend schmückten Lotte und Frau Spineder den
1635 Weihnachtsbaum, befestigten an den duftenden Zweigen die
1636 Schokoladekringel, Bonbons, Glaskugeln und Kerzen. Frau
1637 Spineder, noch immer eine hübsche, runde Frau, sah die
1638 blonde, schlanke, auffallend schöne und liebreizende Tochter
1639 von der Seite an.</p>
1641 <p>»Lotte, nun hast du schon wieder Tränen in den
1642 Augen! Bedenk' doch, daß Papa heute wenigstens fröhliche
1643 Gesichter sehen will und mach' dem armen Leo das Herz
1644 nicht noch schwerer.«</p>
1646 <p>Lotte ließ einen kleinen Rauchfangkehrer aus Schokolade
1647 fallen, daß sein Kopf fortrollte, schlug die Hände
1648 vor das Gesicht, lehnte sich an die Schulter der Mutter und
1649 begann bitterlich zu schluchzen.</p>
1651 <p>»Mutter, mir bricht das Herz! Du wirst sehen, ich
1652 werde es nicht überleben, daß Leo in die Fremde fort
1653 muß! Mutter, laßt mich doch mit ihm ziehen!«</p>
1655 <p>Frau Spineder, der selbst das Wasser in den Augen
1656 stand, streichelte zärtlich das weiche, wie Gold leuchtende
1657 Haar der Tochter.</p>
1659 <p>»Lotte, es geht nicht! Bedenk' doch, Papa ist sechzig
1660 und er hat, seit uns der unselige Krieg den Sohn genommen,
1661 niemanden als dich. Du kannst es ihm nicht
1662 <a class="pagenum" name="Page_42" title="42"> </a>
1663 zumuten, daß er dich in die ungewisse Zukunft ziehen läßt,
1664 so gern er ja auch den Leo hat. Schau nur, Leo wird nach
1665 Paris ziehen; bei der Entwertung der Krone könnten wir
1666 euch unmöglich mit Francs unterstützen und ihr würdet
1667 vielleicht ins Elend kommen, ohne daß Papa helfen kann.
1668 Leo wird sich allein schon durchschlagen und ihr seid ja
1669 noch beide so jung, daß ihr auf andere, bessere Zeiten
1670 warten könnt'. Still jetzt, der Vater kommt! Und es
1671 klingelt, der Leo wird auch schon da sein.«</p>
1673 <p>Herr Spineder, der jetzt eintrat, um die Kerzen anzuzünden,
1674 war der Typus des alten österreichischen Hofrates
1675 in seiner besten Art. Musik liebend und ausübend,
1676 voll innerlicher Kultur, gepflegt von außen und innen, ein
1677 Schönheitssucher, Lebensfreund und Lebensbejaher, rechtlich,
1678 gewissenhaft, tolerant und dabei doch ein wenig beschränkt,
1679 bedächtig und zögernd. Er trug auch jetzt noch den
1680 veralteten Kaiserbart, weil er es unter seiner Würde hielt,
1681 dem Umschwung der Verhältnisse an seiner Person Konzessionen
1682 zu machen, er war Demokrat durch und durch, ein
1683 treuer Diener der Republik, aber das schöne Kaiserbild
1684 von Angeli hing noch immer über seinem Schreibtisch. Wie
1685 er jetzt eintrat, war der alte Herr mit den schlohweißen
1686 Haaren und den milden, graublauen Augen der echte Altösterreicher,
1687 den man bald nur mehr aus Büchern kennen
1688 wird.</p>
1690 <p>»Leo ist draußen und kratzt sich den Schnee von den
1691 Sohlen ab«, sagte Hofrat Spineder, während er die Kerzen
1692 bedächtig anzündete. »Geht hinauf zu ihm, ich werde die
1693 Bescherung machen und klingeln, wenn es so weit <ins title="ist.«.">ist.«</ins></p>
1695 <p><a class="pagenum" name="Page_43" title="43"> </a>Frau Spineder sah noch rasch in die Küche nach dem
1696 Karpfen, der Sachertorte und den Krapfen; Lotte hing
1697 aber schon am Halse Leos und schluchzte wortlos an seiner
1698 Brust.</p>
1700 <p>Leo Strakosch, schlank, dunkelhaarig, glattrasiert, mit
1701 lebhaften braunen Augen, aus denen Klugheit und Humor
1702 blitzten, war um zehn Jahre älter als Lotte. Im letzten
1703 Kriegsjahre war er als Einjähriger eingerückt und im
1704 Felde hatte er den gleichaltrigen Rudolf Spineder, den
1705 Sohn des Hofrates, kennen und als Freund lieben und
1706 schätzen gelernt. In der letzten Piaveschlacht hatte Rudolf
1707 einen Kopfschuß bekommen und in den Armen des Freundes
1708 seine junge Seele ausgehaucht, nachdem er ihn gebeten,
1709 die Eltern und das Schwesterchen zu grüßen. So war Leo
1710 in das Haus des Hofrates gekommen, der arme Sohn
1711 eines kleinen Agenten, fühlte sich in dem vornehm-bürgerlichen
1712 Milieu unendlich wohl, und als Lotte aus einem
1713 Kinde ein blühendes, schönes Mädchen wurde, stand es in
1714 ihm fest: Diese oder keine! Lotte erwiderte die Liebe des
1715 lebhaften, geistvollen, begabten jungen Mannes von ganzem
1716 Herzen.</p>
1718 <p>Hofrat Spineder sah die Entwicklung dieser Liebe und
1719 hatte nichts einzuwenden. Leo Strakosch war Radierer, in
1720 jungen Jahren schon ganz außerordentlich erfolgreich, man
1721 begann sich um seine Zeichnungen zu reißen, eine vor einem
1722 Jahr erschienene Leo Strakosch-Mappe erregte Aufsehen
1723 auch im Ausland, und der Hofrat wie seine Frau sagten
1724 sich mit Recht, daß sie ihr Kind in keine besseren Hände
1725 würden geben können, als in die Leos, den sie nach und
1726 <a class="pagenum" name="Page_44" title="44"> </a>
1727 nach liebten wie ihren eigenen Sohn. Daß Leo Jude war,
1728 focht den Hofrat nicht im mindesten an. In seinem Hause
1729 verkehrten viele Musiker, Literaten, Maler, die Mehrzahl
1730 von ihnen waren Juden, und der verstorbene Rechtsanwalt
1731 Viktor Rosen war sogar der intimste Freund Spineders
1732 gewesen.</p>
1734 <p>Als vor Jahresfrist zuerst in politischen Kreisen von
1735 dem Plan des Führers der Christlichsozialen, ein Antijudengesetz
1736 durchzubringen, geraunt wurde, hatte Hofrat
1737 Spineder daran nicht glauben wollen und können. Und als
1738 er daran glauben mußte, war seine Empörung maßlos
1739 gewesen. Und noch größer sein Schmerz über den Schicksalsschlag,
1740 den die bevorstehende Ausweisung Leos für seine
1741 Tochter bedeutete. Den Gedanken aber, seine Lotte mit
1742 Leo ins Exil ziehen zu lassen, wies er weit von sich, die
1743 Liebe zu seinem einzigen Kind und der Egoismus des
1744 Alternden vereinigten sich hier und <ins title="machte">machten</ins> ihn absolut
1745 unerbittlich.</p>
1747 <p class="asterisk-break">* * *</p>
1749 <p>Die Bescherung war sehr reichlich ausgefallen, Lotte
1750 von den Eltern freigebig bedacht worden, aber sie schenkte
1751 dem Pelzkragen, den Seidenstrümpfen, den Büchern und
1752 Noten kaum einen Blick, sondern preßte immer wieder
1753 das kleine Bild Leos, das er ihr in einem goldenen Medaillon
1754 geschenkt, an die zuckenden Lippen. Man saß nun
1755 beim festlich geschmückten Tisch, aber es herrschte eher
1756 Trauer als Feststimmung und vergeblich versuchte der
1757 Hofrat ein leichtes Gespräch zu entwickeln. Als dann der
1758 <a class="pagenum" name="Page_45" title="45"> </a>
1759 selbstgekelterte goldgelbe Wein kredenzt wurde, erhob Hofrat
1760 Spineder sein Glas und sagte mit bewegter Stimme:</p>
1762 <p>»Dein Wohl, Leo! Möge das Glück dich auch in der
1763 Fremde begleiten, möge das Schicksal in absehbarer Zeit
1764 uns alle wieder vereinigen! Kinder, ich weiß, daß ihr
1765 mir grollt und ich kann doch nichts tun, als mit euch leiden.
1766 Seht, Mutter und ich haben den besten Teil des Lebens
1767 hinter uns, ich stehe an der Schwelle des Greisenalters,
1768 und so ist es doch nur natürlich, wenn wir uns mit allen
1769 Fasern dagegen sträuben, den letzten Sonnenstrahl, der uns
1770 noch leuchtet, fortziehen zu lassen. Aber selbst wenn wir
1771 solcher schier übermenschlicher Selbstlosigkeit fähig wären,
1772 würde mich das Pflichtgefühl davon abhalten. Lebten wir
1773 in normalen Zeiten, so ließ ich euch ziehen und würde
1774 sagen, daß wir ja schließlich alljährlich ein paar Monate
1775 bei euch in Paris zubringen können. Aber das ist heute
1776 unmöglich, da die Krone fast wertlos ist. Nur Spekulanten
1777 können sich noch solchen Luxus leisten, und ihr wißt, daß
1778 wir in guten, geordneten Verhältnissen leben, aber doch
1779 mit jedem Tausendkronenschein rechnen müssen. Würde
1780 Lotte jetzt mit dir in die Fremde gehen, so müßte sie das
1781 Elternhaus für immer verlieren. Und nicht nur sie, sondern
1782 auch euere Kinder wären entwurzelt, vaterlandslos,
1783 würden nicht wissen, wo ihre Großeltern in der Erde ruhen.
1784 Und wer weiß, es würde der Tag vielleicht kommen, wo
1785 du, Lotte, von solcher Heimatssehnsucht erfüllt wärest, daß
1786 sie deine Liebe zum Gatten verdrängen und dein ganzes
1787 Wesen sich in einen bitteren Vorwurf gegen den, dem du
1788 in die Verbannung gefolgt, wandeln würde. Ihr seid beide
1789 <a class="pagenum" name="Page_46" title="46"> </a>
1790 jung, du, Lotte, bist fast noch ein Kind, du Leo, ein Jüngling
1791 und das ganze Leben liegt vor euch. Lasset ein paar
1792 Jahre vergehen, vielleicht seid ihr dann voneinander losgekommen
1793 oder aber es traten Entwicklungen ein, die euch
1794 doch noch vereinigen.«</p>
1796 <p>Während Lotte fassungslos weinte und mit ihr ihre
1797 Mutter, hob nun auch Leo sein Glas.</p>
1799 <p>»Vater, so darf ich dich ja doch wohl noch nennen, ich
1800 muß die Gründe deiner Weigerung, Lotte mit mir ziehen
1801 zu lassen, würdigen, wahrscheinlich würde ich an deiner
1802 Stelle nicht anders handeln. Aber eines sage ich dir, sage
1803 ich Lotte, die ich nie aufhören werde zu lieben: Mein
1804 Leben wird von nun an ein einziger Kampf werden! Man
1805 sagt meinem Volke Zähigkeit nach &ndash; nun so will ich die
1806 ganze Fähigkeit meines Volkes in mir vereinigen. Mit
1807 Kopf und Herz, mit meinem ganzen Können und Wollen
1808 werde ich darauf hinarbeiten, Lotte zu gewinnen, so oder
1809 so! Man kann mich vertreiben wie einen räudigen Hund,
1810 man kann aber den Willen in mir nicht töten! Und ich
1811 leere mein Glas auf euer Wohl und auf unsere Vereinigung,
1812 die früher kommen wird als wir alle heute zu
1813 hoffen wagen!«</p>
1815 <p>Am nächsten Tage fuhr Leo Strakosch mit einem Zuge
1816 fort, der sich zum großen Teil aus geistigen Arbeitern und
1817 Künstlern zusammensetzte. Hofrat Spineder, Frau Spineder
1818 und Lotte gaben ihm das Geleite. Außer ihnen ließ Leo
1819 nichts zurück, was ihm wert war, da seine Eltern längst
1820 nicht mehr lebten.</p>
1822 <p class="asterisk-break">* * *</p>
1824 <p><a class="pagenum" name="Page_47" title="47"> </a>Der letzte Jahrestag wurde für Wien zu einem Festtag,
1825 wie ihn die lustige und leichtsinnige Stadt noch nie
1826 erlebt hatte. Unter Aufbietung aller Verkehrsmittel, mit
1827 Hilfe von Lokomotiven, die aus den Nachbarstaaten entliehen
1828 waren, bei Einstellung jedes sonstigen Personen- und
1829 Güterverkehrs war es gelungen, an diesem Tag in
1830 dreißig riesigen Trains die letzten Juden fortzubringen.
1831 Vormittags fuhren die Direktoren und leitenden Funktionäre
1832 der Großbanken, mittags die jüdischen Journalisten
1833 mit ihren Familien. Sie hatten bis zum letzten Augenblicke
1834 ausgeharrt, noch die Abendblätter waren von ihnen
1835 geschrieben und redigiert worden, und erst als die feuchten
1836 Blätter aus den Rotationsmaschinen flogen, rückten die
1837 neuen Herren in die Redaktionsstuben ein. Die Mehrzahl
1838 der Wiener Journalisten hatte Engagements bei reichsdeutschen
1839 und deutschböhmischen Blättern gefunden, viele
1840 wanderten nach Amerika aus, einige wenige beschlossen, sich
1841 anderen Berufen zuzuwenden. Der Herausgeber der großen
1842 »Weltpresse« aber übersiedelte mit einem kleinen Stabe
1843 von Mitarbeitern nach London, um dort unter dem Titel
1844 »Im Exil« eine deutsche Wochenschrift, die sich in erster
1845 Linie mit Oesterreich befassen sollte, erscheinen zu lassen.</p>
1847 <p>Um ein Uhr mittags verkündeten Sirenentöne, daß
1848 der letzte Zug mit Juden Wien verlassen, um sechs Uhr
1849 abends läuteten sämtliche Kirchenglocken zum Zeichen, daß
1850 in ganz Oesterreich kein Jude mehr weilte.</p>
1852 <p>In diesem Augenblicke begann Wien sein großes Befreiungsfest
1853 zu feiern. Von hunderttausend Häusergiebeln
1854 wurden die rot-weiß-roten Fahnen gehißt, Tücher in diesen
1855 <a class="pagenum" name="Page_48" title="48"> </a>
1856 Farben schmückten alle Geschäfte, Lampions vor allen
1857 Fenstern wurden entzündet, und bei sternenheller Frostnacht
1858 zog eine Million Menschen über den knisternden
1859 Schnee, um sich zu Zügen zu vereinigen. Männer, Frauen
1860 und Kinder trugen Lampions, Musikkapellen marschierten
1861 den einzelnen Bezirksgruppen voran, ein Jauchzen und
1862 Jubeln ertönte, und immer wieder zerriß der Ruf: »Es
1863 lebe das christliche Wien«, die Luft!</p>
1865 <p>Treffpunkt aller Züge war das Rathaus. In feenhafter
1866 Pracht lag der schöne, gotische Bau Meister Schmidts
1867 da. Millionen elektrischer Lichter ließen ihn wie eine einzige
1868 Flamme leuchten. Auf einer Tribüne spielten die unvergleichlichen
1869 Wiener Philharmoniker, von Juden gesäubert
1870 und daher ein wenig reduziert, volkstümliche
1871 Weisen, und der Wiener Männergesangverein bot seine
1872 besten Lieder dar. Die Volkshalle, der große Platz vor dem
1873 Rathaus, der Ring vom Schottentor bis zur Bellaria
1874 bildeten eine einzige Menschenmauer, und um acht Uhr
1875 war es kein Rufen mehr, sondern ein Heulen aus einer
1876 Million Kehlen, das immer wieder erdröhnte.</p>
1878 <p>Endlich kam der große Moment. Bürgermeister Karl
1879 Maria Laberl erschien mit dem Bundeskanzler Doktor
1880 Schwertfeger auf dem Balkon. Der Bundeskanzler ergriff
1881 zuerst mit machtvoller Stimme, die sich bis jenseits des
1882 Ringes Gehör verschaffte, das Wort. Er sprach kurz,
1883 trocken, aber um so wirkungsvoller:</p>
1885 <p>»Mitbürger, ein ungeheures Werk ist vollendet! Alles
1886 das, was in seinem innersten Wesen nicht österreichisch ist,
1887 <a class="pagenum" name="Page_49" title="49"> </a>
1888 hat die Grenzen unseres kleinen, aber schönen Vaterlandes
1889 verlassen! Wir sind nun allein unter uns, eine einzige
1890 Familie, wir sind fürderhin auf uns und unsere Eigenart
1891 gestellt, mit eigener Kraft werden wir unser gesäubertes
1892 Haus frisch bestellen, morsche Mauern stützen, geborstene
1893 Pfeiler aufbauen. Wiener und Brüder aus dem ganzen
1894 Bundesstaat! Wir feiern heute ein Fest, wie es noch nie
1895 gefeiert wurde. Morgen beginnt ein neues Jahr und für
1896 uns alle ein neues Leben. Morgen dürfen wir noch ruhen
1897 und uns beschaulich besinnen. Dann aber müssen wir
1898 arbeiten, wie wir noch nie gearbeitet haben. Unser ganzes
1899 Können müssen wir unserem Vaterlande widmen, jede
1900 Stunde muß genützt werden. Wir werden der ganzen Welt
1901 zeigen müssen, daß Oesterreich auch ohne Juden leben
1902 kann, ja daß wir eben deshalb gesunden, weil wir das
1903 Fremde aus unserem Blutkreislauf entfernt haben. Mitbürger,
1904 schwört es mir in dieser feierlichen Stunde in die
1905 Hand, daß wir alle nicht mehr schwelgend in den Tag
1906 hineinleben wollen, sondern arbeiten, arbeiten und nichts
1907 als arbeiten, bis uns die Früchte unserer Arbeit erblüht
1908 sind.«</p>
1910 <p>Und der Ruf: »Wir schwören es!« brauste auf, fremde
1911 Menschen schüttelten einander die Hände, Männer und
1912 Frauen sanken einander weinend und lachend in die Arme,
1913 die neue Volkshymne wurde intoniert und mitgesungen
1914 und dann erklang ohne Verabredung und doch wie aus
1915 einem Munde das »Hoch unser Doktor Schwertfeger, der
1916 Befreier Oesterreichs!«</p>
1918 <p><a class="pagenum" name="Page_50" title="50"> </a>Als sich der Jubel und Tumult ein wenig gelegt hatte,
1919 kam endlich auch Bürgermeister Herr Karl Maria Laberl
1920 zum Wort. Er begann seine Ansprache mit den Worten:</p>
1922 <p>»Meine lieben Christen!&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;«</p>
1924 <p>Aber viel mehr vernahm die Menge nicht, denn dem
1925 warmen Föhn, der seit Minuten durch die vorher noch so
1926 kalte Nacht fegte, folgte in diesem Augenblick ein Regenguß,
1927 und schreiend, kreischend zerstreute sich die Menschenmasse,
1928 um durch ein Meer von Kot und zerflossenem Schnee
1929 zu den Straßenbahnen zu eilen.
1930 </p>
1932 <div class="figcenter page-break" style="width: 500px;"><a class="pagenum" name="Page_51" title="51"> </a>
1933 <img src="images/deco2.png" width="500" height="38" alt=""/>
1934 </div>
1935 <h2 class="no-page-break">Zweiter Teil.</h2>
1937 <div class="center">
1938 <p><span class="gesperrt">Lotte Spineder an Leo Strakosch, Paris, Rue Foch 22.</span></p>
1939 </div>
1941 <p class="drop-cap">Mein Lieber, nun ist genau ein Jahr vergangen,
1942 seitdem ich Dir auf dem Westbahnhofe mit
1943 meinem von Tränen ganz durchnäßten Taschentuch
1944 nachgewinkt habe. Und das erste Weihnachtsfest,
1945 das ich als Deine Braut ohne Dich verbringen mußte,
1946 liegt hinter mir. Es war wieder recht traurig, und Papa
1947 meinte sehr besorgt, daß ich noch ganz krank und elend
1948 werden würde, wenn ich mich meinem Schmerz so hingebe.
1949 Ich bin jetzt nämlich immer sehr blaß, schlafe schlecht, habe
1950 viel Kopfschmerz und werde gleich so müde. Unser Hausarzt
1951 meint, es sei Bleichsucht und hat mir Guberquelle
1952 verordnet, aber ich weiß, daß es nur meine Sehnsucht nach
1953 Dir ist, die mich schwach und krank macht.</p>
1955 <p>Unsagbare Freude hat mir Deine wundervolle Mappe
1956 bereitet, die gerade am Weihnachtsabend eingetroffen ist.
1957 Du bist jetzt, wie man aus diesen herrlichen Stichen sieht,
1958 ein ganz großer Künstler; Papa, der doch so viel davon
1959 versteht, meint, daß Du schon zu den ersten Meistern gehörst
1960 und hat furchtbar auf unsere Regierung geschimpft,
1961 die solche Männer, statt sie zu ehren, aus dem Lande jagt.
1962 <a class="pagenum" name="Page_52" title="52"> </a>
1963 Dein Brief, in dem Du von Deinen großen Erfolgen berichtest,
1964 hat mich natürlich sehr beglückt, und Papa hat
1965 umgerechnet, daß die dreißigtausend Francs, die Du für
1966 diese Mappe bekommen hast, viele Millionen österreichischer
1967 Kronen sind. Die Krone ist nämlich wieder riesig gefallen.
1968 Nur als ich las, daß Du so viel in Gesellschaft verkehrst
1969 und dich der Einladungen in die feinsten Häuser kaum
1970 erwehren kannst, bekam ich ordentlich Herzklopfen. Wirst
1971 Du bei den schönen Pariserinnen nicht Deine arme, kleine
1972 Lotte ganz vergessen? O Leo, was soll nur aus uns
1973 werden, wann werde ich wieder meinen Kopf an Deine
1974 Schulter legen können? Weißt Du, Leo, neulich flog ein
1975 großer Aeroplan über den Kahlenberg westwärts, und da
1976 habe ich gedacht, daß ich, wenn ich die Möglichkeit dazu
1977 hätte, gleich zu Dir nach Paris fliegen würde, ob meine
1978 Eltern es nun erlauben oder nicht. Ueberhaupt, wenn ich
1979 wüßte, wie man, ohne daß es jemand erfährt, einen Paß
1980 bekommt, würde ich mir von Dir Geld schicken lassen und
1981 heimlich zu Dir kommen. Ich weiß, daß ich Papa und die
1982 Mutter damit furchtbar kränken würde, aber meine Sehnsucht
1983 nach Dir ist so groß, daß ich ganz schlecht und grausam
1984 geworden bin.</p>
1986 <p>Du bittest mich, ich möge Dir in großen Zügen die
1987 Entwicklung der Dinge schildern, seitdem die Israeliten
1988 fort sind, da Du aus den farblosen und langweiligen
1989 Wiener Zeitungen kein richtiges Bild bekommen kannst.
1990 Nun, ich will versuchen, Dir alles zu erzählen, was ich
1991 selbst sehe oder von den anderen weiß; aber wenn es
1992 dumm wird, so darfst Du mich nicht auslachen.</p>
1994 <p><a class="pagenum" name="Page_53" title="53"> </a>Also, von dem großen Jubel und den Festzügen am
1995 Silvestertage, als die letzten Israeliten Wien und Oesterreich
1996 verlassen hatten, wirst Du ja ohnedies alles aus den
1997 Zeitungen ersehen haben. Nun, den ganzen Januar hielt
1998 diese Stimmung an, die Leute machten alle fröhliche Gesichter,
1999 ein Festkonzert folgte dem anderen und immer
2000 wieder zogen die Massen vor das Rathaus oder das
2001 Kanzlerpalais, um dem Bürgermeister Laberl und dem
2002 Doktor Schwertfeger zu huldigen. Mir selbst ist es aufgefallen,
2003 daß die Wiener in der Elektrischen viel freundlicher
2004 und netter waren als vorher, und der Hofrat Tumpel,
2005 der bei uns verkehrt, Du weißt, der mit dem blonden Vollbart,
2006 den Du nie leiden mochtest, sagte triumphierend zu
2007 uns:</p>
2009 <p>»Sehen Sie, das Wiener sonnige Gemüt, das so lange
2010 von all dem Fremden überschattet worden war, bricht sich
2011 wieder Bahn.«</p>
2013 <p>»Ja, Schnecken,« brummte der Vater, »das ist nur,
2014 weil den Wienern das Ganze eine Riesenhetz ist und weil
2015 die Lebensmittel billiger und wieder Wohnungen zu haben
2016 sind.« Tumpel meinte aber: »Oho, lieber Freund, das ist
2017 es nicht allein, sondern die indogermanische Naivität
2018 unseres Volkes wagt sich wieder heraus!«</p>
2020 <p>Die Lebensmittel waren wirklich viel billiger geworden,
2021 weil unsere Krone damals sehr gut, nämlich auf 0·02 Centime
2022 stand. Ich erinnere mich, daß Mama im Winter einmal
2023 ganz froh nach Hause kam und sagte, man könne jetzt
2024 wieder existieren, das Schweineschmalz kostet nur mehr
2025 zehntausend Kronen per Kilogramm. Und das mit den
2026 <a class="pagenum" name="Page_54" title="54"> </a>
2027 Wohnungen hat den Wienern wirklich so viel Freude gemacht.
2028 Stelle Dir nur vor: Plötzlich hingen fast an allen
2029 Haustoren Zettel, auf denen Wohnungen und möblierte
2030 Zimmer angeboten wurden. Die Leute gingen rein zum
2031 Zeitvertreib von Haus zu Haus, um die Wohnungen zu
2032 besichtigen. Und den ganzen Tag sah man Möbelwagen
2033 durch die Straßen fahren.</p>
2035 <p>Das dauerte so bis zum Fasching, aber dann war die
2036 gute Laune weg. Plötzlich begann große Arbeitslosigkeit zu
2037 herrschen. Die ganze Konfektionsindustrie stand still, und
2038 jeden Augenblick hörte man, daß dieses oder jenes Geschäft
2039 abgekracht sei. Die Blätter schrieben, man müsse die ehrlichen
2040 christlichen Kaufleute, die die alten jüdischen Geschäfte
2041 übernommen hatten und ihrer Aufgabe noch nicht
2042 gewachsen seien, von Staats wegen unterstützen. Die
2043 Arbeitslosen machten aber großen Krawall, zogen über den
2044 Ring, demolierten ein paar Geschäfte, schlugen Fensterscheiben
2045 ein und setzten es durch, daß ihnen der Staat zehntausend
2046 Kronen täglich Arbeitslosenunterstützung zahlte.
2047 Da begann die Krone zu fallen, weil, wie Papa mir erklärte,
2048 der Banknotenumlauf enorm stieg. Auf ja und nein
2049 stand die Krone wieder auf 0·01 Centime und die Lebensmittel
2050 wurden wieder so teuer und noch teurer als früher.
2051 Heute erzählte Mama ganz aufgeregt, daß die Butter schon
2052 dreißigtausend Kronen kostet. Seit dem Frühjahr sind die
2053 Leute wieder sehr mürrisch und in der Elektrischen wird
2054 viel geschimpft. Hauptsächlich auf die Schieber, die alles verteuern,
2055 aber man spricht nicht von jüdischen Schiebern,
2056 sondern nur so im allgemeinen.</p>
2058 <p><a class="pagenum" name="Page_55" title="55"> </a>Du fragst, ob ich viel ins Theater gehe? Ach nein,
2059 lieber Leo, wenn man die Oper ausnimmt, so ist in den
2060 Theatern gar nichts mehr los. In den Schauspielhäusern
2061 wird ununterbrochen Ganghofer und Anzengruber gespielt,
2062 weil man von Israeliten nichts aufführen darf und die
2063 Klassiker ja doch nicht ziehen. Eine Zeitlang hat man auch
2064 viel von Shaw gegeben; seitdem er aber in einer englischen
2065 Zeitung erklärt hat, Wien sei ein internationales Dummheitsmuseum
2066 geworden, ist er verpönt. Hauptsächlich aber
2067 deshalb, weil er auch gesagt hat, ein gescheiter Jude sei
2068 ihm lieber als zehn dumme Christen. Die Operettentheater
2069 sind alle pleite. (Erinnerst Du Dich, wie ich lachen mußte,
2070 als ich von Dir zum erstenmal das Wort pleite hörte?)
2071 Es hat sich nämlich herausgestellt, daß sämtliche alte und
2072 neue Operetten von Juden entweder komponiert oder geschrieben
2073 sind, meistens beides. Auch fehlt es an Kräften,
2074 denn fast alle Tenore mußten ja auswandern. Wohl sind
2075 rasch ein paar ganz arische Operetten herausgebracht worden,
2076 aber das Publikum hat gezischt, weil es ein furchtbarer
2077 Schmarren war. Der Hofrat Tumpel meinte, daß sich
2078 die christliche Kunst eben nur für seriöse Sachen eigne, nicht
2079 für frivoles Zeug. Worauf Papa schmunzelte und sagte,
2080 man würde bald einsehen, daß sich die Juden und Christen
2081 hierzulande sehr gut ergänzt haben.</p>
2083 <p>Neulich ist mir mittags am Graben aufgefallen, daß
2084 man heuer viel weniger elegante Herren und Damen sieht
2085 als früher. Es wird eben gar kein Modeluxus mehr getrieben.
2086 Allerdings muß ich sagen, daß mir die widerlichen
2087 jüdischen Schiebergesichter, über die Du Dich auch immer so
2088 <a class="pagenum" name="Page_56" title="56"> </a>
2089 geärgert hast, gar nicht fehlen. Dafür machen sich auf dem
2090 Korso sehr viele junge Lackeln, die wie Bauern aussehen
2091 und unmöglich angezogen sind, mit mächtigen Uhrketten
2092 und Diamantringen an den dicken Fingern, breit. Ueberhaupt
2093 scheint unser ganzer Fremdenverkehr nur mehr aus
2094 Bauern zu bestehen. Der Besitzer vom Hotel Imperial hat
2095 neulich in einer Zeitung geklagt, daß er jetzt Gäste habe,
2096 die sich mit den genagelten Schuhen ins Bett legen und
2097 ihre Jägerwäsche in der Badewanne waschen. Wenn Du
2098 durch die Kärntnerstraße gehen würdest, so würdest Du
2099 schauen, wie wenig elegant die Geschäfte jetzt sind! Nun
2100 muß ich aber schließen, weil es schon ein Uhr nachts ist und
2101 ich auch nichts Besonderes mehr weiß. Lebe wohl, mein Geliebter,
2102 und denke was aus, damit wir bald wieder beisammen
2103 sind, weil ich sonst gar nicht mehr leben mag. Es
2104 küßt Dich vieltausendmal Deine ganz verzagte</p>
2106 <div class="right">
2107 <p>Lotte.«</p>
2108 </div>
2110 <p class="asterisk-break">* * *</p>
2112 <p>Herr Habietnik ging düster, schweigend, mit gerunzelter
2113 Stirne durch die prunkvollen Verkaufsräume des
2114 großen Modehauses in der Kärntnerstraße, das einst Zwieback
2115 geheißen und jetzt den Namen Wilhelm Habietnik trug.
2116 Herr Habietnik war der erste Verkäufer in der Damenmaßabteilung
2117 gewesen, und mit Hilfe der Mittelbank
2118 deutscher Sparkassen war es ihm gelungen, bei der großen
2119 Judenvertreibung das Haus an sich zu bringen. Herr
2120 Habietnik ging nun, wie gesagt, von Saal zu Saal, wechselte
2121 in jedem ein paar Worte mit dem Rayonchef, sein
2122 <a class="pagenum" name="Page_57" title="57"> </a>
2123 Antlitz wurde immer finsterer und er stieß unwillige Rufe
2124 aus. Durch die ganz in Weiß und Rosa gehaltene Abteilung
2125 für Babywäsche schritt er, ohne sich aufzuhalten, in den entzückenden
2126 Konditoreisalon, der vollständig leer war, warf
2127 er nur einen schiefen Blick, dann stürmte er in sein Privatkontor
2128 und ließ sich den Prokuristen Smetana kommen.</p>
2130 <p>»Sie, Herr Smetana, so geht das nicht weiter, da muß
2131 etwas geschehen! Wir stehen vor Ostern, früher war das
2132 die Hochsaison und man konnte vor Gedränge gar nicht
2133 durch das Haus gehen, und jetzt habe ich auf meinem Rundgang
2134 drei alte Weiber gefunden, von denen zwei zusammen
2135 eine Chenillepelerine, wie sie gar nicht mehr
2136 existieren, kaufen wollten und eine einen Barchentunterrock.
2137 Wenn wir so weitermachen, können wir sperren.
2138 Sagen Sie, wie groß ist das Betriebsdefizit, seitdem ich die
2139 Firma übernommen habe?«</p>
2141 <p>Der Prokurist Smetana lächelte sauer:</p>
2143 <p>»Na, so an die hundert Millionen, das wird wohl
2144 reichen!«</p>
2146 <p>Herr Habietnik ging aufgeregt auf und ab. »Ich versteh'
2147 das nicht! Wir haben früher, wie die Juden noch da
2148 waren, doch auch eine Menge christliche Käuferinnen gehabt!
2149 Wo sind denn die hingekommen?«</p>
2151 <p>Smetana, der früher in der Buchhaltung gesessen und
2152 die Rechnungen ausgeschrieben hatte, lächelte.</p>
2154 <p>»Herr Habietnik, mit den christlichen Kundschaften war
2155 es nie weit her, und wenn es schon Christinnen waren, so
2156 hatte ihr Christentum doch irgendwo ein Klampferl. Entweder
2157 sie waren die Frauen oder die Maitressen von Juden.
2158 <a class="pagenum" name="Page_58" title="58"> </a>
2159 Bitt' Sie, da erinnere ich mich an die schöne Gräfin
2160 Wurmdorf, die was zuletzt noch eine Redoutentoilette für
2161 eineinhalb Millionen bei uns hat machen lassen. Na, wer
2162 aber hat sie gezahlt? Der Herr Gemahl vielleicht? Keine
2163 Spur! Der reiche Eisler von der Firma Eisler und
2164 Breisler! Und die Manoni von der Oper, die was die
2165 Tochter von einer waschechten christlichen Waschfrau ist und
2166 zehn gute Millionen im Jahr bei uns gelassen hat? Na,
2167 bei der hat die ganze israelitische Kultusgemeinde herhalten
2168 müssen! Und die&nbsp;&ndash;«</p>
2170 <p>Herr Habietnik winkte ab. »Trotzdem, es gab genug
2171 Damen ohne Liebhaber, die ganz schön eingekauft haben.
2172 Ich weiß das besser, weil ich doch gerade die Maßabteilung
2173 unter mir hatte.«</p>
2175 <p>»Ja, sehen Sie, Herr Habietnik, wenn es schon keine
2176 Jüdinnen waren, so war es eben die Konkurrenz der
2177 Judenfrauen, die uns geholfen hat. Wenn die Jüdinnen
2178 fein und elegant gekleidet waren, so wollten die christlichen
2179 Damen der guten Gesellschaft nicht zurückstehen.«</p>
2181 <p>»Da können Sie recht haben«, meinte der Chef nachdenklich.
2182 »Neulich habe ich selbst gehört, wie die Frau
2183 Artander die Preise bekrittelte und ohne zu bestellen mit
2184 den Worten wegging: »Ach was, heutzutage hat man es ja
2185 gottlob nicht mehr notwendig, sich so aufzutackeln und jede
2186 Modedummheit mitzumachen. Ich werde eben die alten
2187 Sachen herrichten lassen.«</p>
2189 <p>Herr Habietnik bekam einen roten Kopf und schlug
2190 mit der Hand auf den Tisch. »Ich habe Sie aber nicht
2191 gerufen, um mit Ihnen zu schmusen, sondern weil ich einen
2192 <a class="pagenum" name="Page_59" title="59"> </a>
2193 Rat von Ihnen will! Dazu zahl' ich Ihnen ja den hohen
2194 Gehalt!«</p>
2196 <p>Smetana knickte zusammen. »Eine Idee hätt' ich schon,
2197 Herr von Habietnik. Die Leut' tragen jetzt so viel Loden
2198 und andere solide Sachen. Sie haben es ja selbst gesehen,
2199 sogar nach Barchent ist Nachfrage. Wie wäre es, wenn wir
2200 ein paar Fenster mit Lodenstoffen, Lodenröcken, Barchent- und
2201 Flanellwäsche füllen würden? Und dazu eine schöne
2202 Tafel und viel Inserate mit der Ankündigung: Loden,
2203 Barchent, Baumwolle und Flanell &ndash; die hohe Pariser
2204 Mode!«</p>
2206 <p>Herr Habietnik bekam einen Lachkrampf und krümmte
2207 sich so lange, bis ihm die Tränen über die Backen liefen.
2208 »Flanell und Loden &ndash; die große Pariser Mode! Sie, wenn
2209 das die Frau Ella Zwieback, die jetzt in Brüssel lebt, erfährt,
2210 so glaubt sie, daß wir in Wien alle zusammen verrückt geworden
2211 sind! Aber meinethalben, mich ekelt die ganze Geschichte
2212 schon an, ich bekomme Platzangst, wenn ich durch
2213 das leere Haus gehe! Gut, machen Sie Lodenfenster! Und
2214 Steirerhüteln dazu nicht vergessen und genagelte Schuhe!
2215 Und die Konditorei verwandeln wir langsam, aber sicher
2216 in eine Stehbierhalle mit heißen Würsteln. Mir ist schon
2217 alles egal, so kapores oder so!«</p>
2219 <p>Zehn Tage später sah man richtig hinter einem der
2220 Fenster rote, blaue und gemusterte Flanellröcke, Hosen, gestrickte
2221 Miederleibchen, hinter einem anderen Baumwollstrümpfe
2222 und solides Schuhzeug und in einer der Auslagen
2223 türmten sich Lodenstoffe in Braun, Grau und Schwarz
2224 zu Bergen. Und die Verkaufsräume füllten sich, bis der
2225 <a class="pagenum" name="Page_60" title="60"> </a>
2226 Bedarf der weitesten Kreise gedeckt war und die Verkäuferinnen
2227 wieder verstohlen hinter ihren schwarzen
2228 Seidenschürzen gähnten oder Engelhornromane lasen.</p>
2230 <p class="asterisk-break">* * *</p>
2232 <p>Im Kaffee Imperial saß der Rechtsanwalt Dr. Haberfeld
2233 und schob die Zeitungen, die ihm der alte Zahlmarkör
2234 Josef gebracht hatte, unwirsch beiseite.</p>
2236 <p>»Sie, Josef, leer ist es jetzt bei euch, daß man neben
2237 dem Ofen friert! Früher hat man mühsam sein Platzerl ergattern
2238 können und jetzt, jetzt könnt' man bei euch das
2239 Traberderby abhalten, weil eh' kein Mensch im Weg steht!«</p>
2241 <p>Josef strich die ergrauten Bartkoteletten, machte tieftraurige
2242 Augen, wischte mit der Serviette über den Tisch
2243 und sagte sorgenvoll:</p>
2245 <p>»Es geht eh' ein Ringkaffee nach dem andern ein, ich
2246 glaub', lang' wer'n mir's auch net mehr machen. Wissen
2247 S', Herr Doktor, was die Herren Israeliten &ndash; pardon, die
2248 Juden, waren, die sind halt alle gern in die feinen Lokale
2249 gegangen, wo was los ist und man was sieht. Aber die
2250 christlichen Herrschaften, die geh'n ins Vorstadtkaffeehaus
2251 und spielen ihr Tarock oder machen eine Billardpartie und
2252 gehen sonst lieber zum Heurigen oder ins Wirtshaus. 's ist
2253 halt eine andere Zeit jetzt!«</p>
2255 <p>»Das merkt ein Blinder, der taubstumm ist«, brummte
2256 der Anwalt. »Sie, Josef, wir zwei kennen einander ja schon
2257 lange genug und brauchen uns keine Komödie vorzuspielen.
2258 Mir g'fallt halt die ganze G'schicht net! Wien versumpert
2259 ohne Juden!«</p>
2261 <p><a class="pagenum" name="Page_61" title="61"> </a>Josef fuhr erschreckt zusammen und sah sich ängstlich
2262 um.</p>
2264 <p>»Ah was, es hört uns eh' niemand! Wien versumpert,
2265 sag' ich Ihnen, und wenn ich als alter, graduierter Antisemit
2266 das sag', so ist es wahr, sag' ich Ihnen! Ich wer'
2267 Ihnen was sagen, Josef. Wenn ich gegessen hab', muß ich,
2268 Sie wissen's ja am besten, immer mein Soda-Bikarbonat
2269 nehmen, um die elendige Magensäure zu bekämpfen. Wenn
2270 ich aber gar keine Magensäure hätt', so könnt' ich überhaupt
2271 nichts verdauen und müßt' krepieren. Und wissen
2272 S', der Antisemitismus, der war das Soda zur Bekämpfung
2273 der Juden, damit sie nicht lästig werden! Jetzt
2274 haben wir aber keine Magensäure, das heißt, keine Juden,
2275 sondern nur Soda, und ich glaub', daran wer'n wir noch
2276 zugrund' geh'n!«</p>
2278 <p>Josef, der mit atemloser und ehrfürchtiger Spannung
2279 gelauscht hatte, schlug verzweifelt mit der Serviette auf
2280 einen Stuhl und flüsterte beklommen:</p>
2282 <p>»Recht haben S', Herr Doktor, wenn man sich auch
2283 net traut, es laut zu sagen. Mit dem Zugrundegehen aber
2284 fang' ich schon an! Ich habe im letzten Halbjahr die Hälfte
2285 von meinem Ersparten aufgebraucht. Herr Doktor, unter
2286 uns gesagt, und weil Sie selbst ein nobler Herr sein, den
2287 was es nicht treffen tut: Die Herren Israeliten, pardon,
2288 ich mein' die Juden, waren nobel im Trinkgeldgeben!«</p>
2290 <p>Josef räumte die Zeitungen fort, die dem Doktor
2291 Haberfeld zu langweilig waren, brachte auf seinen Wunsch
2292 das Prager und das Berliner Tagblatt und wandte sich
2293 <a class="pagenum" name="Page_62" title="62"> </a>
2294 anderen, eben eingetretenen Gästen zu, die sich je ein
2295 Viertel Wein bestellten.</p>
2297 <p>»Wie in einem Beisel«, raunte Josef dem Rechtsanwalt
2298 im Vorübergehen zu. Und dieser nickte verständnisvoll,
2299 zündete sich eine Zigarre an und gedachte der Zeiten,
2300 da er allabendlich im Kreise jüdischer Kollegen hier gesessen
2301 und trotz aller politischen Gegnerschaft manch' klugen
2302 und guten Gedanken mit ihnen ausgetauscht hatte&nbsp;&hellip;</p>
2304 <p class="asterisk-break">* * *</p>
2306 <p>Der Frühlingsbeginn, der seit jeher als politisch aufgeregte
2307 Zeit gegolten hat, brachte auch diesmal den
2308 Wienern unruhige Tage. Die Arbeitslosigkeit griff erschreckend
2309 um sich, eine Fabrik nach der anderen stellte den
2310 Betrieb ein, aber auch die Konkurse der Detailgeschäfte
2311 häuften sich und allenthalben gab es lärmende Kundgebungen,
2312 nicht nur der Arbeiter, für die der Staat halbwegs
2313 sorgte, sondern auch der entlassenen Kommis und Verkäuferinnen,
2314 Buchhalter und Tippmädels, bis in bewegter
2315 Ministerratssitzung beschlossen wurde, auch diesen Kategorien
2316 für die Zeit ihrer Stellenlosigkeit Zuschüsse zu gewähren.
2317 Der Finanzminister hatte sich mit Händen und
2318 Füßen dagegen gesträubt, der Kanzler, Doktor Schwertfeger,
2319 aber schließlich seinen Willen durchgesetzt. Doktor
2320 Schwertfeger, der noch starrer, knochiger, härter geworden
2321 war, erklärte, daß auch diese neue Belastung getragen
2322 werden müsse.</p>
2324 <p>»Wir dürfen es nicht dazu kommen lassen, daß eines
2325 Tages der Ausweisung der Juden die Schuld an Not und
2326 <a class="pagenum" name="Page_63" title="63"> </a>
2327 Elend gegeben wird. Wir haben bis heute die »Arbeiter-Zeitung«,
2328 die jetzt zwar von Christen, aber doch noch im
2329 jüdischen Geiste geschrieben wird, bewegen können, jede
2330 Kritik des Antijuden-Gesetzes zu unterlassen. Erfüllen wir
2331 die Forderungen der Stellungslosen im kaufmännischen
2332 Betriebe nicht, so wird ihr die Geduld reißen und sie wird,
2333 schon um diese Leute in ihr Lager zu drängen, eine Polemik
2334 eröffnen, die verderblich werden kann, weil wir die Uebergangszeit
2335 von der Judenherrschaft zur Befreiung noch
2336 nicht hinter uns haben.«</p>
2338 <p>»Und unsere Krone?« wandte der Finanzminister
2339 Professor Trumm höhnisch ein.</p>
2341 <p>»Wir müssen uns an unsere christlichen Freunde im
2342 Auslande wenden und ihnen unsere Bedrängnis klar
2343 machen. Am besten, Sie fahren gleich nach Paris und
2344 London.«</p>
2346 <p>Trumm lachte laut auf. »Ganz vergeblich! Schon von
2347 der ersten Bittfahrt vor drei Monaten bin ich mit leeren
2348 Händen gekommen! Die Leute geben nichts mehr, haben
2349 ja sogar ihre festen Versprechungen nicht ganz gehalten.
2350 Sie unterschätzen den Einfluß unserer früheren Konnationalen,
2351 der österreichischen Juden, die zum Teil heute in
2352 den ausländischen Banken sitzen! Und abgesehen davon, der
2353 christliche Begeisterungstaumel ist vorbei und man steht
2354 wieder auf dem kalt-geschäftlichen Standpunkt. Sogar
2355 Mister Huxtable hat abgewinkt. Also meinethalben, bewilligen
2356 wir die Forderungen der stellenlosen kaufmännischen
2357 Angestellten! Aber ich wasche meine Hände in Unschuld.«</p>
2359 <p><a class="pagenum" name="Page_64" title="64"> </a>Am nächsten Tag wurde der Kabinettsbeschluß verlautbart,
2360 es trat wieder Ruhe ein, aber am zweitnächsten
2361 Tag fiel die Krone an der Züricher Börse um dreißig Prozent.
2362 Und die »Neue Züricher Zeitung« veröffentlichte
2363 einen Artikel, in dem sie ziffernmäßig nachwies, daß Wien
2364 langsam aber sicher aufhöre, irgendwelche Bedeutung für
2365 den mitteleuropäischen Handelsverkehr zu haben und der
2366 Rivalität Prags und Budapests unterliege. »In Ungarn
2367 ist man nach dem Ende des Horthy-Regimes ebenso schlau
2368 wie in Prag gewesen. Man hat gewisse Kategorien von anständigen
2369 Juden mit offenen Armen aus Wien aufgenommen
2370 und dadurch den Handel an sich gerissen. Die Einkäufer
2371 der ganzen Welt können, weil sie zum großen Teil
2372 Juden sind, ohnedies Wien nicht mehr besuchen, sie gehen
2373 nach Prag, Brünn und Budapest, in erster Linie natürlich
2374 nach Berlin, das reißt die christlichen Einkäufer mit, die
2375 österreichischen Erzeuger von Fertigfabrikaten, wie Ledergalanterie,
2376 Schuhe, Keramik und so weiter, müssen, statt
2377 die Einkäufer bei sich zu empfangen, mit dem Musterkoffer
2378 nach dem Ausland reisen, kurzum, es werden trotz des
2379 beispiellos niedrigen Standes der Krone in Wien keine
2380 nennenswerten Geschäfte gemacht. Damit hat naturgemäß
2381 in Wien auch das Schiebertum in Valuten sein Ende erreicht,
2382 aber wie es scheint, auf Kosten des österreichischen
2383 Organismus. Der geniale Bundeskanzler Doktor Schwertfeger
2384 hat mit seinem Gesetz keine große, sondern eine allzugroße
2385 Tat getan!«</p>
2387 <p>Und wie zur Bekräftigung der Wahrheit dieses Artikels
2388 begann sich in Wien eine völlige Deroutierung des
2389 <a class="pagenum" name="Page_65" title="65"> </a>
2390 Bankenwesens einzustellen. Die ausländischen Konsortien,
2391 die die Wiener Großbanken übernommen hatten, sahen sich
2392 in ihren Hoffnungen bitter enttäuscht. Ihr Umsatz wurde
2393 immer geringer, mit dem Fortgang der Juden hatte auch
2394 das Börsenspiel einen beträchtlichen Rückgang aufzuweisen,
2395 und die Banken waren genötigt, wenn sie nicht mit Verlust
2396 arbeiten wollten, eine der Tausenden von Bankfilialen, mit
2397 denen Wien überfüllt war, nach der anderen aufzulassen.
2398 Vergebens legte die Organisation der Bankbeamten dagegen
2399 Protest ein, daß ein Teil ihrer Mitglieder brotlos
2400 gemacht wurde. Die Banken steckten sich hinter ihre Gesandtschaften,
2401 es kam zu peinlichen diplomatischen Interventionen,
2402 die damit endeten, daß die österreichische Regierung,
2403 statt ihre eigenen Beamten abzubauen, noch die
2404 stellenlosen Bankangestellten in ihren Dienst nehmen
2405 mußte. Und die Krone fiel auf ein Tausendstel Centime.</p>
2407 <p class="asterisk-break">* * *</p>
2409 <p>An einem schönen, sommerlich warmen Maimorgen
2410 kam vom Westbahnhof her ein Automobil vor das Hotel
2411 Bristol gefahren, dem ein eleganter, schlanker, dunkelhaariger
2412 Herr entstieg. Der Hoteldirektor musterte mit
2413 geübtem Blick den schweren Lederkoffer und das Handgepäck
2414 und dann erst den Fremden, dem ein kleines Knebelbärtchen
2415 im Verein mit dem aufgezwirbelten und in Wien
2416 sehr unmodernen Schnurrbart einen exotischen Anstrich
2417 verlieh. Südfranzose! taxierte der Direktor, rechnete rasch
2418 im Kopf französische Franken in Kronen um, und beschloß,
2419 dem erstaunlichen Resultat gemäß, den Zimmerpreis zu
2420 <a class="pagenum" name="Page_66" title="66"> </a>
2421 stellen. Auf die französisch vorgebrachte Frage, ob ein
2422 Zimmer frei sei, erwiderte er, ein ironisches Lächeln mühsam
2423 unterdrückend:</p>
2425 <p>»Jawohl, Monsieur, ein einzelnes Zimmer gefällig
2426 oder ein Appartement mit Bad? Mit Aussicht auf den
2427 Ring oder nach rückwärts?«</p>
2429 <p>Der Passagier ließ vor Erstaunen das eingeklemmte
2430 Monokel fallen.</p>
2432 <p>»Ja, wie ist denn das? Früher konnte man doch ohne
2433 vorherige Anmeldung nirgends unterkommen!«</p>
2435 <p>»Mein Herr,« seufzte der Direktor jetzt tief und ehrlich,
2436 »Sie waren wahrscheinlich anderthalb Jahre oder länger
2437 nicht mehr in Wien! Seither hat sich viel verändert!«</p>
2439 <p>Der Fremde war sofort im Bilde, nickte verständnisvoll,
2440 forderte ein Appartement auf die Ringstraße hinaus
2441 und füllte dann den Meldezettel aus.</p>
2443 <p>»Henry Dufresne, Kunstmaler aus Paris, 29 Jahre
2444 alt, katholisch, ledig.«</p>
2446 <p>Monsieur Dufresne nahm ein Bad, kleidete sich um,
2447 pfiff dabei vergnügt einen Pariser Gassenhauer vor sich
2448 hin, ließ sich ein vorzügliches Frühstück auf dem Zimmer
2449 servieren und verließ dann so gegen zehn Uhr vormittags
2450 ersichtlich aufgeräumt das Hotel.</p>
2452 <p>Der Franzose mit dem Knebelbärtchen kannte sich in
2453 Wien entschieden gut aus, denn er schwang sich ohne jemanden
2454 zu fragen, auf einen Straßenbahnwagen, und er mußte
2455 auch die deutsche Sprache vorzüglich beherrschen, denn man
2456 sah ihm an, daß er den Gesprächen der Umstehenden interessiert
2457 lauschte. Als eine alte Frau über die Teuerung zu
2458 <a class="pagenum" name="Page_67" title="67"> </a>
2459 jammern begann und arg auf die hohe Obrigkeit schimpfte,
2460 klopfte Herr Dufresne sie auf die Schulter und meinte in
2461 tadellosem Deutsch und wienerischem Akzent besänftigend:</p>
2463 <p>»Wie kann man nur so was sagen, Mutterl, wir
2464 müssen doch alle froh und glücklich sein, weil wir die Juden
2465 losgeworden sind.«</p>
2467 <p>Aber das Mutterl begehrte jetzt erst recht auf.</p>
2469 <p>»Mir ham' die Juden nie was g'tan! Wegen meiner
2470 hätten s' in Wien bleiben können. A so a gute Bedienung
2471 hab' i bei an jüdischen Herrn g'habt und alleweil, wann
2472 er a Madl mit nach Haus g'bracht und an Unordnung
2473 g'macht hat, hat er mir an Hunderter extra g'schenkt. Leben
2474 und leben lassen, hat er immer g'sagt und recht hat er
2475 g'habt!«</p>
2477 <p>Die Leute auf der Plattform lachten und ein biederer
2478 Mann mit einer weinselig funkelnden Nase meinte bestätigend:</p>
2480 <p>»Ja, das derf man schon sagen, es hat auch anständige
2481 Leut' unter den Juden 'geben!«</p>
2483 <p>Ein eigenartiges Lächeln spielte um den Mund des
2484 Franzosen, der nun ausstieg und langsam zu Fuß die
2485 Währingerstraße entlang schlenderte, dann in die Nußdorferstraße
2486 einbog, mitunter vor einer Auslage kopfschüttelnd
2487 stehen blieb, die Preise der ausgestellten Waren
2488 zur Kenntnis nahm und so schließlich in die Billrothstraße
2489 kam, die im weiteren Verlauf nach den rebenreichen Vororten
2490 Sievering und Grinzing führt.</p>
2492 <p>Ein Zettel am Haustor eines modernen Zinspalastes
2493 in der Billrothstraße fesselte seine Aufmerksamkeit.</p>
2495 <p><a class="pagenum" name="Page_68" title="68"> </a>»Kleine, elegant möblierte Wohnung mit Atelier sofort
2496 zu vermieten. Auskunft erteilt der Portier.«</p>
2498 <p>Kurz entschlossen betrat Herr Dufresne das Haus und
2499 suchte den Portier auf, der ihn mittelst Lift nach dem
2500 fünften Stock führte und die Wohnung zeigte. Sie bestand
2501 aus einem Schlafzimmer, einem als Herrenzimmer eingerichteten
2502 Salon, an den sich ein atelierartiger, großer
2503 Raum mit Glasdach schloß. Auch ein Badezimmer war vorhanden.</p>
2505 <p>»Wie kommt es, daß die Wohnung leer steht?«</p>
2507 <p>»I, du meine Güte,« rief der Portier, »in Wien
2508 stehen jetzt an die zwanzigtausend Wohnungen leer! Diese
2509 da hat ein Architekt, ein Herr Rosenbaum, gehabt, der mit
2510 den anderen Juden fort mußte. Der Hausherr hat ihm die
2511 Möbel abgekauft, konnte aber bis heute keinen Mieter
2512 finden, weil keine Küche dabei ist.«</p>
2514 <p>Nach weiteren fünf Minuten hielt der Portier einen
2515 Zehntausendkronenschein als Angabe in der Hand, und
2516 Herr Dufresne war Besitzer der Wohnung. Als er jetzt mit
2517 beschleunigten Schritten gegen Grinzing ging, wirbelte er
2518 vergnügt sein Spazierstöckchen in der Luft und murmelte
2519 vor sich hin: »Der Anfang ist gut, besser hätte ich es mit
2520 der Wohnung gar nicht treffen können.« Je näher er aber
2521 Grinzing kam, desto erregter wurde er, seine Wangen
2522 färbten sich rot und seine braunen lustigen Augen leuchteten
2523 wie im Fieber. Nun hatte er die Kobenzlgasse erreicht
2524 und seine Schritte wurden langsam, fast schleppend, wie
2525 die eines Mannes, der einem schicksalsschweren Augenblick
2526 entgegengeht. Vor dem Hause des Hofrates Spineder blieb
2527 <a class="pagenum" name="Page_69" title="69"> </a>
2528 er tiefatmend stehen und zog sich den grauen Kalabreserhut
2529 in die Stirne, daß man nur mehr seinen Knebelbart und
2530 das Kinn sah. Unschlüssig ging er auf und ab, mitunter
2531 nervös auf die Armbanduhr sehend, die auf halb zwölf
2532 wies. Gerade als er wieder vor dem grünen Tor stand,
2533 ging dieses auf und ein Dienstmädchen verließ das Haus.
2534 Und eben in diesem Augenblick, als das Tor offen stand,
2535 sah Herr Dufresne, wie von der links im Hofe gelegenen
2536 Wohnungstür ein junges, weißgekleidetes Mädchen mit
2537 goldblonden Haaren, die kein Hut verdeckte, in der
2538 Hand ein Buch, den Hof nach rückwärts durchschritt und den
2539 Garten aufwärts ging.</p>
2541 <p>»Hurra!« schrie der Mann mit dem Knebelbart in sich
2542 hinein und sein Kriegsplan war fertig. Rechts vom
2543 Spinederschen Grundstück lag, von ihm durch einen Holzzaun
2544 getrennt, ein langer, leerer Bauplatz, seit dem Kriege
2545 provisorisch in einen riesigen Gemüsegarten verwandelt.
2546 Der Länge nach zog sich dieser Gemüsegarten bis hoch hinauf
2547 zum Lusthäuschen auf der höchsten Stelle des Spinedergartens.
2548 Auf der anderen Längsseite war das Grundstück
2549 ebenfalls durch einen Holzzaun von einer Nebengasse der
2550 Kobenzlgasse getrennt, aber dieser Zaun war verwahrlost
2551 und wies mehrfach Unterbrechungen auf. Durch eines der
2552 Löcher kroch nun der Franzose, eilte mit langen Sätzen den
2553 Gemüsegarten aufwärts, wobei er links von sich das blonde
2554 Mädchen gehen sah und es bald hinter sich ließ. Nun war
2555 Herr Dufresne ganz oben, mit einem Ruck schwang er sich
2556 über den Zaun in den Garten des Hofrates Spineder hinüber
2557 und versteckte sich hinter einem mächtigen Lindenbaum,
2558 <a class="pagenum" name="Page_70" title="70"> </a>
2559 der mitten im Weingarten stand. Einige Minuten
2560 später war das Mädchen beim Baum angelangt, aber es
2561 konnte den Mann hinter dem Baum nicht sehen. Bis plötzlich
2562 Unerwartetes geschah. Herr Dufresne rief halblaut:
2563 »Lotte!« Und als Lotte Spineder erschreckt und verwirrt
2564 stehen blieb und sich umsah, rief er wieder: »Lotte! Ich bin
2565 es, um Himmelswillen erschrick nicht!«</p>
2567 <p>Im nächsten Augenblick hielt der Herr mit dem
2568 Knebelbart Lotte, die schneeweiß geworden war und zu
2569 schwanken begonnen hatte, in seinem Arm. Und immer
2570 wieder preßte er seinen Mund auf ihre kalten Lippen, bis
2571 sich ihre Wangen färbten und sie ihn, am ganzen Körper
2572 bebend, fest umklammerte, als wollte man ihn ihr entreißen.</p>
2574 <p>Und nun saßen sie im Lusthäuschen, Leo Strakosch
2575 hielt Lotte auf seinem Schoß und erzählte in fliegenden
2576 Worten:</p>
2578 <p>»Ja, Lottchen, ich bin es, und dir zuliebe habe ich mir
2579 diesen entsetzlichen Napoleonbart plus Schnurrbart wachsen
2580 lassen. Ich habe es einfach vor Sehnsucht nach dir nicht
2581 mehr ausgehalten, und als mir dein Vater schrieb, daß er
2582 ernstlich um deine Gesundheit besorgt sei und es für richtiger
2583 halte, wenn wir den Briefwechsel, der in dir alle
2584 Wunden immer wieder aufreiße, einstellen würden, war
2585 mein Plan gefaßt. Ich vertraute mich einem lieben, guten
2586 Kameraden, Henry Dufresne, der für mich ins Feuer gehen
2587 würde, an, ließ mir den Knebelbart, wie er ihn hat, stehen
2588 und bekam von ihm sämtliche Papiere, als da sind: Taufschein,
2589 Heimatschein, Militärzeugnis und den ordnungsgemäß
2590 von der österreichischen Gesandtschaft in Paris
2591 <a class="pagenum" name="Page_71" title="71"> </a>
2592 vidierten Paß. Wir sahen durch den Bart einander so ziemlich
2593 ähnlich, so daß er es riskieren konnte, sich seinen Paß
2594 mit meiner Photographie zu besorgen. Und meine Unterschrift
2595 hat er nachgemacht und nicht ich seine. Der gute
2596 Junge hat natürlich allen Freunden und Bekannten erzählt,
2597 daß er nach Wien fährt, in Wirklichkeit ist er auf das
2598 Gut seines Onkels in Südfrankreich gegangen, wo er ein
2599 Jahr bleibt. Und genau so lange, als er dort ist, kann ich
2600 hier in Wien als Henry Dufresne leben.«</p>
2602 <p>Lotte schluchzte und lachte in einem Atem.</p>
2604 <p>»Leo, ich bin ja so namenlos glücklich! Aber ich habe
2605 auch solche Angst um dich! Du weißt, es steht die Todesstrafe
2606 auf die verbotene Rückkehr &ndash; was, wenn sie dich erwischen?!«</p>
2608 <p>»Ganz ausgeschlossen, mein Lieb! Die wenigen
2609 Freunde, die ich hatte, sind Juden und mußten so wie ich
2610 das Land verlassen. Außerdem bin ich tatsächlich durch den
2611 Bart unkenntlich, besonders, wenn ich ein Monokel trage.
2612 Und selbst wenn jemand käme und behaupten würde, daß
2613 ich Leo Strakosch bin &ndash; ich würde einfach leugnen und
2614 niemand könnte mich überführen, denn mein Paß ist echt,
2615 die Unterschrift ist echt, und wenn man bei der Polizei in
2616 Paris anfragen sollte, so würde man die Auskunft bekommen,
2617 daß Henry Dufresne mit Reisepaß nach Wien abgereist
2618 sei.«</p>
2620 <p>»Aber Papa und Mama?« fragte Lotte nach etlichen
2621 herzhaften Küssen, die ihr trotz Schnurrbart und Mouche
2622 wohl taten.</p>
2624 <p><a class="pagenum" name="Page_72" title="72"> </a>»Die dürfen natürlich nicht ein Sterbenswörtchen erfahren,
2625 Lotte«, meinte Leo ernst. »Nicht, daß sie mich anzeigen
2626 würden! Aber dein Papa ist zu sehr Beamter und
2627 Hofrat, um mir eine solche Mystifikation nicht übel zu
2628 nehmen, und außerdem würde er unter keinen Umständen
2629 dulden, daß wir zusammenkommen, sondern mich beschwören,
2630 wieder fortzufahren. So aber werden wir uns
2631 täglich sehen, nicht wahr, Lotte?«</p>
2633 <p>Und Leo erzählte ihr von der behaglichen, kleinen
2634 Wohnung, die er eben gemietet und schilderte, wie sie dort
2635 täglich ein paar Stunden, so lange Lotte sich eben würde
2636 freimachen können, zusammen verbringen würden. Lotte
2637 war nur über und über rot geworden, aber sie sah in die
2638 ehrlichen und treuen Augen ihres Bräutigams und wußte,
2639 daß sie auch ganz allein mit ihm in guter Hut sein würde.</p>
2641 <p>Lotte konnte jeden Augenblick im Garten gesucht werden
2642 und Leo mußte verschwinden. Bevor sie aber Abschied
2643 nahmen, bewölkte sich wieder die weiße Stirne des
2644 Mädchens.</p>
2646 <p>»Leo, du hast nun deine glänzende Karriere in Paris
2647 aufgegeben! Was aber willst du hier in Wien tun, wie bei
2648 dieser schrecklichen Teuerung, über die nun auch Papa zu
2649 klagen beginnt, deinen Unterhalt bestreiten?«</p>
2651 <p>Leo lachte so vergnügt und laut, daß ihm Lotte erschreckt
2652 die Finger auf den Mund legte. Was er für eine
2653 Aufforderung nahm, die kleinen rosigen Finger zu küssen.
2654 Er tat es reichlich und sagte dann:</p>
2656 <p>»Mein Liebes, was ich hier tun werde? Arbeiten, und
2657 zwar tüchtig, und ungeheuer viel Geld sparen, weil diese
2658 <a class="pagenum" name="Page_73" title="73"> </a>
2659 Wiener Teuerung, in Franken umgerechnet, lächerlich billig
2660 ist. Du mußt nämlich wissen, daß ich von der größten
2661 Pariser Verlagsfirma den Auftrag bekommen habe, eine
2662 neue Gesamtausgabe der Werke Zolas zu illustrieren.
2663 Glänzende Bedingungen, sage ich dir. Sechzigtausend
2664 Francs, wovon ich die Hälfte bei Abschluß der Vertrages
2665 bekommen habe. Die andere Hälfte erhalte ich, wenn ich die
2666 zweihundert Zeichnungen abliefere, und das muß in einem
2667 Jahr sein. Also, du siehst wieder einmal: Wir Juden sind
2668 schlau und wissen, wo unser Vorteil bleibt!«</p>
2670 <p>Leo kroch über den Zaun zurück und Herr Dufresne
2671 besorgte noch am selben Tag seinen Umzug nach der Billrothstraße.
2672 Hofrat Spineder und seine Gattin stellten aber
2673 mit Befriedigung fest, daß ihr Töchterchen zum erstenmal
2674 seit Jahr und Tag guter Laune war und heiter vor sich
2675 hinsang.</p>
2677 <p>»Du wirst sehen,« sagte der Hofrat seiner Gattin,
2678 »Lotte schlägt sich nach und nach die ganze traurige Geschichte
2679 aus dem Kopf! Der arme Bursch' tut mir ja leid,
2680 aber es ist besser so. Uebrigens hat er mir ja auch ganz
2681 vernünftig geschrieben und versprochen, den Briefwechsel
2682 mit Lotte aufzugeben.«</p>
2684 <p>Die Frau Hofrätin schüttelte verwundert das Haupt
2685 und dachte: Wie doch die Mädchen von heute ganz anders
2686 sind! Ich würde an Lottes Stelle meine Liebe nicht überwunden
2687 haben!</p>
2689 <p class="asterisk-break">* * *</p>
2691 <p><a class="pagenum" name="Page_74" title="74"> </a>Die »Weltpresse«, einst das Blatt des liberalen Bürgertums,
2692 jetzt das Hauptorgan der christlichsozialen Partei,
2693 erhielt eine Zuschrift von dem Besitzer des Hauses Billrothstraße
2694 19, in der in scharfer und logischer Weise gegen
2695 den Fortbestand des Mieterschutzgesetzes Stellung genommen
2696 wurde. »Das Mieterschutzgesetz«, hieß es in der Zuschrift,
2697 »hatte Zweck und Sinn, als Wohnungsnot herrschte
2698 und die Bevölkerung davor geschützt werden mußte, durch
2699 die Habgier einzelner Hausbesitzer obdachlos gemacht zu
2700 werden. Heute gibt es keinen Mangel an Wohnungen mehr;
2701 dank dem segensreichen Antijudengesetz unseres hochverehrten
2702 Bundeskanzlers sind wieder normale Verhältnisse
2703 eingetreten, es ist der notwendige Ueberschuß an Wohnungen
2704 vorhanden, und so erübrigt sich dieses Mieterschutzgesetz,
2705 das nur mehr einen brutalen Eingriff in die Rechte
2706 der Hausbesitzer bildet, ja sogar einen Verfassungsbruch.
2707 Sicher werden nach Aufhebung des Gesetzes Steigerungen
2708 der Mietzinse eintreten, was nur gerechtfertigt wäre und
2709 schließlich der Allgemeinheit zugute käme, denn von den
2710 höheren Mietzinsen sind höhere Steuern zu zahlen und mit
2711 höheren Mietpreisen steigt der Wert der Häuser. Es ist
2712 charakteristisch, daß es ein in meinem Hause wohnender,
2713 vornehmer französischer Künstler ist, der mir sein Entsetzen
2714 über dieses Mieterschutzgesetz ausdrückte. Er erklärte, daß
2715 man sich in französischen Kapitalistenkreisen über dieses
2716 Gesetz lustig mache, das unter anderem auch verhindert, daß
2717 Ausländer ihr Geld in Wiener Häusern anlegen. Also fort
2718 mit dem Mieterschutzgesetz! Die vornehme christliche Gesinnung
2719 der Wiener Hausbesitzer, vor allem aber das Gesetz
2720 <a class="pagenum" name="Page_75" title="75"> </a>
2721 von Angebot und Nachfrage werden automatisch ein
2722 allzu starkes Hinaufschnellen der Mietpreise verhindern.«</p>
2724 <p>Die Zuschrift erschien an auffallender Stelle in der
2725 »Weltpresse« mit einem redaktionellen Zusatz, in dem sehr
2726 vorsichtig die Ansicht des geehrten Einsenders gebilligt, ihr
2727 aber gleichzeitig auch sanft widersprochen wurde. Denn man
2728 wollte weder die Hausbesitzer noch die Mieter vor den Kopf
2729 stoßen.</p>
2731 <p>Von da an begann ein lebhafter öffentlicher Gedankenaustausch,
2732 es hagelte von Zuschriften und immer stürmischer
2733 wurde der Ruf der Hausbesitzer nach Aufhebung des
2734 Mieterschutzgesetzes, Einräumung des Kündigungsrechtes
2735 und der individuellen Mietsteigerung. Herr Windholz, der
2736 Besitzer des Hauses in der Billrothstraße, war plötzlich eine
2737 gewichtige Persönlichkeit geworden, der Verein der Hausbesitzer
2738 wählte ihn zum Vorstand und täglich kam er zu
2739 seinem vornehmen französischen Mieter, Herrn Dufresne,
2740 um sich bei ihm Rat zu holen. Herr Strakosch, <span class="antiqua" lang="la" xml:lang="la">alias</span>
2741 Dufresne, aber hetzte munter weiter und sagte eines Tages
2742 mit Emphase:</p>
2744 <p>»Wenn sich die Hausbesitzer noch weiter diese Versklavung
2745 gefallen lassen, so halte ich sie alle zusammen für
2746 alberne Waschlappen und ich werde eine Stadt verlassen, in
2747 der solche Zustände möglich sind.«</p>
2749 <p>»Ja, was sollen wir nur tun,« meinte Herr Windholz
2750 kleinmütig, »wenn die Regierung absolut unseren Wünschen
2751 nicht entsprechen will?«</p>
2753 <p>»Was Sie tun sollen? Ich werde es Ihnen sagen!
2754 Heute noch trommeln Sie Ihren Verein zusammen und
2755 <a class="pagenum" name="Page_76" title="76"> </a>
2756 fassen den Beschluß, der Regierung ein dreitägiges Ultimatum
2757 zu stellen. Stellt sie bis dahin die Freizügigkeit im
2758 Wohnungsverkehr nicht wieder her, so wird von den Hausbesitzern
2759 gestreikt! Sie führen keine Steuern ab, unterlassen
2760 die Hausbeleuchtung und Reinigung, verweigern die
2761 Bezahlung der Hypothekarzinsen, kurzum, Sie sabotieren
2762 den Staat!«</p>
2764 <p>Herr Windholz war begeistert, umarmte den Franzosen
2765 und versicherte ihm, daß er keinesfalls im Zinse gesteigert
2766 werden würde.</p>
2768 <p>Es geschah ganz nach dem Programm des Herrn
2769 Dufresne. Der Verein der Wiener Hausbesitzer beschloß einstimmig
2770 das Ultimatum und die Regierung fiel um. Vergebens
2771 versicherte Doktor Schwertfeger, daß die Aufhebung
2772 des Mieterschutzgesetzes die unheilvollsten Folgen haben
2773 werde, er wurde von seinen Ministerkollegen überstimmt.
2774 Wie die »Arbeiter-Zeitung« boshaft behauptete, in erster
2775 Linie deshalb, weil der Finanzminister, der Unterrichtsminister
2776 und der Handelsminister mehrfache Hausbesitzer
2777 waren.</p>
2779 <p>Das Mieterschutzgesetz, das den Hausbesitzern sowohl
2780 die Kündigung der Mieter als die willkürliche Erhöhung
2781 der Mietpreise untersagte, fiel also, und vierundzwanzig
2782 Stunden später fand eine stürmische Generalversammlung
2783 der Hausbesitzer statt, in der beschlossen wurde, die derzeitigen
2784 Mietpreise der Teuerung halbwegs entsprechend
2785 auf das Tausendfache zu erhöhen. Eine Art Rütlischwur
2786 verpflichtete zur unbedingten Einhaltung dieses Beschlusses.</p>
2788 <p><a class="pagenum" name="Page_77" title="77"> </a>Die Bevölkerung, die ja nur zum geringsten Teile aus
2789 Hausbesitzern besteht, geriet in Tobsucht. Arbeiterfamilien
2790 mußten nunmehr eine halbe Million im Jahr für ihre
2791 Wohnung bezahlen, eine kleine Mittelstandswohnung
2792 kostete nicht unter einer ganzen Million! Die Organisation
2793 der Hausfrauen, die Gewerkschaften, der Verband der Festangestellten,
2794 die Kriegsinvaliden und Kriegswitwen, der
2795 Bund der Gewerbetreibenden, sie alle veranstalteten
2796 Massendemonstrationen, und durch volle acht Tage wurde
2797 in Wien und den Provinzstädten überhaupt nicht gearbeitet,
2798 sondern vom Morgen bis in die Nacht demonstriert.
2799 Die Zahl der eingeschlagenen Fensterscheiben wuchs
2800 erschreckend, und zum erstenmal seit einer geraumen Anzahl
2801 von Jahren hörte man auf der Straße den Ruf:</p>
2803 <p>»Nieder mit der Regierung!«</p>
2805 <p>Die christlichen Blätter ebenso wie die deutschnationalen
2806 verloren massenhaft Leser, während der Weizen
2807 der »Arbeiter-Zeitung« wieder zu blühen begann.</p>
2809 <p class="asterisk-break">* * *</p>
2811 <p>Herr Zwickerl war schlechter Laune und stocherte
2812 wütend in seinem Kirschenstrudel umher, der auf dem
2813 Teller vor ihm lag. Frau Zwickerl sah Sturm kommen und
2814 beugte vor.</p>
2816 <p>»Anton, was is dir denn wieder über die Leber gelaufen?
2817 Geht das Geschäft nicht?«</p>
2819 <p>Das war für Herrn Zwickerl zu viel. Er schob den
2820 Kirschenstrudel fort, wurde röter im Gesicht als die Kirschen
2821 im Strudel und brüllte:</p>
2823 <p><a class="pagenum" name="Page_78" title="78"> </a>»Oh ja, das G'schäft geht! Zum Teufel nämlich geht
2824 es! Damit du nur weißt, Konkurs muß ich ansagen!«</p>
2826 <p>»Jessasmariandjosef!« kreischte Frau Zwickerl auf.
2827 »Wie ist denn das möglich?! Es ist doch immer g'steckt voll
2828 im Laden und alle Leut' glauben, daß du eine Goldgruben
2829 von dem Juden, dem Leßner, übernommen hast!«</p>
2831 <p>»Ja,« höhnte Zwickerl, »eine Goldgruben voll mit
2832 Dreck! Je mehr die Leut' kaufen, desto mehr verlier' ich!
2833 Weißt was? Daran san die verfluchten Valuten schuld!
2834 Kronen, schäbige Kronen krieg' ich herein und Mark und
2835 tschechische Kronen und Franken fliegen hinaus. Zehntausend
2836 Meter Batist kauf' ich in Reichenberg und nach acht
2837 Tagen kommt der Verkäufer von der Abteilung und strahlt
2838 über das ganze blöde Gesicht und sagt: »Herr Zwickerl, die
2839 Ware fliegt einem nur so aus der Hand! Morgen haben
2840 wir nicht mehr einen Meter im Haus!«</p>
2842 <p>»Schön, denk' ich mir und geh' in die Buchhaltung,
2843 und wie wir nachrechnen, sehen wir, daß ich, weil die
2844 tschechische Krone wieder gestiegen ist, bei jedem Meter
2845 tausend Kronen verloren hab'. Und das ist nur ein Beispiel
2846 von hunderten. Ich schlag' eh' bei jeder War' schon dreihundert
2847 Prozent auf und trotzdem, die Krone fällt rascher,
2848 als ich aufschlagen kann, Verluste, nichts als Verluste, und
2849 die Länderbank, die mir das Kapital zur Uebernahme gegeben
2850 hat, fordert Rückzahlung und ich kann nicht zahlen,
2851 weil ich ein riesiges Defizit habe. Im Gegenteil, ich brauche
2852 wieder hundert Millionen, weil ich sonst nicht einkaufen
2853 kann!«</p>
2855 <p><a class="pagenum" name="Page_79" title="79"> </a>Herr Zwickerl hatte sich Luft gemacht und war besänftigt.
2856 Er zog den Kirschenstrudel an sich heran und
2857 machte ein pfiffiges Gesicht:</p>
2859 <p>»Weißt, Alte, wir braucheten einfach ein paar jüdische
2860 Banken, das ist alles! Früher, als ich noch mein kleines
2861 Geschäft in der Stumpergassen gehabt habe, da bin ich
2862 alleweil, wenn ich im Ausland kaufen mußte, zum krummen
2863 Kohn von der Hermesbank gegangen, wo mein Konto
2864 war, und der hat gesagt: Herr Zwickerl, hat er gesagt, Sie
2865 müssen sich jetzt mit Mark eindecken, weil die Mark steigen
2866 wird; oder: die Krone wird fester kommen, hat er gesagt,
2867 kaufen Sie Kronen. Und immer ist es richtig so gewesen
2868 und ich hab' nicht nur an der Ware, sondern auch noch an
2869 der Valuta verdient! Aber jetzt &ndash; die Affen, die jetzt in
2870 der Bank beieinandersitzen, kennen sich selber net aus und
2871 i kenn' mi' auch net aus und alles geht kaput, sag' ich dir!«</p>
2873 <p>Herr Zwickerl gehörte zu den vielen kleinen Geschäftsleuten,
2874 die durch das Antijudengesetz mächtig in die Höhe
2875 gekommen waren. Mit Hilfe der urchristlich gewordenen
2876 Länderbank hatte er, der kleine Dutzendkaufmann, das
2877 große Warenhaus in der Mariahilferstraße an sich bringen
2878 können, und das erste Halbjahr war alles eitel Wonne gewesen.
2879 Wenn Herr Zwickerl auf der Galerie des Kaufhauses
2880 stand und auf den Menschenschwarm hinabsah, kam
2881 er sich wie ein kleiner König vor und er berauschte sich
2882 ordentlich an dem Klingeln der Registrierkassen, dem
2883 Knistern der Seide und dem Stimmengewirr. Und allabendlich
2884 leerte er beim Nachtessen sein Weinglas auf das
2885 <a class="pagenum" name="Page_80" title="80"> </a>
2886 Wohl des Schwertfeger, und immer wieder sagte er zu
2887 seiner Frau, die jetzt nur mehr in Glacéhandschuhen kochte:</p>
2889 <p>»Alte, da sieht man es am besten, wie uns die Juden
2890 ausgesaugt haben! Die Juden haben die großen Geschäfte
2891 gehabt und wir Christen konnten im finsteren Laden
2892 schuften und darben. Gottlob, daß das aufgehört hat!«</p>
2894 <p>Aber schon die erste Semestralbilanz brachte dem Herrn
2895 Zwickerl arge Enttäuschung. Trotz der enormen Umsätze
2896 und des gefüllten Kaufhauses war von einem Gewinn keine
2897 Rede, immer wieder hatte man sich beim Einkauf im Ausland
2898 so oder so verspekuliert. Und mehr als einmal hatte
2899 Herr Zwickerl in sich hineingeseufzt: An ordentlichen
2900 Juden, wenn ich hätt', der was mich beraten tät'!</p>
2902 <p>Herr Zwickerl mußte tatsächlich Konkurs anmelden,
2903 das Geschäft wurde geschlossen und von einem Grundbesitzer
2904 aus der Gumpoldskirchner Gegend übernommen, der aus
2905 dem großen Haus eine riesige Stehweinhalle machte.</p>
2907 <p>In den Jahren, die dem Kriegsende und dem Umsturz
2908 gefolgt waren, hatte sich Wien immer mehr zur Zentrale
2909 des mitteleuropäischen Luxus entwickelt und das
2910 Leben gewisser Schichten eine Ueppigkeit angenommen, die
2911 in der ganzen Welt als beispiellos besprochen wurde. Die
2912 breiten Massen der Wiener Bevölkerung aber, nicht nur die
2913 Arbeiter, sondern auch das mittlere Bürgertum, hatten
2914 zähneknirschend gesehen, wie sich die fremden Elemente,
2915 vor allem die Juden aus Galizien, Rumänien und Ungarn,
2916 als Herren Wiens aufspielten, mit dem für sie fast wertlosen
2917 österreichischen Geld um sich warfen, Champagner
2918 tranken, wo der kleine Mann kaum noch das Glas Bier
2919 <a class="pagenum" name="Page_81" title="81"> </a>
2920 zahlen konnte, ihre Weiber mit Perlen und Pelzen behängten,
2921 während die wirklich gute Gesellschaft den alten
2922 Familienschmuck stückweise verkaufen mußte, in prachtvollen
2923 Luxusautomobilen durch die Straßen rasten, den bodenständigen
2924 Wienern die Wohnungen wegnahmen und mit
2925 ihrem lärmenden protzigen Gehaben die alte kultivierte
2926 Stadt erfüllten.</p>
2928 <p>Als die Juden fortgetrieben waren, änderte sich das
2929 alles von Tag zu Tag auf das gründlichste. Der sinnbetörende
2930 Luxus verschwand, der Wiener Ausverkauf
2931 stockte, man mußte sich nicht mehr anstellen, um einen
2932 Platz im Opernhaus zu ergattern, das Leben wurde stiller,
2933 solider, einfacher. Bis es sich zeigte, daß eine Stadt wie
2934 Wien ohne Luxus nicht leben kann. Zuerst hatten die
2935 christlichen Geschäftsleute, die die Kaufläden der Juden
2936 übernahmen, sich auch deren Automobile bemächtigt, es
2937 schien der Wohlstand derselbe geblieben zu sein und nur
2938 eine Umgruppierung erfahren zu haben, und der Jubel,
2939 mit dem die Wiener es begrüßten, daß sie nicht bei jedem
2940 Schritt auf jüdische Schieber stoßen mußten, war ebenso
2941 ehrlich als begreiflich. Als dann aber bald die Krone
2942 wieder ins Uferlose fiel und die Teuerung neue Wellen
2943 zog, als alles das, was eben auf äußersten Luxus eingestellt
2944 war, wie die vornehmen Geschäfte, die Kabaretts,
2945 die Theater, die fürstlichen Restaurants und Bars, einging,
2946 als die Arbeitslosigkeit um sich griff und der Export
2947 nach dem Ausland immer geringer wurde, da begann auch
2948 das äußere Leben flügellahm zu werden. Die Zehntausende
2949 von Automobilen, die aus jüdischen Händen in christliche
2950 <a class="pagenum" name="Page_82" title="82"> </a>
2951 übergegangen waren, wurden für eine Handvoll Lire oder
2952 Franken ins Ausland verkauft, weil bei dem schlechten
2953 Geschäftsgang das Benzin unerschwinglich wurde, die
2954 Kunsthändler klagten über völlige Geschäftslosigkeit, das
2955 Defizit der Staatstheater wuchs riesenhaft, christliche
2956 Künstler und Gelehrte von Ruf, vor allem aber die
2957 großen Aerzte, zogen ins Ausland, weil das Inland ihnen
2958 nicht mehr die Honorare bezahlen konnte und wollte, die
2959 sie von den jüdischen Zeiten her gewohnt waren.</p>
2961 <p>Und unaufhaltsam griffen Mißmut, Unzufriedenheit
2962 und die Erkenntnis, auf einer abschüssigen Bahn zu gehen,
2963 um sich.</p>
2965 <p class="asterisk-break">* * *</p>
2967 <p>An einem herrlichen Junitag ging Leo Strakosch als
2968 Franzose Dufresne nach dem Stadtpark, um wieder einmal
2969 Fühlung zum Wien von heute zu bekommen. Sonst
2970 verließ er den neunzehnten Bezirk kaum, da er entweder
2971 in seinem Atelier arbeitete oder aber mit Lotte ausgedehnte
2972 Spaziergänge im Wienerwald unternahm. Als er
2973 heute nun zwischen den dichtbesetzten Tischen um den
2974 Kursalon herum spazierte, war er so belustigt, daß er
2975 laut auflachte.</p>
2977 <p>»Um Himmels willen, was ist aus meinem schönen
2978 eleganten Wien geworden!«</p>
2980 <p>Die Mode des Alpenkleides und Touristenanzuges
2981 schien allgemein geworden zu sein; so weit das Auge
2982 reichte, sah er alte und junge Herren in Loden, Kniehosen
2983 und mit dem grünen Steirerhütl auf dem Kopf. Und die
2984 <a class="pagenum" name="Page_83" title="83"> </a>
2985 Damen! Die Mehrzahl trug Dirndlkostüme, die ja im
2986 freien Gelände sehr nett und anmutend wirken, hier aber
2987 wie Karikaturen, wie schlechte Witze erschienen. Man war
2988 eben sehr bescheiden geworden, und vor allem bildete man
2989 ja eine einzige große Familie, war unter sich und hatte
2990 es nicht notwendig, sich »herzurichten«.</p>
2992 <p>Hie und da sah man auch noch elegant gekleidete
2993 Damen und Herren; sie fielen aber auf, man konnte von
2994 den Aelpler-Tischen bissige Bemerkungen über sie hören,
2995 und Strakosch wurde es fast unheimlich zumute, als er sah,
2996 wie ihn dieses oder jenes »Dirndl« durch ein Lorgnon
2997 anstierte, wahrscheinlich nur deshalb, weil sein dunkelblauer
2998 Anzug, die Lackstiefel und die kostbare Seidenkrawatte
2999 auffielen.</p>
3001 <p>Die elektrische Straßenbahn, städtische Musik und
3002 Dirndln, die ein Lorgnon tragen &ndash; Leo schüttelte sich.
3003 Er eilte aus dem Stadtpark fort über die Ringstraße,
3004 fand auch das Bild, das die Kaffeehäuser boten, trostlos,
3005 grinste, als er wahrnahm, daß die meisten Leute einander
3006 mit »Heil« begrüßten und mußte lange suchen, bis er ein
3007 Autotaxi fand. Denn auch diese Mietwagen waren ein
3008 Luxus geworden, der so wenig Benutzer hatte, daß die
3009 meisten ihr Geschäft aufgaben.</p>
3011 <p>Spät abends, als die Sonne schon langsam unterging,
3012 traf er Lotte verabredetermaßen am Rande des
3013 Kobenzlwaldes. Sie ließen sich auf einer Bank nieder, und
3014 nachdem sie sich sattgeküßt, erzählte Lotte, daß ihre Eltern
3015 beschlossen hatten, schon in der nächsten Woche nach ihrer
3016 kleinen Villa am Wolfgangsee zu übersiedeln.</p>
3018 <p><a class="pagenum" name="Page_84" title="84"> </a>»Was soll nur aus uns werden,« klagte Lotte, »wie
3019 soll ich es ertragen, dich den ganzen Sommer nicht zu
3020 sehen?«</p>
3022 <p>»Davon kann auch keine Rede sein, Lieb. Ich werde
3023 eben auch ausspannen, und wenn du in St. Gilgen bist,
3024 werde ich in Wolfgang wohnen und jeden Tag wirst du
3025 herüberkommen und wir werden wenigstens eine Stunde
3026 beisammen sein.«</p>
3028 <p>»Hm,« meinte Lotte vergnügt, »das läßt sich ja hören!
3029 Aber jetzt muß ich dir auch sagen, daß ich gestern eine
3030 Auseinandersetzung mit Papa hatte. Stelle dir nur vor,
3031 plötzlich sah mich Papa scharf an und sagte sehr ernst:
3032 Lotte, wo treibst du dich eigentlich neuerdings immer
3033 stundenlang allein herum? Du weißt, wir lassen dir alle
3034 mögliche Freiheit, aber was zu viel ist, ist zu viel!</p>
3036 <p>Also, ich fühlte, wie ich blutrot wurde und dachte, das
3037 beste ist, ich beichte.«</p>
3039 <p>»Was,« unterbrach sie Leo entsetzt, »du hast deinem
3040 Vater erzählt&hellip;?«</p>
3042 <p>»Ausreden lassen, Aff'«, lachte Lotte und zwickte ihn
3043 in das Ohr. »Ich beichtete also, aber natürlich nur das,
3044 was mir paßte. Ich sagte dem Papa, daß ich bei der Erna
3045 einen sehr feinen jungen Mann kennen gelernt habe, den
3046 ich ebenso gut leiden mag, wie er mich und daß ich ihn oft
3047 treffe, um mit ihm spazieren zu gehen. Er sei ein Franzose,
3048 namens Henry Dufresne, der hier große Geschäfte
3049 mache.</p>
3051 <p>Der Papa war zuerst ganz sprachlos, dann fragte er
3052 mich, warum ich den Franzosen nicht zu uns einlade.
3053 <a class="pagenum" name="Page_85" title="85"> </a>
3054 Darauf erwiderte ich, daß ich meiner Gefühle noch nicht
3055 sicher sei und deshalb der Sache keinen offiziellen Anstrich
3056 geben wolle. Und zum Schlusse meinte ich ganz
3057 empört:</p>
3059 <p>Papa, du weißt doch, daß du dich auf mich verlassen
3060 kannst! Ich tue sicher nichts Unrechtes, und wenn ich es
3061 für gut und notwendig halten werde, so wird Henry schon
3062 zu euch kommen! Jetzt aber laßt mich meine Wege allein
3063 gehen.</p>
3065 <p>Papa war darauf sehr lieb und nett und Mama auch,
3066 und später hörte ich, wie der Papa der Mama sagte:
3067 »Ich hätte nicht gedacht, daß Lotte den armen Leo so rasch
3068 und gründlich vergessen würde. Aber ich bin sehr glücklich
3069 darüber, daß sie eine neue Neigung gefaßt hat und
3070 wir wollen ihr nichts in den Weg legen.«</p>
3072 <p>Und Mama, die dich doch so gerne hat, meinte kopfschüttelnd:
3073 »Ich versteh' das Mädel gar nicht! Sie hat
3074 wirklich schon wieder rote Wangen bekommen und trällert
3075 den ganzen Tag umher, als wäre ihr nie ein Herzleid
3076 widerfahren.«</p>
3078 <p>Weißt du, Leo, es ist sicher nicht schön von uns, daß
3079 wir meine Eltern so an der Nase herumführen, aber ich
3080 bin ja so glücklich, daß du hier in Wien bist!«</p>
3082 <p>Leo zog Lotte an sich, küßte sie gründlich ab und
3083 sagte dann mit wichtiger Miene:</p>
3085 <p>»Jetzt gehen wir aufs Land, und wenn ich dann
3086 wieder hier bin, dann werde ich die ganze Stadt an der
3087 Nase herumzerren, aber tüchtig, sage ich dir! Mehr kann
3088 <a class="pagenum" name="Page_86" title="86"> </a>
3089 ich dir heute noch nicht verraten, aber du wirst deine
3090 Wunder erleben!«</p>
3092 <p>Dieser Sommer tröstete die Wiener zum zweitenmal
3093 für das viele Ungemach und die argen Enttäuschungen,
3094 die sie erleben mußten. Gerade die schönsten Plätze und
3095 Orte in dem klein gewordenen Oesterreich waren in den
3096 früheren Jahren zum Pachtgut der Juden geworden. Das
3097 ganze herrliche Salzkammergut, das Semmeringgebiet, sogar
3098 Tirol, soweit es einigen Komfort bot, waren von
3099 österreichischen, tschechoslowakischen und ungarischen Juden
3100 überflutet gewesen; in Ischl, Gmunden, Wolfgang, Gilgen,
3101 Strobl, am Attersee und in Aussee erregte es direkt Aufsehen,
3102 wenn Leute auftauchten, die im Verdacht standen,
3103 Arier zu sein. Die christliche Bevölkerung, zum Teil weniger
3104 im Ueberfluß schwelgend, zum Teil auch großen Geldausgaben
3105 konservativer gegenüberstehend, fühlte sich nicht
3106 ohne Unrecht verdrängt und mußte mit den billigeren,
3107 aber auch weniger schönen Gegenden in Niederösterreich,
3108 Steiermark oder in entlegenen Tiroler Dörfern vorlieb
3109 nehmen. Das war seit der Judenvertreibung anders geworden.
3110 Es gab in den schönsten Sommerfrischen keine
3111 Ueberfüllung, die Städter bekamen auf ihre Nachfragen
3112 höfliche und eilige Antworten, und trotz der sonstigen
3113 Teuerung waren die Wohnungs- und Zimmerpreise erheblich
3114 billiger als vor zwei Jahren. Und so schwärmte denn
3115 alles, was Geld und Zeit hatte, in jene Gegenden, die
3116 dem bodenständigen Wiener früher verleidet worden waren.</p>
3118 <p>Die Besitzer der großen Etablissements, Kuranstalten
3119 und sogenannten Sanatorien schnitten allerdings sauere
3120 <a class="pagenum" name="Page_87" title="87"> </a>
3121 Mienen. Sie hatten immer von dem internationalen
3122 Judentum gelebt, ihr ganzer Betrieb war auf jene Menschen
3123 eingestellt, die nicht rechnen, wenn es sich um ihre
3124 Behaglichkeit handelt, und nun fanden sie, da sie auch
3125 bei gutem Willen nicht billig sein konnten, nicht genügend
3126 Gäste. Die großen Semmeringhotels eröffneten ihre Betriebe
3127 überhaupt nicht mehr und viele Hotels im Salzkammergut
3128 und Tirol sahen sich mitten im Sommer genötigt,
3129 zu sperren und ihr Personal zu entlassen. Das war
3130 ein Wermuttropfen im Becher der Freude und machte böses
3131 Blut unter der Landbevölkerung, die gewohnt war, ihre
3132 Produkte zu enormen Preisen den großen Hotels zu verkaufen
3133 und ihre Töchter und Söhne im Sommer ein
3134 schweres Stück Geld als Stubenmädchen und Hausdiener
3135 verdienen zu lassen.</p>
3137 <p>Der Bürgermeister von Semmering hatte den Mut,
3138 es in einer Gemeinderatssitzung offen herauszusagen:</p>
3140 <p>»Mit den Juden hat man bei uns den Wohlstand
3141 vertrieben, ein paar Jahre noch und wir werden zwar gute
3142 Christen, aber bettelarm sein!«</p>
3144 <p class="asterisk-break">* * *</p>
3146 <p>Als der Sommer vorüber war und der Herbst die
3147 Blätter färbte, begann in fast schon gewohnter Weise die
3148 Krone neuerlich zu fallen und die Teuerung anzusteigen.
3149 Die Preise wurden phantastisch, selbst reiche Leute scheuten
3150 die Anschaffung eines neuen Kleidungsstückes, die Arbeiter,
3151 die Angestellten, ja auch die Arbeitslosen stellten neue
3152 Forderungen, eine Fahrt auf der Straßenbahn kostete
3153 <a class="pagenum" name="Page_88" title="88"> </a>
3154 schon tausend Kronen und ein Kilogramm Butter fünfzigtausend.</p>
3156 <p>Unter allgemeiner Verbitterung, Nervosität und Unruhe
3157 trat im Oktober die Nationalversammlung zusammen,
3158 und das Gesicht des Kanzlers Doktor Schwertfeger sah zerklüftet,
3159 durchfurcht, vergrämt aus. Als er sprach, herrschte
3160 nicht jene weihevolle Ruhe wie früher, sondern es wurden
3161 Rufe, Zwischenbemerkungen laut, sogar die Galerie machte
3162 sich durch Oho-Rufe bemerkbar und die kleine Opposition
3163 der Sozialdemokraten ließ sich nicht mehr einschüchtern,
3164 sondern griff immer wieder in die Debatte ein.</p>
3166 <p>Schwertfeger gab einen Ueberblick über die trostlose
3167 finanzielle Lage des Landes und fuhr dann fort:</p>
3169 <p>»Ich muß es rund heraussagen: Große und schwere
3170 Opfer stehen der christlichen Bevölkerung Oesterreichs bevor.
3171 (Zwischenruf von der Galerie: Natürlich nur den
3172 Christen, da wir ja die Juden hinausgeschmissen haben!)
3173 Opfer, die mit Mannesmut und Bürgertreue geleistet
3174 werden müssen! Die Regierung braucht zur Fortführung
3175 der Geschäfte Geld, und da wir vom Auslande keine weiteren
3176 Kredite bekommen können, müssen wir die Unsummen,
3177 die die Verwaltung, die Verzinsung der Schulden
3178 und die Unterstützung der Arbeitslosen verschlingt, durch
3179 neue Steuern, direkte und indirekte, hereinbringen. (Große
3180 Unruhe im ganzen Hause.)</p>
3182 <p><ins title="»Meine">Meine</ins> Herren und Damen, ich weiß, daß die Bevölkerung
3183 schwer enttäuscht ist und ich bin es mit ihr.
3184 Wir alle haben eben die Schwierigkeit der Uebergangswirtschaft
3185 unterschätzt, wir alle dachten, daß die christlichen
3186 <a class="pagenum" name="Page_89" title="89"> </a>
3187 Bürger sich besser auf die Beherrschung der Finanzen und
3188 des Geschäftslebens einstellen würden, die ganz in Händen
3189 der Juden waren. Aber was sind solche Enttäuschungen
3190 gegenüber dem ungeheuren Ziel, das wir uns gesteckt
3191 haben, dem Ziel, Oesterreich seiner arischen Bevölkerung
3192 wiederzugeben, ein Land aufzurichten, das frei von Wuchergeist,
3193 frei von jüdischem Skeptizismus, frei von jenen zersetzenden
3194 Eigenschaften und Elementen ist, die das Judentum
3195 repräsentieren!«</p>
3197 <p>Zum Schluß stellte der Kanzler mit erhobener Stimme
3198 die Vertrauensfrage.</p>
3200 <p>Im Namen der kleinen sozialistischen Fraktion sprach
3201 Doktor Wolters gegen die Kreditgewährung, gegen die
3202 Gutheißung der Regierungspläne, gegen das Vertrauensvotum.
3203 In krassen Farben schilderte er die zunehmende
3204 Verelendung, die Gefahr des unmittelbar bevorstehenden
3205 Staatsbankerottes, die Verödung des wirtschaftlichen und
3206 geistigen Lebens. Er sagte unter anderem:</p>
3208 <p>»Der Herr Bundeskanzler hat vor mehr als zwei
3209 Jahren, als er sein Antijudengesetz begründete, unsere
3210 Bevölkerung bieder, einfältig und ehrlich genannt und behauptet,
3211 daß sie der Konkurrenz der überlegenen Juden
3212 nicht gewachsen sei. Er hat nur eines übersehen: Daß wir
3213 biederen, ehrlichen und einfachen Oesterreicher auch ohne
3214 Juden von Völkern umgeben sein werden, die uns jetzt,
3215 wo wir die Juden nicht mehr haben, erst recht überlegen
3216 sind. Wo ist der mitteleuropäische Handel hingekommen,
3217 seitdem die Juden weg sind? Wir haben ihn verloren,
3218 denn die Juden haben ihn nach Prag und Budapest mitgenommen.
3219 <a class="pagenum" name="Page_90" title="90"> </a>
3220 Was ist aus der blühenden Konfektions-, Galanterie-
3221 und Mode-Industrie geworden? Sie ist fast spurlos
3222 verschwunden, weil sie von der Biederkeit und Ehrlichkeit
3223 allein nicht leben kann, sondern den jüdischen Konsumenten
3224 aus aller Herren Länder braucht, der das leicht verdiente
3225 Geld auch leicht wieder ausgibt. Heute zeigt es sich,
3226 daß wir der Juden nicht entraten können&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;.«</p>
3228 <p>Stürmische Rufe unterbrachen den sozialistischen
3229 Führer. Die Christlichsozialen und Deutschnationalen
3230 tobten, schrien »Hinaus mit dem gekauften Judenknecht«
3231 und der Tumult wurde so groß, daß der Präsident, der
3232 Tiroler mit dem roten Bart, die Sitzung unterbrechen
3233 mußte. Als er sie wieder eröffnete, erteilte er dem Doktor
3234 Wolters eine Rüge, weil er durch seine Worte das christliche
3235 Gefühl der Abgeordneten schwer verletzt und den Versuch
3236 gemacht habe, die Grundfesten des neuen Staates zu erschüttern.</p>
3238 <p>Schließlich wurden alle Regierungsanträge gegen die
3239 Stimmen der Sozialisten angenommen. Aber viele Abgeordnete
3240 hatten sich vor der Abstimmung entfernt und
3241 Schwertfeger sagte später seinem Präsidialisten mit grimmigem
3242 Lächeln:</p>
3244 <p>»Diesmal sind sie davongelaufen, das nächstemal
3245 werden sie gegen mich stimmen, die Erfolghascher, Konjunkturisten,
3246 die gestern Hosianna schrieen und morgen
3247 <span class="antiqua" lang="la" xml:lang="la">crucifige</span> rufen werden!«</p>
3249 <p class="asterisk-break">* * *</p>
3251 <p><a class="pagenum" name="Page_91" title="91"> </a>Seltsame, mysteriöse Dinge ereigneten sich. Eines
3252 Morgens standen am Schottentor vor einer Litfaßsäule,
3253 desgleichen vor der Oper, am Stubenring und an anderen
3254 Plätzen Hunderte von Männern und Frauen vor kleinen,
3255 mit einem Reisnagel befestigten Plakaten im Oktavformat,
3256 die folgende Inschriften enthielten:</p>
3258 <p>»Wiener, Oesterreicher! Rafft euch auf, bevor Ihr alle
3259 zugrunde gegangen seid! Mit den Juden habt Ihr den
3260 Wohlstand, die Hoffnung, die Zukunftsmöglichkeit ausgewiesen!
3261 Fluch den Volksverführern, die euch irregeleitet
3262 haben!</p>
3264 <div class="right">
3265 <p>Der Bund wahrhaftiger Christen.«</p>
3266 </div>
3268 <p>Die Menschen lasen einander die frechen Worte vor,
3269 viele schimpften und behaupteten, daß Freimaurer das getan
3270 haben mußten, andere entfernten sich wortlos, wieder
3271 andere hatten den Mut, zustimmende Aeußerungen zu tun
3272 und die Anderssprechenden trotzig anzusehen.</p>
3274 <p>Nach einigen Tagen erschienen an verschiedenen Plätzen
3275 neue Plakate mit den Worten:</p>
3277 <p>»Wien verdorft! Wiener, seht Ihr es denn nicht?
3278 Noch ein paar Jahre und aus der alten, ehemaligen Kaiserstadt
3279 wird ein schäbiges, vergessenes Nest geworden sein!«</p>
3281 <p>Das ging den Leuten, die nun den Inhalt des Plakates
3282 auch aus der »Arbeiter-Zeitung« vernahmen, auf die
3283 Nerven, allenthalben wurde man unruhig. War nicht
3284 etwas Wahres an dieser neuen Behauptung des mysteriösen
3285 Bundes wahrhaftiger Christen? Leidenschaftliche
3286 Diskussionen wurden darüber in Versammlungen, im
3287 Wirtshaus, in der Straßenbahn geführt, aber das Wort
3288 <a class="pagenum" name="Page_92" title="92"> </a>
3289 von der Verdorfung Wiens blieb irgendwie in der Luft
3290 hängen, wurde geflügelt, man bekam es überall zu hören,
3291 ja sogar die christliche »Weltpresse« schrieb am Schluß eines
3292 Leitartikels ganz unwillkürlich: »Wir müssen alles tun,
3293 um der Verdorfung zu entgehen!«</p>
3295 <p>Die Polizei wurde von der erbosten Regierung aufgefordert,
3296 den Uebeltäter aufzuspüren, der die Plakate anschlug.
3297 Vergebliche Mühe! Alle paar Tage kamen neue
3298 zum Vorschein, immer an anderen Plätzen, an Haustoren,
3299 Kirchenportalen, ja einmal hing je eines an den Toren
3300 des Kanzlerpalais, des Polizeipräsidiums und des Parlamentes.
3301 Und immer enthielt das kleine Plakat in wenigen
3302 Worten eine wirksame Polemik gegen die Regierung, eine
3303 suggestive Aufhetzung der Bevölkerung. Die »Arbeiter-Zeitung«
3304 war jedesmal in der Lage, schon in ihrer Morgenausgabe
3305 den Inhalt des Pamphlets, das heute angeschlagen
3306 werden würde, zu veröffentlichen, weil ihr ein
3307 Exemplar schon am Tage vorher mit der Post gebracht
3308 wurde.</p>
3310 <p>Schließlich geriet ganz Wien in Aufregung, man
3311 sprach fast von nichts anderem, zerbrach sich den Kopf
3312 darüber, wer hinter diesem geheimnisvollen Bund wohl
3313 stecken möge, die Zahl derer, die dem Inhalte der kleinen
3314 Aufrufe zustimmten, wuchs von Woche zu Woche, die sozialdemokratischen
3315 Versammlungen bekamen wieder einen ungeheuren
3316 Zulauf und der Nimbus des Kanzlers sank ersichtlich.</p>
3318 <p>Lotte war eines Nachmittags früher zu Leo gekommen,
3319 als er sie erwartet hatte. Da sie einen eigenen
3320 <a class="pagenum" name="Page_93" title="93"> </a>
3321 Schlüssel zu der Wohnung besaß und Leo sie nicht wie
3322 sonst im Wohnzimmer erwartete, ging sie direkt in das
3323 Atelier. Leo warf rasch ein Tuch über einen kleinen Holztisch
3324 und begrüßte sie dann ein wenig verlegen.</p>
3326 <p>Lotte zog ihn beim Knebelbärtchen, sah ihm in die
3327 braunen Augen und sagte dann:</p>
3329 <p>»Du, Leo, du hast da soeben etwas vor mir verbergen
3330 wollen! Was befindet sich dort unter dem Tuch?«</p>
3332 <p>Leo lachte herzlich.</p>
3334 <p>»Mädel, du hast Augen wie ein Luchs! Also, dann
3335 will ich dir mein Geheimnis eben schon heute anvertrauen.«</p>
3337 <p>Er zog das Tuch fort und Lotte erblickte neben einem
3338 Typenkasten und einer Miniatur-Handpresse einen Stoß
3339 frisch gedruckter Zettel. Erstaunt las sie:</p>
3341 <p>»Wiener, geht es euch heute besser oder schlechter als
3342 zur Zeit der Juden? Ueberlegt in Ruhe und Ihr werdet
3343 euch die richtige Antwort geben! Wir alle haben einst geschrien:
3344 »Hinaus mit den Juden!« So schreien wir heute:
3345 »Herein mit jenen Juden, die ehrlich und treu mit uns
3346 arbeiten <ins title="wollen.">wollen.«</ins></p>
3348 <div class="right">
3349 <p>Der Bund der wahrhaftigen Christen.«</p>
3350 </div>
3352 <p>Verblüfft, verwirrt, verständnislos ließ Lotte das
3353 Papier fallen und ergriff einen anderen Zettel, auf dem
3354 gedruckt stand:</p>
3356 <p>»Wir sehnen uns nicht nach den kulturfernen Ostjuden.
3357 Aber die intelligenten, klugen, wertvollen Juden, die
3358 schon vor dem Jahre 1914 unsere Mitbürger waren, müssen
3359 <a class="pagenum" name="Page_94" title="94"> </a>
3360 wir wieder mit offenen Armen aufnehmen, wenn wir nicht
3361 rettungslos verelenden wollen! Auf zur Tat, bevor es zu
3362 spät ist!</p>
3364 <div class="right">
3365 <p>Der Bund der wahrhaftigen Christen.«</p>
3366 </div>
3368 <p>Fragend sah Lotte ihren Bräutigam an.</p>
3370 <p>Dieser hob sie zu sich empor, küßte sie auf die Nasenspitze
3371 und lachte wieder aus vollem Halse.</p>
3373 <p>»Na, Tschapperl, verstehst du noch immer nicht? Der
3374 Bund der wahrhaftigen Christen, der seit Wochen Wien
3375 verrückt macht, bin ich! Und ich werde nicht aufhören, bevor
3376 nicht der große Wirbel eingetreten ist. Die zwei neuen
3377 Plakate werden wirken, sag ich dir! Das sind meine Gas-,
3378 Stink- und Leuchtbomben, mit denen ich töte, ersticke und
3379 erleuchte.«</p>
3381 <p>Lotte zitterte.</p>
3383 <p>»Leo, wenn du dabei erwischt wirst, so ist es um dich
3384 geschehen!«</p>
3386 <p>»Wenn, wenn! Aber man wird nicht! Ich habe eine
3387 wunderbare Technik beim Befestigen der Zettel! Ich
3388 schlendere morgens an einem Tor oder einer Wand vorbei,
3389 und im Gehen, ohne auch nur eine Sekunde mich aufzuhalten,
3390 treibe ich den Nagel ein, an dem der Zettel schon
3391 hängt! Und selbst, wenn die Polizei die Zettel wenige
3392 Minuten später wieder abreißt, so schadet das nicht, weil
3393 die »Arbeiter-Zeitung« den Inhalt schon abgedruckt hat.
3394 Verlaß dich auf mich, mein Lieb, es muß das geschehen,
3395 ich gehe einen genau vorgezeichneten Weg und nehme mich
3396 ohnedies höllisch in acht.«</p>
3398 <p><a class="pagenum" name="Page_95" title="95"> </a>Lotte saß auf dem großen Zeichentisch, baumelte mit
3399 den schlanken Beinen und sagte nachdenklich:</p>
3401 <p>»Weißt du, Leo, du hast schon sehr viel erreicht, glaube
3402 ich. Gestern war bei uns größere Gesellschaft. Zehn Herren
3403 und Damen waren da und es wurde fast ununterbrochen
3404 von der Judenausweisung und ihren Folgen gesprochen.
3405 Und alle, darunter auch der Hofrat Tumpel, waren darin
3406 einig, daß man sich mit der Ausweisung eines Teiles der
3407 Ostjuden, und zwar jenes Teiles, der eine anständige Beschäftigung
3408 nicht nachweist, hätte begnügen müssen. Hofrat
3409 Tumpel, der vor einem Jahr noch wütend wurde,
3410 wenn man mit dem Bundeskanzler nicht ganz einverstanden
3411 war, sagte schließlich:</p>
3413 <p>»Ja, ja, es scheint, als wenn man da in einen höchst
3414 komplizierten Mechanismus allzu brutal eingegriffen
3415 hätte! Gewisse nicht zu unterschätzende jüdische Eigenschaften
3416 fehlen uns ganz bedenklich!«</p>
3418 <p><ins title="»Dazu">Dazu</ins> ist allerdings zu bemerken, daß der Bruder des
3419 Hofrates die Buchhandlung in der Seilergasse besitzt, die
3420 sich nur mit dem Vertrieb von Luxusbüchern und Kunstdrucken
3421 befaßt. Seit die Juden weg sind, macht er gar
3422 keine Geschäfte mehr und sein Bruder, der Hofrat, hat
3423 schon zweimal große Summen opfern müssen, um ihn vor
3424 dem Bankerott zu bewahren. Und noch etwas, Leo: Ich
3425 halte doch immer, in der Früh', wenn ich einkaufe, und
3426 im Konzert und in der Oper und der Straßenbahn die
3427 Augen und Ohren offen. Und ich höre, wie die Leute
3428 immer mehr mit Wehmut an die Vergangenheit zurückdenken
3429 und von ihr wie von etwas sehr Schönem sprechen.
3430 <a class="pagenum" name="Page_96" title="96"> </a>
3431 »Damals, wie die Juden noch da waren«, das kann man
3432 täglich zehnmal in allen Tonarten nur in keiner gehässigen,
3433 hören. <ins title="»Weißt">Weißt</ins> du, ich glaub', die Leute bekommen ordentlich
3434 Sehnsucht nach den Juden!«</p>
3436 <p>Leo preßte das kluge Mädchen an sich. »Und ich will
3437 das Meinige tun, um diese Sehnsucht unwiderstehlich zu
3438 machen.«</p>
3440 <p>»Aber sei recht vorsichtig, Leo, bedenk', daß, wenn man
3441 dich umbringt, es auch mein Leben kostet!«</p>
3443 <p class="asterisk-break">* * *</p>
3445 <p>Traurigere Weihnachten hatte Wien noch nie erlebt.
3446 Der ungeheuerlichen Teuerung stand der vollständige
3447 Stillstand des Lebens gegenüber. Die Teuerung allein
3448 hätte die guten Phäaken nicht anfechten können. Sie waren
3449 sie ja schon seit einem Dezennium gewöhnt, und ob das
3450 Viertel Wein nun zehntausend oder fünftausend Kronen
3451 kostete, war schließlich egal, wenn man genug verdiente,
3452 wenn der Arbeiter hohen Lohn bekam und der Kaufmann
3453 abends die Kasse voll mit Zehntausendern hatte. Jetzt war
3454 das aber nicht mehr der Fall. Die enormen Banknotenmassen
3455 blieben bei den Bauern liegen, in den Städten
3456 herrschte vollständige Kaufunlust, ein großer Teil der Arbeiter
3457 feierte und war auf die staatliche Unterstützung angewiesen,
3458 und in der Weihnachtsnummer veröffentlichten die
3459 Zeitungen Statistiken, aus denen hervorging, daß seit zwei
3460 Jahren allein in Wien an die fünftausend Bankfilialen,
3461 Kaffeehäuser, Restaurants und Geschäfte geschlossen hatten.
3462 Neuerdings trat ein Riesenkrach nach dem anderen in der
3463 <a class="pagenum" name="Page_97" title="97"> </a>
3464 Industrie ein, Aktiengesellschaften, die man noch vor
3465 kurzem für bombensicher gehalten hatte, erklärten sich insolvent
3466 und man sprach sogar von dem baldigen Zusammenbruch
3467 zweier Großbanken.</p>
3469 <p>Was nutzte es den Wienern unter solchen Umständen,
3470 daß sie überall Platz hatten, sogar an den Weihnachtsfeiertagen
3471 die Theater nicht ausverkauft waren und man nicht
3472 mehr den aufreizenden Judennasen begegnete? Was nutzte
3473 es, daß man zur christlichen Einfachheit zurückgekehrt war
3474 und sich den Vollbart wachsen ließ, wenn die Friseurgehilfen
3475 massenhaft entlassen werden mußten, weil es keine
3476 Arbeit mehr für sie gab?</p>
3478 <p>Am schlimmsten waren die Juweliere daran. Die
3479 meisten waren Juden gewesen und hatten auswandern
3480 müssen, und nun führten diese Geschäfte ehemalige kleine
3481 Uhrmacher und andere sicher sehr ehrenwerte Leute, die
3482 aber zum holländischen Edelsteinmarkt, der fast ausschließlich
3483 in jüdischen Händen liegt, keinerlei Beziehungen
3484 hatten und bei jedem Einkauf über die Ohren gehauen
3485 wurden. Schließlich hatte der Einkauf im Ausland ganz
3486 aufgehört, weil niemand mehr Schmuck wollte, wohl aber
3487 der Andrang derer, die verkaufen mußten, immer stärker
3488 wurde. Langsam aber sicher wanderte ein großer Teil des
3489 inländischen Juwelenbesitzes in die Nachbarstaaten, nach
3490 England, Frankreich und Amerika, und auch dabei waren
3491 die Juweliere, die diesen Export betrieben, die Leidtragenden.
3492 Wenn ein Juwelier heute eine Perlenschnur für zehn
3493 Millionen aus privatem Besitz kaufte und sie bald darauf
3494 für dreißig Millionen einem Amerikaner anhängte, so
3495 <a class="pagenum" name="Page_98" title="98"> </a>
3496 bildete er sich ein, ein glänzendes Geschäft gemacht zu
3497 haben und begoß seine Freude mit Wein, lobte den Doktor
3498 Schwertfeger und kaufte eine Fettgans, die nun nicht mehr
3499 das Privilegium der Juden war. Bevor er aber noch die
3500 schwere Gansleber verdauen hatte können, waren seine
3501 dreißig Millionen nicht einmal die zehn wert, die er ausgegeben
3502 und er besaß kein Geld mehr zu neuen Ankäufen.</p>
3504 <p>So war es wahrhaftig kein Wunder, wenn zu Weihnachten
3505 eine Welle der Erbitterung und Unzufriedenheit
3506 durch Wien ging und die Silvesternacht nicht mit Jubel
3507 und Radau wie sonst, sondern in Verdrossenheit und
3508 Mutlosigkeit gefeiert wurde.</p>
3510 <p>Und wenn der Bundeskanzler das Gespräch mitangehört
3511 hätte, das in der Weihnachtswoche der Herr Habietnik,
3512 Besitzer des großen Modehauses in der Kärntnerstraße,
3513 und der Herr Mauler, Inhaber des großen Juweliergeschäftes
3514 am Graben, miteinander führten, so wäre sein
3515 Ingrimm noch größer gewesen, als er es ohnedies war.</p>
3517 <p>Herr Habietnik und Herr Mauler saßen im Grabenkaffee
3518 und klagten beide über das elende Weihnachtsgeschäft,
3519 das den Ruin Tausender von Geschäftsleuten besiegeln
3520 mußte. Plötzlich beugte sich Herr Habietnik zu Herrn
3521 Mauler und erzählte ihm von einem Traum, den er in
3522 der vergangenen Nacht gehabt.</p>
3524 <p>»Stellen Sie sich vor, Herr Mauler, i hab' g'träumt,
3525 daß plötzlich zu mir ins Geschäft lauter Juden und Jüdinnen
3526 gekommen san. Alle waren hochelegant und haben
3527 Banknotenbündel in den Händen gehalten und es ist ein
3528 Riesenwirbel entstanden. Die Madeln konnten die Pelze
3529 <a class="pagenum" name="Page_99" title="99"> </a>
3530 und Stoffe, die Mäntel und Kostüme gar nicht schnell genug
3531 herbeibringen und die ganze Modeabteilung war von
3532 Seide und Samt, von Spitzen und Stickereien gefüllt.
3533 Und nichts war den Jüdinnen gut genug und eine sehr
3534 eine fesche jüdische Dame hat immer geschrien: »Das ist
3535 gar nichts! Wir kommen aus Paris und Palästina, wo die
3536 neuesten Moden sind, zeigen Sie das Beste, was Sie
3537 haben.« Und da hat meine erste Verkäuferin plötzlich eine
3538 Barchenthose gebracht und hat gesagt: »Aber meine verehrte
3539 gnädige Israelitin, das ist doch das Neueste aus
3540 Paris!« Und da ist ein furchtbares Gelächter entstanden,
3541 so daß ich aufgewacht bin! Glauben <ins title="'s">S'</ins> nicht, Herr Mauler,
3542 daß der Traum was zu bedeuten <ins title="hat?">hat?«</ins></p>
3544 <p>Herr Mauler aber meinte grinsend:</p>
3546 <p>»Ja, er hat zu bedeuten, daß bald die ganze Welt
3547 über uns lachen wird und wir uns in Flanell und Barchent
3548 einwickeln werden, bevor wir begraben werden. Aber das
3549 eine weiß ich, Herr Habietnik, wenn so plötzlich vor meinem
3550 Laden ein Automobil vorfahren würde mit einem jüdischen
3551 Ehepaar, so tät ich sie beide abküssen und hätt' noch einmal
3552 eine Freude am Leben! Wissen Sie, Herr Habietnik,
3553 wie ich früher noch Kommis beim Herrn Zwirner war, der
3554 mein Geschäft gehabt hat, da hab' ich mir oft gedacht, daß
3555 es eigentlich eine Schand' ist, daß fast nur die Juden Geld
3556 genug haben, um Brillanten und Perlen zu kaufen. Und
3557 einmal habe ich das auch laut gesagt. Da hat mich der
3558 Herr Zwirner angelacht und gesagt: »Herr Mauler, sein
3559 Sie kein Narr, sondern froh darüber, daß die Juden
3560 kaufen und das Geld unter die Leute bringen. Oder möchten
3561 <a class="pagenum" name="Page_100" title="100"> </a>
3562 Sie es lieber haben, daß auch die Juden ihr Geld
3563 vergraben und verstecken wie die Bauern? Sie werden
3564 sehen, wenn das mit dem Antisemitismus so weitergeht, so
3565 werden die reichen Juden auswandern und dann können
3566 die Geschäftsleute sperren!«</p>
3568 <p>Na und jetzt sind nicht nur die reichen, sondern auch
3569 die armen Juden ausgewandert und wir sind richtig alle
3570 <ins title="kapores!">kapores!«</ins></p>
3572 <p class="asterisk-break">* * *</p>
3574 <p>Bei Spineders war der heilige Abend in der gewohnten
3575 patriarchalischen Weise gefeiert worden. Die Stimmung
3576 war aber nicht die beste. Der Hofrat begann ernstliche
3577 Sorgen materieller Art zu haben, die ihm die Entwertung
3578 seines Vermögens bereitete; Frau Spineder
3579 konnte sich noch immer von dem Schrecken nicht erholen,
3580 den ihr die Tatsache eingejagt, daß sie für den Weihnachtskarpfen
3581 fünfzigtausend Kronen und für die Weihnachtsgans
3582 hunderttausend hatte zahlen müssen, und Lotte war unruhig,
3583 weil sie ohne Nachricht von Leo war und doch gehofft
3584 hatte, daß er sich irgendwie wenigstens mit einem
3585 Glückwunsch melden würde.</p>
3587 <p>Gerade als mit Andacht der kostbare Fisch verzehrt
3588 wurde, läutete die Haustorglocke und das Stubenmädchen
3589 meldete, ein Mann sei da, der dem gnädigen Fräulein
3590 etwas persönlich zu überbringen habe. Lotte stürzte hinaus,
3591 und der in einen Pelz gehüllte Mann, der ihr etwas
3592 zu übergeben hatte, küßte sie im dunklen Hausflur wie
3593 <a class="pagenum" name="Page_101" title="101"> </a>
3594 verrückt ab, um ihr dann ein winziges Päckchen in die
3595 Hand zu drücken und eilends wieder zu verschwinden.</p>
3597 <p>Im Speisezimmer wickelte Lotte das kleine Paket aus
3598 und entnahm einem Lederetui einen Ring mit einer köstlichen,
3599 haselnußgroßen Perle.</p>
3601 <p>»Ein Weihnachtsgeschenk von Herrn Henry Dufresne«,
3602 sagte Lotte, die purpurrot geworden war, und ein unendliches
3603 Glücksgefühl durchströmte ihr junges Herz, als sie
3604 den Ring über den Finger zog.</p>
3606 <p>Der Herr Hofrat aber war betreten und erklärte kategorisch:</p>
3608 <p>»Lotte, nun aber muß dieser Herr Dufresne sich uns
3609 doch endlich vorstellen und um deine Hand anhalten. Denn
3610 ein solcher Ring, den man einem Mädchen schenkt, ist einfach
3611 ein Verlobungsring.«</p>
3613 <p>Lachend küßte Lotte ihren Vater.</p>
3615 <p>»Habt noch ein wenig Geduld! Leo &ndash; Henry sagt, daß
3616 er sehr bald zu euch kommen werde.«</p>
3618 <p>Die Mama aber schüttelte wieder den Kopf und dachte:</p>
3620 <p>»Seltsame Zeiten, seltsame Jugend! Liebt einen, vergißt
3621 ihn und verwechselt dann seinen Namen mit dem des
3622 Nachfolgers!«</p>
3624 <p>Im Januar vereinigten sich mehrere große Konsumentenorganisationen
3625 zu einer Massenversammlung in der
3626 Volkshalle des Rathauses unter der Devise: »Wir können
3627 nicht weiter!« Zehntausende von Menschen waren der Einladung
3628 gefolgt und trotz der außerordentlichen Kälte standen
3629 vor dem Rathaus ungeheure Menschenmassen, die in
3630 der Volkshalle nicht mehr Platz gefunden hatten.</p>
3632 <p><a class="pagenum" name="Page_102" title="102"> </a>Die Versammlung bot ein merkwürdiges Bild. Leo
3633 Strakosch, der sich ebenfalls eingefunden hatte, konstatierte,
3634 noch niemals so viele vollbärtige Männer gesehen und noch
3635 nie so viele Heilrufe gehört zu haben. Eine andere Staffage
3636 und man hätte an eine Tiroler Bauernversammlung
3637 zur Zeit des Andreas Hofer denken können. Auch Weiblichkeit
3638 war massenhaft vertreten, aber wahrhaftig nicht die
3639 lieblichste, die Wien aufzuweisen hat. Unter allgemeinem
3640 Heil-Gebrüll eröffnete der Apotheker Doktor Njedestjenski
3641 die Versammlung mit der Feststellung, daß es so nicht
3642 weitergehen könne. Er vermied es sorgfältig, die Notlage
3643 und Teuerung mit der Judenausweisung in Zusammenhang
3644 zu bringen, sondern gab sich höchst deutschnational
3645 und behauptete, nur die Tatsache, daß Oesterreich sich nicht
3646 an Deutschland anschließen könne, sei schuld an dem
3647 jammervollen Niedergang Wiens. Worauf ein Arbeiter
3648 unter schallender Heiterkeit dazwischen rief:</p>
3650 <p>»Wir können uns ja gar nicht mehr anschließen, oder
3651 glauben Sie, daß die Deutschen auch solche Trotteln wie
3652 wir sind und ihre Juden hinausschmeißen werden?«</p>
3654 <p>Das brachte den Apotheker aus dem Konzept, er
3655 stammelte noch etwas von deutscher Einheit und deutschem
3656 Volksbewußtsein, schrie »Heil« und gab den Rednern das
3657 Wort. Worauf fast nur mehr über die Juden gesprochen
3658 wurde. Und zwar so, daß ein Unkundiger hätte glauben
3659 müssen, Wien sei die judenfreundlichste Stadt der Welt.
3660 Als ein Weinhändler antisemitische Töne anschlug, wurde
3661 er direkt niedergeschrieen und ein Zwischenruf: »Hätten
3662 wir lieber von den Juden gelernt, als sie hinauszujagen!«
3663 <a class="pagenum" name="Page_103" title="103"> </a>
3664 fand großen Beifall. Leo konnte sich nicht länger beherrschen.
3665 Mit bedenklichem Herzklopfen meldete er sich bei
3666 dem Vorsitzenden zum Wort und bestieg die Rednertribüne,
3667 während er dachte: Nun, Frechheit, steh' mir bei! Er tat,
3668 als würde er die deutsche Sprache nur unvollkommen beherrschen,
3669 betonte immer wieder, daß er als Franzose
3670 eigentlich nicht befugt sei, sich in die Angelegenheiten
3671 Oesterreichs zu mischen, aber von Wohlwollen für diese
3672 unvergleichlich schöne und liebreizende Stadt, der schönsten
3673 nach oder mit Paris, erfüllt, doch nicht umhin könne, seiner
3674 Meinung Ausdruck zu geben. Worauf die anwesenden Vollbärte
3675 geschmeichelt und die Frauen, von dem schlanken,
3676 hübschen Mann trotz des Knebelbartes entzückt »Heil!«
3677 schrieen. Und dann fuhr Leo mit französischem Akzent fort:</p>
3679 <p>»Auch wir in Paris haben sehr viele Juden, gute und
3680 schlechte, wertvolle und schädliche. Jedenfalls sind viele darunter,
3681 die alle Hochachtung verdienen und dem Land von
3682 großem Nutzen sind. Niemandem aber würde es bei uns einfallen,
3683 die Juden ausweisen zu wollen, sondern jeder versucht,
3684 ihre guten Eigenschaften auszunützen. Ich bin hier
3685 nicht zu Hause und kenne daher die Wiener Juden nicht so
3686 genau, kann aber sagen, daß ich in Paris mit sehr vielen
3687 aus Wien Ausgewiesenen verkehrt habe, die einen vortrefflichen
3688 Eindruck gemacht haben und sicher sehr bald gute
3689 Franzosen sein werden. Es ist möglich, daß zwischen den
3690 österreichischen Christen und den Juden ein größerer
3691 Unterschied ist, als zwischen den leichtbeweglichen und
3692 temperamentvollen Franzosen und den Juden. Aber gerade
3693 deshalb müßte doch eine gute Ergänzung möglich sein.
3694 <a class="pagenum" name="Page_104" title="104"> </a>
3695 Ich höre, daß man den Juden hierzulande den Vorwurf
3696 gemacht hat, das Kapital zu beherrschen und relativ mehr
3697 Geld zu besitzen als die christlichen Bürger. Ja, meine Verehrten,
3698 daraus geht doch nur hervor, daß sie rascher im
3699 Denken und Handeln sind, und eine kluge Regierung müßte
3700 solche Eigenschaften für die Allgemeinheit zu benutzen verstehen.«</p>
3702 <p>Stürmische Zurufe von allen Seiten: »Jawohl, eine
3703 gescheite Regierung, aber wir haben eben eine blöde! Recht
3704 hat er! Heil! Heil!«</p>
3706 <p>»Meine Verehrten,« sagte Leo lächelnd, »ob einem die
3707 Juden sympathisch sind oder nicht, ist eigentlich gleichgültig.
3708 Der Sauerteig, der dem Brotmehl beigegeben wird,
3709 schmeckt an sich recht abscheulich und doch kann ohne ihn
3710 kein Brot gemacht werden. So müßte man auch die Juden
3711 betrachten. Sauerteig, an sich wenig erfreulich und in zu
3712 großen Quantitäten schädlich, aber in der richtigen Mischung
3713 unentbehrlich für das tägliche Brot. Und ich glaube, daß
3714 Ihr Brot sitzen bleibt, weil ihm der Sauerteig fehlt!</p>
3716 <p>Nun heißt es aber nicht räsonieren und das, was
3717 geschehen ist, beklagen, sondern zusehen, wie Abhilfe geschaffen
3718 werden kann. Wie das in Oesterreich möglich sein
3719 wird, weiß ich nicht. In Frankreich würde in solchem Falle
3720 die Bevölkerung auf Neuwahlen dringen, die zeigen
3721 müßten, ob das Volk mit den herrschenden Zuständen zufrieden
3722 ist oder sie ändern will!«</p>
3724 <p>Damit trat Leo ab, um rasch in der Menge zu verschwinden.
3725 Der Versammlung hatte sich eine ungeheure Aufregung
3726 bemächtigt. Wie ein Funke in ein Dynamitfaß, so
3727 <a class="pagenum" name="Page_105" title="105"> </a>
3728 hatte das Wort »Neuwahlen« in die Menschenmassen eingeschlagen,
3729 die riesige Halle erdröhnte von diesem aus
3730 dreißigtausend Kehlen geschrieenen Wort, das sich auf die
3731 Straße fortpflanzte und zum Schlagwort der kommenden
3732 Zeit wurde.</p>
3734 <p>Am folgenden Tage fand in der Redaktion der »Arbeiter-Zeitung«
3735 eine Konferenz der Hauptredakteure und
3736 der Vertrauensmänner der Partei statt, in der zum erstenmal
3737 seit Jahren wieder beschlossen wurde, aktive, energische
3738 Politik zu machen und mit dieser Politik aus den geschlossenen
3739 Räumen auf die Straße zu gehen. Der Chefredakteur
3740 der »Arbeiter-Zeitung«, der ehemalige Federnschmücker
3741 Wunderlich, der nach bestem Gewissen das Erbe
3742 Viktor Adlers verwaltete, kam zu folgender Konklusion:</p>
3744 <p>»Wir müssen das Schlagwort dieses merkwürdigen
3745 französischen Malers, der unmöglich Diefreß heißen kann,
3746 wie ihn der Trottel von Vorsitzenden niedergeschrieben hat,
3747 aufgreifen. Von heute an werden wir in unseren Blättern,
3748 in unseren Versammlungen und Beratungen immer wieder
3749 Neuwahlen fordern. Und nun werden wir unsere Freunde
3750 in Frankreich, Holland, der Tschechoslowakei, in England
3751 und Amerika in Aktion setzen und sie veranlassen, alles
3752 zu tun, damit große Kronenbeträge auf den Markt geworfen
3753 werden. Fällt die Krone neuerdings empfindlich,
3754 steigt die Teuerung, die derzeit stagniert, wieder an, so ist
3755 die Lage reif für uns und wir werden, wenn es sein muß,
3756 die Auflösung der Nationalversammlung mit Gewalt erzwingen.«</p>
3758 <p class="asterisk-break">* * *</p>
3760 <p><a class="pagenum" name="Page_106" title="106"> </a>In den nächsten Tagen ereignete sich noch etwas, was
3761 in den stramm-christlichsozialen Kreisen große Bestürzung
3762 erregte. Der Bürgermeister von Wien, nach Schwertfeger
3763 der mächtigste Mann im Reiche, Herr Karl Maria Laberl,
3764 fiel sozusagen um. Nicht aus eigenem Willen allerdings,
3765 sondern weil ihm sein Präsidialist Herr Kallop ein Bein
3766 stellte. Von diesem Herrn Kallop wußte man längst im
3767 Rathause, daß er eigentlich umgekehrt, das heißt Pollak,
3768 heißen müßte, weil dies der Name seines Großvaters war.
3769 Und als die Juden noch in Wien gewesen, erzählte man in
3770 ihren Kreisen, daß der alte Pollak ein aus Galizien eingewanderter
3771 Getreidehändler wäre, der eine Christin geheiratet
3772 habe und sich deshalb taufen ließ. Sein Sohn
3773 habe schon den Namen Kallop angenommen, war ein in
3774 christlichen Kreisen angesehener Advokat, der wieder eine
3775 Christin heiratete, so daß die Enkelkinder des alten Pollak
3776 nach dem Schwertfegerschen Gesetz als Vollarier anzusehen
3777 waren. Josef Kallop, der Sohn des Advokaten, taugte in
3778 seiner Jugend nichts, konnte seine juristischen Studien nicht
3779 beenden und wurde daher mit Erfolg Magistratsbeamter.
3780 An Schlauheit den meisten seiner Kollegen turmhoch überlegen,
3781 brachte er es bald zum Präsidialisten und seit geraumer
3782 Zeit war er die rechte Hand des Bürgermeisters
3783 Laberl.</p>
3785 <p>Herr Kallop also war es, der den Bürgermeister zum
3786 Umfallen brachte. Er machte ihm klar, daß ein großer
3787 Umschwung bevorstehe.</p>
3789 <p>»So geht es nicht weiter, Herr Laberl, das ist Ihnen
3790 doch ganz klar. Es wird demnächst Unruhen geben, ernste
3791 <a class="pagenum" name="Page_107" title="107"> </a>
3792 Unruhen sogar, und eines Tages wird die Regierung sozusagen
3793 flötengehen. Wenn Sie nicht mit flötengehen
3794 wollen, so müssen Sie sich beizeiten ein wenig umdrehen.
3795 Rücken Sie von Schwertfeger ab, geben Sie zu, daß man
3796 bei der Judenausweisung zu weit gegangen ist, und ganz
3797 Wien wird plötzlich inmitten des Rummels, der kommen
3798 muß und wird, sagen: Unser Bürgermeister, das ist ein
3799 Gescheiter, der lenkt ein und wird uns noch herausreißen.«</p>
3801 <p>Herr Karl Maria Laberl nickte, strich sich den schönen,
3802 weißen Bart, war von seinem überlegenen Verstand schon
3803 ganz durchdrungen, fragte aber einigermaßen ängstlich:</p>
3805 <p>»Lieber Kallop, das ist ja ganz richtig, was Sie da
3806 sagen und entspricht dem, was ich mir schon längst gedacht
3807 habe. Aber wie soll ich denn das machen?«</p>
3809 <p>»Sehr einfach, Herr Bürgermeister. Wir berufen eine
3810 Versammlung der christlichsozialen Bürgervereinigung des,
3811 na, sagen wir ersten Bezirkes ein, weil dort unter den
3812 Geschäftsleuten geradezu eine Panikstimmung herrscht.
3813 Und dann halten Sie eben eine Rede, die wir zusammen
3814 ausarbeiten werden.«</p>
3816 <p>Und so geschah es, nur daß das »Zusammenausarbeiten«
3817 darin bestand, daß Herr Laberl die Rede, die
3818 sein Präsidialist niederschrieb, auswendig lernen mußte.
3819 Als dann die Versammlung der Bürgervereinigung abgehalten
3820 wurde, begrüßte sie Herr Laberl sehr feierlich, sprach
3821 von dem Ernst der Zeiten, von den Zuständen, die man
3822 nicht mehr ertragen könne und sagte schließlich:</p>
3824 <p>»Der Ruf nach Neuwahlen wird immer ungestümer
3825 und ich bin der letzte, der den Ruf nicht hören will. Im
3826 <a class="pagenum" name="Page_108" title="108"> </a>
3827 Gegenteil, ich persönlich bin dafür, daß man tut, was das
3828 Volk will und durch Neuwahlen feststellt, ob die Bevölkerung
3829 Oesterreichs auch jetzt noch gutheißt, was die Regierung
3830 vor mehr als zwei Jahren getan, oder ob sie eine
3831 radikale Aenderung wünscht. Ich und wohl mit mir Sie
3832 alle, meine Herren, haben nur ein Ziel vor Augen: Den
3833 Wiederaufbau möglich zu machen, das unglückliche Volk
3834 aus dem Labyrinth, in das die Entente aber vielleicht auch
3835 schwerwiegende eigene Irrtümer es gestoßen haben, wieder
3836 ans Licht des Tages zu führen. Keine Dogmatik, kein
3837 Fanatismus, keine persönliche Antipathie oder Sympathie
3838 darf uns leiten, meine Herren, sondern lediglich der Nützlichkeitsgedanke!«</p>
3840 <p>Kallop sorgte dafür, daß die Rathauskorrespondenz
3841 noch in derselben Nacht die Rede des Bürgermeisters im
3842 Wortlaut den Zeitungen übermittelte, und am nächsten
3843 Tag wußte es sogar der dümmste Kerl von Wien, daß Karl
3844 Maria Laberl den Bundeskanzler im geeigneten Moment
3845 <ins title="in">im</ins> Stich lassen werde.</p>
3847 <p>Als Doktor Schwertfeger in den Morgenblättern die
3848 nur von der »Arbeiter-Zeitung« entsprechend kommentierte
3849 Rede des Bürgermeisters las, stieg ihm gallbitterer
3850 Speichel in den Mund und er spie aus. Dann warf er einen
3851 langen, verlorenen, glanzlosen Blick vom Fenster über den
3852 Volksgarten, den jetzt ein weißes Leichentuch bedeckte.</p>
3854 <p>Herr Kallop aber rieb sich im Rathaus vergnügt die
3855 Hände. Und nachdem er sich vergewissert, daß weder ein Kollege
3856 noch ein Amtsdiener im Zimmer war, sagte er laut
3857 und vernehmlich: »Maseltoff!« und klopfte dreimal unter
3858 <a class="pagenum" name="Page_109" title="109"> </a>
3859 den Tisch. Wobei zu bemerken ist, daß Herr Kallop eine
3860 üppige, zwar schon zweimal geschiedene, aber dafür mit
3861 zahlreichen Millionen gesegnete Jüdin verehrte, die in Prag
3862 im Exil lebte. Und er wünschte nichts sehnlicher, als ihre
3863 und ihrer Millionen Rückkehr ins teure Vaterland, schon
3864 deshalb, weil er mit seinem Gehalt als Präsidialchef unmöglich
3865 die Teuerung länger aushalten konnte und außerdem
3866 falsch in polnischer Mark spekuliert hatte.</p>
3868 <p class="asterisk-break">* * *</p>
3870 <p>Der Fasching dieses Jahres konnte die Laune der
3871 Wiener nicht verbessern. Grimmige Kälte, viel Schnee, ungeheizte
3872 Zimmer, weil der Meterzentner Kohle hunderttausend
3873 Kronen kostete, eine Pleite nach der anderen, der
3874 Zusammenbruch eines großen Bankkonzerns, bei dem viele
3875 ihr Geld liegen hatten.</p>
3877 <p>Die Bälle und Redouten standen vollständig unter dem
3878 Zeichen des Dirndlkostüms. Da der Toilettenluxus fehlte,
3879 machte man aus der Not eine Tugend, veranstaltete fast nur
3880 Bauernbälle, so daß Wien eher einem »Kirtag« glich als
3881 einer Großstadt.</p>
3883 <p>Dazu kam, daß Wien vollständig aufgehört hatte, eine
3884 Theaterstadt zu sein. Die ersten Kräfte der Staatsoper
3885 gastierten unaufhörlich im Ausland, die Philharmoniker absolvierten
3886 eben eine Tournee in Südamerika, die Privattheater
3887 hatten sich in Provinzschmieren mit unzulänglicher
3888 Regie, minderen Kräften und veralteten Spielplänen verwandelt,
3889 von auswärts kamen längst keine Konzertgäste
3890 mehr, weil ihnen Wien die großen Gagen nicht zahlen
3891 <a class="pagenum" name="Page_110" title="110"> </a>
3892 konnte, Zeitungen waren neuerdings eingegangen, weil die
3893 Zahl der Leser immer mehr abnahm und plötzlich ertönte
3894 wieder der Alarmruf: »Die Krone fällt!«</p>
3896 <p>An den ausländischen Börsen fanden enorme Kronenabgaben
3897 statt, so daß Zürich sie bald nur mehr auf ein
3898 Dreißigtausendstel Centime bewertete. Demgemäß stiegen
3899 alle Preise und die Bevölkerung begann in Verzweiflung zu
3900 geraten. Als das Kilogramm Fett eine Viertelmillion
3901 Kronen kostete, erschien wieder das geheimnisvolle kleine
3902 Plakat des Bundes der wahrhaftigen Christen mit den
3903 Worten:</p>
3905 <p>»Wie lange noch, Wiener, werdet Ihr diese Regierung
3906 dulden? Wann endlich wollt Ihr die Nationalversammlung
3907 auseinandertreiben und Neuwahlen erzwingen?«</p>
3909 <p>In den Morgenstunden des nächsten Tages kam es zu
3910 Plünderungen auf den Märkten, die erbitterten Hausfrauen
3911 stürmten die Stände, verprügelten die Marktfrauen und bemächtigten
3912 sich der Waren. In Favoriten nahm der Tumult
3913 einen revolutionären Charakter an, es mußte die Reichswehr
3914 aufgeboten werden, die sich aber weigerte, gegen die
3915 Frauen vorzugehen.</p>
3917 <p>In der Nationalversammlung, die eben tagte, richteten
3918 nicht nur die Sozialdemokraten, sondern auch einzelne
3919 Christlichsoziale und Großdeutsche Interpellationen an die
3920 Regierung, in denen gefragt wurde, was man zu tun gedenke,
3921 um der verzweifelten Bevölkerung zu helfen. Die
3922 Sozialdemokraten stellten einen Dringlichkeitsantrag, die
3923 Regierung möge sofort Neuwahlen ausschreiben, damit das
3924 <a class="pagenum" name="Page_111" title="111"> </a>
3925 Volk selbst entscheiden könne, ob es bereit sei, die herrschenden
3926 Zustände noch länger zu dulden.</p>
3928 <p>Totenbleich erhob sich der Bundeskanzler zu einer Entgegnung:</p>
3930 <p>»In diesem Augenblick der allgemeinen Verwirrung
3931 Neuwahlen ausschreiben, hieße das Geschick des Landes
3932 den radikalen Elementen ausliefern und den Juden wieder
3933 Tor und Türe öffnen! Das stolzeste und größte Werk, das
3934 die österreichische Legislatur jemals geschaffen, würde zusammenbrechen,
3935 weil wir nicht genug Geduld und Aufopferungsfähigkeit
3936 haben, um auszuhalten und die gegenwärtigen
3937 Schwierigkeiten zu überwinden. Ich weiß, daß das
3938 internationale Judentum am Werke ist und sicher arbeiten
3939 Agitatoren, von jüdischem Gelde bestochen, daran&nbsp;&ndash;«</p>
3941 <p>Die weiteren Worte des Kanzlers gingen in dem ungeheuren
3942 Tumult verloren, der nun folgte. Die Sozialdemokraten
3943 klopften mit den Pultdeckeln, die Galerie tobte und
3944 schrie, sogar aus den Reihen der Gesinnungsgenossen kamen
3945 Zurufe, wie: »Haben Sie Beweise für Ihre Behauptungen?«</p>
3947 <p>Um sechs Uhr abends wurde noch immer über den
3948 Dringlichkeitsantrag der Sozialdemokraten gesprochen, die
3949 ersichtlicherweise alles taten, um die Sitzung in die Länge
3950 zu ziehen. Jeder Redner sprach stundenlang; hatte der eine
3951 geendet, so meldete sich ein anderer zum Wort, die meisten
3952 Abgeordneten hörten längst nicht mehr zu, sondern stärkten
3953 sich am Büfett, auch die Ministerbank war leer geworden,
3954 nur Schwertfeger saß mit verschränkten Armen starr und
3955 düster auf seinem Sitz.</p>
3957 <p><a class="pagenum" name="Page_112" title="112"> </a>Plötzlich kam neues Leben in das Haus. Das Gerücht
3958 verbreitete sich, daß Arbeitermassen im Anzuge seien, gleich
3959 darauf hörte man aus weiter Ferne die Klänge des Arbeiterliedes,
3960 das Jauchzen und Toben erregter Menschenmassen,
3961 bis plötzlich ein einziger Ruf von ungeheurer Stärke durch
3962 die geschlossenen Fenster drang:</p>
3964 <p>Nieder mit der Regierung! Fort mit der Nationalversammlung!
3965 Wir wollen Neuwahlen!</p>
3967 <p>Und schon umzingelten dichte Menschenmassen mit ihren
3968 Fahnen und Standarten das Abgeordnetenhaus und immer
3969 neue Züge kamen an, die gesamte Arbeiterschaft Groß-Wiens,
3970 die Angestellten und Beamten waren von den Fabriken
3971 und Werkstätten, Bureaus und Aemtern in geschlossenen
3972 Gruppen anmarschiert.</p>
3974 <p>Schon donnerten mächtige Schläge gegen die Tore des
3975 Hauses, die rasch geschlossen worden waren, schon prasselte
3976 ein Steinhagel gegen die Fenster, schon hatte sich eine Deputation
3977 der Arbeiter gewaltsam Einlaß verschafft. Ihr Führer,
3978 ein Eisenarbeiter namens Stürmer, ein gewaltiger Kerl mit
3979 klugen Augen und riesigem Schädel, stellte sich mitten
3980 unter die Abgeordneten, die, von Panik ergriffen, wie die
3981 Schafe beim Gewitter einen geschlossenen Haufen bildeten,
3982 und erklärte kurz und bündig:</p>
3984 <p>»Das Militär hält zu uns, die Jungmannschaft unter
3985 den Polizisten ebenfalls! Entweder die Regierung löst
3986 innerhalb zehn Minuten das Haus auf und erklärt, daß
3987 sofort Neuwahlen ausgeschrieben werden, oder die Massen
3988 gehen mit Gewalt vor. Die Erbitterung der Leute kennt
3989 <a class="pagenum" name="Page_113" title="113"> </a>
3990 keine Grenzen, hinter den Arbeitern steht diesmal das
3991 Bürgertum, es handelt sich um keine politische Angelegenheit,
3992 sondern um Taten der Verzweiflung. Am wildesten
3993 sind die Frauen, hören <ins title="sie">Sie</ins> nur, wie sie schreien, man möge
3994 das Parlament anzünden! Gibt die Regierung nicht nach,
3995 so können wir für nichts garantieren!«</p>
3997 <p>Und es geschah, was geschehen mußte. Die Minister erklärten
3998 nach kurzer Beratung mit den christlichsozialen und
3999 großdeutschen Parteiführern, sich dem Terror zu fügen, das
4000 Haus auflösen und Neuwahlen sofort ausschreiben zu
4001 wollen. Der Bundeskanzler bot gleich seine Demission an,
4002 aber seine Kollegen und die Parteigrößen beschworen ihn,
4003 sie in diesem kritischen Augenblick nicht zu verlassen und so
4004 willigte er denn ein, die Zügel der Regierung noch bis zu
4005 den Wahlen in seinen Händen zu behalten.</p>
4007 <p>Als dem erregten Volke Mitteilung von der Auflösung
4008 der Nationalversammlung gemacht wurde, löste sich
4009 die Spannung in ungeheuren Jubel auf und in der kommenden
4010 Nacht wurden die Weinvorräte Wiens ganz erheblich
4011 gelichtet.</p>
4013 <p>Sogar der Franzose Henry Dufresne, der der denkwürdigen
4014 Sitzung auf der Galerie beigewohnt hatte, trank
4015 sich allein in seinem Atelier einen ordentlichen Rausch an.
4016 Am nächsten Morgen aber war er wieder frisch und munter,
4017 entwarf eine geniale Skizze, die das Titelbild des Warenhausromanes
4018 von Zola bilden sollte und schwenkte Lotte,
4019 die vormittags schneebedeckt mit kalten roten Backen zu
4020 ihm kam, in seinen Armen durch die Luft.</p>
4022 <p><a class="pagenum" name="Page_114" title="114"> </a>Lotte war in ausgelassener Laune wie er, denn ihr
4023 Papa hatte nach der Lektüre der Morgenblätter sehr ernst
4024 gesagt:</p>
4026 <p>»Mein Kind, ich sehe schwere Konflikte für dich kommen!
4027 Wenn nicht alles trügt, so wird Leo Strakosch bald
4028 die Möglichkeit haben, nach Wien zurückzukehren und dann
4029 wirst du dich entscheiden müssen: Entweder er, den du so
4030 sehr geliebt hast und der mir ein willkommener Sohn wäre
4031 oder dieser mysteriöse Franzose, den wir noch immer nicht
4032 kennen gelernt haben!«</p>
4034 <p>Als Lotte darauf lächelnd erwidert hatte, sie würde am
4035 liebsten beide, Leo und den Franzosen nehmen, da war
4036 Hofrat Spineder ernstlich böse geworden und hatte sie für
4037 frivol und unmoralisch erklärt. Sie mußte ihre ganze Verführungskunst
4038 aufwenden, um ihn zu besänftigen.</p>
4040 <p>Und nun saß sie auf dem Schoß ihres Geliebten und
4041 küßte Henry Dufresne und Leo Strakosch in einer Person
4042 mit Feuereifer ab.</p>
4044 <p class="asterisk-break">* * *</p>
4046 <p>Leo, der fast nie Gelegenheit fand, mit irgend jemandem
4047 außer mit Lotte und seiner Aufwartefrau zu sprechen,
4048 hatte in der letzten Zeit zwei Bekanntschaften gemacht, die
4049 ihm wichtig dünkten. Die eine bestand in der Person des
4050 Nationalrates Wenzel Krötzl, die andere war der Inhaber
4051 des großen Modehauses in der Kärntnerstraße, Herr
4052 Habietnik.</p>
4054 <p>Mit Krötzl war Leo auf folgende Weise bekannt geworden:
4055 Als er einmal spät nachts aus dem Kaffeehaus,
4056 <a class="pagenum" name="Page_115" title="115"> </a>
4057 in dem er die Zeitungen und Zeitschriften zu lesen pflegte,
4058 nach Hause gekommen war, fand er auf dem letzten Treppenabsatz
4059 einen stockbesoffenen Mann liegen, der jämmerlich
4060 weinte und sich vergeblich bemühte, aufzustehen. Leo
4061 half ihm in die Wohnung, die unterhalb seines Ateliers
4062 gelegen war und erfuhr bei dieser Gelegenheit, daß er den
4063 ehrsamen Nationalrat Wenzel Krötzl vor sich hatte, seines
4064 Zeichens im Nebenberuf Häuserschieber. Nicht nur, daß
4065 dies auf dem Türschild vermerkt stand, Herr Krötzl schrie
4066 auch, während er hin- und hertaumelte, immerzu:</p>
4068 <p>»Wann aner sagt, daß i b'soffen bin, so is er a jüdischer
4069 Gauner! I bin a g'wählter Nationalrat, an Abgeordneter
4070 und hab' fufzich Häuser zum verkaufen, die was
4071 früher denen Saujuden g'hört ham!«</p>
4073 <p>Leo hatte dann im Laufe der Zeit Gelegenheit, zu erfahren,
4074 daß Herr Krötzl nicht nur einer der wütendsten
4075 Antisemiten sei, sondern auch ein notorischer Trunkenbold,
4076 der sich gewöhnlich schon am Büfett des Parlaments seinen
4077 Frühstücksrausch kaufte. Nebenbei hatte er eine gewisse
4078 Beredsamkeit und genoß infolge seiner derben Ausdrucksweise
4079 viel Popularität unter seinen Wählern. Er war
4080 Witwer und beherbergte von Zeit zu Zeit eine angebliche
4081 Wirtschafterin bei sich, mitunter solche, die knapp das
4082 straffreie Alter von vierzehn Jahren besaßen.</p>
4084 <p>Die Bekanntschaft des Herrn Habietnik hatte Leo auf
4085 wesentlich bürgerlichere Art gemacht. Leo pflegte seinen Bedarf
4086 an Krawatten und Wäschestücken in dem Modehaus zu
4087 decken, das trotz seiner »Verloderung« noch immer die
4088 besten Waren führte, und bei solcher Gelegenheit war er
4089 <a class="pagenum" name="Page_116" title="116"> </a>
4090 einmal mit Herrn Habietnik ins Gespräch gekommen. Herr
4091 Habietnik war entzückt, einen Franzosen von Distinktion
4092 zu bedienen, der sich tadellos trug und genau wußte, daß
4093 zu einem blauen Cheviotanzug eine perlengraue Seidenkrawatte
4094 am besten paßte, es kam zu einem angeregten
4095 Gespräch, im Verlaufe dessen Leo erkannte, wie sehr der
4096 intelligente Kaufmann unter den herrschenden Verhältnissen
4097 litt, und von da an trafen sich die beiden öfters in
4098 dem Laden, schließlich vereinbarten sie sogar hie und da
4099 eine Zusammenkunft im Graben-Café.</p>
4101 <p>Nach der Auflösung der Nationalversammlung beeilte
4102 sich Leo, mit Herrn Habietnik wieder in Fühlung zu
4103 kommen, und im Laufe der Unterhaltung fragte er ihn um
4104 seine Meinung über die künftige Entwicklung.</p>
4106 <p>Herr Habietnik schüttelte sorgenvoll das Haupt:</p>
4108 <p>»Also die Sozis arbeiten wieder mit Volldampf und
4109 werden die Stimmen, die sie das letztemal verloren hatten,
4110 zurückgewinnen. Die Christlichsozialen und Großdeutschen
4111 haben den Kopf verloren, sind mit ihrem Programm noch
4112 nicht herausgekommen, aber schließlich wird jeder, der nicht
4113 Sozialdemokrat ist, doch für eine der beiden Parteien
4114 stimmen müssen.«</p>
4116 <p>»So daß also vielleicht gar das Judengesetz in Kraft
4117 bleiben wird?«</p>
4119 <p>»Kann sein, wenn die Sozialisten nicht die Zweidrittelmehrheit,
4120 die zu jeder Verfassungsänderung notwendig ist,
4121 bekommen. Denn ich fürchte, daß die Christlichsozialen und
4122 Großdeutschen doch nicht den Mut haben werden, das Ausnahmsgesetz
4123 gegen die Juden aufzuheben. Das heißt,
4124 <a class="pagenum" name="Page_117" title="117"> </a>
4125 eigentlich müßte ich sagen, ich hoffe, denn wenn die Juden
4126 wieder kommen, so wird man mir am Ende gar das Geschäft
4127 wieder nehmen&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;.«</p>
4129 <p>»Unsinn«, erklärte Leo energisch. »Was Sie haben,
4130 kann man Ihnen nicht mehr nehmen! Vielleicht, daß man es
4131 Ihnen abkaufen oder daß der frühere Firmeninhaber sich
4132 mit Ihnen zu einer Teilhaberschaft bequemen würde. Die
4133 Hauptsache ist aber doch wohl, daß Sie die Jagerhütln und
4134 die Lodenröcke wieder hinausschmeißen und Ihre Auslagen
4135 so arrangieren können, wie sie einst waren.«</p>
4137 <p>Begeisterung glomm in den Augen Habietniks auf und
4138 mit warmem, ehrlichem Ton erwiderte er:</p>
4140 <p>»Jawohl! Das ist die Hauptsache! Wenn ich daran denke,
4141 daß hier wieder einmal Leben und Luxus herrschen könnte,
4142 wie einst &ndash; nein, das ist ein zu schöner Traum, um wahr
4143 zu sein.«</p>
4145 <p>»Hören Sie, Herr Habietnik,« sagte Leo, indem er seine
4146 Hand auf den Arm des Kaufmannes legte, »Sie sind der
4147 Mann, um den Traum wahr zu machen! Noch trennen uns
4148 Wochen von den Neuwahlen. Das genügt, um eine bürgerliche
4149 Partei, bestehend aus den fortgeschrittenen Elementen,
4150 den angesehenen Kaufleuten, den Gelehrten, Rechtsanwälten,
4151 Künstlern und Fabrikanten zu bilden, mit der offenen und
4152 ungeschminkten Parole: Aufhebung des Ausnahmegesetzes
4153 gegen die Juden! Nehmen Sie das heute noch in Angriff,
4154 bilden Sie ein zwölfgliedriges Komitee, in dem drei Kaufleute,
4155 drei Industrielle, drei Festangestellte und drei Leute
4156 mit freiem, akademischem Beruf sitzen, lassen Sie, da Sie
4157 noch keine Zeitung zur Verfügung haben, zehntausend
4158 <a class="pagenum" name="Page_118" title="118"> </a>
4159 Plakate drucken, gründen Sie dann Bezirkskomitees, betreiben
4160 Sie Propaganda von Straße zu Straße, von Haus zu
4161 Haus und der Erfolg kann nicht ausbleiben. Ich bin ein
4162 Fremder, kenne die Verhältnisse nicht so genau wie Sie, aber
4163 dafür bin ich objektiver und ich weiß ganz sicher, daß ein
4164 erheblicher Teil der Bevölkerung die neue Partei stürmisch
4165 begrüßen wird.«</p>
4167 <p>Herr Habietnik war Feuer und Flamme. Am selben
4168 Abend noch trommelte er ein halbes Hundert Kaufleute aus
4169 der Inneren Stadt, Fabrikanten, Rechtsanwälte zusammen,
4170 und um ein Uhr morgens war das Komitee konstituiert, dem
4171 ein gemeinsam gezeichnetes Millionenkapital zur Verfügung
4172 stand.</p>
4174 <p>Die neue Partei hieß »Partei der tätigen Bürger Oesterreichs«,
4175 stellte sich auf ein absolut bürgerlich-freisinniges
4176 Programm und begann mit einer lebhaften und temperamentvollen
4177 Agitation. Daß der Franzose Dufresne die Flugzettel
4178 und Aufrufe verfaßte, das wußte niemand als Herr
4179 Habietnik.</p>
4181 <p>Der Erfolg übertraf die kühnsten Erwartungen. Früher
4182 war die Bevölkerung jedem Versuch, eine demokratische
4183 Bürgerpartei zu gründen, mit größtem Mißtrauen entgegengetreten,
4184 weil sich in solcher Partei immer wieder die Juden
4185 vordrängten. Diesmal war das eine rein christliche Angelegenheit,
4186 die Namen der Parteiführer bürgten dafür, daß
4187 es sich nicht um eine von auswärtigen Juden angezettelte
4188 Verschwörung handelte, und alle die Leute, die durch das
4189 Judengesetz geschädigt worden waren, drängten sich in die
4190 Komiteelokale, um Mitglieder der neuen Partei zu werden.
4191 <a class="pagenum" name="Page_119" title="119"> </a>
4192 In hellen Scharen kamen die Kaufleute, die Juweliere, die
4193 Stückmeister der großen Schneider, die brotlos gewordenen
4194 Chauffeure, sie brachten ihre Frauen mit, immer größer
4195 wurde der Ansturm, trotz des Zeter- und Mordiogeschreies
4196 der christlichsozialen Blätter. Die »Arbeiter-Zeitung« verhielt
4197 sich zurückhaltend und durchaus nicht aggressiv. Man
4198 sagte sich dort, daß zweifellos die Partei der tätigen Bürger
4199 den Sozialdemokraten Tausende von Stimmen entziehen
4200 würde, andererseits aber dorthin alle jene Stimmen strömen
4201 würden, die sonst sich der Wahl enthielten oder doch wieder
4202 den Christlichsozialen oder Großdeutschen zuliefen. Also beschränkte
4203 sie sich darauf, hier und dort gegen das Programm
4204 der Bürgerlichen zu polemisieren, im geheimen aber wurden
4205 in zweifelhaften Bezirken sogar Vereinbarungen geschlossen.</p>
4207 <p>Und der Tag der Wahlen, die auf den 3. April festgesetzt
4208 worden waren, rückte näher und näher, die ganze Welt begann
4209 sich für sie zu interessieren, die fremden Börsen nahmen
4210 eine abwartende Haltung ein und ließen die Krone auf ihrem
4211 Tiefstand ruhen, und Wiens bemächtigte sich zunehmende
4212 Aufregung, die wiederholt zu Exzessen und bösartigen
4213 Tumulten führte. Denn alle Parteien arbeiteten mit jedem
4214 verfügbaren Mittel: die antisemitischen schrien »Verrat!«
4215 und erzählten Schauergeschichten von der Verschwörung des
4216 internationalen Judentums; die Sozialdemokraten hetzten
4217 gegen die Bauern, die die arbeitende Stadtbevölkerung ausplündern
4218 und gegen die christliche Demagogie, die sich nur
4219 selbst durch die Ausweisung der Juden hatte bereichern
4220 wollen; die neue Bürgerpartei aber führte immer wieder
4221 <a class="pagenum" name="Page_120" title="120"> </a>
4222 auf riesengroßen Plakaten Ziffern auf, die bewiesen, wie
4223 furchtbar die Verelendung Wiens seit der Ausweisung der
4224 Juden, wie Wien tatsächlich zu einem Riesendorf geworden,
4225 wie jeder Schwung und Zug ins Große geschwunden. Und
4226 immer wieder versicherte sie in allen Variationen und
4227 Tonarten:</p>
4229 <p>»Das Ausnahmsgesetz gegen die Juden muß aufgehoben
4230 werden, aber gleichzeitig wird es Sache einer klugen, gewissenhaften
4231 Regierung sein, alle jene Elemente, die nicht
4232 schon vor dem Weltkrieg in Wien seßhaft waren, fern zu
4233 halten, es sei denn, sie können vor einem zuständigen, aus
4234 Bürgern und Arbeitern zusammengesetzten Gerichtshof nachweisen,
4235 daß sie willens und fähig sind, in Oesterreich nutzbringende,
4236 produktive, werterzeugende, dem Gesamtwohl
4237 notwendige Arbeit zu leisten.«</p>
4239 <p>Beim Bundeskanzler fanden täglich bis in die Nacht
4240 währende Sitzungen statt, in denen beraten wurde, wie man
4241 am besten der neuen Partei und dem wieder erstarkten
4242 Sozialismus entgegenarbeiten könnte. Schwertfeger hatte
4243 die richtige Empfindung gehabt. Es mußte ein neuer, mächtiger
4244 Geldkredit aufgebracht werden, die Krone mußte
4245 steigen, die Bevölkerung erfahren, daß das Christentum der
4246 ganzen Welt mit ihr solidarisch sei &ndash; dann würde die Regierung
4247 den Sieg erringen. Und der Finanzminister Professor
4248 Trumm hatte sich gleich nach der Auflösung des
4249 Hauses auf die Beine gemacht und war nach Berlin, Paris
4250 und London gefahren, um zu betteln und zu beschwören.
4251 Vergebens! Die großen christlichen Vereinigungen im Ausland,
4252 die französischen Antisemiten, die holländischen Christen
4253 <a class="pagenum" name="Page_121" title="121"> </a>
4254 &ndash; sie alle hatten Worte des Mitempfindens und der Sympathie,
4255 erkundigten sich lebhaft nach dem Schicksal der vielen
4256 Millionen, die sie der guten Sache schon <ins title="geopfert">geopfert,</ins> und hielten
4257 die Taschen fest zu. Die größte Enttäuschung bildete das
4258 Verhalten des amerikanischen Billionärs Mister Huxtable,
4259 auf den man am sichersten gerechnet hatte. Er ließ alle
4260 Telegramme und Bittschriften unbeantwortet, und zehn
4261 Tage vor den Wahlen kam ein Kabeltelegramm des Vertrauensmannes
4262 der österreichischen Regierung in Newyork,
4263 das folgenden niederschmetternden Wortlaut hatte:</p>
4265 <p>»Huxtable unnahbar. Hat sich heimlich mit einer jungen
4266 Jüdin aus Chicago vermählt. Beabsichtigt, den der österreichischen
4267 Regierung vor drei Jahren eingeräumten Kredit
4268 der jüdischen Großbank »Kuhn und Loeb« um ein
4269 Viertel zu verkaufen.«</p>
4271 <p>Schwertfeger begann in Düsterkeit zu erstarren, die
4272 antisemitischen Häuptlinge verloren vollends den Kopf.
4273 Bürgermeister Laberl aber tat etwas, was die ungeheuerste
4274 Sensation erregte. Drei Tage vor den Wahlen
4275 trat er aus dem christlichsozialen Bürgerklub aus und der
4276 Partei der tätigen Bürger bei. Und seinem Beispiel folgte
4277 mehr als die Hälfte der Gemeinderäte.</p>
4279 <p>An diesem Tage wehte ein warmer Wind die letzten
4280 Schneemassen von den Abhängen der Wiener Berge fort
4281 und oben im Atelier in der Billrothstraße hielten sich zwei
4282 junge Menschenkinder heiß und sehnsuchtsvoll umfangen.
4283 Und er flüsterte:</p>
4285 <p>»Oh, wärst du schon mein!«</p>
4287 <p>Und sie erwiderte traumverloren:</p>
4289 <p><a class="pagenum" name="Page_122" title="122"> </a>»Wenn du dir schon den Knebelbart abnehmen könntest;
4290 er kitzelt so arg!«</p>
4292 <p class="asterisk-break">* * *</p>
4294 <p>Die Wahlen vollzogen sich unter einer Beteiligung, wie
4295 sie kaum jemals auf der Welt erlebt worden. Greise,
4296 Kranke, Lahme kamen zu den Urnen, und nachmittags, als
4297 die Wahllokale geschlossen wurden, wußte man, daß in
4298 Wien 99 Prozent der Wahlberechtigten ihre Bürgerpflicht
4299 getan. Dann begann im ganzen Lande die Zählung der
4300 Stimmen, die bis in die frühen Morgenstunden währte,
4301 und vormittags verkündeten Extra-Ausgaben der »Arbeiter-Zeitung«
4302 und der »Weltpresse« das staunenswerte Resultat.</p>
4304 <p>Den Christlichsozialen und Großdeutschen waren nur
4305 die Landbewohner treu geblieben, Wien hatte fast ausschließlich
4306 die Kandidaten der Sozialisten und der Bürgervereinigung
4307 gewählt, ebenso die kleinen Städte und das
4308 österreichische Industriegebiet. Und so setzte sich denn das
4309 neue Parlament folgendermaßen zusammen: Siebzig Sozialdemokraten,
4310 sechsunddreißig Mitglieder der Vereinigung
4311 der tätigen Bürger, dreißig Christlichsoziale und vierundzwanzig
4312 Großdeutsche. Das ergab <ins title="160">106</ins> Stimmen für
4313 die Aufhebung des Ausnahmsgesetzes gegen die Juden,
4314 vierundfünfzig für die Aufrechterhaltung. Und damit schien
4315 der schöne Traum Leos, der freisinnigen Bürger und Sozialdemokraten
4316 zerstört, denn es fehlte ihnen genau eine
4317 Stimme zur Zweidrittelmajorität, ohne die eine Aenderung
4318 der Verfassung nicht vorgenommen werden konnte.
4319 Trotz ihrer vernichtenden Niederlage, trotz der Tatsache,
4320 <a class="pagenum" name="Page_123" title="123"> </a>
4321 daß die Regierung sofort demissionieren und einer sozialistisch-demokratischen
4322 weichen mußte, jubelten die Antisemiten,
4323 sie veranstalteten Kundgebungen unter der Parole
4324 »Die Juden bleiben draußen!«</p>
4326 <p>Eine einzige Angst beherrschte die besiegten Sieger:
4327 Die Mehrheit hatte verkündet, daß sie schon in der zweiten
4328 Sitzung des neugewählten Hauses, die in acht Tagen stattzufinden
4329 hatte, den Dringlichkeitsantrag auf Aufhebung
4330 des Judengesetzes und Wiederherstellung der Freizügigkeit
4331 für jedermann stellen würde. Wie nun, wenn ein Christlichsozialer
4332 oder großdeutscher Nationalrat der Sitzung
4333 fernbleiben würde? An ein beabsichtigtes Fernbleiben war
4334 nicht zu denken, aber schließlich konnte einer der Abgeordneten
4335 vom Lande krank werden oder einen Unfall erleiden
4336 und dieser eine würde den Gegnern die Zweidrittelmajorität
4337 sichern. Die unterlegenen Parteien ließen daher für
4338 sämtliche gewählte Nationalräte aus ihrem Lager am Tage
4339 vor dem Zusammentritt des Hauses Extrazüge mit je
4340 einem begleitenden Arzt bereitstellen. Auf diese Weise
4341 glaubten sie sich vor jedem verhängnisvollen Zwischenfall
4342 sicher. Für Wien selbst waren Vorsichtsmaßregeln nicht notwendig,
4343 denn in Wien war einzig und allein der Häuseragent
4344 Herr Wenzel Krötzl von den Weinbauern und Wirten
4345 des neunzehnten Bezirkes, denen es in dem judenreinen
4346 Wien sehr gut ging, gewählt worden. Seiner war man in
4347 jeder Beziehung sicher und er <ins title="erfreut">erfreute</ins> sich einer vorzüglichen
4348 Gesundheit.</p>
4350 <p>Dieser Herr Krötzl bildete nun die einzige und letzte
4351 Hoffnung Leos, während Lotte unter der schweren Enttäuschung
4352 <a class="pagenum" name="Page_124" title="124"> </a>
4353 fast zusammenbrach. Sie weinte den ganzen Tag,
4354 kaum daß sie noch die Energie aufbrachte, täglich zu Leo
4355 zu eilen, der sich vergebens bemühte, ihr Mut und Hoffnung
4356 einzuflößen. Hofrat Spineder, der selbst durch den
4357 Fortbestand des Judengesetzes schwer gekränkt und enttäuscht
4358 wurde, kannte sich in seiner Tochter nicht mehr aus
4359 und begann ernstlich an ihrem Verstand zu zweifeln.
4360 Sorgenvoll besprach er ihr merkwürdiges Verhalten mit
4361 seiner Gattin.</p>
4363 <p>»Was soll das alles heißen? Hat Leo vergessen, verbringt
4364 halbe Tage mit einem neuen Verlobten, diesem
4365 Franzosen, den ich zu hassen beginne, ohne ihn zu kennen,
4366 läßt sich von ihm beschenken, erklärt plötzlich, daß sie am
4367 liebsten beide, den Leo und den Dufresne, nehmen würde,
4368 und nun, da Leo nicht zurückkommen kann, sitzt sie da und
4369 weint sich die Augen aus dem Kopf. Ich glaube, das Mädel
4370 ist übergeschnappt!«</p>
4372 <p>Frau Spineder seufzte tief.</p>
4374 <p>»Mein Lieber, ich kenne selbst mein Kind nicht mehr
4375 und habe keine Ahnung, was in seinem Herzen vorgeht.
4376 Jedenfalls müssen wir, wenn sich zeigt, daß das Judengesetz
4377 bestehen bleibt, darauf dringen, diesen Herrn Dufresne
4378 kennen zu lernen.«</p>
4380 <p>Hofrat Spineder nickte.</p>
4382 <p>»Jawohl! Und sollte sich Lotte abermals weigern oder
4383 die Sache hinauszuschieben versuchen, so schicken wir sie zu
4384 Tante Minna nach Klagenfurt!«</p>
4386 <p>Leo überlegte Tag und Nacht und hatte schließlich einen
4387 festen Plan gefaßt, einen Plan, der entscheiden sollte, ob er
4388 <a class="pagenum" name="Page_125" title="125"> </a>
4389 weiterhin mit offenem Visier in Wien bleiben konnte oder
4390 zurück nach Paris mußte. Fiel das Gesetz nicht, so wurde
4391 seine Rückreise zwingende Notwendigkeit, da sein Freund
4392 Henry Dufresne, dessen Namen er führte, jetzt selbst aus
4393 Südfrankreich wieder nach Paris übersiedeln wollte und von
4394 da an die Gefahr einer Aufdeckung seines verwegenen Spiels
4395 vorlag.</p>
4397 <p class="asterisk-break">* * *</p>
4399 <p>Am Tage der Eröffnung der Nationalversammlung,
4400 also einen Tag vor der ersten entscheidenden Sitzung, besorgte
4401 Leo Strakosch, mit einem Handkoffer bewaffnet, allerlei
4402 Einkäufe. Bei Sacher kaufte er für einen phantastischen
4403 Preis, für den man einmal ein ganzes Ringstraßenhaus bekommen
4404 hätte, eine Straßburger Gänseleberpastete in der
4405 Terrine, im Hotel Imperial ließ er sich drei Flaschen eines
4406 köstlichen weißen Burgunders, drei Flaschen des schwersten
4407 und kostbarsten Bordeauxweines geben, außerdem eine
4408 Flasche uralten französischen Kognaks. Abends lauerte er
4409 dann vor dem Haustor dem Herrn Krötzl auf, der sich gerade
4410 nach der feierlichen Eröffnungssitzung des Hauses ins Wirtshaus
4411 begeben wollte, gratulierte ihm herzlich zu seiner
4412 Wiederwahl und sagte:</p>
4414 <p>»Lieber Herr Nationalrat, ich möchte morgen auch der
4415 historischen Tagung des Hauses beiwohnen. Um elf ist der
4416 Beginn der Sitzung, also werde ich auf zehn Uhr mein Auto
4417 bestellen und Sie, wenn es Ihnen recht ist, mitnehmen.«</p>
4419 <p>Herr Krötzl fühlte sich durch die Liebenswürdigkeit des
4420 vornehmen und, wie es schien, sehr reichen jungen Franzosen
4421 <a class="pagenum" name="Page_126" title="126"> </a>
4422 höchst geschmeichelt, er nahm die Einladung dankend
4423 an und fügte hinzu:</p>
4425 <p>»Bin Ihnen sogar sehr verbunden, wenn Sie um zehn
4426 Uhr zu mir kommen, weil i' dann net riskier', zu verschlafen.
4427 Meine Wirtschafterin, das dumme Luder, vergißt am End'
4428 noch, mich zu wecken, und i' hab' an so schweren Schlaf, daß
4429 i die Weckuhr net hör'. Dös wär' aber a schöne G'schicht',
4430 wann i morgen verschlafen tät. Nachher hätten mir in vierundzwanzig
4431 Stunden die Saujuden, die verfluchten, wieder
4432 in Wien!«</p>
4434 <p>Henry Dufresne nahm die übernommene Pflicht, Oesterreich
4435 vor den Juden zu schützen, sehr ernst, denn er läutete
4436 schon um halb zehn Uhr bei Herrn Krötzl an. Ein schlumpiges,
4437 zwar ungewaschenes, aber noch geschminktes junges
4438 Ding öffnete ihm und ließ den ihr wohlbekannten hübschen
4439 Franzosen, der eine mächtige Schachtel trug, ohneweiters
4440 ein, ein wenig enttäuscht, daß er ihr und ihren reichlichen
4441 Blößen nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkte, sondern
4442 sich damit begnügte, ihr eine Banknote zu geben und sie zu
4443 bitten, gleich die Morgenblätter aus der Trafik zu holen.</p>
4445 <p>Leo packte im Vorzimmer umständlich die Schachtel aus,
4446 dann, als das Mädchen gegangen war, um seinen Auftrag
4447 auszuführen, begab er sich rasch in die Küche, rückte den
4448 Stundenzeiger der Kuckucksuhr um eine volle Stunde zurück,
4449 schlich sich auf den Zehenspitzen in das Wohnzimmer, bearbeitete
4450 dort die große Pendeluhr in gleicher Weise und
4451 öffnete schließlich, ohne anzuklopfen, leise die Türe zum
4452 Schlafzimmer des Herrn Nationalrates. Richtig lag dieser
4453 mit offenem Maul sägend und schnarchend in seinem Bett
4454 <a class="pagenum" name="Page_127" title="127"> </a>
4455 und auf dem Nachtkästchen erblickte Leo sofort die goldene
4456 Taschenuhr, die eben auf ein viertel vor zehn wies. Blitzschnell
4457 war auch sie auf ein viertel vor neun gestellt und
4458 dann machte sich der Franzose an die unerquickliche Arbeit,
4459 Herrn Krötzl, das Wiener Postament der christlichsozialen
4460 Partei, zu wecken. Es dauerte geraume Zeit, bevor Krötzl
4461 endlich die verquollenen Aeuglein aufschlug und die Situation
4462 begriff.</p>
4464 <p>»Jessas, der Herr Dufresne, is' schon so spät?« Und
4465 dann, mit einem Blick auf die Taschenuhr, brummend: »Noch
4466 net amal Neun is'! Da hätt' i' noch a ganze Stund' schlafen
4467 können!«</p>
4469 <p>»Jawohl,« sagte Leo lachend, »wenn ich nicht eine bessere
4470 Unterhaltung für Sie und mich wüßte. Stellen Sie sich nur
4471 vor, wie ich gestern nacht nach Hause komme, finde ich ein
4472 Postpaket aus Paris vor mit den besten Weinen, die Frankreich
4473 besitzt. Na, und weil ich mich wirklich über Ihren Sieg
4474 von ganzem Herzen freue, denke ich, daß wir, bevor wir ins
4475 Parlament fahren, noch eine kleine Siegesfeier unter uns
4476 veranstalten können. Sie sind ja Kenner, Herr Nationalrat,
4477 und werden sehr bald zugeben, einen solchen Wein, wie ich
4478 ihn Ihnen kredenze, im Leben noch nicht genossen zu
4479 haben.«</p>
4481 <p>Wie elektrisiert sprang Herr Krötzl aus dem Bett, zog
4482 sich notdürftig an und streichelte dann bewundernd die eine
4483 der sechs Weinflaschen nach der anderen, die mit allen
4484 Zeichen des ehrwürdigen Alters vor ihm standen. Weißbrot
4485 war vorhanden, die Straßburger Pastete entlockte Herrn
4486 Krötzl ein rülpsendes Grunzen, das sich in einen Jubelhymnus
4487 <a class="pagenum" name="Page_128" title="128"> </a>
4488 verwandelte, als das erste Glas des goldgelben Burgunders
4489 durch seine Kehle rann.</p>
4491 <p>»A so a Weinerl! Wann man den immer hätt', dann
4492 tät' man an anderer Mensch wer'n! Ka Wunder, wenn die
4493 Franzosen so an Schick zum Leben haben, wo 's so an Wein
4494 bei ihnen gibt!«</p>
4496 <p>Das zweite Glas wurde auf den Sieg des Herrn Krötzl
4497 geleert, das dritte auf »Nieder mit den Juden«, das vierte
4498 auf »Hoch die schöne, judenreine Stadt Wien«. Dann wurde
4499 einer Flasche des blutroten Bordeaux der Hals gebrochen,
4500 und als sie zur Neige ging und Leo die dritte Flasche entkorkte,
4501 trug ihm Krötzl die Bruderschaft an. Bei der vierten
4502 Flasche machte er den Franzosen mit den Geheimnissen seines
4503 Sexuallebens bekannt und erklärte, daß Frauenzimmer über
4504 vierzehn eigentlich alte Weiber seien. Die sechste Flasche
4505 wurde von Leo, ohne daß Krötzl, dem sich die Welt vor den
4506 Augen zu drehen begann, es merkte, zur Hälfte mit Kognak
4507 gemischt, und nun hieß es &ndash; Schluß machen, weil der Herr
4508 Nationalrat sonst überhaupt nicht mehr die Treppen hinuntergebracht
4509 hätte werden können und die richtiggehende
4510 Uhr auf zwölf ging, also die Gefahr bestand, daß jeden
4511 Augenblick die Parteigenossen Krötzls nach ihm fahnden
4512 würden. Daß Leo bei solcher Zecherei selbst vollständig nüchtern
4513 geblieben war, verdankte er lediglich dem Umstand, daß
4514 er den Inhalt seines Glases regelmäßig unter den Tisch auf
4515 den schönen Perserteppich gegossen hatte.</p>
4517 <p>Mit ungeheurer Anstrengung beendigte Leo die Toilettierung
4518 des Nationalrates, dann trug er ihn fast die
4519 vielen Treppen hinunter und beförderte ihn mit Hilfe des
4520 <a class="pagenum" name="Page_129" title="129"> </a>
4521 Chauffeurs in das Innere des geschlossenen Automobils.
4522 Grinsend hatte der Chauffeur dem Franzosen, den er oft
4523 zu führen pflegte, zugenickt. Leo stieg ein, setzte sich neben
4524 Krötzl, der schon als halbe Weinleiche in der Ecke lag,
4525 und in mäßigem Tempo ging es vorwärts.</p>
4527 <p>Am Tage vorher hatte Leo mit dem Chauffeur eine
4528 wichtige Unterredung gehabt, die mit der Frage begann:</p>
4530 <p>»Wollen Sie hundert französische Francs verdienen?«</p>
4532 <p>Der Chauffeur hatte ungeheure Augen gemacht, war
4533 blutrot geworden und erwiderte keuchend:</p>
4535 <p>»Herr, für hundert Francs führ' ich Sie auf den
4536 Mond!«</p>
4538 <p>Aber der Franzose erwies sich als wesentlich bescheidener.
4539 Er erklärte, daß es sich um eine Wette handle und er
4540 nichts weiter zu tun habe, als vor dem Haus in der Billrothstraße
4541 zu warten, bis er, Monsieur Dufresne, mit
4542 einem voraussichtlich schwergeladenen Herrn einsteigen
4543 werde. Daraufhin habe das Auto stadtwärts bis zur Volksoper
4544 zu fahren, wo er aussteigen werde. Nunmehr müsse
4545 die Fahrt weiter bis zur großen Irrenanstalt am Steinhof,
4546 die weit außerhalb im Südwesten der Stadt liegt, gehen.
4547 Dort müsse der Chauffeur so lange stehen bleiben, bis sein
4548 betrunkener Gast sich melde. Und dann folgten weitere ausführliche
4549 Instruktionen für den intelligenten, lustigen
4550 Chauffeur.</p>
4552 <p>Alles wickelte sich programmäßig ab. Bevor noch das
4553 Auto bei der Volksoper angelangt war, schlief Herr Krötzl,
4554 nachdem er sich heftig übergeben hatte, den Schlaf des gerechten
4555 Säufers und Leo konnte ungestört ausspringen.
4556 <a class="pagenum" name="Page_130" title="130"> </a>
4557 Während Leo nach dem Parlament eilte, setzte der Chauffeur
4558 die fast halbstündige Fahrt nach Steinhof fort, wo er
4559 auf offener Straße seelenruhig stehen blieb und eine der
4560 guten Zigaretten Leos nach der anderen rauchte. So wurde
4561 es schließlich nahezu zwei Uhr, als endlich Herr Krötzl mit
4562 schmerzendem Schädel erwachte. Minuten vergingen, bevor
4563 er die Situation begriff und sich endlich klar darüber
4564 war, daß er sich in total verunreinigtem Zustande allein
4565 in einem Automobil befand. Schließlich, nach weiteren Minuten,
4566 erkannte er sogar, daß er sich durchaus nicht vor
4567 dem Parlament, sondern in der unmittelbaren Nähe der
4568 Irrenanstalt am Steinhof aufhielt. Er sah verwirrt auf
4569 seine Uhr. Da sie zurückgerichtet war, wies sie auf eins.
4570 Entsetzt riß Krötzl den Wagenschlag auf, schimpfend und
4571 tobend drang er auf den Chauffeur ein, der gleichmütig
4572 erklärte, er habe als Fahrtziel Steinhof verstanden und der
4573 andere Herr sei unterwegs ausgestiegen. Mit den Fäusten
4574 fuhr sich Krötzl in die Haare, er weinte, schrie, bekam fast
4575 einen Tobsuchtsanfall, nannte den Chauffeur einen Staatsverbrecher,
4576 sprach von einer furchtbaren Verschwörung und
4577 Rache und flehte schließlich den Wagenlenker, der auch grob
4578 zu werden begann, an, er möge mit Windeseile nach dem
4579 Parlament fahren.</p>
4581 <p>Tausend Meter etwa fuhr dann auch das Auto, dann
4582 blieb es weit und breit von jeder Behausung entfernt
4583 stehen, und achselzuckend erklärte der Chauffeur, daß etwas
4584 am Motor in Unordnung sei und er nicht weiter könne.</p>
4586 <p>Im Galopp rannte der nüchtern gewordene Krötzl die
4587 tausend Meter nach der Irrenanstalt zurück. Dort benahm
4588 <a class="pagenum" name="Page_131" title="131"> </a>
4589 er sich dem Pförtner gegenüber so aufgeregt, daß dieser ihn
4590 für einen entsprungenen Insassen hielt und Wärter herbeirief.
4591 Es verging eine weitere halbe Stunde, bevor Krötzl
4592 zu einem Fernsprecher geführt wurde, er bekam natürlich
4593 keine Verbindung mit dem Parlament, da dort alle Nummern
4594 besetzt waren, und als er endlich die Verbindung hatte
4595 und der Parteisekretär zur Stelle gebracht war, schrie ihm
4596 dieser in die Ohren, daß er ein besoffenes Schwein sei;
4597 ein von den Juden gekaufter Gauner und bereits alles
4598 vorbei wäre.</p>
4600 <p>»Das Judengesetz ist gefallen!« Mit diesen Worten
4601 läutete er dem unglücklichen Nationalrat in die Ohren, der
4602 daraufhin in eine lange, wohltätige Ohnmacht fiel.</p>
4604 <p class="asterisk-break">* * *</p>
4606 <p>Als Leo das Parlamentsgebäude betrat, hatte der neugewählte
4607 Präsident eben die schon am Tage vorher an
4608 Stelle des zurückgetretenen Kabinetts gewählten Minister
4609 begrüßt und mitgeteilt, daß zwei Dringlichkeitsanträge
4610 eingebracht worden seien, dahingehend, den Paragraph 11
4611 der Bundesverfassung, der den Juden und Judenabkömmlingen
4612 den Aufenthalt in Oesterreich untersagt, zu streichen.</p>
4614 <p>Ein sozialdemokratischer Nationalrat erhob sich und
4615 stellte den Antrag, über die gestellten Dringlichkeitsanträge
4616 sofort zu verhandeln. Trotz des tosenden Lärmens der
4617 Christlichsozialen und Großdeutschen pflichtete die Mehrheit
4618 bei, worauf der Präsident dem Führer der Sozialdemokraten,
4619 Doktor Wolters, als erstem Proredner das
4620 Wort erteilte.</p>
4622 <p><a class="pagenum" name="Page_132" title="132"> </a>Wolters wies darauf hin, daß er und seine Parteikollegen
4623 schon vor fast drei Jahren gegen das Gesetz gewesen
4624 seien, das einen Faustschlag gegen die Menschenrechte,
4625 einen Rückfall in das finstere Mittelalter bedeutete.
4626 Damals sei die Opposition niedergeschrieen, beschimpft und
4627 aus dem Saal gedrängt worden, heute aber habe das verführte
4628 und berauschte Volk sie in solcher Zahl zurückgeführt,
4629 daß nunmehr die Macht in ihren und den Händen
4630 anderer freisinniger Männer liege. Wolters entwickelte
4631 dann die Ereignisse der letzten Jahre, wies den furchtbaren
4632 Zusammenbruch Oesterreichs nach, führte schlagende Ziffern
4633 an und schloß mit den Worten:</p>
4635 <p>»Das kühne, allzukühne Werk des Mannes, der sich
4636 göttliche Macht anmaßte und nun nicht einmal mehr einen
4637 Sitz in diesem Hause bekommen konnte, ist zusammengebrochen,
4638 und draußen warten hunderttausend Arbeitslose
4639 und mit ihnen alle tätigen, zur Verzweiflung getriebenen
4640 Kräfte, daß das neue Haus einer neuen Zukunft die Tore
4641 öffne und unseren jüdischen Mitbürgern die Möglichkeit
4642 gebe, wieder an unserer Seite nicht gegen uns, sondern mit
4643 uns ihre Intelligenz, ihre Emsigkeit und schöpferische Arbeitskraft
4644 im Interesse des schwergeprüften und fast ruinierten
4645 Landes zu betätigen.«</p>
4647 <p>Nachdem der Beifallssturm, an dem sich auch die Galerie
4648 beteiligte, verklungen war, ergriff der zweite Pro-Redner,
4649 Herr Habietnik, der von den Geschäftsleuten der Inneren
4650 Stadt sein Mandat bekommen hatte, das Wort. In launiger,
4651 oft durch schallende Heiterkeit unterbrochener Rede schilderte
4652 <a class="pagenum" name="Page_133" title="133"> </a>
4653 er das verarmte, verdorfte Wien von heute, gab die Erfahrungen
4654 im eigenen Betriebe zum besten und sagte:</p>
4656 <p>»Posemukel ist eine Großstadt im Vergleiche zu Wien
4657 von heute. Wien ist ein ungeheures Dorf mit anderthalb
4658 Millionen Einwohnern geworden, und wenn wir die Juden
4659 nicht wieder hereinlassen, so werden wir es demnächst erleben,
4660 daß statt vornehmer Geschäfte in der Kärntnerstraße
4661 Jahrmarktsbuden stehen und auf dem Stephansplatz Viehmärkte
4662 werden abgehalten werden. Die Wiener sind in ihrem
4663 Tiefinnersten in Verzweiflung über diese Rückentwicklung,
4664 die sie nicht aufhalten können und nicht zuletzt haben die
4665 Wiener Frauen und Mädchen, indem sie die christlichsoziale
4666 Partei im Stich ließen, gezeigt, daß sie wieder ein blühendes,
4667 lustiges Wien voll Luxus, auch wenn es mitunter einen
4668 orientalischen Anstrich hat, haben wollen.«</p>
4670 <p>Die weiteren Ausführungen Habietniks gingen in einer
4671 seltsamen Unruhe verloren, die sich über das Haus verbreitete.
4672 Was war geschehen? Nun, man hatte endlich auf der
4673 rechten Seite des Hauses entdeckt, daß der Nationalrat
4674 Krötzl nicht anwesend war, und eine Katastrophenstimmung
4675 bemächtigte sich der Christlichsozialen und Großdeutschen.
4676 Sie hörten nicht einmal ihren eigenen Kontra-Redner an,
4677 die Diener wurden mit Automobilen ausgeschickt, um Krötzl
4678 aus seinem Bureau in der Inneren Stadt oder aus der
4679 Wohnung in der Billrothstraße zu holen.</p>
4681 <p>Noch wäre vielleicht die Situation zu retten gewesen,
4682 wenn man die Geistesgegenwart gehabt hatte, den Kontra-Redner
4683 zu veranlassen, stundenlang bis zum Eintreffen
4684 Krötzls zu sprechen. Aber man hatte total den Kopf verloren,
4685 <a class="pagenum" name="Page_134" title="134"> </a>
4686 der christlichsoziale Redner, Herr Wurm, kürzte, als er die
4687 Unruhe bemerkte und seine Genossen verschwinden sah, seine
4688 Rede sogar ab, und schon war ein bürgerlicher Antrag auf
4689 Schluß der Debatte und Abkürzung der weiteren Redezeiten
4690 auf fünf Minuten mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit
4691 angenommen.</p>
4693 <p>Vergebens schrieen die überrumpelten Antisemiten
4694 Zeter und Mordio, der sozialistische Präsident waltete mit
4695 eiserner Energie seines Amtes, entzog jedem der wenigen
4696 schon vorgemerkten Redner nach fünf Minuten das Wort
4697 und unter enormer Spannung und allgemeiner Aufregung
4698 strömten die Abgeordneten wieder in den Saal, um bei
4699 der kommenden namentlichen Abstimmung anwesend zu
4700 sein.</p>
4702 <p>Herr Krötzl war noch immer nicht da, die Diener konnten
4703 nur berichten, daß er in seinem Bureau überhaupt nicht gewesen
4704 und sein Wohnhaus in Begleitung eines anderen
4705 Herrn vormittags, ersichtlich angeheitert, verlassen habe.</p>
4707 <p>Ein Großdeutscher machte den letzten Rettungsversuch.
4708 Er erbat und erhielt das Wort, um zur Geschäftsordnung
4709 zu sprechen und sagte:</p>
4711 <p>»Der Nationalrat Herr Krötzl ist nicht anwesend und
4712 wir haben Anzeichen dafür, daß er mit Gewalt ferne gehalten
4713 wird, ja wir haben begründeten Anlaß zur Befürchtung, daß
4714 er das Opfer eines Verbrechens geworden ist. Unter solchen
4715 Umständen kann unmöglich über ein Gesetz abgestimmt werden,
4716 das über das Schicksal des Landes entscheiden wird.
4717 Wenn auf Seite der neuen Mehrheit dieses Hauses auch
4718 nur ein Funken Anstandsgefühl herrscht, so wird sie mit mir
4719 <a class="pagenum" name="Page_135" title="135"> </a>
4720 darin übereinstimmen, daß wir uns zunächst auf zwei Stunden
4721 vertagen. Bis dahin werden wir wohl Klarheit darüber
4722 haben, ob unser hochverehrter Kollege, Herr Nationalrat
4723 Krötzl, überhaupt noch unter den Lebenden weilt.«</p>
4725 <p>Totenstille entstand nach diesen Worten, die nicht zurückzuweisen
4726 waren.</p>
4728 <p>Sollte Krötzl wirklich mit Gewalt verhindert worden
4729 sein, an der Sitzung teilzunehmen, so mußte man wohl oder
4730 übel warten.</p>
4732 <p>In diesem höchst kritischen Augenblick schlich sich ein
4733 Herr mit Knebelbart unbeobachtet in den Sitzungssaal,
4734 winkte Herrn Habietnik zu sich heran und flüsterte vor Aufregung
4735 keuchend mit ihm, worauf sich Herr Habietnik zum
4736 Worte meldete.</p>
4738 <p>»Ich kann dem Hohen Haus auf Ehr' und Gewissen
4739 versichern, daß Herr Krötzl nicht ermordet und auf keinerlei
4740 gewaltsame Weise verhindert wurde, dieser so überaus
4741 wichtigen Sitzung beizuwohnen. Herr Krötzl <ins title="befinde">befindet</ins> sich
4742 irgendwo in einem Automobil, in dem er einen Kanonenrausch,
4743 von dem ihn der Chauffeur nicht erwecken kann,
4744 ausschläft. Der sehr ehrenwerte Herr Krötzl, diese einzige
4745 Wiener Zierde der christlichsozialen Partei, hat nämlich schon
4746 am frühen Morgen in Gesellschaft eines lustigen Kumpanen,
4747 seines Wohnungsnachbars, eine kleine Siegesfeier begangen
4748 und entschieden mehr getrunken, als er verträgt. Sein Nachbar,
4749 der mir diese Mitteilung macht und den ich persönlich
4750 als zuverlässigen Ehrenmann kenne, fuhr dann mit Krötzl
4751 in einem Autotaxi hieher, mußte aber vorzeitig aussteigen,
4752 weil er den Gestank im Wagen nicht aushielt. Herr Krötzl
4753 <a class="pagenum" name="Page_136" title="136"> </a>
4754 gehört nämlich zu jener alten Garde, die sich lieber übergibt
4755 als stirbt. Wo sich in diesem Augenblick die springlebendige
4756 Leiche des Herrn Krötzl befindet, weiß ich nicht, aber das
4757 geht uns auch nichts an und man wird unmöglich verlangen,
4758 daß wir uns vertagen, bis Herr Krötzl nüchtern geworden
4759 ist.«</p>
4761 <p>Tosende Heiterkeit erfüllte das Haus und es wurde
4762 nunmehr nach der Anordnung des Präsidenten zur Abstimmung
4763 geschritten. Hundertundsechs Nationalräte stimmten
4764 für die Eliminierung des Ausnahmsgesetzes, dreiundfünfzig
4765 dagegen &ndash; das Gesetz war gefallen! Und die hunderttausend
4766 Menschen, die sich auf der Straße vor dem Parlament angesammelt
4767 hatten, riefen diesmal nicht »Heil!«, sondern
4768 »Hurra!« Sie waren nicht so begeistert wie vor drei Jahren,
4769 sondern ein wenig beschämt, hatten aber wieder ihren Humor
4770 gefunden und schon begannen Witze in der Luft zu schwirren.</p>
4772 <p>Leo hatte nur die Abstimmung abgewartet, dann stürzte
4773 er aus dem Parlamentsgebäude, warf sich in ein Autotaxi
4774 und fuhr nach der Linken Wienzeile zur »Arbeiter-Zeitung«.
4775 Dort ließ er sich in dringender Angelegenheit beim Chefredakteur
4776 melden, mit dem er eine halbstündige Unterredung
4777 ohne Zeugen hatte. Als er sich verabschiedete, schüttelte
4778 ihm der Redakteur kräftig beide Hände und sagte lachend:</p>
4780 <p>»Sie haben Außerordentliches geleistet und ich freue
4781 mich mit Ihnen von ganzem Herzen! Ihre Frechheit bewundere
4782 ich einfach! Man kann da wirklich nicht umhin,
4783 von&nbsp;&ndash;«</p>
4785 <p>»Jüdischer Frechheit zu sprechen«, ergänzte Leo vergnügt
4786 und eilte die Treppen hinab.</p>
4788 <p class="asterisk-break">* * *</p>
4790 <p><a class="pagenum" name="Page_137" title="137"> </a>Kaum waren die Extra-Ausgaben der Zeitungen erschienen,
4791 die das Ende der Judenverbannung verkündeten,
4792 als auch schon eine zweite Extraausgabe der »Arbeiter-Zeitung«
4793 ausgerufen wurde:</p>
4795 <div class="center">
4796 <p><span class="gesperrt">Die Krone steigt!</span></p>
4797 </div>
4799 <p>Zürich. Auf der hiesigen Börse wurden die drahtlich und
4800 telephonisch einlangenden Nachrichten von der entscheidenden
4801 Sitzung der Wiener Nationalversammlung mit fieberhaftem
4802 Interesse verfolgt. Kaum war das Fallen des Antijudengesetzes
4803 zur Gewißheit geworden, als auch schon umfangreiche
4804 Kronenankäufe, darunter solche von amerikanischen und englischen
4805 Finanzgruppen, erfolgten. Die österreichische gestempelte
4806 Krone ging sprunghaft auf das Doppelte, zum Börsenschluß
4807 sogar auf das Dreifache hinauf.</p>
4809 <p>Um sechs Uhr abends erschien eine dritte Extra-Ausgabe,
4810 die in ganz Wien Aufsehen und mit Galgenhumor gemischte
4811 Heiterkeit hervorrief. Die Nachricht lautete:</p>
4813 <div class="center">
4814 <p><span class="gesperrt">Ankunft des ersten Juden in Wien.</span></p>
4815 </div>
4817 <p>Wie wir mitteilen können, ist soeben der erste Jude aus
4818 dem Exil nach Wien zurückgekehrt. Es ist dies der junge,
4819 aber bereits weltberühmte Maler und Radierer Leo Strakosch,
4820 der die ganze Zeit von Heimweh erfüllt in Paris verbracht
4821 und sich vorgestern von dort an die österreichisch-mährische
4822 Grenze nach Lundenburg begeben hatte. Als er
4823 telephonisch von der Nichtigkeitserklärung des Ausweisungsgesetzes
4824 erfuhr, begab er sich sofort per Automobil nach
4825 seiner Vaterstadt Wien. Er hält sich derzeit im Hause seines
4826 zukünftigen Schwiegervaters, des Hofrates Spineder, in der
4827 <a class="pagenum" name="Page_138" title="138"> </a>
4828 Kobenzlgasse auf, wo er nach jahrelanger bitterer Trennung
4829 die in Treue und Liebe seiner harrende Braut umarmt.</p>
4831 <p>Diese Extra-Ausgabe bildete einen wohlwollend-boshaften
4832 Scherz des Chefredakteurs der »Arbeiter-Zeitung«.
4833 Gleich nach ihr erschien aber eine Extraausgabe der »Weltpresse«
4834 mit zwei sensationellen Nachrichten. In der einen
4835 wurde angekündigt, daß sich der ehemalige Bundeskanzler
4836 Doktor Schwertfeger in Verzweiflung über das Scheitern
4837 seines so groß und ehrlich gedachten Werkes durch einen
4838 Revolverschuß entleibt habe. Anknüpfend daran machte die
4839 »Weltpresse« die Mitteilung, daß sie, dem Willen der überwältigenden
4840 Mehrheit der Bevölkerung Wiens folgend, vom
4841 heutigen Tage an als das Organ der neuen Partei der
4842 tätigen Bürger erscheinen werde.</p>
4844 <p class="asterisk-break">* * *</p>
4846 <p>Leo war von der Redaktion der »Arbeiter-Zeitung« aus
4847 tatsächlich direkt nach Grinzing gefahren. Lotte, die ebenso
4848 wie ihre Eltern von dem Verlauf der Parlamentssitzung bereits
4849 unterrichtet war, erwartete ihren Bräutigam am
4850 offenen Fenster im Parterregeschoß. Und als das Auto vorgefahren
4851 war und Leo sie erblickte, erschien ihm der Weg
4852 durch den Hausflur zu weitläufig, mit einem Satz schwang
4853 er sich auf das Fensterbrett und schon hielten die beiden
4854 jungen Leute einander lachend und weinend umschlungen.
4855 Da Leo aber trotz seiner turnerischen Gewandtheit bei seinem
4856 abgekürzten Eintrittsverfahren eine Fensterscheibe eingeschlagen
4857 hatte, was ein hörbares Klirren und Schmettern
4858 verursachte, kamen der Hofrat und seine Gattin aus dem
4859 <a class="pagenum" name="Page_139" title="139"> </a>
4860 nebengelegenen Wohnzimmer bestürzt herbei und blieben
4861 angesichts ihrer Tochter, die von einem fremden, knebelbärtigen
4862 Herrn unaufhörlich abgeküßt wurde, überrascht
4863 stehen. Bis der Hofrat so energisch zu husten begann, daß
4864 Lotte es vernahm und sich blutrot aus den Armen des
4865 Geliebten befreite, um ihn ihren Eltern vorzustellen:</p>
4867 <p>»Papa, Mama, dies ist mein Bräutigam, Henry
4868 Dufresne&hellip;!«</p>
4870 <p>»<span class="antiqua" lang="la" xml:lang="la">Recte</span> Leo Strakosch«, lautete die Ergänzung und Leo
4871 warf sich auch schon dem Hofrat und dann seiner zukünftigen
4872 Schwiegermutter in die Arme.</p>
4874 <p>Nachdem sich die erste Freude und Verwirrung gelegt,
4875 tat Herr Spineder das, was ein Hofrat in solcher Situation
4876 zu tun hatte. Er sagte:</p>
4878 <p>»Nun, Kinder, erzählt mir einmal alles ordentlich der
4879 Reihe nach.«</p>
4881 <p>Frau Spineder aber tat das, was jede andere ordentliche
4882 Hausfrau an ihrer Stelle getan hätte. Sie weinte, erklärte
4883 vor Aufregung nicht stehen und gehen zu können und
4884 lief nach der Küche, um für ein ordentliches Souper zu
4885 sorgen.</p>
4887 <p>Die Unterhaltung zwischen dem Hofrat, Lotte und Leo
4888 spielte sich indessen im Badezimmer ab, wo Leo sich zuerst mit
4889 einer Papierschere den Knebelbart abschnitt, um sich dann zu
4890 rasieren und gleichzeitig zu erzählen. Und das war sehr gut
4891 so, denn gerade als er rasiert und wieder ein schöner, glatter
4892 junger Mann war, ereignete sich ganz Unerwartetes.</p>
4894 <p>Ein Automobil mit Herrn Habietnik, einem sozialdemokratischen
4895 Nationalrat und einem bekehrten Gemeinderat
4896 <a class="pagenum" name="Page_140" title="140"> </a>
4897 fuhr vor und die Herren teilten Leo mit, daß er unbedingt
4898 mit ihnen zum Rathause fahren müsse, um sich der dort versammelten
4899 Menschenmenge zu zeigen und eine Ansprache des
4900 Bürgermeisters zu erdulden.</p>
4902 <p>Sträuben nützte nichts, Leo mußte mit, aber Lotte,
4903 die die Garantie dafür übernahm, daß sie rechtzeitig zum
4904 Abendessen zurück sein würden, fuhr mit ihm.</p>
4906 <p>Bis zum Schottentor verlief die Fahrt ganz glatt,
4907 dann stellte sich ein Hindernis ein. Die Menschenmassen
4908 standen hier so dicht aneinandergedrängt, daß das Auto
4909 nicht vorwärts kam. Worauf sich der Gemeinderat hinausbeugte
4910 und in bester Absicht, wenn auch mit wenig
4911 Zartgefühl den Leuten zuschrie:</p>
4913 <p>»Laßt's uns durch! Der Herr Leo Strakosch, der erste
4914 Jud, der wieder in Wien ist, muß zum Rathaus!«</p>
4916 <p>Diese <ins title="Worten">Worte</ins> waren das Signal zu einem stürmischen
4917 Jubelschrei, und das Auto konnte zwar nicht durch, sondern
4918 mußte hier mit Lotte warten, aber Leo saß auch schon auf
4919 den Schultern zweier handfester Männer und wurde unter
4920 dem Jauchzen und Johlen und Hurra-Geschrei der Massen
4921 zum Rathaus getragen.</p>
4923 <p>Das schöne Rathaus war wieder illuminiert, sah
4924 wieder wie eine brennende Fackel aus und mühsam nur
4925 konnten sich die Männer mit Leo auf den Schultern Bahn
4926 machen. Fanfarenklänge, Trompetentöne, der Bürgermeister
4927 von Wien, Herr Karl Maria Laberl, betrat den
4928 Balkon, streckte segnend seine Arme aus und hielt eine
4929 zündende Ansprache, die mit den Worten begann:</p>
4931 <p>»Mein lieber Jude!&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;«</p>
4933 <div class="center">
4934 <p><span class="gesperrt">Ende.</span></p>
4935 </div>
4937 <p class="center page-break">»Corona«-Druck (G. Davis &amp; Co.), Wien IX.</p>
4939 <div id="tnote-bottom">
4940 <p class="center"><a name="tn-bottom"><b>Anmerkungen zur Transkription:</b></a></p>
4942 <p class="no-indent">Im folgenden werden alle geänderten Textstellen angeführt,
4943 wobei jeweils zuerst die Stelle wie im Original, danach die geänderte Stelle
4944 steht.</p>
4946 <ul id="corrections">
4947 <li><a href="#Page_14">Seite 14</a>:<br/>einem halben Jahr <span class="correction">gegeben.</span><br/>einem halben Jahr <span class="correction">gegeben.«</span></li>
4948 <li><a href="#Page_42">Seite 42</a>:<br/>Bescherung machen und klingeln, wenn es so weit <span class="correction">ist.«.</span><br/>Bescherung machen und klingeln, wenn es so weit <span class="correction">ist.«</span></li>
4949 <li><a href="#Page_44">Seite 44</a>:<br/>Alternden vereinigten sich hier und <span class="correction">machte</span> ihn absolut<br/>Alternden vereinigten sich hier und <span class="correction">machten</span> ihn absolut</li>
4950 <li><a href="#Page_88">Seite 88</a>:<br/><span class="correction">»Meine</span> Herren und Damen, ich weiß, daß die Bevölkerung<br/><span class="correction">Meine</span> Herren und Damen, ich weiß, daß die Bevölkerung</li>
4951 <li><a href="#Page_93">Seite 93</a>:<br/>arbeiten <span class="correction">wollen.</span><br/>arbeiten <span class="correction">wollen.«</span></li>
4952 <li><a href="#Page_95">Seite 95</a>:<br/><span class="correction">»Dazu</span> ist allerdings zu bemerken, daß der Bruder des<br/><span class="correction">Dazu</span> ist allerdings zu bemerken, daß der Bruder des</li>
4953 <li><a href="#Page_96">Seite 96</a>:<br/>hören. <span class="correction">»Weißt</span> du, ich glaub', die Leute bekommen ordentlich<br/>hören. <span class="correction">Weißt</span> du, ich glaub', die Leute bekommen ordentlich</li>
4954 <li><a href="#Page_99">Seite 99</a>:<br/>so daß ich aufgewacht bin! Glauben <span class="correction">'s</span> nicht, Herr Mauler,<br/>so daß ich aufgewacht bin! Glauben <span class="correction">S'</span> nicht, Herr Mauler,</li>
4955 <li><a href="#Page_99">Seite 99</a>:<br/>daß der Traum was zu bedeuten <span class="correction">hat?</span><br/>daß der Traum was zu bedeuten <span class="correction">hat?«</span></li>
4956 <li><a href="#Page_100">Seite 100</a>:<br/><span class="correction">kapores!</span><br/><span class="correction">kapores!«</span></li>
4957 <li><a href="#Page_108">Seite 108</a>:<br/><span class="correction">in</span> Stich lassen werde.<br/><span class="correction">im</span> Stich lassen werde.</li>
4958 <li><a href="#Page_113">Seite 113</a>:<br/>sind die Frauen, hören <span class="correction">sie</span> nur, wie sie schreien, man möge<br/>sind die Frauen, hören <span class="correction">Sie</span> nur, wie sie schreien, man möge</li>
4959 <li><a href="#Page_121">Seite 121</a>:<br/>Millionen, die sie der guten Sache schon <span class="correction">geopfert</span> und hielten<br/>Millionen, die sie der guten Sache schon <span class="correction">geopfert,</span> und hielten</li>
4960 <li><a href="#Page_122">Seite 122</a>:<br/>Großdeutsche. Das ergab <span class="correction">160</span> Stimmen für<br/>Großdeutsche. Das ergab <span class="correction">106</span> Stimmen für</li>
4961 <li><a href="#Page_123">Seite 123</a>:<br/>jeder Beziehung sicher und er <span class="correction">erfreut</span> sich einer vorzüglichen<br/>jeder Beziehung sicher und er <span class="correction">erfreute</span> sich einer vorzüglichen</li>
4962 <li><a href="#Page_135">Seite 135</a>:<br/>wichtigen Sitzung beizuwohnen. Herr Krötzl <span class="correction">befinde</span> sich<br/>wichtigen Sitzung beizuwohnen. Herr Krötzl <span class="correction">befindet</span> sich</li>
4963 <li><a href="#Page_140">Seite 140</a>:<br/>Diese <span class="correction">Worten</span> waren das Signal zu einem stürmischen<br/>Diese <span class="correction">Worte</span> waren das Signal zu einem stürmischen</li>
4964 </ul>
4965 </div>
4974 <pre>
4980 End of the Project Gutenberg EBook of Die Stadt ohne Juden, by Hugo Bettauer
4982 *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE STADT OHNE JUDEN ***
4984 ***** This file should be named 35569-h.htm or 35569-h.zip *****
4985 This and all associated files of various formats will be found in:
4986 http://www.gutenberg.org/3/5/5/6/35569/
4988 Produced by Jana Srna, Norbert H. Langkau and the Online
4989 Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net. Cover
4990 image cleaned up by Sharon Joiner
4993 Updated editions will replace the previous one--the old editions
4994 will be renamed.
4996 Creating the works from public domain print editions means that no
4997 one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
4998 (and you!) can copy and distribute it in the United States without
4999 permission and without paying copyright royalties. Special rules,
5000 set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
5001 copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
5002 protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project
5003 Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
5004 charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you
5005 do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
5006 rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose
5007 such as creation of derivative works, reports, performances and
5008 research. They may be modified and printed and given away--you may do
5009 practically ANYTHING with public domain eBooks. Redistribution is
5010 subject to the trademark license, especially commercial
5011 redistribution.
5015 *** START: FULL LICENSE ***
5017 THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
5018 PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
5020 To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
5021 distribution of electronic works, by using or distributing this work
5022 (or any other work associated in any way with the phrase "Project
5023 Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
5024 Gutenberg-tm License (available with this file or online at
5025 http://gutenberg.org/license).
5028 Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
5029 electronic works
5031 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
5032 electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
5033 and accept all the terms of this license and intellectual property
5034 (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
5035 the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
5036 all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
5037 If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
5038 Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
5039 terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
5040 entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.
5042 1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
5043 used on or associated in any way with an electronic work by people who
5044 agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
5045 things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
5046 even without complying with the full terms of this agreement. See
5047 paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
5048 Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
5049 and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
5050 works. See paragraph 1.E below.
5052 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
5053 or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
5054 Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
5055 collection are in the public domain in the United States. If an
5056 individual work is in the public domain in the United States and you are
5057 located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
5058 copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
5059 works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
5060 are removed. Of course, we hope that you will support the Project
5061 Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
5062 freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
5063 this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
5064 the work. You can easily comply with the terms of this agreement by
5065 keeping this work in the same format with its attached full Project
5066 Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.
5068 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
5069 what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in
5070 a constant state of change. If you are outside the United States, check
5071 the laws of your country in addition to the terms of this agreement
5072 before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
5073 creating derivative works based on this work or any other Project
5074 Gutenberg-tm work. The Foundation makes no representations concerning
5075 the copyright status of any work in any country outside the United
5076 States.
5078 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
5080 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate
5081 access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
5082 whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
5083 phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
5084 Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
5085 copied or distributed:
5087 This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
5088 almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
5089 re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
5090 with this eBook or online at www.gutenberg.org
5092 1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
5093 from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
5094 posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
5095 and distributed to anyone in the United States without paying any fees
5096 or charges. If you are redistributing or providing access to a work
5097 with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
5098 work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
5099 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
5100 Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
5101 1.E.9.
5103 1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
5104 with the permission of the copyright holder, your use and distribution
5105 must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
5106 terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked
5107 to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
5108 permission of the copyright holder found at the beginning of this work.
5110 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
5111 License terms from this work, or any files containing a part of this
5112 work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.
5114 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
5115 electronic work, or any part of this electronic work, without
5116 prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
5117 active links or immediate access to the full terms of the Project
5118 Gutenberg-tm License.
5120 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
5121 compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
5122 word processing or hypertext form. However, if you provide access to or
5123 distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
5124 "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
5125 posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
5126 you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
5127 copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
5128 request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
5129 form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
5130 License as specified in paragraph 1.E.1.
5132 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
5133 performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
5134 unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
5136 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
5137 access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
5138 that
5140 - You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
5141 the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
5142 you already use to calculate your applicable taxes. The fee is
5143 owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
5144 has agreed to donate royalties under this paragraph to the
5145 Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments
5146 must be paid within 60 days following each date on which you
5147 prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
5148 returns. Royalty payments should be clearly marked as such and
5149 sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
5150 address specified in Section 4, "Information about donations to
5151 the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
5153 - You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
5154 you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
5155 does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
5156 License. You must require such a user to return or
5157 destroy all copies of the works possessed in a physical medium
5158 and discontinue all use of and all access to other copies of
5159 Project Gutenberg-tm works.
5161 - You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
5162 money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
5163 electronic work is discovered and reported to you within 90 days
5164 of receipt of the work.
5166 - You comply with all other terms of this agreement for free
5167 distribution of Project Gutenberg-tm works.
5169 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
5170 electronic work or group of works on different terms than are set
5171 forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
5172 both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
5173 Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the
5174 Foundation as set forth in Section 3 below.
5176 1.F.
5178 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
5179 effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
5180 public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
5181 collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
5182 works, and the medium on which they may be stored, may contain
5183 "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
5184 corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
5185 property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
5186 computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
5187 your equipment.
5189 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
5190 of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
5191 Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
5192 Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
5193 Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
5194 liability to you for damages, costs and expenses, including legal
5195 fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
5196 LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
5197 PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
5198 TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
5199 LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
5200 INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
5201 DAMAGE.
5203 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
5204 defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
5205 receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
5206 written explanation to the person you received the work from. If you
5207 received the work on a physical medium, you must return the medium with
5208 your written explanation. The person or entity that provided you with
5209 the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
5210 refund. If you received the work electronically, the person or entity
5211 providing it to you may choose to give you a second opportunity to
5212 receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy
5213 is also defective, you may demand a refund in writing without further
5214 opportunities to fix the problem.
5216 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
5217 in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
5218 WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
5219 WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
5221 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
5222 warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
5223 If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
5224 law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
5225 interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
5226 the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any
5227 provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
5229 1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
5230 trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
5231 providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
5232 with this agreement, and any volunteers associated with the production,
5233 promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
5234 harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
5235 that arise directly or indirectly from any of the following which you do
5236 or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
5237 work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
5238 Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
5241 Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
5243 Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
5244 electronic works in formats readable by the widest variety of computers
5245 including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
5246 because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
5247 people in all walks of life.
5249 Volunteers and financial support to provide volunteers with the
5250 assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
5251 goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
5252 remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
5253 Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
5254 and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
5255 To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
5256 and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
5257 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.
5260 Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
5261 Foundation
5263 The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
5264 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
5265 state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
5266 Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
5267 number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
5268 http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
5269 Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
5270 permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
5272 The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
5273 Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
5274 throughout numerous locations. Its business office is located at
5275 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
5276 business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
5277 information can be found at the Foundation's web site and official
5278 page at http://pglaf.org
5280 For additional contact information:
5281 Dr. Gregory B. Newby
5282 Chief Executive and Director
5283 gbnewby@pglaf.org
5286 Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
5287 Literary Archive Foundation
5289 Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
5290 spread public support and donations to carry out its mission of
5291 increasing the number of public domain and licensed works that can be
5292 freely distributed in machine readable form accessible by the widest
5293 array of equipment including outdated equipment. Many small donations
5294 ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
5295 status with the IRS.
5297 The Foundation is committed to complying with the laws regulating
5298 charities and charitable donations in all 50 states of the United
5299 States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
5300 considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
5301 with these requirements. We do not solicit donations in locations
5302 where we have not received written confirmation of compliance. To
5303 SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
5304 particular state visit http://pglaf.org
5306 While we cannot and do not solicit contributions from states where we
5307 have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
5308 against accepting unsolicited donations from donors in such states who
5309 approach us with offers to donate.
5311 International donations are gratefully accepted, but we cannot make
5312 any statements concerning tax treatment of donations received from
5313 outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
5315 Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
5316 methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
5317 ways including checks, online payments and credit card donations.
5318 To donate, please visit: http://pglaf.org/donate
5321 Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
5322 works.
5324 Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
5325 concept of a library of electronic works that could be freely shared
5326 with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
5327 Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
5330 Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
5331 editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
5332 unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
5333 keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
5336 Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
5338 http://www.gutenberg.org
5340 This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
5341 including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
5342 Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
5343 subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
5346 </pre>
5348 </body>
5349 </html>