From 231ba9feebdab78aa46f0c51685ca921ba71d33f Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: Harald Geyer Date: Sun, 14 Apr 2013 07:59:08 +0000 Subject: [PATCH] Neuer Text: Befreiungschlag --- content/Merlin_Thomas/Befreiungsschlag.tex | 1007 ++++++++++++++++++++++++++++ 1 file changed, 1007 insertions(+) create mode 100644 content/Merlin_Thomas/Befreiungsschlag.tex diff --git a/content/Merlin_Thomas/Befreiungsschlag.tex b/content/Merlin_Thomas/Befreiungsschlag.tex new file mode 100644 index 0000000..e0b7644 --- /dev/null +++ b/content/Merlin_Thomas/Befreiungsschlag.tex @@ -0,0 +1,1007 @@ +\usepackage[ngerman]{babel} +\usepackage[T1]{fontenc} +\input{common/hyp-de} + +%\setlength{\emergencystretch}{1ex} + +%\renewcommand*{\tb}{\begin{center}* * *\end{center}} + +\newcommand\bigpar\medskip + +\begin{document} +\raggedbottom +\begin{center} +\textbf{\huge\textsf{Befreiungsschlag}} + +\medskip +Merlin Thomas + +\end{center} + +\bigskip +\begin{flushleft} +Dieser Text wurde erstmals veröffentlicht in: +\begin{center} +Die Steampunk-Chroniken\\ +Geschichten aus dem Æther +\end{center} + +\bigskip + +Der ganze Band steht unter einer +\href{http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/de/}{Creative-Commons-Lizenz.} \\ +(CC BY-NC-ND) + +\bigskip + +Spenden werden auf der +\href{http://steampunk-chroniken.de/download}{Downloadseite} +des Projekts gerne entgegen genommen. +\end{flushleft} + +\newpage + +Der Diensthabende schaute auf. Der hektische Rhythmus, in dem die +Magnetstiefel durch den Korridor klickten, schwächte seine +Aufmerksamkeit für den Versuch, die wöchentliche Lektüre des +Clausewitz nicht schleifen zu lassen. Er platzierte das +Lesebändchen zwischen den Seiten und spannte das Buch unter eine +der Halteleinen seines Schreibtisches. + +Seine Erwartung erfüllte sich: der Signalton der Tür erklang. Er +zog an dem Hebel, der die Tür in die Wand schwingen ließ. Der +Läufer klickte herein und salutierte. »Herr Major, melde +gehorsamst: æthertelegraphische Depesche von der Oberfläche +erhalten, Herr Major!« + +Köpcke streckte den Arm aus, nahm das Klemmbrett und überflog die +Depesche. Sie stammte vom Büro des Gouverneurs und veranlasste den +Offizier, beim Aufspringen zu vergessen, dass er an seinen Stuhl +geschnallt war. Er löste den Gurt und reichte die Nachricht zurück. +»Bringen Sie das zum Kommandanten. Zack, zack!« + +Der Gefreite salutierte und klickte hinaus. Der Major warf einen +Blick auf die Abdeckplatte an der Wand, aber er widerstand der +Versuchung, sie erneut abzuschrauben. Köpcke zog den Hebel, der den +Gefechtsalarm auslöste. Der Widerstand erschien ihm geringer, jetzt +da das Stahlseil, das zum Transæthersender lief, ausgehängt war. In +der gesamten Festung erklang das Alarmsignal in dreifacher +Wiederholung, riss die Nachtschicht aus ihrem Dämmerzustand und die +Übrigen aus ihrem Schlaf. + +Major Köpcke verriegelte das Dienstzimmer und folgte dem Korridor +nach rechts, wo ihm einige Meter weiter ein Bewaffneter das +Doppeltor zur Operationszentrale öffnete. Durch die rückwärtige +Kuppel warf er einen Blick auf die Oberfläche hinunter. Ohne eines +der Teleskope zu nutzen, konnte er nichts Auffälliges erkennen. Im +Vorbeigehen ließ er sich eine Kopie der Depesche geben, dann +schnallte er sich auf seinen Platz am Taktiktisch. An der Wand lief +eine Uhr seit zwei Minuten und 17 Sekunden. Daneben war eine Reihe +von 24 Lampen, von denen ein Drittel nur blass schimmerte. + +Bei drei Minuten und neun Sekunden leuchteten alle in kräftigem +Grün: Orbitalfestung 9 war gefechtsbereit. Der Major notierte die +Zeit im Wachbuch. Nach kurzem Zögern fügte er \emph{unbefriedigend} +hinzu. Die Verfahrensanweisung des Raumkommandos sah eine Zeit von +unter drei Minuten vor. Er würde zusätzliche Alarmdrills auf den +Plan setzen. + +Das Schott zum Korridor öffnete sich und Oberst von Theeste trat +ein. Er stampfte auf Köpcke zu. Das auf den Tisch geschleuderte +Klemmbrett prallte ab und segelte davon. »Was ist denn das für eine +Sauerei, Köpcke? Sozialistenschwänze? Direkt unter meinem Arsch? +Denen müssen wir wohl mal auf den Kopf scheißen, was?« + +»Sehr wohl, Herr Oberst!« + +Der Festungskommandant schnallte sich seinem Wachoffizier gegenüber +auf einen Stuhl und schloss die goldenen Knöpfe seiner dunkelblauen +Uniform. »Dann sagen Sie Hansen mal Bescheid, dass er da unten +durchwischt, wenn die Hanseln von der Bodentruppe das nicht selbst +in den Griff bekommen.« + +Köpcke winkte eine Ordonnanz herbei. Auf ein gerauntes »Hansen« +hin, klickte diese eilig zur Sprechanlage. + +»Herr Oberst, ich muss mir erlauben, auf einen kritischen Punkt +hinzuweisen. Wir haben derzeit keine Kapazitäten, um Hansens +Kompanie auf die Oberfläche zu verbringen.« + +Theeste starrte den Major mit zusammengekniffenen Augen an. Köpcke +wartete nicht auf die Nachfrage seines Vorgesetzten. Er schlug im +Wachbuch nach. »Die \emph{Kronprinz Ludwig} ist zum Befehlsempfang +bei der Admiralität auf Kaiser-Wilhelm-II.-Mond. \emph{Köpenick} +und \emph{Brandenburg} patrouillieren beim Zaren. Unsere +vorgeschobenen Teleskope haben verstärkte Flottenbewegungen +gemeldet. Und die \emph{Helgoland} ist raus, einen Kutter +aufzubringen, der lediglich 180 Raummeilen von hier eine Ladung +Unrat verklappt hat.« Köpcke deutete mit dem Buch in Richtung des +raumwärts gelegenen Observatoriums. + +Theeste warf einen Blick hinaus und löste seinen Gurt. »Unrat? +Unser letztes Kriegsschiff geht raus, um einen Kutter wegen +Verklappung von Unrat zu jagen?« Er wiegte sich in der Hüfte, wie +es sich viele Offiziere angewöhnt hatten, die in Schwerkraft dazu +neigten, auf und ab zu laufen. »Nun, da danken wir aber ganz artig +unserer geliebten Kaiserin für ihre expliziten Befehle zur +Reinhaltung des Weltenraums.« + +Hauptmann Hansen betrat die Zentrale und nahm neben dem Taktiktisch +Haltung an. + +»Hansen, gut.« Der Oberst setze sich. »Wissen?s, die Sozialisten +haben drunten in Karlstadt eine Räterepublik ausgerufen und sich +nahe der Amtskuppel des Gouverneurs verschanzt.« + +»Unverschämtheit, Herr Oberst. Erbitte Erlaubnis, die +Ratsversammlung aufzulösen, Herr Oberst!« + +»Die hätten Se, mein Guter, die hätten Se. Aber leider …« Mit einem +Winken übergab er Köpcke das Wort. + +»Leider haben wir keine Transportmöglichkeit für deine Jungs, +Frieder. Alle Schiffe sind draußen.« + +»Sapperlot! Wann werden sie denn zurück erwartet?« + +»Durch den Gefechtsalarm wurde ihnen automatisch über Transæther +die Rückkehr signalisiert. Die \emph{Ludwig} müsste …«, Köpcke +blickte auf die Uhren und überschlug einige Werte, »… in etwa +anderthalb Stunden wieder hier sein. Es sei denn, einer der Herren +Admirale fühlt sich bemüßigt, ihren Rückkehrbefehl zu widerrufen +Dann müssen wir auf die \emph{H?land} warten. Allerdings haben wir +deren genaue Position nicht.« + +Hansen blickte ebenfalls auf die Chronographen. »Hm, da kann ich +den Wachtmeister ja noch mal die Spielkarten ausgeben lassen, +was?« + +»Wer weiß, Frieder. Vielleicht hat die \emph{Helgoland} ihre Jagd +schon beendet. Dann könnte sie jeden Moment hier sein.« Köpcke +wandte sich an Theeste. »Wir sollten den Aufständischen nicht mehr +Zeit geben sich einzurichten als notwendig, oder Herr Oberst?« + +»Richtig Köpcke. Hansen, machen Sie die Jungs schon mal fertig. +Eine Stunde auf die Verladung zu warten, fördert sicherlich den +Ehrgeiz, den Einsatz schnell zu Ende zu bringen.« + +»Zu Befehl, Herr Oberst. Nun ja, wenn es bis zum Einsatzbeginn vor +Ort tatsächlich drei Stunden dauert, wird das sicherlich einer der +persistierendsten Räte in der Geschichte des Kaiserreichs sein.« + +Der Oberst schmunzelte, riss sich aber schnell wieder zusammen. +»Aber was für eine Schande, dass das unter meiner Nase geschieht.« +Er atmete aus und schüttelte den Kopf. »Hansen, dafür müssen Se +umso gründlicher aufräumen, wenn Se verstehen, was ich meine.« + +Hauptmann Hansen strich seinen Schnurrbart glatt. »Natürlich, Herr +Oberst, mit Vergnügen.« Er salutierte. »Harren wir also der +Rückkehr der \emph{Helgoland}. Ich mache meine Männer +marschbereit.« + +Die Offiziere am Tisch erwiderten den Gruß, Hansen drehte sich um +und klickte zum Schott. + +»Frieder?« + +Hansen blieb stehen und blickte zurück. + +»Pass auf dich auf!« + +»Ach Kurt, während die noch einen Antrag auf Abstimmung über +Gegenwehr einbringen, sind meine Bajonette schon durch die +versammelte Mannschaft durch. Die werden quieken wie die Säue am +Schlachttag!« Er tippte sich mit zwei Fingern an die Schläfe und +verließ die Zentrale. + +»Sagen Se mal, Köpcke, was war das denn? Haben Se Fracksausen vor +den Revoluzzerfatzken?« + +»Nein, Herr Oberst, selbstverständlich nicht. Ich … « Er zögerte, +warf einen Blick über die Schulter auf das bodenseitige Fenster und +las einige Instrumente zur Bahnlage der Orbitalfestung ab. »Ich +sinniere nur über das, was Sie vorhin gesagt haben, Herr Oberst. +Dass wir denen auf den Kopf scheißen sollten.« + +»Ja, und?« + +»Nun ja, eine Salve 16-Zoll-Granaten sollte einen anständigen +Haufen abgeben, Herr Oberst.« + +»Herr Major, ist ihrer Aufmerksamkeit entgangen, dass wir keine +bodenseitigen Geschütze haben?« + +»Selbstredend nicht, Herr Oberst. Doch meiner Einschätzung zu Folge +liegt das Ziel lediglich ein paar Grad außerhalb unseres +Bestreichungswinkels. Ich vermute, die beiden Schlepper könnten uns +mit Hilfe unserer Lagekorrekturmaschinen so weit herumdrücken, dass +wir eine Feuerleitlösung für das Ziel bekommen.« + +Der Oberst stemmte sich auf dem Tisch auf, so weit sein Gurt das +zuließ und kniff die Augen zusammen. »Hm, Se meinen, wir sollten +uns umdrehen, um auf die zu schießen? Hm, hm.« + +»Ganz genau.« + +»Das ist so töricht, das kann gelingen, Köpcke. Wer kommt schon auf +die Idee, eine Festung einfach umzudrehen?« + +Der Major stand auf. »Ich werde das mit dem Geschützoffizier und +dem Leitenden erörtern, Herr Oberst.« + +»Tun Se das, Köpcke, tun Se das.« Er schnallte sich ab und klickte +Richtung Schott. »Ich vertrete mir so lange die Beine.« + +\tb + +Als Oberst von Theeste die Zentrale ein Holsteiner Schnitzel später +wieder betrat, war das eigentlich raumseitige Observationsfenster +zum Teil von der roten Oberfläche des Planeten erfüllt. Er trat +heran und schwenkte ein Okular herbei, das ihm genügend +Vergrößerung bot, um Karlstadt in Augenschein zu nehmen. Anhand der +Skala am Rand konnte er erkennen, dass ein Drittel der Stadt in die +Reichweite seiner Geschütze geraten war. Er erlaubte sich ein +zufriedenes Knurren. + +»Herr Oberst, ich hatte Sie nicht so schnell zurück erwartet!« +Major Köpcke trat neben ihn. »Neuausrichtung war erfolgreich, Herr +Oberst. Wir haben die Aufständischen im Sucher.« + +Theeste klappte das Okular weg. »Gute Arbeit, Köpcke. Gab es schon +einen Respons auf den Kapitulationsbefehl des Gouverneurs?« + +Köpcke versicherte sich mit einem Blick zu der Soldatin am +Lichtblitztelegraphen und verneinte. + +»Dann setzen wir jetzt den geehrten Ratsherren mal einen kleinen +Gruß in ihren Vorgarten!« + +»Sehr wohl, Herr Oberst.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. +»Allerdings weisen die Artilleristen darauf hin, dass wir keine +Erfahrung mit planetarem Beschuss haben und schlagen vor, auf das +Eintreffen einer der Ætherfregatten zu warten.« Köpcke wandte sich +ab, ging ein paar Schritte auf das andere Observatorium zu und +suchte die Dunkelheit ab. + +»Papperlapapp. Wenn wir auf die warten würden, könnten die auch +unsere Infanterie verbringen und wir bräuchten uns keine Gedanken +über die Artillerie zu machen. Die sollen nicht denken, sondern +schießen. Den Planeten können sie ja wohl kaum verfehlen. Und +Munition haben wir genug!« + +Langsam kehrte der Major zu seinem Vorgesetzten zurück, salutierte +und griff nach dem Sprachrohr, das ihn mit dem kommandierenden +Offizier der Batterie David verband. Bevor er den Befehl des Oberst +weitergeben konnte, kam eine Späherin von der anderen Seite der +Zentrale herbeigeklickt. + +»Herr Oberst, Herr Major, ein kleines Schiff nähert sich schnell.« + +Köpcke hängte das Sprachrohr hastig ein. »Eines von unseren, +Mutzke? War eines näher, als wir dachten?« + +»Nein, Herr Major. Es ist ein kleineres Schiff. Dem Anschein nach +ein großer Kutter. Könnte der sein, der gestern verklappt hat, Herr +Major.« + +»Der gleiche Kutter?« Köpcke runzelte die Stirn. »Was hat denn das +zu bedeuten?« + +»Vielleicht haben sie einen Koben Schweinemist gefunden, den sie +jetzt nachliefern wollen? Wir haben andere Prioritäten, da beißt +die Maus keinen Faden ab.« Theeste wedelte in die Richtung, in der +er das anfliegende Schiff vermutete. »Pusten Se das Ding um ihrer +Majestät Willen aus dem Æther und dann kümmern Se sich um unser +eigentliches Problem!« + +Köpcke quittierte den Befehl mit einem Nicken und verglich +gemeinsam mit dem Geschützoffizier den Anflugvektor des Schiffes +mit allerhand Anzeigen und Skalen. Eine Diskussion brandete +zwischen den beiden auf, Leutnant Brunner deutete auf einen +Winkelmesser, Major Köpcke verschob ein Lineal auf einer Karte. + +Der Oberst kurbelte das Stellrad einer Gaslampe von einem Anschlag +zum anderen und zurück. Zum dritten Mal erreichte das Licht seine +maximale Helligkeit. Theeste ließ die Kurbel los und klickte zu +seinen Offizieren. »Hätten die Herren wohl die Güte, meinen +Befehlen Folge zu leisten? Oder bedarf es eines ermunternden +Trittes in ihre Ärsche?« + +Die beiden fuhren hoch, starrten den Oberst an, warfen sich einen +schnellen Blick zu. Köpcke schluckte. »Herr Oberst, der Kutter +nähert sich im toten Winkel unserer Geschütze!« + +»Was?« Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen klickte der Oberst +zum Observatorium und warf einen Blick auf den Kutter. Den +Angreifer, wie jetzt zu vermuten stand. »Woher sollten die gewusst +haben, dass wir da einen toten Winkel haben? Das wussten wir doch +selbst nicht, bis …«, er drehte sich um und deutete auf den Major, +»… bis Sie vorhin Ihre tolldreiste Idee hatten, Köpcke.« Seine Hand +schnellte zum Pistolenholster. + +Köpckes Kugel riss ihm das Ohr weg und schlug hinter ihm in eine +Leitung. Sofort trat Dampf aus, der das Blut des Obersts durch die +Zentrale blies. + +Dennoch zog Theeste seine Waffe. Köpckes zweite Kugel drang durch +das Auge ins Gehirn ein und enthob Jens Friedrich Freiherr von +Theeste seines Kommandos über Orbitalfestung 9. + +Raumwebel Karoline Mutzke stieß sich von ihrem Pult ab und glitt an +dem Gefallenen vorbei zu dem Sperrhahn der lecken Leitung. + +»Verflixt noch eins«, zischte Köpcke. Er ließ den Handgriff los, +der ihn davor bewahrt hatte, vom Rückstoß quer durch die Zentrale +katapultiert zu werden, wirbelte herum und half Brunner, die +Anwesenden in Schach zu halten. »Ich hatte nicht gedacht, dass der +Alte uns so schnell durchschaut.« + +»Mach dir nichts daraus, Kurt. Wir mussten ihn sowieso los +werden.« + +Köpcke betrachtete Brunner einen Moment aus den Augenwinkeln ohne +etwas zu erwidern. Dann wedelte er mit seiner Pistole in Richtung +der dem Ausgang gegenüberliegenden Seite. »Meine Damen und Herren, +bitte begeben Sie sich dort hinüber! Jan, nimm ihnen die Waffen +ab.« Er blickte zu der Frau, die am defekten Druckrohr arbeitete. +»Mutzke, wenn Sie fer …« + +Das Tor öffnete sich. Köpcke fuhr herum, um den Eintretenden ins +Visier zu nehmen. Als er den Soldaten erkannte, der hereinklickte, +wandte er sich wieder den Gefangenen zu. Der bullige Ankömmling +blickte sich um. Den Anblick von Theestens Leiche quittierte er mit +einem Lächeln. Er wischte mit dem Ärmel seiner dunkelblauen Uniform +Blut von seinem Bajonett und verstaute die Klinge in der +Gürtelscheide. + +»Hansens Kompanie ist in Ladebereich zwo festgesetzt, Herr Major!« + +»Danke, Meier. Helfen Sie mir mit den Arrestanten. Jan, +signalisiere dem Kutter Ladebereich eins.« + +Meier salutierte und ließ sein Gewehr von der Schulter gleiten. +Brunner aktivierte rechts der Kuppel einen Blitzgeber, richtete ihn +auf das einlaufende Schiff, das inzwischen mit bloßem Auge die +Größe einer Reichsmark erreicht hatte, und gab das verabredete +Signal. Das Antwortsignal blitzte auf. Gemeinsam mit seinen +Kameraden beobachtete Brunner den Anflug des Kutters. + +Einige hundert Meter vor der Orbitalfestung raffte das Schiff seine +Æthersegel so weit, dass es seine relative Position hielt. Die +Einzelheiten des Rumpfes waren deutlich auszumachen. Es bereitete +Köpcke keine Schwierigkeiten, zu erkennen, dass sich eine +Geschützluke am Vorschiff öffnete und ein langläufiges Jagdgeschütz +ausgefahren wurde. + +Auch Brunner bemerkte das merkwürdige Verhalten. Er schlug Köpcke +gegen die Schulter. »Was machen die denn da? Das gehört nicht zur +Vereinbarung, oder?« + +Der schlanke Körper eines Raumtorpedos schoss aus der +Geschützöffnung, schraubte sich durch die kurze Distanz und +verschwand aus dem Sichtfeld der fassungslosen Beobachter. + +»Einschlag!« Köpcke griff nach einer Konsole zu seiner Linken, +Brunner klammerte sich an eines der Rohre seitlich der Kuppel, +andere hielten sich an den Magnetstiefeln ihrer Kameraden fest, um +möglichst nahe am Boden zu bleiben. + +Der folgende Schlag wirbelte alle durcheinander. Stiefel lösten +sich, Gegenstände flogen in alle Richtungen, Soldaten prallten +schreiend und keuchend von Wänden und Mobiliar ab, Bluttropfen +waberten durch die Zentrale. Köpcke wurde von der Konsole +fortgerissen und mit dem Kopf voran gegen die Decke geschleudert. +Benommen hangelte er sich an der Verschalung entlang zu einer Wand +vor und dort an einem Rohr hinunter auf den Boden. Mit einem satten +\emph{Klack} hafteten seine Magnetstiefel am Deck. Der Versuch, die +Benommenheit durch ein Kopfschütteln zu vertreiben, resultierte in +einem stechenden Schmerz, der den Offizier in die Knie zwang. +Brunner eilte an seine Seite, richtete ihn auf und stützte ihn. + +Köpcke drückte die Schulter seines Kameraden, dann brachte er die +Kraft für Befehle auf: »Schadensbericht! Feindmeldung! Na los, +beeilen Sie sich, Herrschaften, wir sind im Gefecht!« + +Das knappe Dutzend Mannschaften und Unteroffiziere im +Kommandozentrum überwand sein Zögern und begab sich an seine +Stationen. Meier sah sich verlegen um und suchte sich einen Platz +nahe dem Schott, wo er niemandem im Weg war. + +»Kutter nimmt Fahrt auf und nähert sich den Dockanlagen, Herr +Major«, meldete ein Nahbereichsausguck. + +»Und wie steht es mit unseren Schäden? Wo sind wir getroffen?« + +»Der Treffer scheint genau in diesem Bereich erfolgt zu sein, Herr +Major.« Die Melderin an der Sprechanlage zuckte mit den Schultern. +»Von allen anderen Abteilungen habe ich Bereitschaftsmeldungen, +doch zum Dockbereich komme ich nicht durch.« + +Der Major löste sich von Brunner und drückte ihn in Richtung seines +Postens. »Kümmere dich um die Geschütze, Jan, ich komme klar. Wir +müssen den Kutter aufhalten.« + +»Aber unser Plan …« + +»Ich mache mir mehr Sorgen um deren Plan! Los!« + +»Nicht so schnell, die Herren Meuterer!« Pistolenläufe bohrten sich +in ihre Nacken. »Hände hoch!« + +Die Männer gehorchten. + +Der Major drehte seinen Kopf, um einen Blick auf die Frau hinter +ihnen zu werfen, aber sein Gesicht wurde durch deutlichen Druck mit +der Pistole wieder zurück gezwungen. »Keine Bewegung, Herr Major! +Herr Ex-Major!« + +»Hören Sie Mutzke, Sie wissen doch gar nicht, …« + +Die Raumwebel beendete den Einwand, indem sie die Pistole, die sie +dem Oberst abgenommen hatte, auf Köpckes Hinterkopf schlug. Wieder +sackte er zusammen und ließ sich frei schweben, soweit die +magnetische Verbindung zum Boden dies erlaubte. + +Soldat Meiers hob sein Gewehr. Er brachte es in Anschlag, aber ehe +er Ziel nehmen konnte, schlug doppelter Tod aus Mutzkes Pistolen in +seinen Oberkörper. + +Brunner wollte herumfahren, doch das Geräusch des Hahns, der +gespannte wurde, ließ ihn innehalten. + +»Recht so!« Karoline Mutzke stabilisierte ihren Stand und nickte +der Soldatin am Bordvermittler zu: »Krieger, rufen Sie Oberleutnant +Martens hoch!« + +Kriegers Finger zuckten zum Sprachrohr. Dann hielt sie inne und +blickte zwischen Mutzke und Brunner hin und her, der leicht den +Kopf schüttelte. + +»Was ist denn, Krieger? Hopp, hopp!« Sie kniff die Augen zusammen. +»Oder gehören Sie zu diesen Saboteuren?« + +»Nein, Frau Raumwebel, aber in einer Gefechtssituation sollte die +Kommandokette nicht derart durchbrochen werden! Wo doch schon der +Oberst tot ist, sollte da nicht der Major das Gefecht zu Ende +befehligen?« Sie deutete auf den driftenden Offizier, der jetzt +ebenfalls seinen Blick auf sie richtete und den Körper in Spannung +brachte. + +»Sie hat Recht, Mutzke. Behalten Sie die Waffe, stellen sie mich +unter Arrest, aber lassen sie mich dieses Gefecht führen!« + +»Das Gefecht, das Sie und ihre Freunde da draußen uns beschert +haben?« + +»Es war nicht vorgesehen, dass es zu einem Gefecht kommt.« Er +deutete auf von Theestens Leiche, die vor der Observatoriumskuppel +trieb. »Oder dazu. Es tut mir leid deswegen, aber unsere Sache …« + +Die Öffnung des Hauptschotts unterbrach die Diskussion. Ein +Sergeant trat ein und blieb steif stehen, als er zunächst von dem +aus Meiers Körper schwelenden Blut und dann von Raumwebel Mutzkes +vorgehaltener Waffe in Empfang genommen wurde. Er wischte sich das +Gesicht frei und kam etwas näher. + +»Frau Raumwebel, was …« Verwirrt ließ er seinen Blick durch die +Zentrale gleiten. Major Köpcke und Leutnant Brunner von Mutzke mit +der Waffe bedroht, alle anderen reglos an ihren Stationen. Dazu die +zwei Leichen. »Was haben Sie getan? Sind sie von allen guten +Geistern verlassen?« + +»Ich? Ich habe die Zentrale unter Kontrolle gebracht. Der Major ist +ein Reichsverräter. Er hat den Oberst getötet!« + +»Der Major? Das ergibt doch keinen Sinn!« + +Mutzke schwenkte die Waffe in ihrer Rechten zwischen Brunner und +dem Sergeant hin und her. »Brunner und Meier sind seine Komplizen. +Was ist mit Ihnen Topolski, auf wessen Seite stehen Sie?« + +»Drei Mann, die gemeinsam einen Verrat angezettelt haben?« + +»Ja, drei. Drei, die mir bekannt sind! Was ist mit Ihnen?« + +»Zwei haben Sie doch schon in Gewahrsam!« + +Mutzke schaute Topolski verständnislos an. Brunner warf Köpcke +einen beiläufigen Blick zu, den dieser mit einem fast unmerklichen +Nicken quittierte. + +»Eins will ich Ihnen sagen, Frau Raumwebel …« + +»Was denn?« + +»Jetzt!« + +Topolski beugte seine Knie und zog sich dem Boden entgegen; Köpcke +schmiss sich gegen Mutzkes rechten Unterschenkel, dabei gelang es +ihm, die Verankerung eines ihrer Magnetstiefel vom Boden zu lösen; +Brunner tauchte nach links aus der Schussbahn der Pistole und +schlug seinen Ellenbogen gegen Karoline Mutzkes Hüfte. + +Instinktiv feuerte sie beide Waffen, traf aber keines ihrer +anvisierten Ziele. Die Kugel aus ihrer eigenen Waffe schoss am +Kragenspiegel des Leutnants vorbei, prallte an einer Wand ab und +schlug in eine Konsole ein. Das Projektil aus der Waffe des Obersts +verfehlte Topolski, wurde von einer Metallsäule abgelenkt und +durchdrang Kriegers Oberschenkel. + +Der Schrei der Soldatin lenkte Raumwebel Mutzke stärker ab als +Sergeant Topolski, so dass dieser seine Waffe ziehen und der +Unteroffizierin eine Kugel in den Oberkörper schießen konnte. Mit +nur einem Stiefel am Boden arretiert, vollführte sie einen +aberwitzigen Todestanz. + +Major Köpcke richtete sich auf, so schnell es sein mehrfach +malträtierter Schädel zuließ und entrang die beiden Pistolen dem +Griff der Sterbenden. Eine steckte er sich an seinem Rücken in das +Koppel, die andere ließ er zu Topolski gleiten, der sie elegant in +Empfang nahm. + +»Jan, wie geht es dir?« + +»Alles in Ordnung bei mir, Kurt. Und bei dir?« + +»Ebenso.« Köpcke strich sich über den Hinterkopf. »Fast.« + +»Gut.« Brunner schwebte zu Kriegers Station und versorgte die Wunde +der Verletzten. + +Köpcke blickte sich in der Zentrale um. Alle blieben ruhig an ihren +Stationen. Im Moment hatten sie nicht mit weiteren Helden wie +Karoline Mutzke zu rechnen. Helden, die für ihren Einsatz nichts +weiter als einen vorzeitigen Tod erwarten konnten. Er warf einen +Blick auf das Wandchronometer. Der Aufstand dauerte noch keine +halbe Stunde und schon gab es drei Tote alleine hier in der +Zentrale. + +»Entschuldigung, Herr Major!« Topolski räusperte sich. + +Köpcke schaute ihn an. »Topolski. Gut, dass Sie gekommen sind. +Danke.« + +»Keine Ursache, Herr Major. Sie und der Herr Leutnant haben zum +Glück schnell genug begriffen, was ich vorhatte.« + +Brunner grinste verschmitzt hinter Kriegers Bein hervor. »Selbst +ich habe meine Momente, Topolski.« + +»Jawohl, Herr Leutnant. Aber weswegen ich gekommen bin, Herr Major: +der Torpedo ist mitten rein in Ladebucht eins. Hat das Außenschott +weggerissen und Hansens komplette Kompanie zerstückelt. Wer die +Explosion überlebt hat, ist nach draußen geblasen worden.« Er +nickte mit dem Kopf in eine unbestimmte Richtung. Der Weltraum war +überall um sie herum. + +Köpcke klickte zum Taktiktisch und suchte Halt. Drei? Hatte er eben +tatsächlich noch drei Tote beklagt? Jetzt hatte er dreihundert. +Dreihundert sinnlose Tode. Dreihundert Menschen für die er hatte +kämpfen wollen. + +Sein Blick glitt zur Transpakuppel. »Wo ist der Kutter jetzt? Ich +sehe ihn nicht mehr.« + +»Der Kutter hat an Ladebucht zwo festgemacht, Herr Major«, meldete +der Ausguck, der an einem neben der Kuppel angebrachten Omniskop +Dienst tat. + +»Verflixt. Jan, Topolski, ihr haltet hier die Stellung. Ich gehe +runter und verhindere, dass die Situation noch weiter aus dem Ruder +läuft.« + +»Und wenn du …« Brunner versagten die Worte. Er ließ Krieger halb +verbunden zurück und ging zu seinem Freund. + +»Wenn ich nicht wiederkomme?« + +Brunner nickte. + +»Dann helfe euch Gott. Ich kann es dann nicht mehr.« + +\tb + +Köpcke betrachtete den Wachposten, der ihm vor weniger als einer +Stunde das Schott zur Zentrale geöffnet hatte. In seinen +Magnetstiefeln steckend hing er reglos mit zertrümmerter Nase in +der Schwerelosigkeit, die Arme trieben neben ihm, der Kopf baumelte +auf und ab. Der tiefe Schnitt durch die Kehle öffnete und schloss +sich dabei wie die groteske Parodie eines Mundes. + +Der Major entriegelte seine Stiefel, stieß sich zu einer +Haltestange hoch und hangelte sich den Korridor entlang, bis er um +eine Kurve herum war. Er drückte die Stirn gegen die Wand, ließ die +Beine treiben und atmete einige Male tief durch. Keine Zeit, +ermahnte er sich, keine Zeit darüber nachzudenken. Runter zu den +Docks und dem nächsten Unheil die Stirn bieten. + +Er zog sich an der Decke entlang, bis er zu einem Schacht kam, in +den er hinein schwebte. Er klinkte sich in das abwärts laufende +Band ein. Drei Decks tiefer löste er den Karabiner und ließ die +Trägheit den Rest erledigen, so dass er auf dem untersten Deck aus +dem Schacht hinaus trieb. Er verankerte sich am Boden. Vor ihm +teilte sich der Gang. Die linke Abzweigung war von einem Schott +verschlossen, über dem ein rotes Licht Atmosphärenverlust +signalisierte. Ladebucht eins, in der 300 Leichen tanzten. +Zumindest das von ihnen, was nicht hinaus geblasen worden war. +Vielleicht nicht allzu viel, wenn die Reparaturmannschaften später +Glück hatten. Vielleicht genug für eine anständige Beisetzung, wenn +die Angehörigen Glück hatten. + +Köpckes Hand glitt zur Tür einer Kammer, in der Vakuumanzüge +verstaut waren. Aber dafür war keine Zeit. Er ließ von der Tür ab +und drehte sich um. Die eigentlichen Schwierigkeiten warteten jetzt +in Ladebucht zwei auf ihn. Und er musste sich beeilen, bevor … +Köpcke hob die Hände und trat einen Schritt zurück, um die +Situation zu erfassen. + +Die Mündungen zweier kurzläufiger Schnellfeuergewehre, angelegt an +die Schultern rot uniformierter Riesen, schienen ihn anzustarren. +Er starrte zurück. Die Schwierigkeiten waren schon zu ihm +gekommen. + +»Den nicht. Er ist unser … Verbündeter.« Eine Hand in einem weißen +Seidenstahlhandschuh bahnte sich ihren Weg zwischen den Hünen, ein +zierlicher Körper in einer stark verzierten Uniform folgte. + +»Major, ich bin Ihnen zu tiefstem Dank verpflichtet, dass Sie die +Mühe auf sich nehmen, uns hier unten persönlich abzuholen.« +Gedehnte Vokale und harte Konsonanten tröpfelten aus dem reizvollen +Mund. + +Köpcke ergriff die dargebotene Hand und beugte sich zur Andeutung +eines Kusses über sie. »Kommandantin Kanurova. Ich bin erfreut, Sie +zu sehen. Sie sind sehr … pünktlich.« Der Major schluckte. + +»Danke. Sie ebenfalls, Herr Major. Ihr Plan war wie … wie sagt man? +Ein Uhrwerk? Ich muss Ihnen meine Anerkennung aussprechen.« + +»Kommandantin, es scheint mir, dass es Ihnen schwer gefallen ist, +gewisse Aspekte des Planes so umzusetzen, wie wir es vereinbart +hatten.« Köpcke deutete auf das Schott hinter sich. + +Die russische Kommandantin schwebte an ihm vorbei, um einen Blick +durch die Sichtluke zu werfen. »Nun ja, meine Erfahrung hat mir +gezeigt, dass es der sicherere Weg ist, jede Unwägbarkeit +auszuschließen. Man weiß nie, wer einem sonst in den Rücken fällt.« +Ruckartig drehte sie sich um. »Einerlei. Wenn Sie die Güte hätten, +uns zur Zentrale zu geleiten?« + +»Einerlei? Sie haben 300 meiner Leute gemetzelt! Ich bin sicher, +dass ich Hauptmann Hansen hätte überzeu…« + +Sie schnellte auf ihn zu und brachte ihr Gesicht dicht an seines. +Den Æetherschiffern gelangen solche Manöver deutlich eleganter als +den Festungskrabblern. Die Trägheit trieb eine ihrer +Kastaniensträhnen gegen seine Wange. »Sie hätten. Ich habe. Das ist +der Unterschied, Herr Major. Haben ist immer besser. Merken Sie +sich das!« Sie glitt eine Armlänge zurück. »Und nun, zur Zentrale, +wenn Sie gestatten.« Die Kommandantin deutete auf den +Schleppschacht. Hinter Köpcke räusperte sich einer der Riesen. Der +Major drehte sich um. Sein Blick fiel auf die kleine Gruppe +Soldaten, die im Gang wartete. Einer von ihnen trug die Abzeichen +eines Leutnants und nickte ihm ruhig, wie zur Begrüßung, zu. + +Köpcke entspannte sich. Ein Lächeln sprang kurz in sein Gesicht. Er +wandte sich dem Schacht zu und klinkte sich in das Aufwärtsband +ein. + +\tb + +Köpcke ging zuerst durch das Schott, um zu verhindern, dass Brunner +aus Überraschung eine Dummheit beging. Die Situation war unter +Kontrolle, die drei Leichen aus der Zentrale geschafft worden. +Brunner hob fragend die Augenbrauen. Köpcke warf einen Blick über +die Schulter, um zu sehen, wie die Russen durch den Eingang +flossen. + +Kanurova glitt in die Mitte der Zentrale, gefolgt von ihrem +Adjutanten, dem kleinen Leutnant mit dem gezwirbeltem Schnurrbart. +Einer ihrer Leute fürs Grobe postierte sich neben dem Schott, der +zweite etwa hundert Grad weiter raumwärts, ein dritter auf der dem +Planeten zugewandten Seite. Kreuzfeuerpositionen. Alle Anwesenden +waren schlagartig sehr eifrig mit ihren Posten beschäftigt. + +Köpcke wandte sich seinem Mitverschwörer zu und zuckte mit den +Schultern. Sergeant Topolski trat zu den beiden. + +Die Kommandantin winkte die Männer heran. »Gönnen Sie mir bitte +einen Moment Ihrer Aufmerksamkeit. Es gibt einige Sachverhalte, die +ich mich genötigt sehe, Ihnen darzulegen.« + +»Und die wären?« Seine Kameraden postierten sich bei dieser Frage +wachsam hinter dem Major. + +»Zunächst einmal, dass unsere gemeinsame Unternehmung ab diesem +Moment in sinnvollere Bahnen gelenkt wird. Anstatt Sie bei ihrem +törichten Aufstand zu unterstützen, werden wir selbst diese Festung +sowie Karlstadt übernehmen! Mein Zar hat sicherlich bessere +Verwendung für Deutsch-Ost-Marsien als es Ihre Räterepublik je +haben könnte.« Selbst das hämische Lächeln konnte sie nicht ihrer +Attraktivität berauben. + +Brunner brauste auf. »Was erlauben Sie sich, Sie …« Das Geräusch +dreier Waffen, die feuerbereit in Anschlag gebracht wurden, ließ +ihn verstummen. + +»Ruhig Jan!« Köpcke legte ihm die Hand auf die Brust. + +Brunner hob abwinkend beide Hände. »Verzeihung.« + +Köpcke wandte sich an die Russin. »Kommandantin, wir haben eine +Übereinkunft!« + +»Ich habe die Übereinkunft geändert!« Auf ihr Zeichen hin schwebte +ihr Adjutant zur bodenseitigen Sichtkuppel. »Beten Sie, dass ich +sie nicht noch weiter ändere.« Sie ließ ihren Blick über die +Anwesenden schweifen. »Sie alle dürfen sich jetzt als +Kriegsgefangene des russischen Zaren begreifen. Wenn Sie der +Meinung sind, dies nicht akzeptieren zu können, werden Sie +Kriegstote sein. Einerlei.« + +Kanurova schaute zu ihrem Adjutanten hinüber, der die Skalen an der +Kuppel abgelesen hatte. »Eingestellt und korrekt, Frau +Kommandantin.« + +Sie quittierte die Meldung mit einem Nicken, betrachtete die +Kragenspiegel der Deutschen und fixierte Brunner. »So denn, Herr +Geschützoffizier. Wenn Sie die Güte hätten, das Feuer zu +eröffnen?« + +»Was? Nein! Nein, niemals. Das war doch nur eine Finte für den +Oberst.« + +Eine raffinierte Körperwelle brachte Kanurova dichter an Brunner +heran. Sie neigte den Kopf leicht zur Seite und lächelte die +Temperatur um zehn Grad herunter. »Lassen Sie es mich Ihnen so +verdeutlichen, Herr Leutnant: Sie tun Ihre Pflicht oder ich +erschieße Sie und Ihre Geschützmannschaften, hole meine an Bord und +lasse die ihre Pflicht erfüllen.« Sie zog den Kopf wieder zurück. +»Einerlei.« + +Brunner blickte sich hilfesuchend um. Topolski wich seinem Blick +aus. »Kurt?« + +Köpcke wiegte einen Augenblick die Hüften, dann schlug er dem +Artillerieoffizier auf die Schulter. »Tu es, Jan. Solange wir +leben, können wir kämpfen.« + +Brunner zuckte von seinem Vorgesetzten zurück. »Was? Aber unsere +Kameraden dort unten können nicht mehr kämpfen.« + +»Wir kämpfen für sie. Befiehl die Salve, Jan.« + +Der Leutnant schloss einen Augenblick die Augen, atmete tief durch. +»Jawohl, Herr Major!« Er klickte hinüber zu seinem Posten und nahm +das Sprachrohr: »Batterie David für Zentrale!« + +»David hört«, klang es aus dem Schalltrichter an der Wand. In der +Stille, die sich unter den Menschen in dem großen Raum ausgebreitet +hatte, war jedes Pfeifen, Quietschen und Rasseln, das sich in die +akustische Übertragung eingebettet hatte, überdeutlich zu hören. + +»David, Feuerbereitschaft auf anvisiertes Ziel jetzt.« + +»Feuerbereitschaft auf anvisiertes Ziel. Jawohl.« Ein Moment +Stille. »Feuerbereit auf anvisiertes Ziel jetzt.« + +Brunner schaute Köpcke in die Augen. Der nickte langsam und kaum +merklich. Brunner führte das Sprachrohr zum Mund. »David, Feuer, +Feuer, Feuer!« + +Orbitalfestung 9 schüttelte sich, als sechs Geschütze in schneller +Folge ihre Ladungen auf den Ort hinausspien, den zu beschützen sie +den Auftrag hatten. Kanurova schwebte zur Kuppel. Ihre Augen +schweiften hin und her, als sie versuchte, die Geschosse +auszumachen. Schließlich gab sie es auf, nutzte den auf das Ziel +ausgerichteten Vergrößerer und wartete auf den Einschlag. + +Köpcke stellte dem russischen Leutnant eine stumme Frage und bekam +ein Kopfnicken zur Antwort. Er drehte sich, um die Konsole im Auge +zu behalten, von der aus die Dockanlagen kontrolliert wurden. Kurz +darauf änderten Leuchtsignale ihren Rhythmus und der dort +diensttuende Posten zog einen Papierstreifen aus einem +automatischen Schreiber. Er las ihn, und drehte sich erregt um, um +Meldung zu machen. Köpcke unterband dies mit einer energischen +Geste, wandte sich wieder von der Konsole ab. Einer der russischen +Wächter funkelte ihn misstrauisch an, unternahm aber nichts. + +Einige Minuten später fand der Tod dreimal sein vorbestimmtes Ziel, +ein Geschoss traf ein Gebäude in der Nähe, eines eine Agrarkuppel +und eines ging außerhalb der Stadt nieder. + +Freudestrahlend kehrte die Kommandantin zu ihren Gefangenen zurück. +»Meine Herren, damit dürfen Sie Ihren Aufstand als niedergeschlagen +betrachten.« + +»Oder«, Köpcke trat vor, »Sie, Kommandantin, betrachten ihre +Usurpation als gescheitert.« + +Sie starrte ihn entgeistert an, dann warf sie lachend den Kopf in +den Nacken. »Welchen Anlass hätte ich dazu?« + +Der Major deutete auf das raumseitige Observatorium, vor dem +erschreckend nah der russische Kutter hing, die bedrohlichen +Mündungen der beiden ausgerannten Jagdgeschütze auf das +Kontrollzentrum der Basis gerichtet. + +Ihr Lachen verklang so schnell, wie es gekommen war. »Was … wieso?« +Sie zögerte. »Das ist mein Schiff! Ich habe keinen Befehl +gegeben!« + +»Nicht nur Sie sind in der Lage, unsere Übereinkunft zu ändern. Ich +habe sie ebenfalls geändert, Kommandantin. Hoffen Sie, dass ich sie +nicht weiter ändere!« + +»So?« Sie hob in wiedergefundener Selbstsicherheit die Augenbrauen. +»Und welche Rolle sieht Ihre Übereinkunft für mich vor?« + +»Ihre Rolle – Ihre und die Ihrer Kosaken«, er deutete einmal durchs +Rund, »ist es, zu kapitulieren!« + +»Andernfalls?« + +»Anderfalls wird ihr Kutter, der, wie Ihnen aufgefallen sein +dürfte, unter Kontrolle revolutionärer Kräfte steht, uns aus dem +Æether blasen!« + +»Dann ist Ihre Revolution tot!« + +»Dann bin ich tot. Dann sind Sie tot. Und dann sind einige hundert +Unbeteiligte tot. Die Revolution lebt. Die Revolution ist dort +unten.« Er deutete Richtung Oberfläche. + +»Sollte Ihnen entgangen sein, dass ich Ihre Revolution dort unten +in den Marsstaub gebombt habe, Herr Major?« + +Köpcke lächelte. »Nein, Ihnen ist entgangen, zu welchem Zeitpunkt +sich unsere Übereinkunft geändert hat! Die Geschütze waren nicht +auf unseren Rat gerichtet, sondern auf die Kuppel, in der Ihre +Raumlandekompanie auf ihren Einsatz gewartet hat, um unsere Kolonie +zu überrennen!« + +Ihre Augen verengten sich für einen Moment, dann schüttelte sie ein +Lachen, das sie im freien Fall gegen den Taktiktisch trieb. »Sie +versuchen, mich hinter das Licht zu führen! Woher sollten Sie +gewusst haben, wo meine Kompanie einquartiert war?« + +»Aus der gleichen Quelle, aus der ich wusste, dass überhaupt eine +da ist.« + +»Das haben Sie erraten. Vermutet. Weil Ihnen bewusst ist, dass die +Übernahme Ihrer Station ohne Unterstützung am Boden strategisch +keinen Sinn ergeben würde.« + +Der Major nickte. »Einerlei, Kommandantin.« + +Sie starrte ihm in das gelassen drein blickende Gesicht. Ihre Linke +nestelte an einer Tasche ihres weißen Gürtels. Ein schneller Blick +über die Schulter auf das rote Segment hinter der Sichtscheibe. Ein +Kopfschütteln. »Nein. Nein, nein, nein. Markov hat doch die +Zielkoordinaten überprüft und er wusste, wo …« + +Köpcke meinte, die Zahnräder in ihrem Kopf ineinandergreifen zu +hören. Sie fuhr herum zu ihrem Adjutanten. »Markov, Sie!« + +Leutnant Markov trat zu Köpcke und Brunner. »Jawohl, Kommandantin. +Ich. Ich bin Mitglied der revolutionären Kräfte freier Mars! Genau +wie Subkommandant Tokoiev dort draußen.« Er deutete auf den +feuerbereiten Kutter hinter sich. + +Sie schwieg, schluckte, suchte nach einer Lösung. Sie schwebte zu +dem Soldaten hinüber, der neben der bodenseitigen Kuppel +positioniert war und nahm ihm die Waffe ab. + +»Los, los, an die Geschützkonsole. Schießen Sie die Chekov ab«, +übersetzte Markov die geraunten Befehle der Kommandatin, auf die +hin sich der bullige Soldat abstieß, um punktgenau vor Brunners +üblichem Platz zu landen. Er las Skalen ab, verschob Regler. + +Ein rhythmisches Blitzen, das durch die Observationskuppel drang, +erregte die Aufmerksamkeit der Anwesenden. + +»Das war die Aufforderung zur Bestätigung, dass die Festung unter +unserer Kontrolle steht«, erläuterte Köpcke. »Drei Minuten, dann +wird Ihr ehemaliger Stellvertreter das Feuer auf uns eröffnen.« + +Kanurova wischte seine implizite Aufforderung mit einer +Handbewegung beiseite. »Soldat?« + +Der Mann an der Geschützkonsole blickte auf und erwiderte etwas, +das nicht sehr zufriedenstellend klang. + +»Ausgeschlossen, Kommandantin. Sie ist zu nah, im toten Winkel«, +ließ Markov seine Vertrauten wissen. + +»Indiskutabel.« Kanurova wirbelte Pirouetten um alle Achsen. +»Absolut indiskutabel.« Sie ließ den Impuls vergehen und +orientierte ihren Körper in Richtung Köpckes. »Wie sind Ihre +Bedingungen, Herr Major?« Sie glitt auf die andere Seite des +Tatkiktisches, so dass dieser zwischen ihr und ihren Gegner war. + +»Sie kapitulieren und werden inhaftiert.« + +»Ganz simpel also.« Sie schlang ihr Bein um einen Holm des +Tisches. + +»Ganz simpel, ja, Kommandantin.« Köpcke nickte. »Akzeptieren Sie?« + +Sie wiegte den Kopf hin und her, präsentierte ruhige +Nachdenklichkeit während die Muskeln in ihrem Bein sich spannten. +»Njet!« + +Schlagartig zog sie sich zum Deck hinunter und drehte sich +gleichzeitig um ihre Längsachse, stemmte sich mit dem Rücken gegen +den Tisch und brachte das Gewehr in Anschlag. + +Eine Salve gegen eine Rohrleitung neben der Kuppel. Dampf trat +aus. + +Eine, zwei, drei Salven gegen die transparente Sichtkuppel und der +Weltraum begann, Luft und Wärme unbarmherzig aus der Zentrale zu +saugen. + +Die drei Männer auf der anderen Seite des Tisches schrien und +hielten sich fest, um die Magnetverriegelung ihrer Stiefel zu +unterstützen. Die Mannschaften an den Stationen rings herum +keuchten, als sie in die Gurte oder gegen die Lehnen ihrer Stühle +gedrückt wurden. Der Russe, der freischwebend an der +Geschützkonsole gearbeitet hatte, fand nicht schnell genug Halt, +wurde fortgerissen und knallte gegen die Observationsscheibe. Der +Aufprall zerbrach den durch die Durchschüsse geschwächten +Klarstahl. Durch die vergrößerte Öffnung riss das Vakuum an dem +kläglichen Rest der Atmosphäre. + +Die anderen Russen hatten ihre Waffen losgelassen und klammerten +sich an Rohre. Eines war heiß vom Dampfdruck im Inneren und die +verbrannten Hände konnten ihren Griff nicht halten. Der Mann folgte +seinem Kameraden in das Nichts. + +Köpcke versuchte noch die Situation zu erfassen. Er begriff, dass +die Schutzblende sich nicht schloss, weil Kanurova zunächst die +Druckleitung zum Auslöser zerstört hatte. Brunner und die +Kommandantin handelten schon. Kanurova ließ den Tisch los, löste +ihr Bein vom Holm und trieb mit dem Strom an Gas auf die Öffnung +zu. Im Sturz führte sie ihre linke Hand zum Gesicht, steckte sich +etwas in den Mund. Dann griff sie nach ihrem Kragen und löste eine +dünne Kapuze, die sie sich über den Kopf zog. Sie rollte sich +zusammen, schlang die Arme um die Knie und schoss durch den Riss +hinaus. + +Brunner reagierte um Sekundenbruchteile langsamer. Er entriegelte +seine Stiefel und sprang über den Tisch, ließ sich mitreißen, +streckte Arme und Beine aus und wurde wie ein Gekreuzigter über die +Öffnung genagelt. Sein Rücken bog sich durch, als er sich gegen den +Sog stemmte, den linken Arm weit über seine Reichweite hinaus +streckte, wie ein Schatten an den Resten der Kuppel entlang glitt. +Es fehlten wenige Zentimeter bis zu dem Hebel, der das Absenken der +Armierung außerhalb der Scheibe auslöste. Noch pumpte das +Umwälzsystem genug Atmosphäre in die Zentrale, um die Anwesenden am +Leben zu erhalten. Lange würden die Vorräte nicht mehr ausreichen. +Brunner zog das rechte Bein nach, setzte den Fuß auf die Bruchkante +und stieß sich ab, riss auch den zweiten Arm in die Richtung seines +Ziels herum. Seine Hände griffen den Hebel und legten ihn um. Sein +Körper hing freischwebend vor der Öffnung, die jetzt von außen +verschlossen wurde. Seine Finger rutschten vom Griff, langsam, aber +nicht so langsam wie die Armierung herab fuhr. + +Er blickte Köpcke in die Augen, lächelte und ließ los. + +»Nein, Jan!« Köpcke entriegelte seine Stiefel und sprang hinterher. +Brunner und die Stahlplatte passierten den Riss zur gleichen Zeit: +die Panzerplatte drückte den Körper des Leutnants gegen den Boden +und durchtrennte ihn auf Höhe der Brust. + +Der Sog brach ab, die Trägheit trieb Köpcke weiter und schlug +seinen Kopf gegen die heruntergefahrene Stahlwand. Benommenheit +zerrte an seinem Bewusstsein. Kälte kroch in seinen Körper. Sein +Blick glitt durch die Zentrale. Verschwommen nahm er die Menschen +wahr, die nach Luft schnappten. Brunners halbierten Körper, der +unter ihm an den Boden gedrückt wurde. Topolski, der auf ihn zu +kam. Markov, der zum raumseitigen Observatorium schwebte, um dem +Kutter das Signal zu geben. Das Signal für die erste gewonnene +Schlacht. Die erste Schlacht im Krieg für die Unabhängigkeit des +Mars. Ein Krieg, der schon in den ersten Stunden hunderte Opfer +gefordert hatte. Köpcke gab den Widerstand auf und sich der +Bewusstlosigkeit hin. +\end{document} -- 2.11.4.GIT